Schlagwort: Zeitgeschichte

Der Jessup Moot Court am MPIL

The Jessup Moot Court at the MPIL

Deutsch

Geschätzter Gast oder geschuldete Last? Zur fragilen Geschichte eines symbiotischen Verhältnisses

Wenn mitten in der Nacht ein großes Büro am Institut noch hell erleuchtet und mit eifriger Betriebsamkeit erfüllt ist, dann weiß man: Hier stellen die Studierenden des Heidelberger Jessup Moot Court Teams ihre Schriftsätze fertig. Es ist kein gewöhnliches Büro, denn die Wände sind mit zahlreichen Plaketten und gerahmten Urkunden geschmückt, mit denen frühere Teams für ihre Erfolge ausgezeichnet wurden. Die Geschichte hinter diesen Erfolgen und der Beitrag des Instituts soll im Folgenden ergründet werden.

Am Jessup Moot Court, den es zunächst vorzustellen gilt (I.), haben bereits 39 Heidelberger Teams teilgenommen (II.). Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) hat zahlreiche dieser Teams intensiv unterstützt. Der Rückblick in die Erfolgsgeschichte bringt aber auch deren Fragilität ans Licht (III.). Dessen ungeachtet hat sich zwischen MPIL und Jessup ein symbiotisches Verhältnis herausgebildet (IV.), das für die Fortschreibung dieser gewinnbringenden Tradition zuversichtlich stimmt (V.).

I. Der Jessup

Der Jessup International Law Moot Court (kurz: „Jessup“) ist der völkerrechtliche Moot Court par excellence. Der größte und älteste Wettbewerb auf dem Gebiet des Völkerrechts wurde 1960 an der Harvard University ins Leben gerufen, seit 1968 wird er international ausgetragen, in der Kampagne 2024 mit über 600 Teams aus aller Welt. Universitäten dürfen je ein Team mit bis zu fünf Student:innen (Mooties) und mehreren Betreuer:innen (Coaches) entsenden. Bei den nationalen Vorentscheiden (National Rounds) qualifizieren sich die erfolgreichsten Teams für die „International Rounds“, die sodann in Washington, D.C. ausgetragen werden. Der Jessup schult somit nicht nur Generationen von Studierenden im Völkerrecht, sondern leistet auch einen Beitrag zum internationalen Austausch.

Kern des Wettbewerbs ist die Simulation eines streitigen Verfahrens zweier Staaten vor dem Internationalen Gerichtshof, dem einst der Namenspate, der US-amerikanische Völkerrechtler und Diplomat Philip Caryl Jessup, als Richter angehörte. Der zur Bearbeitung gestellte fiktive Streitfall wirft dabei stets brisante völkerrechtliche Fragen auf. Jedes Team erarbeitet zunächst Schriftsätze (Memorials) für die Kläger- und Beklagtenseite und trägt die dabei entwickelten Argumente sodann in mündlichen Plädoyers (Pleadings) gegen andere Teams vor. Dabei spielen die Judges (typischerweise Praktiker:innen und Professor:innen des Völkerrechts) eine entscheidende Rolle; sie bewerten die Memorials und Pleadings. Während der Pleadings stellen sie zahlreiche Fragen zum Sachverhalt und zur rechtlichen Argumentation, die die nacheinander plädierenden Mooties jeweils allein und möglichst überzeugend aus dem Stegreif beantworten müssen. So entsteht ein intensiver, juristisch anspruchsvoller Austausch.

II. Die Heidelberger Jessup-Teams

Das Jessup-Team 2008: David Schweizer, Daniel Scherr, Vasiliki Koligliati, Benedikt Walker, Natalia Jevglevskaja, Katerina Vagia, Verena Kling und Ingo Venzke (Foto: MPIL)

Jessup-Teams treten in der Regel im Namen ihrer Universität an. Es ist ein Wettbewerb für Studierende, die auszubilden universitäre Aufgabe ist. Seit Langem ist es in Heidelberg aber primär das MPIL, das die Jessup-Teams betreut. Ein Blick in die Tätigkeitsberichte des MPIL weist dies erstmals für das Wintersemester 1990/91 nach. Aber gab es bereits vorher Heidelberger Jessup-Teams? Wer betreute sie? Weder am MPIL noch bei der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität ließen sich dazu Hinweise finden. Auch aus den Erinnerungen befragter Zeitzeug:innen ergab sich kein klares Bild. Hinweise finden sich schließlich aber in den Aufzeichnungen der International Law Students Association (ILSA), die den Jessup verantwortet. Nach den Unterlagen von ILSA nahm erstmals 1985 ein Heidelberger Team teil, seit 1987 ist ununterbrochen für jedes Jahr ein Heidelberger Team verzeichnet. Beim Jessup 2024 trat somit das 39. Heidelberger Team an. Die Teams wurden bei ILSA meist im Namen der Ruprecht-Karls-Universität angemeldet, nur 2003 und 2009 im Namen des MPIL. Rückschlüsse auf die Betreuung lässt das aber nicht zu, weitere Tätigkeitsberichte des MPIL weisen nämlich klar auf die ununterbrochene Mitwirkung des Instituts seit 1990/91 hin. Indizien für eine Mitwirkung der Juristischen Fakultät an der Betreuung der Teams ließen sich lediglich für das Jahr 1993 finden.

Die fast vier Jahrzehnte Heidelberger Jessup-Tradition krönt mancher Erfolg: Bislang qualifizierten sich elf Heidelberger Teams für die Teilnahme an den International Rounds, zweimal (1997, 2000) waren sie unter den 16 besten Teams weltweit. Bei den German National Rounds erreichten fünf Heidelberger Teams einen ersten, fünf einen zweiten und sechs Teams einen dritten Platz (zuletzt 2023). Hinzu kommen unzählige Auszeichnungen für Memorials und individuelle Leistungen in den Pleadings. Auch eine Auszeichnung mit dem Spirit of the Jessup Award der German National Rounds – verliehen an das Team, das den Geist des Wettbewerbs am besten verkörpert – konnte Heidelberg 2018 erlangen.

III. Fragilität: Der Wandel der Unterstützung durch das MPIL

Das Jessup-Team 2023 in Den Haag. Hintere Reihe, vlnr: Lukas Hemmje (Coach), Jakob Mühlfelder (Coach), Jasper Kurth, Leo Volkhardt. Vordere Reihe, vlnr: Sophie Raab (Coach), Laura Schwamm, Bozheng Chen, Barbara Hauer

Ohne die Mitwirkung des MPIL wären diese Erfolge undenkbar. Als Gästen des Instituts wird den Teams vielfältigste Unterstützung zuteil. Sehr hilfreich ist zunächst, dass den Teams – wie eingangs erwähnt – ein eigenes Büro am Institut zur Verfügung steht. Für die Recherchen zu den streitigen völkerrechtlichen Fragen ist der Zugriff auf die Ressourcen der Bibliothek unentbehrlich, der von freundlicher Unterstützung seitens der Mitarbeiter:innen von Ausleihe, Fernleihe, Buchbestellung, Zeitschriftenabteilung und der UN-Depotbibliothek begleitet wird. Zeitweise wurden die Schriftsätze der Jessup Teams sogar mit eigener Signatur in die Bibliothek aufgenommen (VR: I G: 41). Hinzu kommen dutzende Probe-Pleadings mit Wissenschaftler:innen des Instituts, in denen die Mooties ihre Argumente und Kenntnisse auf den Prüfstand stellen können. Über die Unterstützung Heidelberger Teams hinaus hat das MPIL bereits sechs Mal (1996, 2001, 2007, 2013, 2015, 2022) die deutschen National Rounds des Jessup ausgerichtet – zweimal davon recht kurzfristig, wenn keine Universität die Ausrichtung übernehmen wollte.

Neben dem MPIL kommt der damit eng verbundenen Heidelberger Gesellschaft für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eine besondere Bedeutung zu. Die Heidelberger Gesellschaft finanziert Heidelberger Teams nicht nur regelmäßig die beträchtliche Anmeldegebühr für den Jessup, sondern ermöglichte zahllosen Heidelberger Jessup-Generationen auch die große Pilgerreise der Völkerrechtsfans – eine Studienreise nach Den Haag. Dort gewannen die Teams inspirierende Einblicke in den Internationalen Gerichtshofs, den Internationalen Strafgerichtshof, die deutsche Botschaft und andere Wirkstätten des Völkerrechts.

Am wichtigsten ist wohl aber die Betreuung durch die vom Institut angestellten Coaches, die regelmäßig von besonderem persönlichem Engagement gekennzeichnet ist. An dieser Stelle zeigt sich auch die größte Veränderung der Jessup-Betreuung am MPIL, die schematisierend als Wandel von einem direktoralen Ansatz zu einem gemeinschaftlichen Ansatz beschrieben werden kann. In den 90er Jahren gingen alle wichtigen Schritte zum Zustandekommen der Jessup-Teams vom Direktorium aus: Ein Direktor wies ein oder zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an, das Team zu betreuen, unterstützt von ein oder zwei Mooties des Vorjahres (angestellt als studentische Hilfskräfte). Es war auch das Direktorium, das die neuen Mooties gezielt in Völkerrechtsvorlesungen und -seminaren ansprach und auswählte.

Seit mehreren Jahren geht die Initiative für die Aufstellung neuer Teams hingegen stärker von der Gemeinschaft ehemaliger Heidelberger Jessup Mooties und Coaches (Jessup Community) aus. Die Mooties des Vorjahres ziehen durch die Vorlesungen und veranstalten Info-Abende, um neue Studierende für den Wettbewerb zu gewinnen. Es sind die ehemaligen Coaches, die sich auf die Suche nach neuen Coaches machen und den Wunsch nach entsprechenden Stellen am MPIL an das Direktorium herantragen. Jeder neuen Jessup-Runde geht dabei ein Bangen voraus, ob und wie viele neue Coaches sich finden lassen und wie viele Stellen am MPIL geschaffen werden können. Auf diesem Wege ließen sich zum Beispiel 2019 und 2020 nur je zwei ehemalige Mooties finden, die die Betreuung übernahmen – ein Engagement mit nicht unerheblicher Belastung neben ihrem Studium. Auch die Auswahl der neuen Mooties liegt seit vielen Jahren in der Hand der Heidelberger Jessup Community, die die Auswahlgespräche organisiert und durchführt.

Dieser Wandel hin zu einem gemeinschaftlichen Ansatz bringt einen ganz erheblichen Vorteil mit sich: Die Verantwortung, die damit bei den ehemaligen Mooties und Coaches liegt, befördert das besondere Gemeinschaftsgefühl der Heidelberger Jessup Community. Es zeugt vom großen Vertrauen des Instituts in diese Community, dass ihr so viel Gestaltungsfreiheit im gesamten Prozess der Auswahl und Betreuung der Teams gewährt wird. Die neuen Coaches können auf das tradierte Wissen und die Erfahrungen vorheriger Generationen zurückgreifen, haben darüber hinaus aber auch die Freiheit, neue Modelle und Methoden bei der Teambetreuung zu verwirklichen.

Als Kehrseite folgt für gegenwärtige und künftige Heidelberger Jessup-Generationen daraus zugleich ein Appell zum Engagement und zur Eigeninitiative. Ohne direktorale Initiative und Federführung ist die Jessup-Betreuung am MPIL keine institutionell garantierte Selbstverständlichkeit. Dies zeigt auch das Beispiel des Concours Européen des Droits de l‘Homme René Cassin, bei dem ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg simuliert wird. Das Institut hat mindestens seit 1993 Heidelberg René Cassin Teams unterstützt, im Jahr 1998 auch einen Sieg in Straßburg erzielt. Seit 2004 aber nehmen keine Heidelberger Teams mehr am Concours René Cassin teil. Eine einst erfolgreiche Tradition kann eben auch enden.

Für eine Fortschreibung der Heidelberger Jessup-Tradition ist es daher unabdingbar, dass ehemalige Mooties Verantwortung übernehmen für künftige Jessup-Generationen und die (in der Regel sehr großzügige) Unterstützung des MPIL auch aktiv einfordern. Mit dem Wandel des Betreuungsansatzes ging in der Regel zwar nicht einher, dass das Institut letztlich weniger Ressourcen für die Jessup-Betreuung eingesetzt hätte als unter direktoraler Leitung. Um diese Ressourcen muss von den ehemaligen und neuen Coaches aber beharrlich geworben werden. Dies ist nicht immer ganz leicht, warten nach der Teilnahme am Jessup oder der Betreuung eines Teams doch immer die nächsten zu erbringenden Studienleistungen, das Staatsexamen oder die Weiterarbeit an der Dissertation. Das dennoch ununterbrochene Fortbestehen der Heidelberger Jessup Tradition deutet an, wie viele Stunden freiwilligem Engagements – in Abendstunden, an Wochenenden und Feiertagen – die Heidelberger Jessup Community investiert hat.

IV. Symbiose: Beiderseitiger Nutzen für MPIL und Jessup

Von Erfolg gekrönt. Urkunden im Jessup-Büro (Foto: MPIL)

Einerseits lässt sich also ein Wandel der Unterstützung Heidelberger Jessup-Teams durch das MPIL von einem direktoralen hin zu einem gemeinschaftlichen Ansatz beobachten, mit dem eine gewisse Fragilität der Zukunft des Jessup am MPIL einhergeht. Andererseits suggerieren die langjährig ununterbrochene Jessup-Tradition und der letztlich mehr oder weniger unverändert bleibende Ressourceneinsatz des MPIL für die Jessup-Bereuung Verlässlichkeit und Kontinuität. Dieser ambivalente Befund – Kontinuität trotz Fragilität – lässt sich durch das symbiotische Verhältnis von Jessup und MPIL erklären, das sich in Heidelberg herausgebildet hat. Vordergründig profitieren die Jessup-Teams von der ressourcenintensiven Betreuung durch das MPIL. Zugleich, und darin liegt das Symbiotische, profitiert aber auch das MPIL vom Jessup.

Der Jessup bringt für Mooties, Coaches und das MPIL erheblichen Mehrwert. Für die Mooties bedeutet die Jessup-Teilnahme eine einmalige und großartige Chance. In der Regel bietet das Studium der Rechtswissenschaft in Deutschland kaum Gelegenheit zur Teamarbeit, nur verschwindend wenige internationale Bezüge, kaum Vermittlung von fachspezifischen Fremdsprachenkenntnissen, ein schlechtes Betreuungsverhältnis, wenig Anreize zur eigenständigen Entwicklung juristischer Argumente und erst recht kaum einen Rahmen, diese mündlich vorzutragen. All dies aber bietet der Jessup, in einem arbeits- und lernintensiven Semester. Neben einem herausragenden Verständnis der Grundlagen des Völkerrechts entwickeln die Mooties bei der Erstellung der Memorials exzellente Recherchefähigkeiten und lernen, zu den aufgeworfenen, komplexen Rechtsfragen in konziser und klarer Sprache Stellung zu nehmen. Wer später in anwaltlichen Schriftsätzen interessenorientiert, juristisch seriös und stichhaltig argumentieren will, wird von der mehrmonatigen, sorgfältigen Erstellung von Memorials erheblich profitieren. Die strenge Wortbegrenzung zwingt dabei dazu, die besten Argumente auszuwählen und auf den Punkt zu bringen. Die Vorbereitung der Pleadings kommt einem intensiven Englisch- und Rhetorikkurs gleich, in dem die Mooties lernen, spontan die kritischsten Fragen der Judges professionell zu parieren. Neben Legal English als Arbeitssprache, Beschäftigung mit dem Völkerrecht und Studienreise nach Den Haag bringt – nach Monaten harter Arbeit und mit etwas Glück – schließlich auch die Teilnahme an den International Rounds in Washington D.C. den Teams wertvolle internationale Erfahrungen. Zugleich zwingt die intensive Zusammenarbeit von Mooties und Coaches alle zur Weiterentwicklung ihrer Teamfähigkeiten. Zeitdruck und intensive Arbeit schweißen das Team zusammen. Coaches können erste Führungserfahrungen sammeln, die auch für eine weitere wissenschaftliche Karriere wichtig sind. Etliche Ehemalige blicken mit Freude auf diese Zeit zurück, die neben dem Erwerb juristischer Fähigkeiten auch langanhaltende Freundschaften stiftet. Dem Charakter des Jessup als Wettbewerb entsprechend, kann nicht jedes Team siegen. Gewonnen sind für alle Mooties aber die großartigen Lernchancen, die sich über die Monate der Vorbereitung hinweg bieten.

Diesen erheblichen Vorteilen stehen auch berechtigte Einwände gegenüber. Eine sinnvolle Betreuung der Jessup-Teams verlangt erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen. Die Zahl der Mooties ist von ILSA auf fünf beschränkt, das Privileg der Teilnahme kann daher nur wenigen Studierenden gewährt werden. Zudem gehört die Ausbildung Studierender nicht zur Kernaufgabe eines der Grundlagen- und Spitzenforschung gewidmeten Instituts. Die als zuständig anzusehende Juristische Fakultät hat zur Betreuung der Heidelberger Jessup-Teams bislang allerdings kaum Ressourcen beigetragen.

Der Jessup hat aber auch erheblichen Nutzen für das MPIL. Mooties lernen als Gäste das Institut seine Abläufe und Strukturen kennen. Sie durchsuchen wissenschaftliche Quellen nach juristischen Argumenten und entwickeln dabei einen kritischen Blick auf die Völkerrechtswissenschaft und ihre Methodik. Mit ihrer exzellenten Befähigung zur eigenständigen Recherche völkerrechtlicher Fragen sind sie prädestiniert, dem Institut nach dem Jessup als Hilfskräfte verbunden zu bleiben – so ist es gängige Praxis. Manchen Mootie führte dieser Pfad sodann auch zu einer Promotion und wissenschaftlichen Mitarbeit am MPIL. Der Jessup hilft dem MPIL also, engagierte Studierende der Fakultät an das Institut heranzuführen und mit der Völkerrechtswissenschaft vertraut zu machen. Das MPIL gewinnt durch den Jessup erheblich an Sichtbarkeit an der Universität, durch die German National Rounds und durch Erfolge in den International Rounds wirkt diese Sichtbarkeit weit über Heidelberg hinaus. Zugleich kann das Direktorium die Studierenden zunächst als Gäste kennenlernen, bevor über eine Anstellung als Hilfskraft oder Mitarbeiterin zu entscheiden ist.

V. Rückblick und Ausblick

Die Geschichte des Jessup Moot Court am MPIL lässt sich daher unbedingt als Erfolgsgeschichte erzählen. In fast vier Jahrzehnten hat das Jessup-Fieber zahlreiche Heidelberger Mooties und Coaches angesteckt, die Teilnahme hat ihnen eine einzigartig wertvolle Lernerfahrung geboten. Von dieser Begeisterung junger Menschen für das Völkerrecht profitiert auch das MPIL. Ohne die oft sehr intensive Betreuung wäre dies nicht möglich gewesen. Das Erfolgsnarrativ sollte aber nicht den Blick darauf verschließen, dass die Kontinuität der Jessup-Tradition am MPIL oftmals auf der Kippe stand.

Wie kann daher für künftige Jessup-Generationen deren Fortschreibung garantiert werden? Dafür braucht es sowohl ein Engagement der Heidelberger Jessup Community, neue Teams auf vielfältige Weise zu unterstützen, als auch eine intensive institutionelle Unterstützung durch das MPIL und die Heidelberger Gesellschaft. Das Verhältnis dieser Triebkräfte der Heidelberger Jessup Tradition gilt es jedes Jahr neu auszuloten. Die Fortschreibung der Heidelberger Jessup Geschichte hängt am Zusammenspiel dieser Kräfte, die notwendige, für sich allein aber nicht hinreichende Bedingungen zu diesem Ende sind. Aus dieser Diagnose folgt, dass der Jessup in Heidelberg sowohl aus Perspektive des MPIL als auch aus Sicht der Jessup Community nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Umso beeindruckender, dass es ihn seit fast 40 Jahren in Heidelberg gibt.

Hinweis zur Quellenlage und Transparenz: Mein Beitrag speist sich aus eigener Anschauung (als Heidelberger Jessup Mootie 2018, Coach 2019 und 2022), aus Gesprächen und Schriftverkehr mit anderen ehemaligen Mooties, Coaches und mit weiteren Beteiligten am Institut sowie aus Erfahrungsberichten der Heidelberger Teams (ab 2006), Tätigkeitsberichten des Instituts, Dokumenten der Heidelberger Gesellschaft, Archivunterlagen von Prof. Wolfrum, Ordner III der Institutschronik und Aufzeichnungen der International Law Students Association (ILSA). Sichere Kenntnisse über das Abschneiden Heidelberger Teams bei den National und International Rounds liegen ab 1997 vor.

English

Valued Guest or Burden Owed? On the Fragile History of a Symbiotic Relationship

When in the middle of the night a spacious office at the institute is still brightly lit and filled with bustling activity, there is no doubt: This is where the students of the Heidelberg Jessup Moot Court team finalise their memorials. It is no ordinary office, as the walls are decorated with numerous plaquettes and framed certificates honouring previous teams for their successes. Delving into the story behind these successes and the Institute’s contribution to them is the purpose of this blogposts.

It begins by introducing the Jessup Moot Court (I.) before exploring the participation of 38 Heidelberg teams (II.). The Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) has extensively supported many of these teams. However, a retrospective on this success story also reveals its fragility (III.). Nevertheless, a symbiotic relationship has emerged between MPIL and Jessup (IV.), instilling confidence in the continuation of this tradition (V.).

I. The Jessup

The Jessup Team 2008: David Schweizer, Daniel Scherr, Vasiliki Koligliati, Benedikt Walker, Natalia Jevglevskaja, Katerina Vagia, Verena Kling und Ingo Venzke (photo: MPIL)

The Jessup is the international law moot court par excellence. Initiated at Harvard University in 1960, it is the oldest and largest competition in the field of international law. Since 1968, it has been held internationally, in 2024 with over 600 teams participating from around the world. Each university may send one team of up to five students (Mooties) and several team advisers (Coaches) to the competition. The most successful teams in National Rounds qualify for the International Rounds held in Washington, D.C. Thereby, the Jessup not only educates generations of students in international law but also contributes to international exchange.

At the core of the competition is the simulation of contentious proceedings between two states before the International Court of Justice, where eponym Philip Caryl Jessup – US-American diplomat and international lawyer – once served as a judge. The fictitious case always raises challenging contemporary international legal issues. Each team prepares written submissions (Memorials) for the applicant and respondent state and presents their arguments in oral pleadings against other teams. The Judges (typically practitioners and professors of international law) play a decisive role; they evaluate the memorials and pleadings, thus determining the winning team. During the pleadings, they also ask numerous questions to which the Mooties must reply spontaneously and persuasively. This creates an intense, legally challenging discussion.

II. Heidelberg’s Jessup Teams

Jessup teams usually compete on behalf of their university. It is a competition for students, whose education is a university task. However, Heidelberg’s Jessup teams have long been primarily supported by the MPIL. According to MPIL’s annual activity reports, the institute’s involvement with Jessup dates back to the 1990/91 winter semester. No evidence could be found at MPIL or at the Faculty of Law at Ruprecht-Karls-University on any Heidelberg Jessup teams participating before that. The recollections of contemporary witnesses do not provide a clear picture either. However, records from the International Law Students Association (ILSA), responsible for organizing the Jessup, reveal that a Heidelberg team first participated in 1985, and that there has been a Heidelberg team every year since 1987. Hence, the team participating in Jessup 2024 will be the 39th Heidelberg team. Teams were usually registered with ILSA in the name of Ruprecht-Karls-University, except in 2003 and 2009 when they were registered as MPIL teams. However, this does not provide insight into coaching responsibilities, as MPIL’s activity reports clearly indicate continuous involvement of the institute since 1990/91. Evidence of the Law Faculty supporting Heidelberg’s Jessup teams could only be found for the year 1993.

The nearly four decades of Heidelberg Jessup tradition boast several successes. Eleven Heidelberg teams qualified for the International Rounds, and twice (1997, 2000) they were among the top 16 teams worldwide. In German National Rounds, five Heidelberg teams secured first place, five second place, and six third place (most recently in 2023). Additionally, numerous awards for memorials and individual achievements in pleadings have been earned. Heidelberg also received the Spirit of the Jessup Award at the German National Rounds in 2018, bestowed upon the team that best embodies the spirit of the competition.

III. Fragility: The Evolution of MPIL Support

The Jessup team 2023 in The Hague. Back row, from left to right: Lukas Hemmje (coach), Jakob Mühlfelder (coach), Jasper Kurth, Leo Volkhardt. Front row, from left to right: Sophie Raab (coach), Laura Schwamm, Bozheng Chen, Barbara Hauer

Without MPIL’s involvement, these achievements would be unthinkable. As guests of the institute, teams receive support in various forms. Having an office at the institute is particularly helpful, as it provides access to the library’s resources for research on contentious international legal issues. This is complemented by the friendly assistance of library staff in borrowing, interlibrary loans, book orders, journals section, and the UN Depository Library. At times, the Jessup teams’ Memorials were even archived in the Institute’s library with their own signature (VR: I G: 41). Moreover, there are numerous practice pleadings with MPIL’s staff researchers, allowing the Mooties to test their arguments and knowledge. Beyond supporting Heidelberg teams, MPIL has hosted the German National Rounds of the Jessup six times (1996, 2001, 2007, 2013, 2015, 2022) – two of which were organized at short notice when no university volunteered.

Apart from MPIL, the Heidelberger Gesellschaft für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Heidelberg Society for Comparative Public Law and International Law) plays a crucial role. The society regularly pays the substantial registration fees for the Jessup and enables countless Heidelberg Jessup generations to embark on the great pilgrimage of international law – a study trip to The Hague. There, teams gain inspiring insights in the International Court of Justice, the International Criminal Court, the German Embassy, and other venues of international law.

However, the most critical element is the guidance provided by coaches employed by the institute. This aspect is where the most significant change in Jessup support at MPIL becomes evident, which can roughly be characterizes as a shift from a directorial approach to a communal approach. In the 1990s, all essential steps for forming Jessup teams were initiated by the directors: a director assigned one or two research assistants to coach the team, supported by one or two Mooties from the previous year (employed as student research assistants). The directors also used their international law lectures and seminars to approach students and invite them to join the team.

In contrast, for several years now, the initiative for forming new teams has increasingly come from the community of former Heidelberg Jessup Mooties and coaches (the Jessup Community). The previous year’s Mooties advertise the Jessup in lectures and organize information evenings to recruit new students for the competition. Former coaches actively seek out new coaches and convey the desire for corresponding jobs at MPIL to the directorate. Each new Jessup round is preceded by uncertainty about how many new coaches can be found and how many of them can be employed at MPIL. In 2019 and 2020, for example, only two former Mooties could be found to take on coaching responsibilities – a considerable commitment alongside their studies. The selection of new Mooties has also been in the hands of the Heidelberg Jessup Community for many years, organizing and conducting the selection interviews.

This shift towards a communal approach brings a significant advantage: the responsibility placed on former Mooties and coaches fosters a strong communal sense within the Heidelberg Jessup Community. Granting this community considerable freedom in the entire process of selecting and supervising teams is a sign of great trust. New coaches can draw on the traditional knowledge and experiences of previous generations while also having the freedom to implement new models and methods in team supervision.

As a flip side, this presents a call for initiative and engagement to current and future Heidelberg Jessup generations. Without directorial initiative and leadership, Jessup support at MPIL is not institutionally guaranteed. This is also illustrated by the example of the Concours Européen des Droits de l‘Homme René Cassin, a moot court simulating proceedings before the European Court of Human Rights in Strasbourg. At least since 1993, the institute supported René Cassin Teams, winning the competition in the 1998 edition. However, after 2004, Heidelberg did not participate in the René Cassin anymore. Even a successful tradition may come to an end.

Against that background, ensuring the continuation of Heidelberg’s Jessup tradition requires former Mooties to take responsibility for future Jessup generations and actively call for the (generally very generous) MPIL support. The shift from a directorial approach to a communal approach only occasionally translated into the institute ultimately using fewer resources for Jessup coaching than under the directorial approach. However, these resources must be persistently solicited by former and new coaches. This is not always easy, given that after participating in the Jessup or supervising a team, the next academic achievements, the state examination or further work on the dissertation always await. The nonetheless continuous existence of Heidelberg’s Jessup tradition indicates how many hours Heidelberg’s Jessup Community has voluntarily invested – during evenings, weekends, and holidays.

IV. Symbiosis: Mutual Benefits for MPIL and Jessup

Crowned with success. Awards in the MPIL’s Jessup office (Photo: MPIL)

Thus, on one hand, a shift can be observed in MPIL’s support for Heidelberg Jessup teams from a directorial to a communal approach, bringing about a certain fragility in the future of Jessup at MPIL. On the other hand, the long-standing, uninterrupted Jessup tradition and the relatively unchanged resource allocation by MPIL for Jessup support suggest reliability and continuity. This ambivalent finding – persistence despite fragility – can be explained by the symbiotic relationship that has developed between Jessup and MPIL in Heidelberg. Evidently, Jessup teams greatly benefit from the resource-intensive support provided by MPIL. Simultaneously, and less obviously, MPIL also benefits from Jessup. Herein lies the symbiotic nature of the relationship between Jessup and MPIL.

For Mooties, coaches, and MPIL, the Jessup has a significant added value. For Mooties, Jessup participation is an outstanding opportunity. Typically, legal studies in Germany offer few chances for teamwork, minimal international elements, hardly any subject-specific language proficiency training, a poor student-to-supervisor ratio, limited incentives for independent development of legal arguments, and certainly no framework for presenting them orally. The Jessup provides all of these in an intensive semester of working and learning. In addition to an excellent understanding of the foundations of international law, Mooties develop sophisticated research skills while drafting memorials, and they learn to articulate clear and concise responses to complex legal questions. Anyone who later wants to argue in an interest-orientated, legally serious and cogent manner in legal briefs will benefit considerably from the meticulous preparation of memorials over several months. The strict word limit compels Mooties to select the best arguments and present them succinctly. The preparation of pleadings resembles an intensive English and rhetoric training, where Mooties learn to professionally respond to the judges’ most critical questions spontaneously. Beyond Legal English as a working language, engagement with international law, and a study trip to The Hague, participation in the International Rounds in Washington, D.C., after months of hard work and a bit of luck, provides teams with valuable international experiences. Simultaneously, the intense collaboration between Mooties and coaches forces everyone to further develop their teamwork skills. Time pressure and intensive work unite the team, while coaches gain initial leadership experiences crucial for further academic careers. Many alumni fondly look back on this time, which not only imparts legal skills but also fosters enduring friendships. As is in the nature of a competition, not every team can win the Jessup. However, all Mooties gain tremendous learning opportunities over the months of preparation.

These substantial benefits are countered by valid objections. Meaningful support for Jessup teams demands significant financial and human resources. ILSA restricts the number of Mooties to five, limiting the privilege of participation to only a few students each year. Moreover, educating students is not a core task of an institute dedicated to foundational and top-level research. However, the responsible Faculty of Law has, thus far, contributed hardly any resources to support Heidelberg’s Jessup teams.

The MPIL also benefits considerably from the Jessup. Mooties, as guests, familiarize themselves with the institute’s processes and structures. They research sources for legal arguments, developing a critical view of international law and its methodology. With their excellent ability to independently research international legal questions, they are well-suited to remain connected to the institute as student research assistants after the Jessup – indeed a common practice. For some Mooties, this path has led to pursuing a doctoral degree at MPIL. Therefore, the Jessup helps MPIL introduce dedicated law students to the institute and acquaint them with the study of international law. MPIL gains significant visibility at the university through the Jessup, and the German National Rounds and International Rounds extend this visibility far beyond Heidelberg. Meanwhile, the directorate can get to know the students as guests before employing them as researchers or assistants.

V. Retrospect and Outlook

The history of the Jessup Moot Court at MPIL can certainly be told as a success story. Over nearly four decades, the Jessup fever has infected numerous Heidelberg Mooties and coaches, providing them with a uniquely valuable learning experience. The MPIL has benefited from this enthusiasm of young people for international law, which would not have been possible without the often very intense support. This narrative of success, however, should not veil the fact that the continuity of MPIL’s Jessup tradition was often hanging by a thread.

How can the continuation of Jessup for future generations be guaranteed? This requires both the commitment of the Heidelberg Jessup Community to support new teams in diverse ways, and intensive institutional support from MPIL and the Heidelberg Society. The relationship between these driving forces of the Heidelberg Jessup tradition must be re-evaluated every year. The continuation of the Heidelberg Jessup history depends on the interplay of these forces, which are necessary but not sufficient conditions for this end. From this diagnosis, it follows that Jessup in Heidelberg cannot be considered a given, both from the perspective of MPIL and the Jessup Community. It is all the more impressive that there have been Heidelberg Jessup teams for almost 40 years now.

Note on sources and transparency: My contribution is based on personal experience (as a Heidelberg Jessup Mootie in 2018, coach in 2019 and 2022), conversations and correspondence with other former Mooties, coaches, and other stakeholders at the institute, as well as reports from Heidelberg teams (from 2006 onwards), activity reports from the institute, documents from the Heidelberg Society, archive materials from Prof. Wolfrum, Folder III of the institute’s chronicle, and records from the International Law Students Association (ILSA). Reliable knowledge about the performance of Heidelberg teams in National and International Rounds is available from 1997 onwards.

Mein Aufenthalt am MPIL: Der Beginn einer Weltreise

My Stay at the MPIL: The Beginning of a World Journey

Deutsch

Als ich im Sommer 1991 aus meiner Heimat Südafrika nach Deutschland kam, gab es große Veränderungen im Land, in der Region und in der Welt. Es war die Zeit kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, des Zusammenbruchs der ehemaligen Sowjetunion, der Invasion Kuwaits durch den Irak und des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Es war auch eine Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen in Südafrika, als sich das Land auf seine ersten demokratischen Wahlen und den Übergang von der weißen Minderheitsregierung zur konstitutionellen Demokratie vorbereitete.

Es war für mich aber auch eine Zeit eigenen intellektuellen Wandels, nachdem ich an das Institut (damals noch in der Berliner Straße untergebracht) gekommen war, um für meine Doktorarbeit über die Bedeutung des deutschen Sozialstaatsprinzips für die künftige südafrikanische Verfassung zu forschen. Während in den 1980er Jahren mehrere südafrikanische Wissenschaftler am Institut tätig waren, war ich zu dieser Zeit eine der wenigen südafrikanischen Wissenschaftlerinnen, die die Gelegenheit zu einem Forschungsaufenthalt hatten. Ich war erst 23 Jahre alt und hatte gerade mein Jurastudium in Freistaat in Südafrika abgeschlossen. Für mich waren die fast zwei Jahre am Institut von Spätsommer 1991 bis zum Frühjahr 1993 prägend – und ein Quantensprung in meiner intellektuellen Entwicklung, der sich letztlich entscheidend auf meinen beruflichen Werdegang auswirkte.

Deutsche erklären die Welt? Einblicke in die Diskussions- und Wissenschaftskultur am MPIL der 1990er

Mehrheitlich Männer. Referentenbesprechung in der Berliner Straße 1985

Da ich von einer kleinen, regionalen juristischen Fakultät in Südafrika kam, zu einer Zeit, als das Land aufgrund der Apartheidpolitik politisch noch sehr isoliert war und der akademische Austausch und das kritische Denken dort auf viele Hindernisse stießen, ist es nicht verwunderlich, dass ich meine Heidelberger Umgebung anfangs als einschüchternd und befreiend zugleich empfand. Meine deutschen Sprachkenntnisse waren damals noch sehr begrenzt (im Wesentlichen erworben während zweier intensiver Studienmonate im Sommer 1991 am Goethe-Institut in Schwäbisch Hall) und reichten noch nicht aus, um schwierige deutsche Rechtstexte zu lesen. Auch auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung, des Völkerrechts und des Auftretens auf der internationalen akademischen Bühne klafften große Wissens- und Erfahrungslücken. Es konnte daher einschüchternd sein, mit gut ausgebildeten und oft weit gereisten und kultivierten (damals überwiegend männlichen) wissenschaftlichen Mitarbeitenden über eine Vielzahl von rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen zu diskutieren.

Manchmal allerdings wünschte ich mir sogar, dass diese Kollegen eher bereit wären, unvoreingenommen zuzuhören, statt sich gleich über hochkomplexe politische und juristische Zusammenhänge in fernen Ländern – mit denen sie persönlich nur wenig Erfahrung hatten – zu äußern, so belesen sie auch zu einem bestimmten Thema sein mochten. Gleichzeitig war es befreiend, sich in einem Umfeld zu befinden, in dem eine fundierte Debatte eine Selbstverständlichkeit war. Darüber hinaus waren diese Diskussionen wichtig, um zu lernen, sich zu behaupten – oft als einzige Frau in der Gruppe (zu einer Zeit, als es kaum ein Bewusstsein für die unbewussten Vorurteile gab, die mit solchen Konstellationen einhergehen) – und dazu in einer Fremdsprache. Darüber hinaus wurde das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig eine solide Debatte in Verbindung mit Toleranz (einschließlich der Bereitschaft aufmerksam zuzuhören) ist, um eine nuancierte, ausgewogene und tiefgründige akademische Forschung zu fördern. Diese aus meiner Sicht unerlässliche Qualität ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags leider zunehmend eine Seltenheit auch an vielen intellektuellen Elite-Institutionen geworden, unter anderem aufgrund des zerstörerischen Einflusses der sozialen Medien, die darauf abzielen, zu polarisieren und zu ‚canceln‘ und damit die Grundlagen der akademischen Freiheit und des demokratischen Diskurses zu untergraben.

Eine lebenslange Verbindung. Der bleibende Einfluss des MPIL

Legendäre Buchbestände. Bibliothekarin Marlies Bornträger 1985 (Foto: MPIL)

Wichtig war für mich damals die enge soziale Interaktion mit den wissenschaftlichen Mitarbeitenden und einem ganz allgemein sehr unterstützenden Umfeld, wozu auch die damaligen Direktoren beitrugen. Zu dieser Zeit wurde das Institut von Jochen Abr. Frowein und dem mittlerweile verstorbenen Rudolf Bernhardt geleitet. Es gab auch eine kurze Überschneidung mit Rüdiger Wolfrum vor meiner Abreise im Jahr 1993, als er die Nachfolge von Rudolf Bernhardt als Direktor des Instituts antrat. Sowohl Jochen Frowein als auch Rüdiger Wolfrum blieben sehr interessiert an meiner Karriere und unterstützten sie. Zum Beispiel hatte ich nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 die Gelegenheit, mit Rüdiger Wolfrum und seinem Team bei der Beratung zur Verfassungsreform im Südsudan und später auch Sudan zusammenzuarbeiten und dabei auch auf die Erfahrungen Südafrikas in den 1990er Jahren zurückzugreifen.  Als große Ehre habe ich empfunden, dass ich im Jahr 2020 (zusammen mit Kathrin Maria Scherr) die Herausgeberschaft des Max Planck Yearbook of United Nations Law (UNYB) übernehmen durfte, welches im Jahre 1997 von Jochen Frowein und Rüdiger Wolfrum begründet worden war. Der Einfluss ihrer Forschung auf meine eigene Arbeit und die herausragende Rolle des Völkerrechts in der Arbeit des Instituts im Allgemeinen führten ferner dazu, dass sich mein Hauptforschungsinteresse im Laufe der neunziger Jahre vom vergleichenden Verfassungsrecht zum Völkerrecht verlagerte.

Ein weiterer einzigartiger Aspekt des Instituts war und ist der legendäre Bibliotheksbestand, sowohl in Bezug auf das vergleichende öffentliche Recht als auch auf das Völkerrecht. Wissenschaftler (sowohl junge als auch etablierte) aus ganz Europa und darüber hinaus besuchten die Bibliothek vor allem in den Sommermonaten, was zu einer sehr lebendigen Gemeinschaft von Wissenschaftlern des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts führte, die zu dieser Zeit wahrscheinlich einzigartig in Europa war. Der sich daraus ergebende Austausch versorgte auch das akademische Personal des Instituts mit einer Fülle von Informationen, die sowohl für die eigene Forschung als auch für die Arbeit des Instituts insgesamt relevant waren. Der Wissenstransfer, der in und um die Bibliothek herum stattfand, war also eine Zweibahnstraße und von grundlegender Bedeutung zu einer Zeit, als es noch kaum digitale Ressourcen und Kommunikation gab. Für mich persönlich war es auch ein Anstoß, weitere internationale Erfahrungen zu sammeln und neue Horizonte zu erkunden. Ich hatte auch das große Glück, Matthias Herdegen, ehemaliger Referent am Institut und damals Professor an der Universität Konstanz, kennenzulernen. Wegen sein Interesse an den verfassungsrechtlichen Entwicklungen in Südafrika nahm er Kontakt zu mir auf und der Austausch entwickelte sich zu einer nachhaltigen, bis heute andauernde Zusammenarbeit.

Es fiel mir sehr schwer, Heidelberg im Frühjahr 1993 zu verlassen, aber ich hatte das große Glück, die Verbindung zum Institut und zur Stadt in den folgenden Jahren aufrechtzuerhalten, sei es durch anschließende Forschungsaufenthalte, die von der Alexander‑von‑Humboldt‑Stiftung gefördert wurden, oder durch die Teilnahme an einer Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen und persönlichen Kontakten die sich bis heute gehalten haben. In den letzten Jahren hat sich meine Verbundenheit auch auf die von Rüdiger Wolfrum 2013, nach seiner Emeritierung als Direktor am Institut, gegründete Max‑Planck‑Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit ausgeweitet, deren Projekte zur Verfassungsreform global Anerkennung gefunden haben. Durch meine Tätigkeit im Scientific and Development Policy Advisory Committee und als Mitherausgeberin des UNYB, das nun unter der Leitung der Stiftung herausgegeben wird, konnte ich eine Verbindung zur Max‑Planck‑Community aufrechterhalten. Diese langjährige Verbindung ist seit über dreißig Jahren eine Bereicherung, welche ich auch in Zukunft zu pflegen versuchen werde.

English

When I came to Germany from my country of origin South Africa in the summer of 1991, there were major changes in the country, the region, and the world. It was the time shortly after German reunification, the collapse of the former Soviet Union, the invasion of Kuwait by Iraq, and the war in the former Yugoslavia. It was also a time of great change and challenges in South Africa as the country prepared for its first democratic elections and the transition from white minority rule to constitutional democracy.

But it was also a time of my own personal intellectual transformation after coming to the Institute (at the time, still housed in Berliner Straße) to do research for my doctoral thesis on the significance of the German Sozialstaatsprinzip (“welfare state principle”) for the future South African constitution. While there had been several South African scholars working at the Institute in the 1980s, during the early 1990s I was one of few South African academics who had the opportunity for a research visit in Heidelberg. I was only 23 years old and had just completed my law degree in Free State, South Africa. For me, the almost two years at the Institute from late summer 1991 to spring 1993 were formative – and a quantum leap in my intellectual development, which ultimately had a decisive impact on my professional career.

Germans Explaining the World? Insights into the Scientific and Discursive Culture at the MPIL in the 1990s

Men in the majority. “Referentenbesprechung” in the institute building in Berliner Straße in 1985 (photo: MPIL)

Coming from a small, regional law faculty in South Africa, at a time when the country was still very isolated politically due to apartheid and academic exchange and critical thinking in South African society faced many obstacles, it is not surprising that I initially found my Heidelberg environment simultaneously intimidating and liberating. My German language skills were still very limited (mainly acquired during two months of intensive study at the Goethe Institute in Schwäbisch Hall in the summer of 1991) and were not yet sufficient to read difficult German legal texts. There were also large gaps in my knowledge and experience in the fields of comparative law, international law, and on how to handle oneself in the environment of international academia. It could therefore be intimidating to discuss a wide range of legal and social issues with the well-educated, often well-travelled and cultured (and at that time predominantly male) academic staff.

Sometimes, however, I did wish that these colleagues would have been more willing to listen with an open mind instead of immediately commenting on highly complex political and legal issues in distant countries – with which they had little personal experience – however well‑read they might have been on a particular topic. At the same time, it was liberating to be in an environment where informed debate was a matter of course. Moreover, these discussions were important for learning to assert myself – often as the only woman in the group (at a time when there was little awareness of the unconscious bias associated with such constellations) – and in a foreign language. Furthermore, my awareness was raised for the importance of robust debate combined with tolerance (including a willingness to listen carefully) to promote nuanced, balanced, and deep academic research. This, in my view, essential quality has, at the time of writing, sadly become increasingly rare even at many elite scholarly institutions, in part due to the destructive influence of social media, which aims to polarise and ‘cancel’, undermining the foundations of academic freedom and democratic discourse.

A Lifelong Connection. The Lasting Influence of the MPIL

Legendary libary collection. Librarian Marlies Bornträger in 1985 (Photo: MPIL)

Of great significance to me at the time was the close social interaction with the scientific staff and a generally very supportive environment, which was also contributed to by the directors. At the time, the institute was headed by Jochen Abr. Frowein and the late Rudolf Bernhardt. There was also a brief overlap with Rüdiger Wolfrum before my departure in 1993, when he succeeded Rudolf Bernhardt as Director of the Institute. Both Jochen Frowein and Rüdiger Wolfrum remained very interested in and supportive of my career. For example, after the independence of South Sudan in 2011, I had the opportunity to work with Rüdiger Wolfrum and his team in advising on constitutional reform in South Sudan and later Sudan, drawing on South Africa’s experience in the 1990s.  It was a great honour for me to take over the editorship of the Max Planck Yearbook of United Nations Law (UNYB) in 2020 (together with Kathrin Maria Scherr), which had been founded in 1997 by Jochen Frowein and Rüdiger Wolfrum. The influence of their research on my own work and the prominent role of international law in the work of the Institute in general also led to my main research interest shifting from comparative constitutional law to international law over the course of the 1990s.

Another unique aspect of the institute was and is its legendary library collection, both in terms of comparative public law and international law. Researchers (young as well as established) from all over Europe and beyond visited the library, especially during the summer months, resulting in a very lively community of scholars of public law and international law, probably unique in Europe at the time. The ensuing exchange also provided the Institute’s academic staff with a wealth of information that was relevant both for their own research and for the work of the Institute as a whole. The transfer of knowledge that took place in and around the library was therefore a two-way street and of fundamental importance at a time when digital resources and communication were scarce. For me personally, it was also an impetus to gain further international experience and explore new horizons. I was also very fortunate to meet Matthias Herdegen, former research fellow at the Institute and at the time Professor at the University of Konstanz. He established contact due to his interest in the constitutional developments in South Africa and our exchange developed into a lasting collaboration that continues to this day.

Leaving Heidelberg in the spring of 1993 was difficult for me, but I was very fortunate to maintain my connection to the Institute and the city in the years that followed, through subsequent research stays funded by the Alexander von Humboldt Foundation and participation in several academic events, as well as via personal contacts that have lasted to this day. In recent years, my ties have also extended to the Max Planck Foundation for International Peace and the Rule of Law, which was founded by Rüdiger Wolfrum in 2013 after his retirement as Director of the institute and whose projects on constitutional reform have received global recognition. Through my work on the Scientific and Development Policy Advisory Committee and as co-editor in chief of the UNYB, which is now published under the auspices of the Foundation, I have been able to maintain a link with the Max Planck community. This long-standing connection has been an enrichment for over thirty years, and I will endeavour to maintain it in the future.

 

Translation from the German original: Sarah Gebel

An “Almost Impossible Mission”: MPIL Director Jochen Abr. Frowein and the “EU Sanctions Against Austria” in 2000

In the summer of 2000, the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) was at the centre of European legal debates and Austrian media attention: The institute’s director Jochen Abr. Frowein had been nominated alongside Martti Ahtisaari and Marcelino Oreja as one of the so-called three Wise Men to evaluate the fourteen EU member states “measures against the Austrian government”. The question at the heart of this European affair – how should the union monitor and sanction a member state in violation of shared European values? – was posed at a critical moment in the EU history and concerns us until today.

Introduction

In late August 2000, journalists outnumbered researchers and students at 535 Neuenheimer Feld in Heidelberg. On this cool summer day, director Jochen Abr. Frowein was not amused about the media frenzy at the MPIL as he made his way through a jungle of cameras for a meeting with former Finnish president Martti Ahtisaari and former European Commissioner Marcelino Oreja.[1] These three “Wise Men” had been nominated earlier in the summer by Luzius Wildhaber, the president of the European Court of Human Rights to investigate “the Austrian Government’s obligations to the European values, in particular in regard to the rights of minorities, refugees and immigrants,” and “the development of the political nature of the FPÖ.”[2]

This mission was the final chapter in the struggle over the so-called “EU sanctions against Austria” between the Vienna government and the fourteen member states of the EU (EU‑14). These diplomatic and bilateral measures had been imposed after the far‑right Freiheitliche Partei Österreichs (Freedom Party of Austria, FPÖ) had entered a government coalition with the conservative Österreichische Volkspartei (Austrian People’s Party, ÖVP) in February 2000. The sanctions reduced diplomatic relations to a technical level and at EU summits, ministers refused to shake hands or pose for photos with their Austrian counterparts. Some statements related to the sanctions bordered on the bizarre: For example, Belgian Foreign Minister Louis Michel called on Belgians to cancel their winter vacation Austrian as he considered skiing in Austria “immoral” in the current situation (he later apologized for this statement).[3] Thus, the measures were neither actual political or economic sanctions nor had they been imposed by the European Union. As symbolic gestures, they expressed the concerns of the EU‑14 over a far‑right party joining a national government as a result of the surge of xenophobia, racism, and right-wing populism across Europe after the end of the Cold War. The Austrian government rejected the “sanctions”, arguing that they represented a violation of the “fundamental legal principles and the spirit of the European treaties”.[4]

The “sanctions” coincided with a critical moment in the history of European integration: Since the late 1980s, the EU had assumed a role as protector and promoter of human rights, democracy, and the rule of law. These common European values played a crucial role in transforming the union from an economic into a political one. Simultaneously, institutional reform was underway to enable the accession of new member states from Central and Eastern Europe. At this watershed and for the first time in EU history, the “sanctions” called into question the formation of a national government by citing potential violations of common European values. This conflict between the EU‑14 and the Austrian government has become ingrained in institutional memory as it accelerated the introduction of a specific mechanism for sanctioning. At the same time, this historical episode continues to paralyze the EU when it comes to handling violations of its fundamental values in a member state.[5] As such, the “sanctions” have served as a cautionary tale for the EU for two reasons: First, they created an opportunity for the controversial Austrian government to increase its popularity by claiming that foreign powers were trying to undermine the outcome of a democratic election. While only 53,82 percent of the electorate had voted for ÖVP and FPÖ in the previous election, polls showed that a vast majority of voters opposed the “sanctions” – which were perceived as an unjust stigmatization of the country’s population as “Nazis” – and supported the resistance of the new government.[6] Second, the “sanctions” were imposed without any conditions for their abolition and it had thus to be assumed that only the collapse of the government would end them.[7] After months of deadlock, the Austrian government threatened to block further institutional reform in the EU, legitimized by a popular referendum (Volksbefragung) in Austria on “the further development of EU law”.[8] Simultaneously, the European Commission and the European Parliament had urged the EU‑14 to re‑evaluate the measures and find a solution acceptable to all sides.[9]

Finally, the Portuguese Council Presidency asked the president of the European Court on Human Rights, Luzius Wildhaber, to appoint “three personalities” to deliver a report on the Austrian government’s “commitment to the European values” and the “political nature of the FPÖ” at the end of June.[10] The social democrat Ahtisaari and the conservative Oreja were appointed due to their long careers in politics and diplomacy, in particular concerning international law and human rights. Meanwhile, Frowein was chosen based on his excellent reputation for his work at the intersection of theory and practice of international law and human rights, especially through his long‑standing membership of the European Commission for Human Rights from 1973 to 1993.[11] During his academic career, Frowein made significant contributions to the study of the prohibition of the use of force under international law, the right to self‑defense, and the protection of human rights at the local and universal level, e.g.  on the freedoms of expression, assembly, and religion, as well as the prohibition of discrimination and asylum law.[12]

The Wise Men in Vienna

Following a preliminary meeting in Helsinki on 20 July, Frowein, Ahtisaari, and Oreja re-convened in Vienna for their “almost impossible mission” of putting “an entire country under scrutiny.[13] Frowein was the first to arrive in Vienna on a rainy 27 July. A small crowd of journalists and protesters welcomed the MPIL director on Vienna’s Ringstraße in front of the noble Hotel Imperial.[14] The next day, the Wise Men began their “intensive program” of meetings with Austrian officials to discuss the commitment of the Austrian government to common European values.[15] No minor detail about the delicate mission – e.g. the traditional Austrian dishes served at the lunch with chancellor Schüssel (Rindssuppe, Tafelspitz, Topfennockerl) – went unnoticed by the Austrian media, as Frowein, Ahtisaari, and Oreja gave journalists very little to report as they “appeared unnoticed” on the scene, “remained eloquently silent” in front of the journalists” and “disappeared again quickly”.[16] While the media soon grew frustrated with the trio, the interlocutors were “extremely impressed” by their “meticulous preparation”.[17]

The MPIL’s very own “Jörgi-Bär” [19]

While the Wise Men met with the FPÖ leadership at the time to assess the “political nature” of their party, they did not meet with the man often considered solely responsible for the party’s success: Jörg Haider was a controversial and charismatic figure in Austrian politics whose recipe for success consisted of combining far-right poliicy with populist rhetoric. However, by the summer of 2000, Haider was, according to his own description, only a “simple party member” as he had stepped down as party leader to appease domestic and international criticism of the ÖVP-FPÖ coalition. Nevertheless, the FPÖ made sure that the Wise Men received a symbolic effigy of their figurehead: A  so-called “Jörgi-Bär”, a small stuffed teddy bear the FPÖ had handed out as a giveaway in the previous election campaign, was sent to Heidelberg by the party as part of an information package. Until today, this small teddy bear can be found in the MPIL’s archive. The Austrian daily Der Standard cynically remarked that this was nothing but a “cuddle attack” on the Wise Men by the FPÖ to trivialize their extreme agenda.[18]

The Wise Men in Heidelberg and the Final Report

One month later, the trio reconvened at the seat of Frowein’s Institute to hold additional meetings and to finalize their report. More than twenty representatives of Austrian civil society flocked to the MPIL in Heidelberg. Opposition parties and NGOs criticized that the trio had only met with government officials during their visit to Vienna. The human rights organization SOS Mitmensch had asked for a meeting with Frowein specifically as they considered him to be “especially sensitive” to their concerns about the recent surge of racism and xenophobia in Austria.[20] Frowein, Ahtisaari, and Oreja “pricked up their ears” as the civil society representatives reported on the radicalization of the political climate since the FPÖ had joined the coalition.[21] After their final meeting with vice‑chancellor and FPÖ leader Susanne Riess‑Passer, the trio had “enough material to fill a library”. [22] Martti Ahtisaari mused that he would not mind if finishing the report would take a little longer and his stay at the MPIL would be extended as he had not been to Heidelberg since 1985.[23]

On 8 September 2000,  Frowein, Ahtisaari, and Oreja traveled to Paris to meet with President Jacques Chirac who was heading the French Council Presidency. Unlike their biblical eponyms, these Wise Men did not bring gold, frankincense, and myrrh but their Report on the Austrian Government’s Commitment to the Common European Values, in Particular concerning the Rights of Minorities, Refugees and Immigrants, and the Evolution of the Political Nature of the FPÖ[24]. The ceremonial handover in the Élysée Palace was disturbed by a “diplomatic scandal” characteristic of the early internet age: The Spanish daily El País leaked the report before Chirac received it.[25] After Chirac had received the report, it was made available to the general public on the MPIL’s website, which had been introduced in 1996 (for more on the digital transformation at the institute see the contribution by Annika Knauer on this blog).[26]

The beginnings of the Internet: Jochen Frowein on the news portal “Paperball” (Photo: MPIL)

The report found that the new Austrian government was committed to common European values. Its “respect in particular for the rights of minorities, refugees and immigrants is not inferior” and could even be considered higher than in other EU member states.[27] Furthermore, the report assessed that the Austrian government had taken steps to combat historical revisionism, discrimination, and prejudice. Regarding the “political nature of the FPÖ”, the trio voiced stronger concerns as they characterized it as a “right‑wing populist party with radical elements”, pointing out that the party “enforced xenophobic sentiments in campaigns”.[28] In addition, the report condemned the FPÖ’s practice of “suppress[ing] criticism by the continuous use of libel procedures” against journalists and researchers.[29] While the report stated that the measures “heightened awareness of the importance of the common European values” and “energized civil society” to defend them, Frowein, Ahtisaari, and Oreja also stressed that they “have in some cases been wrongly understood as sanctions directed against Austrian citizens” and were therefore simultaneously “counterproductive”.[30] A few days later, the EU‑14 followed the recommendations of the Wise Men and lifted the measures against the Austrian government.[31] Finally, Frowein, Ahtisaari, and Oreja urged the EU to develop a mechanism for evaluating member states’ commitment to common European values. They recommended the “introduction of preventive and monitoring procedures into Article 7 of the EU Treaty [EUT] so that a situation similar to the current situation in Austria would be dealt with within the EU from the very start.”[32]

Conclusion

Less than a year later, at the Summit in Nice in February 2001, the EU introduced a mechanism for sanctioning member states’ violations of European values, with the suspension of voting rights of the accused member state as a last resort. In a crucial moment of  EU history and as European values were put to the test, MPIL director Jochen Abr. Frowein alongside Maarti Ahtisaari and Marcelino Oreja was sent to Vienna on a delicate mission. The contributed to reforming how the EU protects and promotes its common values – at least on paper.

The question of how the EU should promote its common values and sanction those who violate them concerns the union to this day and perhaps now more than ever. The lesson of the measures taken by the EU‑14 against the Austrian government is twofold: On the one hand, they accelerated the introduction of a clear procedure in the TEU. On the other hand, the EU has been notoriously cautious to trigger this mechanism against members such as Hungary and Poland. Beyond the internal workings of the union, increasingly the question arises how the EU wants to promote its values beyond its member states and how far it is willing to go, as the debates about military assistance for Ukraine and the introduction of the EU Supply Chain Directive have shown. There is still plenty to discuss in Europe and at the MPIL about common European values, their promotion, and enforcement. It remains an “almost impossible mission.”

[1] Eva Linsinger, ‘Da haben sie die Ohren gespitzt‘: Menschenrechtsgruppen und Riess-Passer bei den drei Weisen in Heidelberg,“ Der Standard, 31 August 2000.

[2] Waldemar Hummer, The End of EU Sanctions against Austria – A Precedent for New Sanctions Procedures?, The European Legal Forum 2 (2000), 77-83, 79.

[3] Belgiens Außenminister Michel nennt eigene Äußerungen ’dumm‘, Tagesspiegel, 27 February 2000.

[4] Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Außenpolitischer Bericht 2000: Jahrbuch der Österreichischen Außenpolitik, Wien: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 2000, 30.

[5] Kim Lane Scheppele/Laurent Pech, Didn’t the EU Learn That These Rule-of-Law Interventions Don’t Work?, Verfassungsblog, 9 March 2018.

[6] Andreas Middel, Wien zeigt sich gegenüber der EU stur, Die Welt, 3 June 2000.

[7] Frank Schorkopf, Die Maßnahmen der XIV EU-Mitgliedstaaten gegen Österreich: Möglichkeiten und Grenzen einer “streitbaren Demokratie” auf europäischer Ebene, Berlin: Springer 2002, 145.

[8] Bericht des Hauptausschusses über den Antrag 211/A, Nr. 268 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XXI. GP, Wien: Österreichisches Parlament, 11 July 2000.

[9] Hummer (fn. 2), 78.

[10] Schorkopf (fn. 7), 161.

[11] Porträts, Die Presse, 9 September 2000.

[12] Rüdiger Wolfrum, Jochen Abr. Frowein Zum 70. Geburtstag, Archiv des Öffentlichen Rechts 129 (2004), 330–332.

[13] Eine fast unmögliche Mission, Der Standard, 28 July 2000.

[14] Susanna Heubusch, Privatbutler und Topfennockerl – erlesener Service für den ‚Weisenrat‘, Kurier, 30 July 2000.

[15] Karl Ettinger/Friederike Leibl, Drei Weise, zehn Sessel 100 Journalisten, Die Presse, 29/30 July 2000; for a complete list of the meetings held in Vienna, see: Schorkopf (fn. 7), 195–97.

[16] Ettinger/Leibl (fn. 16).

[17] Heubusch (fn. 15); Drei Weise prüfen Österreich: ‘Sie meinen es sehr ernst‘, Die Presse, 29/30 July 2000.

[18] Eva Linsinger, FPÖ-Kuscheloffensive, Der Standard, 25 July 2000.

[19] Photo: MPIL.

[20] Fakten statt Diffamierung, News, 33/2000.

[21] Linsinger, Ohren (fn.1).

[22] Eva Linsinger, Das Ende einer Dienstfahrt, Der Standard, 31 August 2000.

[23] Linsinger, Ende (fn. 23).

[24] Martti Ahtisaari/Abraham Frowein/Marcelino Oreja, Report on the Austrian Government’s Commitment to the Common European Values, in Particular Concerning the Rights of Minorities, Refugees and Immigrants, and the Evolution of the Political Nature of the FPÖ (the Wise Men Report), International Legal Materials 40 (2001), 102–123.

[25] Nikolaus Nowak, Diplomatischer Skandal: ‚El Pais‘ bekam Bericht zu Österreich vor Chirac, Die Presse, 9 September 2000.

[26] Under Frowein’s leadership, the MPIL had become a trailblazer for digitization in the MPG, see: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Contributions on Comparative Public Law and International Law, Vol. 270, Heidelberg: Springer 2018, 23.

[27] Ahtisaari/Frowein/Oreja (fn. 25), 119.

[28] Ahtisaari/Frowein/Oreja (fn. 25), 120.

[29] Ahtisaari/Frowein/Oreja (fn. 25), 120.

[30] Ahtisaari/Frowein/Oreja (fn. 25), 121.

[31] Schorkopf (fn. 7), 201-202.

[32] Ahtisaari/Frowein/Oreja (fn. 25), 120.

Nische oder Relais?

Niche or Relay?

Kolorierte Postkarte des Berliner Schlosses 1913 von der Spree gesehen. Auf dieser Seite war ab 1926 das KWI für ausländisches und internationales Privatrecht untergebracht (Foto: gemeinfrei)

Deutsch

Das Schwester-KWI für ausländisches und internationales Privatrecht, 1933 bis 1939, mit Blick auf das KWI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Was verbindet Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Völkerrecht in der NS-Zeit? Als These formuliert, verbindet die beiden juristischen Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), dass sie keine unpolitischen oder bedingt freien Räume in der Diktatur darstellten. Sie waren in erster Linie Relais der NS-Herrschaft, nur in wenigen Hinsichten Nischen.

Dies zu untersuchen, heißt bestimmte Fragen zu stellen: Wie gestaltete sich Handlungsspielraum im Übergang zur NS-Diktatur und bei ihrer Etablierung? Wie liefen Feedback-Prozesse in den Instituten sowie zwischen Instituten, Politik und Rechtsprechung ab? Wo lagen die Grauzonen von Resilienz? Diese Fragen werden im Folgenden in den zeit- und wissenschaftsgeschichtlichen Forschungskontext eingeordnet. Im Mittelpunkt des Interesses steht, welche methodischen Erfahrungen nicht für die weitere Erforschung der Institutsgeschichte des Völkerrechts-KWI geeignet scheinen und warum nicht. Daraus ergeben sich diskussionsorientierte Thesen und Vorschläge für geeignete Aspekte einer Instituts- als exemplarischer Zeit- und Wissenschaftsgeschichte.

Der Forschungsstand, seine Lücken und blinden Flecken

Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Beschäftigung mit dem privatrechtlichen Berliner Schwester-Institut, dem 1926 gegründeten und bis 1937 von dem Romanisten und Rechtsvergleicher Ernst Rabel (1874–1955) geleiteten Berliner KWI für ausländisches und internationales Privatrecht.[1] Sie erfolgte im Rahmen des seinerzeitigen Forschungsverbundes der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am Frankfurter MPI für europäische Rechtsgeschichte. Die ebenfalls in diesem Zusammenhang geplante Parallelstudie über das Schwester-KWI für Völkerrecht ist bekanntermaßen leider nicht zustande gekommen.[2]

Gründungsdirektor Ernst Rabel (1874-1955) wurde 1937 aus dem Amt gedrängt (Foto: AMPG)

2007 erschienen die letzten beiden institutsgeschichtlichen Bände der MPG-Präsidentenkommission. Zum einhundertjährigen Gründungsjubiläum der KWG/MPG 2011 legten Eckart Hennig und Marion Kazemi eine 2016 Gesamtbilanz in mehreren Teilen vor.[4] Diese macht einerseits den Erkenntnisgewinn seit Beginn der intensiven Forschungsbemühungen um die Geschichte der KWG, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, seit den 1990er Jahren unter Rudolf Vierhaus und Bernhard vom Brocke, andererseits die noch offenen Forschungsdesiderate sichtbar. Das Institutionengefüge ist damit gut dokumentiert. Auf dieser Grundlage stellen sich allerdings erst die eigentlichen Fragen.

Die Geschichte der deutschen Großforschungs- und Wissenschaftsförderungslandschaft seit der Weimarer Republik war durch deren Relevanz für die Ermöglichungsgeschichte der NS-Herrschaft, des Zweiten Weltkriegs und Zivilisationsbruchs immer ein besonderer Bereich der Zeit- und Wissenschaftsgeschichte. Bei ihrer Erforschung kamen traditionell quellennahe investigative und stark dokumentarisch ausgerichtete historische Methoden zum Einsatz. Das führte zu einer gewissen Spannung gegenüber der, unter anderem. am Berliner MPI für Wissenschaftsgeschichte vertretenen, Richtung einer eher wissenschaftstheoretischen Wissenschafts- als Wissens- und Kulturgeschichte. Fragen nach Handlungsspielraum, Feedback und Resilienz in einem KWI in der Konsolidierungs- und Kriegsvorbereitungsphase der NS‑Diktatur haben zwar auch etwas mit Kultur und Wissen zu tun, gehen aber nicht darin auf. Das gilt insbesondere für die Rechtsgeschichte. Wenn sie von dem abgetrennt betrachtet wird, was Florian Meinel den „Möglichkeitsraum des Politischen“ genannt hat, geht ihre zeitgeschichtliche Dimension verloren. Privat- und Völkerrecht sind aber genuin politisch, insbesondere dann, wenn sie institutionengeschichtlich in einer totalitären Diktatur betrachtet werden.

Don‘ts: Die Diktatur zur Diskurs- und Wissensgeschichte machen

Diesen Weg sollte die KWI-Geschichte eher nicht gehen: den einer invasiven und theorielastigen Kulturgeschichte in der Form einer Diskurs- oder Wissensgeschichte auf dem Nenner von konstruktivistischer Kommunikation. Ernst Rabel, in seiner Bedeutung als Ausnahmewissenschaftler sicherlich mit Max Weber vergleichbar, hat das rechtsvergleichend strukturierte IPR seiner Zeit verkörpert, nicht erfunden. Seine Fähigkeit zum Überblicken des problembezogenen Lösungsvorrats ganzer Rechtssysteme hat nicht nur einen gelehrten Diskurs, sondern wesentliche Anteile des Welthandelsrechts und der internationalen Rechtsprechungspraxis direkt ermöglicht. An vielen Kodifikationen und Urteilen war Rabel beteiligt. Weder seine Leitung des Privatrechts-KWI bis 1937 noch seine Emigrationsgeschichte in den USA oder sein Remigrantenschicksal nach 1945 sind eine Redeweise. Ähnliches lässt sich über die vergleichbare Verfolgungsbiographie von Erich Kaufmann sagen. Rabel war trotz seiner Illusionen über seine Unabhängigkeit und Nützlichkeit nach 1933 ein prominentes Opfer des universalrassistischen NS-Staats. Um Ambivalenz dieser Art und Größenordnung darzustellen, braucht die KWI-Geschichte keine Reformulierung gemäß der als Zitierstandard allgegenwärtigen Akteur-Netzwerk-Theorie und auch keine Wissensgeschichte des Internationalen Privatrecht oder des Völkerrechts, sondern eine Menge an einfühlender Verständnisbereitschaft. Das ist etwas anderes als Diskurstheorie oder Apologetik.

Do‘s: Umgang mit harten Akten und weichen Selbstverständnissen: Wonach sollte man suchen?

Aktenfunde aus dem Institutskeller[5]

Für eine Geschichte des Völkerrechts-KWI von der Weimarer Republik bis in die Zeit der jungen Bundesrepublik sind investigative Studien,  unter anderem ausgehend vom KWG‑/MPG-Aktenbestand, zur personellen Verflechtung von juristischen Fakultäten, KWG sowie nationaler und internationaler Politik von Interesse: Wen zieht das KWI an und wo bleibt das KWI-Personal? Insbesondere für die Fragen der rechtsförmigen internationalen Politik bietet sich das bewährte methodische Instrumentarium der politischen Zeitgeschichte an, wenn es auf die Kontextualisierungsschärfe von case studies zu Personen oder Problemen staatlichen und multilateralen Handelns ankommt. Die Politikwissenschaft hat ihre Stärke im Sichtbarmachen von Strukturen von Staatlichkeit und Multilateralität, was im Unterschied zur historistischen Perspektive durch die Bereitstellung idealtypischer Verläufe und Prozesse den Vergleich ermöglicht. Mikro‑Analysen zur Publizistik, Regierungsberatung und Schiedsgerichtspraxis sollten die Relevanz- und Selbstbildkonstruktionen sowohl der Völkerrechtswissenschaft wie der Regierungspraxis berücksichtigen und mit Blick auf die zeitgeschichtliche Bedeutung der KWI-Geschichte auch für den nicht-fachjuristischen Verständnishorizont verständlich machen.

Es ist auch sinnvoll, die besondere Rolle eines KWI-Direktors am Beispiel von Viktor Bruns und seines Amtsverständnisses für das von ihm vertretene Fach darzustellen und dies in Verhältnis zum Gruppen- und Verlaufsbild der hauptamtlichen Referenten und der Entwicklung ihrer Arbeitsgebiete in Demokratie und Diktatur zu setzen. So trivial es erscheint, so hilfreich kann es dabei sein, typische Arbeitsprozesse, Ressort-Zuständigkeiten und Routinen zu rekonstruieren, um das KWI als interagierendes, reagierendes System zu verstehen, das einerseits auf bestehende wissenschaftliche, administrative und politische Strukturen gestützt ist, andererseits durch seine Tätigkeit zugleich als besonders ausgestattete und prestigereiche, international sichtbare Großforschung Einfluss auf diese nimmt. Es gab einige Mitarbeiter, die in beiden KWIs tätig waren, was die damals noch nicht ganz etablierten Fachgrenzen spiegelte: Alexander N. Makarov war ab 1928 an beiden KWIs tätig, von 1945 bis 1956 am Tübinger MPI; der überzeugte Nationalsozialist Friedrich Korkisch ab 1949 am Privatrechtsinstitut; Wilhelm Wengler ab 1935 am Privatrechts- und ab 1938 zusätzlich am Völkerrechts-KWI; Marguerite Wolff, Ehefrau von Martin Wolff, von 1924 bis 1933 als Referentin am Völkerrechtsinstitut. Die Familien Wolff und Bruns waren eng befreundet. Zudem scheint man einen gemeinsamen Mittagstisch beider Institute gehabt zu haben. Auch die Bibliothek wurde wohl geteilt.[6]

Ein Indikator für letzteres ist jedenfalls beim Privatrechts-KWI das latente Faszinations- und Spannungsverhältnis zur deutschen universitären Rechtsvergleichung und international privatrechtlichen Wissenschaft, die in Rabels Institut immer auch eine politisch stark bevorzugte, hervorragend ausgestattete Konkurrenz sah.

Wie ermöglichten Internationales Privat- und Völkerrecht Diktatur und Krieg?

Der politikgeschichtliche Leitbegriff des Handlungsspielraums zielt unter anderem seit Ludolf Herbst in der Analyse der NS-Gesellschaft darauf ab, Interaktion und Interdependenz zu rekonstruieren. Wie werden bestimmte soziale Rollen wahrgenommen? Wie verändern sie sich als professionelle Leitbilder und Tätigkeitsprofile im Übergang von der Weimarer Republik zur NS-Diktatur hinsichtlich der Selbst- und Fremddefinition? Welche Strategien der Autonomiewahrung gab es und wovon hingen sie ab? Waren sie erfolgreich und wie lange? Welches Image hatten und gestalteten sie? Wozu wurde die Autonomie genutzt oder nicht genutzt?

Eine solche Herangehensweise vermeidet eine Schwarz-Weiß-Gegenüberstellung des ideologischen NS-Herrschaftsanspruchs und der mehr oder weniger gleichgeschalteten professioneller KWI-Alltagsrealität in einem sehr spezifischen gesellschaftlichen Subsystem. Sie ermöglicht die Darstellung von Ambivalenz und Graustufigkeit, zum Beispiel im Bereich der taktischen Anpassung und bedingten Konformität. 

Widerstandsgeschichte: Weniger Schwarz-Weiß, mehr Grau

Berthold von Stauffenberg (rechts) mit Frau Schmitz, Ehefrau des stellvertretenden Institutsleiters Ernst Martin Schmitz (links) auf der Betriebsfeier 1939[7]

Graustufensensibilität ist in allen NS-geschichtlichen Fragen der Gegensatz zur ahistorischen polaren Gegenüberstellung von Konformität versus Nonkonformität. Die deutsche, legitimitätsressourcenspendende Widerstandsgeschichte, vor allem verkörpert in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, petrifiziert ein gleichsetzendes, moralisierendes Heldenpantheon aller Formen des deutschen Widerstands, von dem sich die Fragstellungen der kritischen Zeitgeschichte seit Jahrzehnten nicht nur entfernt, sondern distanziert haben. Da die Geschichte des Völkerrechts-KWI mit der professionellen Biographie von Berthold Graf Schenck von Stauffenberg (1905–1944) verbunden ist, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der Widerstandsproblematik mit besonderer Dringlichkeit. Zielführend für eine kritische Einordnung von Resilienz und Nonkonformität in bestimmten sozialen Rollen scheint eine genaue Rekonstruktion des persönlichen, professionellen und institutionellen Kontexts und der Verzicht auf jede Form der moralische Überhöhung.

Widerständig Handelnde in der NS-Diktatur entschieden sich nicht einmal und für den Widerstand, sie mussten das immer wieder und gegen wachsenden Verfolgungsdruck und um den Preis wachsender existenzieller Isolierung tun. Im Umfeld eines Widerständigen gab es Mitwissen und wegsehende Duldung, die sehr schwer quellengestützt zu fassen, aber gleichwohl Teil des Phänomens sind. Trotzdem oder gerade deshalb bleibt die Geschichte des Widerstands eine Geschichte von Einzelnen und ihren Entscheidungen, die sich nicht bequem verallgemeinern lässt. Jede übergriffige Moralisierung sagt mehr über diejenigen aus, die sie betreiben, als über die zu untersuchende Zeit. Das wird dem Ernst der Sache nicht gerecht.

Nischen und Anpassung: die Illusion der Immunität und die Realität der Diktatur

Bis heute Bestandteil der institutsinternen Erinnerungskultur: 1935 von Frank Mehnert gefertigte Büste Berthold von Stauffenbergs im Foyer des MPIL[8]

Handlungsspielraum in institutionellen Gefügen hat immer etwas mit Bedarf und Nützlichkeit zu tun. Das sind keine festen, sondern, auch in einer totalitären Diktatur, aushandlungsabhängige Größen. Hierarchien, gedachte Ordnungen und Charisma haben darauf einen Einfluss. Dass die KWG-Verwaltung den KWI-Direktor Ernst Rabel bis 1937 im Amt gehalten hat, obwohl das in Anwendung der Nürnberger ,Rasse‘-Gesetze ausgeschlossen war, ist ein Beispiel. Rabels Bleiben hing an der Protektion durch den ebenfalls 1937 von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten deutschnationalen KWG-Generaldirektor Friedrich Glum, in der sich Loyalität und Funktionalität vermischten. Rabel war aufgrund seines hohen internationalen Ansehens für Glum, aber auch für Teile der NS-Regierung, attraktiv. Vorschnelle Intentionalisierung von Handlungsspielräumen kann zu prekären Verzeichnungen einer grauen und verstrickungsreichen Wirklichkeit führen.

An den Jahrgängen 1933 bis 1937 der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, der KWI-Institutszeitschrift, lässt sich die Verschiebung des Veröffentlichungsklimas thematisch und stilistisch gut dokumentieren. Zwar boten die verschiedenen Textgenres von thematischen Hauptartikeln, Rechtsprechungsberichten, Literaturüberblicken und Rezensionen noch ein gewisses Meinungsspektrum. Allerdings nimmt der nationalsozialistische Tenor eindeutig nicht nur zu, sondern wird bildbestimmend. Aufgrund der großen internationalen Wahrnehmung der KWI-Zeitschrift fällt es auf, wenn im Jahrgang 1935 unter anderem die „Idee des Führertums“ ein verbindendes Leitmotiv für komplexe Beiträge der Kartellrechtsregulierung abgeben soll. Rollenverteilung innerhalb der Ressorts des KWI, aber auch persönliche Präferenzen ergeben so Bild einer schiefen Ebene, an deren Ende der Versuch eines Nützlichkeitserweises für die NS-Kriegs- und Großraumwirtschaft in dem von der Wehrmacht besetzten, ausgeplünderten und terrorisierten Europa steht. „Insofern bleibt von der Vorstellung nichts übrig, das Institut habe fern der Politik ,nur‘ Fragen des Privatrechts erforscht.“[9]

[1] Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, 1926 –1945, Göttingen: Wallstein 2004.

[2] Ingo Hueck, Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandaufnahme und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2000, Bd. 2, 490-528.

[3] Foto: AMPG.

[4] Teil I: Eckart Henning/Marion Kazemi, Chronik der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911-2011 – Daten und Quellen, Berlin: Duncker & Humblot 2011; Teil II: Eckart Henning/Marion Kazemi, Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911– 2011 – Daten und Quellen, 2 Teilbände, Berlin: Duncker & Humblot 2016.

[5] Foto: MPIL.

[6] Für diese Hinweise danke ich Philipp Glahé.

[7] VI. Abt., Rep. 1, Nr. KWIauslöffRechtuVölkerrecht III/37.

[8] Foto: MPIL.

[9] Michael Stolleis, Vorwort, in: Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, 1926 –1945, Göttingen: Wallstein 2004, 9-10, 10.

Zitierte Literatur:

Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 2 Bände, Göttingen: Wallstein 2007.

Helmut Maier, Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung, 2 Bände, Göttingen: Wallstein 2007.

Rolf-Ulrich Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925. Zur Geschichte der Hochbegabtenförderung in Deutschland, Berlin: Akademie Verlag 2001.

Florian Meinel, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, München: C.H. Beck 2019.

Ludolf Herbst, Deutschland 1933–1945. Die Entfesselung der Gewalt: Rassismus und Krieg, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996.

English

The “Sister” KWI for Comparative and International Private Law, 1933 to 1939, with a View to the KWI for Comparative Public Law and International Law

What is the connecting element of comparative law, private international law and international law in the Nazi era? Laid out as a thesis, the two juridical Kaiser Wilhelm Institutes (Kaiser-Wilhelm-Institute, KWI) of the Kaiser Wilhelm Society (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, KWG) are comparable insofar that they did not represent apolitical or conditionally free spaces in the National Socialist dictatorship. They were primarily relays of Nazi rule, niches only in a few respects.

Investigating this means asking certain questions: What room for manoeuvre existed during the transition to the Nazi dictatorship and during its establishment? How did feedback processes take place within the institutes and between them, polity, and jurisdiction? Where lay the grey areas of resilience? In the following, these questions are embedded within the research context of contemporary history and history of science. The focus of interest is on which methodological experiences do not seem suitable for further research into the history of the International Law KWI and why not. From that, discussion-orientated theses and suggestions for apt aspects of an institute history as an exemplary contemporary and academic history are derived.

The State of Research, its Gaps and Blind Spots

The starting point for these considerations is the study of the Berlin “sister” institute, the KWI for Comparative and International Private Law[1], which was founded in 1926 and, until 1937, led by the romanicist and comparative law scholar Ernst Rabel (1874-1955). It was carried out in the context of the research network of the Max Planck Society’s Presidential Commission on the History of the Kaiser Wilhelm Society at the Frankfurt MPI for Legal History. A complimentary study on the “sister” institute for international law, which was also planned in this context, was unfortunately never conducted.[2]

Founding director Ernst Rabel (1874-1955) was forced out of office in 1937 (Photo: AMPG)

The last two of the MPG Presidential Commission volumes on the history of the institute were published in 2007. Commemorating the centenary of the founding of the KWG/MPG in 2011, Eckart Hennig and Marion Kazemi presented an overall assessment in several parts in 2016.[4] On the one hand, this highlights the knowledge gained since the beginning of the intensive research endeavour into the history of the KWG, particularly during the National Socialist era, since the 1990s under Rudolf Vierhaus and Bernhard vom Brocke, yet also the remaining research desiderata. The institutional structure is already well documented. However, it is only on this basis that the real questions arise.

The history of the German large-scale research and science funding landscape since the Weimar Republic has, due to its relevance for the historical pathway towards National Socialism, the Second World War and the Shoah, always been a peculiar area of contemporary history and the history of science. Traditionally, in researching it, investigative source-based and historical methods with a strong documentary focus were used. This led to a certain amount of tension with a more epistemological approach of a history of science as a history of knowledge and culture, as represented, among others, at the Berlin MPI for the History of Science. Questions about room for manoeuvre, feedback and resilience in a KWI in the consolidation and war preparation phase of the National Socialist dictatorship are linked to culture and knowledge but there are additional aspects to be covered. This applies in particular to legal history. If it is considered separately from what Florian Meinel has called the “realm of possibility of the political”, its historical dimension is lost. Private and international law, however, are genuinely political, especially when they are viewed from the perspective of institutional history in a totalitarian dictatorship.

Don’ts: Turning Dictatorship into a History of Discourse and Knowledge

This is the path KWI history should avoid: an invasive and mostly theoretical cultural history in the form of a history of discourse or knowledge based on the denominator of constructivist communication. Ernst Rabel, in his significance as an exceptional scholar certainly comparable to Max Weber, embodied, but did not invent, the comparative legal structuring of IPR of his time. His ability to survey the problem-related reservoir of solutions offered by entire legal systems not only facilitated a scholarly discourse, but also directly facilitated significant parts of world trade law and international legal practice. Rabel was involved in many codifications and judgements. Neither his leadership of the Private Law Institute until 1937 nor his history of emigration to the USA and his fate as a re-migrant after 1945 are a mere talking point. The same can be said about Erich Kaufmann’s comparable biography of persecution. Despite his illusions about his independence and usefulness after 1933, Rabel was a prominent victim of the universally racist National Socialist state. In order to portray ambivalence of this kind and magnitude, KWI history does not need a reformulation according to the actor-network theory ubiquitous as a citation standard, nor a history of knowledge of private international law or international law, but rather a great deal of empathetic understanding. This is different from discourse theory or apologetics.

Do’s: Dealing with Hard Files and Soft Self-Image: What Should You Look for?

Files found in the institute’s basement[5]

For a history of the International Law KWI from the Weimar Republic to the age of the young Federal Republic of Germany, investigative studies on the personal entanglements between law faculties, the KWG and national and international politics, based, among others things, on the KWG/MPG files are of interest: Who does the KWI attract and where does the KWI staff end up? Especially for questions of law-based international politics, the tried-and-tested methodological instruments of contemporary political history are useful, when the sharp contextualization offered by case studies on individuals or problems of state and multilateral action is needed. Political science has its strength in making structures of statehood and multilateralism visible, which, in contrast to the historicist perspective, enables comparison by pointing out archetypical trajectories and processes. Micro analyses of publications, political advisory, and the practice of Arbitral Tribunals should take into account the constructions of relevance and self-image of both international law scholarship and government practice and, with a view to the historical significance of KWI history, also make them comprehensible for lawyers outside of the field.

Furthermore, it is advantageous to illustrate the special role of a KWI director using the example of Viktor Bruns and his understanding of his role for the field he represented, and to relate this to the collective self-image and development of full-time research fellows and the development of their fields of work in democracy and dictatorship. As trivial as it may seem, it can be helpful to reconstruct typical work processes, departmental responsibilities and routines in order to understand the KWI as an interacting, reacting system, which on the one hand is based on existing scientific, administrative and political structures and at the same time influences them through its activities as a specially equipped and prestigious, internationally visible large-scale research organisation. Some persons worked at both KWIs, reflecting the disciplinary boundaries not yet being fully established at the time: Alexander N. Makarov worked at both KWIs from 1928 and from 1945 to 1956 at the Tübingen MPI; the staunch National Socialist Friedrich Korkisch was employed at the Private Law Institute from 1949; Wilhelm Wengler, from 1935 at the Private Law Institute and from 1938 additionally at the International Law Institute; Marguerite Wolff, wife of Martin Wolff, was a research fellow at the International Law Institute from 1924 to 1933. The Wolff and Bruns families were close friends. The staff of the two institutes also seem to have had lunch together. Likely, the library was also shared.[6]

One indicator of the latter is, at least for the Private Law Institute, the relationship of latent fascination and tension with comparative law research conducted at German universities and international private law scholarship, which always saw Rabel’s institute as a politically favoured, excellently equipped competitor.

How Did International Private Law and International Law Enable Dictatorship and War?

The political-history category of room for manoeuvre in the analysis of society under National Socialism, aims, since Ludolf Herbst, among other things, at guiding the analysis of interactions and interdependences. How are certain social roles perceived? How do they change as professional ideals and profiles in the transition from the Weimar Republic to the Nazi dictatorship in terms of self-definition and perception? What strategies existed for maintaining autonomy and what did they depend on? Were they successful and for how long? What image did they have and what image did they create? Where did actors make use of their autonomy and where did they fail to do so?

Such an approach avoids a black-and-white juxtaposition of the ideological claim to power of National Socialism and the more or less intense effect of Gleichschaltung on the professional everyday reality at the KWI in a very specific social subsystem. It enables the depiction of ambivalence and shades of grey, e.g. in the area of strategic and conditional conformity.

History of Resistance: Less Black and White, More Grey

Berthold von Stauffenberg (right) with Ms Schmitz, wife of the institute’s deputy director Martin Schmitz, (left) at the office party in 1939[7]

Sensitivity towards the existence of shades of grey is, in all questions concerning the history of National Socialism, the antithesis to the ahistorical idea of a polar opposition of conformity and non-conformity. The history of German resistance, providing resources for legitimacy and embodied above all in the German Resistance Memorial Centre in Berlin, petrifies an equating, moralising pantheon of heroes of all forms of German resistance. The research questions of critical contemporary history have not only departed but distanced themselves from this perspective in the last decades. As the history of the International Law Institute is linked to the professional biography of Berthold Graf Schenck von Stauffenberg (1905-1944), the question of how to deal with the issue of resistance is particularly urgent. For a critical assessment of resilience and non-conformity in certain social roles, a precise reconstruction of the personal, professional and institutional contexts and the renunciation of any form of moral exaggeration seems to be expedient.

Members of the resistance against the National Socialist dictatorship did not make a one-time decision; they took a stance repeatedly, despite a growing danger of persecution and at the cost of increasing existential isolation. In their environment, complicity and intentional ignorance existed, both of which are very difficult to grasp on the basis of source material but are nevertheless part of the phenomenon. Despite or precisely because of this, the history of resistance remains a history of individuals and their decisions, which cannot be conveniently generalised. Any encroaching attempt at moralisation says more about those who engage in it than about the subject of historical investigation. It does not do justice to the seriousness of the matter.

Niches and Adaptation: The Illusion of Immunity and the Reality of Dictatorship

Part of the institute’s internal culture of remembrance to this day: Bust of Berthold von Stauffenberg made by Frank Mehnert in 1935 in the foyer of the MPIL[8]

Room for manoeuvre in institutional structures is generally interrelated with demand and usefulness. These attributes are not static, but based on negotiation, even in a totalitarian dictatorship. This process is influenced by hierarchies, perceived orders, and charisma. The fact that the KWG administration kept KWI director Ernst Rabel in office until 1937, despite this being non-compliant with the Nuremberg Laws, is one example. Rabel’s retention depended on the protection, resulting from a combination of loyalty and pragmatism, of the KWG Director General Friedrich Glum, a nationalist who, too, was forced out of office by the National Socialists in 1937. Rabel’s outstanding international reputation made him attractive to Glum, but also to parts of the National Socialist government. The premature construction of intentionality regarding the exertion of room for manoeuvre can lead to precarious distortions of a multifaceted and entangled reality.

The 1933 to 1937 issues of the Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Today: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht / The Rabel Journal of Comparative and International Private Law), the KWI’s institute journal, lend themselves to the documentation of the shift in publishing climate, both thematically and stylistically. The thematic main articles, across various text genres like case law reports, literature overviews and reviews did still offer a certain spectrum of opinions; however, the National Socialist tenor was clearly not only increasing but becoming dominant. Due to the high international profile of the KWI journal, it is striking that in 1935, among other things, the “idea of Führertum” is presented as a unifying theme for complex articles on the legal regulation of cartels. The distribution of roles within the departments of the KWI, but also personal preferences, thus paint a picture of a diverted playing-field, escalating to an attempt to demonstrate usefulness for the National Socialist economy oriented towards war and Großraum in a Europe, plundered and terrorised by the occupying Wehrmacht. “Insofar, nothing remains of the idea that the institute, far removed from politics, ‘only’ researched questions of private law.”[9]

 

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, 1926 –1945, Göttingen: Wallstein 2004.

[2] Ingo Hueck, Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (ed.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandaufnahme und Perspektiven der Forschung, Göttingen: Wallstein 2000, vol. 2, 490-528.

[3] Photo: AMPG.

[4] Part I: Eckart Henning/Marion Kazemi, Chronik der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911-2011 – Daten und Quellen, Berlin: Duncker & Humblot 2011; Part II: Eckart Henning/Marion Kazemi, Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1911– 2011 – Daten und Quellen, 2 Volumes, Berlin: Duncker & Humblot 2016.

[5] Photo: MPIL.

[6] I would like to thank Philipp Glahé for this information.

[7] Photo: VI. Abt., Rep. 1, Nr. KWIauslöffRechtuVölkerrecht III/37.

[8] Photo: MPIL.

[9] Michael Stolleis, Vorwort [Preface], in: Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, 1926 –1945, Göttingen: Wallstein 2004, 9-10, 10.

Literature cited:

Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 2 Volumes, Göttingen: Wallstein 2007.

Helmut Maier, Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung, 2 Volumes, Göttingen: Wallstein 2007.

Rolf-Ulrich Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925. Zur Geschichte der Hochbegabtenförderung in Deutschland, Berlin: Akademie Verlag 2001.

Florian Meinel, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, München: C.H. Beck 2019.

Ludolf Herbst, Deutschland 1933–1945. Die Entfesselung der Gewalt: Rassismus und Krieg, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996.

From Archives to Algorithms – How Research Transforms

Pre-digital age: Walter Höfer (left) and Library Director Otto Steiner (right) in the Institute’s catalogue room in the 1970s (photo: MPIL)

Researchers from all over the world have for the past 100 years contributed to international law using the resources of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL). At its heart is one of the now biggest libraries for public international law, comparative public law, and European law in Europe. Yet, the techniques and methods of research have changed vastly since the Institute’s foundation in 1924. In the following, this post might prompt some nostalgia of lost books and broken type writers. Subsequently, it will look into the amazing possibilities that digitalisation, in particular recently hyped products that use artificial intelligence (AI), provides for.

What Research Actually Is

What did not change over all the years is the definition of research. In the Cambridge Dictionary “research” is referred to as “a detailed study of a subject, especially in order to discover (new) information or reach a (new) understanding”[1]. On the one hand, research aims to look at what others have written and creatively rearrange those findings into new ideas and hopefully ground-breaking discoveries. On the other hand, research means to create an understanding of the circumstances that are relevant to a question, of the law, the history, the society. As legal scholars we want to resolve longstanding legal issues, explain the law and its consequences, follow developments, and call for change where necessary. Research stands in between an idea the author would like to shed more light on, and the end result, usually a written piece like a book or journal article. To explore a thought thoroughly, we require knowledge about the written law as it stands, about cases from national and international courts and tribunals, about arguments from fellow scholars. Especially in international law this knowledge needs to extend to resources from all over the world.

With regards to the limited space of this format, this piece will focus on research as a way to gather literature. Other processes such as writing or editing will only be touched upon briefly.

How to Research Without the Internet

Librarian Ruth Fugger at the typewriter (1970s)[2]

For the younger generation, including myself, it is almost impossible to imagine a world without the internet. Most of MPIL’s current PhD students and postdocs grew up in an already digitalised world and certainly never had to write a book or journal article without access to the infinite knowledge provided for by the world wide web. But when looking at the amount of brilliant treatises, monographies, articles, and more from pre-internet times, one cannot deny that it must certainly have been possible to research extensively back then. However, the approach is in many ways not even remotely comparable anymore.

The library is until this day organised in a two-fold way. Firstly, there is the alphabetical order, sorted by the author of a piece. Secondly, there is a systematic order where the books are sorted by topic.[3] Previously, each available resource had its own index card, carefully labelled and sorted within stacks of cards, which were themselves organised into card index boxes. These boxes followed the overall two-fold system. One set of boxes was alphabetically sorted while another set conformed with the organisation of the library by topic. In addition, there were keyword indexes which helped to locate a certain subject matter. In doubt of where a certain book was placed or if one simply did not know which book to look for, this keyword index was the first stop. Certainly, the librarian as well as experienced colleagues could lead the way in case additional help was required to find suitable literature. A very helpful tool nowadays is the possibility of the digital OPAC to display the location of a certain book on a map. Without this, one must rely on printed floor maps or a knowledgeable colleague. In total, the endeavour to find a book took much longer than it does today with the help of some digital tools.

The old card catalogue in the basement of the Institute. It was used until 1998 and contains more than 1 million cards (photo: MPIL)

But the output process, too, has changed in many ways. Until not too long-ago submissions, from small book reviews to  dissertations, were written by hand or on a type writer. Oftentimes, the authors were supported by typists who converted dictated material into writing. Even an author to this very blog has submitted a handwritten contribution on paper requiring digitalisation by the editorial team. Contributions were, moreover, submitted in close contact to a supervisor or editor whereas nowadays upload forms or a simple e-mail are mostly preferred. When it comes to the editorial process, student assistants were tasked with proofreading texts for a spell and grammar check. Pieces that needed to be translated into a different language often came back only weeks later from a professional translator’s office. Today, automated checks for plagiarism are almost the standard, something that used to require a well-versed expert in the field of the submission when done manually. All these tasks can nowadays, often with the help of AI, be completed within minutes and less people involved.[4]

Digitalisation, Generative Artificial Intelligence and What it’s Worth

When the MPIL Heidelberg moved to a new building in 1996, its first website was introduced simultaneously. At the very beginning, the website merely displayed the opening hours of the library. Later on, the library’s catalogue was added and enabled the  public to search for titles and their availability at the Institute, a major step in digitalisation. The MPIL’s intranet for employee information and access to digitalised publications followed shortly after, and laid the foundation for digital communication at the MPIL.[5]

[pdf-embedder url=”https://mpil100.de/wp-content/uploads/2024/04/Virtuelles-Institut-Flyer.pdf” title=”Virtuelles Institut Flyer”]

The “virtual institute“. Brochure on the introduction of the Internet at the MPIL 1998 (photo: MPIL)

We see that there has been a major digital transformation at the MPIL over the past century. From typewriters to computers, from letters to emails, from books to online publications. These are only a few examples. Especially in the past year, the major breakthrough in AI accessibility has opened new, unknown possibilities for researchers. With the launch of tools such as ChatGPT, Claude or LLaMa, the world of AI has become instantaneously available for anyone with access to the internet, at this point at least 65% of the world’s population.[6] Not only can it be a useful tool for scientists to improve their work, but it has become its own field of research. Scholars are now more than ever writing about automated weapon systems, governments using software for decision-making and human rights being potentially impaired by deployment of AI.

This blogpost will focus on the capabilities of generative AI, in particular Large Language Models (LLMs), for our research, and try to shed some light on the usefulness of this technology. LLMs are designed to understand and generate human language and learn by so-called “deeplearning”. During a pre-training phase they process vast amounts of data and learn the relationships between words, grammar, and context to acquire this language understanding. When given input, the LLM utilises its learned knowledge to make predictions or decisions on which word to display next without relying on explicit human instructions but on probabilities.[7]

The use cases of such LLMs for research are sheer endless. From search for relevant literature, case or document summaries to writing outlines, proofreading, or researching in foreign languages. The key to get the desired output is prompt engineering. A prompt is the input that the LLM is given and the starting point for its predictions. It is therefore important to give the AI as much information as possible, always including a basic instruction, a topic, and an output goal (e.g. “write an argument for a reform of the UN Security Council that works to convince an international scholar”).[8] While there is an abundance of different types of prompting, I will here focus on some basics. During “chain-of-thought” prompting the key is to break down bigger tasks into smaller pieces. This technique forces the AI to “think” step‑by‑step and prevents it from filling context gaps by making guesses, which waters down the end result. The output can also be elevated by providing the AI with model examples to consider and shape its response around, the so called “few-shot” prompting. Lastly, “grounded prompting” refers to feeding the AI specific source material, thereby enlarging the given context the AI uses as a basis for its replies. The general rule is: the more context one can provide, the more accurate the output will be.

Nevertheless, the technology has its limits. Training data might be biased and therefore display only certain perspectives. Some material might be copyrighted, and the AI does not indicate whether that is the case. Further, there is a risk of hallucinations, i.e. the production of false or inaccurate information.[9] It is therefore essential to always double check the results independently, ask for sources, and challenge the arguments given. AI is not a one‑fits‑all solution to any issue one might run into as a legal researcher, but rather a way to speed up, facilitate, and enhance research. To ensure ethical use, it should not be used to write full journal articles or books. Not only is AI not capable of doing this in a way that the result lives up to the standards of a human researcher. Rather, one might be confronted with issues of plagiarism or breaching a code of conduct.

Admittedly, all of those technical terms and daily news about broader capabilities and revolutionary inventions can seem intimidating. This past year was only the start of what is to come, with AI rapidly evolving every day. Many scholars fear that their jobs will be swallowed by AI, that their writings become valueless, and that they cannot keep up with outputs produced by machines. However, the key to combat that fear is education on the topic, flexibility and adaptability, and a willingness to incorporate new ways of research into one’s own routine. Many researchers already use AI unknowingly. Google is one of the leading companies in the field of AI development, so when using their platform for a search inquiry, one is automatically confronted with AI algorithms that determine which results will show up.[10] Especially in a research field that encompasses many international resources, most scholars will use a digital translator. One of the most popular products on the market, and also one purchased by MPIL (and licensed by MPG), is DeepL, a tool that works with deeplearning technology to improve its understanding of text and language to ensure that the output even replicates slight linguistic connotations of the input text.[11]

Conclusion

The main advantages we get from a digitalised world lie in the significant reduction of tedious and time-consuming tasks. Especially tasks at the beginning of each research, like finding specific books or trying to figure out which literature to start with, are less time consuming now. We can increase our productivity, start moving to reading and writing much quicker, and focus on mapping out contributions to the scientific discourse. Similarly, we can facilitate the editing process and thereby publish faster, especially when it concerns timely and pressing issues of (international) law.

*** First part of the title by ChatGPT.

[1] ‘Research’, in: Cambridge University Press, Cambridge Dictionary, last accessed 25 March 2024.

[2] Photo: MPIL.

[3] See: MPIL, ‘Recherche’, last accessed 22 March 2024.

[4] See: Irene Pietropaoli, Use of Artificial Intelligence in Legal Practice,   British Institute of International and Comparative Law, 17 October 2023. <https://www.biicl.org/documents/11984_use_of_artificial_intelligence_in_legal_practice_final.pdf> accessed 26 March 2024.

[5] Michaela Fahlbusch, Die Interne Homepage – Das Intranetangebot Des Max-Planck-Instituts Für Ausländisches Öffentliches Recht Und Völkerrecht Heidelberg,  Forum Bibliothek und Information 53 (2001), 256-257, 256. Dietmar Bussmann, Virtuelles Institut, Pressemitteilung 13 February 1998, <https://idw-online.de/de/news2462> accessed 12 April 2024.

[6]  Statista, Number of internet and social media users worldwide as of January 2024, lastaccessed 22 March 2024.

[7] Ashish Vaswani et al., Attention Is All You Need, 31st Conference on Neural Information Processing Systems (NIPS 2017), 5  ; Guodong (Troy) Zhao, How ChatGPT Really Works, Explained for Non-Technical People,  Medium, 19 April 2023   last accessed 22 March 2024.

[8] Daniel Schwarcz and Jonathan H Choi, AI Tools for Lawyers: A Practical Guide, Minnesota Law Review Headnotes 1 (2023) , 5. <

[9] UK Department for Science, Innovation & Technology, Capabilities and Risks from Frontier AI – A Discussion Paper on the Need for Ruther Research into AI Risk,  AI Safety Summit hosted by the UK 1- 2 November 2023.

[10] Justin Burr, 9 Ways We Use AI in Our Products,  The Keyword (blog.google.com) 19 January 2023, last accessed 22 March 2024.

[11] Deep L,  ‘How Does DeepL Work?’, last accessed 22 March 2024.

Als „deutsche Ausländerin“ am MPIL

« Allemande étrangère » à l’Institut Max-Planck

Das Institutsgebäude um 2010 (Foto: MPIL)

Deutsch

Constance Grewe über ein ungewöhnliches Jahr in Heidelberg (2010-2011)

Im Gegensatz zu vielen Gästen kam ich nicht als junge Forscherin, sondern am Ende meiner Universitätslaufbahn in Frankreich (Chambéry, Caen, Straßburg) nach Heidelberg zum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL). 2007 war mir der Forschungspreis der Humboldt Stiftung verliehen worden, mit dem ein längerer Forschungsaufenthalt in Deutschland verbunden war. Das kam mir sehr gelegen, denn für meine verfassungsvergleichenden Forschungen waren deutsche Bibliotheken besonders gut ausgestattet.  So war ich zunächst einen Monat in Bielefeld und habe mich dann 2010 bei der Universität Straßburg, wo ich Professorin für öffentliches Recht war, für eine sogenannte „Forschungsdelegation“ beworben. Eine Forschungsdelegation bietet die Möglichkeit, seine Forschung für eine begrenzte Zeit in einer anderen Institution zu betreiben und während dieser Periode (hier ein Jahr) von den Lehrverpflichtungen freigestellt zu werden. Ich hatte meinen Antrag damit begründet, dass ich den von dem Humboldt Preis vorgesehenen Forschungsaufenthalt in Deutschland noch nicht vollendet hatte und dass der für meine Forschungsprojekte geeignetste Platz das MPIL zu sein schien. Diese Delegation konkretisierte sich dann in einem Vertrag zwischen der Universität Straßburg und dem Institut und so kam ich im September 2010 nach Heidelberg, wo ich bis zum Ende des Jahres 2011 blieb.

Von Frankreich zurück nach Deutschland. Erste Schritte in der alten Heimat

Der Eingangsbereich um 2010 (Foto: MPIL)

Es war eine etwas merkwürdige Situation, denn ich kam als Ausländerin. Nachdem ich meine ganze Karriere in Frankreich absolviert und auch die französische Staatsangehörigkeit erhalten hatte, kehrte ich nun für eine gewisse Zeit in mein Heimatland zurück, denn meine Kindheit habe ich bis zum Beginn meines juristischen Studiums in Deutschland verbracht und auch meine Eltern waren deutsch. Diese besondere Konstellation mag Ursache dafür sein, dass das Buddy-System, das damals noch neu im Institut war und ausländischen Gästen die ersten praktischen Schritte erleichtern sollte, für mich wenig funktionierte. Ich musste also allein die diversen praktischen Probleme lösen, so zum Beispiel ein Konto öffnen, was normalerweise ein in Deutschland bezogenes Gehalt erforderte, und eine Wohnung finden, was ohne deutsches Konto unmöglich erschien. Zum Glück habe ich andere in Heidelberg lebende Ausländer kennengelernt, die mir dabei weiterhalfen. Auch das hat die Eigentümlichkeit der Situation als Ausländerin im Heimatland unterstrichen.

Im Institut wurde ich mit einem schönen Arbeitszimmer mit Blick auf die Berge verwöhnt. Es lag direkt neben demjenigen von Herrn Frowein, mit dem ich auf diese Weise das Vergnügen mancher Begegnungen hatte. Auch von der Bibliothek fühlte ich mich verwöhnt: Die Ausleihe war höchst effizient, vor allem aber habe ich den freundlichen, ja herzlichen Umgang mit Sandra Berg und Ali Zakouri geschätzt. Insgesamt waren die Beziehungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts sehr angenehm. Die Montagsrunde, zu der Zeit noch Referentenbesprechung genannt, besuchte ich mit Interesse und Neugier, sowohl was die Themen anlangte als auch die Person der Vortragenden. So habe ich spannende Diskussionen mit anderen Gästen aus vielen Ländern und Mitarbeitern des Instituts führen können, die sich teilweise beim Mittwochstee der Gäste oder im benachbarten Restaurant „Olive“ fortsetzten. Zu dieser Zeit waren kaum französische Gäste am MPIL und ich suchte auch vor allem den Kontakt zu mittel- und osteuropäischen Gästen oder auf diesem Gebiet spezialisierten Mitarbeitern, da ich vor allem meine Kenntnisse im Verfassungsrecht von Mittel-, Ost- und Südosteuropa erweitern und vertiefen wollte. Ein wichtiger Anlass dafür war mein Richteramt am Verfassungsgericht in Bosnien‑Herzegowina, in dem bis heute gemäß dem Abkommen von Dayton drei ausländische Richter sitzen.

Einen tieferen Einblick in das Leben des Instituts gewann ich durch meine Mitgliedschaft im Fachbeirat, in den ich 2003 berufen wurde. Als besonders anregend empfand ich dabei vor allem die Berichte der verschiedenen Forschungsgruppen und Stipendiaten. Sie vermittelten ein anschauliches Bild der Vielfalt und Intensität der Forschung am Institut. Was die Evaluierung der diversen Aktivitäten anlangte, so hatte ich auf diesem Gebiet bereits eine gewisse Erfahrung, da ich schon früher an französischen Universitäten und in Österreich an Evaluierungen beteiligt gewesen war und solche auch selbst als Direktorin einer Forschungsgruppe in Straßburg erlebt hatte. Dennoch erschien mir dieser Vorgang am Institut besonders kompliziert wegen der so zahlreichen und sehr unterschiedlichen Akteure. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Evaluierung jeweils intensive Diskussionen und Besprechungen der Fachbeiratsmitglieder auslöste.

Ein undurchführbares Forschungsprojekt und seine positive Wendung

Die Rotunde im 1. Stock um 2010 (Foto: MPIL)

Für meine eigene Forschung war die Zeit in Heidelberg natürlich ebenfalls wichtig. Im Zusammenhang mit meiner Funktion als internationale Richterin am Verfassungsgericht von Bosnien‑Herzegowina kam ich zunächst ins Gespräch mit Michael Riegner, der sich im Kosovo aufgehalten und mit dem dortigen Verfassungsgericht Kontakt aufgenommen hatte. Daraus hat sich ein gemeinsames Projekt ergeben, nämlich ein Vergleich beider Länder unter dem Aspekt der Internationalisierung von Verfassungen in gespaltenen Gesellschaften und der Frage, inwieweit die durch die Internationalisierung bedingten Abweichungen vom klassischen nationalen Konstitutionalismus einer Demokratisierung entgegenstehen. Unser Aufenthalt im Institut hat uns die Chance gegeben, diesen Artikel im Max Planck Yearbook of United Nations Law veröffentlichen zu können.

Sodann hat mich Anne Peters gebeten, ein Referat im Rahmen des Gesprächskreises Europäisches Verfassungsrecht vor der Staatsrechtslehrertagung 2011 zu halten. Es ging um den Beitritt der EU zur EMRK mit der Frage, inwieweit dies eine wirksame Durchsetzung einer gesamteuropäischen Grundrechteverfassung bedeuten könne. Zur Vorbereitung des Referats hat mir Armin von Bogdandy freundlicherweise angeboten, in seinem Forschungsseminar darüber zu referieren und zu diskutieren. Der Beitrag wurde in der Zeitschrift Europarecht publiziert.

Es wurde mir jedoch zunehmend klar, dass ich mein eigentliches Forschungsprojekt – eine neue Auflage des Buchs über vergleichendes Verfassungsrecht in Europa – nicht verwirklichen könne. In der Zwischenzeit – die erste Auflage stammte aus dem Jahr 1995 – waren nämlich einerseits zehn hauptsächlich mittel- und osteuropäische Länder in die EU aufgenommen worden, was die Zahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen erheblich erhöhte. Andererseits hatten sich die rechtlichen Beziehungen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten im Wege der Vertragsänderungen und der wachsenden Rechtsprechung so geändert, dass es unmöglich oder jedenfalls unrealistisch erschien, das Verfassungsrecht isoliert zu betrachten. Daher konzentrierte sich mein Interesse immer mehr auf das Konzept eines europäischen Rechtsraums, was jedoch gleichzeitig zu der Einsicht führte, dass mein Projekt nur durch ein Team, welches mir nicht zur Verfügung stand, zu bewerkstelligen war.

Doch wie die meisten negativ anmutenden Erlebnisse hatte auch dieses seine positiven Seiten: die Gespräche mit Armin von Bogdandy über Komplexität von Begriff und Inhalt eines europäischen Verfassungsrechts führten zu dem Angebot, für den Band VII des Handbuchs Jus Publicum Europaeum einen Beitrag über die Verfassungsgerichtsbarkeit in den post-jugoslawischen Ländern zu schreiben, und zwar in der Perspektive des europäischen Rechtsraums. Es handelte sich also zunächst darum, meine Erfahrungen am bosnischen Gericht für die Erforschung der Rechtsordnungen und insbesondere der Verfassungsgerichtsbarkeit in den anderen postjugoslawischen Ländern (Slowenien, Kroatien, Serbien, Nordmazedonien, Montenegro und Kosovo) fruchtbar zu machen. Dabei war es interessant, sowohl die Vielfältigkeit der Unterschiede als auch das gemeinsame geschichtliche Erbe zu verdeutlichen. Sodann verfolgte die Studie das Ziel, anhand einer Umschreibung des europäischen Rechtsraums die mehr oder weniger große Annäherung der postjugoslawischen Rechtskulturen zu diesem europäischen Rechtsraum zu erfassen. Dabei ist mir oft der Kontrast zwischen recht progressiven Texten und deren mangelnder Durchsetzung aufgefallen.

Hat diese Arbeit auch viel Zeit und Mühe gekostet, nicht zuletzt, weil meine Deutschsprachigkeit etwas „eingerostet“ war, so habe ich doch viel dabei gelernt und auch viel Freude, vor allem in dem Austausch mit Christoph Krenn und der so konstruktiven und animierten Revision mit Karin Oellers‑Frahm gehabt. Schließlich war es auch dieser Artikel, der Armin von Bogdandy veranlasste, mich einer Abgeordneten im europäischen Parlament zu empfehlen, die sich wegen eines verfassungsrechtlichen Gutachtens über den Kosovo an ihn gewendet hatte. Dies fiel genau in die Zeit der Corona-Pandemie und den Lockdown in Frankreich, so dass ich äußerst dankbar war, an etwas anderes denken zu müssen.

Bei meinem Abschied aus Heidelberg hat mich Armin von Bogdandy gefragt, wie mir der Aufenthalt in Deutschland gefallen habe und was mir dabei besonders aufgefallen sei. In meiner Antwort betonte ich ganz besonders die Qualität der öffentlichen Debatten in Rundfunk und Fernsehen geschätzt zu haben, insbesondere die Fähigkeit, auf die Argumente anderer einzugehen. Dies fehlt meiner Ansicht nach in Frankreich, wo die meisten „Debatten“ in gekreuzte Monologe ausarten. Der Minuspunkt – das überrascht natürlich nicht von einem Frankreichbewohner – war das Einkaufen und Essen, was ich im Ganzen als monoton empfand.

Nach diesem längeren Forschungsaufenthalt im Institut kam ich zurück nach Straßburg und wurde dort pensioniert, während meine richterliche Tätigkeit noch bis Ende 2016 dauerte. Danach folgte dann die englische Version des Handbuchs, wobei mir die Hilfe von Laura Hering und Naomi Shulman sehr kostbar war. Schließlich bleibt der Kontakt mit dem Institut aufrecht erhalten durch die Alumni-Treffen, die mich jedes Mal mit ihren Vorträgen und den vielfältigen Gesprächen erfreuen.

Suggested Citation:

Constance Grewe, Als „deutsche Ausländerin“ am MPIL. Constance Grewe über ein ungewöhnliches Jahr in Heidelberg (2010-2011), MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240404-213408-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Français

Récit d’une année hors du commun à Heidelberg (2010-2011) de Constance Grewe

Contrairement à bien des invités, je ne suis pas venue à l’Institut Max-Planck de Heidelberg en tant que jeune chercheuse mais à la fin de ma carrière universitaire en France (Chambéry, Caen, Strasbourg). En 2007, j’avais obtenu le prix Humboldt-Gay Lussac auquel est associé un séjour de recherche en Allemagne. Cela me convenait d’autant plus que certaines bibliothèques allemandes étaient particulièrement bien fournies pour mes recherches de droit constitutionnel comparé. Ainsi, ayant passé d’abord un mois à Bielefeld, j’ai sollicité ensuite auprès de l’Université de Strasbourg où j’occupais un poste de professeur de droit public une délégation de recherche. Une telle délégation permet d’effectuer sa recherche pendant un certain temps dans une autre institution tout en étant libéré des charges d’enseignement. J’avais motivé ma demande par le fait que je n’avais pas encore accompli l’intégralité de mon séjour de recherche en Allemagne et que l’endroit le plus propice pour mes recherches était sans doute l’Institut Max-Planck de droit public et international comparé (MPIL) à Heidelberg. Un contrat conclu entre l’Université de Strasbourg et l’Institut Max-Planck en 2010 est venu concrétiser cette délégation. C’est ainsi que je suis arrivée en septembre 2010 à Heidelberg où j’ai séjourné jusqu’à la fin de l’année 2011.

Le retour de France en Allemagne : les premiers pas dans le pays d’origine

Le hall d’entrée vers 2010 (photo : MPIL)

Ce fut une situation un peu bizarre, car je venais en tant qu’étrangère. Alors que j’avais passé toute mon enfance jusqu’au début de mes études juridiques en Allemagne et que mes parents étaient allemands, j’ai parcouru toute ma carrière professionnelle en France et obtenu la nationalité française. Et soudain, je revins pour un certain temps dans mon pays d’origine. Cette constellation particulière explique peut-être que le système « Buddy », introduit depuis peu à l’Institut afin de faciliter leurs premières démarches aux invités étrangers, ne fonctionnait pas bien pour moi. J’étais donc obligée de résoudre toute seule les divers problèmes d’ordre matériel, comme ouvrir un compte ce qui supposait pourtant de recevoir un salaire en Allemagne et de trouver un logement ce qui apparaissait impossible sans un compte en Allemagne. Heureusement j’ai connu d’autres étrangers vivant à Heidelberg qui m’ont aidé à trouver des solutions. Mais cela aussi a mis en lumière la curiosité de cette situation d’étrangère dans son pays d’origine.

A l’Institut, on m’a gâtée d’un beau bureau avec vue sur la montagne, situé directement à côté de celui de M. Frowein que j’ai ainsi eu le plaisir de rencontrer de temps en temps. L’utilisation de la bibliothèque était un vrai bonheur : non seulement les prêts fonctionnaient de manière très efficace mais j’ai surtout apprécié le contact aimable et même cordial avec Sandra Berg et Ali Zakouri. D’ailleurs, les relations avec l’ensemble du personnel de l’Institut étaient très agréables. J’assistais aux réunions du lundi avec intérêt et curiosité tant en ce qui concernait les thèmes abordés que les personnes qui exposaient. J’ai ainsi pu mener des discussions intenses avec des invités de nombreux pays et avec des collaborateurs de l’Institut lesquelles se prolongeaient parfois au thé du mercredi ou au restaurant « Olive » situé à proximité de l’Institut. A cette époque, l’Institut ne comptait que peu d’invités français et d’ailleurs je recherchais le contact surtout avec des personnes issues de ou spécialisées dans l’étude des pays d’Europe centrale ou orientale puisque mon objectif était de développer et d’approfondir mes connaissances du droit constitutionnel d’Europe centrale, orientale et du sud-est. Cet intérêt s’expliquait notamment par ma fonction juridictionnelle à la Cour constitutionnelle de Bosnie-Herzégovine dans laquelle, en vertu des accords de Dayton, siègent jusqu’à aujourd’hui trois juges internationaux.

J’ai eu l’occasion d’observer de plus près la vie intérieure de l’Institut grâce à mon appartenance au Conseil scientifique (Fachbeirat) auquel j’avais été nommée dès 2003. Image vivante de la diversité et de l’intensité des recherches, les rapports des différentes équipes de recherche et des titulaires de bourses me paraissaient particulièrement stimulants. Dans le domaine de l’évaluation de la recherche, j’avais déjà une certaine expérience, ayant participé auparavant à l’évaluation de plusieurs universités françaises et d’une université autrichienne et l’ayant subie moi-même lorsque je dirigeais une équipe de recherche à Strasbourg. Appliqué à l’Institut, ce processus m’apparaissait néanmoins comme particulièrement complexe en raison du nombre et de la diversité des acteurs et des actions. Il n’est donc pas surprenant que l’évaluation ait suscité dans chaque cas des discussions intensives et des délibérations approfondies au sein du conseil.

L’infaisabilité du projet de recherche et sa transformation

La rotonde au premier étage vers 2010 (photo : MPIL)

Le séjour à Heidelberg fut évidemment important également pour ma propre recherche. Ma fonction de juge international à la Cour constitutionnelle de Bosnie-Herzégovine m’a d’abord permis d’entamer un dialogue avec Michael Riegner qui avait séjourné au Kosovo et qui avait pu, à cette occasion, établir un contact avec la Cour constitutionnelle de ce pays. Il en est résulté un projet commun, à savoir une comparaison des deux pays sous l’aspect de l’internationalisation des constitutions dans des sociétés divisées. L’une des questions essentielles était de savoir si et dans quelle mesure les dérogations au constitutionnalisme classique national impliquées par l’internationalisation s’opposaient à la démocratisation. Notre présence à l’Institut nous a offert la chance de pouvoir publier cet article au Max-Planck Yearbook of United Nations Law.

Par ailleurs, Anne Peters m’a demandé de présenter un exposé lors du cercle « Droit constitutionnel européen » se réunissant avant le colloque des publicistes allemands (Staatsrechtslehrertagung) de 2011. Il s’agissait de l’adhésion de l’UE à la CEDH et plus précisément de savoir dans quelle mesure cette adhésion pouvait s’analyser en une mise en œuvre effective d’une constitution pan-européenne des droits fondamentaux. Dans l’optique de la préparation de cet exposé, Armin von Bogdandy eut la gentillesse de me proposer d’en débattre au sein de son séminaire de recherche. La contribution a été publiée dans la revue Europarecht.

Cependant, il s’avérait de plus en plus clairement que je ne pourrai réaliser mon véritable projet de recherche, c’est-à-dire une nouvelle édition du livre sur le droit constitutionnel comparé en Europe. Depuis sa première édition en 1995, dix Etats, principalement d’Europe centrale et orientale, ont été admis dans l’UE, ce qui augmentait sensiblement le nombre d’ordres juridiques à comparer. En outre, du fait des modifications des traités et de l’accroissement considérable de la jurisprudence européenne, les rapports juridiques entre l’Union et ses Etats membres ont évolué au point qu’il paraissait impossible ou du moins irréaliste d’envisager le droit constitutionnel de manière isolée. C’est pourquoi mon intérêt s’est porté de plus en plus vers le concept d’un espace juridique européen. En même temps, je prenais conscience que mon projet ne pouvait être mis en œuvre que par une équipe de chercheurs dont je ne disposais pas.

Toutefois, comme la plupart des expériences apparemment négatives, celle-ci avait elle aussi ses côtés positifs : les conversations avec Armin von Bogdandy sur la complexité de la notion et le contenu d’un droit constitutionnel européen ont débouché sur la proposition de contribuer au volume VII du traité Jus Publicum Europaeum. Il s’agissait de traiter de la justice constitutionnelle dans les Etats post-yougoslaves dans la perspective d’un espace constitutionnel européen. Je devais donc d’abord, sur la base de mes expériences à la Cour bosnienne, appréhender les ordres juridiques – et la justice constitutionnelle en particulier – dans les autres pays post-yougoslaves (Slovénie, Croatie, Serbie, Macédoine du Nord, Monténégro et Kosovo). Il importait notamment de faire ressortir à la fois le nombre de différences et l’héritage historique commun. L’étude poursuivait ensuite l’objectif de caractériser davantage l’espace constitutionnel européen et d’évaluer le rapprochement plus ou moins important des cultures juridiques post-yougoslaves à cet espace. Ce qui m’a souvent frappé, à cet égard, était le contraste entre des textes assez progressifs et leur insuffisante mise en œuvre.

Si cette étude m’a demandé beaucoup de temps et d’efforts, ne serait-ce que parce que ma maîtrise de la langue allemande était un peu « rouillée », elle m’a néanmoins beaucoup appris. Ce sont cependant surtout les échanges avec Christoph Krenn ainsi que la révision si constructive et animée du texte avec Karin Oellers‑Frahm qui m’ont procuré un grand plaisir. C’est aussi cet article qui a conduit Armin von Bogdandy à me recommander auprès d’une députée du Parlement européen qui s’était adressée à lui pour un avis de droit constitutionnel sur le Kosovo. Cette demande tombait exactement au moment de la pandémie du Covid 19 et le confinement en France, si bien que j’ai été très reconnaissante de devoir penser à autre chose.

A mon départ de Heidelberg, Armin von Bogdandy m’a demandé ce que j’avais pensé de mon séjour et ce qui m’avait le plus frappée. Dans ma réponse, j’ai insisté sur la qualité du débat public à la radio et la télévision, en particulier sur l’effort généralement consenti pour comprendre et pour répondre aux arguments d’autrui. A mon avis, cela manque assez largement en France où les « débats » dérivent souvent en des monologues croisés. Le point négatif – cela ne surprendra pas d’un résident français – étaient les courses et la cuisine que j’ai ressenties comme essentiellement monotones.

Après ce séjour prolongé à l’Institut, j’ai pris ma retraite à Strasbourg. Mon activité juridictionnelle en revanche a duré jusqu’à la fin de l’année 2016. Lorsqu’il s’est agi par la suite de la version anglaise du traité, l’aide de Laura Hering et de Naomi Shulman m’a été très précieuse. Le contact avec l’Institut reste enfin maintenu par les rencontres des alumni qui me réjouissent chaque fois avec leurs conférences et les multiples conversations.

Suggested Citation:

Constance Grewe, « Allemande étrangère » à l’Institut Max-Planck. Récit d’une année hors du commun à Heidelberg (2010-2011) de Constance Grewe, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240404-213309-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung

A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement

Deutsch

Prolog

„1968 ist eine Jahreszahl, in die sich das Imaginäre eingenistet hat“, schrieb der Schriftsteller und Essayist Hans Magnus Enzensberger, der als Herausgeber des Kursbuch zu den Sprechern der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Deutschland zählte, in Notizen zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968. Es seien „die verbotenen Sätze auf die Straße gegangen“, notierte er: „Zweitausend, zwanzigtausend, zweihunderttausend Worte, Umzüge, Resolutionen […] Die Widersprüche schrien zum Himmel. Jeder Versuch, den Tumult intelligibel zu machen, endete notwendig im ideologischen Kauderwelsch.“[1] Auch vor Heidelberg machten die Worte, die auf die Straße gingen – eine treffende Metapher, um das Neue, die Besetzung von Straßen und Plätzen, zu zeigen – nicht halt. Lautstarke Protestaktionen und performative Happenings setzten nach dem 2. Juni 1967 ein und dauerten an, als an anderen Orten die Mobilisierung längst abgeebbt war, so dass auch von „Heidelgrad“ gesprochen wurde.[2] Wie positionierte sich das Max‑Planck‑Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in den und zu den Konflikten? Fungierte es als Burg in der Brandung? Setzte es, fernab der Altstadt, seine Arbeit in einer Art Elfenbeinturm fort? Auf den ersten Blick sieht es so aus, aber noch fehlt eine fundierte Studie über das Institut vor dem Hintergrund der kritischen Ereignisse der Jahre 1967 bis 1970. Es fehlen zudem, um eine solche zu erstellen, Aufzeichnungen, Stellungnahmen, Erinnerungen der Mitarbeiter des Instituts in diesen Jahren – anders als von anderen Instituten liegen mir keine „Wortergreifungen“ der Assistenten vor, keine zeitgenössischen, keine rückblickenden. [3] Last but not least steht eine systematische Suche nach Gesprächs- und Sitzungsprotokollen, Notizen, Flugblättern, Plakaten und Fotos aus. Dieser Beitrag zur Rolle des Instituts im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung kann daher nur eine Annäherung im Konjunktiv sein. Diese lässt sich von zwei analytischen Bezugsrahmen leiten: den Überlegungen Pierre Bourdieus zum juridischen Feld sowie von Fragestellungen und Hypothesen der Sozialen Bewegungsforschung. Sie untergliedert sich zwei Punkten.

1. Soziale Bewegung und juridisches Feld

Die Welle der Proteste, die in fast allen westlichen Industrieländern 1968 kulminierte, war mehr als eine Studenten- oder Generationsrevolte. Die transnationalen Proteste waren soziale Bewegungen, analytisch definiert als „Prozess des Protestes“ von Individuen und Gruppen, welche die bestehende Sozial- und Herrschaftsstruktur negierend, grundlegende gesamtgesellschaftliche Veränderungen erstreben und dafür Unterstützung mobilisieren. [4]  Im Mai 1968, so formulierte es der Philosoph Michel de Certeau „on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789”. Worum ging es? Was stand auf dem Spiel? Ein noch nicht aufgebrauchter „Vorrat an Vertrauen in die Möglichkeit, durch Handeln die Welt zu verändern“, kennzeichnete die Proteste, wie die Philosophin Hannah Arendt urteilte, die von New York aus die Entwicklung der Protestbewegungen in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich aufmerksam verfolgte.[5] Handlungsmotivierend und legitimitätsstiftend wirkte die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und einer imaginierten, ‚anderen‘, neuen Ordnung, geprägt durch zwei Leitideen: Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung (autogestion) einerseits und Selbstorganisation/Selbstverwaltung (participatory democracy, Mitbestimmung) andererseits. Um Unterstützung für ihre Ziele zu generieren, sind soziale Bewegungen gezwungen zu agieren und sich aus der Aktion zu formieren. Der Dynamik erzeugende mobilisierende Effekt der 68er Bewegung beruhte jenseits des Charismas ihrer Leitidee auf einer Strategie der direkten performativen Aktion, der begrenzten Regelverletzung. Orientiert an der anarchistischen Bewegung und der künstlerischen Avantgarde – Dadaismus, Surrealismus, bewegten sich die Aktionen oft im Grenzbereich von Legalität und Illegalität. Was passiert im juridischen Feld, wenn eine solche Bewegung entsteht und an Dynamik gewinnt?

Recht „als geschichtlich konstruierte strukturierte Struktur“, trägt, folgt man dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, zur „Produktion der Welt“ bei. „Es ist“, so seine These, daher „nicht übertrieben zu sagen, dass es die soziale Welt macht – wobei es natürlich zuerst von ihr gemacht wird.“[6] Bourdieu definiert das juridische Feld als „Feld von Kämpfen, in dem die Akteure mit je nach ihrer Position in der Struktur des Kraftfeldes unterschiedlichen Mitteln und Zwecken miteinander rivalisieren und auf diese Weise zu Erhalt oder Veränderung seiner Struktur beitragen.“[7] Neben dem Bildungssystem trage das Recht entscheidend zur Reproduktion der bestehenden Machtverhältnisse bei. Wirke es doch an der Festigung von Sicht- und Teilungskriterien mit, welche die Wahrnehmung der sozialen Welt entsprechend den Kriterien der herrschenden Ordnung orientieren. Juristen tragen dergestalt zu dem bei, was Bourdieu die „Suspendierung des Zweifels, die Welt könne eine andere sein“ nennt.[8] Damit steht, die Schlussfolgerung ist klar, das juridische Feld den Zielen sozialer Bewegungen diamental entgegen.

Indes, so Bourdieu, kann auch das juridische Feld – das einer relativen autonomen Logik folgt – potentiell von außen in Bewegung versetzt werden: durch Intellektuelle, soziale Bewegungen und die Kunst. Voltaires Rolle in der Affäre Calas, die ihn zum Vorkämpfer einer Strafrechtsreform machte, sei exemplarisch hervorgehoben.[9] Indes, um der Kritik – artikuliert von Intellektuellen, sozialen Bewegungen, der Kunst – Wirksamkeit zu verleihen, braucht es Vermittler in das Institutionensystem. Voltaire verfügte über solche. Im Fall der Außerparlamentarischen Opposition waren es die Anwälte, die die Justizkritik der 68er Bewegungen verstärkten, indem sie diese, neue Verteidigungsstrategien wie die Konfliktverteidigung erprobend, in den Gerichtsaal experimentell anwandten um hierarchische Strukturen vor Gericht aufzudecken.[10] Neben Anwälten und Richtern zählen auch die Rechtsgelehrten zu den Akteuren im juridischen Feld. Wie positionierten sie sich, konfrontiert mit der 68er Bewegung, die, dies sei nochmals betont, eine transnationale Bewegung war und in Frankreich zu Barrikadenkämpfen und dem größten Generalstreik der Nachkriegszeitführte? Konkret: Was geschah im MPIL? ‚Business as usual‘? Textarbeit im Elfenbeinturm? Keineswegs.

2. Die 68er Bewegung und das MPIL:

“Heidelberg: Vorsorge für die nächste Krise” – “Solidarität mit den Heidelberger Genossen!!” Solidaritätskundgebung von Studierenden in Kiel 1970 anlässlich des Verbots der SDS-Hochschulgruppe in Heidelberg[11]

Das MPIL wurde mit Fragen und Folgen der Bewegung unmittelbar konfrontiert und zur Stellungnahme angeleitet ‚von oben‘, vom Staat. Wie positionierte es sich? Grundsätzlich gilt, folgt man Bourdieu, dass die Stellungnahmen der Akteure im juridischen Feld durch deren Stellung im Feld und die Kräfteverhältnisse innerhalb des Feldes geprägt werden. Auf die Kräfteverhältnisse, die als „Kompetenzkämpfe um die Kompetenz“ sowie „das Recht, Recht zu sprechen“ ausgetragen werden, wirken zwei Faktoren ein: erstens, die Hierarchie der Rechtsinstanzen und der Rechtsgebiete sowie zweitens, die Homologien zwischen dem juridischen Feld und anderen Feldern – wie zum Beispiel die Nähe zum Feld der Macht. Wendet man diese Kriterien auf das MPIL als Akteur an, so verleiht ihm seine Stellung in der Hierarchie der Rechtsgebiete sowie seine Nähe zur Macht eine herausgehobene Position innerhalb des Feldes. Was macht es damit? Als kollektiver Intellektueller in der Tradition Voltaires agiert es nicht.  Es übernimmt die Rolle des „conseiller du prince“, des Fürstenberaters, des Experten, der den Staat berät. Es setzt seine spezifische Kompetenz ein und liefert vergleichende Rechtsgutachten an das Innenministerium. Ruft man in Erinnerung, dass in der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Studentenbewegung, Anti‑Notstands‑Opposition und Ostermarschbewegung (Kampagne für Demokratie und Abrüstung) interagierten, so nahm das Institut zu zentralen Themen der Bewegung Stellung.

Erstens: Zur Notstandsgesetzgebung. Die erste Anfrage nach einem rechtsvergleichenden Gutachten zur „Einschränkung der Grundrechte“, wie es in der Korrespondenz heißt, datiert vom 3. Februar 1964.  Der Direktor des MPIL, Hermann Mosler, nahm am 7. Dezember 1967 im Bundestag Stellung zu dem – wie es nun hieß – „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“[12]. Mosler sprach zu den Abgeordneten über seinen Untersuchungsgegenstand: das Ausnahmerecht in Frankreich.

Zweitens: Zu den neuen Demonstrationsformen, der Besetzung von Straßen und Plätzen. In Auftrag gegeben vom Bundsinnenministerium im Herbst 1969, fertiggestellt unter Einsatz aller Kräfte, wie die Korrespondenz zeigt, im Januar 1970 und schließlich abgeliefert im Februar 1970 wurde das Gutachten zu „Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“ in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und den USA.[13]

Drittens: Zur Forderung der Bewegung nach „direkter Demokratie“. Auf Anfrage des Bundesinnenministeriums im September 1969, mithin eingeleitet noch unter der Großen Koalition, erarbeitet das Institut schließlich ein Gutachten zu „Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“ (1970).

Recht reproduziert, so Bourdieu, bestehende Machtverhältnisse. In welchem Maße gilt das auch für die Rechtsauslegung von Experten? Eine Analyse der Rechtsauslegung durch das MPIL könnte unter anderem prüfen, ob die Expertisen neben der Rekonstruktion der Rechtslage in den Ländern auch die Anwendungspraxis und damit den – nicht nur von der Außerparlamentarischen Opposition angeprangerten – Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit (mit)reflektieren. Zu prüfen wäre zudem, welcher Demokratiebegriff den Gutachten zugrunde liegt. Die New Left (Neue Linke, intellektuelle Nouvelle Gauche), die in allen westlichen Industrieländern den Mobilisierungsprozess der 68er-Bewegungen anfachte, richtete sich gegen den vorherrschenden, auf Wahlen beschränkten Demokratiebegriff. Sie setzte der Demokratie als Staats- und Regierungsform ein Demokratieverständnis entgegen, das Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen, mithin Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform einschloss. Zu prüfen wäre, last but not least, ob, wann und wie das Institut Wege interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Gesellschaftswissenschaften einschlug (und damit einen Impuls der Bewegung aufnahm), die zu einer neuen Konzeption des Völkerrechts führten.

„Für freie politische Betätigung“. Gottfried Zieger und Institutsmitarbeiter Georg Ress 1975 in der Alten Aula[14]

Bleibt die Frage nach Strukturveränderungen innerhalb des Instituts. In vielen Instituten – darunter den von mir untersuchten in Starnberg und Frankfurt[15] – rebellierten die Mitarbeiter gegen die autoritäre Führung durch die Institutsdirektoren. Auch im „Oberhaus der deutschen Wissenschaft“ (DIE ZEIT), der Max-Planck-Gesellschaft, sahen sich die Mitarbeiter unter dem Druck der Ereignisse zu Kritik und Reformforderungen veranlasst. Und: Mitarbeiter aus 37 von 52 Max-Planck-Instituten traten am 9. Mai 1970 in Heidelberg zusammen, um eine „Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“ zu etablieren. Sie kritisierten die bestehende Struktur der Max-Planck-Institute als „undemokratische ‚Hierarchie’“.[16] Zur Strukturierung der Arbeit dieser Vertretung wurde ein Ausschuss (Satzungsausschuss) gegründet, der ein Organisationsstatut entwerfen sollte. Waren auch Mitarbeiter des MPIL darunter? Oder, anders gefragt, war es möglich, von der Bewegung nicht bewegt zu sein? Dieter Grimm, Mitarbeiter im MPI für Rechtsgeschichte in Frankfurt und persönlicher Referent des Institutsdirektor Helmut Coing, erklärte in einem Interview:

„Man konnte den Aktionen der protestierenden Studenten gar nicht entgehen, sie begegneten einem in Demonstrationen, Happenings, Sit-ins, Fassadenbeschriftungen (‚Nehmt Euch die Freiheit der Wissenschaft – forscht, was ihr wollt’, stand lange an einem Universitätsgebäude), auf Hörsaalwänden, die in Protest- oder Ankündigungsflächen verwandelt wurden (‚Heute 16.00 Uhr Demo – kommt massenhaft’ – niemand konnte mehr sagen, welchen Tag das betraf, aber das machte nichts, es galt ja fast jeden Tag). Man musste sich dazu einstellen.“ [17]

Wie standen die Mitarbeiter des MPIL zur Forderung der 68er Bewegung nach mehr Mitbestimmung in der Demokratie? Wie standen sie zu mehr Mitbestimmung im eigenen Haus? Gab Karl Doehrings Verfassungsbeschwerde[18] gegen das baden-württembergische Hochschulgesetz den Takt vor? Wurde das Harnack-Prinzip nicht als Barriere empfunden – angesichts der Rufe „Forscht, was Ihr wollt“? Selbst in der Max-Planck-Gesellschaft waren bereits seit 1969 Reformüberlegungen im Gange. Befürchtend, dass die Unruhe an den Hochschulen auch in ihre Institute übergreifen könnte, hatte der Präsident Adolf Butenandt eine Reformkommission – Strukturkommission genannt – eingesetzt.  Und in der Tat, die Mitarbeiter klagten Mitwirkung ein: bei der Wahl der Institutsdirektoren und der Festlegung der Forschungsprogramme, eine zeitliche Begrenzung und Kontrolle der Institutsleitung, eine Änderung des Systems der Zeitverträge sowie eine kritische Reflexion des Leistungsbegriffs.

Auch aus dem MPIL nahm ein Mitarbeiter an den Beratungen teil, wie ich durch Befragung des Zeitzeugen und Akteurs Dieter Grimm in Erfahrung bringen konnte: Michael Bothe. Ich habe Kontakt zu ihm gesucht. Krankheitsbedingt konnte er meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachkommen. Aus Dokumenten im Nachlass von Werner Conze, der 1969/70 Rektor der Universität Heidelberg war, geht jedoch hervor, dass Bothe persönlicher Referent des Rektors war und damit beteiligt an der Einführung einer neuen Grundordnung der Universität Heidelberg, entsprechend dem Hochschulreformgesetzes des Landes.[19] Vielleicht gibt es noch andere damalige Mitarbeiter, die hierzu Stellung nehmen könnten. Ich hoffe darauf, denn es kann doch nicht sein, dass die Rechtsexperten einem abgebrochenen Juristen und seiner (Sprach-)Kritik an den Instanzen des juridischen Feldes das letzte Wort belassen, nämlich Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] Eingehen kann ich auf diesen Text nicht, abschließen aber möchte ich mit den Worten, die Handke am Ende seiner Publikumsbeschimpfung in Bewegung setzte, um die vierte Wand (zwischen Bühne und Publikum) aufzubrechen und die den Zeitgeist von 1968 spiegeln:

„…. Ihr Leuchten der Wissenschaft. Ihr vertrottelten Adeligen. Ihr verrottetes Bürgertum. Ihr gebildeten Klassen. Ihr Menschen unserer Zeit. Ihr Rufer in der Wüste. […] Ihr Jammergestalten. Ihr historischen Augenblicke. Ihr Oberhäupter. Ihr Unternehmer. Ihr Eminenzen. Ihr Exzellenzen. Du Heiligkeit. Ihr Durchlauchten. Ihr Erlauchten. Ihr gekrönten Häupter. Ihr Krämerseelen. Ihr Ja-und-Nein-Sager. Ihr Neinsager. Ihr Baumeister der Zukunft. Ihr Garanten für eine bessere Welt. Ihr Unterweltler. Ihr Nimmersatt. Ihr Siebengescheiten. Ihr Neunmalklugen. Ihr Lebensbejaher. Ihr Damen und Herren ihr, ihr Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens ihr, ihr Anwesenden ihr, ihr Brüder und Schwestern ihr, ihr Genossen ihr, ihre werten Zuhörer ihr, ihr Mitmenschen ihr.

       Sie waren willkommen. Wir danken Ihnen. Gute Nacht.“[21]

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (Hrsg.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt der Briefwechsel Hartmut Schiedermairs (Habilitant von Herrmann Mosler) mit Helmut Ridder dar, veröffentlicht unter dem Titel: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; zudem sei verwiesen auf die 2008 erschienenen Erinnerungen Karl Doehrings an die Studentenbewegung: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (Hrsg.), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; vgl. auch Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (Hrsg.), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19.

[6]Pierre Bourdieu, Die Kraft des Rechts. Elemente einer Soziologie des juridischen Feldes, in: Andrea Kretschmann (Hrsg.), Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2019, 35–78, 60.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221.

[9] Vgl. Voltaire, Die Affäre Calas, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Vgl. dazu Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (Hrsg.), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Hervorhebung durch die Autorin.

[13] Mitarbeiter waren Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. Das Gutachten wurde als Buch veröffentlicht unter dem Titel: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (Hrsg.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, herausgegeben und kommentiert von Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Nachlass Karl Doehring, Universitätsarchiv Heidelberg.

[19] Brief von Werner Conze an das Kultusministerium Baden-Württemberg, datiert 30. Juli 1969, Nachlass Werner Conze, Universitätsarchiv Heidelberg, Ref. 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, 47-48.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-094922-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

Prologue

“1968 is a date in which the imaginary has ensconced itself” wrote the author and essayist Hans Magnus Enzensberger, who as editor of the Kursbuch (roughly: “textbook”, a key cultural and political publication of the time) was one of the spokespersons of the extra‑parliamentary opposition (Außerparlamentarische Opposition, APO) in the Federal Republic of Germany, in notes for his 1968 diary. In 1968, “the forbidden sentences took to the streets”, he noted: “Two thousand, twenty thousand, two hundred thousand words, processions, resolutions [ …]  The contradictions towered to heaven. Every attempt to make the tumult intelligible had to end in ideological gibberish.”[1] The words that took to the streets – an apt metaphor to underline the novelty of the occupation of streets and squares – did not spare Heidelberg. Loud protests and performative happenings began after 2 June 1967 and continued long after the mobilisation had died down in other places, leading to the coining of the term “Heidelgrad”.[2] How did the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) position itself in and in relation to the conflicts? Did it act as a bastion in troubled waters? Did it continue its work, far from the old town (Altstadt, where most university buildings are located), in a kind of ivory tower? At first glance, it would appear so, but a well‑founded study of the institute against the backdrop of the critical events of 1967 to 1970 is still lacking. Moreover, in order to produce such a study, there are no records, statements, recollections of the staff of the institute during these years – unlike other institutes, I have no commentaries by the assistants, no contemporary ones, no retrospective ones.[3] Last but not least, a systematic search for minutes of discussions and meetings, notes, flyers, posters and photos is still pending. This contribution on the role of the institute in the mobilisation process of the 1968 movement can therefore only be an approximation in the subjunctive. It is guided by two analytical frames of reference: Pierre Bourdieu’s reflections on the juridical field and the questions and hypotheses of social movement research. It is subdivided into two points.

1. Social Movements and the Juridical Field

The wave of protests culminating in almost all industrialised Western countries in 1968 was more than just a student or generational revolt. The transnational protests were social movements, analytically defined as a “process of protest” by individuals and groups who, rejecting the existing social and power structure, sought fundamental changes in society as a whole and mobilised support for them.[4]  In May 1968, as the philosopher Michel de Certeau put it, “on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789“. What was all of that about? What was at stake? The protests were characterised by a by a “reserve of trust in the possibility of changing the world through action” that had not yet been used up as the philosopher Hannah Arendt put it who closely followed the development of protest movements in the USA, the Federal Republic of Germany and France from New York.[5] Fuel for mobilisation and source of legitimacy was the discrepancy between reality and an imagined, ‘different’, new order, characterised by two guiding principles: self‑determination/self-realisation (Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung/autogestion) on the one hand and participatory democracy (Selbstorganisation/Selbstverwaltung/Mitbestimmung) on the other. In order to generate support for their goals, social movements are forced to act and form themselves out of action. Beyond the charisma of its central idea, the dynamic mobilising effect of the 1968 movement was based on a strategy of direct performative action, of limited rule-breaking. Inspired by the anarchist movement and the artistic avant-garde – Dadaism, Surrealism – the actions were often situated in the grey zone between legality and illegality. What happens in the legal field when such a movement emerges and gains momentum?

According to French sociologist Pierre Bourdieu, law is a “structured structure[…], historically constituted ” and contributes to the “production of the world”. According to his thesis, it “would not be excessive to say that it creates the social world, but only if we remember that it is this world which first creates the law.”[6] Bourdieu defines the juridical field as a “field of struggles in which actors compete with each other with different means and ends depending on their position in the structure of the force field and in this way contribute to maintaining or changing its structure.”[7] Alongside the education system, the law makes a decisive contribution to the reproduction of existing power relations, according to Bourdieu. After all, it contributes to the consolidation of criteria of vision and division that orientate the perception of the social world according to the criteria of the prevailing order. In this way, jurists contribute to what Bourdieu calls the “suspension of doubt that the world could be a different one”.[8] Accordingly, the conclusion is clear: the legal field is diametrically opposed to the goals of social movements.

However, according to Bourdieu, the juridical field – which follows a relatively autonomous logic – can potentially be set in motion from the outside: by intellectuals, social movements and art. Voltaire’s role in the Calas affair, which made him a pioneer of criminal law reform, should be emphasised as an example.[9] However, in order for criticism – articulated by intellectuals, social movements and the arts – to be effective, mediators are needed in the institutional system. Voltaire had such mediators. In the case of the extra-parliamentary opposition, it was the lawyers who reinforced the judicial criticism of the 1968 movement by experimenting with new defence strategies such as Konfliktverteidigung (roughly: “confrontational defence”, a strategy of criminal lawyers to call into question not just the legitimacy of the charges at hand, but of the court as a whole) in order to expose hierarchical structures in court.[10] In addition to lawyers and judges, legal scholars were also among the actors in the legal field. How did they position themselves when confronted with the 1968 movement, which, it should be emphasised once again, was a transnational phenomenon and led to barricade struggles in France and the largest general strike of the post-war period? Specifically: What happened at the MPIL? Business as usual? Scholarly work in an ivory tower? Not at all.

2. The 68 Movement and the MPIL

Solidarity rally by students in Kiel in 1970 on the occasion of the ban on the SDS (Socialist German Students’ League) university group in Heidelberg. The banners read: “Heidelberg: Precautions for the next crisis” and “Solidarity with Heidelberg comrades!!” (Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.)[11]

The MPIL was directly confronted with the questions and consequences of the movement and instructed ‘from above’, by the state, to take a stand. How did it position itself? Basically, according to Bourdieu, statements of the actors in the legal field are determined by their position in the field and the balance of power within it. Two factors influence the balance of power, which is formed by “competence struggles over competence” and “the right to adjudicate”: firstly, the hierarchy of courts and fields of law, and secondly, the homologies between the legal field and other fields – such as the proximity to the field of power. If these criteria are applied to the MPIL as an actor, its position in the hierarchy of legal fields and its proximity to power give it a prominent position within the field. What does it do with this? It does not act as a collective intellectual in the tradition of Voltaire.  It takes on the role of the “conseiller du prince“, the prince’s counsellor, the expert who advises the state. It uses its specific expertise and provides comparative legal opinions to the Ministry of the Interior. If one recalls that in the extra-parliamentary opposition in the Federal Republic of Germany, the Studentenbewegung (student movement), the movement against the proposed Notstandsgesetze (German Emergency Acts, reintroducing martial law into the constitution) and the Ostermarschbewegung (“Easter march movement”, a campaign for democracy and disarmament) interacted, the institute took a stand on central issues of the movement.

Firstly, on the German Emergency Acts. The first request for a comparative legal opinion on the “restriction of fundamental rights”, as it is called in the correspondence, is dated 3 February 1964. The director of the MPIL, Hermann Mosler, gave a statement in the Bundestag on 7 December 1967 on what was now called the “draft law to supplement the Basic Law” (“Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“)[12]. Mosler spoke to the members of parliament about the subject of his enquiry: martial law in France.

Secondly, on the new forms of demonstration, the occupation of streets and squares. Commissioned by the Federal Ministry of the Interior in autumn 1969, completed in January 1970, as the correspondence shows, and finally delivered in February 1970, the report on “Freedom of demonstration and road traffic” („Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“) covered the legal situation in Belgium, the Federal Republic of Germany, France, Great Britain, Italy, the Netherlands, Austria, Sweden, Switzerland and the USA.[13]

Thirdly, on the movement’s demand for “direct democracy”. At the request of the Federal Ministry of the Interior in September 1969, i.e. initiated still under the “grand coalition” of Germany’s two major parties at the time, the institute finally drafted an expert report on “Plebiscitary elements in the constitutional life of European democracies” („Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“, 1970).

According to Bourdieu, law reproduces existing power relations. To what extent does this also apply to the interpretation of the law by experts? An analysis of the interpretation of the law by the MPIL could examine, among other things, whether the expert opinions, in addition to reconstructing the legal situation in other states, also reflect (on) the application practice and thus the contradiction between constitutional law and constitutional reality, denounced not only by the extra-parliamentary opposition. The concept of democracy on which the expert opinions are based should also be examined.  The New Left (Neue Linke, intellectual Nouvelle Gauche), which fuelled the mobilisation process of the 1968 movements in all Western industrialised countries, opposed the prevailing concept of democracy, reduced to elections. It sought to replace the understanding of democracy as a form of state and government with an understanding of democracy built on participation in all areas of society, i.e. democracy as a way of life and a social order. Last but not least, it should be examined whether, when and how the institute embarked on paths of interdisciplinary cooperation between law and social sciences (and thus took up an impulse of the movement) that led to a new conception of international law.

Gottfried Zieger and member of the institute Georg Ress at Heidelberg University in 1975. The graffiti in the background reads: “For free research”[14]

This leaves the question of structural changes within the institute. In many MPIs – including the ones I studied in Starnberg and Frankfurt[15] – the staff rebelled against the authoritarian leadership of the directors. Even within the Max Planck Society, the “House of Lords of German science” (as it was called by the German newspaper DIE ZEIT), employees felt compelled by the pressure of events to criticise and demand reform. And: employees from 37 of the 52 Max Planck Institutes met in Heidelberg on 9 May 1970 to establish a “Representation of Scientific Staff at Max Planck Institutes” („Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“). They criticised the existing structure of the Max Planck Institutes as an “undemocratic ‘hierarchy'”.[16] To structure the work of this representation, a Statutory Committee (Satzungsausschuss) was set up to draft an organisational statute. Were employees of the MPIL among them? Or, to put it another way, was it possible not to be moved by the movement? Dieter Grimm, a member of staff at the MPI for Legal History in Frankfurt and personal advisor to the institute’s director Helmut Coing, explained in an interview:

“You couldn’t escape the events of the protesting students, you encountered them in demonstrations, happenings, sit-ins, graffities (‘Take your freedom of science – research what you want’ was written on a university building for a long time), on lecture hall walls, which were transformed into protest or announcement areas (‘Demonstration, today 16.00 – all come’ – no one could tell which day that was, but that did not matter, it applied almost every day). You had to take a stance.” [17]

How did the staff of the MPIL view the demands of the 1968 movement for more participation in democracy? How did they feel about more participation in their own institute? Did Karl Doehring’s constitutional complaint (Verfassungsbeschwerde)[18] against the University Reform Act (Hochschulreformgesetz) of Baden-Württemberg set the pace? Was the Harnack principle not perceived as a barrier – in view of the calls to “research what you want”? Even in the Max Planck Society, reform considerations had been underway since 1969. Fearing that the unrest at the universities could spread to their institutes, President Adolf Butenandt had set up a reform commission – known as the Strukturkommission (Commission on Structure).  And indeed, the employees demanded participation: in the election of institute directors and the definition of research programmes, a time limit and control of institute management, a change in the system of temporary contracts and a critical reflection on the conceptualization of performance.

An employee from the MPIL also took part in the consultations, as I was able to find out by interviewing the contemporary witness and actor Dieter Grimm: Michael Bothe. I sought contact with him. Due to illness, he was unable to fulfil my request for an interview. However, documents in the estate of Werner Conze, who was Rector of the University of Heidelberg in 1969/70, show that Bothe was the Rector’s personal advisor and thus involved in the introduction of a new Grundordnung (basic regulations) for the University of Heidelberg in accordance with the University Reform Act.[19] Perhaps there are other former employees who could comment on this. I hope so, or legal experts will have to leave the last word to a law school dropout and his (linguistic) criticism of the authorities in the legal field, namely Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] I cannot go into detail about this text, but I would like to conclude with the words that Handke set in motion at the end of his play “Offending the Audience” in order to break down the fourth wall (between stage and audience) and which reflect the zeitgeist of 1968:

You luminaries of science. You beacons in the dark. You educated gasbags. You cultivated classes. You befuddled aristocrats. You rotten middle class. You lowbrows. You people of our time. You children of the world. […] You wretches. You congressmen. You commissioners. You scoundrels. You generals. You lobbyists. You Chief of Staff. You chairmen of this and that. You tax evaders. You presidential advisers. You U-2 pilots. You agents. You corporate-military establishment. You entrepreneurs. You Eminencies. You Excellencies. You Holiness. Mr- President. You crowned heads. You pushers. You architects of the future. You builders of a better world. You mafiosos. You wiseacres. You smart‑alecs. You who embrace life. You who detest life. You who have no feeling about life. You ladies and gents you, you celebrities of public and cultural life you, you who are present, you brothers and sisters you, you comrades you, you worthy listeners you, you fellow humans you.

          You were welcome here. We thank you. Good night.[21]

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (ed.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25, translated by the editor.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] One notable exception is the correspondence between Hartmut Schiedermair (habilitation student of Herrmann Mosler) and Helmut Ridder, which was published under the title: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; see also Karl Doehrings memories of the student movement as described in his 2008 memoir: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (ed), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (ed), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; Cf. Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (eds), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19, translated by the editor; this work was also published in English as: Hannah Arendt, On Violence, San Diego: HBJ Book 1970.

[6] Pierre Bourdieu, The Power of Law. Elements of a sociology of the juridical field, Hastings Law Journal 38(1987), 814-853, 839.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18, translated by the editor.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221, translated by the editor.

[9] Cf. Voltaire, Die Affäre Calas, edited and with an epilogue by Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Cf. Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (eds), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Photo: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Emphasis added by the author.

[13] Contributors were Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. The expert opinion was published as a book under the title: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ed), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (eds.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, edited and annotated by Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75, translated by the editor.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Estate of Karl Doehring, Heidelberg University Archive.

[19] Letter by Werner Conze to the Baden-Württemberg Ministry of Education, dated 30 July 1969, Estate of Werner Conze, Heidelberg University Archive, Ref 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972; the title translates to „I am an inhabitant of the ivory tower”.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung, translation following: Peter Handke, Offending the Audience and Self-Accusation, translated by Michael Roloff, London: Methuen & Co Ltd 1971, 38.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-095001-0

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Zur China-Reise des Instituts im April 1986

Auf Einladung des Rechtsinstituts der Akademie der Sozialwissenschaften (Chinese Academy of Social Sciences, CASS) hielt sich vom 31. März bis zum 14. April 1986 eine Delegation des Instituts – bestehend aus Herrn Bernhardt, Herrn und Frau Doehring, Herrn und Frau Frowein sowie den Referenten Rudolf Dolzer und Robert Heuser – in der Volksrepublik China auf. Das Hauptanliegen bestand darin, Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf Institutsebene auszuloten.

Um einen Eindruck von Ablauf und Atmosphäre der Reise zu vermitteln, werde ich zunächst auf der Grundlage von Tagebuchnotizen einen Überblick über den äußeren Verlauf geben, um dann eine Skizze zum Wandel des verfassungs- und internationalpolitischen Umfelds anzuschließen.

„Öffnung und Reform“ (Aus einem Reisetagebuch)

Untergebracht in einem im Bungalow-Stil neu erbauten kleinen Hotel im Zentrum Pekings, in dem wir, wie schnell festzustellen war, außer einigen Amerikanern und Nordkoreanern, die einzigen Gäste waren, hieß uns die Leitung des Rechtsinstituts der Akademie in einem Pekingenten-Restaurant willkommen. Eine Programmbesprechung schloss sich an. Dass am folgenden Tages der Sommerpalast oder Yiheyuan 颐和园 besucht wurde, mag auch einem eingespielten Touristenprogramm entsprochen haben; man würde aber den Sinn der Gastgeber für Symbolik unterschätzen, nähme man an, sie hätten eine der Erforschung von Kooperations-Möglichkeiten dienende Reise rein zufällig im „Garten zur Pflege der Harmonie“ beginnen  lassen. Ebenso wenig zufällig wurde anschließend ein Gang durch die Ruinen des im Zweiten Opiumkrieg (1860) von englischen und französischen Truppen zerstörten Alten Sommerpalasts, dem Yuanmingyuan, unternommen, wo die Reste barocker Steinfassaden sich wild übereinander türmten. Auf einer halbversunkenen Steinschwelle ein Graffito – „The Chinese people will never forget.“ So eingeführt, begann am nächsten Morgen das Kolloquium im Akademie‑Institut. Rudolf Dolzer und ein Beamter aus dem Außenwirtschaftsministerium referierten über Investitionsschutzverträge. Es waren aber nur drei Zuhörer erschienen. Wozu hat man uns eingeladen?  Das Mittagessen nahmen die Heidelberger in erheblicher Fruststimmung ein. Später verlautete etwas von „Koordinierungsproblemen“. Sehr lebendig dann aber das Zusammentreffen an der Peking‑Universität mit Wang Tieya, der führenden Völkerrechtsautorität des Landes. Auch seine Magister‑Studenten waren erschienen und zeigten sich vor allem interessiert an den „philosophischen Grundlagen“ der Menschenrechte. Am nächsten Tag sprach Rudolf Bernhardt über „Federalism and Decentralization“ – ein Themenkreis, den ein chinesischer Kollege unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzverteilungim Zentralstaat‑Provinzen‑Verhältnis nach chinesischem Recht aufgriff. Am Abend war die Delegation privat bei der Vizedirektorin des Instituts, der Völkerrechtlerin Sheng Yu, eingeladen. In dem großen Wohnkomplex wohnten fast 5000 höhere Mitarbeiter der Sozialwissenschaftlichen Akademie. Der nächste Tag brachte einen Ortswechsel nach Xi’an, wo wir Zimmer im Renmin-dasha-Hotel – einem sowjet-barocken Palast aus den fünfziger Jahren – bezogen. An der dem Justizministerium unterstellten „Hochschule für Politik und Recht“ wurden drei Vorträge parallel in zwei Sälen mit zusammen mehr als 400 Studierenden gehalten. Ich trug mein Referat über die Entwicklung der europäischen Forschung zum chinesischen Recht in beiden Sälen vor. Danach gingen zahlreiche Zettel mit Fragen ein: „Kann es Rechtsvergleichung zwischen kapitalistischem und sozialistischem Recht geben?“  „Ist es für China sinnvoll, von deutschem oder amerikanischem Recht zu lernen?“  „Was hat die chinesische Rechtsgeschichte für den Aufbau eines modernen Rechtssystems zu bieten?“ Zurück in Peking stieß ich im Xinhua-Buchladen an der Wangfujing-Straße auf eine Aufsatzsammlung des 1983 verstorbenen Völkerrechtlers Chen Tiqiang. Wie Wang Tieya, war auch Chen, der 1948 in Oxford doktoriert hatte, 1957 zum „Rechtsabweichler“ gebrandmarkt worden. Im Rückblick auf jene Jahre schrieb er kurz vor seinem Tod im Vorwort dieser Aufsatzsammlung: „Nach 1957 führten die Verhältnisse dazu, den Stift aus der Hand zu legen und sich über den Futtertrog zu beugen, untätig seine Zeit verstreichen zu sehen und sich dem Dienst am Staat nicht widmen zu können. “Stocksteif geben sich die Nordkoreaner, wenn man einem von ihnen im Garten begegnet. Heute nach dem Abendessen versuchte ich, Kontakt aufzunehmen. Vier von ihnen unterhielten sich im Garten über das Drachenrelief an der gegenüberliegenden Mauer. Ich fragte, ob es so etwas auch in Korea gäbe. Alle lachten, zuckten die Schultern, verstanden nichts, einer sagte nur „you, you/sicher, gibt es“. Dann erschien der fünfte, und alle atmeten auf, denn er spricht Chinesisch. Sie erkundigten sich über die deutsche Teilung, die gegenseitigen Kontakte, interessierten sich für die Situation der Koreanistik bei uns. Sie sind geschäftlich hier. Die Geschäfte gingen allerdings nur mäßig. Es sei äußerst schwer, mit Chinesen zu verhandeln. Deren manmanlai / „immer mit der Ruhe“ finden sie lustig und ärgerlich zugleich, die geschäftliche Zusammenarbeit gestalte sich schleppend. In China gäbe es eine Kraft, die man nicht sehen könne; sie fließe aus den Dimensionen des Landes und seiner Bevölkerung und aus dem Bewusstsein einer unvergleichlichen historischen und kulturellen Kontinuität.

In der Peking-Universität treffe ich Wang Tieya. Vom Büro der Rechtsfakultät laufen wir zu seinem Institut, das in einem freistehenden pavillonartigen Gebäude aus den letzten Jahren der Qing‑Dynastie untergebracht ist. In der Republikperiode war es Bestandteil der zwischen 1915 und 1920 aus mehreren christlichen Schulen gebildeten Yanjing‑Universität, die bis 1952 existierte. Die Vorstellung eines „spezifisch chinesischen Völkerrechts“, von dem manchmal im Anklang an das sogenannte „sowjetische Völkerrecht“ die Rede ist, hält Wang für unpassend. Den chinesischen Völkerrechtlern obliege zunächst die theoretische Aufarbeitung der Völkerrechtspraxis Chinas. Wang wirkt resigniert und erschöpft. Wie Chen war ihm in seinen besten Jahren ein Berufsverbot auferlegt worden. Zwar musste er nicht wie Chen in der Landwirtschaft arbeiten, sondern konnte sich im Außenministerium mit der Erstellung einer Sammlung der multilateralen Verträge, an denen China beteiligt ist, befassen, war aber von der Völkerrechtslehre abgeschnitten. Immerhin konnte er gemeinsam mit Chen die achte Auflage von Oppenheims „International Law“ übersetzen und Anfang der 1970er Jahre publizieren. Die lange Zeit erzwungener wissenschaftlicher Beschränkung bedrücke ihn aber weniger als die auch im Vergleich zu dem Akademie-Institut miserable finanzielle Ausstattung und die sich darin offenbarende mangelnde öffentliche Wertschätzung völkerrechtlicher Forschung.

In geselliger Runde: Robert Heuser, Eva Maria Doehring, Sheng Yu, Lore Frowein, Jochen Frowein, Rudolf Bernhardt, Rudolf Dolzer und Karl Doehring bei Kollegen der Akademie der Sozialwissenschaften (Foto: MPIL)

Der Vizedekan der juristischen Fakultät der Xi’aner Hochschule und ein Doktorand von Wang Tieya werden in der nächsten Zeit als Stipendiaten am Institut tätig sein. Mit Frau Sheng Yu wurde die Herausgabe einer Sammlung völkerrechtlicher Studien deutscher Autoren in chinesischer Übersetzung vereinbart. Am späten Nachmittag verlassen wir unseren Bungalow wie einen heimatlichen Hafen. Beim Abendessen mit Frau Sheng nebst Mitarbeiter im Flughafenrestaurant wirft sie die Frage auf, ob die Max-Planck-Gesellschaft nicht eine Privatuniversität in Shenzhen errichten wolle. Zu viel für eine letzte Frage.

Vom langen Ende der kurzen Liberalität

Und eine Frage, so lässt sich fast vier Jahrzehnte später hinzufügen, die nur damals aufgeworfen werden konnte und seither nicht wieder. Denn die Erkundungsreise des Instituts fand in der Anfangsphase der Periode von „Öffnung und Reform“ (vor der Zäsur des 4. Juni 1989) statt, als unter „Reform“ auch die Veränderung des politischen Systems in den Blick kommen konnte und sollte. Höhepunkt dieser Entwicklung war der 13.Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober 1987, in dessen Umfeld der Rechtsstaatsgedanke über eine verfahrensgebundene Verfügbarkeit des Rechtsystems hinaus als Bindung des Gesetzgebers an bestimmte Qualitätserfordernisse des Rechtsystems wie „Rechte und Freiheiten der Bürger“ angedacht wurde. Für kurze Zeit herrschte eine nie gekannte Meinungs- und Pressefreiheit. „Politische Strukturreform“ sollte Prinzipien der bürgerlichen Verfassung wie Gewaltenteilung und Rechtsstaat nicht länger als „Halluzination“ zurückweisen und tabuisieren, sondern „beispielgebend“ heranziehen.

Diese lebhafteste verfassungspolitische Debatte in der neueren chinesischen Geschichte nahm mit den, aus heutiger Sicht doppelt tragischen, Ereignissen vom Juni 1989 in Peking und in anderen Städten ein jähes Ende. „Politische Strukturreform“ unter Einbezug liberaler Verfassungskonzepte wurde erneut tabuisiert. Zwar wurde zunächst der internationale akademische Austausch in allen Bereichen weiterentwickelt, zahlreiche grenzüberschreitende sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte wurden erfolgreich durchgeführt und die Übersetzung ausländischer geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke nahm einen ständig wachsenden Umfang an, „Reform und Öffnung“ aber konzentrierte sich nun gänzlich auf Fragen der Effizienz des Wirtschaftssystems. Dies umfasste immerhin noch das Bekenntnis zu einer regelbasierten internationalen Ordnung, wie die nun energisch vorangetriebenen Bemühungen, der Welthandelsordnung beizutreten, verdeutlichen. Als der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) Ende 2001 erfolgte, lagen in zahlreichen relevanten Bereichen der Rechtsordnung, besonders auch auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts, die notwendigen Innovationen zwar vor, krankten aber am Mangel einer verwaltungsunabhängigen Gerichtsbarkeit.

Robert Heuser und Karl Doehring vor dem Himmelstempel in Peking (Foto: MPIL)

Wenn man hoffte, dass die weitere Entwicklung des Lebensstandards, der Druck in- und ausländischer Wirtschaftskreise sowie fortgesetzte Aufklärungsarbeit aus den Reihen der Rechtswissenschaft es mittelfristig auch der chinesischen Führung nicht erlauben werde, sich intensiveren rechtsstaatlichen Reformen zu verschließen, so dürfte diese Hoffnung mit der Übernahme der Spitzenämter des Parteistaats durch Xi Jinping 2012/13 auf lange Sicht enttäuscht worden sein. Xis „Chinesischer Traum vom Wiedererstarken der Nation“ geht einher mit einer zunehmenden Abschottung gegen ausländische Einflüsse. Das scheint so weit zu gehen, dass das Schulfach „Englisch“ von einem Kernfach zu einem Nebenfach degradiert wurde und private Sprachschulen schließen mussten. Nach nur fünf Amtsjahren wurde Xi in der Parteihierarchie auf eine Stufe mit Mao Zedong gestellt: Im Oktober 2017 verankerte der 19. Parteikongress „Xi Jinpings Ideen für das neue Zeitalter des Sozialismus chinesischer Prägung“ als zusätzliche Leitlinie im Parteistatut. Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im März 2018 als der Nationale Volkskongress per Verfassungsänderung die 1982 eingeführte Begrenzung des Staatspräsidentenamtes (auf zweimal fünf Jahre) aufhob und dem amtierenden Präsidenten, dem man wie einst Mao den zusätzlichen Titel „Volksführer“ /人民领袖 zuerkannte, so eine potentielle Lebenszeitposition einräumte.

Die Volksrepublik China stellt sich unter Xi als ein Regime dar, das Militär- und Wirtschaftsmacht ohne Demokratie und Moderne ohne Freiheit nicht nur als ihre eigene Lebensform feiert, sondern auch den Anspruch erhebt, ein weltweit gültiges Programm für Stabilität und Wohlstand sowie die Befähigung zu besitzen, in der weltweiten Verwirklichung dieses Programms die Leitung zu übernehmen. „Mit dem chinesischen Modell die Welt leiten“ / 用中国模式引领世界, „Chinesische Führung leitet die Welt“ / 中国之治引领世界, sind gängige Slogans. Sie wurden parallel zu dem Mega-Projekt der „Neuen Seidenstraße“, der Initiative „One belt, one road“ / 一带一路工程 geprägt, dem Vorhaben, Staaten zwischen China und Europa mit einem Netzwerk von Straßen, Eisenbahntrassen, Häfen und Pipelines zu überziehen, nicht ausschließlich, aber weitgehend finanziert und errichtet von chinesischen Banken, Ingenieuren und Arbeitern. Dies nicht nur um Chinas Macht auszuweiten, sondern in der erklärten Absicht, eine neue Weltordnung zu schaffen – eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ / 人类命运共同体, wie es in der Präambel der 2018 revidierten Verfassung heißt. Durch Bündnisse mit Ländern des globalen Südens und Zentralasiens sucht China der traditionellen, von westlichen Demokratien geprägten Weltordnung einen alternativen Ordnungsrahmen gegenüberzustellen. So war es an der Zeit, dass die EU im März 2019 in einem Strategiepapier festhielt, dass die Volksrepublik China nicht nur ein „Partner“ sei, sondern auch ein „wirtschaftlicher Konkurrent“ und ein „Systemrivale, der alternative Governance-Modelle propagiert“.

Es ist klar, dass unter solchen, sich zunehmend als totalitär erweisenden Verhältnissen – unbegrenzte Parteiherrschaft, umfassende Sozialkontrolle, aggressiver Nationalismus, Re-ideologisierung – der internationale akademische Austausch und besonders grenzüberschreitende Forschungsprojekte stark beeinträchtigt werden und dass für eine Revitalisierung in absehbarer Zukunft keine oder geringe Aussichten bestehen. Zwar kann man sich dem nicht verschließen, was schon das „Lunyu“, der Basistext des Konfuzianismus, bemerkt: „Geht man unterschiedliche Wege, kann man einander keine Ratschläge erteilen“ / 道不同不相為謀,jedoch sollte die Bereitschaft bestehen, auch und gerade unter schwierigen Bedingungen das Gespräch zu suchen und bewährte Kontakte so weit wie möglich aufrechtzuerhalten.

[1] Bild: MPIL-Archiv

[2] Bild: MPIL-Archiv

Suggested Citation:

Robert Heuser, Zur China-Reise des Instituts im April 1986, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-102254-0

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Comparative Law for a Post-Hegemonic World

The Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) is celebrating its centenary. I have many fond memories of my short 8‑month stay there a decade ago: memories of warm‑hearted colleagues, interesting conversations, and of an impressively large resident rabbit whose appearances on the lawn stole the audience from more than one speaker.

But back then, I did not find it an ideal academic home, at least for me. Sometimes that is just how things happen, but I do not think it was only that. It also had something to do with the fact that I was becoming a comparative lawyer, and the ‘comparative public law’ part of its mission seemed more marginal at the institute than public international or European law.

Reading up on the history of the MPIL has reinforced this impression. For one thing, it was always, foremost, dedicated to the study of public international law proper. This is most obviously apparent from the choice of directors of the institute. They have almost always been international lawyers first and domestic constitutional lawyers second, and not primarily comparativists. This naturally shaped the research agenda and staff profiles of the MPIL. The partial exception to this is, of course, Armin von Bogdandy, who became a director with a strong profile in European law in particular, and who has since pushed comparative perspectives. But this is a fairly recent development.

This is not to say that comparative law was absent from the institute. There have long been colloquia on select themes of foreign law (such as on the rights of minorities, standards of judicial scrutiny of administrative decisions, and so on). There have been visitors from abroad whose work opened up windows into their own jurisdictions. The institute has also advised German institutions on foreign law for a long time. These formats fit into the broader tendency to pursue a practice-oriented approach to law and legal scholarship in the postwar years, which Felix Lange has detailed in his work.

This practice-oriented approach, however, did not create a very receptive environment for comparative research. If comparative work is measured based on its ability to assist in the interpretation of legal texts and thus for doctrine, it will seem both subsidiary and usually of rather limited worth. It is not surprising, against this backdrop, to see the institute’s former director, Rudolf Bernhard, adopt a somewhat skeptical view of comparative law and its value in a speech published in the ZaöRV in 1964.

The rotunda in 2010[1]

This focus on practice also drove a particular approach to comparative law, insofar as it was present at the MPIL. The picture that emerges from the roundtables and the resulting publications is one of comparative law as a mainly encyclopedic and/or functionalist project. The early colloquia seem to have mostly assembled one‑country studies on particular themes. The current Max Planck Encyclopedia of Comparative Constitutional Law, which complements the more well-known Max Planck Encyclopedia of International Law, takes an explicitly comparative approach, but it is, well, an encyclopedia. There is nothing wrong with collecting information as a resource of course, but as a scholarly activity, it is not the place where new and original ideas are developed. Encyclopedias do not lie on the cutting edge.

This also seems to me the tradition continued today by the Max Planck Foundation. It continues the longstanding role of the institute in providing “technical” advice “as a politically neutral and unbiased actor” to organizations and governments abroad, typically through projects funded by the German government. This is not the place to engage in a wholesale review of such advisory work, which is, in any event, today not part of the MPIL itself. Nor should it be read as an argument against the value of comparative work in informing institutional design. But it is hard to view this advisory work, and the tradition on which it builds, without at least some Frankenbergian skepticism, given just how many projects in so wide a range of jurisdictions are undertaken.

Going forward

There is the question of whether it is even possible, or wise, to have one institute tackling public international law, European Union law, and comparative public law. To me, these three topics are connected in many ways and it does make sense to have them under one roof – but I would want to insist on an equal role for comparative law in the trio. I would also advocate for a somewhat different approach to it than the one that has prevailed in the past and continues to be felt today, albeit certainly to a lesser extent. I am of course first and foremost a comparativist, and an international and European lawyer only second, so it is no surprise that I take this position – but I am also far from the only one who does so.

The case for taking comparative public law academically seriously is a strong one today – and I believe it requires transcending the encyclopedic approach to foreign law. There is ample support for this claim, both in German and English scholarship. Comparative constitutional law has grown into a global subdiscipline of its own in in the last 20 years, with several dedicated journals, conferences and edited series. This new discipline of comparative constitutionalism is heavily influenced by the US law school tradition and by the early work on these developments by political scientists such as Martin Shapiro, Tom Ginsburg or Ran Hirschl, to name just a few. The German legal tradition – and indeed the MPIL’s tradition here – is a different and more positivist one including in international law, as Felix Lange so convincingly demonstrates. Perhaps this is why Germany still often remains at some distance from these global developments. But German lawyers have much to contribute to them, including from a theoretical perspective.

Impressions from the institute in 2010[2]

This work has clearly begun in a series of the institute’s contemporary projects, which go beyond the encyclopedic approach of the past. The change has been led by Armin von Bogdandy, who initiated a number of large‑scale comparative legal projects, first on Europe (Ius Commune) and then on Latin America (Transformative Constitutionalism). In both, the search for common legal ideas and concepts is in the foreground.

There is much to like and admire about these projects, and the change they signal. However, there is also something of a universalizing or “regionalizing” approach to them, which still leaves out a lot of the world, and typically comes with a unifying normative agenda of its own. Whether this is a remnant of the encyclopedic tradition, or due to something else, is a good question – but the result remains a set approach to comparative law that will not fit, or admit, everyone.

My second argument for strengthening the comparative law angle is more substantive, but at the same time more provocative. The thesis is that we are entering a post‑hegemonic world order –and this should prompt globally‑minded public lawyers to adopt a comparativist’s rather than a universalist’s mindset. By this I mainly mean two things, which are connected, at least in my own head.

First, comparative law will become relatively more important as compared to the universalizing discipline of human rights. Secondly, and consequently, those who study human rights law should be engaging with comparative law, and its local varieties, much more than is currently the case. The reasons for this have much to do with the current crisis of human rights, and not just that part of it that is about right‑wing political backlash. There is also a sense of academic disillusionment with human rights, as apparent in many critical scholarly writings on the subject, from varying ideological angles (e.g. in the work of John Tasioulas, Samuel Moyn or Stephen Hopgood). It seems to me that the solution to this crisis cannot be to come up with ever more encompassing theories of universal rights. Instead, we need to rethink our approach, in a way that takes difference and variety, and the need for it, more seriously, both analytically and normatively.

Without offering a comprehensive blueprint for action here, it seems to me that comparative law offers some tools that will assist us here. Published in the institute’s own “Schwarze Reihe”, Jens Theilen’s excellent recent critique of the European Court of Human Right’s concept of the European consensus as a tool for assessing the margin of appreciation in concrete cases points us into the right direction. Rather than counting existing rules to determine the existence of a consensus or the lack of it, Theilen argues, the court should adopt a more contextualist comparative approach. We might also say that what we want here is simply serious comparative analysis, instead of just measuring the extent to which a putative universalizing project has or has not yet manifested and entrenched itself.

This might sound like something confined to the European Convention system, given that the Inter‑American Court for example has not adopted the concept of a margin of appreciation. But for me it illustrates a broader point. If we think about what human rights are and should become, and how we may try to interpret them, I think there is no way around this kind of analysis. In particular, if we are going to treat human rights documents as ‘living instruments’, then supranational human rights analysis needs to engage with the local discourses and practices where most of that living is actually done. Or, in other words, it needs to involve contextualized comparative analysis. Too often, however, human rights analysis either floats in a fairly abstract theoretical sphere or turns into just another language for good governance advice. Human rights, and perhaps public international law more broadly, need to turn comparative if they are to survive and thrive in an era in which the postwar Atlantic system no longer suffices either to explain the world or stabilize it.

The kind of comparative work we need in order to grapple with this reality is above all interested in understanding. It is only secondarily interested in advising or unifying: in making normative arguments, advancing overarching theories, or making recommendations. Indeed, it is often not much interested in any of these things at all.

This kind of work requires time and space to think and reflect. It also requires – not benefits from, but requires – exchange with others, outside of one’s own system, domestic networks, or familiar conceptual lenses. Most of these are things the MPIL could offer and offers to some already. It can provide a place to think and to study foreign jurisdictions without being subject to constant teaching obligations or funding pressures. It already offers access to resources not always part of a standard German law library. And it affords ample opportunity to talk with colleagues and visitors from other systems, and to connect to transnational networks.

And if we think in more radical terms still – I am truly pushing the boundaries now – the Max Planck Society might even consider offering a few more permanent positions, including for foreigners. The lack of realistic opportunities for long‑term employment is one of the major disadvantages of German academia in the eyes of foreign researchers, as a recent study has shown. This is particularly true for law, where the need to train students to pass the Staatsexamen (state examination) often serves as a wholesale argument against hiring foreigners. I believe this is a mistake. But while we can hope that German universities will do more to open up their feudal structures, including to the rest of the world, it would be encouraging to see the Max Planck Society taking a lead in this regard. It would be so well placed to do so.

[1] Photo: Miriam Aziz.

[2] Photo: Miriam Aziz.

Suggested Citation:

Michaela Hailbronner, Comparative Law for a Post-Hegemonic World, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-095445-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Der Weg in die Europäische Union

Accession to the European Union

Deutsch

Ein zeitloses Gutachten Hermann Moslers

Am 4. Oktober 1955 wandte sich Frits de Nerée tot Babberich an MPIL-Direktor Hermann Mosler mit einer Anfrage um ein Gutachten. Der Generalsekretär der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), Vorgängerin des Europäischen Parlamentes, war von dessen Ausschuss für politische Angelegenheiten und Außenbeziehungen beauftragt worden, Materialien zu der Fragestellung des Beitritts dritter Staaten zur EGKS zu sammeln.

Die Montanunion steht für Deutschlands Reintegration in die europäische Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Gutachten zum Beitritt dritter Staaten zur EGKS ist von ähnlicher Bedeutung für die europäische Integration des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Gutachten des Instituts waren seit dessen Neugründung 1949 vor allem durch deutsche Ministerien angefragt worden. 1955 aber gingen gleich zwei Anfragen von Seiten der Montanunion ein. Diese Gutachten sind Ausdruck der Öffnung des Instituts jenseits deutscher Grenzen.

Diese Öffnung ist eng verbunden mit der Person Hermann Moslers. Das ist kein Zufall. Der 1955 43 Jahre alte deutsche Völkerrechtler war in den Anfangsjahren des Auswärtigen Amtes zuständig für die Rechtsabteilung und in dieser Funktion eingebunden in die Ausarbeitung des Schuman-Plans.[1] Von 1954 an führte Hermann Mosler das Max-Planck-Institut 26 Jahre und war entscheidend für den neuen Fokus der Forschungseinrichtung.[2] Bis Kriegsende war im Institut das Völkerrecht vor allem zur Beantwortung von Fragen herangezogen worden, die Deutschland betrafen. Mit Mosler weitete sich der Blick auf internationale Organisationen, internationale Beziehungen und die sich entwickelnde europäische Integration.

Dass Mosler auf internationalem Parkett als unbelasteter Verhandlungspartner wahrgenommen wurde, kann auch durch die persönliche Geschichte de Nerées verdeutlicht werden. Zwischen 1942 und 1944 war der Politiker von den deutschen Besatzern als eine von 1400 niederländischen Geiseln im Lager St. Michielsgestel als Faustpfand zur Verhinderung von Attentaten durch Widerstandsbewegungen gefangen gehalten worden.[3] Trotz dieser einschneidenden Erfahrung wandte sich der Niederländer 1955 an den prominenten deutschen Völkerrechtler, nicht um den deutschen Standpunkt abzufragen, sondern um ein europäisches Gutachten zu erhalten zu einer zeitlos aktuellen Frage.

De Nerée 1950 in Amsterdam[4]

Denn Erweiterung ist fast 70 Jahre später weiterhin ein Thema. Immer noch wollen Staaten der Europäischen Union beitreten. Geändert hat sich allerdings die Haltung der Mitgliedstaaten. In den Anfängen wurde die Offenheit der Gemeinschaft unterstrichen, worauf sowohl Mosler im Gutachten als auch de Nerée im Schriftverkehr hinweisen, um die Angst vor der „Bildung eines wirtschaftlichen Machtblocks zu zerstreuen“ (S. 6 des Gutachten Moslers; alle weiteren Seitenangaben beziehen sich auf das Gutachten). Heute bestimmen die Grenzen der Erweiterung und neue Beitrittsbedingungen die Diskussion. So sieht Art 49 EUV, der den Beitritt zur EU regelt, mittlerweile auch politische Kriterien vor für einen Beitritt. Als de Nerée das Beitritts-Gutachten bei Mosler anfragte, waren die Fragen noch viel allgemeiner: Wie sollte die wirtschaftliche Eingliederung neuer Mitgliedstaaten in die Montanunion erfolgen? Wie ein Beitritt in eine so stark integrierte Gemeinschaft, wie es die Montanunion für damalige Verhältnisse bereits 1955 war? Ähnlich offen war auch die Frage, mit der sich der Gutachter konfrontiert sah: Muss, und wenn ja inwiefern, der EGKS-Vertrag abgeändert werden, um den Beitritt dritter Staaten zur Montanunion zu ermöglichen?

Der zu dem Gutachten überlieferte Schriftverkehr zeigt, dass Hermann Mosler sich zunächst darauf konzentrierte, die Frage zu präzisieren. Dafür nahm er Kontakt zu Marga Klompé auf. Die Niederländerin war eine wichtige Ansprechpartnerin, gehörte sie als als Berichterstatterin dem Ausschuss an, der Generalsekretär de Nerée gebeten hatte, Materialien zu der Beitrittsfrage zusammenzustellen. Marga Klompé, wie ihr Landsmann aus der Grenzregion zu Deutschland stammend, wurde später die erste Ministerin in den Niederlanden. Sie war zudem das erste weibliche Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der EGKS.[5]

Marga Klompé (1956)[6]

Der Austausch zwischen Gutachter und Ausschussberichterstatterin führte zur Präzisierung der Frage, ob unterschieden werden müsse zwischen dem Beitritt eines Staates mit Kohle- und Stahlproduktion wie etwa Österreich, oder ohne, wie etwa Dänemark. Da diese Präzisierung noch einiges offenließ, nahm Mosler selbst eine Unterteilung seines Gutachtens in mehrere Unterfragen vor. In einem ersten Schritt erläutert er die Frage, wie ein Beitritt abläuft und damit die rechtliche Bedeutung der Vorgaben zum Beitritt in Art 98 EGKS und den dort vorgesehenen Zuständigkeiten der Organe (S. 5 ff.). In einem weiteren Schritt widmet er sich der Frage der Wirkung des Beitritts auf die Organe. Er prüft, ob im Vertrag Anpassungen vorgenommen werden müssen, da dieser die Besetzung der Organe auf die konkreten Mitglieder zuschneidet. Mosler diskutiert in diesem Zusammenhang die Fragen nach Gleichgewicht und Besetzung von Hoher Behörde, Beratendem Ausschuss (heute Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss), Rat und Gemeinsamer Versammlung der Gemeinschaft (S. 35 ff.). Der letzte Teil seines Gutachtens beschäftigt sich mit Fragen der Übergangsfristen für den Beitritt, insbesondere mit Blick auf Marktbeitritt, der Anpassungszeiten erforderlich mache (S. 71 ff.).

Auf dem Weg in eine neue Rechtsordnung

Die Argumente, die Hermann Mosler im Gutachten heranzieht, beruhen hauptsächlich auf dem Völkerrecht. Er diskutiert eine analoge Anwendung von Verfahren aus völkerrechtlichen Verträgen. Die Übertragbarkeit von Mechanismen aus anderen Abkommen auf die EU wirkt heute befremdlich. Doch das Gutachten entsteht 1955, also noch vor dem großen nächsten Integrationsschritt, den Römischen Verträgen. Erst diese veranlassen den Europäischen Gerichtshof in seinem Van Gend en Loos-Urteil festzustellen, dass „die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt“.[7] Erst damit beginnt die sui generis-Debatte, der zufolge die Europäische(n) Gemeinschaft(en) etwas ganz Neues darstellen, das nicht nach völkerrechtlichen, sondern eigenen Maßstäben zu beurteilen ist. Heute ist es selbstverständlich, dass zur Auslegung der Verträge EU-Recht mit der entsprechenden vom EuGH entwickelten Methodologie angewandt wird. Dieses Gutachten erinnert daran, dass dies nicht immer so war und eine derartige Entwicklung für die Akteure damals nicht absehbar war. Nicht umsonst gilt das Van Gend en Loos-Urteil als revolutionär. Nichtsdestotrotz ergibt sich schon aus Moslers völkerrechtlich geprägten Überlegungen, dass die Gemeinschaft bereits 1955 so stark integriert war und viel stärker in die Souveränitätsrechte der Mitglieder eingriff als andere völkerrechtliche Verträge, dass Mosler oft keine Parallelen zu anderen Verträgen ziehen konnte und daher eher Abgrenzungen von bestehen Verträgen rechtfertigte. So stellt er im ersten Teil des Gutachtens klar, dass anders als bei UN-Konventionen ein Beitritt durch einfache Notifikation nicht möglich ist (S. 6) und erklärt an anderer Stelle, warum eine Anwendung der Mechanismen des GATT nicht auf die Gemeinschaft übertragbar sei.

Der EGKS-Vertrag vom 18. April 1951[8]

Insgesamt bietet das Gutachten einen guten Einblick in die Anfänge der Europäischen Union. Neben den völkerrechtlichen Grundlagen lässt sich aus dem Gutachten die erste Absicht des europäischen Projekts als deutsch-französisches Friedenprojekt erkennen, das auf der Zusammenlegung von Produktion beider Länder beruht. Die deutliche Privilegierung Deutschlands und Frankreichs im EGKS-Vertrag wirkt sich dementsprechend auf das Gutachten Moslers aus. Insbesondere die Besetzung der Hohen Behörde und die Abstimmungsmehrheiten im Ministerrat beschäftigen Mosler auch unter diesem Aspekt (S. 36 ff.). Interessant ist zum Beispiel, dass die Hohe Behörde aus jeweils einem Mitglied aus den Benelux-Ländern und Italiens, aber aus zweien aus Deutschland und Frankreich besteht. Das neunte Mitglied, der Präsident der Hohen Behörde, wird von den anderen acht bestimmt (Kooptationsverfahren). Diese spezielle Zusammensetzung und ihr Erhalt nehmen viel Raum im Gutachten ein – Überlegungen, die heute auf den ersten Blick keine Rolle mehr spielen. Tatsächlich dreht sich die seit langem diskutierte Verkleinerung der Kommission aber exakt um dieselben Fragen der „Repräsentation“ der Mitgliedstaaten in der Kommission – auch wenn die Kommission eigentlich von den Mitgliedstaaten unabhängig ist.[9]

Die generelle Problematik der Besetzung der Institutionen ist geblieben. Mosler stellte 1955 fest, dass „[k]ein allgemein anwendbares Prinzip festgelegt“ wurde für die Ernennung der Mitglieder der Hohen Behörde und die Zahl der Abgeordneten pro Mitgliedstaat, stattdessen wurden die Zahlen anhand der „Gründungssituation“ bestimmt (S. 53). Damit müssen diese Zahlen bei jedem Beitritt angepasst oder geändert werden. Dies war dann auch bei den ersten Beitritten 1973 der Fall (s. Art 10 ff. der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der Verträge[10]) und hat sich bis heute nicht verändert. Die Zahlen werden jedes Mal neu ausgehandelt und für die bestehenden Mitglieder festgelegt. So wurden auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU die Sitze im Europäischen Parlament neu verteilt.[11] Auch die Debatte über die Bildung von Mehrheiten und Blockierungsminderheiten im Rat (im Gutachten auf S. 62 ff. diskutiert) führte noch in Nizza 2001 zu nächtelangen Diskussionen über Stimmgewichtungen.[12]

Sehr aktuell ist das Gutachten von 1955 auch im Hinblick auf die Kompetenzproblematik zwischen Union und Mitgliedstaaten. Mosler stellt in seinem Gutachten klar, dass der Rat (bzw. die von ihm beauftragte Hohe Behörde) bei Beitrittsverhandlungen in Vertretung der Mitgliedstaaten auftritt, und nicht in Vertretung der Gemeinschaft (S. 87). Im Rückblick bleiben viele Überlegungen Hermann Moslers relevant, auch wenn dies damals keineswegs sofort klar war. Denn die Anfrage an den Völkerrechtler fiel in eine Zeit des europäischen Umbruchs.

Moslers Gutachten in Zeiten des Europäischen Umbruchs

Den EGKS-Ausschuss hatte eine begrenzte, aktuelle Frage beschäftigt: Muss der Pariser Vertrag verändert werden? Doch während Hermann Mosler sich dieser Fragestellung widmete, entstand eine neue Dynamik im europäischen Reformprozess. Das im italienischen Messina gegründete intergouvernementale Spaak-Komitee arbeitete weitreichende Reformideen aus für einen ganz neuen Vertrag. Am 14. Mai 1955 forderte die Gemeinsame Versammlung in ihrer Resolution 35 die Außenminister auf, eine oder mehrere Regierungskonferenzen zu beauftragen mit der Ausarbeitung von Vertragsentwürfen, die für die weitere europäische Integration notwendig seien.[13] So wirkte Hermann Moslers Gutachten fast überholt, als kurz nach dessen Abgabe am 12. Januar 1956 im April des Jahres der Spaak-Bericht[14] veröffentlicht wurde – und in der Folge die Arbeiten an zwei neuen europäischen Verträgen, den Römischen Verträgen begannen.[15] Auch die Gemeinsame Versammlung, Moslers Auftraggeber, hatte nach dem Spaak-Bericht zur Ausarbeitung neuer Verträge aufgerufen.[16]

Doch die Römischen Verträge ersetzten den EGKS-Vertrag nicht, sie ergänzten ihn nur. Art. 232 (1) des EWG-Vertrags hält fest: „Dieser Vertrag ändert nicht die Bestimmungen des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, …“. Damit behielt auch das Gutachten seine Relevanz. 1967 folgte eine weitere, gewichtige europarechtliche Entwicklung: Die Römischen Verträge wurden mit dem Vertrag über die EGKS im Fusionsvertrag zusammengeführt, und die Europäische Gemeinschaft (EG) entstand. Deshalb waren die ersten Beitritte im Jahr 1973 Beitritte zur Europäischen Gemeinschaft. Doch der EGKS-Vertrag bestand bis zu seinem Auslaufen 2002 weiter. Damit blieben die Überlegungen Moslers in seinem Gutachten auch nach den Römischen Verträgen und der Fusion von Bedeutung, weil Beitritte zur EG immer auch einen Beitritt zum EGKS-Vertrag beinhalteten. Zudem entspricht die Beitrittsklausel in Art 237 des EWG-Vertrags weitestgehend der in Art 98 EGKS-Vertrag.

Aber der EWG-Vertrag beschreibt in Art. 237 ein konkreteres Beitrittsverfahren als bis dahin. Absatz 1 ist noch sinngemäß übernommen aus dem EGKS-Vertrag, doch in Absatz 2 formulieren die Mitgliedstaaten Vorgaben und Zuständigkeiten für den Beitritt: „Die Aufnahmebedingungen und die erforderlich werdenden Anpassungen dieses Vertrags werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften.“ Auffallend ist, dass dieser Absatz den Vorschlägen entspricht, die auch Hermann Mosler in seinem Gutachten gemacht hat. Es wird die Zuständigkeit des Rats geklärt, Vertragsanpassungen werden explizit genannt und das Ratifizierungsverfahren wird erläutert. Diese Formulierungen existieren weiter in art. 49 EUV, bis heute. Auch wenn nicht mehr feststellbar ist, wie sehr die Überlegungen des Institutsdirektors die Europäischen Verträge tatsächlich beeinflusst haben: Sicher ist, dass die Vorschriften für einen Beitritt viele andere Vorgaben überlebt haben. Sie werden angewandt, weiter ergänzt und sind damit immer noch in der Diskussion.

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Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und spiegeln in keiner Weise die Ansichten des Rates der Europäischen Union oder des Europäischen Rates wider.


[1] Jochen Abr. Frowein, Hermann Mosler 70 Jahre, AöR 107 (1982), 630–632 (630).

[2] Ibid.

[3] Frits Groeneveld, Het dubbelgezicht van Michielsgestel, NRC Handelsblad (15.08.1992),            https://web.archive.org/web/20090509221217/http://www.nrc.nl/europa/in_europa/article1517350.ece/Het_dubbelgezicht_van_Michielsgestel (letzter Aufruf 30.12.2022).

[4] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frits_de_Ner%C3%A9e_tot_Babberich_(1950).jpg

[5] Zu Marga Klompé, Angelika Fliegner in https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/personen/margaklompe.shtml (letzter Aufruf 30.12.2022).

[6] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Klomp%C3%A9,_dr._Marga_A._M._-_SFA002001927.jpg

[7] C-26/62, Van Gend en Loos / Administratie der Belastingen, ECLI:EU:C:1963:1, S. 25.

[8] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1951_CECA_ECSC.jpg?uselang=de

[9] Zur Entwicklung der Anzahl von Kommissaren, s. Neill Nugent, Mark Rhinard (Hrsg.), The European Commission, London: Palgrave Macmillan 2015, S. 97 f.

[10] Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der Verträge, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:1972:073:FULL&from=DE (letzter Aufruf 31.12.2022).

[11] Neuverteilung der Sitze im Europäischen Parlament nach dem Brexit, EP Pressemitteilung (31.01.2020), https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20200130IPR71407/neuverteilung-der-sitze-im-europaischen-parlament-nach-dem-brexit (letzter Aufruf 31.12.2022).

[12] Zu den Verhandlungen in Nizza siehe Pierre de Boissieu et al. (Hrsg.), National Leaders and the Making of Europe – Key Episodes in the Life of the European Council, London: John Harper Publishing 2015, Kap. 13.

[13] Résolution 35 de l’Assemblée commune de la CECA (Strasbourg, 14 mai 1955)            , https://www.cvce.eu/obj/resolution_35_de_l_assemblee_commune_de_la_ceca_strasbourg_14_mai_1955-fr-02b1c4c5-7302-489b-849b-12dab73a0a5d.html (letzter Aufruf 31.12.2022).

[14] Zum Spaak Bericht: https://www.cvce.eu/collections/unit-content/-/unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/22ee1520-b285-4dd4-b69d-a8d807fb4669 (letzter Aufruf 30.12.2022).

[15] Zur Chronologie der Entwicklungen hin zu den Römischen Verträgen: https://www.cvce.eu/collections/unit-content/-/unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/ece2ffe3-374f-4d47-82e4-a88bda87a948#4fb59ef7-9500-4448-9dd7-7fb10eea5af2_fr&overlay (letzter Aufruf 31.12.2022).

[16] Résolution 47 de l’Assemblée commune de la CECA (Strasbourg, 11 mai 1956),           https://www.cvce.eu/obj/resolution_47_de_l_assemblee_commune_de_la_ceca_strasbourg_11_mai_1956-fr-32ab1ff4-3ccb-4aaa-88e2-931337d37c71.html (letzter Aufruf 31.12.2022).

English

A Timeless Legal Opinion by Hermann Mosler

On 4 October 1955, Frits de Nerée tot Babberich approached MPIL Director Hermann Mosler requesting an expert opinion. De Nerée, the Secretary-General of the Common Assembly of the Coal and Steel Community (ECSC), the European Parliament’s predecessor, had been asked by the committee on Political Affairs and External Relations to assemble background information on questions surrounding the accession of third States to the ECSC.

The Coal and Steel Community is symbolic of Germany’s reintegration into the European order after the Second World War. It can be argued that the requested opinion on the accession of third States to the ECSC is of similar importance for the European integration of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law.

Since its re-foundation in 1949, expert opinions from the Institute had been commissioned primarily by German ministries. In 1955, however, the Institute received two requests from the ECSC – one of which this contribution aims to discuss. These requests reflect the opening of the Institute beyond Germany – and the welcoming of a German research organisation into a European context.

This opening is closely linked to the person of Hermann Mosler. This is no coincidence. The German international lawyer – 43 years old in 1955 – had been the head of the legal department of West Germany´s Foreign Office in its early years and in this capacity had been involved in the drafting of the Schuman plan.[1] From 1954 on, Mosler headed the Max Planck Institute for 26 years and was instrumental in its new outward focus.[2] Until the end of the war, the Institute had referred to international law primarily in order to answer questions concerning Germany. With Mosler, the focus broadened: the Institute now looked more closely at international organisations and examined international relations and the beginning of European integration.

Hermann Mosler was perceived as an unencumbered partner on the international stage and Frits De Nerée’s personal history can serve to illustrate this. Between 1942 and 1944, the Dutch politician had been held by the German occupiers as one of 1400 Dutch hostages in the St. Michielsgestel camp as a bargaining chip to prevent assassinations by the Dutch resistance.[3] Despite this drastic experience, the Dutchman turned to the prominent German international lawyer in 1955 – not to enquire about the German perspective, but to obtain a European expert opinion on a timeless issue.

De Nerée 1950 in Amsterdam[4]

The enlargement of the then ECSC and now the European Union is still a hotly debated issue almost 70 years later. Countries still want to join the European Union. However, the attitude of the EU Member States towards enlargement has changed since. In the early days, it was important to emphasise the Community’s openness in order to allay fears of “the formation of an economic bloc” (p. 6 of Mosler’s expert opinion, tr. LB; all further page references are to Mosler’s opinion). Mosler´s opinion and his correspondence with de Nerée are good examples for this approach.

Today, it is the EU’s enlargement capacity and new accession criteria that dominate the discussion. Article 49 TEU, which regulates accession, now also provides political criteria for accession. At the time when the Secretary General of the Common Assembly of the Coal and Steel Community requested the legal opinion on accession from the Head of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, the questions were much more general: how should new Member States be integrated economically? How would accession be possible to a community as strongly integrated as the ECSC already was by 1955 standards? Similarly open was the question of whether the ECSC Treaty needed to be amended to allow the accession of third States, and if so, to what extent.

Hermann Mosler concentrated his efforts on clarifying these questions, as the correspondence concerning the commissioned report shows. To do so, he contacted Marga Klompé, the rapporteur on the Common Assembly committee which had asked de Nerée to compile materials on the accession question. Marga Klompé, the first female member of the ECSC Common Assembly, came from the region on the Dutch-German border, like her compatriot de Nerée.[5]

Marga Klompé (1956)[6]

The exchange between Mosler and Klompé helped clarify that the expert opinion should also address the question whether it was necessary to distinguish the accession of third states with a coal and steel production (such as Austria) from that of states without such production (such as Denmark). Hermann Mosler further divided his report into several sub-sections discussing accession conditions and logistics. First, he examined the legal requirements for accession and the competences of the institutions as set out in Art. 98 of the Treaty of Paris establishing the ECSC (p. 5 ff.). Then he addressed the question of the effect of accession on the institutions. He assessed whether Treaty changes would be necessary since the Treaty tailored the institutions’ composition to the existing Member States. In this context Mosler discussed questions of balance and staffing of the High Authority (now the Commission), the Consultative Committee (now the European Economic and Social Committee), the Council, and the Common Assembly of the Community (p. 35 ff.). The last part of his report dealt with questions of transitional periods for accession, especially with regard to market entry (p. 71 ff.).

On the Way to a New Legal Order

In his expert opinion, Hermann Mosler relied on international law to support his arguments. He discussed an analogous application of procedures from other international treaties. Today, the transfer of mechanisms from international agreements to the EU seems odd. But the opinion dates from 1955, from before the next major step towards European integration which were the Rome Treaties in 1957. It was this next codification that prompted the European Court of Justice to declare in its Van Gend en Loos judgement that “the Community constitutes a new legal order of international law”[7]. Only then was the sui generis theory really launched, according to which the European Community(ies) represent an entirely new entity not to be appraised according to international law, but according to its own standards. Today, it is self-evident that the EU Treaties are to be interpreted using the methodology specific to EU law, as developed and monitored by the ECJ. Hermann Mosler’s legal opinion, however, reminds us that this has not always been a matter of course and that such a development was not necessarily foreseeable at the time. It is with good reason that the Van Gend en Loos judgement is considered revolutionary. Nevertheless, Mosler’s reflections indicate the high degree of integration of the ECSC at the time and the extent to which Member State sovereignty was affected. The German lawyer was often unable to draw parallels with other treaties under international law, he rather pointed out and justified distinctions from them in his opinion, as when he wrote that unlike for UN conventions, accession by simple notification is not possible (p. 6) and the mechanisms of the GATT are not transferable to the ECSC.

The Treaty of Paris establishing the ECSC, 18 April 1951[8]

Overall, Mosler’s report offers a good insight into the beginnings of what is today the European Union. In addition to the EU’s international law foundation, the legal opinion reveals the initial intention of the European project as a Franco-German peace project based on the pooling of production necessary for war. The fact that the ECSC Treaty clearly privileges France and Germany over the other Member States is also reflected in the report and informs Mosler’s examination of the composition of the High Authority and the voting majorities in the Council (p. 36 ff.). At the time, the High Authority consisted of one member each from the Benelux and Italy and two each from France and Germany. The President of the High Authority was appointed by the other eight members (co-optation procedure). The discussion of this specific composition and its preservation after the accession of new members takes up quite some space in the report – considerations which at first glance seem irrelevant today. However, in reality the issue of the size of the Commission is still very much alive today and revolves around the very same question of Member State representation – despite the fact that the Commission is actually independent of the Member States.[9]

In general, it can be said that the issue of appointments to the institutions remains to this day. Hermann Mosler noted in 1955 that “no generally applicable principle has been laid down” for the appointment of High Authority members and the members of deputies to the Assembly – instead the numbers were determined based on the situation at the founding of the ECSC (p. 53; tr. LB) meaning they would need to be adjusted with each accession. This was then the case for the first accessions in 1973 (see Art. 10 of the Act concerning the Conditions of Accession[10]) and it is still the case today when new members join. The same applied when the United Kingdom left the EU: the seats in the European Parliament were scraped or redistributed; [11] and the Commission was reduced to 27 Commissioners. The discussion of the formation of majorities and blocking minorities in the Council which occupied Mosler (p. 62 ff.) were also the object of night-long discussions as late as 2001 in Nice.[12]

Another issue where the 1955 report is still very topical is that of competence division between the EU and the Member States. For example, Mosler emphasises that the Council acts in representation of the Member States, and not the Community, during accession negotiations (p. 87).

In retrospect, many of Hermann Mosler’s considerations remain relevant, even if this was by no means immediately obvious as the request came at a time of European upheaval.

Mosler‘s legal opinion in times of European upheaval

The ECSC Assembly Committee had been preoccupied with a limited question: does the Paris Treaty need to be changed to allow for accession of third States? But as the German international law scholar Mosler started addressing this question, a new dynamic in the European integration process emerged. The intergovernmental Spaak Committee, founded in Messina, Italy, was working out far-reaching reform ideas for a completely new treaty. On 14 May 1955, the Common Assembly in its Resolution 35 called on the Member States’ foreign ministers in the Council to commission one or multiple intergovernmental conferences to draw up draft treaties necessary to allow for further European integration.[13] After the publication of the Spaak Report in April 1956, work started almost immediately on two new European treaties: the Treaties of Rome.[14] The Joint Assembly, which commissioned Mosler’s report, had also called for the drafting of new treaties after the publication of the Spaak Report.[15] Hermann Mosler’s report to Frits de Nerée had been submitted only three months earlier, on 12 January 1956. With the Spaak report out, it suddenly seemed almost outdated.

In the end, the Rome Treaties did not replace the ECSC Treaty, but rather supplemented it. Art. 232 (1) of the EEC Treaty states: “The provisions of this Treaty shall not affect the provisions of the Treaty establishing the European Coal and Steel Community, …”. They were finally brought together when the Rome Treaties were merged with the ECSC Treaty in the Merger Treaty, and the European Community (EC) was born. The first accessions in 1973 were therefore accessions to the EC. But as the ECSC Treaty continued to exist until 2002 within the Merger Treaty, Hermann Mosler’s 1955 legal opinion on accessions under the ECSC Treaty remained relevant: accessions to the EC always included accession to the ECSC. Moreover, the accession clause in Art. 237 EEC Treaty largely corresponded to that in Art. 98 of the ECSC Treaty.

Since Mosler’s opinion, however, the actual accession of new Member States has made it necessary to clarify the original provision. Art. 237 of the EEC Treaty therefore describes a more concrete accession procedure. Its first paragraph corresponds to the provision in the ECSC Treaty, but its second paragraph formulates requirements for accession and clarifies competences: “The conditions of admission and the amendments to this Treaty necessitated thereby shall be the subject of an agreement between the Member States and the applicant State. Such agreement shall be submitted to all the contracting States for ratification in accordance with their respective constitutional rules.” It is striking that this paragraph also corresponds to the proposals made by Hermann Mosler. The competence of the Council is settled, Treaty adaptations are explicitly mentioned, and the ratification procedure is explained. These formulations continue to exist in Art. 49 TEU. Even though it is no longer possible to determine how much Mosler’s legal opinion truly influenced the European Treaties, it is certain that the provisions the German legal scholar suggested in 1955 for accession have outlived many other provisions. They are being applied, specified, and supplemented – and continue to be discussed today.

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The views expressed in this article are the author’s and in no way reflect the views of the Council of the European Union or the European Council.

[1] Jochen Abr. Frowein, ‘Hermann Mosler 70 Jahre‘, AöR 107 (1982), 630–32 (630).

[2] Ibid.

[3] Frits Groeneveld, ‘Het dubbelgezicht van Michielsgestel’, NRC Handelsblad (15.08.1992),          https://web.archive.org/web/20090509221217/http://www.nrc.nl/europa/in_europa/article1517350.ece/Het_dubbelgezicht_van_Michielsgestel (last consulted on 19.10.2023).

[4] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frits_de_Ner%C3%A9e_tot_Babberich_(1950).jpg (last consulted 19.10.2023).

[5] On Marga Klompé, cf. Angelika Fliegner in https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/personen/margaklompe.shtml (last consulted 19.10.2023).

[6] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Klomp%C3%A9,_dr._Marga_A._M._-_SFA002001927.jpg (last consulted 19.10.2023).

[7] C-26/62, Van Gend en Loos / Administratie der Belastingen, ECLI:EU:C:1963:1, 12.

[8] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1951_CECA_ECSC.jpg?uselang=de (last consulted 19.10.2023).

[9] On the development of the number of Commissioners, cf. Neill Nugent and Mark Rhinard (eds), The European Commission (London: Palgrave Macmillan 2015), 97 f.

[10] Act concerning the Conditions of Accession and the Adjustments to the Treaties, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=OJ:L:1972:073:FULL (last consulted 19.10.2023).

[11] Redistribution of seats in the European Parliament after Brexit, EP Press release (31.01.2020), https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20200130IPR71407/redistribution-of-seats-in-the-european-parliament-after-brexit (last consulted 19.10.2023).

[12] On the negotiations in Nice, cf. Pierre de Boissieu et al. (eds), National Leaders and the Making of Europe – Key Episodes in the Life of the European Council (London: John Harper Publishing 2015), Ch. 13.

[13] Résolution 35 de l’Assemblée commune de la CECA (Strasbourg, 14 mai 1955)            , https://www.cvce.eu/obj/resolution_35_de_l_assemblee_commune_de_la_ceca_strasbourg_14_mai_1955-fr-02b1c4c5-7302-489b-849b-12dab73a0a5d.html (last consulted 19.10.2023).

[14] For the chronology of developments towards the Rome Treaties, see https://www.cvce.eu/collections/unit-content/-/unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/ece2ffe3-374f-4d47-82e4-a88bda87a948#4fb59ef7-9500-4448-9dd7-7fb10eea5af2_fr&overlay (last consulted 19.10.2023).

[15] Résolution 47 de l’Assemblée commune de la CECA (Strasbourg, 11 mai 1956),           https://www.cvce.eu/obj/resolution_47_de_l_assemblee_commune_de_la_ceca_strasbourg_11_mai_1956-fr-32ab1ff4-3ccb-4aaa-88e2-931337d37c71.html (last consulted 19.10.2023).

Suggested Citation:

Lea Berger, Accession to the European Union, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20231109-163501-0
Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED