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Vom Kriegsgefangenen-Lager zum Völkerrechts-Colloquium: Drei Schlaglichter auf die Biographie Rudolf Bernhardts im Kontext der Institutsgeschichte nach 1945

Die berufliche Laufbahn meines Vaters Rudolf Bernhardt (1925-2021) war in vielfältiger Weise mit dem MPIL verbunden, arbeitete er doch hier zunächst von 1954 bis 1965 als Referent, dann von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1993 als einer der Direktoren und blieb dem Institut auch danach eng verbunden.[1] Dieser Beitrag deutet anhand von drei Lebensausschnitten – der Kriegsgefangenschaft 1945-47, der Zeit der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre sowie der Völkerrechtskolloquien mit Polen ab 1974 – schlaglichtartig an, wie sich einige seiner persönlichen und wissenschaftspolitischen Positionen im zeitgeschichtlichen Kontext herausbildeten und artikulierten. Solche individuellen Werdegänge und Sichtweisen haben, wie bereits für andere Führungspersönlichkeiten am Institut, zum Beispiel Hermann Mosler und Karl Doehring, gezeigt wurde,[2] die Entwicklung des MPIL nicht unwesentlich geprägt. Neben den hier präsentierten drei „Schlaglichtern“, die vorrangig aus den privaten Tagebüchern nachgezeichnet werden, ließen sich natürlich zahlreiche weitere anführen, die in anderen Artikeln dieses Blogs auch gestreift werden.[3] Dass der vorliegende Beitrag aus meiner sehr speziellen Perspektive als Sohn Rudolf Bernhardts und professioneller Zeithistoriker geschrieben ist, wird am Schluss kurz reflektiert.

1. Eindrücke aus der Kriegsgefangenschaft

Die gut zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947 hat mein Vater als junger Mann mehrfach nur mit viel Glück und äußerst knapp überlebt. Sein 1948 dazu niedergeschriebener detaillierter Erfahrungsbericht, der erstmals 76 Jahre später im April 2024 im Franz-Steiner Verlag veröffentlicht wurde,[4] gewährt drastische Einblicke in seine Erlebnisse in den sowjetischen Arbeitslagern nordöstlich von Moskau. Immerhin waren ihm in der Kriegszeit eine persönliche Verwicklung in Kampfhandlungen und damit die traumatischen Kriegserfahrungen vieler Altersgenossen, insbesondere an der „Ostfront“, erspart geblieben. Als 18-Jähriger am 1. Juli 1943 zur Reichswehr einberufen, hatte er in seiner zweijährigen Soldatenzeit bis Kriegsende eine Fliegerausbildung an mehreren „Fliegerhorsten“ bzw. Flugschulen im „Altreich“, wie zum Beispiel in Oschatz und Werder an der Havel, absolviert. Von dort aus war er auch periodisch zu Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen in Städte wie Nürnberg und Berlin abgeordnet und am 1. Mai 1945 bei Potsdam von sowjetischen Truppen festgenommen worden.[5]

Vier markante Aussagen aus dem genannten Bericht von 1948 reflektieren wichtige Erfahrungen und Schlussfolgerungen des 22-jährigen Rudolf Bernhardt:
Erstens und vor allem schildert der Bericht die extremen Lebensbedingungen in den sowjetischen Arbeitslagern, in denen mein Vater härteste Waldarbeit verrichten und wiederholt lebensgefährliche Gefahrensituationen und Erkrankungen überstehen musste. Zweitens übte er aus der Perspektive eines jungen, einfachen Gefangenen vom untersten Ende der brutalen Lagerhierarchie scharfe Kritik am Regime der als „Brigadeleiter“ fungierenden, vielfach privilegierten deutschen Offiziere, die er verantwortlich machte für zahlreiche willkürliche Gewaltexzesse und vermeidbare Todesfälle von Mitgefangenen. Drittens artikulierte er, in der einfachen Diktion eines 22-Jährigen, in kategorischer Abgrenzung zum NS- und zum sowjetischen Regime eine emphatische Ablehnung von „Militarismus“ und jedwedem „Nationalismus“. Viertens schließlich erörterte er, in kritischer, aber relativ nüchterner Diktion, weitere Seiten des Sowjetregimes, dem er zwar gewisse Erfolge bei der Alphabetisierung und Industrialisierung zugestand, dessen Wirtschaftssystem, massive Propaganda und brutale Unterdrückung der Zivilgesellschaft er aber strikt ablehnte.[6]

Wie wirkten nun diese Erlebnisse und Wertungen des 22-Jährigen in seiner späteren Laufbahn als Völkerrechtler, Direktor am MPIL und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nach? Auf den ersten Blick – scheinbar gar nicht: In seinen zwei veröffentlichten berufsbiographischen Skizzen widmet er ihnen nur wenige, zurückhaltende Sätze,[7] im Familiengespräch wurden sie kaum thematisiert,[8] eine direkte Einwirkung auf berufliche Richtungsentscheidungen – von der Wahl des Studienfachs, des Promotionsthemas oder der Forschungsschwerpunkte Völkerrecht und Menschenrechte bis zur Tätigkeit als Richter am EGMR – ist nicht dokumentiert, teilweise sogar auszuschließen.[9]
Jedoch formten diese frühen Erlebnisse zweifellos persönliche Grundhaltungen, die in seine Berufstätigkeit als ein Faktor unter mehreren einflossen, so zum Beispiel in kollegiale Beziehungen und wissenschaftspolitische Positionierungen. Zu diesen Grundhaltungen gehörten eine geringe Affinität zum militärischen Habitus und Denken – auch weil ihm der „Krieg als Primärerfahrungsraum“ [10] vieler Altersgenossen erspart geblieben war –, eine entschieden transnationale Orientierung,[11] eine nüchtern-distanzierte Haltung gegenüber der Sowjetunion sowie eine lebensbejahende und humanistische Weltsicht. Einen Beleg für diese These eines unterschwelligen, aber prägenden Nachwirkens der Erfahrungen aus der Kriegsgefangenschaft  findet sich in einer prägnanten Bemerkung seines amerikanischen Kollegen und Freundes Thomas Buergenthal in der Laudatio zum 80. Geburtstag meines Vaters 2005:

„I developed great affection to him, no doubt also influenced by the fact that his years as prisoner of war and mine in a concentration camp have given us a shared appreciation of the joy of being alive and a profound belief in the need to promote laws and institutions capable of contributing to a world in which future generations are spared the suffering our generation and that of our parents had to endure.” [12]

Generationengeschichtliche Konstellationen

In einer erweiterten historischen Sicht auf die ersten Nachkriegsjahre in der Bundesrepublik ist zu erkennen, dass die Grundhaltungen meines Vater sich erfahrungs- und generationengeschichtlich stark mit denen der sogenannten „Flakhelfer“-Generation der Jahrgänge 1926 bis 1930 deckten, die Heinz Bude als Träger- und Aufstiegsgeneration der Bundesrepublik untersucht und entschieden von der nur wenig älteren „Kriegsgeneration“ des Zweiten Weltkriegs abgegrenzt hat.[13] Ohne hier auf Details einzugehen ist festzuhalten, dass die Angehörigen der Flakhelfer-Generation, so auch mein Vater, als Jugendliche der massiven Indoktrination des NS-Systems ausgesetzt gewesen waren und dessen Niederlage auch als Zusammenbruch einer sie prägenden Weltanschauung erlebten. Für die darauf gemünzte, bekannte zeitgenössische Diagnose des Soziologen Helmut Schelsky von der gegenüber politisch-ideologischen Großentwürfen „skeptische(n) Generation“ (1957)[14] enthält der Erfahrungsbericht meines Vaters von 1948 zahlreiche charakteristische Formulierungen.[15] Eine vergleichende generationengeschichtliche  Analyse unter Einschluss der anderen Führungspersönlichkeiten des MPIL, wie für die gesamte Belegschaft, könnte aufschlussreiche Einblicke in personelle Konstellationen und sozialkulturelle Wandlungsprozesse im Institut liefern.

Geburtsjahr und Amtszeiten der Direktoren des MPIL 1954-2002. Es ist ersichtlich, dass alle in dieser Zeit amtierenden Direktoren den Nationalsozialismus bewusst erlebt haben, jedoch war nur einer (Karl Doehring) als Militär in Kriegshandlungen aktiv.

Wenn Bude, wie auch andere, die Rezeption zeitgenössischer belletristischer Literatur als einen der prägenden wie abgrenzenden Indikatoren zwischen den Nachkriegs-Generationen anführt und für die „Flakhelfer-Generation“ Namen wie Günter Grass, Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser oder Ingeborg Bachmann nennt,[16] so bestimmten diese Autoren tatsächlich auch den frühen Lektürekanon meines Vaters. Im Rahmen seines Jurastudiums an der Universität Frankfurt am Main ab dem Wintersemester 1948 hat er neben den Seminaren in seinem Kernfach auch Veranstaltungen anderer Fächer besucht, so zum Beispiel des Philosophen Max Horkheimer sowie zur Philosophie- und Literaturgeschichte. Dazu exzerpierte er auf hunderten von Seiten den klassischen Philosophie- und Literaturkanon, von Platon und Sophokles über Kant und Schiller bis zu Balzac und Tolstoi.[17] Die Stillung eines aufgestauten Lesehungers hat er in den ersten Nachkriegsjahren buchstäblich als zweite Befreiung erlebt, ebenso wie private Fahrten nach West- und Südeuropa. Letztere verankerten und festigten früh, zusammen mit den ersten beruflichen Auslandsreisen 1953 zum „Salzburg Seminar in American Studies“ und 1959 an die Harvard Law School in den USA, seine „transnationale“ Orientierung.[18]

Salzburg Seminar in American Studies 1953, Gruppenfoto (Rudolf Bernhardt dritte Reihe von unten ganz rechts)[19]

2. Die Zeit der „Studentenunruhen“

Bekanntlich trat mein Vater nach seiner Promotion bei Hermann Mosler 1954 in das MPIL ein und arbeitete dort für gut zehn Jahre als Wissenschaftlicher Referent, bis er 1965 auf das Ordinariat „Öffentliches Recht IV“ an der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt berufen wurde.[20] Als relativ junger Professor, der sich auf der „liberal-konservativen“ Seite des politischen Spektrums verortete und just beim Beginn der Studentenrevolte 1967/68 die Würde und Bürde des Dekans der juristischen Fakultät übertragen bekam, fand er sich in der Folgezeit generationell und hochschulpolitisch zwischen allen Stühlen wieder.

Protestaktionen der Studierenden einerseits, wie Sitzblockaden – bei deren Überwinden ihn ein bekanntes zeitgenössisches Foto zeigt – und die Erwartungen konservativer Kollegen sowie Gespräche mit dem Konrektor der Universität andererseits, erzeugten hochschulpolitische und alltagskulturelle Zerreißproben. Sie werden in den Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit deutlich: „Demagogisch aufgehetzte Studentenmengen in der Universität, Belagerungen von Konzil und Senat (…), systematische Störungen von Veranstaltungen und verabredeten Diskussionen, durch radikale, ideologisch und praktisch begabte Minderheiten (…)“. [21] „Als gerade gekürter Dekan hatte ich mich nach allen Seiten zur Wehr zu setzen, auch gegen manche Kollegen“.[22] „Unter den Professoren erzkonservative und auch (ehrlich oder opportunistisch) radikal-progressive Exemplare, die Mitte wird zerschlissen“. [23]

Studentische Sitzblockade an der Universität Frankfurt a.M. 1968 (Rudolf Bernhardt hinten Mitte rechts)[24]

Anhand seiner Auseinandersetzung mit den politisch hoch umstrittenen „Notstandsgesetzen“ lässt sich die vielfach widersprüchliche Entwicklung in diesen Jahren andeuten. Begonnen hatte mein Vater die fachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bereits in den frühen 1960er Jahren noch als Referent im MPIL, offensichtlich im Gespräch oder zumindest zeitlich parallel zu Hermann Mosler und Karl Doehring. Alle drei teilten die rechtsvergleichende Sicht auf das Sujet, das mein Vater bereits im Herbst 1963 in einem Vortrag auf einer Tagung der Österreichischen und Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung in Wien ansprach.[25] Im Herbst 1965 wählte er es auch als Gegenstand seiner Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt. Obwohl sich zu dieser Zeit die öffentliche Kontroverse über die geplante Novelle des Grundgesetzes bereits zuspitzte,[26] konnte man, nach seinen Aufzeichnungen, vor dem „Ausbruch der Unruhen“ 1967 „über die geplante ‚Notstandsverfassung‘ (…), auch bei dem sozialistischen Studentenbund, noch ungestört referieren und diskutieren“.[27] In seiner Antrittsvorlesung zur sogenannten Notstandsverfassung, die am 22. Februar 1966 in der FAZ abgedruckt wurde, plädierte Rudolf Bernhardt dezidiert für eine „knappe, griffige Notstandsformel“.

Beitrag Rudolf Bernhardts zur „Notstandsverfassung“ in der FAZ vom 22. Februar 1966

Die kurz zuvor im Sommer 1965 vom Bundestag diskutierte Fassung „in Bausch und Bogen als Anschlag auf die Demokratie abzulehnen“, zeige „Unkenntnis“ oder „abgrundtiefes Mißtrauen gegenüber den (…) demokratisch gewählten politischen Kräften unseres Landes“. Andererseits kritisierte er scharf die sieben bereits 1965 vom Bundestag verabschiedeten „einfachen Notstandsgesetze“ als „grotesken Perfektionismus“ von „überbordender Regelungswut“ und als teilweise verfassungswidrig. Das Fazit des FAZ-Beitrags lautete: „In Kenntnis des Risikos muss man auf ein Höchstmaß an Sicherheit verzichten, um mehr als ein Mindestmaß an Freiheit zu erhalten“.[28] Es wäre interessant, aus rechtsgeschichtlich kompetenter Sicht – die mir fehlt – die juristischen Positionen und einzelnen Argumente meines Vaters mit denen von Hermann Mosler und Karl Doehring in ihren ausführlichen Statements in der Sitzung des Rechts- und des Innenausschusses des Bundestages am 7. Dezember 1967 abzugleichen.[29] Zugleich ließe sich am Beispiel der „Notstandsgesetze“ exemplarisch die für das Verständnis der Arbeitsweise des Instituts zentrale Frage zum Verhältnis von arbeitsteiliger Wissensproduktion (etwa durch auf einzelne Länder spezialisierte Referenten), Synthese,  Publikation und Transfer der Ergebnisse in den politischen Raum reflektieren, [30] auch im Hinblick auf Fragen von Autorenschaft und „geistigem Eigentum“ an den Forschungsresultaten.

Für viele Leser*innen sicherlich überraschend war es, dass mein Vater mit einem Aufsatz zu den Notstandsgesetzen wider Willen auch zu einem Buch beitrug, das die ZEIT rückblickend als „gefeierte(n) Klassiker der 68er Generation“ apostrophierte, der zugleich „geschmäht [wurde] von denen, die sich damals angegriffen fühlten“.[31] Es handelte sich um den von seinem Frankfurter Fakultätskollegen Rudolf Wiethölter konzipierten Band „Rechtswissenschaft“ in der Reihe „Funkkolleg“ des Fischer Taschenbuch Verlags, der nach seinem Erscheinen 1968 innerhalb von knapp fünf Jahren vier Auflagen mit einer Gesamtzahl von 45.000 gedruckten Exemplaren erreichte.[32] Wiethölter stellte im Vorwort klar, die dem Buch zugrunde liegende Vorlesungsreihe für das „Funkkolleg“ des Hessischen Rundfunks sei „aus Unruhe als Bürgerpflicht“ entstanden, das Ziel sei die „Entzauberung des Rechts“ als „politisches Alibi und Verheißung“, um „mitzuwirken an der Entlarvung eines deutschen Götzendienstes: Dienst für den ‚General Dr. von Staat‘ (Thomas Mann)“.[33]

Funkkolleg Rechtswissenschaft (1968)

Von den insgesamt 20 „Kollegs“ (Rundfunk-Vorträgen) wurden jeweils zwei von Erhard Denninger und meinem Vater übernommen.[34] Wenig überraschend trugen die Beiträge meines Vaters über die „Entwicklung zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat“ sowie zum „Notstandsrecht“ nichts zu Wiethölters Mission der „Entzauberung des Rechts“ oder der von der ZEIT diagnostizierten späteren Karriere des „vor allem von linken und liberalen Juristen geliebten“ Buches bei. Hintergrund der besonderen Konstellation war, dass mein Vater ebenso wie Denninger kollegialer Weise für den erkrankten Wiethölter kurzfristig eingesprungen war, ohne seine Beiträge auf Wiethölters Programm auszurichten.[35] Die erstaunliche, kaum bekannte Rolle meines Vaters als Mitautor eines „68er Klassikers“ zeigt, dass zu dieser Zeit die Gräben zwischen den hochschulpolitischen „Lagern“ zuweilen noch fluide waren und durch kollegiale Praktiken punktuell überwunden wurden, so dass spezielle inhaltliche „Melangen“ wie das „Funkkolleg“- Buch entstehen konnten. Es sei aber nachdrücklich festgehalten, dass sich mein Vater im Grundsatz zu den Forderungen und Aktionen der Studentenbewegungen, mit ihnen sympathisierender Kollegen sowie der Umsetzung der Hochschulreform sehr kritisch beziehungsweise ablehnend positionierte.[36]

3. Die Völkerrechtskolloquien der 1970er und 1980er Jahre

Die Zeit der Rückkehr meines Vaters an das MPIL 1970 als Co-Direktor von Hermann Mosler war nicht nur von den anhaltenden Spannungen an den Universitäten geprägt, sondern auch von den politischen Kontroversen um die „neue Ostpolitik“. Zu dieser bestand auch unter den führenden Wissenschaftlern am Institut eine breite Meinungsvielfalt. Hier hatte sich der Institutsmitarbeiter Fritz Münch, der seit 1955 Leiter der 1960 aufgelösten Außenstelle des MPIL in Berlin gewesen war, frühzeitig besonders exponiert. Schon 1965 hatte er ein juristisches Gutachten mit verfasst, in dem er die Rechtsgültigkeit des Münchener Abkommens von 1938 zur Einverleibung des Sudentenlandes in das nationalsozialistische Deutsche Reich feststellte.[37] In der Folgezeit hatte sich Münch nicht nur in daraus hervorgegangene gerichtliche und publizistische Kontroversen verwickelt, sondern wechselte im Sommer 1972 von der CDU zur NPD, für die er im November 1972 auch bei den Bundestagswahlen kandidierte.[38] Im Institut vertrat er neben Karl Doehring, Hartmut Schiedermair, Helmut Steigenberger und Hermann Mosler eine kritische Sicht auf die Ostverträge,[39] während Jochen Frowein und mein Vater sie eher unterstützen. An einer ersten, im Januar 1972 von der Theodor-Heuß-Akademie in Gummersbach organisierten Konferenz deutscher und polnischer Völkerrechtler nahmen von Seiten des MPIL Fritz Münch und mein Vater teil,[40] der dazu in seinem Tagebuch notierte:

„Es war sehr aufschlussreich und verlief im großen und ganzen ganz angenehm. Natürlich lässt sich die Geschichte der jüngeren Vergangenheit nicht vergessen, sie wirkt in die Gegenwart hinein, aber es sind vielleicht doch Chancen für mehr Verstehen und eine begrenzte Kooperation vorhanden.“[41]

Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium in Gummersbach 1972. Rudolf Bernhardt fünfter von links.[42]

Die in der Folgezeit von meinem Vater federführend mit organisierte Serie deutsch-polnischer Völkerrechts-Kolloquien, deren erstes 1974 bei Warschau und zweites 1976 in Heidelberg stattfand, flankierten mit der Klärung von Rechtsfragen faktisch die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung und enthielten somit natürlich eine allgemein- und wissenschaftspolitische Komponente. So wurde der Konferenz 1974 in Warschau explizit „auch eine politische Bedeutung beigemessen“ (…). „Bei einem Empfang des deutschen Botschafters in Warschau aus Anlass des Treffens war eine größere Anzahl polnischer Gäste u.a. aus verschiedenen Ministerien anzutreffen“. [43] Ausweislich der Tagungsprogramme nahm die rechtliche Seite wirtschaftlicher Kooperation eine herausgehobene Stellung ein, aber auch kontroverse Themen wurden diskutiert, zum Beispiel auf der Tagung 1974 Fragen des polnischen Staatsangehörigkeitsrechts.[44]

Empfang beim deutsch-polnischen völkerrechtlichen Kolloquium 1984 in München. Rudolf Bernhardt zweiter von rechts.[45]

Die zwischen 1982 und 1990 durchgeführten bilateralen Konferenzen mit sowjetischen Völkerrechtlern, die ebenfalls von meinem Vater mit angestoßen wurden, waren politisch und organisatorisch noch komplizierter und erforderten eine manchmal mühsame Abstimmung mit Stellen im Auswärtigen Amt und der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft.[46]
Die Initiative für die Kolloquien und die privaten Aufzeichnungen machen unter anderem deutlich, dass mein Vater einerseits keine Berührungsängste gegenüber Kollegen aus sozialistischen Staaten hegte, noch etwa aus seiner Kriegsgefangenschaft herrührende Ressentiments gegenüber der Sowjetunion. Vielmehr förderte er den fachlichen Austausch, der mit polnischen Kollegen zu vertrauensvoller Zusammenarbeit gedieh, sich hingegen mit den Gesprächspartnern aus der Sowjetunion beziehungsweise Russland wegen grundlegender fachlich-rechtspolitischer Differenzen letztlich in Grenzen hielt.

Fazit

Insgesamt belegen die hier beleuchteten drei „Schlaglichter“ die auch von Kollegen erinnerte eher zurückhaltende, abwägende und dialogorientierte Haltung meines Vaters auch über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten hinweg.[47] Und offensichtlich war die gemeinsame Erforschung des Völkerrechts am Institut inhaltlich wie fachkulturell tragfähig genug, die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und konträren Positionen in den hier betrachteten bewegten Zeiten der 1950er bis 1980er Jahre zusammenzuhalten.
Die Fragestellungen und Ergebnisse dieses Beitrags sind primär aus meiner Perspektive als Geschichtswissenschaftler formuliert und fußen wesentlich auf schriftlichen Dokumenten, kaum jedoch auf direkten mündlichen Auskünften zu Lebzeiten meines Vaters. Die andere, hier nicht verfolgte Perspektive meiner privaten Erinnerungen als Sohn Rudolf Bernhardts, aber auch die von Partner*innen und Kindern anderer Institutsmitarbeiter – immerhin eine Gruppe von mehreren hundert bis tausend Personen über inzwischen viele Jahrzehnte hinweg – würden andere, ebenfalls interessante Facetten der Institutsgeschichte eröffnen. Das Erleben und Erinnern von Arbeitsbelastungen, Ortswechseln, am Familientisch kurz angesprochenen Namen, Institutionen, Sachverhalten und Konflikten ließen sich zu einem ganz eigenen Wörterbuch von Institutsthemen und Erfahrungen zusammenführen.

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Der vorliegende Beitrag schreibt meine Vorträge zum gleichen Thema auf der Akademischen Gedenkfeier für meinen Vater am 23. Oktober 2022 und auf dem Seminar Kriegsfolgenbewältigung und Westintegration der Seminarreihe 100 Jahre öffentliches Recht am 22. Februar 2024 (beide am MPIL) sowie den in Fußnote 6 genannten Aufsatz fort.

[1] Vgl. die autobiographische Skizze Rudolf Bernhardt, Staatsrecht im internationalen Verbund, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart58 (2010), 337-351; jetzt auch: Eckart Klein, Rudolf Bernhardt (1925-2021), in: Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff/Peter Häberle (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Nachtragsband Deutschland-Österreich-Schweiz, Berlin: De Gruyter 2024, 35-57.

[2] Vgl. Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzepte. Herman Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Berlin: Springer 2017; Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union – Erinnerungen, Berlin: Wolf Jobst Siedler Verlag 2008.

[3] Vgl. z.B. den Beitrag von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de.

[4] Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947, herausgegeben und mit einem Nachwort von Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024.

[5] Notizen im Tagebuch, Sammlung Rudolf Bernhardt, Familienarchiv Bernhardt.

[6] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 103-106; Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 136.

[7] Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 142.

[8] Eine solche „Nicht-Thematisierung“ oder jahrzehntelang verzögerte Verarbeitung ist nach den Erkenntnissen der Forschung durchaus typisch für den Umgang vieler Kriegsgefangener mit Ihren Erlebnissen, vgl. Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 138-139.

[9] Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 138-139.

[10] So die Formulierung von Rebenich über die persönliche Verarbeitung der Kriegserlebnisse der prominenten Historiker und Altersgenossen meines Vaters Karl Christ und Reinhard Koselleck: Stefan Rebenich, Karl Christs Lebensmosaik. Die Schreie der Niedergewalzten gellten noch lange, FAZ 19.12.2023.

[11] So vertrat er auch nachdrücklich die Überzeugung, „dass die Völkerrechtswissenschaft keine nationale, sondern eine internationale Wissenschaft sei“: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Beiträge zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 270, Berlin: Springer 2018, 148.

[12] Thomas Buergenthal, Laudatio: Rudolf Bernhardt – Leben und Werk, ZaöRV 65 (2005), 519–524, 519.

[13] Heinz Bude, Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Falkhelfer-Generation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987.

[14] Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag 1957; vgl. auch Bude (Fn. 13), 43.

[15] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 102-103.

[16] Bude (Fn. 13), 33; vgl. auch Rebenich (Fn. 10).

[17] Notizheft Rudolf Bernhardt: Exzerpte aus dem Wintersemester 1948/49, Familienarchiv Bernhardt.

[18] Vgl. Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[19] Foto: Familienarchiv Bernhardt.

[20] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[21] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 22.1.1968, Tagebuch II, Familienarchiv Bernhardt.

[22] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[23] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 14.8.1969, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt; vgl. als Rückblick zur Situation an der Fakultät aus der Sicht des 1967 als Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte berufenen Bernhard Diestelkamp, Schmerzhafter Umbruch. 1968 im Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität, Forschung Frankfurt.  Das Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität 1 (2018), 27-30.

[24] Die Bildrechte haben sich trotz intensiver Recherche u.a. bei der Deutschen Universitätszeitung und dem Foto-Archiv der Süddeutschen Zeitung nicht klären lassen. Für weitere Hinweise wären wir dankbar.

[25] Rudolf Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 24 (1964), 431-452, 444.

[26] Vgl. Alexandra Kemmerer, Praktiker des Wortes. Fritz Bauer und die Kritische Justiz, in: Katharina Rauschenberger/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Fritz Bauer und ‘Achtundsechzig’. Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft, Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 3, Göttingen: Wallstein 2020, 121-142,123ff.

[27] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[28] Rudolf Bernhardt, Notstand und Verfassung. Wer soll in welcher Situation welche Maßnahmen ergreifen dürfen?, FAZ 22.2.1966, 9-10.

[29] Vgl. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Protokoll 4: öffentliche Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 7. Dezember 1967; ich danke Tim Wihl, dass er mir diese Quellen zugänglich gemacht hat.

[30] Vgl. dazu die auf einen anderen Fall bezogene Anmerkung von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de, sowie die Sichtweise meines Vaters auf diesen Sachverhalt in: Rudolf Bernhardt, Gruppenarbeit und Einzelleistung in Völkerrecht und Rechtsvergleichung, Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft (1970), 301-313.

[31] Wiethölter wieder zu kaufen: Kritik des Rechts, ZEIT 18/1986, 25.4.1986, zitiert nach ZEIT Online.

[32] Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, unter Mitarbeit von Rudolf Bernhardt und Erhard Denninger, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1968.

[33] Wiethölter (Fn. 32), 9-10.

[34] Vgl. die Ausführungen zu Wiethölter, Denninger und dem Funkkolleg-Band bei Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[35]  Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[36] Vgl. als Zwischenbilanz mit dem Fokus auf der Reform der Universitäten: Rudolf Bernhardt: Reform oder Anarchie? Zur Situation an den deutschen Universitäten, Zeitwende. Kultur, Theologie, Politik 43 (1972), 215-227.

[37] Vgl. Otto Köhler, Schweine und Esel, Der Spiegel 21 (1961).

[38] So jedenfalls der Eintrag in der Wikipedia-Enzyklopädie zu Münch, letzter Aufruf 23.5.2024; der Nachruf von Karl Doehring in der ZaöRV spricht diese Sachverhalte nicht an:  Karl Doehring, Fritz Münch 1906-1995, ZaöRV 55 (1995), 949-950.

[39] So, nach Lange, Armin von Bogdandy/Philipp Glahé, Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte, MPIL100.de.

[40] Vgl.: Liste der Teilnehmer von deutscher Seite in Kolloquium polnischer und deutscher Völkerrechtler, 14.-16.1.1972, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.

[41] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 18.1.1972, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt.

[42] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Zur Tagung selbst: Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium 1972. Referate deutscher und polnischer Völkerrechtler auf der Tagung vom 14. bis 16. Januar 1972 in der Theodor-Heuss-Akademie, Frankfurt am Main: Athenäum Verlag 1972.

[43] Vgl.: Rudolf Bernhardt, Bericht über den Verlauf des Treffens polnischer und deutscher Juristen vom 16.-19. September in Radziejowice bei Warschau, 9.10.1974, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221, 3-4.

[44] Bernhardt, Bericht (Fn. 43), 1-2.

[45] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Außerdem haben sich auf dem Foto, dank Jerzy Kranz, identifizieren lassen: links neben Bernhardt: Janusz Łętowski, Marian Rybicki (fünfter von rechts), Miroslaw Wyrzykowski (dritter von links).

[46] Vgl. die Schriftwechsel im Ordner „Sowjetunion“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.z.B

[47] Vgl. etwa die Kurznotiz „Rudolf Bernhardt 90“, FAZ 29.4.2015.

„Aus dem sozialistischen Paradies verstoßen“. Das Institut und die Sowjetunion

"Cast out of Socialist Paradise". The Institute and the Soviet Union

Deutsch

Das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und die Sowjetunion waren praktisch Zeitgenossen. Die Sowjetunion wurde am 30. Dezember 1922 gegründet, das Kaiser‑Wilhelm‑Institut (KWI) nur zwei Jahre später. Da Deutschland zwischen Westeuropa und Russland liegt, war man in Berlin immer auch interessiert daran, wie im Osten Völkerrecht praktiziert und gedacht wurde. Das russische Kaiserreich und später die Sowjetunion haben das weltpolitische Schicksal Deutschlands mehrmals mitbestimmt. Das akademische Interesse am sowjetischen Völkerrecht war somit ernsthaft und keineswegs nur theoretisch: die praktische Relevanz des Forschungsgegenstandes war evident.

In den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Entwicklungsphasen des Instituts haben die sowjetische Praxis und Theorie des Völkerrechts die Berliner und später Heidelberger Völkerrechtler oft beschäftigt. In den 1920er-1940er Jahren gehörten zum Institut gleich mehrere Wissenschaftler aus dem ehemaligen Zarenreich: Alexander Makarov (1888-1973), Georg von Gretschaninow (1892-1973), aber auch der Sohn des berühmten russischen Völkerrechtlers Friedrich Martens, Nikolai von Martens (1880-1947). Makarov beispielsweise hat mehrmals in der Haager Akademie Vorlesungen gehalten – vor allem zum internationalen Privatrecht, auch zu dem der UdSSR, die viele alte („bürgerliche“) Rechtsgrundsätze, vor allem bezüglich des Privateigentums, abgelehnt und abgeschafft hatte. Auch in den deutschen Völkerrechtszeitschriften kommentierte Makarov mehrmals die Völkerrechtsentwicklungen in und bezüglich der Sowjetunion – unter anderem, als die Sowjetunion die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen im August 1940 völkerrechtswidrig eingliederte. Die Geheimprotokolle des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 waren damals noch nicht öffentlich bekannt.

Alexander N. Makarov 1985[1]

In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich ein Sondergebiet der Rechtswissenschaft in Deutschland – das Ostrecht.  Dieses Forschungsgebiet wurde vom KWI in Berlin kaum als besonders ausgewiesener Forschungsschwerpunkt bearbeitet, hier war das Osteuropa-Institut in Breslau (heute Wroclaw in Polen) führend im deutschsprachigen Raum. Es waren auch meistens Juristen, die im ehemaligen Zarenreich geboren waren, die in den deutschen Forschungsinstituten im Ostrecht führend waren. Zum Beispiel kamen sowohl Axel Freytagh‑Loringhoven (der Leiter des Breslauer Instituts) als auch Boris Meissner (in der Nachkriegszeit Leiter des Kölner Instituts für Ostrecht) aus Estland, dem kleinen Nachfolgestaat des Zarenimperiums an der Ostsee. Meistens hatten diese Professoren wenig Illusionen über das Wesen und die juristische Praxis der Sowjetunion, aber sorgfältig erforscht wurde das juristische Geschehen dennoch. Das KWI hat aber auch bis 1933 mit Jacob Robinson (1889-1977), einem jüdischen Rechtswissenschaftler aus Litauen, der durch seine Forschung des Minderheitenproblems bekannt wurde, zusammengearbeitet.

‘Ostrechtsforschung‘ am MPIL: Theodor Schweisfurth und die sowjetmarxistische Theorie vom Völkerrecht ‚neuen Typs‘

Theodor Schweisfurth in seinem Büro, 1985 [2]

Eines der besten deutschsprachigen wissenschaftlichen Werke zur Theorie des Völkerrechts in der Sowjetunion entstand jedoch am Heidelberger MPIL. Im Jahre 1979 erschien in der Schwarzen Reihe Theodor Schweisfurths Monografie Sozialistisches Völkerrecht? Darstellung – Analyse – Wertung der sowjetmarxistischen Theorie vom Völkerrecht ’neuen Typs’.[3] Das Manuskript wurde als Habilitationsschrift an der Universität Köln verteidigt und vom bereits erwähnten Boris Meissner akademisch betreut. Schweisfurth war aber auch von 1973 bis 1993 am Heidelberger MPIL tätig. Die Hauptfrage, die er in seinem Buch stellt, ist, ob die sowjetische Doktrin des besonderen sozialistischen Völkerrechts ernst zu nehmen sei und welche Bedeutung sie habe. Schweisfurth hatte hierzu in Moskau in sowjetischen wissenschaftlichen Bibliotheken arbeiten können und war insofern fachlich sehr gut vorbereitet. Schweisfurth zeigt in seinem Buch überzeugend, wie die sowjetische Völkerrechtsdoktrin im Grunde immer die Bedürfnisse der sowjetischen Außenpolitik gestützt hat. Als sich die territorialen und machtpolitischen Bedürfnisse Moskaus mit der Zeit änderten, habe meistens auch die völkerrechtliche Doktrin reagiert und sich dementsprechend geändert. Schweisfurth ist sehr gut gelungen, das Wesen der Theorie des ’sozialistischen Völkerrechts’ mit der Hegemoniebildung der Sowjetunion in Ost- und Mitteleuropa zu verknüpfen. Der realpolitische Kern des ’sozialistischen Völkerrechts’ bestand darin, dass die völkerrechtliche Theorie der Sowjetunion es ermöglichte, deren militärische Interventionen in Ungarn (1956) und in der Tschechoslowakei (1968) irgendwie zu rechtfertigen.  Für die sozialistischen Staaten galt ein besonderes Völkerrecht – das sozialistische Völkerrecht – das (aus sowjetischer Sicht) nicht nur Vorrang hatte gegenüber den Normen des universellen Völkerrechts, sondern auch Pflichten beinhaltete. Insbesondere galt die gemeinsame Verpflichtung, zu vermeiden, dass ein sozialistischer Staat in den Kapitalismus ‚zurückfallen‘ könnte. Mit den Normen des universellen Völkerrechts (UN-Charta) waren diese sowjetische Praxis und die damit verbundenen Hegemonieansprüche aber kaum vereinbar, was auch die Konkurrenten der UdSSR, damals sehr deutlich die Volksrepublik China, immer betont haben.

Deutsch-sowjetische Forschungskooperation: die Völkerrechtskolloquien der 1980er Jahre

Ein besonderes Kapitel in der Geschichte des MPIL sind die sowjetisch-deutschen völkerrechtlichen Kolloquien. Die erste dieser Veranstaltungen fand vom 5. bis 10. Juli 1982 in Heidelberg statt; danach wurden sie etwa alle zwei Jahre abwechselnd in der UdSSR (meistens in Moskau) und in Deutschland abgehalten. Mein späterer Doktorvater an der Humboldt‑Universität zu Berlin, damals noch Professor in Bonn, Christian Tomuschat, konnte am ersten Kolloquium nicht teilnehmen. Er drückte in einem persönlichen Brief gegenüber dem Institutsdirektor Rudolf Bernhardt die Hoffnung aus, dass beim Kolloquium ein erfreuliches Arbeitsklima geherrscht habe:

„Auch Sowjetmenschen sind ja letzten Endes von innerer Freude durchdrungen, wenn sie für eine kleine Weile aus dem sozialistischen Paradies verstoßen werden und die Erniedrigung des Menschen im kapitalistischen System auf sich nehmen müssen.“[4]

Das zweite gemeinsame Völkerrechtskolloquium fand schon vom 16. bis 22. Oktober 1984 in Moskau und Leningrad (heute: Sankt Petersburg) statt. Es waren nicht nur führende sowjetrussische Völkerrechtler wie Grigori Tunkin dabei, sondern auch Völkerrechtler, die symbolisch die sonstigen Sowjetrepubliken vertreten sollten – Levan Aleksidze (Georgien), Igor Lukashuk (Ukraine) und Rein Müllerson (Estland). Wilhelm Karl Geck, ein deutscher Teilnehmer schrieb nach dem Kolloquium dem MPIL-Direktor Rudolf Bernhardt in einem persönlichen Brief vom 26. September 1984 anerkennend:

 „Für Sie war die Sache ja auch deshalb besonders anstrengend, weil Sie auf die verschiedenen Reden der sowjetischen Herren reagieren mussten, was bei den obwaltenden Umständen nicht ganz einfach war. Auch im Rückblick glaube ich, dass sich die deutsche Seite gut gehalten hat: Ohne dezidiertes Eingehen auf Details bei sowjetischen Angriffen kam der grundsätzlich andere Standpunkt in wesentlichen Facetten zum Ausdruck.“

Wenn man die sowjetischen Jahrbücher für Völkerrecht der frühen 1980er Jahre (Herausgeber: Grigori Tunkin) durchblättert, sieht man, dass der Kalte Krieg in vollem Gange und die ideologische Gegnerschaft, auch auf dem Gebiet der Völkerrechtstheorie, erbittert war. In seinem 2012 publizierten Tagebuch zählt Tunkin auf, wer von den deutschen Völkerrechtlern dabei war als er das MPIL in Heidelberg besuchte und dort eine Vorlesung hielt; insbesondere erwähnt er auch seine „reaktionären“ Gegner – vor allem Boris Meissner.[5]

Das dritte Kolloquium fand vom 4. bis 8. Mai 1987 in Kiel statt. Bei den ersten beiden Kolloquien war es um diverse Themen des Völkerrechts gegangen, aber jetzt war es wohl der Einfluss des späteren MPIL-Direktors Rüdiger Wolfrum, der dafür sorgte, dass man sich für ein genauer umrissenes Generalthema entschied: Völkerrecht und Landesrecht. Aus dem Kolloquium ist auch ein Sammelband entstanden.[6]

Man kann sich fragen, was die DDR-Völkerrechtler(innen) von den deutsch‑sowjetischen Kolloquien gedacht haben mögen und ob sie so etwas wie eine gewisse politisch‑wissenschaftliche Eifersucht empfunden haben. Führende DDR-Völkerrechtler, wie zum Beispiel Bernhard Graefrath und Peter Alfons Steiniger, hatten wohl keinen Grund, in einer möglichen Annäherung der sowjetischen und westlichen Positionen etwas eindeutig Positives für die DDR zu sehen. Sicherlich hat auch nicht jeder Völkerrechtler in der Sowjetunion mit Freude auf die Kolloquien geblickt – so erschien beispielsweise 1986 in Moskau das kritische Buch des sowjetischen Völkerrechtlers Vladimir Pustogarov mit dem Titel Der westdeutsche Revanchismus und das Völkerrecht.[7]

Die deutsch-sowjetischen Völkerrechtskolloquien gaben den deutschen Teilnehmern die Gelegenheit, von der ersten Reihe aus mitzusehen, wie sich die sowjetische Gesellschaft im Rahmen der Perestroika veränderte. Manche Teilnehmer (Rainer Hofmann)[8] erinnern, wie sich die Machtdynamik und Kraftverhältnisse innerhalb der sowjetischen Delegationen mit der Zeit wandelten und dass die jüngeren sowjetischen Völkerrechtler später den älteren manchmal auch widersprachen, was zuvor wohl unerhört gewesen wäre, zumindest vor den westlichen Kollegen.

Vom 29. Mai bis 4. Juni 1989 traf man sich für ein Kolloquium abermals in Moskau– wobei die Deutschen im „Hotel Ukraina“ unterkamen und ihr Mittagessen im „Restaurant Praha“ einnahmen (Moskau war noch immer die Hauptstadt eines Imperiums!). Knapp ein Jahr später kam die Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990.

×

Kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion traf man sich ein letztes Mal in Heidelberg. Vom 17. Bis 18. Oktober 1991 setzte man sich mit dem Thema Föderalismus-Verfassungsgerichtsbarkeit auseinander. In ihrer hochinteressanten Monografie Die Konzepte ’staatliche Einheit’ und ’einheitliche Macht’ in der russischen Theorie von Staat und Recht zeigt Caroline von Gall, dass manche russische juristische Autoren den Deutschen später vorwarfen, die Ideologie des Föderalismus, die damals propagiert wurde, habe den machtpolitischen Interessen Russlands geschadet[9]. Mit dem Scheitern eines echten Föderalismus war aber auch die Entscheidung getroffen, dass die russländische Föderation auch nach der Sowjetunion weiterhin ein Quasi-Imperium bleiben sollte, mit allem Negativen, was daraus resultiert, sowohl für die Nachbarstaaten als auch für politisch andersdenkende Russen.

Das Interesse an Russland und dem dortigen Völkerrecht lebt auch heute fort am MPIL – vor allem in der wissenschaftlichen Arbeit von Matthias Hartwig[10], der inzwischen in den Ruhestand eingetreten ist, aber weiter am Institut forscht. Auch jüngere Völkerrechtler am MPIL haben zu diesem Thema interessante Forschung beigetragen.[11] Im Vergleich zu den früheren Jahrzehnten scheint aber die Erforschung der völkerrechtlichen Theorie und Praxis im Osten heutzutage keine strategische Priorität zu sein – was vielleicht, wenn man unter anderem den jetzigen Krieg Russlands gegen Ukraine betrachtet, ein Versäumnis sein könnte.

Das MPIL hat die Sowjetunion überlebt. Ob es aber die besseren völkerrechtlichen Argumente der Deutschen waren, die am Ende auch die sowjetischen Völkerrechtler überzeugten, oder die besseren Konsumgüter im Westen (oder im Kapitalismus), darüber kann man streiten.

***

Der Autor dankt Philipp Glahé und Alexandra Kemmerer für den Zugang zu den Archiven im MPIL, betreffend die Planung und Durchführung der sowjetisch-deutschen Kolloquien.

[1] Foto: MPIL.

[2] Foto: MPIL.

[3] Theodor Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht? Darstellung – Analyse – Wertung der sowjetmarxistischen Theorie vom Völkerrecht ‚neuen Typs‘, Berlin: Springer 1979.

[4] Schreiben von Christian Tomuschat an Rudolf Bernhardt, datiert 12. Juli 1982, Ordner “Deutsch-Sowjetisches Kolloquium”, MPIL Archiv.

[5] William Elliott Butler (Hrsg.) The Tunkin Lectures: The Diary and Collected Lectures of G. I. Tunkin at the Hague Academy of International Law, Den Haag: Eleven International Publishing 2012.

[6] J. Enno Harders/Grigory I. Tunkin/Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), International Law and Municipal Law. Proceedings of the German-Soviet Colloqui on International Law at the Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 4 to 8 May 1987, Berlin: Duncker und Humblot 1988.

[7] Vladimir V. Pustogarov, Zapadno-germanskii revanshizm i mezhdunarodnoe pravo, Moskau: Nauka, 1986.

[8] Persönliches Gespräch bei der Jahrestagung von American Society of International Law, am 6. April 2024.

[9] Caroline von Gall, Die Konzepte ’staatliche Einheit’ und ’einheitliche Macht’ in der russischen Theorie von Staat und Recht. Der Einfluss des Gemeinschaftsideals auf die russische Verfassungsentwicklung, Berlin: Duncker und Humblot 2010.

[10] Siehe z.B.: Matthias Hartwig, Vom Dialog zum Disput? Verfassungsrecht vs Europäische Menschenrechtskonvention. – Der Fall der Russländischen Föderation, Europäische Grundrechtezeitschrift 44 (2017), 1-23.

[11] Siehe z.B.: Christian Marxsen, The Crimea Crisis. An International Law Perspective, ZaÖRV 74 (2014), 377-391.

English

The Institute for Comparative Public Law and International Law and the Soviet Union were practically contemporaries. The Soviet Union was founded on 30 December 1922, the Kaiser Wilhelm Institute (KWI) only two years later. As Germany is located between Western Europe and Russia, in Berlin, one was always interested in how international law was practiced and thought about in the East. After all, the Russian Empire and later the Soviet Union helped determine Germany’s global political fate on several occasions. Academic interest in Soviet international law was therefore serious and by no means merely theoretical: the practical relevance of the subject was evident.

In the various fields of activity and phases of development of the Institute, Soviet practice and theory of international law often occupied the international law scholars in Berlin and later Heidelberg. In the 1920s-1940s, the Institute housed several academics from the former Tsarist Empire: Alexander Makarov (1888‑1973), Georg von Gretschaninow (1892‑1973), but also the son of the famous Russian international law expert Friedrich Martens, Nikolai von Martens (1880‑1947). Makarov, for example, gave several lectures at the Hague Academy – above all on private international law, including that of the USSR, which had rejected and abolished many old (“bourgeois”) legal principles, especially with regard to private property. Makarov also commented several times in German international law journals on developments in international law in and concerning the Soviet Union – including when the Soviet Union annexed the three Baltic states of Estonia, Latvia, and Lithuania in August 1940 in violation of international law. The secret protocols of the Hitler-Stalin Pact of 23 August 1939 were not yet known to the public at the time.

Alexander N. Makarov 1985[1]

In the 1920s and 1930s, a novel field of legal research developed in Germany – ‘East European Law’ (Ostrecht). The Kaiser Wilhelm Institute in Berlin hardly focused on this field as a special research area. Here, the Osteuropa-Institut in Breslau (now Wroclaw in Poland) was the leading‑edge in the German‑speaking world. It was also mostly lawyers who were born in the former Tsarist Empire who premiered in the German research institutes in East European law. For example, both Axel Freytagh‑Loringhoven (director of the Breslau Institute) and Boris Meissner (director of the Cologne Institute for East European Law in the post-war period) came from Estonia, the small successor state to the Tsarist Empire on the Baltic Sea. For the most part, these professors had few illusions about the nature and legal practice of the Soviet Union, but the legal developments were nevertheless researched carefully. Until 1933, the KWI also collaborated with Jacob Robinson (1889-1977), a Jewish legal scholar from Lithuania who became famous for his research into minority issues.

‘East European Law Research’ at the MPIL: Theodor Schweisfurth and the Soviet-Marxist Theory of a ‘New Type’ of International Law

Theodor Schweisfurth in his office, 1985[2]

However, one of the best German-language academic works on the theory of international law in the Soviet Union was written at the Heidelberg MPIL. In 1979, Theodor Schweisfurth’s monograph Sozialistisches Völkerrecht? Darstellung – Analyse – Wertung der sowjetmarxistischen Theorie vom Völkerrecht ’neuen Typs’ („Socialist International Law? Description – Analysis – Evaluation of the Soviet‑Marxist Theory of ‘New Type’ International Law”)[3] was published. The manuscript was defended as a habilitation thesis at the University of Cologne and academically supervised by the aforementioned Boris Meissner. Schweisfurth worked at the Heidelberg MPIL from 1973 to 1993. The main question that he poses in his book is whether the Soviet doctrine of a novel socialist international law should be taken seriously and what significance it has. Schweisfurth had been able to work on this in Soviet academic libraries in Moscow and was therefore very well informed in this respect. In his book, Schweisfurth convincingly shows how the Soviet doctrine of international law has essentially always supported the needs of Soviet foreign policy. When Moscow’s territorial and power-political needs changed over time, the doctrine of international law usually reacted and changed accordingly. Schweisfurth succeeded in linking the essence of the theory of ‘socialist international law’ with the formation of Soviet hegemony in Eastern and Central Europe. In terms of Realpolitik, ‘socialist international law’ allowed the Soviet Union to somehow justify its military interventions in Hungary (1956) and Czechoslovakia (1968).  According to Soviet doctrine, the socialist states were subject to a novel international law – socialist international law – which (from the Soviet perspective) not only took precedence over the norms of universal international law but also contained obligations: in particular, the common obligation to prevent a socialist state from ‘falling back’ into capitalism. However, this Soviet practice and the associated claims to hegemony were hardly compatible with the norms of universal international law (UN Charter), which the USSR’s competitors – very noticeably at that time, the People’s Republic of China – continually emphasised.

German-Soviet Research Co-operation: the International Law Colloquia of the 1980s

A significant chapter in the history of the MPIL are the Soviet-German Colloquia on International Law, the first of which took place in Heidelberg from 5 to 10 July 1982. Afterwards, they were held alternately in the USSR (usually in Moscow) and in Germany approximately every two years. Christian Tomuschat, who would later be my doctoral supervisor at the Humboldt University in Berlin, then still a professor in Bonn, was unable to attend the colloquium. In a personal letter to the director of the MPIL, Rudolf Bernhardt, he expressed the hope that a pleasant working atmosphere had prevailed at the colloquium:

“Even Soviet people are ultimately imbued with inner joy when they are cast out of socialist paradise for a little while and have to accept the abasement of human beings in the capitalist system.” [4]

The second joint colloquium on international law took place from 16 to 22 October 1984 in Moscow and Leningrad (today: Saint Petersburg). It was attended not only by leading Soviet‑Russian international law experts such as Grigori Tunkin, but also by international law experts who were to symbolically represent the other Soviet republics – Levan Aleksidze (Georgia), Igor Lukashuk (Ukraine) and Rein Müllerson (Estonia). Wilhelm Karl Geck, a German participant, expressed his approval to MPIL director Rudolf Bernhardt after the colloquium, in a personal letter from 26 September 1984:

“For you, the matter was surely particularly strenuous because you had to react to the various speeches by the Soviet gentlemen, which was not easy in the prevailing circumstances. Even in retrospect, I believe that the German side held up well: Without detailed rebuttal of Soviet attacks, the fundamentally different point of view was expressed in its essential facets.”

Leafing through the Soviet Yearbooks of International Law from the early 1980s (edited by Grigori Tunkin), it is obvious that the Cold War was in full swing and ideological conflict was fierce, also in the field of international law theory. In his diary, published in 2012, Tunkin lists which German international lawyers were present when he visited the MPIL in Heidelberg and gave a lecture there; in particular, he mentions his ‘reactionary’ opponents – above all Boris Meissner. [5]

The third colloquium took place in Kiel from 4 to 8 May 1987. The first two colloquia had dealt with various topics of international law, but now it was probably the influence of the later MPIL director Rüdiger Wolfrums that led to the decision in favour of a more precisely defined overarching topic: International Law and Municipal Law. The colloquium also resulted in an anthology.[6]

One might ask oneself what the international law experts of the GDR may have thought of the German-Soviet Colloquia and whether they felt something like a political or scientific jealousy. Leading GDR international law experts, e.g. Bernhard Graefrath and Peter Alfons Steiniger, likely had no reason to see a possible convergence of Soviet and Western positions as something clearly positive for the GDR. Likewise, certainly not every international law expert in the Soviet Union looked forward to the colloquia – for example, Soviet international law expert Vladimir Pustogarov published a critical book entitled ‘West German Revanchism and International Law’ in 1986.[7]

The German-Soviet Colloquia on International Law gave the German participants the opportunity to observe from the front row how Soviet society changed in the context of perestroika. Some participants (Rainer Hofmann)[8] recall how the power dynamics and relations within the Soviet delegations changed over time and that the younger Soviet international law experts would in later years sometimes contradict their older counterparts, which would probably have been unheard of in the past, at least in front of Western colleagues.

From 29 May to 4 June 1989, another colloquium was held in Moscow – where the Germans stayed in the “Hotel Ukraina” and had lunch in the “Restaurant Praha” (Moscow was still the capital of an empire!). Less than a year later came the reunification of Germany in October 1990.

×

The last colloquium, shortly before the collapse of the Soviet Union took place from 17 to 18 October 1991in Heidelberg. Here, one discussed the topic of Federalism – Constitutional Jurisdiction. In her highly interesting monograph Die Konzepte ’staatliche Einheit’ und ’einheitliche Macht’ in der russischen Theorie von Staat und Recht (“The concepts of ‘state unity’ and ‘unitary power’ in the Russian theory of state and law”), Caroline von Gall shows that some Russian legal scholars later denounced the Germans because the ideology of federalism, propagated at the time, had supposedly harmed Russia’s power-political interests[9] . With the failure of genuine federalism, however, the decision was also made that the Russian Federation, even after the Soviet Union, would remain a quasi-empire with all the negative consequence this entails, both for the neighbouring states and for Russians with differing political views.

The interest in Russia and its international law lives on at the MPIL even today – especially in the academic work of Matthias Hartwig[10] , who has recently retired but continues to conduct research at the institute. Younger international law scholars at the MPIL have also contributed interesting research on this topic.[11] Compared to earlier decades, however, research into the theory and practice of international law in the East does not seem to be a strategic priority these days – which may be an omission, considering Russia’s current war against Ukraine, among other things.

The MPIL survived the Soviet Union. But whether it was the Germans’ better international law arguments that ultimately convinced the Soviet international law experts or rather better consumer goods in the West (or in capitalism) is debatable.

***

The author would like to thank Philipp Glahé and Alexandra Kemmerer for their kind support in accessing the archives at the MPIL with regard to the planning and organisation of the Soviet‑German Colloquia.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Photo: MPIL.

[2] Photo: MPIL.

[3] Theodor Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht? Darstellung – Analyse – Wertung der sowjetmarxistischen Theorie vom Völkerrecht ‚neuen Typs‘, Berlin: Springer 1979.

[4] Letter by Christian Tomuschat to Rudolf Bernhardt, dated 12 July 1982, Folder “Deutsch-Sowjetisches Kolloquium”, MPIL Archive, translated by the editor.

[5] William Elliott Butler (ed.) The Tunkin Lectures: The Diary and Collected Lectures of G. I. Tunkin at the Hague Academy of International Law, The Hague: Eleven International Publishing 2012.

[6] J. Enno Harders/Grigory I. Tunkin/Rüdiger Wolfrum (eds), International Law and Municipal Law. Proceedings of the German-Soviet Colloqui on International Law at the Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 4 to 8 May 1987, Berlin: Duncker und Humblot 1988.

[7] Vladimir V. Pustogarov, Zapadno-germanskii revanshizm i mezhdunarodnoe pravo, Moscow: Nauka, 1986.

[8] Personal conversation at the Annual Meeting of the American Society of International Law, 6 April 2024.

[9] Caroline von Gall, Die Konzepte ’staatliche Einheit’ und ’einheitliche Macht’ in der russischen Theorie von Staat und Recht. Der Einfluss des Gemeinschaftsideals auf die russische Verfassungsentwicklung, Berlin: Duncker und Humblot 2010.

[10] See e.g.: Matthias Hartwig, Vom Dialog zum Disput? Verfassungsrecht vs Europäische Menschenrechtskonvention. – Der Fall der Russländischen Föderation, Europäische Grundrechtezeitschrift 44 (2017), 1-23.

[11] See e.g.: Christian Marxsen, The Crimea Crisis. An International Law Perspective, HJIL 74 (2014), 377-391.

Der Jessup Moot Court am MPIL

The Jessup Moot Court at the MPIL

Deutsch

Geschätzter Gast oder geschuldete Last? Zur fragilen Geschichte eines symbiotischen Verhältnisses

Wenn mitten in der Nacht ein großes Büro am Institut noch hell erleuchtet und mit eifriger Betriebsamkeit erfüllt ist, dann weiß man: Hier stellen die Studierenden des Heidelberger Jessup Moot Court Teams ihre Schriftsätze fertig. Es ist kein gewöhnliches Büro, denn die Wände sind mit zahlreichen Plaketten und gerahmten Urkunden geschmückt, mit denen frühere Teams für ihre Erfolge ausgezeichnet wurden. Die Geschichte hinter diesen Erfolgen und der Beitrag des Instituts soll im Folgenden ergründet werden.

Am Jessup Moot Court, den es zunächst vorzustellen gilt (I.), haben bereits 39 Heidelberger Teams teilgenommen (II.). Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) hat zahlreiche dieser Teams intensiv unterstützt. Der Rückblick in die Erfolgsgeschichte bringt aber auch deren Fragilität ans Licht (III.). Dessen ungeachtet hat sich zwischen MPIL und Jessup ein symbiotisches Verhältnis herausgebildet (IV.), das für die Fortschreibung dieser gewinnbringenden Tradition zuversichtlich stimmt (V.).

I. Der Jessup

Der Jessup International Law Moot Court (kurz: „Jessup“) ist der völkerrechtliche Moot Court par excellence. Der größte und älteste Wettbewerb auf dem Gebiet des Völkerrechts wurde 1960 an der Harvard University ins Leben gerufen, seit 1968 wird er international ausgetragen, in der Kampagne 2024 mit über 600 Teams aus aller Welt. Universitäten dürfen je ein Team mit bis zu fünf Student:innen (Mooties) und mehreren Betreuer:innen (Coaches) entsenden. Bei den nationalen Vorentscheiden (National Rounds) qualifizieren sich die erfolgreichsten Teams für die „International Rounds“, die sodann in Washington, D.C. ausgetragen werden. Der Jessup schult somit nicht nur Generationen von Studierenden im Völkerrecht, sondern leistet auch einen Beitrag zum internationalen Austausch.

Kern des Wettbewerbs ist die Simulation eines streitigen Verfahrens zweier Staaten vor dem Internationalen Gerichtshof, dem einst der Namenspate, der US-amerikanische Völkerrechtler und Diplomat Philip Caryl Jessup, als Richter angehörte. Der zur Bearbeitung gestellte fiktive Streitfall wirft dabei stets brisante völkerrechtliche Fragen auf. Jedes Team erarbeitet zunächst Schriftsätze (Memorials) für die Kläger- und Beklagtenseite und trägt die dabei entwickelten Argumente sodann in mündlichen Plädoyers (Pleadings) gegen andere Teams vor. Dabei spielen die Judges (typischerweise Praktiker:innen und Professor:innen des Völkerrechts) eine entscheidende Rolle; sie bewerten die Memorials und Pleadings. Während der Pleadings stellen sie zahlreiche Fragen zum Sachverhalt und zur rechtlichen Argumentation, die die nacheinander plädierenden Mooties jeweils allein und möglichst überzeugend aus dem Stegreif beantworten müssen. So entsteht ein intensiver, juristisch anspruchsvoller Austausch.

II. Die Heidelberger Jessup-Teams

Das Jessup-Team 2008: David Schweizer, Daniel Scherr, Vasiliki Koligliati, Benedikt Walker, Natalia Jevglevskaja, Katerina Vagia, Verena Kling und Ingo Venzke (Foto: MPIL)

Jessup-Teams treten in der Regel im Namen ihrer Universität an. Es ist ein Wettbewerb für Studierende, die auszubilden universitäre Aufgabe ist. Seit Langem ist es in Heidelberg aber primär das MPIL, das die Jessup-Teams betreut. Ein Blick in die Tätigkeitsberichte des MPIL weist dies erstmals für das Wintersemester 1990/91 nach. Aber gab es bereits vorher Heidelberger Jessup-Teams? Wer betreute sie? Weder am MPIL noch bei der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität ließen sich dazu Hinweise finden. Auch aus den Erinnerungen befragter Zeitzeug:innen ergab sich kein klares Bild. Hinweise finden sich schließlich aber in den Aufzeichnungen der International Law Students Association (ILSA), die den Jessup verantwortet. Nach den Unterlagen von ILSA nahm erstmals 1985 ein Heidelberger Team teil, seit 1987 ist ununterbrochen für jedes Jahr ein Heidelberger Team verzeichnet. Beim Jessup 2024 trat somit das 39. Heidelberger Team an. Die Teams wurden bei ILSA meist im Namen der Ruprecht-Karls-Universität angemeldet, nur 2003 und 2009 im Namen des MPIL. Rückschlüsse auf die Betreuung lässt das aber nicht zu, weitere Tätigkeitsberichte des MPIL weisen nämlich klar auf die ununterbrochene Mitwirkung des Instituts seit 1990/91 hin. Indizien für eine Mitwirkung der Juristischen Fakultät an der Betreuung der Teams ließen sich lediglich für das Jahr 1993 finden.

Die fast vier Jahrzehnte Heidelberger Jessup-Tradition krönt mancher Erfolg: Bislang qualifizierten sich elf Heidelberger Teams für die Teilnahme an den International Rounds, zweimal (1997, 2000) waren sie unter den 16 besten Teams weltweit. Bei den German National Rounds erreichten fünf Heidelberger Teams einen ersten, fünf einen zweiten und sechs Teams einen dritten Platz (zuletzt 2023). Hinzu kommen unzählige Auszeichnungen für Memorials und individuelle Leistungen in den Pleadings. Auch eine Auszeichnung mit dem Spirit of the Jessup Award der German National Rounds – verliehen an das Team, das den Geist des Wettbewerbs am besten verkörpert – konnte Heidelberg 2018 erlangen.

III. Fragilität: Der Wandel der Unterstützung durch das MPIL

Das Jessup-Team 2023 in Den Haag. Hintere Reihe, vlnr: Lukas Hemmje (Coach), Jakob Mühlfelder (Coach), Jasper Kurth, Leo Volkhardt. Vordere Reihe, vlnr: Sophie Raab (Coach), Laura Schwamm, Bozheng Chen, Barbara Hauer

Ohne die Mitwirkung des MPIL wären diese Erfolge undenkbar. Als Gästen des Instituts wird den Teams vielfältigste Unterstützung zuteil. Sehr hilfreich ist zunächst, dass den Teams – wie eingangs erwähnt – ein eigenes Büro am Institut zur Verfügung steht. Für die Recherchen zu den streitigen völkerrechtlichen Fragen ist der Zugriff auf die Ressourcen der Bibliothek unentbehrlich, der von freundlicher Unterstützung seitens der Mitarbeiter:innen von Ausleihe, Fernleihe, Buchbestellung, Zeitschriftenabteilung und der UN-Depotbibliothek begleitet wird. Zeitweise wurden die Schriftsätze der Jessup Teams sogar mit eigener Signatur in die Bibliothek aufgenommen (VR: I G: 41). Hinzu kommen dutzende Probe-Pleadings mit Wissenschaftler:innen des Instituts, in denen die Mooties ihre Argumente und Kenntnisse auf den Prüfstand stellen können. Über die Unterstützung Heidelberger Teams hinaus hat das MPIL bereits sechs Mal (1996, 2001, 2007, 2013, 2015, 2022) die deutschen National Rounds des Jessup ausgerichtet – zweimal davon recht kurzfristig, wenn keine Universität die Ausrichtung übernehmen wollte.

Neben dem MPIL kommt der damit eng verbundenen Heidelberger Gesellschaft für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eine besondere Bedeutung zu. Die Heidelberger Gesellschaft finanziert Heidelberger Teams nicht nur regelmäßig die beträchtliche Anmeldegebühr für den Jessup, sondern ermöglichte zahllosen Heidelberger Jessup-Generationen auch die große Pilgerreise der Völkerrechtsfans – eine Studienreise nach Den Haag. Dort gewannen die Teams inspirierende Einblicke in den Internationalen Gerichtshofs, den Internationalen Strafgerichtshof, die deutsche Botschaft und andere Wirkstätten des Völkerrechts.

Am wichtigsten ist wohl aber die Betreuung durch die vom Institut angestellten Coaches, die regelmäßig von besonderem persönlichem Engagement gekennzeichnet ist. An dieser Stelle zeigt sich auch die größte Veränderung der Jessup-Betreuung am MPIL, die schematisierend als Wandel von einem direktoralen Ansatz zu einem gemeinschaftlichen Ansatz beschrieben werden kann. In den 90er Jahren gingen alle wichtigen Schritte zum Zustandekommen der Jessup-Teams vom Direktorium aus: Ein Direktor wies ein oder zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an, das Team zu betreuen, unterstützt von ein oder zwei Mooties des Vorjahres (angestellt als studentische Hilfskräfte). Es war auch das Direktorium, das die neuen Mooties gezielt in Völkerrechtsvorlesungen und -seminaren ansprach und auswählte.

Seit mehreren Jahren geht die Initiative für die Aufstellung neuer Teams hingegen stärker von der Gemeinschaft ehemaliger Heidelberger Jessup Mooties und Coaches (Jessup Community) aus. Die Mooties des Vorjahres ziehen durch die Vorlesungen und veranstalten Info-Abende, um neue Studierende für den Wettbewerb zu gewinnen. Es sind die ehemaligen Coaches, die sich auf die Suche nach neuen Coaches machen und den Wunsch nach entsprechenden Stellen am MPIL an das Direktorium herantragen. Jeder neuen Jessup-Runde geht dabei ein Bangen voraus, ob und wie viele neue Coaches sich finden lassen und wie viele Stellen am MPIL geschaffen werden können. Auf diesem Wege ließen sich zum Beispiel 2019 und 2020 nur je zwei ehemalige Mooties finden, die die Betreuung übernahmen – ein Engagement mit nicht unerheblicher Belastung neben ihrem Studium. Auch die Auswahl der neuen Mooties liegt seit vielen Jahren in der Hand der Heidelberger Jessup Community, die die Auswahlgespräche organisiert und durchführt.

Dieser Wandel hin zu einem gemeinschaftlichen Ansatz bringt einen ganz erheblichen Vorteil mit sich: Die Verantwortung, die damit bei den ehemaligen Mooties und Coaches liegt, befördert das besondere Gemeinschaftsgefühl der Heidelberger Jessup Community. Es zeugt vom großen Vertrauen des Instituts in diese Community, dass ihr so viel Gestaltungsfreiheit im gesamten Prozess der Auswahl und Betreuung der Teams gewährt wird. Die neuen Coaches können auf das tradierte Wissen und die Erfahrungen vorheriger Generationen zurückgreifen, haben darüber hinaus aber auch die Freiheit, neue Modelle und Methoden bei der Teambetreuung zu verwirklichen.

Als Kehrseite folgt für gegenwärtige und künftige Heidelberger Jessup-Generationen daraus zugleich ein Appell zum Engagement und zur Eigeninitiative. Ohne direktorale Initiative und Federführung ist die Jessup-Betreuung am MPIL keine institutionell garantierte Selbstverständlichkeit. Dies zeigt auch das Beispiel des Concours Européen des Droits de l‘Homme René Cassin, bei dem ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg simuliert wird. Das Institut hat mindestens seit 1993 Heidelberg René Cassin Teams unterstützt, im Jahr 1998 auch einen Sieg in Straßburg erzielt. Seit 2004 aber nehmen keine Heidelberger Teams mehr am Concours René Cassin teil. Eine einst erfolgreiche Tradition kann eben auch enden.

Für eine Fortschreibung der Heidelberger Jessup-Tradition ist es daher unabdingbar, dass ehemalige Mooties Verantwortung übernehmen für künftige Jessup-Generationen und die (in der Regel sehr großzügige) Unterstützung des MPIL auch aktiv einfordern. Mit dem Wandel des Betreuungsansatzes ging in der Regel zwar nicht einher, dass das Institut letztlich weniger Ressourcen für die Jessup-Betreuung eingesetzt hätte als unter direktoraler Leitung. Um diese Ressourcen muss von den ehemaligen und neuen Coaches aber beharrlich geworben werden. Dies ist nicht immer ganz leicht, warten nach der Teilnahme am Jessup oder der Betreuung eines Teams doch immer die nächsten zu erbringenden Studienleistungen, das Staatsexamen oder die Weiterarbeit an der Dissertation. Das dennoch ununterbrochene Fortbestehen der Heidelberger Jessup Tradition deutet an, wie viele Stunden freiwilligem Engagements – in Abendstunden, an Wochenenden und Feiertagen – die Heidelberger Jessup Community investiert hat.

IV. Symbiose: Beiderseitiger Nutzen für MPIL und Jessup

Von Erfolg gekrönt. Urkunden im Jessup-Büro (Foto: MPIL)

Einerseits lässt sich also ein Wandel der Unterstützung Heidelberger Jessup-Teams durch das MPIL von einem direktoralen hin zu einem gemeinschaftlichen Ansatz beobachten, mit dem eine gewisse Fragilität der Zukunft des Jessup am MPIL einhergeht. Andererseits suggerieren die langjährig ununterbrochene Jessup-Tradition und der letztlich mehr oder weniger unverändert bleibende Ressourceneinsatz des MPIL für die Jessup-Bereuung Verlässlichkeit und Kontinuität. Dieser ambivalente Befund – Kontinuität trotz Fragilität – lässt sich durch das symbiotische Verhältnis von Jessup und MPIL erklären, das sich in Heidelberg herausgebildet hat. Vordergründig profitieren die Jessup-Teams von der ressourcenintensiven Betreuung durch das MPIL. Zugleich, und darin liegt das Symbiotische, profitiert aber auch das MPIL vom Jessup.

Der Jessup bringt für Mooties, Coaches und das MPIL erheblichen Mehrwert. Für die Mooties bedeutet die Jessup-Teilnahme eine einmalige und großartige Chance. In der Regel bietet das Studium der Rechtswissenschaft in Deutschland kaum Gelegenheit zur Teamarbeit, nur verschwindend wenige internationale Bezüge, kaum Vermittlung von fachspezifischen Fremdsprachenkenntnissen, ein schlechtes Betreuungsverhältnis, wenig Anreize zur eigenständigen Entwicklung juristischer Argumente und erst recht kaum einen Rahmen, diese mündlich vorzutragen. All dies aber bietet der Jessup, in einem arbeits- und lernintensiven Semester. Neben einem herausragenden Verständnis der Grundlagen des Völkerrechts entwickeln die Mooties bei der Erstellung der Memorials exzellente Recherchefähigkeiten und lernen, zu den aufgeworfenen, komplexen Rechtsfragen in konziser und klarer Sprache Stellung zu nehmen. Wer später in anwaltlichen Schriftsätzen interessenorientiert, juristisch seriös und stichhaltig argumentieren will, wird von der mehrmonatigen, sorgfältigen Erstellung von Memorials erheblich profitieren. Die strenge Wortbegrenzung zwingt dabei dazu, die besten Argumente auszuwählen und auf den Punkt zu bringen. Die Vorbereitung der Pleadings kommt einem intensiven Englisch- und Rhetorikkurs gleich, in dem die Mooties lernen, spontan die kritischsten Fragen der Judges professionell zu parieren. Neben Legal English als Arbeitssprache, Beschäftigung mit dem Völkerrecht und Studienreise nach Den Haag bringt – nach Monaten harter Arbeit und mit etwas Glück – schließlich auch die Teilnahme an den International Rounds in Washington D.C. den Teams wertvolle internationale Erfahrungen. Zugleich zwingt die intensive Zusammenarbeit von Mooties und Coaches alle zur Weiterentwicklung ihrer Teamfähigkeiten. Zeitdruck und intensive Arbeit schweißen das Team zusammen. Coaches können erste Führungserfahrungen sammeln, die auch für eine weitere wissenschaftliche Karriere wichtig sind. Etliche Ehemalige blicken mit Freude auf diese Zeit zurück, die neben dem Erwerb juristischer Fähigkeiten auch langanhaltende Freundschaften stiftet. Dem Charakter des Jessup als Wettbewerb entsprechend, kann nicht jedes Team siegen. Gewonnen sind für alle Mooties aber die großartigen Lernchancen, die sich über die Monate der Vorbereitung hinweg bieten.

Diesen erheblichen Vorteilen stehen auch berechtigte Einwände gegenüber. Eine sinnvolle Betreuung der Jessup-Teams verlangt erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen. Die Zahl der Mooties ist von ILSA auf fünf beschränkt, das Privileg der Teilnahme kann daher nur wenigen Studierenden gewährt werden. Zudem gehört die Ausbildung Studierender nicht zur Kernaufgabe eines der Grundlagen- und Spitzenforschung gewidmeten Instituts. Die als zuständig anzusehende Juristische Fakultät hat zur Betreuung der Heidelberger Jessup-Teams bislang allerdings kaum Ressourcen beigetragen.

Der Jessup hat aber auch erheblichen Nutzen für das MPIL. Mooties lernen als Gäste das Institut seine Abläufe und Strukturen kennen. Sie durchsuchen wissenschaftliche Quellen nach juristischen Argumenten und entwickeln dabei einen kritischen Blick auf die Völkerrechtswissenschaft und ihre Methodik. Mit ihrer exzellenten Befähigung zur eigenständigen Recherche völkerrechtlicher Fragen sind sie prädestiniert, dem Institut nach dem Jessup als Hilfskräfte verbunden zu bleiben – so ist es gängige Praxis. Manchen Mootie führte dieser Pfad sodann auch zu einer Promotion und wissenschaftlichen Mitarbeit am MPIL. Der Jessup hilft dem MPIL also, engagierte Studierende der Fakultät an das Institut heranzuführen und mit der Völkerrechtswissenschaft vertraut zu machen. Das MPIL gewinnt durch den Jessup erheblich an Sichtbarkeit an der Universität, durch die German National Rounds und durch Erfolge in den International Rounds wirkt diese Sichtbarkeit weit über Heidelberg hinaus. Zugleich kann das Direktorium die Studierenden zunächst als Gäste kennenlernen, bevor über eine Anstellung als Hilfskraft oder Mitarbeiterin zu entscheiden ist.

V. Rückblick und Ausblick

Die Geschichte des Jessup Moot Court am MPIL lässt sich daher unbedingt als Erfolgsgeschichte erzählen. In fast vier Jahrzehnten hat das Jessup-Fieber zahlreiche Heidelberger Mooties und Coaches angesteckt, die Teilnahme hat ihnen eine einzigartig wertvolle Lernerfahrung geboten. Von dieser Begeisterung junger Menschen für das Völkerrecht profitiert auch das MPIL. Ohne die oft sehr intensive Betreuung wäre dies nicht möglich gewesen. Das Erfolgsnarrativ sollte aber nicht den Blick darauf verschließen, dass die Kontinuität der Jessup-Tradition am MPIL oftmals auf der Kippe stand.

Wie kann daher für künftige Jessup-Generationen deren Fortschreibung garantiert werden? Dafür braucht es sowohl ein Engagement der Heidelberger Jessup Community, neue Teams auf vielfältige Weise zu unterstützen, als auch eine intensive institutionelle Unterstützung durch das MPIL und die Heidelberger Gesellschaft. Das Verhältnis dieser Triebkräfte der Heidelberger Jessup Tradition gilt es jedes Jahr neu auszuloten. Die Fortschreibung der Heidelberger Jessup Geschichte hängt am Zusammenspiel dieser Kräfte, die notwendige, für sich allein aber nicht hinreichende Bedingungen zu diesem Ende sind. Aus dieser Diagnose folgt, dass der Jessup in Heidelberg sowohl aus Perspektive des MPIL als auch aus Sicht der Jessup Community nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Umso beeindruckender, dass es ihn seit fast 40 Jahren in Heidelberg gibt.

Hinweis zur Quellenlage und Transparenz: Mein Beitrag speist sich aus eigener Anschauung (als Heidelberger Jessup Mootie 2018, Coach 2019 und 2022), aus Gesprächen und Schriftverkehr mit anderen ehemaligen Mooties, Coaches und mit weiteren Beteiligten am Institut sowie aus Erfahrungsberichten der Heidelberger Teams (ab 2006), Tätigkeitsberichten des Instituts, Dokumenten der Heidelberger Gesellschaft, Archivunterlagen von Prof. Wolfrum, Ordner III der Institutschronik und Aufzeichnungen der International Law Students Association (ILSA). Sichere Kenntnisse über das Abschneiden Heidelberger Teams bei den National und International Rounds liegen ab 1997 vor.

English

Valued Guest or Burden Owed? On the Fragile History of a Symbiotic Relationship

When in the middle of the night a spacious office at the institute is still brightly lit and filled with bustling activity, there is no doubt: This is where the students of the Heidelberg Jessup Moot Court team finalise their memorials. It is no ordinary office, as the walls are decorated with numerous plaquettes and framed certificates honouring previous teams for their successes. Delving into the story behind these successes and the Institute’s contribution to them is the purpose of this blogposts.

It begins by introducing the Jessup Moot Court (I.) before exploring the participation of 38 Heidelberg teams (II.). The Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) has extensively supported many of these teams. However, a retrospective on this success story also reveals its fragility (III.). Nevertheless, a symbiotic relationship has emerged between MPIL and Jessup (IV.), instilling confidence in the continuation of this tradition (V.).

I. The Jessup

The Jessup Team 2008: David Schweizer, Daniel Scherr, Vasiliki Koligliati, Benedikt Walker, Natalia Jevglevskaja, Katerina Vagia, Verena Kling und Ingo Venzke (photo: MPIL)

The Jessup is the international law moot court par excellence. Initiated at Harvard University in 1960, it is the oldest and largest competition in the field of international law. Since 1968, it has been held internationally, in 2024 with over 600 teams participating from around the world. Each university may send one team of up to five students (Mooties) and several team advisers (Coaches) to the competition. The most successful teams in National Rounds qualify for the International Rounds held in Washington, D.C. Thereby, the Jessup not only educates generations of students in international law but also contributes to international exchange.

At the core of the competition is the simulation of contentious proceedings between two states before the International Court of Justice, where eponym Philip Caryl Jessup – US-American diplomat and international lawyer – once served as a judge. The fictitious case always raises challenging contemporary international legal issues. Each team prepares written submissions (Memorials) for the applicant and respondent state and presents their arguments in oral pleadings against other teams. The Judges (typically practitioners and professors of international law) play a decisive role; they evaluate the memorials and pleadings, thus determining the winning team. During the pleadings, they also ask numerous questions to which the Mooties must reply spontaneously and persuasively. This creates an intense, legally challenging discussion.

II. Heidelberg’s Jessup Teams

Jessup teams usually compete on behalf of their university. It is a competition for students, whose education is a university task. However, Heidelberg’s Jessup teams have long been primarily supported by the MPIL. According to MPIL’s annual activity reports, the institute’s involvement with Jessup dates back to the 1990/91 winter semester. No evidence could be found at MPIL or at the Faculty of Law at Ruprecht-Karls-University on any Heidelberg Jessup teams participating before that. The recollections of contemporary witnesses do not provide a clear picture either. However, records from the International Law Students Association (ILSA), responsible for organizing the Jessup, reveal that a Heidelberg team first participated in 1985, and that there has been a Heidelberg team every year since 1987. Hence, the team participating in Jessup 2024 will be the 39th Heidelberg team. Teams were usually registered with ILSA in the name of Ruprecht-Karls-University, except in 2003 and 2009 when they were registered as MPIL teams. However, this does not provide insight into coaching responsibilities, as MPIL’s activity reports clearly indicate continuous involvement of the institute since 1990/91. Evidence of the Law Faculty supporting Heidelberg’s Jessup teams could only be found for the year 1993.

The nearly four decades of Heidelberg Jessup tradition boast several successes. Eleven Heidelberg teams qualified for the International Rounds, and twice (1997, 2000) they were among the top 16 teams worldwide. In German National Rounds, five Heidelberg teams secured first place, five second place, and six third place (most recently in 2023). Additionally, numerous awards for memorials and individual achievements in pleadings have been earned. Heidelberg also received the Spirit of the Jessup Award at the German National Rounds in 2018, bestowed upon the team that best embodies the spirit of the competition.

III. Fragility: The Evolution of MPIL Support

The Jessup team 2023 in The Hague. Back row, from left to right: Lukas Hemmje (coach), Jakob Mühlfelder (coach), Jasper Kurth, Leo Volkhardt. Front row, from left to right: Sophie Raab (coach), Laura Schwamm, Bozheng Chen, Barbara Hauer

Without MPIL’s involvement, these achievements would be unthinkable. As guests of the institute, teams receive support in various forms. Having an office at the institute is particularly helpful, as it provides access to the library’s resources for research on contentious international legal issues. This is complemented by the friendly assistance of library staff in borrowing, interlibrary loans, book orders, journals section, and the UN Depository Library. At times, the Jessup teams’ Memorials were even archived in the Institute’s library with their own signature (VR: I G: 41). Moreover, there are numerous practice pleadings with MPIL’s staff researchers, allowing the Mooties to test their arguments and knowledge. Beyond supporting Heidelberg teams, MPIL has hosted the German National Rounds of the Jessup six times (1996, 2001, 2007, 2013, 2015, 2022) – two of which were organized at short notice when no university volunteered.

Apart from MPIL, the Heidelberger Gesellschaft für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Heidelberg Society for Comparative Public Law and International Law) plays a crucial role. The society regularly pays the substantial registration fees for the Jessup and enables countless Heidelberg Jessup generations to embark on the great pilgrimage of international law – a study trip to The Hague. There, teams gain inspiring insights in the International Court of Justice, the International Criminal Court, the German Embassy, and other venues of international law.

However, the most critical element is the guidance provided by coaches employed by the institute. This aspect is where the most significant change in Jessup support at MPIL becomes evident, which can roughly be characterizes as a shift from a directorial approach to a communal approach. In the 1990s, all essential steps for forming Jessup teams were initiated by the directors: a director assigned one or two research assistants to coach the team, supported by one or two Mooties from the previous year (employed as student research assistants). The directors also used their international law lectures and seminars to approach students and invite them to join the team.

In contrast, for several years now, the initiative for forming new teams has increasingly come from the community of former Heidelberg Jessup Mooties and coaches (the Jessup Community). The previous year’s Mooties advertise the Jessup in lectures and organize information evenings to recruit new students for the competition. Former coaches actively seek out new coaches and convey the desire for corresponding jobs at MPIL to the directorate. Each new Jessup round is preceded by uncertainty about how many new coaches can be found and how many of them can be employed at MPIL. In 2019 and 2020, for example, only two former Mooties could be found to take on coaching responsibilities – a considerable commitment alongside their studies. The selection of new Mooties has also been in the hands of the Heidelberg Jessup Community for many years, organizing and conducting the selection interviews.

This shift towards a communal approach brings a significant advantage: the responsibility placed on former Mooties and coaches fosters a strong communal sense within the Heidelberg Jessup Community. Granting this community considerable freedom in the entire process of selecting and supervising teams is a sign of great trust. New coaches can draw on the traditional knowledge and experiences of previous generations while also having the freedom to implement new models and methods in team supervision.

As a flip side, this presents a call for initiative and engagement to current and future Heidelberg Jessup generations. Without directorial initiative and leadership, Jessup support at MPIL is not institutionally guaranteed. This is also illustrated by the example of the Concours Européen des Droits de l‘Homme René Cassin, a moot court simulating proceedings before the European Court of Human Rights in Strasbourg. At least since 1993, the institute supported René Cassin Teams, winning the competition in the 1998 edition. However, after 2004, Heidelberg did not participate in the René Cassin anymore. Even a successful tradition may come to an end.

Against that background, ensuring the continuation of Heidelberg’s Jessup tradition requires former Mooties to take responsibility for future Jessup generations and actively call for the (generally very generous) MPIL support. The shift from a directorial approach to a communal approach only occasionally translated into the institute ultimately using fewer resources for Jessup coaching than under the directorial approach. However, these resources must be persistently solicited by former and new coaches. This is not always easy, given that after participating in the Jessup or supervising a team, the next academic achievements, the state examination or further work on the dissertation always await. The nonetheless continuous existence of Heidelberg’s Jessup tradition indicates how many hours Heidelberg’s Jessup Community has voluntarily invested – during evenings, weekends, and holidays.

IV. Symbiosis: Mutual Benefits for MPIL and Jessup

Crowned with success. Awards in the MPIL’s Jessup office (Photo: MPIL)

Thus, on one hand, a shift can be observed in MPIL’s support for Heidelberg Jessup teams from a directorial to a communal approach, bringing about a certain fragility in the future of Jessup at MPIL. On the other hand, the long-standing, uninterrupted Jessup tradition and the relatively unchanged resource allocation by MPIL for Jessup support suggest reliability and continuity. This ambivalent finding – persistence despite fragility – can be explained by the symbiotic relationship that has developed between Jessup and MPIL in Heidelberg. Evidently, Jessup teams greatly benefit from the resource-intensive support provided by MPIL. Simultaneously, and less obviously, MPIL also benefits from Jessup. Herein lies the symbiotic nature of the relationship between Jessup and MPIL.

For Mooties, coaches, and MPIL, the Jessup has a significant added value. For Mooties, Jessup participation is an outstanding opportunity. Typically, legal studies in Germany offer few chances for teamwork, minimal international elements, hardly any subject-specific language proficiency training, a poor student-to-supervisor ratio, limited incentives for independent development of legal arguments, and certainly no framework for presenting them orally. The Jessup provides all of these in an intensive semester of working and learning. In addition to an excellent understanding of the foundations of international law, Mooties develop sophisticated research skills while drafting memorials, and they learn to articulate clear and concise responses to complex legal questions. Anyone who later wants to argue in an interest-orientated, legally serious and cogent manner in legal briefs will benefit considerably from the meticulous preparation of memorials over several months. The strict word limit compels Mooties to select the best arguments and present them succinctly. The preparation of pleadings resembles an intensive English and rhetoric training, where Mooties learn to professionally respond to the judges’ most critical questions spontaneously. Beyond Legal English as a working language, engagement with international law, and a study trip to The Hague, participation in the International Rounds in Washington, D.C., after months of hard work and a bit of luck, provides teams with valuable international experiences. Simultaneously, the intense collaboration between Mooties and coaches forces everyone to further develop their teamwork skills. Time pressure and intensive work unite the team, while coaches gain initial leadership experiences crucial for further academic careers. Many alumni fondly look back on this time, which not only imparts legal skills but also fosters enduring friendships. As is in the nature of a competition, not every team can win the Jessup. However, all Mooties gain tremendous learning opportunities over the months of preparation.

These substantial benefits are countered by valid objections. Meaningful support for Jessup teams demands significant financial and human resources. ILSA restricts the number of Mooties to five, limiting the privilege of participation to only a few students each year. Moreover, educating students is not a core task of an institute dedicated to foundational and top-level research. However, the responsible Faculty of Law has, thus far, contributed hardly any resources to support Heidelberg’s Jessup teams.

The MPIL also benefits considerably from the Jessup. Mooties, as guests, familiarize themselves with the institute’s processes and structures. They research sources for legal arguments, developing a critical view of international law and its methodology. With their excellent ability to independently research international legal questions, they are well-suited to remain connected to the institute as student research assistants after the Jessup – indeed a common practice. For some Mooties, this path has led to pursuing a doctoral degree at MPIL. Therefore, the Jessup helps MPIL introduce dedicated law students to the institute and acquaint them with the study of international law. MPIL gains significant visibility at the university through the Jessup, and the German National Rounds and International Rounds extend this visibility far beyond Heidelberg. Meanwhile, the directorate can get to know the students as guests before employing them as researchers or assistants.

V. Retrospect and Outlook

The history of the Jessup Moot Court at MPIL can certainly be told as a success story. Over nearly four decades, the Jessup fever has infected numerous Heidelberg Mooties and coaches, providing them with a uniquely valuable learning experience. The MPIL has benefited from this enthusiasm of young people for international law, which would not have been possible without the often very intense support. This narrative of success, however, should not veil the fact that the continuity of MPIL’s Jessup tradition was often hanging by a thread.

How can the continuation of Jessup for future generations be guaranteed? This requires both the commitment of the Heidelberg Jessup Community to support new teams in diverse ways, and intensive institutional support from MPIL and the Heidelberg Society. The relationship between these driving forces of the Heidelberg Jessup tradition must be re-evaluated every year. The continuation of the Heidelberg Jessup history depends on the interplay of these forces, which are necessary but not sufficient conditions for this end. From this diagnosis, it follows that Jessup in Heidelberg cannot be considered a given, both from the perspective of MPIL and the Jessup Community. It is all the more impressive that there have been Heidelberg Jessup teams for almost 40 years now.

Note on sources and transparency: My contribution is based on personal experience (as a Heidelberg Jessup Mootie in 2018, coach in 2019 and 2022), conversations and correspondence with other former Mooties, coaches, and other stakeholders at the institute, as well as reports from Heidelberg teams (from 2006 onwards), activity reports from the institute, documents from the Heidelberg Society, archive materials from Prof. Wolfrum, Folder III of the institute’s chronicle, and records from the International Law Students Association (ILSA). Reliable knowledge about the performance of Heidelberg teams in National and International Rounds is available from 1997 onwards.

Mein Aufenthalt am MPIL: Der Beginn einer Weltreise

My Stay at the MPIL: The Beginning of a World Journey

Deutsch

Als ich im Sommer 1991 aus meiner Heimat Südafrika nach Deutschland kam, gab es große Veränderungen im Land, in der Region und in der Welt. Es war die Zeit kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, des Zusammenbruchs der ehemaligen Sowjetunion, der Invasion Kuwaits durch den Irak und des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Es war auch eine Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen in Südafrika, als sich das Land auf seine ersten demokratischen Wahlen und den Übergang von der weißen Minderheitsregierung zur konstitutionellen Demokratie vorbereitete.

Es war für mich aber auch eine Zeit eigenen intellektuellen Wandels, nachdem ich an das Institut (damals noch in der Berliner Straße untergebracht) gekommen war, um für meine Doktorarbeit über die Bedeutung des deutschen Sozialstaatsprinzips für die künftige südafrikanische Verfassung zu forschen. Während in den 1980er Jahren mehrere südafrikanische Wissenschaftler am Institut tätig waren, war ich zu dieser Zeit eine der wenigen südafrikanischen Wissenschaftlerinnen, die die Gelegenheit zu einem Forschungsaufenthalt hatten. Ich war erst 23 Jahre alt und hatte gerade mein Jurastudium in Freistaat in Südafrika abgeschlossen. Für mich waren die fast zwei Jahre am Institut von Spätsommer 1991 bis zum Frühjahr 1993 prägend – und ein Quantensprung in meiner intellektuellen Entwicklung, der sich letztlich entscheidend auf meinen beruflichen Werdegang auswirkte.

Deutsche erklären die Welt? Einblicke in die Diskussions- und Wissenschaftskultur am MPIL der 1990er

Mehrheitlich Männer. Referentenbesprechung in der Berliner Straße 1985

Da ich von einer kleinen, regionalen juristischen Fakultät in Südafrika kam, zu einer Zeit, als das Land aufgrund der Apartheidpolitik politisch noch sehr isoliert war und der akademische Austausch und das kritische Denken dort auf viele Hindernisse stießen, ist es nicht verwunderlich, dass ich meine Heidelberger Umgebung anfangs als einschüchternd und befreiend zugleich empfand. Meine deutschen Sprachkenntnisse waren damals noch sehr begrenzt (im Wesentlichen erworben während zweier intensiver Studienmonate im Sommer 1991 am Goethe-Institut in Schwäbisch Hall) und reichten noch nicht aus, um schwierige deutsche Rechtstexte zu lesen. Auch auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung, des Völkerrechts und des Auftretens auf der internationalen akademischen Bühne klafften große Wissens- und Erfahrungslücken. Es konnte daher einschüchternd sein, mit gut ausgebildeten und oft weit gereisten und kultivierten (damals überwiegend männlichen) wissenschaftlichen Mitarbeitenden über eine Vielzahl von rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen zu diskutieren.

Manchmal allerdings wünschte ich mir sogar, dass diese Kollegen eher bereit wären, unvoreingenommen zuzuhören, statt sich gleich über hochkomplexe politische und juristische Zusammenhänge in fernen Ländern – mit denen sie persönlich nur wenig Erfahrung hatten – zu äußern, so belesen sie auch zu einem bestimmten Thema sein mochten. Gleichzeitig war es befreiend, sich in einem Umfeld zu befinden, in dem eine fundierte Debatte eine Selbstverständlichkeit war. Darüber hinaus waren diese Diskussionen wichtig, um zu lernen, sich zu behaupten – oft als einzige Frau in der Gruppe (zu einer Zeit, als es kaum ein Bewusstsein für die unbewussten Vorurteile gab, die mit solchen Konstellationen einhergehen) – und dazu in einer Fremdsprache. Darüber hinaus wurde das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig eine solide Debatte in Verbindung mit Toleranz (einschließlich der Bereitschaft aufmerksam zuzuhören) ist, um eine nuancierte, ausgewogene und tiefgründige akademische Forschung zu fördern. Diese aus meiner Sicht unerlässliche Qualität ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags leider zunehmend eine Seltenheit auch an vielen intellektuellen Elite-Institutionen geworden, unter anderem aufgrund des zerstörerischen Einflusses der sozialen Medien, die darauf abzielen, zu polarisieren und zu ‚canceln‘ und damit die Grundlagen der akademischen Freiheit und des demokratischen Diskurses zu untergraben.

Eine lebenslange Verbindung. Der bleibende Einfluss des MPIL

Legendäre Buchbestände. Bibliothekarin Marlies Bornträger 1985 (Foto: MPIL)

Wichtig war für mich damals die enge soziale Interaktion mit den wissenschaftlichen Mitarbeitenden und einem ganz allgemein sehr unterstützenden Umfeld, wozu auch die damaligen Direktoren beitrugen. Zu dieser Zeit wurde das Institut von Jochen Abr. Frowein und dem mittlerweile verstorbenen Rudolf Bernhardt geleitet. Es gab auch eine kurze Überschneidung mit Rüdiger Wolfrum vor meiner Abreise im Jahr 1993, als er die Nachfolge von Rudolf Bernhardt als Direktor des Instituts antrat. Sowohl Jochen Frowein als auch Rüdiger Wolfrum blieben sehr interessiert an meiner Karriere und unterstützten sie. Zum Beispiel hatte ich nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 die Gelegenheit, mit Rüdiger Wolfrum und seinem Team bei der Beratung zur Verfassungsreform im Südsudan und später auch Sudan zusammenzuarbeiten und dabei auch auf die Erfahrungen Südafrikas in den 1990er Jahren zurückzugreifen.  Als große Ehre habe ich empfunden, dass ich im Jahr 2020 (zusammen mit Kathrin Maria Scherr) die Herausgeberschaft des Max Planck Yearbook of United Nations Law (UNYB) übernehmen durfte, welches im Jahre 1997 von Jochen Frowein und Rüdiger Wolfrum begründet worden war. Der Einfluss ihrer Forschung auf meine eigene Arbeit und die herausragende Rolle des Völkerrechts in der Arbeit des Instituts im Allgemeinen führten ferner dazu, dass sich mein Hauptforschungsinteresse im Laufe der neunziger Jahre vom vergleichenden Verfassungsrecht zum Völkerrecht verlagerte.

Ein weiterer einzigartiger Aspekt des Instituts war und ist der legendäre Bibliotheksbestand, sowohl in Bezug auf das vergleichende öffentliche Recht als auch auf das Völkerrecht. Wissenschaftler (sowohl junge als auch etablierte) aus ganz Europa und darüber hinaus besuchten die Bibliothek vor allem in den Sommermonaten, was zu einer sehr lebendigen Gemeinschaft von Wissenschaftlern des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts führte, die zu dieser Zeit wahrscheinlich einzigartig in Europa war. Der sich daraus ergebende Austausch versorgte auch das akademische Personal des Instituts mit einer Fülle von Informationen, die sowohl für die eigene Forschung als auch für die Arbeit des Instituts insgesamt relevant waren. Der Wissenstransfer, der in und um die Bibliothek herum stattfand, war also eine Zweibahnstraße und von grundlegender Bedeutung zu einer Zeit, als es noch kaum digitale Ressourcen und Kommunikation gab. Für mich persönlich war es auch ein Anstoß, weitere internationale Erfahrungen zu sammeln und neue Horizonte zu erkunden. Ich hatte auch das große Glück, Matthias Herdegen, ehemaliger Referent am Institut und damals Professor an der Universität Konstanz, kennenzulernen. Wegen sein Interesse an den verfassungsrechtlichen Entwicklungen in Südafrika nahm er Kontakt zu mir auf und der Austausch entwickelte sich zu einer nachhaltigen, bis heute andauernde Zusammenarbeit.

Es fiel mir sehr schwer, Heidelberg im Frühjahr 1993 zu verlassen, aber ich hatte das große Glück, die Verbindung zum Institut und zur Stadt in den folgenden Jahren aufrechtzuerhalten, sei es durch anschließende Forschungsaufenthalte, die von der Alexander‑von‑Humboldt‑Stiftung gefördert wurden, oder durch die Teilnahme an einer Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen und persönlichen Kontakten die sich bis heute gehalten haben. In den letzten Jahren hat sich meine Verbundenheit auch auf die von Rüdiger Wolfrum 2013, nach seiner Emeritierung als Direktor am Institut, gegründete Max‑Planck‑Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit ausgeweitet, deren Projekte zur Verfassungsreform global Anerkennung gefunden haben. Durch meine Tätigkeit im Scientific and Development Policy Advisory Committee und als Mitherausgeberin des UNYB, das nun unter der Leitung der Stiftung herausgegeben wird, konnte ich eine Verbindung zur Max‑Planck‑Community aufrechterhalten. Diese langjährige Verbindung ist seit über dreißig Jahren eine Bereicherung, welche ich auch in Zukunft zu pflegen versuchen werde.

English

When I came to Germany from my country of origin South Africa in the summer of 1991, there were major changes in the country, the region, and the world. It was the time shortly after German reunification, the collapse of the former Soviet Union, the invasion of Kuwait by Iraq, and the war in the former Yugoslavia. It was also a time of great change and challenges in South Africa as the country prepared for its first democratic elections and the transition from white minority rule to constitutional democracy.

But it was also a time of my own personal intellectual transformation after coming to the Institute (at the time, still housed in Berliner Straße) to do research for my doctoral thesis on the significance of the German Sozialstaatsprinzip (“welfare state principle”) for the future South African constitution. While there had been several South African scholars working at the Institute in the 1980s, during the early 1990s I was one of few South African academics who had the opportunity for a research visit in Heidelberg. I was only 23 years old and had just completed my law degree in Free State, South Africa. For me, the almost two years at the Institute from late summer 1991 to spring 1993 were formative – and a quantum leap in my intellectual development, which ultimately had a decisive impact on my professional career.

Germans Explaining the World? Insights into the Scientific and Discursive Culture at the MPIL in the 1990s

Men in the majority. “Referentenbesprechung” in the institute building in Berliner Straße in 1985 (photo: MPIL)

Coming from a small, regional law faculty in South Africa, at a time when the country was still very isolated politically due to apartheid and academic exchange and critical thinking in South African society faced many obstacles, it is not surprising that I initially found my Heidelberg environment simultaneously intimidating and liberating. My German language skills were still very limited (mainly acquired during two months of intensive study at the Goethe Institute in Schwäbisch Hall in the summer of 1991) and were not yet sufficient to read difficult German legal texts. There were also large gaps in my knowledge and experience in the fields of comparative law, international law, and on how to handle oneself in the environment of international academia. It could therefore be intimidating to discuss a wide range of legal and social issues with the well-educated, often well-travelled and cultured (and at that time predominantly male) academic staff.

Sometimes, however, I did wish that these colleagues would have been more willing to listen with an open mind instead of immediately commenting on highly complex political and legal issues in distant countries – with which they had little personal experience – however well‑read they might have been on a particular topic. At the same time, it was liberating to be in an environment where informed debate was a matter of course. Moreover, these discussions were important for learning to assert myself – often as the only woman in the group (at a time when there was little awareness of the unconscious bias associated with such constellations) – and in a foreign language. Furthermore, my awareness was raised for the importance of robust debate combined with tolerance (including a willingness to listen carefully) to promote nuanced, balanced, and deep academic research. This, in my view, essential quality has, at the time of writing, sadly become increasingly rare even at many elite scholarly institutions, in part due to the destructive influence of social media, which aims to polarise and ‘cancel’, undermining the foundations of academic freedom and democratic discourse.

A Lifelong Connection. The Lasting Influence of the MPIL

Legendary libary collection. Librarian Marlies Bornträger in 1985 (Photo: MPIL)

Of great significance to me at the time was the close social interaction with the scientific staff and a generally very supportive environment, which was also contributed to by the directors. At the time, the institute was headed by Jochen Abr. Frowein and the late Rudolf Bernhardt. There was also a brief overlap with Rüdiger Wolfrum before my departure in 1993, when he succeeded Rudolf Bernhardt as Director of the Institute. Both Jochen Frowein and Rüdiger Wolfrum remained very interested in and supportive of my career. For example, after the independence of South Sudan in 2011, I had the opportunity to work with Rüdiger Wolfrum and his team in advising on constitutional reform in South Sudan and later Sudan, drawing on South Africa’s experience in the 1990s.  It was a great honour for me to take over the editorship of the Max Planck Yearbook of United Nations Law (UNYB) in 2020 (together with Kathrin Maria Scherr), which had been founded in 1997 by Jochen Frowein and Rüdiger Wolfrum. The influence of their research on my own work and the prominent role of international law in the work of the Institute in general also led to my main research interest shifting from comparative constitutional law to international law over the course of the 1990s.

Another unique aspect of the institute was and is its legendary library collection, both in terms of comparative public law and international law. Researchers (young as well as established) from all over Europe and beyond visited the library, especially during the summer months, resulting in a very lively community of scholars of public law and international law, probably unique in Europe at the time. The ensuing exchange also provided the Institute’s academic staff with a wealth of information that was relevant both for their own research and for the work of the Institute as a whole. The transfer of knowledge that took place in and around the library was therefore a two-way street and of fundamental importance at a time when digital resources and communication were scarce. For me personally, it was also an impetus to gain further international experience and explore new horizons. I was also very fortunate to meet Matthias Herdegen, former research fellow at the Institute and at the time Professor at the University of Konstanz. He established contact due to his interest in the constitutional developments in South Africa and our exchange developed into a lasting collaboration that continues to this day.

Leaving Heidelberg in the spring of 1993 was difficult for me, but I was very fortunate to maintain my connection to the Institute and the city in the years that followed, through subsequent research stays funded by the Alexander von Humboldt Foundation and participation in several academic events, as well as via personal contacts that have lasted to this day. In recent years, my ties have also extended to the Max Planck Foundation for International Peace and the Rule of Law, which was founded by Rüdiger Wolfrum in 2013 after his retirement as Director of the institute and whose projects on constitutional reform have received global recognition. Through my work on the Scientific and Development Policy Advisory Committee and as co-editor in chief of the UNYB, which is now published under the auspices of the Foundation, I have been able to maintain a link with the Max Planck community. This long-standing connection has been an enrichment for over thirty years, and I will endeavour to maintain it in the future.

 

Translation from the German original: Sarah Gebel

“Asylum Compromise” Revisited

In the early 1990s, Andreas Zimmermann – then a PhD candidate at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) in Heidelberg – comprehensively addressed the question of the conformity of so-called “safe third country” (STC) practices in the field of refugee protection with international law. In 1992, in the run-up to the reform of the German asylum system, he wrote an expert opinion together with the institute’s director at the time, Jochen A. Frowein, for the German Federal Ministry of Justice titled “Der völkerrechtliche Rahmen für die Reform des deutschen Asylrechts” (“The International LawFramework for the Reform of German Asylum Law”)[1]. Following the adoption of Article 16a of the Basic Law – the German constitution –  in 1993, he wrote his PhD thesis titled “Das neue Grundrecht auf Asyl – Verfassungs- und völkerrechtliche Grenzen und Voraussetzungen” (“The New Fundamental Right to Asylum – Constitutional and International Law Limits and Requirements”).[2] The work was published in 1994 as part of the Heidelberg Max Planck Law book series “Contributions on Comparative Public Law and International Law”. It analyses in detail the legality of Article 16a of the Basic Law at the constitutional, European, and international level. Furthermore, in 1993, he also wrote an article on “Asylum Law in the Federal Republic of Germany in the Context of International Law”, which was published in the Heidelberg Journal on Comparative Public Law and International Law (HJIL).[3] In light of the current discourse surrounding the proposals for a reform of the Common European Asylum System (CEAS), it is worthwhile revisiting these works.

The “Asylum Compromise” of 1993

In 1993, the concept of STC was introduced to the German constitution in an effort to deal with the high influx of war refugees from the former Yugoslavia. Germany thereby followed an emerging practice that originated in Switzerland to ensure a sharing of responsibility for asylum seekers  among members of the international community. States most impacted by refugee influx could reject an application for asylum as inadmissible and could subsequently send asylum seekers to another state on the condition that the receiving state could offer them adequate protection in accordance with accepted international standards.

Through the so-called “asylum compromise”, the right to asylum was severely restricted by means of changing Article 16 of the Basic Law. The previous version, formerly enshrined in Article 16(2) of the Basic Law read:

“Persons persecuted on political grounds shall have the right of asylum.”

Paragraph (2) of Article 16a of the Basic Law (introduced in 1993) stipulates:

“Paragraph (1) [the right to asylum] of this Article may not be invoked by a person who enters the federal territory from a member state of the European Communities or from another third state in which application of the Convention Relating to the Status of Refugees and of the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms is assured. […]”[4]

Safe Third Country Practices and International Law

Regarding the compliance of the STC concept enshrined in Paragraph (2) of Article 16a of the Basic Law with international law, Zimmermann’s main conclusions,[5] in 1993, are as follows:

Under customary international law, states are not subject to a duty to readmit persons other than their own nationals. Hence, sending an asylum seeker to a third state is only possible if that state has declared its willingness to readmit asylum seekers and provide them with the option to request refugee status in a legally binding agreement with the sending state.

Under the 1951 Geneva Refugee Convention (thereinafter: Refugee Convention), states are generally not precluded from returning asylum seekers to third states. In any given case, however, it must be assured that the principle of non-refoulement, enshrined in Article 33 of the Refugee Convention, is abided by. This means that asylum seekers must be protected from persecution in the third state as well as from deportation by the third state to the presumed country of persecution (protection from chain deportations).

While STC can be determined in a generalized manner, it is necessary that the states in question are themselves bound by the Refugee Convention without geographical reservations and that their procedure of asylum application is in line with the procedural minimum standard under international law. However, even if the procedural guarantees of the Refugee Convention are generally complied with, the returning state is obliged to examine whether the receiving state fulfils its obligations under Article 33 of the Refugee Convention bona fide. In case of concrete indications that the respective third country is, in practice, not complying with the prohibition of refoulement stipulated in Article 33 of the Refugee Convention despite its formal commitment to the Convention, the returning state is obliged to review whether a country may remain on the list of STC.

Furthermore, before being sent back to a STC, a refugee must be granted an opportunity to claim that, in his or her individual case, the third state in question would not be safe.

Under the Refugee Convention, an asylum-seeker needs to be sufficiently connected to the third country in question for his or her transfer there to be legal. For example, a state has no right to return a person to a country through the airport of which he or she has passed for purposes of transit only.

Whereas the returning state must ensure that the third state abides by Article 33 of the Refugee Convention, it is not responsible for ensuring that allprovisions of the Refugee Convention are complied with in the third country.[6] Nevertheless, the third state must guarantee the refugee some kind of minimum living standard.

Under the European Convention on Human Rights (ECHR), there are further special restrictions, e.g., with regard to the protection of family life (Article 8 ECHR) and the prohibition (under Article 3 ECHR) to create a situation where a person is permanently sent from one state to another and thus becomes a “refugee in orbit”.

Most of these findings about the legal safeguards still apply to today’s changed legal environment and have been further developed by scholarship and jurisprudence over the years. Some questions, however, remain disputed to this day: this includes whether the third state needs to be a party to the Refugee Convention and to what extent the sending state must ensure that provisions of the Refugee Convention are complied with in the third country.[7]

The Safe Third Country Concept in EU Asylum Law

In 2005, the concept of STC was incorporated at the EU-level in the 2005 Asylum Procedures Directive, which was later replaced by the 2013 Asylum Procedures Directive (rAPD). Article 38(1) rAPD stipulates that a member state may apply the STC concept only when the competent authorities are satisfied that a person seeking international protection will be treated in accordance with the following principles in the third country:

„(a) life and liberty are not threatened on account of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion;

(b) there is no risk of serious harm as defined in Directive 2011/95/EU;

(c) the principle of non-refoulement in accordance with the Geneva Convention is respected;

(d) the prohibition of removal, in violation of the right to freedom from torture and cruel, inhuman or degrading treatment as laid down in international law, is respected; and

(e) the possibility exists to request refugee status and, if found to be a refugee, to receive protection in accordance with the Geneva Convention.”

Furthermore, according to Article 38(2)(a) rAPD, the applicant needs to be sufficiently connected to the STC, so that his or her return and seeking refuge there may be considered reasonable. If the conditions of Article 38 rAPD are met, a member state may consider an application for international protection to be inadmissible (Article 33(2)(c) rAPD).

Increasingly, restrictive immigration policies are aimed at deterring irregular arrivals and responsibility-shifting rather than responsibility-sharing. States are seeking to outsource migration management and international protection responsibility to third countries – mostly transit countries – already impacted by large refugee flows. These policies come with diminished safeguards, as demonstrated by the 2016 EU‑Turkey statement or the 2022 UK‑Rwanda agreement, the latter of which was recently declared unlawful by the UK Supreme Court on the basis that Rwanda was not a STC as asylum seekers would be at risk of refoulement.

While Article 16a of the Basic Law has lost its significance in German asylum law practice since the main regulations are now contained in international treaty law and EU law, the underlying question of the conformity of STC practices with international law remains a topical one. In June 2023, the European Council agreed on a negotiation position on the new Asylum Procedures Regulation. Under the latest[8] amended proposal for an Asylum Procedure Regulation (draft APR), the use of STC procedures shall be expanded by watering down and settling the legal safeguards of the concept on a low standard:

Article 43a(2) of the draft APR states that STC  need only provide “effective protection” to refugees but they are not obligated to grant them legal status, ensure full access to healthcare, or guarantee family unity. Furthermore, the concept of “de facto-protection”, on which Article 43a(2) draft APR is based, does not comply with international refugee law. However, whether the STC must be a party to the Refugee Convention (without geographical limitation) remains, as mentioned, controversial.[9] For instance, a STC could refer to a definition of refugee different than the one laid down in the Refugee Convention, as Zimmermann argues in his dissertation. Furthermore, as a non‐contracting state, a STC could claim to not be legally bound by the principle of non‐refoulement. Lastly, there would be no possibility for the UNHCR to intervene in cases of obvious breaches of the principle of non‑refoulement. Accordingly, at least in Zimmermann’s opinion, the STC must be a party to the Refugee Convention (as well as to other human rights treaties relevant to asylum).[10] With the concept of non-refoulement becoming customary in international law and, arguably, jus cogens, the argument Zimmermann makes may have lost some of its traction. However, an expansion of the circle of STC in the sense that it is no longer required for a third country to respect the principle of non-refoulement “in accordance with the Geneva Convention”[11] would be contradictory to Article 78(1) TFEU and Article 18 of the EU-Charter which require, respectively, that the EU’s asylum policy be “in accordance” with the Refugee Convention and that “the right to asylum shall be guaranteed with due respect for the rules of the Geneva Convention”.

According to Article 45(1)(a) of the draft APR, the safety of a country is to be assessed with reference to “non-nationals”. STC could therefore include countries persecuting their own citizens and producing refugees themselves. Additionally, a third country may be categorized as a STC “with the exception of certain parts of its territory or clearly identifiable groups of persons”, Article 45(1a) draft APR. This could lead to the relocation of asylum seekers to an unstable third state, where a protection zone equivalent to the size of a refugee camp is effectively managed and asylum seekers are held there with their subsistence ensured. This raises unresolved questions regarding the EU’s responsibility for ensuring adequate living standards in third countries as well as the inclusion of asylum seekers in line with the Refugee Convention (cf. Zimmermann’s findings above).

Fortunately, the “reasonable connection requirement” is to be upheld and its definition is subject to rules under national law. This prevents EU member states from concluding a UK‑Rwanda‑like agreement and sending refugees to faraway countries with which they lack any connection. Under Article 45(2b)(b), Recital 37 of the draft APR, a reasonable connection may be established when the applicant has settled or stayed in the third country. Proposals that included references to “transit” as conclusive evidence of a connection were unsuccessful. This is in line with the case law of the Court of Justice of the European Union (CJEU).[12] The examples provided of “settlement” and “stay” nonetheless give member states some room for interpretation in this direction. Having said that, the “reasonable connection requirement” as laid out by Zimmermann in 1994 should inform these interpretations.

Member states may presume the safety of a third country on the mere basis of an agreement between the EU and said third country as well as general assurances by that country that readmitted migrants will be “protected in accordance with the relevant international standards”, Article 45(3) draft APR. The EU-Turkey deal, however, is living proof that the mere existence of an agreement does not guarantee its safety in practice. This is why the 2007 Michigan Guidelines on Protection Elsewhere require, for permitting the referral of an asylum seeker to “protection elsewhere”, a “good faith empirical assessment”[13] by the sending state that refugees will enjoy Refugee Convention rights in the receiving state.[14] The burden of proof in this respect therefore does not lie with the asylum seeker but with the country where the asylum application was lodged, as it retains the responsibility for any action in violation of its obligations under international law, particularly the principle of non-refoulement (cf. Zimmermann’s findings above).

Conclusion and Outlook

After three years of negotiations, the European Parliament and the Council reached a political agreement on the key proposals of the Pact on 20 December 2023, including the Asylum Procedures Directive. This opened the door for further negotiations regarding technical details with a formal adoption expected before the European Parliament elections in June 2024.

The latest proposal for the APR is an example of an attempt at lowering standards with regard to the concept of STC and contradicts the EU’s endorsement of a positive contribution to the protection and promotion of human rights.[15] Once it is formally adopted (changes by means of the political agreement reached in December 2023 and further political discussions notwithstanding), refugee protection in the EU will largely depend on how member states interpret and enforce the regulation. It will be important for member states to consider the real circumstances in the third countries in question. Furthermore, due consideration should be taken of the principles of international cooperation and responsibility-sharing as expressions of international solidarity, a concept which is enshrined in the preamble of the Refugee Convention. Member states should conduct negotiations with all third countries along the migration routes and the EU should make more attractive offers of cooperation with regard to migration policy towards the relevant third countries. To this end, it should also utilize development policy instruments, for example supporting these countries in strengthening their asylum and migration policy capacities.

30 years after the German “asylum compromise”, migration remains at the forefront of the political debate. Concomitant with this is the desire of states to send asylum seekers and, by extension, responsibility to third countries. The debate about international human rights and refugee protection standards in this regard must likewise continue and it is worth bringing to attention some “old” arguments such as those put forward by Andreas Zimmermann and Jochen Frowein at the MPIL.

[1] Jochen A. Frowein, Andreas Zimmermann, Der völkerrechtliche Rahmen für die Reform des deutschen Asylrechts: Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz erstattet vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, Bundesanzeiger 45 (1993).

[2] Andreas Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl – Verfassungs- und völkerrechtliche Grenzen und Voraussetzungen, Contributions on Comparative Public Law and International Law vol. 115, Heidelberg: Springer 1994.

[3] Andreas Zimmermann, ‘Asylum Law in the Federal Republic of Germany in the Context of International Law’, HJIL 53 (1993), 49-87.

[4] Translation: Christian Tomuschat et al., in cooperation with the Language Service of the German Bundestag, Basic Law for the Federal Republic of Germany in the revised version published in the Federal Law Gazette Part III, classification number 100-1, as last amended by the Act of 19 December 2022 (Federal Law Gazette I p. 2478).

[5] Compare: Zimmermann (fn. 2), 400-401.

[6] This is to be read against the background that, in Andreas Zimmermann’s opinion, it is required under international law that a STC is a party to the Refugee Convention.

[7] Rainer Hofmann and Tillmann Löhr, ‘Introduction to Chapter V: Requirements for Refugee Determination Procedures’ in: Andreas Zimmermann, Felix Machts and Jonas Dörschner (eds), The 1951 Convention Relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol: A Commentary, Oxford: Oxford University Press 2011, 1112-1113.

[8] Any changes that were agreed upon as part of the political agreement reached in December 2023 are not expected to be available on paper until February 2014.

[9] Hofmann and Löhr (fn. 7), 1112, para 79.

[10] Compare: Zimmermann (fn. 2), 174f.

[11] Article 38(1)(c) rAPD.

[12] See CJEU, LH v. Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal, judgement of 19 March 2020, case no. C-564/18, ECLI:EU:C:2020:218; CJEU, FMS, FNZ, SA, SA junior v. Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság, judgement of 14 May 2020 in joint cases no. C-924/19 PPU and C-925/19 PPU, ECLI:EU:C:2020:367; CJEU, European Commission v. Hungary, judgement of 16 November 2021, case no. C-821/19, ECLI:EU:C:2021:930.

[13] Emphasis added.

[14] See also: UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), Guidance Note on bilateral and/or multilateral transfer arrangements of asylum-seekers, May 2013, available at: <https://www.refworld.org/docid/51af82794.html>  (last accessed: 18 January 2024), para 3(iii).

Suggested Citation:

Laura Kraft: “Asylum Compromise” Revisited, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240219-184505-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Fontes Juris Gentium. Ein völkerrechtliches Editionsprojekt

Fontes Iuris Gentium. An editorial project on international law

Deutsch

Einleitung. Zur Schaffung eines „Sinnsystems“

Vor etwa 100 Jahren war es wohl allenfalls Utopisten vorstellbar, dass riesige Quellen- und Textsammlungen digital verfügbar sein könnten. Zu jener Zeit waren Textsammlungen dessen, was man als Völkerrecht kannte, äußerst rar und ihre Anpassung an Rechtsentwicklungen allein schon aus technischen Gründen zeit- und natürlich auch kostenaufwendig. Die bedeutendste Sammlung völkerrechtlicher Quellen war seinerzeit der von Martens herausgegebene Recueil völkerrechtlicher Verträge, dessen erster Band bereits 1791 erschien.[1] Diese Publikation wird zurecht als die bedeutendste Grundlage des Völkerrechts und Martens daher als „Vater des positiven Völkerrechts“ angesehen.  Vor diesem Hintergrund war die Idee, weitere völkerrechtliche Quellen zu sammeln und zu publizieren, folgerichtig und es war naheliegend, dass dabei der Blick auf die völkerrechtliche Praxis gelenkt wurde. Die verlässlichste Aussagekraft über diese bot die internationale Gerichtsbarkeit, was zu dem Projekt führte, den völkerrechtlichen Gehalt aus Entscheidungen internationaler Rechtsprechungsorgane kontinuierlich zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Der Urheber des Projekts, Viktor Bruns, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (später Max-Planck-Institut, MPIL), umschrieb die Grundidee folgendermaßen:

„Es ist … Aufgabe der Wissenschaft, die Grundlagen und Grundprinzipien des Völkerrechts als einer Rechtsordnung zu ermitteln und ein System aufzustellen, das aus der Beobachtung der internationalen Praxis gewonnen ist und das ein Sinnsystem ist, das dem Charakter einer Rechtsordnung und im speziellen dem einer Ordnung für das Zusammenleben und den Verkehr der Staaten entspricht. So muß die Theorie des Völkerrechts aus der Erfahrung in der Praxis gewonnen, und so muß die Praxis an den so gewonnenen Erkenntnissen geprüft werden. Das ist nur möglich auf Grund eines umfassenden Überblicks über die internationale Praxis. Diesen Überblick zu verschaffen, ist Zweck der Herausgabe der Fontes Juris Gentium.“[2]

Da bekanntlich Völkerrecht nicht nur Grundlage der Entscheidungen vor internationalen Gerichten ist, sondern auch nationale Gerichte bei ihrer Rechtsfindung Völkerrecht anzuwenden haben, war das Projekt Fontes Iuris Gentium nicht nur darauf angelegt, die Rechtsprechung internationaler Gerichte zu bearbeiten, sondern auch die Positionen nationaler Gerichte zu völkerrechtlichen Fragen aufzuarbeiten. Entsprechend wurden in der Serie der Fontes zur   Gerichtsbarkeit (Series A) zwei Abteilungen vorgesehen: die erste Abteilung (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 1) war der internationalen Gerichtsbarkeit gewidmet, das heißt dem Ständigen Schiedshof und dem Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH) und dessen Nachfolger, dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Die zweite Abteilung dieser ersten Serie (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 2) galt der Erörterung völkerrechtlicher Fragen in den Entscheidungen der obersten Gerichte der wichtigsten Staaten. Zusätzlich zur Serie über die internationale Gerichtsbarkeit wurde eine zweite Serie angelegt, die die politischen und rechtlichen Grundsätze aus dem Notenwechsel der wichtigsten Staaten enthalten sollte (Series B). Geplant, aber niemals ausgeführt wurden zudem eine dritte Serie zu Gutachten und Entscheidungen internationaler Organe, die nicht den Charakter internationaler Gerichte haben (Series C), und schließlich eine vierte Serie (Series D), in der die Vertragsklauseln der wichtigsten, seit Beginn des 19. Jahrhunderts abgeschlossenen Verträge enthalten sein sollten.[3] Dass dieses höchst ehrgeizige Vorhaben nur in langfristiger Zusammenarbeit mehrerer Wissenschaftler durchgeführt werden konnte, war offensichtlich. Daher war es ohne Frage bei einer Forschungseinrichtung wie dem MPILin den richtigen Händen und wohl auch nur hier zu bewältigen.

System und Aufbau der Fontes  

Meine persönliche Erfahrung mit der Arbeit an den Fontes betrifft nur die Serie A, Sectio 1, also die Bearbeitung der Entscheidungen des IGH, beginnend mit der Publikation von Band 6, der die Entscheidungen von 1959-1975 enthält, bis zur Beendigung des Projekts im Jahr 2005.

Als ich 1970 als wissenschaftliche Referentin am MPIL angestellt wurde, war dies in zweierlei Hinsicht etwas Besonderes, was mir allerdings erst später bewusst wurde. Zum einen war damals schon die Tatsache, dass Frauen im wissenschaftlichen Bereich eingestellt wurden, außergewöhnlich und kann als „Pilotprojekt“ für die dann später zunehmende Einstellung von Kolleginnen angesehen werden. Zum anderen, und wesentlich bedeutender, war die Tatsache, dass meine vita nicht den Lebensläufen bisheriger Mitarbeiter entsprach. Ich hatte nämlich in einem ersten Studium den Weg als Diplomdolmetscherin eingeschlagen und dann bei der EWG mit seinerzeit noch nur sechs Mitgliedstaaten als Simultandolmetscherin gearbeitet. Aber diese wenig kreative Tätigkeit erschien mir auf Dauer nicht befriedigend und so studierte ich dann Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Die Kombination aus Sprachkompetenz und erfolgreichem Jurastudium war dann offensichtlich ausschlaggebend für meine Einstellung –insbesondere mit Blick auf das Projekt Fontes, das aufgrund der zunehmenden Zahl von Fällen, die vor den IGH gebracht wurden, intensiveren Einsatz forderte. Erfreulicherweise blieb jedoch trotzdem noch Raum für die Fertigstellung einer Dissertation.[4] Neben den üblichen Aufgaben als wissenschaftlicher Referent am Institut blieb ich bis zur Einstellung 2005 „die Konstante“ des Fontes‑Teams, dessen Leitung ich 1985 übernommen hatte, mit Beginn der Fortführung des  Projekts in der von Professor Rudolf Bernhardt initiierten Form des World Court Digest. Die weiteren drei bis vier Mitglieder der Arbeitsgruppe waren jeweils nur vorübergehend eingebunden.

Wie schon erwähnt, begann meine Tätigkeit an den Fontes mit den beiden Teilbänden von Band 6 der Fontes Series A, Sectio 1. Diese waren (zusammen mit Band 7, der die Dekade von 1976 bis 1985 abdeckt) die letzten Bände, die noch unter dem ursprünglichen Titel und in der ursprünglichen Form der Fontes Iuris Gentium erschienen. Die Dokumentation der späteren Rechtsprechung des IGH wurde dann unter dem Titel World Court Digest fortgeführt, allerdings mit einigen wesentlichen Änderungen.

Aber zunächst einmal zum grundlegenden System der Fontes-Serie. Wie der Titel bereits sagt, handelt es sich um ein Quellenwerk. Das heißt, dass nur Exzerpte aus den Originaltexten der Entscheidungen des Gerichts wiedergegeben wurden. Das schließt natürlich auch Gutachten ein. Da die Entscheidungen jeweils in Englisch und Französisch abgefasst sind, wurden jeweils beide Sprachfassungen aufgenommen, auf der linken Buchseite die französische Fassung, auf der rechten die englische. Exzerpte des authentischen Texts der Entscheidung wurden mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Auch Erklärungen und Sondervoten, die den Entscheidungen angefügt sind, wurden ausgewertet und zunächst in kleinerem Druck einbezogen, auch hier wurde jeweils die authentische Sprache kenntlich gemacht. Später, bei der Umstellung auf den World Court Digest, wurde allerdings die Einbeziehung der Sondervoten und Erklärungen zunächst grundsätzlich in Frage gestellt. Die Aufnahme dieser Texte wurde aber dann – glücklicherweise – doch beibehalten, da sie zum Diskussionsstand im Gericht und insbesondere auch zur Entwicklung der Rechtsauffassung des Gerichts außerordentlich informativ sind.

[pdf-embedder url=”https://mpil100.de/wp-content/uploads/2024/01/jpg2pdf.pdf”]

Die Systematik aller Bände folgt einem einheitlichen Aufbau: Der erste Teil der jeweiligen Bände gilt dem materiellen Recht, das in gleichbleibender Struktur von den Grundlagen und Grundfragen des Völkerrechts über spezielle Rechtsgebiete wie Vertragsrecht, Staatshaftungsrecht, und internationale Organe bis hin zu Krieg und Neutralität reicht. Gerade in diesem Teil hat sich natürlich die Bandbreite der Sachgebiete über die Jahre ganz wesentlich erweitert, da das Völkerrecht immer mehr Bereiche abdeckt, wie zum Beispiel Seerecht, Luft- und Weltraumrecht, Menschenrechte, internationales Wirtschaftsrecht, internationales Umweltrecht, internationales Strafrecht, um nur einige der neueren Aspekte zu nennen. Der zweite Teil eines Bandes gilt jeweils der Struktur der internationalen Gerichtsbarkeit, also dem StIGH und dem KaIGH und hat sich sachlich nicht erweitert. Er behandelt neben den Grundlagen der internationalen Gerichtsbarkeit die Bereiche Zuständigkeit, Verfahren, Urteile und Gutachten.

Wie bereits betont, trug die Publikation ursprünglich den Titel Fontes Iuris Gentium und den Untertitel Handbuch der Entscheidungen des (Ständigen) Internationalen Gerichtshofs. Dieser präzisierende Zusatz war durchaus sinnvoll, denn die Entscheidungen internationaler Gerichte sind als solche nicht „Quellen“ des Völkerrechts, da Gerichte bekanntlich nicht Recht setzen, sondern Recht sprechen. Allerdings sind die Grenzen hier oft fließend, und gerade im Völkerrecht gab es vor 100 Jahren nicht nur „weniger Recht“, sondern vor allem: weniger geschriebenes, kodifiziertes Recht. Aufgabe und Wert der Fontes lag insbesondere darin, genau herauszuarbeiten und zu dokumentieren, was das internationale Gericht als Teil des positiven Völkerrechts festgestellt hatte. Diese Zielsetzung musste bei der konkreten Arbeit immer wieder in Erinnerung gerufen werden, denn bisweilen war es schon sehr verlockend, ein Exzerpt kurz zu halten und damit die Aussage des Gerichts konkreter und definitiver zu fassen, als sie tatsächlich sein sollte. Doch der wissenschaftliche Geist und die Verantwortung des Teams und seines langjährigen Leiters Rudolf Bernhardt führten – wie wir fanden – immer dazu, die „Quelle“ nicht anzutasten und Aussagen so umfänglich wie erforderlich zu reproduzieren, um ihren tatsächlichen Gehalt getreu widerzuspiegeln. Dieses Bestreben führte auch dazu, dass beim Übergang zum World Court Digest längere Exzerpte aufgenommen wurden, um Ausgangspunkt, Parteivorbringen und Bewertung des Gerichts genauer abzubilden. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Fälle und der Umfang der Entscheidungen im Laufe der Zeit stark zugenommen hatten – was eine erfreuliche Akzeptanz der internationalen Gerichtsbarkeit dokumentiert – wurden damit jedoch auch Einschnitte an anderer Stelle erforderlich. Konkret hatte dies zur Folge, dass die Zweisprachigkeit aufgegeben wurde und nur noch die englischen Texte der Entscheidungen ausgewertet und wiedergegeben wurden – unabhängig davon, ob sie die authentische Textfassung waren.  Neu eingeführt wurde eine Zusammenfassung der Fälle in englischer Sprache, was bei den oft recht komplizierten Grundlagen der Streitigkeiten und auch Gutachtenfragen sehr hilfreich war. Zudem wurde auch eine Liste der Richter und ad hoc Richter des behandelten Zeitraums erstellt, so dass die bearbeitete Periode im Gesamtüberblick leicht zu überschauen war.

Editorische Arbeit im vordigitalen Zeitalter: Mit Schere, Papier und Klebstoff

Wie Viktor Bruns schon im Vorwort zum 1. Band der Serie A, Sectio 1, erwähnt hatte, konnte nur ein Team von Wissenschaftlern, in der Regel vier bis fünf Kollegen, die Arbeit an den Fontes leisten. Das erforderte zunächst einmal vor allem die intensive Lektüre der Entscheidungen und dann, in nicht minder intensiven Diskussionen, die Entscheidung darüber, welche Passagen an welcher Stelle der Systematik wiedergegeben werden sollten. Hierbei war eine gewisse Kontinuität zumindest eines Teils des Teams hilfreich, so dass Erfahrung mit der Kultur der Fontes und neuer Input durch neue Mitarbeiter gleichermaßen permanent gesichert waren. Für neue Teamkollegen, vor allem jüngere Mitarbeiter, bot dies Gelegenheit, sich intensiv mit den Entscheidungen des „Weltgerichtshofs“ zu befassen, die bis heute ein wesentlicher Spiegel des Standes des Völkerrechts und seiner Entwicklung sind. Kritische Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht konnte auf diese Weise hervorragend vermittelt und eingeübt werden.

Dorothee Bender (1970er) (Foto MPIL)

Neben dem „wissenschaftlichen Team“, dem die Auswahl der Exzerpte und ihrer Position in der Systematik oblag, hing die Herstellung der einzelnen Bände natürlich ganz wesentlich von dem „technischen Team“ ab, das in der Regel aus nur zwei oder drei Personen bestand. Die Herstellung des Manuskripts im „vordigitalen Zeitalter“ mag heute geradezu abenteuerlich erscheinen. Sie verdient an dieser Stelle ausdrückliche Würdigung, denn ohne die akribische Mitarbeit der Sekretariate wäre wohl kaum je ein Band erschienen. Natürlich können hier nicht alle einzelnen Mitarbeiterinnen genannt werden, die sich da höchst verdienstvoll betätigt haben, aber stellvertretend soll zumindest Dorothee Bender namentlich erwähnt werden, die über Jahrzehnte der nicht-digitalen Welt diese Arbeit in der ihr eigenen Perfektion hauptverantwortlich bewältigt hat. Und das lief folgendermaßen ab: Wenn das Team sich auf ein Exzerpt und dessen Einordnung in die Systematik geeinigt hatte, wurde dies im Text der Entscheidung kenntlich gemacht und seine Zuordnung vermerkt. Händisch musste dann dieses Exzerpt mit einer Schere aus dem Text ausgeschnitten und auf ein Blatt Papier geklebt werden; die entsprechende Rubrik des Exzerpts sowie die Angabe der Seiten im Urtext waren dann manuell und gut leserlich einzufügen. War ein Exzerpt für mehrere Rubriken vorgesehen, so musste es mehrfach abgetippt werden und den gleichen Weg gehen. Die Entscheidungen des Gerichts sahen nach diesem Prozedere sehr löchrig aus.  Und das Endmanuskript der Fontes bestand schließlich aus den gesammelten Seiten mit den aufgeklebten Exzerpten. Für die beiden Teile von Band 6 zum Beispiel – insgesamt über 830 Seiten – war das ein eindrucksvolles Konvolut, das natürlich noch ungebunden war und daher sorgfältig gehütet werden musste, damit kein einziges Blatt verloren ging oder falsch einsortiert wurde. Dieser zugegeben aufwendigen, aber verlässlichen Art der Manuskriptherstellung haben wir schmerzlich nachgetrauert, als das erste im Institut am Computer verfasste Manuskript, der World Court Digest 1986-1990, plötzlich auf mysteriöse Weise „verschwunden“ war, kurz bevor es zum Verlag gehen sollte –  und auch nur teilweise wieder hergestellt werden konnte. Allerdings blieb dieses Missgeschick einmalig – und die Herstellungsweise konnte insgesamt den technischen Fortschritten angepasst werden, die es bald auch ermöglichten, eine digitale Online-Version zur Verfügung zu stellen.[5]

Schlussbemerkung

Der durch die digitale Entwicklung erleichterte Zugriff auf die Originaltexte der Entscheidungen des IGH ist fraglos sehr zu begrüßen, kann meines Erachtens aber die Fontes Iuris Gentium bzw. den World Court Digest nicht völlig ersetzen. Denn diese Publikationen machten es möglich, die Entwicklungen des Völkerrechts zu bestimmten Sachbereichen, so wie sie in den Entscheidungen des IGH zum Ausdruck kamen, kontinuierlich über Jahrzehnte zu verfolgen. Gerade in den neueren Bereichen des Völkerrechts ist ein solcher „historischer“ Überblick außerordentlich lohnend und hilfreich. Und nebenbei sei bemerkt, dass die Bearbeiter dabei vielfach feststellen konnten, dass ihre Versuchung, Exzerpte kürzer zu fassen, und damit die völkerrechtliche Aussage kategorischer erscheinen zu lassen, als sie seinerzeit wirklich war, der tatsächlichen Entwicklung des Rechts oft nur vorgegriffen hätte. Die mit den Fontes eröffnete Möglichkeit, die Entwicklung des Völkerrechts in einzelnen Bereichen minutiös nachzuverfolgen, reicht nur bis 2005. Danach wurde das gesamte Projekt eingestellt, was, wie alle derartigen Entscheidungen, zwar nachvollziehbar ist, aber eben auch bedauerliche Nebenwirkungen hat.

[1] Georg Friedrich von Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites, d’échange etc. conclus par les puissances de l’Europe tant d’entre elles qu’avec du monde depuis 1761 jusqu’à présent, Bd. 1, Göttingen: Jean Chretien Dieterich 1791; Ab1819 wurde das Werk von unterschiedlichen Herausgebern bis 1944 fortgeführt unter dem Titel „Recueil Martens“.

[2] Viktor Bruns, Vorwort zu Band 1, Series A, Sectio 1, S. XI.

[3] Erschienen sind in Serie A, Sectio 1 Band 1 (1931), 3 (1935) und 4 (1964) zum Ständigen Internationalen Gerichtshof; Band 2 (1931) zum Ständigen Schiedshof und zum Internationalen Gerichtshof; die Bände 5 (1961), 6 (1978) und 7 (1990) in der „alten“ Fassung unter dem Titel Fontes Iuris Gentium und beginnend mit der Rechtsprechung ab 1986 unter dem Titel World Court Digest die Bände 1-4, die die Rechtsprechung bis einschließlich 2005 umfassen. In der Serie A, Sectio 2, sind in Band 1 (1931) die Entscheidungen des Deutschen Reichsgerichts von 1879 – 1929 bearbeitet worden; in Band 2 (1960) die Entscheidungen  des Reichsgerichts unter Einbeziehung der Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, 1929-1945; Band 3 bis Band 9 betreffen dann die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen bis einschließlich 1985. Die Serie B Sectio 1 umfasst in Band 1 die diplomatische Korrespondenz von 1856 ‑1878 und in Band 2 die diplomatische Korrespondenz von 1871‑1878.

[4] Karin Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 66, Berlin: Springer 1975.

[5] Diese ist zu finden auf: <www.mpil.de/de/pub/publikationen/archiv/world-court-digest.cfm>.

English

Introduction. On the establishment of a “material system”

Some 100 years ago, only utopians could have imagined that huge collections of legal sources and texts would become available digitally. At that time, collections of texts on what was known as international law were extremely rare and their adaptation to legal developments was – for technical reasons, to begin with – time-consuming and, of course, costly. The most important collection of international law sources at the time was the Recueil of international treaties edited by von Martens, the first volume of which was published as early as 1791.[1]  This publication is rightly regarded as the most important basis of international law and Martens is therefore considered the “father of positive international law”. Against this background, the idea of collecting and publishing further sources of international law was logical, and it was only natural that the focus was to be put on the practice of international law. Here, international jurisdiction offered the most reliable information, which led to the project of continuously compiling and publishing excerpts relevant to the determination of international law from the decisions of international judicial bodies. The initiator of the project, Viktor Bruns, Director of the Kaiser Wilhelm Institute for Comparative Public Law and International Law (later to become the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, MPIL), described the main concept as follows:

“It is […] the task of science to ascertain the bases and basic principles of international law as a legal order and to draw up a system, informed by the observation of international practice and which is a material system, corresponding to the character of a legal order, specifically an order for the coexistence and interaction of states. Thus, the theory of international law must be extracted from experience in its practice and thus practice must be evaluated on the basis of the findings made in this manner. This is only possible based on a comprehensive overview of international practice. To create this overview is the purpose of the publication of the Fontes Juris Gentium.[2]

As international law is not only the legal basis of decisions of international courts, but national courts also have to apply international law, the Fontes Iuris Gentium project was designed not only to analyse the case law of international courts, but also to examine the positions taken by national courts on questions concerning international law. Accordingly, the Fontes series on jurisdiction (Series A) was divided into two sections: the first section (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 1) was devoted to international jurisdiction, i.e. the Permanent Court of Arbitration (PCA) and the Permanent Court of International Justice (PCIJ) as well as its successor, the International Court of Justice (ICJ). The second section of this first series (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 2) dealt with questions of international law in decisions of the highest courts of the most important states. In addition to the series on international jurisdiction, a second series was created, containing the political and legal principles derived from the exchange of diplomatic notes between the most important states (Series B). Planned, but never realised, were a third series on opinions and decisions of international bodies that do not have the character of international courts (Series C), and a fourth series (Series D), which was to contain the treaty clauses of the most important treaties concluded since the beginning of the 19th century.[3]  That this highly ambitious project could only be realised through the long‑term collaboration of several scholars was obvious. It was therefore evidently in the right hands at a research institution such as the MPIL and could arguably only be accomplished here.

System and structure of the Fontes 

My personal experience with the work on the Fontes only relates to Series A, Sectio 1, i.e. the processing of the decisions of the ICJ, starting with the publication of Volume 6, which contains the decisions from 1959-1975, until the termination of the project in 2005.

When I came to the MPIL as a research fellow in 1970, it was a special situation in two regards, although I only realised that later. Firstly, the employment of women in the scientific field as such was unusual at the time and can be seen as a “pilot project” for the later increase in the recruitment of female colleagues. Secondly, and much more importantly, my curriculum vitae differed from that of other research fellows. After my first degree I had initially chosen the career of a certified interpreter and had worked as a simultaneous translator at the EEC, which at the time had only six member states. This rather uncreative occupation did not strike me as satisfying in the long term, however, and so I went on to study law at the University of Heidelberg. The combination of language skills and a law degree was obviously the decisive factor in my recruitment – especially with regard to the Fontes project, which, due to the increasing number of cases brought before the ICJ, required more intensive work. Fortunately, however, there was still time to complete a doctoral thesis.[4]  In addition to my regular duties as a research fellow at the Institute, I remained “the constant” of the Fontes team, the leadership of which I took over in 1985, when, on initiative of Rudolf Bernhardt, the project was continued in the form of the World Court Digest. The other three to four members of the working group were each only involved on a temporary basis.

As already mentioned, my work on the Fontes began with the two parts of volume 6 of the Fontes Series A, Sectio 1, which (together with Volume 7, covering the ten-year period from 1976 to 1985) were the last volumes to appear under the original title and in the original form of the Fontes Iuris Gentium. The documentation of the ICJ’s later case law was then continued under the title World Court Digest, albeit with some substantial changes.

But, first of all, to the general structure of the Fontes series: As the title suggests, it is a collection of sources. This means that only excerpts from the original texts of the court’s decisions have been reproduced. This of course also includes advisory opinions. As the decisions are each formulated in English and French, both language versions were included, the French version on the left side of the book and the English version on the right side. Excerpts from the authentic text of the decisions were marked with an asterisk (*). Declarations as well as separate and dissenting opinions attached to the decisions were also analysed and initially included in smaller print; here, too, the authentic language was indicated. Later, during the transition to the World Court Digest, the inclusion of the separate opinions and declarations was called into question fundamentally. Fortunately, however, it was decided to continue with this practice after all, as these texts are extremely informative with regard to the state of the legal debate within the Court and, in particular, the development of the Court’s legal opinion.

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The composition of all volumes follows a standardised structure: The first part of each volume is devoted to substantive law, with a uniform structure ranging from the foundations and basic questions of international law to specific areas such as treaty law, the law of state responsibility, international organs and war and neutrality. In this part in particular, the range of subject matters has significantly increased over the years, as international law now covers more and more areas, such as the law of the sea, aviation law, space law, human rights law, international commercial law, international environmental law, and international criminal law, to name just a few of the more recent aspects. The second part of each volume is devoted to the structure of international jurisdiction, i.e. the PCIJ and the ICJ, and has not been expanded in terms of subject matter. It covers the foundations of international jurisdiction as well as the areas of jurisdiction, proceedings, judgements, and advisory opinions.

As previously highlighted, the publication was originally entitled Fontes Iuris Gentium and subtitled Handbuch der Entscheidungen des (Ständigen) Internationalen Gerichtshofs (“Digest of the Decisions of the (Permanent) International Court of Justice”. This clarifying addition was needed, as decisions of international courts are not as such “sources” of international law, since courts do not make, but apply law. However, the boundaries are often blurred, and in international law in particular there was not only “less law” 100 years ago, but above all, there was less positive/written, law. The significance and value of the Fontes lay in particular in precisely identifying and documenting what an international court had found to constitute part of positive international law. This objective had to be kept in mind in the course of the work, as it was sometimes very tempting to keep an excerpt short and thus make the Court’s statement appear more concrete and definitive than it actually was. However, the scientific spirit and responsibility demonstrated by the team and its long-standing head Rudolf Bernhardt always ensured – we believed – the safeguarding of the “sources’” integrity and the reproduction of statements as comprehensively as necessary in order to accurately reflect their true content. This ambition also led to the inclusion of longer excerpts after the transition to the World Court Digest with the aim to reflect the question at stake, the point of view of the parties and the assessment of the Court in more detail.  However, in view of the fact that the number of cases and the volume of decisions had increased significantly over time – which documents a commendable acceptance of international jurisdiction – this made it necessary to make cuts elsewhere in the new edition. Specifically, bilingualism was abandoned and only the English texts of the decisions were now analyzed and reproduced – regardless of whether they were the authentic text version.  A summary of the cases in English was newly introduced, which was very helpful in view of the often quite complicated origins of the contentious cases and advisory opinions. In addition, a list of the judges and ad hoc judges of the period covered was compiled, so that the period dealt with could be easily overseen at a glance.

Editorial work in the pre-digital age: with scissors, paper, and glue

As Viktor Bruns had mentioned in the preface to the first volume of Series A, Sectio 1, only a team of scholars, usually four to five colleagues, could accomplish the work on the Fontes. It required, first of all, an intensive reading of the decisions and then, in no less intense discussions, the making of decisions as to which passages should be reproduced and at which point in the systematic overview. A certain continuity of at least part of the team was helpful here, so that experience with the culture of the Fontes as well as new input from new team members were ensured on a permanent basis. For colleagues, especially younger employees, this provided an opportunity to familiarise themselves intensively with the decisions of the “World Court”, which to this day are an essential reflection of the state of international law and its development. In this way, critical analysis of international law was excellently conveyed and practised.

Dorothee Bender (1970s, photo: MPIL)

In addition to the “scientific team”, which was responsible for the decisions on the selection of excerpts and their position, the production of the individual volumes was of course largely dependent on the “technical team”, which usually consisted of just two or three members. The production of the manuscript in the “pre-digital age” may, from today’s perspective, seem quite adventurous. It deserves to be explicitly recognised here, as without the meticulous cooperation of the secretary’s offices, any volume would hardly ever have been published. Of course, it is not possible to name all the individual members of staff who deserve high appreciation for their efforts, but pars pro toto Dorothee Bender should be mentioned by name here, as she was primarily responsible for this work over decades in the non-digital age and managed it with immanent perfectionism. The process was as follows: Once the team had agreed on an excerpt and its categorisation in the system, this was indicated in the text of the decision and its categorisation was noted. This excerpt then had to be cut out of the text by hand with scissors and glued onto a sheet of paper; the corresponding heading of the excerpt and the page number in the original text then had to be inserted manually and in a clearly legible manner. If an excerpt was intended for several headings, it had to be typed out several times and then followed the same process. The decisions of the court looked very holey after this procedure.  The final manuscript of the Fontes ultimately consisted of the collected pages with the glued‑on excerpts. For the two parts of volume 6, for instance – which totalled over 830 pages ‑ this was an impressive compilation, which was of course still unbound and therefore had to be carefully guarded so that not a single page was lost or misplaced. We mourned the loss of this admittedly time-consuming but reliable way of producing manuscripts when the first manuscript written on a computer at the Institute, the World Court Digest 1986-1990, suddenly and mysteriously “disappeared” shortly before it was due to go to the publisher – and could only be partially restored. However, this mishap remained a one-off – and the overall production method could be modified in line with technological advances, which soon made it possible to provide a digital online version.[5]

Concluding remarks

The facilitation of access to the original texts of the decisions of the ICJ by digital innovations is undoubtedly to be commended, though in my opinion it cannot completely replace the Fontes Iuris Gentium or the World Court Digest. After all, these publications have made it possible to follow developments in international law in certain subject areas, as expressed in the decisions of the ICJ, continuously over decades. Especially in the more novel areas of international law, such a “historical” overview is extremely worthwhile and helpful. And, it may be noted in this context, that the editors have often realised that their temptation to shorten excerpts, and thus to make the statements on international law appear more categorical than they really were at the time, would often have anticipated the actual development of the law in many cases. The opportunity to trace the development of international law in individual areas in minute detail offered by Fontes only lasted until 2005; then, the entire project was discontinued, which, like all such decisions, is understandable but also has some regrettable consequences.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Georg Friedrich von Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites, d’échange etc. conclus par les puissances de l’Europe tant d’entre elles qu’avec du monde depuis 1761 jusqu’à présent, vol. 1, Göttingen: Jean Chretien Dieterich 1791; From 1819 to 1944 the edition was published by various editors under the title “Recueil Martens”.

[2] Viktor Bruns, Preface of vol. 1, Series A, Sectio 1, S. XI.

[3] Published in Series A, Sectio 1 are volumes 1 (1931), 3 (1935) and 4 (1964) on the Permanent Court of International Justice; volume 2 (1931) on the Permanent Court of Arbitration and the International Court of Justice; volumes 5 (1961), 6 (1978) and 7 (1990) in the “old” version under the title Fontes Iuris Gentium and, starting with the case law from 1986, volumes 1-4 under the title World Court Digest, which cover the case law up to and including 2005. In Series A, Sectio 2, Volume 1 (1931) contains the decisions of the German Reichsgericht (supreme criminal and civil court in the German Empire and Weimar Republic) from 1879 to 1929; Volume 2 (1960) contains the decisions of the Reichsgericht under consideration of the Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich (constitutional court of the Weimar Republic), 1929-1945; Volumes 3 to 9 then cover case law of the highest German courts concerning international law up to and including 1985. Series B Sectio 1 comprises the diplomatic correspondence from 1856 to 1878 in Volume 1 and the diplomatic correspondence from 1871 to 1878 in Volume 2.

[4] Karin Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit, Contributions on Comparative Public Law and International Law vol. 66, Berlin: Springer 1975.

[5] This can be found at: <www.mpil.de/de/pub/publikationen/archiv/world-court-digest.cfm>.