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Vom Kriegsgefangenen-Lager zum Völkerrechts-Colloquium: Drei Schlaglichter auf die Biographie Rudolf Bernhardts im Kontext der Institutsgeschichte nach 1945

Die berufliche Laufbahn meines Vaters Rudolf Bernhardt (1925-2021) war in vielfältiger Weise mit dem MPIL verbunden, arbeitete er doch hier zunächst von 1954 bis 1965 als Referent, dann von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1993 als einer der Direktoren und blieb dem Institut auch danach eng verbunden.[1] Dieser Beitrag deutet anhand von drei Lebensausschnitten – der Kriegsgefangenschaft 1945-47, der Zeit der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre sowie der Völkerrechtskolloquien mit Polen ab 1974 – schlaglichtartig an, wie sich einige seiner persönlichen und wissenschaftspolitischen Positionen im zeitgeschichtlichen Kontext herausbildeten und artikulierten. Solche individuellen Werdegänge und Sichtweisen haben, wie bereits für andere Führungspersönlichkeiten am Institut, zum Beispiel Hermann Mosler und Karl Doehring, gezeigt wurde,[2] die Entwicklung des MPIL nicht unwesentlich geprägt. Neben den hier präsentierten drei „Schlaglichtern“, die vorrangig aus den privaten Tagebüchern nachgezeichnet werden, ließen sich natürlich zahlreiche weitere anführen, die in anderen Artikeln dieses Blogs auch gestreift werden.[3] Dass der vorliegende Beitrag aus meiner sehr speziellen Perspektive als Sohn Rudolf Bernhardts und professioneller Zeithistoriker geschrieben ist, wird am Schluss kurz reflektiert.

1. Eindrücke aus der Kriegsgefangenschaft

Die gut zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947 hat mein Vater als junger Mann mehrfach nur mit viel Glück und äußerst knapp überlebt. Sein 1948 dazu niedergeschriebener detaillierter Erfahrungsbericht, der erstmals 76 Jahre später im April 2024 im Franz-Steiner Verlag veröffentlicht wurde,[4] gewährt drastische Einblicke in seine Erlebnisse in den sowjetischen Arbeitslagern nordöstlich von Moskau. Immerhin waren ihm in der Kriegszeit eine persönliche Verwicklung in Kampfhandlungen und damit die traumatischen Kriegserfahrungen vieler Altersgenossen, insbesondere an der „Ostfront“, erspart geblieben. Als 18-Jähriger am 1. Juli 1943 zur Reichswehr einberufen, hatte er in seiner zweijährigen Soldatenzeit bis Kriegsende eine Fliegerausbildung an mehreren „Fliegerhorsten“ bzw. Flugschulen im „Altreich“, wie zum Beispiel in Oschatz und Werder an der Havel, absolviert. Von dort aus war er auch periodisch zu Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen in Städte wie Nürnberg und Berlin abgeordnet und am 1. Mai 1945 bei Potsdam von sowjetischen Truppen festgenommen worden.[5]

Vier markante Aussagen aus dem genannten Bericht von 1948 reflektieren wichtige Erfahrungen und Schlussfolgerungen des 22-jährigen Rudolf Bernhardt:
Erstens und vor allem schildert der Bericht die extremen Lebensbedingungen in den sowjetischen Arbeitslagern, in denen mein Vater härteste Waldarbeit verrichten und wiederholt lebensgefährliche Gefahrensituationen und Erkrankungen überstehen musste. Zweitens übte er aus der Perspektive eines jungen, einfachen Gefangenen vom untersten Ende der brutalen Lagerhierarchie scharfe Kritik am Regime der als „Brigadeleiter“ fungierenden, vielfach privilegierten deutschen Offiziere, die er verantwortlich machte für zahlreiche willkürliche Gewaltexzesse und vermeidbare Todesfälle von Mitgefangenen. Drittens artikulierte er, in der einfachen Diktion eines 22-Jährigen, in kategorischer Abgrenzung zum NS- und zum sowjetischen Regime eine emphatische Ablehnung von „Militarismus“ und jedwedem „Nationalismus“. Viertens schließlich erörterte er, in kritischer, aber relativ nüchterner Diktion, weitere Seiten des Sowjetregimes, dem er zwar gewisse Erfolge bei der Alphabetisierung und Industrialisierung zugestand, dessen Wirtschaftssystem, massive Propaganda und brutale Unterdrückung der Zivilgesellschaft er aber strikt ablehnte.[6]

Wie wirkten nun diese Erlebnisse und Wertungen des 22-Jährigen in seiner späteren Laufbahn als Völkerrechtler, Direktor am MPIL und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nach? Auf den ersten Blick – scheinbar gar nicht: In seinen zwei veröffentlichten berufsbiographischen Skizzen widmet er ihnen nur wenige, zurückhaltende Sätze,[7] im Familiengespräch wurden sie kaum thematisiert,[8] eine direkte Einwirkung auf berufliche Richtungsentscheidungen – von der Wahl des Studienfachs, des Promotionsthemas oder der Forschungsschwerpunkte Völkerrecht und Menschenrechte bis zur Tätigkeit als Richter am EGMR – ist nicht dokumentiert, teilweise sogar auszuschließen.[9]
Jedoch formten diese frühen Erlebnisse zweifellos persönliche Grundhaltungen, die in seine Berufstätigkeit als ein Faktor unter mehreren einflossen, so zum Beispiel in kollegiale Beziehungen und wissenschaftspolitische Positionierungen. Zu diesen Grundhaltungen gehörten eine geringe Affinität zum militärischen Habitus und Denken – auch weil ihm der „Krieg als Primärerfahrungsraum“ [10] vieler Altersgenossen erspart geblieben war –, eine entschieden transnationale Orientierung,[11] eine nüchtern-distanzierte Haltung gegenüber der Sowjetunion sowie eine lebensbejahende und humanistische Weltsicht. Einen Beleg für diese These eines unterschwelligen, aber prägenden Nachwirkens der Erfahrungen aus der Kriegsgefangenschaft  findet sich in einer prägnanten Bemerkung seines amerikanischen Kollegen und Freundes Thomas Buergenthal in der Laudatio zum 80. Geburtstag meines Vaters 2005:

„I developed great affection to him, no doubt also influenced by the fact that his years as prisoner of war and mine in a concentration camp have given us a shared appreciation of the joy of being alive and a profound belief in the need to promote laws and institutions capable of contributing to a world in which future generations are spared the suffering our generation and that of our parents had to endure.” [12]

Generationengeschichtliche Konstellationen

In einer erweiterten historischen Sicht auf die ersten Nachkriegsjahre in der Bundesrepublik ist zu erkennen, dass die Grundhaltungen meines Vater sich erfahrungs- und generationengeschichtlich stark mit denen der sogenannten „Flakhelfer“-Generation der Jahrgänge 1926 bis 1930 deckten, die Heinz Bude als Träger- und Aufstiegsgeneration der Bundesrepublik untersucht und entschieden von der nur wenig älteren „Kriegsgeneration“ des Zweiten Weltkriegs abgegrenzt hat.[13] Ohne hier auf Details einzugehen ist festzuhalten, dass die Angehörigen der Flakhelfer-Generation, so auch mein Vater, als Jugendliche der massiven Indoktrination des NS-Systems ausgesetzt gewesen waren und dessen Niederlage auch als Zusammenbruch einer sie prägenden Weltanschauung erlebten. Für die darauf gemünzte, bekannte zeitgenössische Diagnose des Soziologen Helmut Schelsky von der gegenüber politisch-ideologischen Großentwürfen „skeptische(n) Generation“ (1957)[14] enthält der Erfahrungsbericht meines Vaters von 1948 zahlreiche charakteristische Formulierungen.[15] Eine vergleichende generationengeschichtliche  Analyse unter Einschluss der anderen Führungspersönlichkeiten des MPIL, wie für die gesamte Belegschaft, könnte aufschlussreiche Einblicke in personelle Konstellationen und sozialkulturelle Wandlungsprozesse im Institut liefern.

Geburtsjahr und Amtszeiten der Direktoren des MPIL 1954-2002. Es ist ersichtlich, dass alle in dieser Zeit amtierenden Direktoren den Nationalsozialismus bewusst erlebt haben, jedoch war nur einer (Karl Doehring) als Militär in Kriegshandlungen aktiv.

Wenn Bude, wie auch andere, die Rezeption zeitgenössischer belletristischer Literatur als einen der prägenden wie abgrenzenden Indikatoren zwischen den Nachkriegs-Generationen anführt und für die „Flakhelfer-Generation“ Namen wie Günter Grass, Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser oder Ingeborg Bachmann nennt,[16] so bestimmten diese Autoren tatsächlich auch den frühen Lektürekanon meines Vaters. Im Rahmen seines Jurastudiums an der Universität Frankfurt am Main ab dem Wintersemester 1948 hat er neben den Seminaren in seinem Kernfach auch Veranstaltungen anderer Fächer besucht, so zum Beispiel des Philosophen Max Horkheimer sowie zur Philosophie- und Literaturgeschichte. Dazu exzerpierte er auf hunderten von Seiten den klassischen Philosophie- und Literaturkanon, von Platon und Sophokles über Kant und Schiller bis zu Balzac und Tolstoi.[17] Die Stillung eines aufgestauten Lesehungers hat er in den ersten Nachkriegsjahren buchstäblich als zweite Befreiung erlebt, ebenso wie private Fahrten nach West- und Südeuropa. Letztere verankerten und festigten früh, zusammen mit den ersten beruflichen Auslandsreisen 1953 zum „Salzburg Seminar in American Studies“ und 1959 an die Harvard Law School in den USA, seine „transnationale“ Orientierung.[18]

Salzburg Seminar in American Studies 1953, Gruppenfoto (Rudolf Bernhardt dritte Reihe von unten ganz rechts)[19]

2. Die Zeit der „Studentenunruhen“

Bekanntlich trat mein Vater nach seiner Promotion bei Hermann Mosler 1954 in das MPIL ein und arbeitete dort für gut zehn Jahre als Wissenschaftlicher Referent, bis er 1965 auf das Ordinariat „Öffentliches Recht IV“ an der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt berufen wurde.[20] Als relativ junger Professor, der sich auf der „liberal-konservativen“ Seite des politischen Spektrums verortete und just beim Beginn der Studentenrevolte 1967/68 die Würde und Bürde des Dekans der juristischen Fakultät übertragen bekam, fand er sich in der Folgezeit generationell und hochschulpolitisch zwischen allen Stühlen wieder.

Protestaktionen der Studierenden einerseits, wie Sitzblockaden – bei deren Überwinden ihn ein bekanntes zeitgenössisches Foto zeigt – und die Erwartungen konservativer Kollegen sowie Gespräche mit dem Konrektor der Universität andererseits, erzeugten hochschulpolitische und alltagskulturelle Zerreißproben. Sie werden in den Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit deutlich: „Demagogisch aufgehetzte Studentenmengen in der Universität, Belagerungen von Konzil und Senat (…), systematische Störungen von Veranstaltungen und verabredeten Diskussionen, durch radikale, ideologisch und praktisch begabte Minderheiten (…)“. [21] „Als gerade gekürter Dekan hatte ich mich nach allen Seiten zur Wehr zu setzen, auch gegen manche Kollegen“.[22] „Unter den Professoren erzkonservative und auch (ehrlich oder opportunistisch) radikal-progressive Exemplare, die Mitte wird zerschlissen“. [23]

Studentische Sitzblockade an der Universität Frankfurt a.M. 1968 (Rudolf Bernhardt hinten Mitte rechts)[24]

Anhand seiner Auseinandersetzung mit den politisch hoch umstrittenen „Notstandsgesetzen“ lässt sich die vielfach widersprüchliche Entwicklung in diesen Jahren andeuten. Begonnen hatte mein Vater die fachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bereits in den frühen 1960er Jahren noch als Referent im MPIL, offensichtlich im Gespräch oder zumindest zeitlich parallel zu Hermann Mosler und Karl Doehring. Alle drei teilten die rechtsvergleichende Sicht auf das Sujet, das mein Vater bereits im Herbst 1963 in einem Vortrag auf einer Tagung der Österreichischen und Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung in Wien ansprach.[25] Im Herbst 1965 wählte er es auch als Gegenstand seiner Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt. Obwohl sich zu dieser Zeit die öffentliche Kontroverse über die geplante Novelle des Grundgesetzes bereits zuspitzte,[26] konnte man, nach seinen Aufzeichnungen, vor dem „Ausbruch der Unruhen“ 1967 „über die geplante ‚Notstandsverfassung‘ (…), auch bei dem sozialistischen Studentenbund, noch ungestört referieren und diskutieren“.[27] In seiner Antrittsvorlesung zur sogenannten Notstandsverfassung, die am 22. Februar 1966 in der FAZ abgedruckt wurde, plädierte Rudolf Bernhardt dezidiert für eine „knappe, griffige Notstandsformel“.

Beitrag Rudolf Bernhardts zur „Notstandsverfassung“ in der FAZ vom 22. Februar 1966

Die kurz zuvor im Sommer 1965 vom Bundestag diskutierte Fassung „in Bausch und Bogen als Anschlag auf die Demokratie abzulehnen“, zeige „Unkenntnis“ oder „abgrundtiefes Mißtrauen gegenüber den (…) demokratisch gewählten politischen Kräften unseres Landes“. Andererseits kritisierte er scharf die sieben bereits 1965 vom Bundestag verabschiedeten „einfachen Notstandsgesetze“ als „grotesken Perfektionismus“ von „überbordender Regelungswut“ und als teilweise verfassungswidrig. Das Fazit des FAZ-Beitrags lautete: „In Kenntnis des Risikos muss man auf ein Höchstmaß an Sicherheit verzichten, um mehr als ein Mindestmaß an Freiheit zu erhalten“.[28] Es wäre interessant, aus rechtsgeschichtlich kompetenter Sicht – die mir fehlt – die juristischen Positionen und einzelnen Argumente meines Vaters mit denen von Hermann Mosler und Karl Doehring in ihren ausführlichen Statements in der Sitzung des Rechts- und des Innenausschusses des Bundestages am 7. Dezember 1967 abzugleichen.[29] Zugleich ließe sich am Beispiel der „Notstandsgesetze“ exemplarisch die für das Verständnis der Arbeitsweise des Instituts zentrale Frage zum Verhältnis von arbeitsteiliger Wissensproduktion (etwa durch auf einzelne Länder spezialisierte Referenten), Synthese,  Publikation und Transfer der Ergebnisse in den politischen Raum reflektieren, [30] auch im Hinblick auf Fragen von Autorenschaft und „geistigem Eigentum“ an den Forschungsresultaten.

Für viele Leser*innen sicherlich überraschend war es, dass mein Vater mit einem Aufsatz zu den Notstandsgesetzen wider Willen auch zu einem Buch beitrug, das die ZEIT rückblickend als „gefeierte(n) Klassiker der 68er Generation“ apostrophierte, der zugleich „geschmäht [wurde] von denen, die sich damals angegriffen fühlten“.[31] Es handelte sich um den von seinem Frankfurter Fakultätskollegen Rudolf Wiethölter konzipierten Band „Rechtswissenschaft“ in der Reihe „Funkkolleg“ des Fischer Taschenbuch Verlags, der nach seinem Erscheinen 1968 innerhalb von knapp fünf Jahren vier Auflagen mit einer Gesamtzahl von 45.000 gedruckten Exemplaren erreichte.[32] Wiethölter stellte im Vorwort klar, die dem Buch zugrunde liegende Vorlesungsreihe für das „Funkkolleg“ des Hessischen Rundfunks sei „aus Unruhe als Bürgerpflicht“ entstanden, das Ziel sei die „Entzauberung des Rechts“ als „politisches Alibi und Verheißung“, um „mitzuwirken an der Entlarvung eines deutschen Götzendienstes: Dienst für den ‚General Dr. von Staat‘ (Thomas Mann)“.[33]

Funkkolleg Rechtswissenschaft (1968)

Von den insgesamt 20 „Kollegs“ (Rundfunk-Vorträgen) wurden jeweils zwei von Erhard Denninger und meinem Vater übernommen.[34] Wenig überraschend trugen die Beiträge meines Vaters über die „Entwicklung zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat“ sowie zum „Notstandsrecht“ nichts zu Wiethölters Mission der „Entzauberung des Rechts“ oder der von der ZEIT diagnostizierten späteren Karriere des „vor allem von linken und liberalen Juristen geliebten“ Buches bei. Hintergrund der besonderen Konstellation war, dass mein Vater ebenso wie Denninger kollegialer Weise für den erkrankten Wiethölter kurzfristig eingesprungen war, ohne seine Beiträge auf Wiethölters Programm auszurichten.[35] Die erstaunliche, kaum bekannte Rolle meines Vaters als Mitautor eines „68er Klassikers“ zeigt, dass zu dieser Zeit die Gräben zwischen den hochschulpolitischen „Lagern“ zuweilen noch fluide waren und durch kollegiale Praktiken punktuell überwunden wurden, so dass spezielle inhaltliche „Melangen“ wie das „Funkkolleg“- Buch entstehen konnten. Es sei aber nachdrücklich festgehalten, dass sich mein Vater im Grundsatz zu den Forderungen und Aktionen der Studentenbewegungen, mit ihnen sympathisierender Kollegen sowie der Umsetzung der Hochschulreform sehr kritisch beziehungsweise ablehnend positionierte.[36]

3. Die Völkerrechtskolloquien der 1970er und 1980er Jahre

Die Zeit der Rückkehr meines Vaters an das MPIL 1970 als Co-Direktor von Hermann Mosler war nicht nur von den anhaltenden Spannungen an den Universitäten geprägt, sondern auch von den politischen Kontroversen um die „neue Ostpolitik“. Zu dieser bestand auch unter den führenden Wissenschaftlern am Institut eine breite Meinungsvielfalt. Hier hatte sich der Institutsmitarbeiter Fritz Münch, der seit 1955 Leiter der 1960 aufgelösten Außenstelle des MPIL in Berlin gewesen war, frühzeitig besonders exponiert. Schon 1965 hatte er ein juristisches Gutachten mit verfasst, in dem er die Rechtsgültigkeit des Münchener Abkommens von 1938 zur Einverleibung des Sudentenlandes in das nationalsozialistische Deutsche Reich feststellte.[37] In der Folgezeit hatte sich Münch nicht nur in daraus hervorgegangene gerichtliche und publizistische Kontroversen verwickelt, sondern wechselte im Sommer 1972 von der CDU zur NPD, für die er im November 1972 auch bei den Bundestagswahlen kandidierte.[38] Im Institut vertrat er neben Karl Doehring, Hartmut Schiedermair, Helmut Steigenberger und Hermann Mosler eine kritische Sicht auf die Ostverträge,[39] während Jochen Frowein und mein Vater sie eher unterstützen. An einer ersten, im Januar 1972 von der Theodor-Heuß-Akademie in Gummersbach organisierten Konferenz deutscher und polnischer Völkerrechtler nahmen von Seiten des MPIL Fritz Münch und mein Vater teil,[40] der dazu in seinem Tagebuch notierte:

„Es war sehr aufschlussreich und verlief im großen und ganzen ganz angenehm. Natürlich lässt sich die Geschichte der jüngeren Vergangenheit nicht vergessen, sie wirkt in die Gegenwart hinein, aber es sind vielleicht doch Chancen für mehr Verstehen und eine begrenzte Kooperation vorhanden.“[41]

Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium in Gummersbach 1972. Rudolf Bernhardt fünfter von links.[42]

Die in der Folgezeit von meinem Vater federführend mit organisierte Serie deutsch-polnischer Völkerrechts-Kolloquien, deren erstes 1974 bei Warschau und zweites 1976 in Heidelberg stattfand, flankierte mit der Klärung von Rechtsfragen faktisch die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung und enthielte somit natürlich eine allgemein- und wissenschaftspolitische Komponente. So wurde der Konferenz 1974 in Warschau explizit „auch eine politische Bedeutung beigemessen“ (…). „Bei einem Empfang des deutschen Botschafters in Warschau aus Anlass des Treffens war eine größere Anzahl polnischer Gäste u.a. aus verschiedenen Ministerien anzutreffen“. [43] Ausweislich der Tagungsprogramme nahm die rechtliche Seite wirtschaftlicher Kooperation eine herausgehobene Stellung ein, aber auch kontroverse Themen wurden diskutiert, zum Beispiel auf der Tagung 1974 Fragen des polnischen Staatsangehörigkeitsrechts.[44]

Empfang beim deutsch-polnischen völkerrechtlichen Kolloquium 1984 in München. Rudolf Bernhardt zweiter von rechts.[45]

Die zwischen 1982 und 1990 durchgeführten bilateralen Konferenzen mit sowjetischen Völkerrechtlern, die ebenfalls von meinem Vater mit angestoßen wurden, waren politisch und organisatorisch noch komplizierter und erforderten eine manchmal mühsame Abstimmung mit Stellen im Auswärtigen Amt und der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft.[46]
Die Initiative für die Kolloquien und die privaten Aufzeichnungen machen unter anderem deutlich, dass mein Vater einerseits keine Berührungsängste gegenüber Kollegen aus sozialistischen Staaten hegte, noch etwa aus seiner Kriegsgefangenschaft herrührende Ressentiments gegenüber der Sowjetunion. Vielmehr förderte er den fachlichen Austausch, der mit polnischen Kollegen zu vertrauensvoller Zusammenarbeit gedieh, sich hingegen mit den Gesprächspartnern aus der Sowjetunion beziehungsweise Russland wegen grundlegender fachlich-rechtspolitischer Differenzen letztlich in Grenzen hielt.

Fazit

Insgesamt belegen die hier beleuchteten drei „Schlaglichter“ die auch von Kollegen erinnerte eher zurückhaltende, abwägende und dialogorientierte Haltung meines Vaters auch über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten hinweg.[47] Und offensichtlich war die gemeinsame Erforschung des Völkerrechts am Institut inhaltlich wie fachkulturell tragfähig genug, die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und konträren Positionen in den hier betrachteten bewegten Zeiten der 1950er bis 1980er Jahre zusammenzuhalten.
Die Fragestellungen und Ergebnisse dieses Beitrags sind primär aus meiner Perspektive als Geschichtswissenschaftler formuliert und fußen wesentlich auf schriftlichen Dokumenten, kaum jedoch auf direkten mündlichen Auskünften zu Lebzeiten meines Vaters. Die andere, hier nicht verfolgte Perspektive meiner privaten Erinnerungen als Sohn Rudolf Bernhardts, aber auch die von Partner*innen und Kindern anderer Institutsmitarbeiter – immerhin eine Gruppe von mehreren hundert bis tausend Personen über inzwischen viele Jahrzehnte hinweg – würden andere, ebenfalls interessante Facetten der Institutsgeschichte eröffnen. Das Erleben und Erinnern von Arbeitsbelastungen, Ortswechseln, am Familientisch kurz angesprochenen Namen, Institutionen, Sachverhalten und Konflikten ließen sich zu einem ganz eigenen Wörterbuch von Institutsthemen und Erfahrungen zusammenführen.

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Der vorliegende Beitrag schreibt meine Vorträge zum gleichen Thema auf der Akademischen Gedenkfeier für meinen Vater am 23. Oktober 2022 und auf dem Seminar Kriegsfolgenbewältigung und Westintegration der Seminarreihe 100 Jahre öffentliches Recht am 22. Februar 2024 (beide am MPIL) sowie den in Fußnote 6 genannten Aufsatz fort.

[1] Vgl. die autobiographische Skizze Rudolf Bernhardt, Staatsrecht im internationalen Verbund, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart58 (2010), 337-351; jetzt auch: Eckart Klein, Rudolf Bernhardt (1925-2021), in: Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff/Peter Häberle (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Nachtragsband Deutschland-Österreich-Schweiz, Berlin: De Gruyter 2024, 35-57.

[2] Vgl. Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzepte. Herman Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Berlin: Springer 2017; Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union – Erinnerungen, Berlin: Wolf Jobst Siedler Verlag 2008.

[3] Vgl. z.B. den Beitrag von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de.

[4] Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947, herausgegeben und mit einem Nachwort von Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024.

[5] Notizen im Tagebuch, Sammlung Rudolf Bernhardt, Familienarchiv Bernhardt.

[6] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 103-106; Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 136.

[7] Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 142.

[8] Eine solche „Nicht-Thematisierung“ oder jahrzehntelang verzögerte Verarbeitung ist nach den Erkenntnissen der Forschung durchaus typisch für den Umgang vieler Kriegsgefangener mit Ihren Erlebnissen, vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 138-139.

[9] Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 138-139.

[10] So die Formulierung von Rebenich über die persönliche Verarbeitung der Kriegserlebnisse der prominenten Historiker und Altersgenossen meines Vaters Karl Christ und Reinhard Koselleck: Stefan Rebenich, Karl Christs Lebensmosaik. Die Schreie der Niedergewalzten gellten noch lange, FAZ 19.12.2023.

[11] So vertrat er auch nachdrücklich die Überzeugung, „dass die Völkerrechtswissenschaft keine nationale, sondern eine internationale Wissenschaft sei“: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Beiträge zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 270, Berlin: Springer 2018, 148.

[12] Thomas Buergenthal, Laudatio: Rudolf Bernhardt – Leben und Werk, ZaöRV 65 (2005), 519–524, 519.

[13] Heinz Bude, Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Falkhelfer-Generation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987.

[14] Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag 1957; vgl. auch Bude (Fn. 13), 43.

[15] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 102-103.

[16] Bude (Fn. 13), 33; vgl. auch Rebenich (Fn. 10).

[17] Notizheft Rudolf Bernhardt: Exzerpte aus dem Wintersemester 1948/49, Familienarchiv Bernhardt.

[18] Vgl. Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[19] Foto: Familienarchiv Bernhardt.

[20] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[21] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 22.1.1968, Tagebuch II, Familienarchiv Bernhardt.

[22] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[23] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 14.8.1969, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt; vgl. als Rückblick zur Situation an der Fakultät aus der Sicht des 1967 als Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte berufenen Bernhard Diestelkamp, Schmerzhafter Umbruch. 1968 im Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität, Forschung Frankfurt.  Das Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität 1 (2018), 27-30.

[24] Die Bildrechte haben sich trotz intensiver Recherche u.a. bei der Deutschen Universitätszeitung und dem Foto-Archiv der Süddeutschen Zeitung nicht klären lassen. Für weitere Hinweise wären wir dankbar.

[25] Rudolf Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 24 (1964), 431-452, 444.

[26] Vgl. Alexandra Kemmerer, Praktiker des Wortes. Fritz Bauer und die Kritische Justiz, in: Katharina Rauschenberger/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Fritz Bauer und ‘Achtundsechzig’. Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft, Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 3, Göttingen: Wallstein 2020, 121-142,123ff.

[27] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[28] Rudolf Bernhardt, Notstand und Verfassung. Wer soll in welcher Situation welche Maßnahmen ergreifen dürfen?, FAZ 22.2.1966, 9-10.

[29] Vgl. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Protokoll 4: öffentliche Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 7. Dezember 1967; ich danke Tim Wihl, dass er mir diese Quellen zugänglich gemacht hat.

[30] Vgl. dazu die auf einen anderen Fall bezogene Anmerkung von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de, sowie die Sichtweise meines Vaters auf diesen Sachverhalt in: Rudolf Bernhardt, Gruppenarbeit und Einzelleistung in Völkerrecht und Rechtsvergleichung, Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft (1970), 301-313.

[31] Wiethölter wieder zu kaufen: Kritik des Rechts, ZEIT 18/1986, 25.4.1986, zitiert nach ZEIT Online.

[32] Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, unter Mitarbeit von Rudolf Bernhardt und Erhard Denninger, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1968.

[33] Wiethölter (Fn. 32), 9-10.

[34] Vgl. die Ausführungen zu Wiethölter, Denninger und dem Funkkolleg-Band bei Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[35]  Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[36] Vgl. als Zwischenbilanz mit dem Fokus auf der Reform der Universitäten: Rudolf Bernhardt: Reform oder Anarchie? Zur Situation an den deutschen Universitäten, Zeitwende. Kultur, Theologie, Politik 43 (1972), 215-227.

[37] Vgl. Otto Köhler, Schweine und Esel, Der Spiegel 21 (1961).

[38] So jedenfalls der Eintrag in der Wikipedia-Enzyklopädie zu Münch, letzter Aufruf 23.5.2024; der Nachruf von Karl Doehring in der ZaöRV spricht diese Sachverhalte nicht an:  Karl Doehring, Fritz Münch 1906-1995, ZaöRV 55 (1995), 949-950.

[39] So, nach Lange, Armin von Bogdandy/Philipp Glahé, Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte, MPIL100.de.

[40] Vgl.: Liste der Teilnehmer von deutscher Seite in Kolloquium polnischer und deutscher Völkerrechtler, 14.-16.1.1972, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.

[41] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 18.1.1972, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt.

[42] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Zur Tagung selbst: Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium 1972. Referate deutscher und polnischer Völkerrechtler auf der Tagung vom 14. bis 16. Januar 1972 in der Theodor-Heuss-Akademie, Frankfurt am Main: Athenäum Verlag 1972.

[43] Vgl.: Rudolf Bernhardt, Bericht über den Verlauf des Treffens polnischer und deutscher Juristen vom 16.-19. September in Radziejowice bei Warschau, 9.10.1974, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221, 3-4.

[44] Bernhardt, Bericht (Fn. 43), 1-2.

[45] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Außerdem haben sich auf dem Foto, dank Jerzy Kranz, identifizieren lassen: links neben Bernhardt: Janusz Łętowski, Marian Rybicki (fünfter von rechts), Miroslaw Wyrzykowski (dritter von links).

[46] Vgl. die Schriftwechsel im Ordner „Sowjetunion“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.z.B

[47] Vgl. etwa die Kurznotiz „Rudolf Bernhardt 90“, FAZ 29.4.2015.

Which Federalism for Europe? A Moslerian Path

Because of its historical novelty, even before the problems of the constitutional structure of the Communities and then of the Union, the process of European integration poses the task of determining the categories that are appropriate for conceiving the political reality to which it gives rise and for understanding its ‘constitution’ in the broad and etymological sense of the term.

What seems difficult to imagine is a political and legal reality able to meet two conditions: on the one hand, that Europe should be an entity capable of confronting the great world powers for the sake of world balance and peace; on the other hand, that its members should retain their autonomy and be political actors in their diversity, so that the citizens of the various member states do not perceive Europe as an entity that is alien or even hostile to them. Looking at the current situation, we can see how difficult it is to reconcile these two conditions.

Another Meaning of Federalism. Approaches to Hermann Moslers Legal Thinking

In this context, the recurring reference to ‘federalism’ seems to depend on the fact that it provides an inescapable interpretative framework for understanding the integration process, both for grasping its development and articulation, and for reflecting on the current state of the Union. Specifically, it is useful because of the need both to preserve the dynamic and open character of integration and to grasp the inherently plural configuration of the supranational reality in political and legal terms. This idea of a structurally plural unity cannot but have repercussions on how representation and the ‘democratic’ form of political participation can and should be understood, and on the sense of political obligation capable of preserving plurality.

However, the use of the term ‘federalism’ is subject to a number of constraints that derive from the tradition of thought that the term is used to denote (from the ways in which this tradition is taken up, reproduced, and, ultimately, projected into new contexts). One entrenched bias that inevitably affects the perception of the ‘federalist’ character of Europe is that its meaning can be exhausted by the dichotomy of federal state – confederation of states[1]. In this regard, it seems useful to recall and follow up a subterranean hint that can be found in the writings of Hermann Mosler, a hint which points toward another meaning of federalism, of which the ‘classical’ dichotomy retains only vague remnants. This is not to turn Mosler into a federalist thinker; nor is it to raise the question of the international legal effects of the constitutions of federal states, to which Mosler had already made an important contribution in 1949[2] and which has been the subject of numerous and quite relevant contributions by the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law. The question, then, is what we can and should understand by federalism in relation to Europe on the basis of Mosler’s thinking.

Une communauté plus large et plus profonde’. The Foundation of the ECSC in 1951

Hermann Mosler speaks at the Institute. At the table: Gebhard Müller, President of the Federal Constitutional Court, Walter Hallstein, President of the EEC Commission and Hans Dölle, Director of the MPI for Comparative and International Private Law (from left to right).[3]

A first insight can be found in the commentary published in 1951 by the Institute’s Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht on the origin and qualification of the ECSC Treaty, which was to be the first step towards a political federation of the members of the nascent Community. Mosler, who, as is well known, took part in the negotiations as an adviser to Adenauer[4], begins by pointing out that, although the parties did not have in mind the creation of a mega-state, they did want to go a step beyond the realm of intergovernmental relations and create a closer community capable of overcoming the usual forms of international treaties and institutions of the international legal order.

One difficulty, therefore, was to understand exactly what the ‘European federation’ mentioned in the Schuman Declaration could be (which, among other things, was not transposed into the text of the Treaties, where it was referred to as ‘une communauté plus large et plus profonde’). If it meant nothing more than the establishment of a federal state, Mosler argued, “this idea may be politically revolutionary, but it is not a creative legal construction”[5]. What emerges in the first instance is the kind of unconditional reflex mentioned above: when it comes to creating a strong political unity beyond the nation-states, the term ‘federation’ automatically refers to a federal state (especially for those who come from the German historical experience). But it is worth noting that Mosler is no less clear that ‘federalism’ has a much broader meaning. In this sense, he emphasises that “despite all the similarities at the conference, however, it became clear that the methods familiar to the Germans for the co-operation of member associations in a higher unit, which itself has the character of a state, are alien to the other members of the Community”[6], France and Italy in primis. This clarification provides a valuable insight into Mosler’s thinking. Not only does he criticise the shadow of the federal form of (state‑)government, but he also stresses that the creation of a federal bond (“lien fédérale[7]) is a completely new challenge, because “it is not theoretical concepts a priori, but practical necessities arising from the limited purpose of the union that must determine the construction of institutions”[8].

Federalism Beyond the Federal State

Animated debates. Joseph Kaiser, Hans Kutscher, Ulrich Scheuner and Fritz Münch (from left to right).[9]

Here it is difficult not to recognise what will become a salient feature of Mosler’s approach:  its “praxis-oriented” character (which is mentioned here, albeit in a cursory, almost programmatic manner)[10]. Secondly, however, it is clear that the concept of federalism is by no means exhausted in the state-federal form of organisation. Similarly, the emphasis on the absence of a priori theoretical concepts again signals the inadequacy of the Community as a confederation[11].

The idea of federalism beyond the federal state does not appear only occasionally in this paper. Another relevant reference can be found in Mosler’s brief contribution to the conference of the Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer held in Münster in 1962. The topic of the conference was “Federalism as a national and international principle of organisation”. Here Mosler points out that, from a historical perspective, federalism in international society does not exist per se as an attempt to create sovereign state units, but that it is characterised by the aspect of cooperation from below: “Such cooperation, if it leads to regional groupings, can give rise to a federal structure in the international sphere”[12]. In this sense, Mosler rejected the view of those interpreters who argued that federalism would come about by crossing the threshold of the federal state, remarking: “If the federal idea is to be brought to the international stage, the state element in the concept of federalism must be abandoned (…). We must take a more sober view of the process and say: cooperation and collaboration in the international sphere become what one might call ‘federal’ at a certain quantitative level. This happens when a stage is reached where it is permissible to say: here an essential area of public life is so firmly united in the long term that the bond – in sociological terms – is no longer likely to break”[13]. In the context of this quote, it is important not to confuse the call for sobriety with a ‘weak’ conception of federalism.

To complete this excursus, a final insight can be gained from The International Society as Legal Community, first published in 1974. Here, the subject of federalism converges in a discussion of “types of organised co-operation”[14]. There is an immediate warning: “It is necessary to beware of thinking too much on predetermined lines or in well-defined categories”[15]. The direction indicated by Mosler also this time relates to the aspect that “federalism is not confined to States composed of member countries, for it can also form part of the structure of international co-operation”[16]. In this sense, and especially with regard to the possible future of international society, it is stressed that federalism is “a very flexible form of organisation”[17]; the point to be made then relates to the possibility that there may be “other forms of federal cooperation […], which allow more freedom for the particular features of groups of States, for minorities, for different stages of economic and cultural development and so on. […] Co-operation through a federal structure is an appropriate legal arrangement, capable of guaranteeing the freedom of weak parties and providing for effective organisation”[18].

Conclusion. How to Think About Federalism?

On the basis of this cursory survey, it is now possible to draw some final schematic conclusions with regard to our European dimension. First, overcoming the bias towards state-centred federalism, the question of ‘which federalism for Europe?’ can be specified in ‘how to think about federalism?’. In relation to this question, it is the element of cooperation that becomes central, because it reopens the question of the foedus. If one sticks to the dichotomy of federal state – confederation of states, the foedus remains at most a nominal link through the term. On the contrary, in a conception of federalism emphasising the dimension of cooperation among a determined plurality that requires the participation of its members, the specific element of the foedus lies precisely in a kind of (political) unity produced by the legal agreement of different parts – and precisely for this reason it is not of state order. This federalist idea, therefore, stands or falls on its ability to guarantee plurality in the structure of representation.

However, one aspect must be clarified: to say that federal cooperation must not lead to a state-like unity does not mean that it cannot lead to any kind of unity tout court. A federation is a political unity that is constructed differently from the model of sovereign states, which can only mean a rethinking of what political obligation is and, above all, that it must tend to overcome its possible ‘otherness’ in relation to the members of the federation – insofar as this otherness risks undermining the active role of the members.

In other words, the crucial point is to reconcile the presence of the members, with their autonomy and diversity, and the unity of European ‘power’, without which the governance of global processes can only appear as a pious illusion. Of course, this has repercussions on the whole institutional configuration, the meaning and the relationship between powers. If we now recognise that in democratic states the (democratic) legitimation of power is one with the organisation of the powers of the constitution, then the problem does not seem to be the so-called democratic deficit of the European institutions but rather that democracy as a whole has to be conceived differently at the supranational level[19].

An attempt in this direction can be seen in the recent work of one of Mosler’s heirs as director of the MPIL, Armin von Bogdandy. He proposed to elaborate the concept of ‘European society’ mentioned in Article 2 of the Treaty on European Union (a society, it should be noted, understood as structurally plural: neither a monolith nor an undifferentiated mass of individuals)[20]. It is this society that is the singular ‘subject’ of a European constitutionalism (beyond the state and without the state) which, apart from the idea of collective self-determination, goes hand in hand with the need for a democracy of multiple mediations.

Again, federalism in the sense indicated seems to be the most appropriate interpretative scheme to frame this form of democracy. From this point of view, recalling once again Mosler’s insights, it would be worth asking, especially from a practical point of view, how many and which federal thresholds have already been reached with the current institutional organisation of the European Union.

[1] For a different direction, see, inter alia: Armin von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform. Zur Gestalt der Europäischen Union nach Amsterdam, Baden-Baden: Nomos 1999; Stefan Oeter, »Föderation« oder »Bund« als Oberbegriff: Erscheinungsformen des Föderalen jenseits von Bundesstaat und Staatenbund, in Eva Marlene Hausteiner (ed.), Föderalismen. Modelle jenseits des Staates, Baden-Baden: Nomos 2016, 235-266.

[2] See: Hermann Mosler, Die völkerrechtliche Wirkung bundesstaatlicher Verfassungen. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum vergleichenden Verfassungsrecht, Tübingen: Mohr 1949.

[3]  Photo: MPIL.

[4] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Contributions on Comparative Public Law and International Law, , vol. 270, Berlin: Springer 2018, 8-9.

[5] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Entstehung und Qualifizierung, HJIL 14 (1951), 1-45, 33, translated by the author.

[6] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 33-34.

[7] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 34.

[8] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 34.

[9]  Photo: MPIL.

[10] See: Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Contributions on Comparative Public Law and International Law, vol. 262, Berlin: Springer 2017.

[11] For a comparison with Walter Hallstein’s state-federal proposals, see Lange (Fn. 10), 171-174, 318-323.

[12] Föderalismus als nationales und internationales Ordnungsprinzip. Die öffentliche Sache: Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu Münster (Westfalen) vom 3. bis 6. Oktober 1962, Berlin: De Gruyter 1964 (VVDStRL), 139, translated by the author.

[13] Föderalismus (Fn, 12), 139.

[14] Hermann Mosler, The International Society as Legal Community, Collected Courses of The Hague Academy of International Law, Vol. 140, Leiden: Brill Nijhoff 1974, 1-320, 197.

[15] Mosler, International Society (Fn. 14), 203.

[16] Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[17]Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[18] Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[19] On this crucial aspect, see Giuseppe Duso, Reinventare la democrazia. Dal popolo sovrano all’agire politico dei cittadini, Milano: FrancoAngeli 2022.

[20] Armin von Bogdandy, The emergence of European society through public law: a Hegelian and anti-Schmittian approach, Oxford: Oxford University Press 2024.

Das Institut im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen

The Institute in the Fight Against Weapons of Mass Destruction

Deutsch

Rechtsberatung in Fragen des Verbotes chemischer und biologischer Waffen in den 1970er Jahren

Abrüstungsfragen stehen im Herzen des modernen Völkerrechts. So befasste sich nicht nur bereits die allererste Resolution der UN-Generalversammlung mit der Notwendigkeit der (nuklearen) Abrüstung, auch das erste der sechs ständigen Komitees der UN-Generalversammlung ist für Abrüstungsfragen zuständig. Und schon vor Gründung der Vereinten Nationen waren Abkommen zur Begrenzung des Einsatzes bestimmter Waffen und Kampfmethoden im Krieg ein zentraler Motor des Völkerrechts.[1]

Ein Jahrzehnt der Abrüstung nach einem Jahrzehnt der regionalen Kriege

Chemische Kriegsführung. Die US Army versprüht das Entlaubungsmittel „Agent Orange“ im Vientamkrieg 1963[2]

Geprägt durch eine Vielzahl regionaler Konflikte wie beispielsweise in Algerien, Vietnam, Korea oder dem Nahen Osten war der im Zeitraum Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre ein entscheidender Moment internationaler Abrüstungsbemühungen. Im Fokus standen damals neben konventionellen Waffen insbesondere Massenvernichtungswaffen (auch ABC-Waffen genannt).

Im Jahre 1968 wurde der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) geschlossen, der die nukleare Aufrüstung maßgeblich aufhielt und mit seinem Art. VI eine Verpflichtung aller Staaten enthält, nicht nur Gespräche bezüglicher nuklearer Abrüstung einzugehen, sondern das Ziel eines Vertrages zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung sämtlicher Waffen enthält. Auch das bilaterale nukleare Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion wurde durch das SALT I Abkommen sowie den ABM-Vertrag jeweils ab 1972 begrenzt.

Mit dem Durchbruch des NPT im Rücken sowie der breiten Unterstützung der Konferenz des Abrüstungskomitees, eingesetzt durch die UN-Generalversammlung, gab es ein Momentum, das Thema der biologischen B und chemischen C Waffen ebenfalls völkerrechtlich verbindlich anzugehen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch einen Bericht des UN-Generalsekretärs Sithu U Thant über „Chemische und bakteriologische (biologische) Waffen und die Auswirkungen ihrer Verwendung“[3], der auf mehr als 100 Seiten die weitreichenden Konsequenzen des Einsatzes solcher Waffen darstellt. Zum Kontext der Diskussion gehörten Vorwürfe der Verwendung von bakteriologischen Kampfmitteln gegen Soldaten im Koreakonflikt seitens der Vereinigten Staaten zu Beginn der 1950er Jahre, aber auch die im Vietnamkrieg während der gesamten 1960er Jahre verwendeten, für Mensch und Natur verheerenden Waffen (z.B. Agent Orange). Die Skandalisierung des Vietnamkriegs in der öffentlichen Meinung und ein aufkommendes Umweltbewusstsein taten ihr übriges.

Das MPIL als Rechtsberater für die bundesdeutsche Beobachtermission bei den Vereinten Nationen

Als Reaktion auf U Thants Bericht, flankiert durch den Bericht des Ersten Komitees,[4] trat im Jahr 1970 eine internationale Kommission zusammen, die sich mit zentralen Fragen biologischer und chemischer Waffen beschäftigen sollte. An dieser nahm auch die Bundesrepublik Deutschland teil, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch kein Mitglied der Vereinten Nationen war. Bis zu ihrem UN-Beitritt 1973 war die Bundesrepublik lediglich im Rahmen einer Beobachtermission tätig, wobei wenn dieser Status sie nicht daran hinderte, sehr aktiv aufzutreten. Um an der Abrüstungskommission informiert teilnehmen zu können, bedurfte das Auswärtige Amt völkerrechtliche Expertise. Daher wurde der damalige MPIL-Direktor Hermann Mosler am 2. Februar 1970 vom damaligen Leiter der Abteilung Völkerrecht und späteren Leiter der Rechtsabteilung des Ministeriums – Dedo von Schenck – brieflich um die Erstellung eines Gutachtens gebeten.

Zwei Fragen sollte das Gutachten beantworten: Zum einen sollte geklärt werden, ob der Inhalt des Genfer Gaskriegsprotokolls aus dem Jahre 1925 Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts sei. Zum anderen interessierte das Auswärtige Amt, ob bestimmte Mittel (Tränengas, Psycho-Kampfstoffe, Entlaubungsmittel und Napalm[5]) unter ein Verbot aus dem Protokoll fallen würden.

Zunächst fällt bei der Fragestellung auf, dass sie die Formulierung „allgemeines Völkerrecht“ verwendet. Aus heutiger Sicht ist das Gaskriegsprotokoll als völkerrechtlicher Vertrag selbstverständlich Teil des allgemeinen Völkerrechts. Die von Dedo von Schenck verwendete Formulierung erinnert allerdings an Art. 25 GG, welcher von den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ spricht. Diese grundgesetzliche Formulierung wird – und wurde schon damals – sowohl vom BVerfG[6] als auch nach staatsrechtlicher herrschender Meinung [7] als Synonym für Völkergewohnheitsrecht verstanden.

Michael Bothe und das Rechtsgutachten Nr. 178

Michael Bothe als Referent am Institut in den 1970ern[8]

In diesem Sinne verstand auch Michael Bothe die Frage, welcher sich zu dieser Zeit am Institut habilitierte und von Hermann Mosler beauftragt wurde, das Gutachten zu erstellen. Michael Bothe arbeitete von 1964 bis 1979 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent am Institut, wo er sich unter anderem mit Fragen des humanitären Völkerrechts und Rüstungskontrollrecht beschäftigte.

Auffällig ist die Logik hinter der Fragestellung des Gutachtens. Zunächst wurde gefragt, ob ein Vertrag selbst Teil des Gewohnheitsrechts sei. Anschließend wurde gefragt, ob bestimmte Mittel unter den Vertrag fallen würden. Die vom Auswärtigen Amt verfolgte Logik lag also darin zu sagen, Stoff X fällt unter das Gaskriegsprotokoll, das Gaskriegsprotokoll ist Gewohnheitsrecht, also ist der Einsatz von Stoff X völkergewohnheitsrechtlich verboten. Diese Logik demontierte Michael Bothe bereits zu Beginn des materiellen Teils seines Gutachtens. Völkergewohnheitsrecht kann sich unabhängig von Vertragsrecht bilden. Auch der Inhalt eines gewohnheitsrechtlichen Verbots, auch wenn sich dieses parallel zu Vertragsrecht entwickelte und durch dieses katalysiert wurde, kann sich von diesem durchaus unterscheiden. Daher nimmt Bothe den dogmatisch sauberen Weg und fragt zunächst, ob der Einsatz eines spezifischen Stoffes gewohnheitsrechtlich verboten sei, um dann im Einzelnen die Tragweite eines solchen Verbots zu analysieren.

Systematisch arbeitet er das Vorliegen der beiden konstitutiven Elemente von Gewohnheitsrecht, der opinio iuris und der consuetudo (Staatenpraxis), heraus. Er kommt zu dem Schluss, dass das Gaskriegsprotokoll Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist. Bei den jeweils angefragten Stoffen kommt er zu gemischten Ergebnissen: Napalm als Brandwaffe sei von keinem Verbot erfasst, was sich insbesondere an einer fehlenden Praxis aufgrund des massiven Einsatzes im Zweiten Weltkrieg zeige. Die übrigen Stoffe würden unter das Gaskriegsprotokoll fallen und seien daher vertraglich verboten. Interessanterweise lehnt er aber ein gewohnheitsrechtliches Verbot von Entlaubungsmitteln aufgrund des Widerstandes der Vereinigten Staaten, die dieses massiv in Vietnam einsetzten, ab. Nach heutiger Terminologie würde man diese als persistant objector bezeichnen.

Michael Bothe arbeitete sehr intensiv an dem Gutachten und stellte im September 1970 eine vorläufige Fassung fertig. Während das Gutachten selbst vierzig Seiten umfasste, folgten weitere knapp 200 Seiten Anhang, bestehend aus Analysen zu Einzelfragen und dem Abdruck von Vertragstexten sowie Protokollen – sichtbar ein Ergebnis harter juristischer und dokumentarischer Kärrnerarbeit. Die als Buch publizierte Langfassung wurde als wichtiger Beitrag für eine seit einem halben Jahrhundert bestehenden Diskussion über den Einsatz solcher Waffen gesehen, wobei insbesondere seine differenzierte Analyse des Vertrags- und Gewohnheitsrechts hervorgehoben wurde.[9] Die Übersendung des Gutachtens an das Auswärtige Amt übernahm Rudolf Bernhardt, der im selben Jahr als Direktor neu ans Institut berufen worden war. Nunmehr bestand das Direktorium mit Mosler und Bernhardt aus zwei Personen – eine Neuheit in der zu diesem Zeitpunkt knapp fünfzigjährigen Geschichte des Instituts. In der Korrespondenz zwischen MPIL und Auswärtigen Amt betonte das Auswärtige Amt regelmäßig die guten Beziehungen zwischen dem Völkerrechtsreferat des AA und dem Institut. Diese guten Beziehungen zeigen sich in der Korrespondenz insbesondere auch daran, dass Rudolf Bernhardt, bereits seit 1954 dem Institut verbunden, und der ihm offenbar schon lange bekannte Dedo von Schenck die sehr persönliche Grußformel „sehr verehrter, lieber Herr“ verwendeten. Noch heute werden diese besonderen Verbindungen gepflegt, etwa in den jährlich stattfindenden gemeinsamen Workshops, in denen Mitarbeitende des Auswärtigen Amts ein völkerrechtliches Thema intensiv mit Forschenden aus dem Institut diskutieren, oder der Tatsache, dass die geschäftsführende Direktorin Anne Peters Deutschland im Auftrag des Auswärtigen Amtes vor dem Internationalen Gerichtshof vertrat.

Was danach persönlich geschah

Das Gutachten lag nun in den Händen der Auftraggeber. Doch als Wissenschaftler ließ es sich Michael Bothe nicht nehmen, die umfangreiche Untersuchung, in die er mehr als ein halbes Jahr Arbeit investiert hatte, auch wissenschaftlich zu verwenden. Er arbeitete sein Gutachten, parallel zu seiner nicht weniger umfangreichen Habilitationsschrift, zu einem Buch aus und veröffentlichte dieses 1973 in der institutseigenen Reihe der Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht.[10] Wird diese Schriftenreihe heute aufgrund der Farbe der Einbände häufig einfach als Schwarze Reihe bezeichnet wird, so war Bothes Studie „Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen“ der letzte Band der Reihe, der noch mit einem grünen Einband erschien. Michael Bothe wurde 1974 an der Universität Heidelberg habilitiert und blieb bis zu seiner Berufung als ordentlicher Professor an die Universität Hannover 1979 am Institut, dem er weiterhin verbunden ist. Von 1983 an war er Professor in Frankfurt am Main, wo er 2003 emeritiert wurde. Weiterhin war er Teil der deutschen Delegation bei den Verhandlungen über die Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen.[11] Heute lebt er in Bensheim.

Was danach völkerrechtlich geschah

Fässer mit „Agent Orange“ im US-Kampfstofflager auf dem Johnston Atoll 1976[12]

Die Beratungen und Diskussionen in Völkerrechtswissenschaft und diplomatischer Praxis führten zu einem gewissen Erfolg. 1972 wurde die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (kurz: Biowaffenkonvention) unterschrieben. Zugegebenermaßen aber sah man diese Waffen militärisch als nicht sonderlich bedeutsam an, weswegen eine Einigung relativ leicht möglich war – zumal in der Konvention auch kein Kontrollmechanismus vorgesehen ist. Mittlerweile sind 184 Staaten der Welt (mit Ausnahme beispielsweise Syriens, Ägyptens und Israels)  Vertragsparteien dieser Konvention. Bei den chemischen Waffen dauerte es länger, bis die Weltgemeinschaft zu einem umfassenden völkerrechtlichen Vertrag kam. Sieben Jahre nach Ende des Kalten Krieges trat 1997 schließlich nach sehr komplizierten Verhandlungen das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (kurz: Chemiewaffenkonvention) in Kraft. Mit Ausnahme Israels, Ägyptens, Südsudans und Nordkoreas sind sämtliche Staaten der Welt Vertragsparteien des Abkommens. Der Grund für die deutlich längere Dauer der Verhandlungen bis zum Vertragsschluss liegt in der militärischen Relevanz – man denke beispielsweise an den Giftgaseinsatz im damals noch Nicht-Mitgliedsstaat Syrien – und in dem umfangreiche Kontrollmechanismus, dessen Einführung begleitet wurde durch die Einrichtung einer neuen Internationalen Organisation, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW).

Während nun somit B- und C-Waffen heute vollständig verboten sind, ist die Frage der Atomwaffen weiterhin offen. Zwar wollte der Nichtverbreitungsvertrag die weitere Ausbreitung von Atomwaffen verhindern, dennoch haben aber mehrere Staaten solche Staaten entwickelt; es fehlt es an einem globalen Willen, auch Atomwaffen vollständig zu verbieten. Seit 2021 ist der Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) in Kraft, bislang aber ist kein Nuklearwaffenstaat oder Staat des globalen Nordens diesem Vertrag beigetreten. Dennoch bleibt auch die Frage der nuklearen Abrüstung – insbesondere im Hinblick auf neue nukleare Technologien – nach wie vor ein Thema, zu welchem am Institut intensiv geforscht wird.

***

Der Autor dankt Professor Dr. Michael Bothe für seine anregenden Kommentare.

[1] Man denke nur an die Haager Landkriegsordnung von 1899 und 1907 oder das Genfer Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege von 1925.

[2] Foto: Wikimedia Commons.

[3] UN, Chemical and bacteriological (biological) weapons and the effects of their possible use: report of the Secretary-General, 1969, A/7575/Rev.1.

[4] UN Generalversammlung, Resolutionen 2516 (XXIV), 2574 (XXIV), 2601 (XXIV) – 2606 (XXIV).

[5] Napalm ist eine Brandwaffe, die bestehend aus zwei Säuren eine zähflüssige, klebrige Masse bildet, die sehr gut haftet und sehr leicht entzündlich ist. Eingesetzt wurde es unter anderem in Vietnam, im Nahen Osten und in Algerien.

[6] BVerfGE 23, 288 (Rn. 317); BVerfGE 94, 315 (Rn. 328); BVerfGE 96, 68 (Rn. 86).

[7] Ondolf Rojahn, in: Ingo von Münch/Philip Kunig(Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., München, C.H. Beck 2000; Art. 25, Rn. 6ff.; Christian Koenig in: Hermann v. Mangoldt(Begr.)/ Friedrich Klein(Hrsg.)/ Christian Starck(Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl., München: C.H. Beck 2018, Art.25, Rn. 29; Volker Epping/Christian Hillgruber(Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 57. Edition, München: C.H. Beck 2024, Art. 25, Rn. 19; Matthias Herdegen, in: Günter Dürig(Begr.)/Rupert Scholz(Hrsg.)/Roman Herzog(Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 95. EL, München: C.H. Beck 2021, Art. 25 GG, Rn. 34.

[8] Foto: MPIL.

[9] Frits Kalshoven, Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen [Book Review], Netherlands International Law Review 22 (1975), 97.

[10] Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Köln: Carl Heymanns Verlag 1973.

[11] Das Lebenswerk von Michael Bothe wurde gewürdigt in: Andreas Fischer-Lescano et. al (Hrsg), Frieden in Freiheit – Peace in liberty – Paix en liberté: Festschrift für Michael Bothe zum 70. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos 2008.

[12] Foto: Wikimedia Commons.

 

English

Legal Advice on Issues Relating to the Ban on Chemical and Biological Weapons in the 1970s

Disarmament issues are at the heart of modern international law. Not only did the very first resolution of the UN General Assembly deal with the need for (nuclear) disarmament, but the first of the six standing committees of the UN General Assembly is also responsible for disarmament issues. And even before the founding of the United Nations, agreements to limit the use of certain weapons and methods of warfare were a key driver of international law.[1]

A Decade of Disarmament After a Decade of Regional Wars

Chemical warfare. The US Army sprays the defoliant ‘Agent Orange’ during the Vietnam War in 1963[2]

Characterised by a large number of regional conflicts, such as in Algeria, Vietnam, Korea and the Middle East, the period at the end of the 1960s and beginning of the 1970s was a decisive moment in international disarmament efforts. In addition to conventional weapons, the focus at the time was on weapons of mass destruction.

In 1968, the Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT) was concluded, which significantly halted nuclear armament and, with its Art. VI contains a commitment by all states not only to enter into talks on nuclear disarmament, but also to the goal of a treaty on the general and complete disarmament of all weapons. The bilateral nuclear arms race between the USA and the Soviet Union was also limited by the SALT I agreement and the ABM Treaty from 1972 onwards.

With the breakthrough of the NPT behind them and the broad support of the Conference of the Disarmament Committee, set up by the UN General Assembly, there was momentum to also address the issue of biological and chemical weapons in a binding manner under international law. These efforts were supported by a report by UN Secretary‑General Sithu U Thant on “Chemical and bacteriological (biological) weapons and the consequences of their use”[3] , which outlines the far-reaching consequences of the use of such weapons in more than 100 pages. The context of the discussion included accusations of the use of bacteriological weapons against soldiers in the Korean conflict by the United States in the early 1950s, but also the weapons used in the Vietnam War throughout the 1960s, which were devastating for humans and nature (e.g. Agent Orange). The scandalisation of the Vietnam War in public opinion and an emerging environmental awareness did the rest.

The MPIL as Legal Advisor for the German Observer Mission to the United Nations

In response to U Thant’s report, flanked by the report of the First Committee,[4] an international commission was convened in 1970 to deal with key issues relating to biological and chemical weapons. The Federal Republic of Germany also took part in this commission, even though it was not yet a member of the United Nations at the time. Until it joined the UN in 1973, the Federal Republic was only active as an observer mission, although this status did not prevent it from being very active. In order to participate in the Disarmament Commission in an informed manner, the Federal Foreign Office required expertise in international law. For this reason, on 2 February 1970, the then MPIL Director Hermann Mosler was asked by the then Head of the Department of International Law and later Head of the Legal Department of the Ministry – Dedo von Schenck – to prepare an expert opinion.

The expert opinion was to answer two questions: Firstly, it was to clarify whether the content of the Geneva Gas War Protocol of 1925 was part of general international law. Secondly, the Federal Foreign Office was interested in whether certain agents (tear gas, psycho warfare agents, defoliants and napalm[5] ) were covered by a ban under the protocol.

Firstly, it is noticeable that the question uses the phrase “general international law”. From today’s perspective, the Gas War Protocol, as a treaty under international law, is of course part of general international law. However, the term used by Dedo von Schenck is reminiscent of Article 25 of the German Basic Law, which speaks of the “general rules of international law”. This formulation of the Basic Law is – and was even then – understood both by the Federal Constitutional Court[6] and by the prevailing opinion in constitutional law[7] as a synonym for customary international law.

Michael Bothe and the Legal Opinion no. 178

Michael Bothe as research fellow at the Institute in the 1970s[8]

Michael Bothe, who was completing his habilitation at the Institute at this time and was commissioned by Hermann Mosler to prepare the expert report, also understood the question in this sense. Michael Bothe worked at the Institute from 1964 to 1979 as a senior research fellow, where he dealt with issues of international humanitarian law and arms control law, among other things.

The logic behind the question posed in the expert opinion is striking. First, it was asked whether a treaty itself was part of customary law. Then it was asked whether certain means were covered by the treaty. The logic pursued by the Federal Foreign Office was therefore to say that substance X falls under the Gas War Protocol, the Gas War Protocol is customary law, and therefore the use of substance X is prohibited under customary international law. Michael Bothe already dismantled this logic at the beginning of the substantive part of his expert opinion. Customary international law can develop independently of treaty law. The content of a prohibition under customary law, even if it developed in parallel with and was catalysed by treaty law, can also be quite different from the latter. Bothe therefore takes the dogmatically clean path and first asks whether the use of a specific substance is prohibited under customary law in order to then analyse the scope of such a prohibition in detail.

He systematically analyses the existence of the two constitutive elements of customary law, opinio iuris and consuetudo (state practice). He comes to the conclusion that the Gas War Protocol is part of customary international law. He comes to mixed conclusions about the substances in question: Napalm as an incendiary weapon is not covered by any prohibition, as evidenced in particular by a lack of practice due to its massive use in the Second World War. The other substances are covered by the Gas War Protocol and are therefore prohibited by treaty. Interestingly, however, he rejects a customary ban on defoliants due to the resistance of the United States, which used them on a massive scale in Vietnam. In today’s terminology, this would be called a persistent objector.

Michael Bothe worked very intensively on the report and completed a preliminary version in September 1970. While the report itself was forty pages long, it was followed by a further 200 pages of appendices consisting of analyses of individual issues and the reprinting of treaty texts and protocols – clearly the result of hard legal and documentary work. The long version, published as a book, was seen as an important contribution to the half-century-long debate on the use of such weapons, with particular emphasis being placed on its differentiated analysis of treaty and customary law.[9] The report was sent to the Federal Foreign Office by Rudolf Bernhardt, who had been appointed Director of the Institute in the same year. With Mosler and Bernhardt, the Board of Directors now consisted of two people – a novelty in the almost fifty-year history of the Institute at that time. In correspondence between MPIL and the Federal Foreign Office, the Federal Foreign Office regularly emphasised the good relations between the International Law Division of the Federal Foreign Office and the Institute. These good relations are reflected in the correspondence in particular by the fact that Rudolf Bernhardt, who had been associated with the Institute since 1954, and Dedo von Schenck, whom he had obviously known for a long time, used a very personal form of greeting. These special connections are still cultivated today, for example in the annual joint workshops in which employees of the Federal Foreign Office discuss a topic of international law in depth with researchers from the Institute, as well as the fact that the managing director Anne Peters recently defended Germany in front of the International Court of Justice on behalf of the Federal Foreign Office.

What Happened Afterwards, Personally

The expert report was now in the hands of the client. However, as an academic, Michael Bothe did not miss the opportunity to use the extensive study, in which he had invested more than six months of work, for academic purposes. He compiled his expert opinion into a book, parallel to his equally extensive habilitation thesis, and published it in 1973 in the institute’s own series of Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht.[10] Today, this series is often simply referred to as the Black Series due to the colour of the covers, but Bothe’s study “Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen” was the last volume in the series to be published with a green cover. Michael Bothe habilitated at the University of Heidelberg in 1974 and remained at the institute until his appointment as a full professor at the University of Hanover in 1979, with which he is still associated. From 1983 onwards, he was a professor in Frankfurt am Main, where he retired in 2003. He was also part of the German delegation to the negotiations on the Additional Protocols to the Geneva Conventions.[11] Today he lives in Bensheim.

What Happened Afterwards, Under International Law

Barrels of ‘Agent Orange’ in the US warfare agent depot on Johnston Atoll in 1976[12]

The consultations and discussions in international law and diplomatic practice led to a certain degree of success. In 1972, the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction (in short: Biological Weapons Convention) was signed. Admittedly, however, these weapons were not considered to be of particular military significance, which is why it was relatively easy to reach an agreement – especially as the convention does not provide for a control mechanism. There are now 184 states in the world (with the exception of Syria, Egypt and Israel, for example) that are parties to this convention. In the case of chemical weapons, it took longer for the international community to reach a comprehensive treaty under international law. Seven years after the end of the Cold War, the Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction (in short: Chemical Weapons Convention) finally came into force in 1997 after very complicated negotiations. With the exception of Israel, Egypt, South Sudan and North Korea, all states in the world are parties to the Convention. The reason for the significantly longer duration of the negotiations up to the conclusion of the treaty lies in the military relevance – think, for example, of the use of poison gas in Syria, which was not yet a member state at the time – and in the extensive control mechanism, the introduction of which was accompanied by the establishment of a new international organisation, the Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW).

While biological and chemical weapons are now completely banned, the issue of nuclear weapons remains unresolved. Although the Non-Proliferation Treaty aimed to prevent the further proliferation of nuclear weapons, several states have nevertheless developed such weapons; there is a lack of global will to ban nuclear weapons completely. The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW) has been in force since 2021, but so far no nuclear-weapon state or state of the Global North has acceded to this treaty. Nevertheless, the issue of nuclear disarmament – particularly with regard to new nuclear technologies – remains a topic of intensive research at the Institute.

***

The author would like to thank Professor Dr Michael Bothe for his stimulating comments.

[1] Just think of the Hague Land Warfare Convention of 1899 and 1907 or the Geneva Protocol on the Prohibition of the Use in War of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases and of Bacteriological Methods of Warfare of 1925.

[2] Photo: Wikimedia Commons.

[3] UN, Chemical and bacteriological (biological) weapons and the effects of their possible use: report of the Secretary-General, 1969, A/7575/Rev.1.

[4] UN General Assembly, Resolutions 2516 (XXIV), 2574 (XXIV), 2601 (XXIV) – 2606 (XXIV).

[5] Napalm is an incendiary weapon consisting of two acids that form a viscous, sticky mass that adheres very well and is highly flammable. It was used in Vietnam, the Middle East and Algeria, among other places.

[6] BVerfGE 23, 288 (Rn. 317); BVerfGE 94, 315 (Rn. 328); BVerfGE 96, 68 (Rn. 86).

[7] Ondolf Rojahn, in: Ingo von Münch/Philip Kunig(founders), Grundgesetz-Kommentar, 5. ed., Munich: C.H. Beck 2000; Art. 25, para. 6 et seq.; Christian Koenig, in: Hermann v. Mangoldt(founder)/ Friedrich Klein(ed.)/ Christian Starck(ed.), Grundgesetz Kommentar, 7. ed., Munich: C.H. Beck 2018, Art.25, para. 29; Volker Epping/Christian Hillgruber(eds.), BeckOK Grundgesetz, 57. ed., München: C.H. Beck 2024, Art. 25, para. 19; Matthias Herdegen, in: Günter Dürig(founder)/Rupert Scholz(ed.)/Roman Herzog(ed.), Grundgesetz-Kommentar, 95. EL, Munich: C.H. Beck 2021, Art. 25 GG, para. 34.

[8] Photo: MPIL.

[9] Frits Kalshoven, Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen [Book Review], Netherlands International Law Review 22 (1975), 97.

[10] Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Cologne: Karl Heymanns Verlag 1973.

[11] Michael Bothe’s life‘s work is honored in: Andreas Fischer-Lescano et. al (eds.), Frieden in Freiheit – Peace in liberty – Paix en liberté: Festschrift für Michael Bothe zum 70. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos 2008.

[12] Photo: Wikimedia Commons.

Zeitgenossenschaft, Expertise und das „Völkerrecht als Rechtsordnung“. Das MPIL „um 68“

Dieser Beitrag, zur Diskussion gestellt als Teil eines Roundtable-Gesprächs im Rahmen der Seminarreihe zur Institutsgeschichte, ist Teil einer gemeinsamen Reflexion über die Zeitgenossenschaft des MPIL. Ist es im Verlaufe seiner Nachkriegsentwicklung auf der Höhe seiner Zeit gewesen, und ist die Zeit auf der Höhe der Wissenschaft der MPIL gewesen? Letzteres wäre der Fall, wenn die Wissenschaft des Völkerrechts den realen Verhältnissen der inter­na­tionalen Beziehungen vorausgeeilt oder auf dem Wege wäre, die zukünftigen Etappen der Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft mitzugestalten.

I. Woran will ich die Zeit­genossenschaft des MPIL (in dem erwähn­ten doppelten Sinne) festmachen? Unter den verschiedenen methodischen Wegen zur Beant­wortung dieser Frage bot sich die mir persönlich nächstliegende Herangehens­weise an, nämlich die Identifizierung und Bewertung jener Thematik, welche das Institut seinerseits „um 68“ zum Gegenstand seiner Forschung gemacht und damit auf die völkerrechtswissenschaftliche Agen­­da gesetzt hat. Die Deka­de zwischen der Mitte der 1960er und der 1970er Jahre betrachte ich als die Zeitspanne, die man grob vereinfachend als „um 68“ charakterisieren kann. Diese Jahreszahl vermittelt ja nicht lediglich eine chronologische Infor­mation, sondern symbolisiert nachhaltig wirkende gesellschaftliche Ereignisse mit internationaler Ausstrahlung in verschiedene, vor allem westliche Gesell­schaften.

Hermann Mosler 1975 in der Alten Aula anlässlich des 50-jährigen Institutsjubiläums (Foto: MPIL)

Als para­digmatisch betrachte ich das Thema, mit dem Hermann Mosler, der da­malige Direk­tor des MPIL, die Serie der Beiträge eröffnete, die aus An­lass des 1974 gefeierten 50jährigen Bestehens des Instituts in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) veröffentlicht wurden. Es lautete: Völker­recht als Rechts­ord­nung. Natürlich war das keine speziell für das Jahrzehnt zwischen der Mitte der 1960er und 1970er Jahre charakteristische wissenschaftliche Fra­gestellung. Mosler hatte dieses Thema gewählt, weil er damit das Werk des Gründungsdirektors des Kaiser-Wilhelm-Instituts Viktor Bruns ehren wollte, der im Jahr 1929 die ZaöRV gegründet und den ersten Band mit eben dieser Thematik – „Völkerrecht als Rechtsord­nung“ eröffnet hatte.

Man könnte sagen, dass dieses Thema für das MPIL nicht nur aus Anlass seiner Jubiläen bedeutungsvoll und würdiger Gegenstand seiner Forschung ist, son­dern im Grunde die Ratio seiner Existenz ausmacht. Jubiläen wie das fünf- fünfzig- oder hundertjährige Bestehen des MPIL markieren daher lediglich Stationen, wie sich dieses für den wissenschaftlichen Auftrag des MPIL konstitutive Problem im geschichtlichen Prozess der dazu geführten Diskurse entwickelt hat. Aus Anlass des hundertsten Geburtstages des MPIL daran zu erinnern ist der Sinn der folgenden Überlegungen eines Nicht-Völkerrechtlers.

Original Typoskript des Vortrages „Völkerrecht als Rechtsordnung“ von Viktor Bruns, gehalten am 16. Februar 1927 vor der KWG (Foto: MPIL)

II. Zunächst: Was meinten die beiden Autoren Bruns und Mosler mit der Qualifi­zierung des Völkerrechts als Rechtsordnung? Gewiss verstanden sie unter dem Begriff Rechtsordnung nicht le­diglich eine Ordnung allein des recht­lichen Stof­fes, den wir als Völkerrecht klassifizieren, das heißt eine Ta­xonomie des Rechts­stof­fes, der die internationale Dimension des Rechts betrifft. So etwas gehört in den Hörsaal einer Vorlesung über das Völkerrecht und wird in den völker­recht­lichen Reflexionen und Forschungen vorausgesetzt. Wenn das Völkerrecht als Rechtsordnung qualifiziert wird, dann ist damit nicht gemeint, dass dieses Rechtsgebiet eine Ordnung hat und deswegen auch eine Ordnung dieses Rechtsgebietes ist – sinnvollerweise kann damit nur gemeint sein, dass das Völkerrecht eine ordnende Funktion für seinen Gegenstand hat, nämlich die internationale Gemeinschaft.

In modernen Gesellschaften ist die gesellschaftliche Ordnung zugleich eine Rechtsordnung – rechtlich konstituiert und reguliert. Sozial­ord­nung und Rechts­­­­ordnung sind weitgehend identisch – selbst der Bruch des Rechts ist ein rechtliches Ereignis. So ist zum Beispiel Diebstahl ein in die Alltagssprache eingegan­gener Rechtsbegriff für den Vorgang der Wegnahme einer Sache ohne oder gegen den Willen der bestohlenen Per­son. Das ist ge­meint, wenn von der konstitutiven Bedeutung der Norm für die Erkenntnis des rechtlichen Charak­ters sozialer Beziehungen und Verhält­nisse die Rede ist: der von der sinnlich wahr­nehmbaren konkreten Realität eines sozialen Verhältnis­ses abstrahier­ende Rechtsbegriff prägt Sprache und Be­wusst­sein einer durch Recht konsti­tuierten Ordnung. Ohne das Recht gäbe es diese Ordnung nicht; ohne das Recht wären die Men­schen lediglich ein Haufen im Hobbes’schen Naturzu­stand, in dem jeder gegen jeden um sein Überleben kämpft.

III. In der Begeisterung der demokratischen Bewegung der Paulskirchenversammlung 1848 und deren Ver­abschiedung einer Verfassung schrieb der Dichter Fer­di­­nand Frei­li­grath: „Noch gestern, Brüder, wart ihr nur ein Haufen; ein Volk, o Brüder, seid ihr heut“.

Die gegenwärtig gängige Formulierung für etwas Gleichartiges oder Ähnliches in Bezug auf die inter­na­tio­nalen Beziehungen lautet „regelbasierte Weltord­nung“. Das ist das Ideal ins­besondere der liberalen westlichen Demokratien des globalen Nordens. Eine regelbasierte Ordnung müsste auf globaler Ebene das leisten, was innerstaatlich jedenfalls in jenen Staaten gesichert erscheint: Frie­den und Ordnung durch Recht. Wir wissen, dass es das nicht gibt, in dem Zeitalter der Staatlichkeit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch nicht gegeben hat.

Warum hat es diese Konstellation in den Beziehungen der Staaten nicht gege­ben? Die Antwort ist so schlicht wie folgenreich. Die Staaten bilden eine Plura­lität, sicherlich mehr als einen Haufen oder eine bloße Menge. Andererseits haben sie sich nicht wie der Freiligrath’sche Haufen zu einem kollektiv hand­lungsfähigen Ver­band transformiert – sie befinden sich damit in der paradoxen Situation, dass sie unter diesem Zustand der unorganisierten Vielheit zugleich leiden, wie ihn aber gleichzeitig auch genießen und mit allen Mitteln verteidi­gen. Sie leiden darunter, dass sie mangels ei­ner über ihnen existierenden sanktionsfähigen Autorität eines in­ter­na­tionalen Superstaates in ständiger Sorge um ihre Sicher­heit leben, die potentiell von jedem anderen Staat bedroht ist, und sich daher in ständiger kostenintensiver Wehrbereitschaft befinden müssen. Sie genießen diesen Zustand zugleich aber auch, weil sie dank ihrer Souveränität keiner ihnen überlegenen Ordnungsmacht unterliegen und weitgehend ungestört und selbstbezüglich ihre inneren Angele­gen­heiten regeln können – bis hin zu grausamster Unter­drückung ihrer jeweiligen Völker.

IV. Dieser „Souveränitätspanzer“ verhindert, dass völkerrechtliche Normen einen konstitutiven Status erlangen können. Sie können nicht den soziologischen Roh­­­zustand der internationalen Beziehungen souveräner Staaten in eine Ord­nung umwandeln, die einen verbindlichen kollektiven Mehrheitswillen hervor­bringen könnte, geschweige denn eine überlegene Autorität, die diesen Willen gegen Widerspruch durchsetzen könnte. Schon der Gegenstand des Völ­ker­rechts ist diffus: laut Präambel der UNO-Sat­zung sind es die „Völker der Ver­einten Natio­nen“, später im Text dann auch nur die „Vereinten Natio­nen“, in der Li­tera­tur wird auch von der „inter­na­tionalen Gemeinschaft“, „Staa­ten­ge­mein­schaft“, der „Völkerrechtsgemeinschaft“ oder der „Staaten­gesellschaft“ gesprochen, zuweilen von der Mensch­heit (man­kind). Bei genauer Betrachtung bilden die Staaten keine Gemein­schaft, sondern eine Gesellschaft. In der präzi­sierenden Unterscheidung zwischen Vergemeinschaftung und Vergesell­scha­ftung von Max Weber wird letztere als die Existenz einer sozialen Beziehung gekennzeichnet, „wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckra­tional) motiviertem Interes­senaus­gleich oder auf ebenso motivierter Interes­sen­ver­bindung beruht“.[1] In diesem Sinne kennzeich­net Hedley Bull, Be­grün­der der englischen Schule der internationalen Beziehun­gen, das Pluriversum der Staaten als „anar­chi­cal society“. Damit charakterisier­te er eine Konstellation, die durch drei widerspruchsvolle Elemente gekenn­zeich­­­net sei: Kriege zwischen den Staaten und Kämpfe um Macht; transnationa­le Solidarität und Konflikt sowie Kooperation und regulierte Beziehungen zwis­chen Staaten.[2] Auf ein weniger beachtetes Element dieser Beziehung von Krieg und internationalem anarchischem System hat übrigens der britische Militär­historiker Michael Howard in einem klugen Essay unter dem Titel The Invention of Peace  aufmerksam gemacht.[3]

Rudolf Bernhardt, Ernst Friesenhahn und Jochen Frowein auf der Tagung „Völkerrecht als Rechtsordnung“ 1975 (Foto: MPIL)

Die weitgehend anerkannten Eigenheiten der internationalen Ordnung be­ruhen darauf, dass die Staaten nicht rechtlich kon­stituiert sind. Staaten sind keine Geschöpfe des Rechts, sondern natur­wüch­sig aus dem mehr oder weni­ger gewalttätigen Verkehr der Staaten oder sonstiger Herrschafts­verbände hervorgegangene Gebilde (zum Beispielnach dem Zerfall von Imperien), die ausschließ­liche Herrschaft über ein umgrenztes Territorium und dessen Bevöl­kerung aus­üben. Während binnenstaatlich die soziale Ordnung durch die kon­stitutive Wir­kung der Verfassung in eine Rechtsordnung transformiert wird, bleibt die Exi­stenz der Staaten in der zwischenstaatlichen Sphäre ein bloßes Faktum. Kel­sen bezeichnete bekanntlich das Völkerrecht als eine „primitive Rechtsord­nung“. Da­­mit bezog er sich darauf, dass die generellen Normen des Völker­rechts nicht durch ein gesondertes Gesetzgebungsorgan erzeugt werden, son­dern durch die „Glieder der Rechtsgemeinschaft“ selbst, das heißt die Staaten.[4] Sie haben keine In­sti­­tu­tion hervorgebracht, die mit der selbständigen Wahrung der Gesamtinter­es­sen der „Gemeinschaft“ betraut wurde. Dass dies auch unter dem Schirm der UN-Charta gilt, zeigen deren Artikel 24 und 25. Danach handeln die Mit­glie­der des Sicherheitsrates bei der Erfüllung ihrer Hauptverantwortung für die Wahr­ung des Weltfriedens nicht im Namen und im Interesse einer in den Ver­einten Nationen verfassten Gemeinschaft der Staaten und deren Völ­ker, son­dern im Namen der Summe der Mitglieder der Vereinten Na­tionen, also der Staaten. Sie bleiben in ihrer Pluralität und Souveränität die Quel­le der Legitimi­tät der Beschlüsse des Sicherheitsrates. Die Verbindlichkeit der Beschlüsse des Sicherheitsrates ergibt sich folglich nicht aus einer strukturellen Über­legenheit eines Gesamtwillens über die Einzelwillen der Staaten; sie folgt aus der Über­einkunft der einzelnen Mitglieder der Vereinten Nationen, „die Be­schlüs­­se des Sicherheitsrates im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzufüh­ren“ (Artikel 25). Quelle der Legitimität der Beschlüsse des Sicher­heitsrates sind die Übereinkünfte der Staaten, die damit auch die Interpretationshoheit über deren jeweiligen Inhalt und damit über das Maß der Verbindlichkeit innehaben.

Zum Mitglied einer „anarchischen Gesellschaft“ nach der erwähnten Konzepti­on von Bull wird ein Staat als Faktum erst durch die Anerkennung als Staat – erst dadurch erwirbt er den Status eines internationalen Rechts­sub­jektes.[5] Bei­des – Anerkennung und Völkerrechtsfähigkeit – sind Begriffe des Völkerrechts. Ihre Geltung und Anwendung schaffen eine eigene soziale Wirklichkeit und er­lösen damit die faktische Wirk­lichkeit eines „naturhaften“ Nebeneinanders von ungleich machtvollen souveränen Herrschafts­gebilden von ihrem Verharren in der rohen Ver­sion eines Hobbes’schen Naturzustan­des.

V. Was durch die Geltung dieser völkerrechtlichen Nor­men, im Verbund mit dem elementaren, in der Re­gel rechtsethisch fundierten Grundsatz pacta sunt servanda[6] bewirkt wird, ist nichts weniger als der erste Schritt hin zu einer Rationalisierung des rohen Zustandes einer Viel­zahl machtoppor­tu­nistisch agierender Souveräne in eine normativ inspirierte Konstellation eines ge­ord­neten Ne­beneinanders. Man kann also den genannten völkerrechtlichen Nor­men einen konstitutiven Char­akter zuspre­chen.

Rechtfertigt das die These vom Völkerrecht als Rechts­ord­nung? Es kommt darauf an, welche Ansprüche wir an den Begriff der völker­recht­li­chen Ordnung stellen. Verstehen wir darunter die oben erwähnte „re­gelbasierte internationa­le Ord­nung“, so wird man die Frage wohl verneinen müssen. Denn beim gegen­wärtigen Stand der ungezügelt ausgetragenen inter­nationalen Konflikte ist von einer ordnenden, geschweige denn steuernden Macht des Völkerrechts wenig zu se­hen. Für uns Heutige muss der Frieden noch erfunden werden. Wir werden uns wohl mit der bescheide­neren Idee einer regelorientierten Ordnung zufriedengeben müssen. Die Kluft zwi­schen regelbasiert und regel­ori­entiert ist das Feld der internationa­len Politik. Sie benötigt dringend die Exper­tise und Kreativität der völkerrechtlichen Pro­fession und ihres deutschen Hor­tes, des Heidelberger MPIL. Dessen Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen ermutigt zu kühnen Hoffnungen und Wünschen.

[1] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr 1972, 21.

[2] Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, London:  Macmillan1977, 41.

[3] Michael Howard, The Invention of Peace. Reflections on War and International Order, London: Yale University Press 2000.

[4] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. (1960), 5. Neudruck, Wien: Verlag Österreich 2000, 323 ff.

[5] Vgl.  Wilfried Schaumann, Anerkennung, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, Berlin: De Gruyter 1960, 47 ff.; Hermann Mosler, Völkerrechtsfähigkeit, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, Berlin: De Gruyter 1962, 665 ff.

[6] Hierzu Werner Kägi, Pacta Sunt Servanda, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, Berlin: De Gruyter 1961, s711-716.

Ma patrie, c’est le multilinguisme

Multilingualism as a Homeland

Française

Une réflexion sur l’utilisation du français dans l’étude et la pratique du droit (à l’institut Max Planck de droit international public de Heidelberg et au-delà)

La langue est la clef de voûte de toute pensée et pratique juridique.[1] En effet, elle constitue l’outil de travail central de tout·e juriste, car elle lui permet de forger des idées, de présenter des arguments et, plus largement, de (re-) calibrer le cadre juridique. En d’autres termes, l’expertise d’un·e juriste se mesure aussi à son aisance linguistique. L’importance de cette aisance linguistique s’explique par l’ambiguïté des règles juridiques (internationales), comme nous le rappelle Guy de Lacharrière, ancien juge français à la CIJ, dans son ouvrage classique « La politique juridique extérieure » paru en 1983.

La langue – plus qu’un (simple) outil de travail

Il serait toutefois réducteur de penser la langue uniquement comme un outil. Elle est bien plus que cela. La langue imprègne profondément notre identité et offre un référentiel socio-culturel qui dépasse son caractère nominatif. Comme disait Albert Camus : « Oui, j’ai une patrie : la langue française. » Ainsi, la langue représente également un important vecteur d’identité et de culture, y compris dans le domaine juridique. Compte tenu de cette caractéristique identitaire et culturelle, le choix d’une langue plutôt que d’une autre a un impact significatif sur la pensée et la pratique juridiques.

Lorsque vous lisez le même arrêt en français et en anglais, par exemple, vous constaterez assez vite que les textes respectifs ne divergent pas seulement sur le plan linguistique, mais qu’ils véhiculent également une culture juridique différente, parfois même une conception différente du droit. Prenons par exemple l’arrêt Les Verts de la Cour de justice des Communautés européennes (CJCE) de 1986. Le texte français de l’arrêt fait référence à une « communauté de droit » (transformée plus tard en « Union de droit »), tandis que la version anglaise se réfère à une « Community [Union] based on the rule of law ». Nous savons tous que la notion d’Etat de droit, adaptée par la Cour à la construction européenne (c’est-à-dire à la communauté puis l’Union) et qui est chère aux systèmes de droit civil, d’une part, et le concept de rule of law émanant des systèmes juridiques de la common law, d’autre part, diffèrent à bien des égards. Penser que les langues (du droit) sont tout simplement interchangeables relève du mythe de l’équivalence linguistique, comme le démontre habilement Jacqueline Mowbray. En conséquence, l’utilisation d’une langue peut ouvrir à son utilisateur non seulement un champ lexical, mais aussi et surtout un champ conceptuel et intellectuel, qui peut même revêtir d’une dimension juridico-politique.

Pour des raisons historiques, le français occupe une place particulière dans le droit international et dans le droit de l’Union européenne (UE). Jusqu’à nos jours, cela se traduit par le fait que le français est l’une ou, dans certains cas, la seule langue de travail au sein d’importantes institutions juridiques internationales (en ordre alphabétique : CEDH, CIJ, CJUE, CPI, TPIR, TPIY). La dimension linguistique du procès judiciaire soulève, par ailleurs, aussi des questions de justice linguistique. Le français est également la langue de travail d’un bon nombre d’institutions internationales, y compris le Secrétariat des Nations unies, ainsi que d’enceintes académiques, telles que l’Institut de Droit International. Bien que certains puissent considérer ce privilège linguistique comme désuet, il n’en demeure pas moins qu’il perdure et qu’il imprègne le droit international et le droit de l’UE. En effet, la langue de travail est étroitement liée à la langue de raisonnement, ce qui signifie que le raisonnement se déroule dans un cadre juridique donné (le cas échéant francophone, voire très souvent français). Et sans faire l’éloge du droit français, il est indéniable qu’il a laissé, notamment à travers le Code napoléonien, des traces significatives dans nombre d’autres systèmes juridiques en Europe et au-delà. Ainsi, savoir parler, lire et écrire le français reste pour plusieurs raisons un atout pour tout « internationaliste », « européaniste » ou « (publiciste) comparatiste ».

Le déclin du (droit) français à l’institut de Heidelberg

Dans les années 1950 et 1960, le français était encore l’une des principales langues étrangères parlées à l’institut. Deux brochures en témoignent, présentant l’institut et son travail

Malgré cette importance (relative) de la langue française pour la pratique du droit international et européen, le français tout comme le droit francophone sont rares à l’institut Max Planck de droit international public (MPIL) à Heidelberg. Pour arriver à cette conclusion, j’ai plongé – avec l’aide de ma courageuse assistante (étudiante) – dans les très riches archives de l’institut qui couvrent les 100 dernières années. Nous avons notamment étudié les protocoles de la réunion du lundi (Referentenbesprechung), cherché dans les registres des revues et des bibliothèques les publications des chercheurs de l’institut parues en français ou sur le droit francophone, déchiffré l’écriture de Victor Bruns dans sa correspondance francophone avec ses pairs, décortiqué les agrafes des papiers d’avis juridiques, recueilli les témoignages des (anciens) chercheuses et chercheurs de l’institut, et tourné de nombreuses pages de divers rapports d’activité. Cette exploration des archives n’est pas exhaustive (et sans doute pas exempte d’erreurs statistiques), mais elle apporte des éclairages tout à fait intéressants.

Bon vieux temps ? Hermann Mosler et Suzanne Bastid, première femme professeure de droit en France, lors de la conférence « Judicial Settlement » à Heidelberg en 1972 [2]

Hormis quelques conférences liant des membres de l’institut à des collègues et institutions universitaires francophones, les points de contacts avec la communauté juridique francophone restent sporadiques, même si le cadre institutionnel y est, tel que le partenariat académique franco-allemand HeiParisMax, mis en place en 2015. Bien plus nombreux sont, en effet, les échanges et collaborations scientifiques avec des chercheurs et institutions hispanophones, italophones et bien sûr anglophones.

Il est également à noter que très peu de personnes francophones viennent poursuivre ou approfondir leurs recherches à l’institut, ce qui explique aussi la faible activité du Forum francophone avec en moyenne une à deux présentations par an : les statistiques officieuses de notre « international officer » Mme Stadler montrent qu’en moyenne annuelle, seul·e·s quatre scientifiques, dont la langue de travail est le français, fréquentent la salle de lecture de l’institut ou œuvrent au MPIL en tant que scientifique invité·e, ce qui est cinq fois moins que dans les années 1990s selon les Tätigkeitsberichte (rapports d’activité) de l’époque. Cela contraste aussi significativement avec plusieurs dizaines de chercheurs hispanophones et des centaines d’anglophones aujourd’hui. Il convient toutefois de noter que, par le passé, deux membres francophones ont fait partie du comité scientifique consultatif (Fachbeirat), à savoir Pierre Pescatore, juge à la CJCE, dans les années 1970, et Evelyne Lagrange, professeur à la Sorbonne, dans les années 2010. (Cette dernière est encore aujourd’hui un membre scientifique externe de l’institut.)

De même, la France et son ordre juridique tout comme les ordres juridiques francophones sont (devenus) plutôt rares en tant qu’objets d’études à l’institut de Heidelberg. En témoigne la faible fréquence des présentations sur l’actualité juridique francophone dans le cadre de la Montagsrunde (autrefois appelée Referentenbesprechung), qui se limitent actuellement à une ou deux interventions annuelles au maximum (voir table 1 ci-dessous). Cela signifie que l’actualité juridique dans des ordres juridiques francophones, y compris la France, la Belgique, une partie la Suisse ainsi que toute l’Afrique francophone (couvrant le Maghreb et une bonne partie de l’Afrique subsaharienne), ne trouvent pratiquement aucun écho dans l’institut – alors qu’il y aurait suffisamment de sujets à traiter. Mais les coups d’Etats qui s’enchainent dans la région du Sahel restent, par exemple, relativement inaperçus (ou en tout cas sans suivi académique) à l’institut.

Année Nombre de présentation concernant des questions de droit français
2023 2 (portant sur des affaires devant la CEDH contre la France)
2022 0
2021 1 (portant sur une affaire devant la CIJ impliquant la France)
2020 2
2019 2 (dont 1 portant sur une affaire devant la CJUE contre la France)
2018 2 (dont 1 portant sur une affaire devant la CIJ impliquant la France)
2017 1
2016 2
2015 1
2014 1 (portant sur une affaire devant la CEDH contre la France)
2013 2
2012 1
2011 0
2010 2
2009 1 (portant sur une affaire devant la CEDH contre la France)
2008 5 (dont 1 portant sur une affaire devant la CIJ contre la France et 1 portant sur une affaire devant la CEDH contre la France)
2007 6 (dont 1 portant sur une affaire devant la CEDH contre la France)
2006 7
2005 5 (dont 1 portant sur une affaire devant la CEDH contre la France et 1 portant sur une affaire devant la CJUE contre la France)
2004 2
2003 3 (dont 1 portant sur une affaire devant la CIJ contre la France)

Table 1. Présentations délivrées durant la Referentenbesprechung sur des sujets de droit français (au sens large)

Une exception à l’invisibilité du droit français et de l’actualité juridique francophones réside dans les contributions de collègues francophones à des ouvrages collectifs à vocation comparative, notamment dans le cadre du projet Ius Publicum Europeum. Cependant, ces publications sont rédigées en allemand ou en anglais. En revanche, les publications en langue française sont (désormais) également très rares. Si l’on consulte la liste des publications d’il y a vingt ou trente ans, la situation était encore différente. L’institut publia, par exemple, à des intervalles réguliers des recueils trilingues (allemand, français, anglais) dans la Schwarze Reihe jusqu’à la fin des années 1980. En effet, entre 2002 et 2021, la Schwarze Reihe ne comptait aucune publication en langue française. Aujourd’hui, en moyenne une publication et demie en langue française (tous types de publications – article, chapitre, blog – confondus) par an est publiée par l’un·e des 50 scientifiques de l’institut. Depuis 2000, un seul article en langue française a été publié dans la Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) sur une question de droit mauritanien. La situation est plus favorable pour la Revue d’histoire du droit international/ Journal of the History of International Law, dont les dernières contributions en français datent de 2020. Des articles en langue allemande (ou anglaise) traitant du droit français, voire francophone parus dans ces deux revues se comptent sur les doigts de deux mains. Il y a toutefois eu quelques recensions de monographies et d’ouvrages collectifs publiés en langue française. Tout bien considéré, le français est donc aujourd’hui loin d’être une langue de recherche, et encore moins une langue de travail (même tertiaire, après l’allemand et l’anglais) à l’institut heidelbergeois.

Analyse des pratiques et compétences linguistiques

Télégramme du président de la Cour d’arbitrage germano-polonaise Paul Lachenal à l’arbitre allemand Viktor Bruns. La correspondance et le travail de la cour se faisaient exclusivement en français

Cette réalité linguistique contraste sensiblement avec la situation antérieure. Dans l’entre-deux-guerres, par exemple, le directeur Viktor Bruns traitait exclusivement en français les cas liés au Tribunal arbitral mixte germano-polonais résultant des dispositions du Traité de paix de Versailles, dont il faisait partie. Puis, directeurs Hermann Mosler – en tant que juge à la CEDH (1959-80) et à la CIJ (1976-85) – et Jochen Frowein – en tant que membre de la Commission européenne des droits de l’Homme à Strasbourg (1973-93) – ont mené une grande partie de leurs activités (para-) judiciaires en français.

Il faut également mentionner que les chercheurs de l’institut ont habituellement rédigé des rapports et avis ayant un lien avec le droit français. En exceptant tous les avis sur la Communauté européenne du charbon de de l’acier (CECA) et sur la poursuite de l’intégration européenne, sur des sujets concernant le droit de la guerre, sur le Conseil de l’Europe qui avaient (également) un lien avec la France ainsi que tous les avis de droit comparatif, on peut trouver, de 1949 à 1998, 13 avis portant exclusivement sur des questions de droit français, dont les deux tiers ayant été rédigés dans les années 1950 (voir table 2 ci-dessous). Mais ces activités d’expertise semblent avoir pris fin depuis 1998, date à laquelle le dernier avis, rédigé par Jochen Frowein et Matthias Hartwig sur la situation juridique des biens culturels saisis ou expropriés par la France, fut produit.

Année Intitulé [avec traduction en français] Auteur·e·s
1998 Rechtslage der von Frankreich beschlagnahmten bzw. enteigneten Kulturgüter [Situation juridique des biens culturels saisis ou expropriés par la France] Jochen A. Frowein and Matthias Hartwig
1997 Vereinbarkeit des Gesetzes über die Rechtsstellung der Banque de France mit dem EG-Vertrag [Compatibilité de la loi sur le statut de la Banque de France avec le traité CE] Jochen A. Frowein, Peter Rädler, Georg Ress and Rüdiger Wolfrum
1981 Rücknahme und Widerruf von begünstigenden Verwaltungsakten in Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden [Retrait et révocation d’actes administratifs favorables en France, au Royaume-Uni, en Italie et aux Pays-Bas] Karin Oellers-Frahm, Rudolf Dolzer, Rolf Kühner, Hans-Heinrich Lindemann and Werner Meng
1962 Entschädigungssache des Herrn Jaques Sztern, Paris/ Land Nordrhein-Westfalen [Affaire d’indemnisation de M. Jaques Sztern, Paris/ Land de Rhénanie du Nord-Westphalie] Fritz Münch
1957 Communauté de Navigation Française Rhénane – Land Rheinland-Pfalz betr. Staatshaftung [Communauté de Navigation Française Rhénane – Land de Rhénanie-Palatinat concernant la responsabilité de l’Etat] Günther Jaenicke
1956 Welches Erbrecht ist beim Tode eines aus rassischen Gründen emigrierten früheren deutschen Staatsangehörigen, der in Frankreich lebte und in Auschwitz ums Leben kam, von dem deutschen Nachlaßgericht für die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Erbscheines anzuwenden? [En cas de décès d’un ancien ressortissant allemand émigré pour des raisons raciales, qui vivait en France et qui est mort à Auschwitz, quel droit successoral doit être appliqué par le tribunal successoral allemand pour la délivrance d’un certificat d’héritier limité à l’objet de la succession ?] Günther Jaenicke
1956 Der Rentenanspruch des unehelichen Kindes eines in französischen Diensten gefallenen deutschen Fremdenlegionärs gegen den französischen Staat [Le droit à pension de l’enfant illégitime d’un légionnaire allemand mort au service de la France contre l’Etat français] Günther Jaenicke
1955 Zulässigkeit des Elsässischen Rheinseitenkanals [Licéité du Canal latéral du Rhin en Alsace] Günther Jaenicke
1954 Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Stellung des Saargebietes [Le statut de la Sarre en droit international et en droit public] Carl Bilfinger, Günther Jaenicke and Karl Doehring
1953 Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Lage des Saargebietes [Le statut de la Sarre en droit international et en droit public] Günther Jaenicke and Karl Doehring
1952 Die Stellung des Saargebietes als assoziiertes Mitglied des Europarates [La position de la Sarre en tant que membre associé du Conseil de l’Europe] Günther Jaenicke
1951 Bürger und Wehrmacht in Frankreich [Les citoyens et la Wehrmacht en France] Hans Ballreich
1951 Die rechtliche Stellung der politischen Parteien in Frankreich [Le statut juridique des partis politiques en France] Günther Jaenicke

Table 2. Avis portant sur des questions de droit français rédigés par des chercheurs et chercheuses du MPIL

Comment expliquer alors cette faible intensité, voire ce manque d’intérêt pour la langue française à l’institut de Heidelberg ou même pour le droit francophone de nos jours ? La raison pour cette évolution est sans aucun doute multifactorielle. Une première explication, qui semble la plus logique, pourrait résider dans la baisse des compétences linguistiques parmi les chercheurs et chercheuses de l’institut. En fait, de nombreux membres de l’institut étaient francophones (et souvent aussi francophiles) dans l’entre-deux-guerres tout comme après la seconde guerre mondiale. Ceci est vrai pour les scientifiques, mais également pour leurs secrétaires polyglottes. Quelle est la situation aujourd’hui ? L’hypothèse d’une diminution des compétences linguistiques ne tient pas la route : si l’on fait l’inventaire linguistique du personnel scientifique de l’institut, on s’aperçoit que plus de la majorité des chercheurs employés par l’institut ont effectué une période de leurs études en France (ou dans la partie francophone de la Suisse ou du Canada) et ont parfois même obtenu un diplôme d’une université francophone. Ils sont donc tout à fait disposés à suivre les évolutions juridiques dans l’espace francophone. Le recul de l’utilisation du français à l’institut ne peut donc guère s’expliquer par une moindre compétence linguistique. Par ailleurs, les directeurs actuels – Anne Peters et Armin von Bogdandy – ont, eux aussi, une maitrise distinguée de la langue française dont ils font preuve régulièrement lors d’événements francophones.

L’hégémonie anglophone

La langue française perdure dans le système de classement de la bibliothèque, introduit en 1924. Les cotes des pays pour les revues spécialisées sont toujours françaises : les revues américaines se trouvent sous EU (États Unis)

Une autre hypothèse pourrait être que l’usage modéré du français et l’étude limitée du droit francophone à l’institut ne font que refléter le contexte politico-juridique plus large, et donc l’importance décroissante du français dans la pratique juridique internationale. Le français joue un rôle particulier en droit international parce que – pour simplifier – la France était une grande puissance (coloniale) lors de la création de l’ordre juridique international. Par conséquent, une grande partie de la diplomatie internationale se déroulait autrefois en français et les instruments juridiques internationaux étaient également rédigés en français. En témoigne, par ailleurs, les recueils de traités et de jurisprudence publiés, voire édités par des membres de l’institut. On peut citer ici le Nouveau recueil général de traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international (Recueil Martens) (publié par l’institut de 1925 à 1969) ou encore le Fontes iuris gentium (publié par l’institut de 1931 à 1990), ce dernier étant passé entièrement en anglais en 1986 (sous le nom de World Court Digest).

Bien que la France conserve un siège permanent au Conseil de sécurité des Nations unies et qu’elle reste un pilier du projet européen, elle n’occupe plus depuis quelque temps le rang de grande puissance. Cela se répercute évidemment sur l’usage de la langue française, en recul, pour ne pas dire en chute libre, au profit de l’anglais, devenu depuis la seconde guerre mondiale la lingua franca des relations internationales. Pour l’anecdote, le traité d’Aix-la-Chapelle – signé par la France et l’Allemagne en 2019 – a d’abord été élaboré et négocié en anglais par les diplomates des deux pays, avant d’être traduit en français et en allemand. Le monde diplomatique évolue et, avec lui, les habitudes linguistiques.

Cela nous amène à un troisième facteur qui peut nous aider à comprendre le recul de la langue française à l’institut de Heidelberg : l’anglophonisation du monde de la recherche, y compris dans le domaine du droit. Pour les internationalistes, européanistes ou encore les publicistes comparatistes, l’anglais est aujourd’hui la première langue d’interaction et surtout la langue de publication dominante, voire écrasante. Il suffit de regarder la liste de revues académiques les plus citées en droit international qui sont toutes, sans exception, anglophones. Malgré le fait que nous puissions aujourd’hui, grâce aux outils numériques, consulter beaucoup plus facilement des sources en plusieurs langues et traduire les écrits de nos collègues, nous constatons depuis une vingtaine d’années que les universitaires se réfèrent principalement et de plus en plus à des sources anglophones. Cela vaut en droit international, comme l’avait déjà en 1988 déploré Allain Pellet dans une lettre aux éditeurs de l’American Journal of International Law (AJIL), ou en droit européen comme le montre l’analyse éclairante de Daniel Thym de 2016. Ce biais linguistique pour l’anglais est, par ailleurs, tout particulièrement prononcé chez les auteurs américains qui, dans les mots de Christian Tomuschat (reproduits ici en français), « restent délibérément dans la cage de la littérature anglophone sans jamais regarder au-delà de leurs propres sources ». Même si les outils tels que DeepL ou ChatGTP nous permettraient d’aborder plus facilement des sources en langue étrangère, leur utilisation peut compléter une expertise linguistique de base, mais ne la remplace pas. En outre, les outils numériques favorisent souvent l’anglais en raison des algorithmes qui les alimentent – mais c’est encore un autre débat.

Le français a donc été remplacé non seulement comme langue de la diplomatie internationale et donc de la pratique du droit international, mais aussi comme langue de la recherche en droit international (et européen). Un changement particulièrement radical et significatif à cet égard fut l’abolition du français comme langue de publication du European Journal of International Law en 1998, lorsque la revue est passée sous la gestion de la maison d’édition britannique Oxford University Press, seulement dix ans après son lancement comme journal bilingue (français/ anglais) par des académiques polyglottes.

En tout état de cause, la situation à l’institut Max Planck heidelbergeois n’est donc pas une exception, mais s’inscrit dans une certaine évolution linguistique. Autrement dit, nous pouvons constater que la mondialisation et la diversification du monde de la recherche affaiblit le français. Suivant cette logique, la question est plutôt de savoir si les derniers bastions de la langue françaises – notamment l’Institut de Droit International – vont pouvoir imposer leur politique linguistique francophone dans la durée, surtout si l’on tient compte du fait que certaines discussions s’y tiennent déjà en langue anglaise, comme me l’a confié Anne Peters, membre de cette institution depuis 2021.

Facteurs aggravants : obstacles académiques et politiques

Chercheurs allemands et français côte à côte. Karl-Josef Partsch (à gauche) et Jean-Maurice Verdier (à droite) en 1978 lors du colloque “Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers”[3]

Les caractéristiques particulières du milieu universitaire français du droit (international), marqué par un formalisme très prononcé et une méthode bien distincte (mentionnons ici seulement le plan en deux parties/ deux sous-parties), ne rendent pas nécessairement la recherche juridique émanent de la tradition française facilement accessible. Pourtant, comme l’a démontré avec grande finesse analytique Andrea Hamann, la tradition française du droit international (et, dans une certaine mesure aussi du droit européen) fait preuve d’un pragmatisme. Ce pragmatisme inspirant, voire rafraîchissant pour certains, pourrait s’avérer bénéfique à notre époque, marquée par un sens croissant de la realpolitik et la nécessite de trouver des solutions aux nombreux problèmes qui se posent.

Enfin, on peut y ajouter que le déclin du français à l’institut de Heidelberg suit une tendance politique plus large. Les relations franco-allemandes traversent une période difficile (prolongée). Comme l’ont relaté plusieurs médias français, le vice-chancelier Robert Habeck a déclaré en Septembre 2023 lors de la conférence annuelle des ambassadeurs allemands : « Nous [les Allemands et les Français] ne sommes d’accord sur rien. » Sauf, semble-t-il, en ce qui concerne une certaine distance linguistique. Le gouvernement allemand a décidé de fermer plusieurs instituts Goethe en France, malgré les dispositions du traité d’Aix-la-Chapelle de 2019, dans lesquelles les deux pays s’engagent à entretenir et renforcer l’apprentissage de la langue de l’autre. Malgré le nombre impressionnant d’étudiants ayant suivis un cursus académique binational proposé par l’Université franco-allemande (UFA) – pour la seule année 2022, plus de 1400 étudiants ont suivi les cursus franco-allemands de l’UFA dans le domaine du droit – , grâce à des programmes d’échanges comme Erasmus ou des arrangements de cotutelle, il semble y avoir (à haut niveau politique) un repli (linguistique) qui n’est pas sans conséquence pour le monde de la recherche.

Défense du français dans un contexte (académique) multilingue

Pour conclure, il ne s’agit nullement dans cette contribution de faire preuve de nostalgie, c’est-à-dire de défendre un retour à l’époque où le français était la langue de la diplomatie internationale et du droit international, ni de militer pour un duopole franco-anglais dans les relations internationales démodé. Par ces quelques lignes, je souhaite attirer l’attention des lecteurs sur la question de la diversité linguistique dans le travail universitaire, qui permet également une certaine diversité intellectuelle et conceptuelle. La prédominance de l’anglais dans les études et la pratique du droit international et européen a certes des avantages, car elle facilite (a priori) les échanges et l’accès au savoir. Mais elle a aussi des inconvénients : elle donne l’illusion d’un monde beaucoup plus unifié et inclusif qu’il ne l’est en réalité.

La dominance de l’anglais comme langue scientifique vient, en effet, avec d’importants biais analytiques, conceptuels et autres, comme l’explique Odile Ammann si aisément (dans un texte rédigé en anglais). Si nous voulons éviter un appauvrissement du débat juridique (académique) et, en revanche, maintenir une certaine richesse dans la pensée et la pratique juridiques, il est important de cultiver également une certaine diversité linguistique – sur un plan individuel et institutionnel. Compte tenu de son importance historique et actuelle – le français est la cinquième langue la plus parlée au monde après l’anglais, le mandarin, l’hindi et l’espagnol – il semble opportun que le français fasse partie de cette diversité. Pour moi en tout cas, ma patrie est le multilinguisme et le français en est incontestablement un élément important.

***

A comprehensive version of this article will be published in RuZ – Recht und Zugang

[1] L’auteure remercie chaleureusement Rocío Bargon Sánchez et surtout Chiara Miskowiec pour l’excellent soutien de recherche qu’elles lui ont apporté lors de la rédaction de cet article. Un grand merci également à Anne-Marie Thévenot-Werner pour ses commentaires très constructifs sur une version antérieure de ce texte.

[2] Photo : MPIL.

[3] Photo : MPIL.

Suggested Citation:

Carolyn Moser, Ma patrie, c’est le multilinguisme. Une réflexion sur l’utilisation du français dans l’étude et la pratique du droit (à l’institut Max Planck de droit international public de Heidelberg et au-delà), MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240405-094941-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED
English

A Reflection on the Use of French in the Study and Practice of Law at the Max Planck Institute for International Law in Heidelberg and Beyond

Language is the cornerstone of all legal thought and practice.[1] In fact, it is the most important tool of lawyers, enabling them to develop ideas, present arguments and, more generally, to (re-) shape the legal framework. In other words, a lawyer’s competence is also measured by his or her command of the language. The importance of this linguistic proficiency lies in the ambiguity of (international) legal rules, as Guy de Lacharrière, former French judge at the ICJ, reminds us in his classic work “La politique juridique extérieure”, published in 1983.

Language – (far) more than another tool in the box

However, it would be simplistic to think of language as a mere tool. It is much more than that. Language impregnates our identity and provides a socio-cultural frame of reference that goes beyond its nominative nature. As Albert Camus said: “I have a homeland: the French language.”[2] Language is therefore an important vector of identity and culture, including in the legal context. Given this characteristic of identity and culture, the choice of one language over another has a significant impact on legal thought and practice.

When reading the same judgment in French and English, for instance, one quickly realises that the respective texts not only diverge linguistically, but also convey a different legal culture, sometimes even a different conception of law. Consider, for example, the Les Verts judgment of the Court of Justice of the European Communities (ECJ) of 1986. The French version of the decision refers to a “communauté de droit” (lit. legal community) (later transformed into a “Union de droit” (lit. legal union)), while the English version refers to a “Community [Union] based on the rule of law. We all know that the Etat de droit concept (adapted by the Court to suit the European polity, i.e. the community and then the Union), which is dear to civil law systems, on the one hand, and the concept of the rule of law used by common law systems, on the other hand, differ in many respects. To think that languages (of law) are simply interchangeable means to fall back on the myth of linguistic equivalence, as Jacqueline Mowbray skilfully demonstrates. Consequently, the use of a particular language can open up to its user not only a lexical field, but also and above all a conceptual and intellectual dimension, which may even have a legal-political dimension.

For historical reasons, French enjoys a privileged status in international and European Union (EU) law. Today, this is reflected in the use of the French language as one or, in some cases, the only working language in major international judicial institutions (in alphabetical order: CJEU, ECHR, ICC, ICJ, ICTR, ICTY). The linguistic dimension of legal proceedings also raises questions of linguistic justice. What is more, French is the working language of many international institutions, including the United Nations Secretariat, as well as academic entities such as the Institut de droit international (Institute of International Law). While some may consider this linguistic privilege to be obsolete, the fact remains that it persists and permeates international and EU law. Indeed, the working language is closely linked to the language of reasoning, which means that reasoning takes place within a given legal framework (in this case, French). And without any aspiration to glorify French law, it is undeniable that it has left significant traces in many other legal systems in Europe and beyond, notably through the Napoleonic Code. It is therefore an asset for any “internationalist”, “Europeanist” or “comparatist” to be able to speak, read and write French for many reasons.

The decline of French (law) at the Heidelberg Institute

In the 1950s and 1960s, French was still one of the main foreign languages spoken at the institute. Two brochures presenting the institute and its work bear witness to this.

Despite this (relative) importance of the French language for the practice of international and European law, French and the study of francophone legal systems are scarce at the Max Planck Institute for International Law (MPIL) in Heidelberg.

To arrive at this conclusion, I plunged – with the support of my brave (student) assistant – into the Institute’s very extensive archives covering the last 100 years. We studied inter alia the protocols of the Monday Meeting (Referentenbesprechung), searched journal and library registers for publications by Institute researchers in French or on French-speaking law, deciphered the handwriting of Victor Bruns in his French-language correspondence with his peers, unpacked staples of legal opinions, collected testimonials from (former) Institute researchers, and turned over numerous pages of various activity reports. This exploration of the archives is by no means exhaustive (and doubtless not free from statistical error), but it does provide some interesting insights.

Good old days? Hermann Mosler and Suzanne Bastid, the first female law professor in France, at the “Judicial Settlement” conference in Heidelberg in 1972.[3]

Apart from a few conferences linking members of the Institute to francophone scholars, the points of contact with the francophone legal community remain sporadic, even if the institutional framework is there, such as the Franco-German academic partnership HeiParisMax, set up in 2015. Much more frequent are, indeed, scholarly exchanges and collaborations with Spanish-, Italian- and of course English-speaking researchers and institutions.

It should also be noted that very few French-speaking scholars come to pursue or deepen their research at the Institute, which also explains the low activity of the Francophone Forum with an average of one or two presentations per year: the unofficial statistics of the Institute’s international officer Mrs Stadler show that, on an annual average, only four researchers, whose working language is French, use the reading room of the Institute or work at the MPIL as guests, which is five times fewer than in the 1990s, according to the activity reports (Tätigkeitsberichte) of that time. This also contrasts significantly with the dozens of Spanish-speaking and hundreds of English-speaking scholars pursuing their research at the Institute these days. It should be borne in mind, however, that in the past, two French-speaking members have been part of the Scientific Advisory Board (Fachbeirat): Pierre Pescatore, Judge at the CJEC, in the 1970s, and Evelyne Lagrange, Professor at the Sorbonne university, in the 2010s. (The latter is still an external scientific member of the Institute today.)

Likewise, France and its legal order, as well as francophone legal systems, have (become) rather rare as objects of study at the Heidelberg Institute. This is evidenced by the low frequency of presentations on French legal news within the framework of the Monday Meeting (Montagsrunde, formerly called Referentenbesprechung), which are currently limited to a maximum of one or two annual presentations (see table 1 below). This means that the legal developments in francophone legal systems, including France, Belgium, parts of Switzerland and Canada as well as importantly French-speaking Africa (covering the Maghreb and big parts of sub-Saharan Africa), have virtually no resonance in the Institute, even though there are enough topics to cover. Hence, the successive coups d’Etat in the Sahel region, for example, go largely unnoticed (or at least without academic follow-up) at the Institute.

Year Number of presentations on matters of French law
2023 2 (cases before the ECHR against France)
2022 0
2021 1 (case before the ICJ involving France)
2020 2
2019 2 (including 1 case before the CJEU against France)
2018 2 (including 1 case before the ICJ involving France)
2017 1
2016 2
2015 1
2014 1 (case before the CJEU against France)
2013 2
2012 1
2011 0
2010 2
2009 1 (case before the CJEU against France)
2008 5 (including 1 case before the ICJ against France and 1 case before the ECHR against France)
2007 6 (including 1 case before the CJEU against France)
2006 7
2005 5 (including 1 case before the ECHR against France and 1 case before the CJEU against France)
2004 2
2003 3 (including 1 case before the CJEU against France)

Table 1. Presentations delivered during the Monday Meeting on subjects of French law (in the broadest sense)

An exception to the invisibility of French and francophone law and current legal events is the contribution of French-speaking colleagues to comparative collective works, particularly in the context of the Ius Publicum Europeum project. However, these publications are written in either English or German. On the other hand, it has become very rare for MPIL researchers to publish in French (nowadays). The situation was different twenty or thirty years ago. Until the late 1980s, for example, the Institute regularly published trilingual collections (German, French, English) in the Schwarze Reihe. In fact, between 2002 and 2021, the Schwarze Reihe had no publications in French. Today, on average, 1.5 publications (all types of output – article, chapter, blog – taken together) is published in French per year by one of the Institute’s roughly 50 researchers. Since 2000, only one French-language article has been published in the Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) on a question of Mauritanian law. The picture is brighter for the Journal of the History of International Law/ Revue d’histoire du droit international, where the latest contributions in French date back to 2020. Articles in German (or English) on French or francophone law published in these two journals can be counted on the fingers of two (small) hands. There have been a few reviews of monographs and collective works published in French, though. All things considered, French is far from being a research language at the Institute, let alone a working language (even at the tertiary level, after German and English).

Analysis of language practices and skills

Telegram from Paul Lachenal, President of the German-Polish Court of Arbitration, to German arbitrator Viktor Bruns. The court’s correspondence and work were conducted exclusively in French.

This linguistic reality contrasts sharply with the situation in the past. In the inter-war period, for example, Director Viktor Bruns dealt exclusively in French with cases related to the German-Polish Mixed Arbitral Tribunal, which was established under the provisions of the Versailles Peace Treaty and of which he was a member. What is more, Directors Hermann Mosler – as a judge at the ECHR (1959-80) and the ICJ (1976-85) – and Jochen Frowein – as a member of the European Commission of Human Rights in Strasbourg (1973-93) – carried out a large part of their (para-) judicial work in French.

It should also be noted that the Institute’s researchers have generally written reports and opinions on French law. Leaving aside all the opinions on the European Coal and Steel Community (ECSC) and on the pursuit of European integration, on matters concerning the law of war, on the Council of Europe which (also) had a link with France, and all opinions of comparative law, there are 13 opinions from 1949 to 1998 which deal exclusively with questions of French law, two thirds of which were drafted in the 1950s (see table 2 below). However, those expert reports seem to have been discontinued since 1998, when Jochen Frowein and Matthias Hartwig produced their report on the legal situation of the cultural goods seized or expropriated by France.

Year Title [with English translation] Authors
1998 Rechtslage der von Frankreich beschlagnahmten bzw. enteigneten Kulturgüter [Legal situation of cultural goods seized or expropriated by France] Jochen A. Frowein and Matthias Hartwig
1997 Vereinbarkeit des Gesetzes über die Rechtsstellung der Banque de France mit dem EG-Vertrag [Compatibility of the Law on the Statute of the Banque de France with the EC Treaty] Jochen A. Frowein, Peter Rädler, Georg Ress and Rüdiger Wolfrum
1981 Rücknahme und Widerruf von begünstigenden Verwaltungsakten in Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden [Withdrawal and revocation of favourable administrative acts in France, Great Britain, Italy and the Netherlands] Karin Oellers-Frahm, Rudolf Dolzer, Rolf Kühner, Hans-Heinrich Lindemann and Werner Meng
1962 Entschädigungssache des Herrn Jaques Sztern, Paris / Land Nordrhein-Westfalen [Claim for compensation from Mr Jaques Sztern, Paris / Land of North Rhine-Westphalia] Fritz Münch
1957 Communauté de Navigation Française Rhénane – Land Rheinland-Pfalz betr. Staatshaftung [Communauté de Navigation Française Rhénane Land of Rhineland-Palatinate with regard to State liability]. Günther Jaenicke
1956 Welches Erbrecht ist beim Tode eines aus rassischen Gründen emigrierten früheren deutschen Staatsangehörigen, der in Frankreich lebte und in Auschwitz ums Leben kam, von dem deutschen Nachlaßgericht für die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Erbscheines anzuwenden? [What law of succession applies to the death of a former German national who emigrated for racial reasons, who lived in France and died in Auschwitz, for the purpose of issuing a certificate of inheritance?] Günther Jaenicke
1956 Der Rentenanspruch des unehelichen Kindes eines in französischen Diensten gefallenen deutschen Fremdenlegionärs gegen den französischen Staat [The pension entitlement of the illegitimate child of a German legionnaire who died in the service of France against the French state] Günther Jaenicke
1955 Zulässigkeit des Elsässischen Rheinseitenkanals [Lawfulness of the Lateral Rhine Canal in Alsace] Günther Jaenicke
1954 Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Stellung des Saargebietes [Saarland’s status in international and public law] Carl Bilfinger, Günther Jaenicke and Karl Doehring
1953 Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Stellung des Saargebietes [Saarland’s status in international and public law] Günther Jaenicke and Karl Doehring
1952 Die Stellung des Saargebietes als assoziiertes Mitglied des Europarates [Saarland’s position as an associate member of the Council of Europe] Günther Jaenicke
1951 Bürger und Wehrmacht in Frankreich [Citizens and the Wehrmacht in France] Hans Ballreich
1951 Die rechtliche Stellung der politischen Parteien in Frankreich [The legal status of political parties in France] Günther Jaenicke

Table 2. Opinions on questions of French law drafted by researchers of the institute

How then can we explain this lack of interest in the French language at the Heidelberg Institute, or even in francophone law today? The reason for this development is undoubtedly multifactorial. The most logical explanation would be the decline in the language skills of the Institute’s researchers. As a matter of fact, many staff members of the Institute were francophone (or even francophile) in its founding period and after the Second World War. This applied to the researchers, but also to their multilingual secretaries. So, where do we stand today? The hypothesis of a decline in language skills does not hold water: a linguistic inventory of the Institute’s scientific staff shows that the vast majority of researchers employed by the Institute have completed a period of their studies in France (or the francophone part of Switzerland or Canada), and sometimes even hold a degree from a French-speaking university. They are therefore perfectly qualified to follow legal developments in the French-speaking world. The decline in the use of French at the Institute can thus hardly be explained by a lack of language skills. Moreover, the current directors – Anne Peters and Armin von Bogdandy – also have an excellent command of French, which they regularly use at French-speaking events.

The Anglophone hegemony

The French language is still used in the library’s classification system, introduced in 1924. The country codes for journals are still French: American journals are listed under EU (États Unis).

Another hypothesis might be that the moderate use of French and the limited study of francophone law at the Institute simply reflect the broader political and legal context and, therefore, the declining importance of French in international legal practice. French plays a prominent role in international law because, to put it simply, France was a major (colonial) power at the time when the current international legal system took shape. As a result, until the 20th century, international diplomacy used to be conducted in French, and many international legal instruments were drafted in French. This is evidenced by the collections of treaties and jurisprudence published or edited by staff members of the Institute. Among these are the Nouveau recueil général de traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international (Recueil Martens) (published by the Institute between 1925 and 1969) and the Fontes iuris gentium (published by the Institute between 1931 and 1990), which switched entirely into English in 1986 (under the name World Court Digest).

Although France retains a permanent seat on the United Nations Security Council and remains a pillar of the European project, it has for quite some time now ceased to be a great power. This has had an undeniable impact on the use of the French language, which is in decline, not to say collapse, in favour of English, which has become the lingua franca of international relations since the Second World War. For instance, the Treaty of Aachen – signed by France and Germany in 2019 – was first written and negotiated in English by diplomats of both countries, and then translated into French and German. The world of diplomacy is changing, and so are language habits and preferences.

This brings us to a third factor that may help to explain the decline of French at the MPIL in Heidelberg: the Anglophonisation of the research world, including in the field of law. For internationalists, Europeanists or comparative public/ constitutional lawyers, English is now the first language of interaction and, above all, the prevailing, if not predominant, language of publication. Just take a look at the list of the most cited academic journals in the field of international law, all of which are published in English. Despite the fact that, thanks to digital tools, we can now much more easily consult sources in several languages and translate the writings of our colleagues, we have noticed over the last twenty years that academics are mainly and increasingly referring to English-language sources. This applies to international law, as Allain Pellet had already deplored in 1988 in a letter to the editors of the American Journal of International Law (AJIL), as well as to European law as Daniel Thym’s insightful analysis of 2016 shows. This linguistic bias towards English is, moreover, particularly pronounced among American authors who, in the words of Christian Tomuschat, “remain deliberately within the cage of the Anglophone literature without ever looking beyond their own home-grown source.” Although tools such as DeepL or ChatGTP allow us to approach foreign-language sources more easily, their use can complement basic linguistic expertise, but it cannot replace it. Moreover, digital tools often favour English because of the algorithms they employ – but that’s yet another debate.

French has thus been replaced not only as the language of international diplomacy and therefore of the practice of international law, but also as a research language in international (and European) law. A particularly radical and significant change in this respect was the disappearance of French as the language of publication of the European Journal of International Law in 1998, when the journal came under the management of the British publisher Oxford University Press, only ten years after its launch as a bilingual (French/ English) journal by polyglot academics.

In any case, the situation at the Heidelberg Institute is not an exception, but part of a general linguistic trend. In other words, we are witnessing the decline of French as a result of the globalisation and diversification of the research world. Following this logic, the question is whether the last bastions of French – in particular the Institut de droit international – will be able to impose its francophone language policy over time, especially given that some discussions at said Institut are already held in English, as Anne Peters, a member of this institution since 2021, told me.

Aggravating factors: academic and political barriers

German and French researchers side by side. Karl-Josef Partsch (left) and Jean-Maurice Verdier (right) in 1978 at the colloquium “Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers”[4]

The peculiarities of the French academic landscape in (international) law, characterised by a pronounced formalism and very specific methods (just to mention the “deux parties / deux sous-parties” outline), do not necessarily make legal research emanating from the French tradition easily accessible. Yet, as Andrea Hamann has shown with great analytical finesse, the French tradition of international law (and to some extent European law) is pragmatic. This pragmatism is inspiring, even refreshing for some, and could prove advantageous in our time, marked by a growing sense of realpolitik and the need to find solutions to the many emerging problems.

Finally, we can also observe that the decline of French at the Heidelberg Institute follows a broader political trend. The Franco-German relationship is going through a (prolonged) difficult period. As reported by several French media, Vice-Chancellor Robert Habeck remarked in September 2023 at the annual conference of German ambassadors: “We [the Germans and the French] do not agree on anything.” Except, it seems, on a certain linguistic distance. The German government has decided to close several Goethe Institutes in France, despite the provisions of the 2019 Treaty of Aachen, which stipulates that the two countries are committed to maintaining and strengthening the learning of each other’s languages. Despite the impressive number of students who have completed a binational academic programme offered by the French-German University (UFA) – in 2022 alone, more than 1,400 students followed Franco-German law courses at the UFA – thanks to exchange programmes such as Erasmus or cotutelle agreements, there seems to be a (linguistic) regression (at a high political level), which is not without consequences for the research world.

Advocating French in a multilingual (academic) context

In conclusion, this contribution is by no means intended to be nostalgic, i.e. to urge a return to the days when French was the language of international diplomacy and international law, or to advocate an outdated Franco-English duopoly in international relations. With these few lines, I would like to draw the readers’ attention to the need for linguistic diversity in academic work, which also allows for a certain intellectual and conceptual diversity. The predominance of English in the research and practice of international and European law certainly has its advantages, making (a priori) exchange and access to knowledge easier. But it also has its downsides: it gives the illusion of a world that is much more unified and inclusive than it actually is.

Indeed, as Odile Ammann explains so delicately, the dominance of English as the language of academia is accompanied by significant analytical, conceptual and other biases. If we want to avoid an impoverishment of the (academic) legal debate and, on the other hand, maintain a certain richness in legal thought and practice, it is important to cultivate linguistic diversity – at both the individual and the institutional level. It seems appropriate that French should be part of this diversity, given its historical and contemporary importance – it is the fifth most spoken language in the world after English, Mandarin, Hindi and Spanish. For me in any case, my homeland is multilingualism, and French is undoubtedly an important part of that.

***

A comprehensive version of this article will be published in RuZ – Recht und Zugang

[1] The author would like to warmly thank Rocío Bargon Sánchez and especially Chiara Miskowiec for their excellent research assistance during the drafting of this article. The original French text was translated into English with the help of Rocío Bargon Sánchez. Many thanks also to Anne-Marie Thévenot-Werner for her highly constructive comments on an earlier version of this text.

[2] In French, Camus’ statement reads as follows: “J’ai une partie: la langue française.”

[3] Photo: MPIL.

[4] Photo: MPIL.

Suggested Citation:

Carolyn Moser, Multilingualism as a Homeland. A Reflection on the Use of French in the Study and Practice of Law at the Max Planck Institute for International Law in Heidelberg and Beyond, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240405-095049-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung

A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement

Deutsch

Prolog

„1968 ist eine Jahreszahl, in die sich das Imaginäre eingenistet hat“, schrieb der Schriftsteller und Essayist Hans Magnus Enzensberger, der als Herausgeber des Kursbuch zu den Sprechern der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Deutschland zählte, in Notizen zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968. Es seien „die verbotenen Sätze auf die Straße gegangen“, notierte er: „Zweitausend, zwanzigtausend, zweihunderttausend Worte, Umzüge, Resolutionen […] Die Widersprüche schrien zum Himmel. Jeder Versuch, den Tumult intelligibel zu machen, endete notwendig im ideologischen Kauderwelsch.“[1] Auch vor Heidelberg machten die Worte, die auf die Straße gingen – eine treffende Metapher, um das Neue, die Besetzung von Straßen und Plätzen, zu zeigen – nicht halt. Lautstarke Protestaktionen und performative Happenings setzten nach dem 2. Juni 1967 ein und dauerten an, als an anderen Orten die Mobilisierung längst abgeebbt war, so dass auch von „Heidelgrad“ gesprochen wurde.[2] Wie positionierte sich das Max‑Planck‑Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in den und zu den Konflikten? Fungierte es als Burg in der Brandung? Setzte es, fernab der Altstadt, seine Arbeit in einer Art Elfenbeinturm fort? Auf den ersten Blick sieht es so aus, aber noch fehlt eine fundierte Studie über das Institut vor dem Hintergrund der kritischen Ereignisse der Jahre 1967 bis 1970. Es fehlen zudem, um eine solche zu erstellen, Aufzeichnungen, Stellungnahmen, Erinnerungen der Mitarbeiter des Instituts in diesen Jahren – anders als von anderen Instituten liegen mir keine „Wortergreifungen“ der Assistenten vor, keine zeitgenössischen, keine rückblickenden. [3] Last but not least steht eine systematische Suche nach Gesprächs- und Sitzungsprotokollen, Notizen, Flugblättern, Plakaten und Fotos aus. Dieser Beitrag zur Rolle des Instituts im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung kann daher nur eine Annäherung im Konjunktiv sein. Diese lässt sich von zwei analytischen Bezugsrahmen leiten: den Überlegungen Pierre Bourdieus zum juridischen Feld sowie von Fragestellungen und Hypothesen der Sozialen Bewegungsforschung. Sie untergliedert sich zwei Punkten.

1. Soziale Bewegung und juridisches Feld

Die Welle der Proteste, die in fast allen westlichen Industrieländern 1968 kulminierte, war mehr als eine Studenten- oder Generationsrevolte. Die transnationalen Proteste waren soziale Bewegungen, analytisch definiert als „Prozess des Protestes“ von Individuen und Gruppen, welche die bestehende Sozial- und Herrschaftsstruktur negierend, grundlegende gesamtgesellschaftliche Veränderungen erstreben und dafür Unterstützung mobilisieren. [4]  Im Mai 1968, so formulierte es der Philosoph Michel de Certeau „on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789”. Worum ging es? Was stand auf dem Spiel? Ein noch nicht aufgebrauchter „Vorrat an Vertrauen in die Möglichkeit, durch Handeln die Welt zu verändern“, kennzeichnete die Proteste, wie die Philosophin Hannah Arendt urteilte, die von New York aus die Entwicklung der Protestbewegungen in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich aufmerksam verfolgte.[5] Handlungsmotivierend und legitimitätsstiftend wirkte die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und einer imaginierten, ‚anderen‘, neuen Ordnung, geprägt durch zwei Leitideen: Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung (autogestion) einerseits und Selbstorganisation/Selbstverwaltung (participatory democracy, Mitbestimmung) andererseits. Um Unterstützung für ihre Ziele zu generieren, sind soziale Bewegungen gezwungen zu agieren und sich aus der Aktion zu formieren. Der Dynamik erzeugende mobilisierende Effekt der 68er Bewegung beruhte jenseits des Charismas ihrer Leitidee auf einer Strategie der direkten performativen Aktion, der begrenzten Regelverletzung. Orientiert an der anarchistischen Bewegung und der künstlerischen Avantgarde – Dadaismus, Surrealismus, bewegten sich die Aktionen oft im Grenzbereich von Legalität und Illegalität. Was passiert im juridischen Feld, wenn eine solche Bewegung entsteht und an Dynamik gewinnt?

Recht „als geschichtlich konstruierte strukturierte Struktur“, trägt, folgt man dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, zur „Produktion der Welt“ bei. „Es ist“, so seine These, daher „nicht übertrieben zu sagen, dass es die soziale Welt macht – wobei es natürlich zuerst von ihr gemacht wird.“[6] Bourdieu definiert das juridische Feld als „Feld von Kämpfen, in dem die Akteure mit je nach ihrer Position in der Struktur des Kraftfeldes unterschiedlichen Mitteln und Zwecken miteinander rivalisieren und auf diese Weise zu Erhalt oder Veränderung seiner Struktur beitragen.“[7] Neben dem Bildungssystem trage das Recht entscheidend zur Reproduktion der bestehenden Machtverhältnisse bei. Wirke es doch an der Festigung von Sicht- und Teilungskriterien mit, welche die Wahrnehmung der sozialen Welt entsprechend den Kriterien der herrschenden Ordnung orientieren. Juristen tragen dergestalt zu dem bei, was Bourdieu die „Suspendierung des Zweifels, die Welt könne eine andere sein“ nennt.[8] Damit steht, die Schlussfolgerung ist klar, das juridische Feld den Zielen sozialer Bewegungen diamental entgegen.

Indes, so Bourdieu, kann auch das juridische Feld – das einer relativen autonomen Logik folgt – potentiell von außen in Bewegung versetzt werden: durch Intellektuelle, soziale Bewegungen und die Kunst. Voltaires Rolle in der Affäre Calas, die ihn zum Vorkämpfer einer Strafrechtsreform machte, sei exemplarisch hervorgehoben.[9] Indes, um der Kritik – artikuliert von Intellektuellen, sozialen Bewegungen, der Kunst – Wirksamkeit zu verleihen, braucht es Vermittler in das Institutionensystem. Voltaire verfügte über solche. Im Fall der Außerparlamentarischen Opposition waren es die Anwälte, die die Justizkritik der 68er Bewegungen verstärkten, indem sie diese, neue Verteidigungsstrategien wie die Konfliktverteidigung erprobend, in den Gerichtsaal experimentell anwandten um hierarchische Strukturen vor Gericht aufzudecken.[10] Neben Anwälten und Richtern zählen auch die Rechtsgelehrten zu den Akteuren im juridischen Feld. Wie positionierten sie sich, konfrontiert mit der 68er Bewegung, die, dies sei nochmals betont, eine transnationale Bewegung war und in Frankreich zu Barrikadenkämpfen und dem größten Generalstreik der Nachkriegszeitführte? Konkret: Was geschah im MPIL? ‚Business as usual‘? Textarbeit im Elfenbeinturm? Keineswegs.

2. Die 68er Bewegung und das MPIL:

“Heidelberg: Vorsorge für die nächste Krise” – “Solidarität mit den Heidelberger Genossen!!” Solidaritätskundgebung von Studierenden in Kiel 1970 anlässlich des Verbots der SDS-Hochschulgruppe in Heidelberg[11]

Das MPIL wurde mit Fragen und Folgen der Bewegung unmittelbar konfrontiert und zur Stellungnahme angeleitet ‚von oben‘, vom Staat. Wie positionierte es sich? Grundsätzlich gilt, folgt man Bourdieu, dass die Stellungnahmen der Akteure im juridischen Feld durch deren Stellung im Feld und die Kräfteverhältnisse innerhalb des Feldes geprägt werden. Auf die Kräfteverhältnisse, die als „Kompetenzkämpfe um die Kompetenz“ sowie „das Recht, Recht zu sprechen“ ausgetragen werden, wirken zwei Faktoren ein: erstens, die Hierarchie der Rechtsinstanzen und der Rechtsgebiete sowie zweitens, die Homologien zwischen dem juridischen Feld und anderen Feldern – wie zum Beispiel die Nähe zum Feld der Macht. Wendet man diese Kriterien auf das MPIL als Akteur an, so verleiht ihm seine Stellung in der Hierarchie der Rechtsgebiete sowie seine Nähe zur Macht eine herausgehobene Position innerhalb des Feldes. Was macht es damit? Als kollektiver Intellektueller in der Tradition Voltaires agiert es nicht.  Es übernimmt die Rolle des „conseiller du prince“, des Fürstenberaters, des Experten, der den Staat berät. Es setzt seine spezifische Kompetenz ein und liefert vergleichende Rechtsgutachten an das Innenministerium. Ruft man in Erinnerung, dass in der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Studentenbewegung, Anti‑Notstands‑Opposition und Ostermarschbewegung (Kampagne für Demokratie und Abrüstung) interagierten, so nahm das Institut zu zentralen Themen der Bewegung Stellung.

Erstens: Zur Notstandsgesetzgebung. Die erste Anfrage nach einem rechtsvergleichenden Gutachten zur „Einschränkung der Grundrechte“, wie es in der Korrespondenz heißt, datiert vom 3. Februar 1964.  Der Direktor des MPIL, Hermann Mosler, nahm am 7. Dezember 1967 im Bundestag Stellung zu dem – wie es nun hieß – „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“[12]. Mosler sprach zu den Abgeordneten über seinen Untersuchungsgegenstand: das Ausnahmerecht in Frankreich.

Zweitens: Zu den neuen Demonstrationsformen, der Besetzung von Straßen und Plätzen. In Auftrag gegeben vom Bundsinnenministerium im Herbst 1969, fertiggestellt unter Einsatz aller Kräfte, wie die Korrespondenz zeigt, im Januar 1970 und schließlich abgeliefert im Februar 1970 wurde das Gutachten zu „Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“ in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und den USA.[13]

Drittens: Zur Forderung der Bewegung nach „direkter Demokratie“. Auf Anfrage des Bundesinnenministeriums im September 1969, mithin eingeleitet noch unter der Großen Koalition, erarbeitet das Institut schließlich ein Gutachten zu „Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“ (1970).

Recht reproduziert, so Bourdieu, bestehende Machtverhältnisse. In welchem Maße gilt das auch für die Rechtsauslegung von Experten? Eine Analyse der Rechtsauslegung durch das MPIL könnte unter anderem prüfen, ob die Expertisen neben der Rekonstruktion der Rechtslage in den Ländern auch die Anwendungspraxis und damit den – nicht nur von der Außerparlamentarischen Opposition angeprangerten – Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit (mit)reflektieren. Zu prüfen wäre zudem, welcher Demokratiebegriff den Gutachten zugrunde liegt. Die New Left (Neue Linke, intellektuelle Nouvelle Gauche), die in allen westlichen Industrieländern den Mobilisierungsprozess der 68er-Bewegungen anfachte, richtete sich gegen den vorherrschenden, auf Wahlen beschränkten Demokratiebegriff. Sie setzte der Demokratie als Staats- und Regierungsform ein Demokratieverständnis entgegen, das Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen, mithin Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform einschloss. Zu prüfen wäre, last but not least, ob, wann und wie das Institut Wege interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Gesellschaftswissenschaften einschlug (und damit einen Impuls der Bewegung aufnahm), die zu einer neuen Konzeption des Völkerrechts führten.

„Für freie politische Betätigung“. Gottfried Zieger und Institutsmitarbeiter Georg Ress 1975 in der Alten Aula[14]

Bleibt die Frage nach Strukturveränderungen innerhalb des Instituts. In vielen Instituten – darunter den von mir untersuchten in Starnberg und Frankfurt[15] – rebellierten die Mitarbeiter gegen die autoritäre Führung durch die Institutsdirektoren. Auch im „Oberhaus der deutschen Wissenschaft“ (DIE ZEIT), der Max-Planck-Gesellschaft, sahen sich die Mitarbeiter unter dem Druck der Ereignisse zu Kritik und Reformforderungen veranlasst. Und: Mitarbeiter aus 37 von 52 Max-Planck-Instituten traten am 9. Mai 1970 in Heidelberg zusammen, um eine „Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“ zu etablieren. Sie kritisierten die bestehende Struktur der Max-Planck-Institute als „undemokratische ‚Hierarchie’“.[16] Zur Strukturierung der Arbeit dieser Vertretung wurde ein Ausschuss (Satzungsausschuss) gegründet, der ein Organisationsstatut entwerfen sollte. Waren auch Mitarbeiter des MPIL darunter? Oder, anders gefragt, war es möglich, von der Bewegung nicht bewegt zu sein? Dieter Grimm, Mitarbeiter im MPI für Rechtsgeschichte in Frankfurt und persönlicher Referent des Institutsdirektor Helmut Coing, erklärte in einem Interview:

„Man konnte den Aktionen der protestierenden Studenten gar nicht entgehen, sie begegneten einem in Demonstrationen, Happenings, Sit-ins, Fassadenbeschriftungen (‚Nehmt Euch die Freiheit der Wissenschaft – forscht, was ihr wollt’, stand lange an einem Universitätsgebäude), auf Hörsaalwänden, die in Protest- oder Ankündigungsflächen verwandelt wurden (‚Heute 16.00 Uhr Demo – kommt massenhaft’ – niemand konnte mehr sagen, welchen Tag das betraf, aber das machte nichts, es galt ja fast jeden Tag). Man musste sich dazu einstellen.“ [17]

Wie standen die Mitarbeiter des MPIL zur Forderung der 68er Bewegung nach mehr Mitbestimmung in der Demokratie? Wie standen sie zu mehr Mitbestimmung im eigenen Haus? Gab Karl Doehrings Verfassungsbeschwerde[18] gegen das baden-württembergische Hochschulgesetz den Takt vor? Wurde das Harnack-Prinzip nicht als Barriere empfunden – angesichts der Rufe „Forscht, was Ihr wollt“? Selbst in der Max-Planck-Gesellschaft waren bereits seit 1969 Reformüberlegungen im Gange. Befürchtend, dass die Unruhe an den Hochschulen auch in ihre Institute übergreifen könnte, hatte der Präsident Adolf Butenandt eine Reformkommission – Strukturkommission genannt – eingesetzt.  Und in der Tat, die Mitarbeiter klagten Mitwirkung ein: bei der Wahl der Institutsdirektoren und der Festlegung der Forschungsprogramme, eine zeitliche Begrenzung und Kontrolle der Institutsleitung, eine Änderung des Systems der Zeitverträge sowie eine kritische Reflexion des Leistungsbegriffs.

Auch aus dem MPIL nahm ein Mitarbeiter an den Beratungen teil, wie ich durch Befragung des Zeitzeugen und Akteurs Dieter Grimm in Erfahrung bringen konnte: Michael Bothe. Ich habe Kontakt zu ihm gesucht. Krankheitsbedingt konnte er meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachkommen. Aus Dokumenten im Nachlass von Werner Conze, der 1969/70 Rektor der Universität Heidelberg war, geht jedoch hervor, dass Bothe persönlicher Referent des Rektors war und damit beteiligt an der Einführung einer neuen Grundordnung der Universität Heidelberg, entsprechend dem Hochschulreformgesetzes des Landes.[19] Vielleicht gibt es noch andere damalige Mitarbeiter, die hierzu Stellung nehmen könnten. Ich hoffe darauf, denn es kann doch nicht sein, dass die Rechtsexperten einem abgebrochenen Juristen und seiner (Sprach-)Kritik an den Instanzen des juridischen Feldes das letzte Wort belassen, nämlich Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] Eingehen kann ich auf diesen Text nicht, abschließen aber möchte ich mit den Worten, die Handke am Ende seiner Publikumsbeschimpfung in Bewegung setzte, um die vierte Wand (zwischen Bühne und Publikum) aufzubrechen und die den Zeitgeist von 1968 spiegeln:

„…. Ihr Leuchten der Wissenschaft. Ihr vertrottelten Adeligen. Ihr verrottetes Bürgertum. Ihr gebildeten Klassen. Ihr Menschen unserer Zeit. Ihr Rufer in der Wüste. […] Ihr Jammergestalten. Ihr historischen Augenblicke. Ihr Oberhäupter. Ihr Unternehmer. Ihr Eminenzen. Ihr Exzellenzen. Du Heiligkeit. Ihr Durchlauchten. Ihr Erlauchten. Ihr gekrönten Häupter. Ihr Krämerseelen. Ihr Ja-und-Nein-Sager. Ihr Neinsager. Ihr Baumeister der Zukunft. Ihr Garanten für eine bessere Welt. Ihr Unterweltler. Ihr Nimmersatt. Ihr Siebengescheiten. Ihr Neunmalklugen. Ihr Lebensbejaher. Ihr Damen und Herren ihr, ihr Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens ihr, ihr Anwesenden ihr, ihr Brüder und Schwestern ihr, ihr Genossen ihr, ihre werten Zuhörer ihr, ihr Mitmenschen ihr.

       Sie waren willkommen. Wir danken Ihnen. Gute Nacht.“[21]

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (Hrsg.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt der Briefwechsel Hartmut Schiedermairs (Habilitant von Herrmann Mosler) mit Helmut Ridder dar, veröffentlicht unter dem Titel: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; zudem sei verwiesen auf die 2008 erschienenen Erinnerungen Karl Doehrings an die Studentenbewegung: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (Hrsg.), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; vgl. auch Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (Hrsg.), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19.

[6]Pierre Bourdieu, Die Kraft des Rechts. Elemente einer Soziologie des juridischen Feldes, in: Andrea Kretschmann (Hrsg.), Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2019, 35–78, 60.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221.

[9] Vgl. Voltaire, Die Affäre Calas, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Vgl. dazu Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (Hrsg.), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Hervorhebung durch die Autorin.

[13] Mitarbeiter waren Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. Das Gutachten wurde als Buch veröffentlicht unter dem Titel: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (Hrsg.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, herausgegeben und kommentiert von Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Nachlass Karl Doehring, Universitätsarchiv Heidelberg.

[19] Brief von Werner Conze an das Kultusministerium Baden-Württemberg, datiert 30. Juli 1969, Nachlass Werner Conze, Universitätsarchiv Heidelberg, Ref. 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, 47-48.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-094922-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

Prologue

“1968 is a date in which the imaginary has ensconced itself” wrote the author and essayist Hans Magnus Enzensberger, who as editor of the Kursbuch (roughly: “textbook”, a key cultural and political publication of the time) was one of the spokespersons of the extra‑parliamentary opposition (Außerparlamentarische Opposition, APO) in the Federal Republic of Germany, in notes for his 1968 diary. In 1968, “the forbidden sentences took to the streets”, he noted: “Two thousand, twenty thousand, two hundred thousand words, processions, resolutions [ …]  The contradictions towered to heaven. Every attempt to make the tumult intelligible had to end in ideological gibberish.”[1] The words that took to the streets – an apt metaphor to underline the novelty of the occupation of streets and squares – did not spare Heidelberg. Loud protests and performative happenings began after 2 June 1967 and continued long after the mobilisation had died down in other places, leading to the coining of the term “Heidelgrad”.[2] How did the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) position itself in and in relation to the conflicts? Did it act as a bastion in troubled waters? Did it continue its work, far from the old town (Altstadt, where most university buildings are located), in a kind of ivory tower? At first glance, it would appear so, but a well‑founded study of the institute against the backdrop of the critical events of 1967 to 1970 is still lacking. Moreover, in order to produce such a study, there are no records, statements, recollections of the staff of the institute during these years – unlike other institutes, I have no commentaries by the assistants, no contemporary ones, no retrospective ones.[3] Last but not least, a systematic search for minutes of discussions and meetings, notes, flyers, posters and photos is still pending. This contribution on the role of the institute in the mobilisation process of the 1968 movement can therefore only be an approximation in the subjunctive. It is guided by two analytical frames of reference: Pierre Bourdieu’s reflections on the juridical field and the questions and hypotheses of social movement research. It is subdivided into two points.

1. Social Movements and the Juridical Field

The wave of protests culminating in almost all industrialised Western countries in 1968 was more than just a student or generational revolt. The transnational protests were social movements, analytically defined as a “process of protest” by individuals and groups who, rejecting the existing social and power structure, sought fundamental changes in society as a whole and mobilised support for them.[4]  In May 1968, as the philosopher Michel de Certeau put it, “on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789“. What was all of that about? What was at stake? The protests were characterised by a by a “reserve of trust in the possibility of changing the world through action” that had not yet been used up as the philosopher Hannah Arendt put it who closely followed the development of protest movements in the USA, the Federal Republic of Germany and France from New York.[5] Fuel for mobilisation and source of legitimacy was the discrepancy between reality and an imagined, ‘different’, new order, characterised by two guiding principles: self‑determination/self-realisation (Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung/autogestion) on the one hand and participatory democracy (Selbstorganisation/Selbstverwaltung/Mitbestimmung) on the other. In order to generate support for their goals, social movements are forced to act and form themselves out of action. Beyond the charisma of its central idea, the dynamic mobilising effect of the 1968 movement was based on a strategy of direct performative action, of limited rule-breaking. Inspired by the anarchist movement and the artistic avant-garde – Dadaism, Surrealism – the actions were often situated in the grey zone between legality and illegality. What happens in the legal field when such a movement emerges and gains momentum?

According to French sociologist Pierre Bourdieu, law is a “structured structure[…], historically constituted ” and contributes to the “production of the world”. According to his thesis, it “would not be excessive to say that it creates the social world, but only if we remember that it is this world which first creates the law.”[6] Bourdieu defines the juridical field as a “field of struggles in which actors compete with each other with different means and ends depending on their position in the structure of the force field and in this way contribute to maintaining or changing its structure.”[7] Alongside the education system, the law makes a decisive contribution to the reproduction of existing power relations, according to Bourdieu. After all, it contributes to the consolidation of criteria of vision and division that orientate the perception of the social world according to the criteria of the prevailing order. In this way, jurists contribute to what Bourdieu calls the “suspension of doubt that the world could be a different one”.[8] Accordingly, the conclusion is clear: the legal field is diametrically opposed to the goals of social movements.

However, according to Bourdieu, the juridical field – which follows a relatively autonomous logic – can potentially be set in motion from the outside: by intellectuals, social movements and art. Voltaire’s role in the Calas affair, which made him a pioneer of criminal law reform, should be emphasised as an example.[9] However, in order for criticism – articulated by intellectuals, social movements and the arts – to be effective, mediators are needed in the institutional system. Voltaire had such mediators. In the case of the extra-parliamentary opposition, it was the lawyers who reinforced the judicial criticism of the 1968 movement by experimenting with new defence strategies such as Konfliktverteidigung (roughly: “confrontational defence”, a strategy of criminal lawyers to call into question not just the legitimacy of the charges at hand, but of the court as a whole) in order to expose hierarchical structures in court.[10] In addition to lawyers and judges, legal scholars were also among the actors in the legal field. How did they position themselves when confronted with the 1968 movement, which, it should be emphasised once again, was a transnational phenomenon and led to barricade struggles in France and the largest general strike of the post-war period? Specifically: What happened at the MPIL? Business as usual? Scholarly work in an ivory tower? Not at all.

2. The 68 Movement and the MPIL

Solidarity rally by students in Kiel in 1970 on the occasion of the ban on the SDS (Socialist German Students’ League) university group in Heidelberg. The banners read: “Heidelberg: Precautions for the next crisis” and “Solidarity with Heidelberg comrades!!” (Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.)[11]

The MPIL was directly confronted with the questions and consequences of the movement and instructed ‘from above’, by the state, to take a stand. How did it position itself? Basically, according to Bourdieu, statements of the actors in the legal field are determined by their position in the field and the balance of power within it. Two factors influence the balance of power, which is formed by “competence struggles over competence” and “the right to adjudicate”: firstly, the hierarchy of courts and fields of law, and secondly, the homologies between the legal field and other fields – such as the proximity to the field of power. If these criteria are applied to the MPIL as an actor, its position in the hierarchy of legal fields and its proximity to power give it a prominent position within the field. What does it do with this? It does not act as a collective intellectual in the tradition of Voltaire.  It takes on the role of the “conseiller du prince“, the prince’s counsellor, the expert who advises the state. It uses its specific expertise and provides comparative legal opinions to the Ministry of the Interior. If one recalls that in the extra-parliamentary opposition in the Federal Republic of Germany, the Studentenbewegung (student movement), the movement against the proposed Notstandsgesetze (German Emergency Acts, reintroducing martial law into the constitution) and the Ostermarschbewegung (“Easter march movement”, a campaign for democracy and disarmament) interacted, the institute took a stand on central issues of the movement.

Firstly, on the German Emergency Acts. The first request for a comparative legal opinion on the “restriction of fundamental rights”, as it is called in the correspondence, is dated 3 February 1964. The director of the MPIL, Hermann Mosler, gave a statement in the Bundestag on 7 December 1967 on what was now called the “draft law to supplement the Basic Law” (“Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“)[12]. Mosler spoke to the members of parliament about the subject of his enquiry: martial law in France.

Secondly, on the new forms of demonstration, the occupation of streets and squares. Commissioned by the Federal Ministry of the Interior in autumn 1969, completed in January 1970, as the correspondence shows, and finally delivered in February 1970, the report on “Freedom of demonstration and road traffic” („Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“) covered the legal situation in Belgium, the Federal Republic of Germany, France, Great Britain, Italy, the Netherlands, Austria, Sweden, Switzerland and the USA.[13]

Thirdly, on the movement’s demand for “direct democracy”. At the request of the Federal Ministry of the Interior in September 1969, i.e. initiated still under the “grand coalition” of Germany’s two major parties at the time, the institute finally drafted an expert report on “Plebiscitary elements in the constitutional life of European democracies” („Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“, 1970).

According to Bourdieu, law reproduces existing power relations. To what extent does this also apply to the interpretation of the law by experts? An analysis of the interpretation of the law by the MPIL could examine, among other things, whether the expert opinions, in addition to reconstructing the legal situation in other states, also reflect (on) the application practice and thus the contradiction between constitutional law and constitutional reality, denounced not only by the extra-parliamentary opposition. The concept of democracy on which the expert opinions are based should also be examined.  The New Left (Neue Linke, intellectual Nouvelle Gauche), which fuelled the mobilisation process of the 1968 movements in all Western industrialised countries, opposed the prevailing concept of democracy, reduced to elections. It sought to replace the understanding of democracy as a form of state and government with an understanding of democracy built on participation in all areas of society, i.e. democracy as a way of life and a social order. Last but not least, it should be examined whether, when and how the institute embarked on paths of interdisciplinary cooperation between law and social sciences (and thus took up an impulse of the movement) that led to a new conception of international law.

Gottfried Zieger and member of the institute Georg Ress at Heidelberg University in 1975. The graffiti in the background reads: “For free research”[14]

This leaves the question of structural changes within the institute. In many MPIs – including the ones I studied in Starnberg and Frankfurt[15] – the staff rebelled against the authoritarian leadership of the directors. Even within the Max Planck Society, the “House of Lords of German science” (as it was called by the German newspaper DIE ZEIT), employees felt compelled by the pressure of events to criticise and demand reform. And: employees from 37 of the 52 Max Planck Institutes met in Heidelberg on 9 May 1970 to establish a “Representation of Scientific Staff at Max Planck Institutes” („Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“). They criticised the existing structure of the Max Planck Institutes as an “undemocratic ‘hierarchy'”.[16] To structure the work of this representation, a Statutory Committee (Satzungsausschuss) was set up to draft an organisational statute. Were employees of the MPIL among them? Or, to put it another way, was it possible not to be moved by the movement? Dieter Grimm, a member of staff at the MPI for Legal History in Frankfurt and personal advisor to the institute’s director Helmut Coing, explained in an interview:

“You couldn’t escape the events of the protesting students, you encountered them in demonstrations, happenings, sit-ins, graffities (‘Take your freedom of science – research what you want’ was written on a university building for a long time), on lecture hall walls, which were transformed into protest or announcement areas (‘Demonstration, today 16.00 – all come’ – no one could tell which day that was, but that did not matter, it applied almost every day). You had to take a stance.” [17]

How did the staff of the MPIL view the demands of the 1968 movement for more participation in democracy? How did they feel about more participation in their own institute? Did Karl Doehring’s constitutional complaint (Verfassungsbeschwerde)[18] against the University Reform Act (Hochschulreformgesetz) of Baden-Württemberg set the pace? Was the Harnack principle not perceived as a barrier – in view of the calls to “research what you want”? Even in the Max Planck Society, reform considerations had been underway since 1969. Fearing that the unrest at the universities could spread to their institutes, President Adolf Butenandt had set up a reform commission – known as the Strukturkommission (Commission on Structure).  And indeed, the employees demanded participation: in the election of institute directors and the definition of research programmes, a time limit and control of institute management, a change in the system of temporary contracts and a critical reflection on the conceptualization of performance.

An employee from the MPIL also took part in the consultations, as I was able to find out by interviewing the contemporary witness and actor Dieter Grimm: Michael Bothe. I sought contact with him. Due to illness, he was unable to fulfil my request for an interview. However, documents in the estate of Werner Conze, who was Rector of the University of Heidelberg in 1969/70, show that Bothe was the Rector’s personal advisor and thus involved in the introduction of a new Grundordnung (basic regulations) for the University of Heidelberg in accordance with the University Reform Act.[19] Perhaps there are other former employees who could comment on this. I hope so, or legal experts will have to leave the last word to a law school dropout and his (linguistic) criticism of the authorities in the legal field, namely Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] I cannot go into detail about this text, but I would like to conclude with the words that Handke set in motion at the end of his play “Offending the Audience” in order to break down the fourth wall (between stage and audience) and which reflect the zeitgeist of 1968:

You luminaries of science. You beacons in the dark. You educated gasbags. You cultivated classes. You befuddled aristocrats. You rotten middle class. You lowbrows. You people of our time. You children of the world. […] You wretches. You congressmen. You commissioners. You scoundrels. You generals. You lobbyists. You Chief of Staff. You chairmen of this and that. You tax evaders. You presidential advisers. You U-2 pilots. You agents. You corporate-military establishment. You entrepreneurs. You Eminencies. You Excellencies. You Holiness. Mr- President. You crowned heads. You pushers. You architects of the future. You builders of a better world. You mafiosos. You wiseacres. You smart‑alecs. You who embrace life. You who detest life. You who have no feeling about life. You ladies and gents you, you celebrities of public and cultural life you, you who are present, you brothers and sisters you, you comrades you, you worthy listeners you, you fellow humans you.

          You were welcome here. We thank you. Good night.[21]

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (ed.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25, translated by the editor.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] One notable exception is the correspondence between Hartmut Schiedermair (habilitation student of Herrmann Mosler) and Helmut Ridder, which was published under the title: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; see also Karl Doehrings memories of the student movement as described in his 2008 memoir: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (ed), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (ed), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; Cf. Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (eds), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19, translated by the editor; this work was also published in English as: Hannah Arendt, On Violence, San Diego: HBJ Book 1970.

[6] Pierre Bourdieu, The Power of Law. Elements of a sociology of the juridical field, Hastings Law Journal 38(1987), 814-853, 839.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18, translated by the editor.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221, translated by the editor.

[9] Cf. Voltaire, Die Affäre Calas, edited and with an epilogue by Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Cf. Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (eds), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Photo: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Emphasis added by the author.

[13] Contributors were Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. The expert opinion was published as a book under the title: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ed), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (eds.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, edited and annotated by Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75, translated by the editor.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Estate of Karl Doehring, Heidelberg University Archive.

[19] Letter by Werner Conze to the Baden-Württemberg Ministry of Education, dated 30 July 1969, Estate of Werner Conze, Heidelberg University Archive, Ref 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972; the title translates to „I am an inhabitant of the ivory tower”.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung, translation following: Peter Handke, Offending the Audience and Self-Accusation, translated by Michael Roloff, London: Methuen & Co Ltd 1971, 38.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-095001-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

Hermann Mosler und das „Ius Cogens im Völkerrecht“

Hermann Mosler and "Ius Cogens in International Law"

Deutsch

„Mir scheint, daß alle philosophischen und auch alle emotionalen Höhepunkte der Diskussion über Ius Cogens schon erreicht sind.“ – Mit dieser Einschätzung aus dem Jahre 1969 sollte Hermann Mosler sich gründlich geirrt haben. So haben zahlreiche Staaten die Arbeiten der UN‑Völkerrechtskommission von 2014 bis 2022 zum Ius Cogens ausführlich kommentiert und kritisiert. In der Völkerrechtskommission selbst wurde das Ius Cogens ebenso kontrovers verhandelt. In der Frage etwa, welche Wirkungen das Ius Cogens auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zeitigt, warnte ein Kommissionsmitglied gar vor der Zerstörung des kollektiven Sicherheitssystems der UN und vor der Gefahr eines dritten Weltkriegs. Emotionaler kann eine Diskussion in der Völkerrechtskommission kaum ablaufen. Auch die Frage nach der philosophischen Grundlage des Ius Cogens ist mitnichten geklärt. Das „Ius Cogens im Völkerrecht“ bleibt damit entgegen Moslers Einschätzung auch über 50 Jahre später äußerst umstritten. Moslers Aufsatz, erschienen im 25. Schweizerischen Jahrbuch für internationales Recht (S. 9‑40), kann aber dennoch nicht ohne Weiteres als überholt und veraltet abgetan werden. Neu gelesen wirft er ein Schlaglicht auf die weiterhin bestehenden konzeptionellen Unklarheiten des Ius Cogens. Zugleich zeigt Moslers Aufsatz, wie anders als heute die deutsche Völkerrechtswissenschaft sich damals einem universellen Phänomen genähert hat: unverhohlen von einem deutschen (und europäischen) Vorverständnis ausgehend.

[pdf-embedder url=”https://mpil100.de/wp-content/uploads/2024/02/Hermann-Mosler-Ius-cogens-im-Voelkerrecht.pdf” title=”Hermann Mosler Ius cogens im Völkerrecht”]

1. Was ist, und warum beschäftigte sich Mosler mit Ius Cogens im Völkerrecht?

Ius Cogens meint im Völkerrecht universell geltende Normen, die mit besonderen Wirkungen ausgestattet sind. Zu diesen Wirkungen zählt insbesondere, dass vom Ius Cogens abweichende Verträge unwirksam sind. Einzelne Staaten können daher keinen Vertrag schließen, der vom Ius Cogens abweicht. Zu den Völkerrechtsnormen mit Ius‑Cogens-Charakter werden gemeinhin so wichtige Regeln wie das Verbot des Angriffskrieges, das Völkermordverbot und das Sklavereiverbot gezählt. Bei einigen Normen ist aber umstritten, ob und inwieweit sie zum Ius Cogens gehören, da noch nicht in allen Einzelheiten geklärt ist, wie eine Norm den Ius‑Cogens‑Charakter erlangt. Auch bleibt umstritten, welche weiteren besonderen Wirkungen Ius Cogens (etwa auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates) zeitigt. Weithin anerkannte Wirkung des Ius Cogens ist jedenfalls die Unwirksamkeit abweichender Verträge. Daher werden die Ius‑Cogens‑Normen auch als zwingende Normen bezeichnet, als Gegenstück zu dispositiven oder abdingbaren Normen. Diese Unabdingbarkeit widerspricht auf den ersten Blick der traditionellen Grundannahme des Völkerrechts, dass Staaten die Normen des Völkerrechts schaffen und daher auch mehr oder minder frei abschaffen oder ändern können. Wie schon Mosler resümierte: „Das Ius Cogens-Problem rührt also an die Grundlagen des Völkerrechts“ (10).

Zwei Umstände dürften Mosler zur Hinwendung zum Ius Cogens veranlasst haben. Den äußeren Anlass bildet die zeitgleich verhandelte und verabschiedete Wiener Vertragsrechtskonvention. In Artikel 53 dieses Vertrags heißt es: „Ein Vertrag ist nichtig, wenn er […] im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. […] Eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts [ist] eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ In dieser Formulierung deutet sich auch an, aus welchem inneren Anlass das Ius Cogens Moslers Interesse geweckt haben dürfte: Der Bezug zur internationalen Staatengemeinschaft, ein Motiv, das auch in weiteren seiner Publikationen zentral sein sollte (siehe insbesondere der Beitrag „The international society as a legal community“, Moslers 1974 gehaltener General Course an der Haager Akademie).

2. Moslers unklare Begriffsklärung – ein Schlaglicht auf die Unklarheit des Ius Cogens selbst

Was trägt Moslers Aufsatz nun in der Rückschau zum Verständnis des Ius Cogens bei? Mosler identifiziert zwei Wurzeln des Ius Cogens: Einerseits gebe es einen „traditionellen Begriff des Ius Cogens im innerstaatlichen Recht“ (9), mit dem eine Beschränkung der freien Gestaltung von Vertragsverhältnissen gemeint sei, andererseits werde Ius Cogens mit der „ordre public“ gleichgestellt. Diese Unterscheidung Moslers gilt es zu nachzuzeichnen und zu bewerten.

Ius Cogens als Gegenbegriff zum Ius Dispositivum

Das traditionelle Ius Cogens im innerstaatlichen Sinne charakterisiert Mosler als diejenigen Normen, von denen der Gesetzgeber im Interesse der Gesamtheit oder besonders Schutzbedürftiger bestimmt, dass die Rechtsunterworfenen nicht durch Vertrag über sie verfügen dürfen. Damit stehe das Ius Cogens dem Ius Dispositivum gegenüber, also denjenigen Normen, von denen Private durch Vertrag abweichen dürften. Diese Unterscheidung setze ein hierarchisches Verhältnis zwischen dem Gesetzgeber und den Rechtsunterworfenen voraus (15). Die Ius‑Cogens‑Normen müssten aber den anderen Normen nicht hierarchisch übergeordnet sein; dieselbe Rechtsquelle könne zwingende wie nachgiebige Normen enthalten. Dieses Konzept sei trotz aller strukturellen Unterschiede zum innerstaatlichen Recht auch in das Völkerrecht übertragbar (16‑22), denn das Völkerrecht sei mehr als ein Bündel bi‑ und multilateraler Beziehungen. Die Staatengesellschaft habe stets ein Mindestmaß an Homogenität und Gemeinschaftscharakter aufgewiesen (16‑17).

Was die an dieser Stelle in Bezug genommene Völkerrechtsgemeinschaft nun für Moslers Verständnis des völkerrechtlichen Ius Cogens bedeutet, bleibt in seinen weiteren Ausführungen aber unklar. Zunächst betont Mosler, dass die Staaten, wenn man sie als Gesetzgeber des Völkerrechts verstehen will, in dieser Rolle folgerichtig festlegen könnten, welche Normen sie mit welcher Wirkung ausstatten, eben manche Normen als zwingend, andere als abdingbar ausgestalten. Mit diesem Verständnis kann es erstens auch regionales Ius Cogens geben: Eine Gruppe von Staaten kann durch Vertrag oder regionales Gewohnheitsrecht eine regionale Norm setzen und dieser in ihren Beziehungen Ius Cogens-Wirkungen verleihen. Das stellt Mosler so ausdrücklich nicht fest, setzt es aber voraus, wenn er Beschränkungen der Vertragsfreiheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften als Beispiel des Ius Cogens anführt (20‑21). In einem späteren Abschnitt über die Entstehung von Ius Cogens (37‑39) hingegen nimmt Mosler allein auf Normen des allgemeinen (also für alle Staaten geltenden) Völkerrechts Bezug, wie auch der zitierte Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention es tut. Dies schlösse regionales Ius Cogens aus. Moslers Sicht auf die Universalität des Ius Cogens bleibt letztlich ungeklärt. Zweitens kann es mit diesem Verständnis auch völlig triviales Ius Cogens geben. Wenn es im Belieben der Staaten steht, einer von ihnen geschaffenen Norm Ius‑Cogens‑Status zu verleihen, ist das Ius Cogens inhaltlich offen. Es bleibt aber unklar, wie dieses Verständnis in Einklang zu bringen ist mit dem Zusammenhang des Ius Cogens zum Gemeinschaftscharakter der Völkerrechtsordnung, den Mosler zunächst betont hat.

Schließlich gebe es aber auch noch „aus rational erkennbaren Notwendigkeiten des Zusammenlebens“ (18) entstehendes Ius Cogens. Demnach könnten manche Ius‑Cogens‑Normen von den Staaten geschaffen werden, andere wäre den Staaten vorausgesetzt. Aus heutiger Sicht erstaunt Moslers Offenheit für verschiedene Arten des Ius Cogens und regt zugleich zum Nachdenken an. Das gegenwärtige Schrifttum streitet nach wie vor darüber, ob Normen ihren Ius‑Cogens‑Charakter durch staatliche Setzung erlangen oder aus einer der Rechtsetzung der Staaten entzogenen Quelle fließen, die als Natur- oder Vernunftrecht beschrieben werden kann. Diese beiden Begründungsansätze der Entstehung von Ius Cogens betrachtet die heutige Völkerrechtswissenschaft dabei als einander ausschließend – ganz im Gegensatz zu Mosler, der offenbar verschiedene Entstehungsgründe für verschiedene Ius‑Cogens‑Normen akzeptiert. Insgesamt jedenfalls befürwortet Mosler, das völkerrechtliche Ius Cogens in Entsprechung des innerstaatlichen Ius Cogens als Gegenstück zum Ius Dispositivum zu verstehen.

Ius Cogens als ordre public des Völkerrechts

Eindrücke aus dem Institutsleben: Teilnehmende des Kolloquiums Staatshaftung 1964 (Foto: MPIL)

Der zweiten von ihm identifizierten konzeptionellen Wurzel des Ius Cogens begegnet Mosler hingegen mit Skepsis, dem Ius Cogens konzipiert als völkerrechtlicher ordre public. Unter ordre public versteht Mosler „Normen, deren Respektierung zur Erhaltung der Völkerrechtsgemeinschaft notwendig ist“ (24). Sie schützen „Rechtswerte, die dem Zweck der Rechtsgemeinschaft dienen“. Damit sei ein Ius Cogens im Sinne eines ordre public wesentlich weiter als im vorher beschriebenen Sinne. Über eine Beschränkung der Vertragsfreiheit hinaus würde das Ius Cogens dann nämlich auch rein tatsächliche Handlungen der Staaten verbieten (25‑26). Mosler zieht das Beispiel des Gewaltverbots als Ius‑Cogens‑Norm heran um dies zu illustrieren: Neben die Unwirksamkeit von Verträgen, die von dem Gewaltverbot abweichen, trete dann ein Verbot der einzelnen Gewalthandlungen. Diese Ausweitung des Ius Cogens lehnt Mosler schließlich mit dem Argument ab, es bestehe kein Anlass, dem innerstaatlich klaren Begriff des Ius Cogens im Völkerrecht einen anderen Inhalt zu geben.

Sodann argumentiert Mosler aber doch für eine Ausweitung des völkerrechtlichen Ius Cogens über das Konzept des innerstaatlichen Ius Cogens hinaus. Ius Cogens könne auch Staaten binden, die „Außenseiter der Rechtserzeugung“ (26) sind, sich also an der Entstehung der betreffenden Norm nicht beteiligt haben oder diese gar ablehnen. Dies spielt beim innerstaatlichen Ius Cogens keine Rolle, da die Rechtsunterworfenen ohnehin alle an das Recht gebunden sind, unabhängig von ihrem Willen oder ihrer Beteiligung an der Rechtserzeugung. Diese Auffassung Moslers hat sich durchgesetzt: Auch ein ständig dagegen protestierender Staat (sogenannter persistent objector) ist ungeachtet seines Protests an die völkerrechtlichen Ius‑Cogens‑Normen gebunden.

Nicht überzeugen hingegen kann dabei Moslers Begründung dieser Wirkung des Ius Cogens mit dem Nordseefestlandsockelfall des Internationalen Gerichtshofs (IGH). Der IGH habe angenommen, Deutschland könne unter Umständen gegen seinen Willen an eine Völkerrechtsnorm gebunden sein, auf die Dänemark und die Niederlande sich beriefen. Diese Annahme, so Mosler, sei nur sinnvoll, wenn man von einem Ius Cogens ausgeht, dass eine solche Bindung gegen den Willen des betreffenden Staates bewirken könnte (28). Moslers Begründung ist allerdings nicht zuzustimmen, da die Annahme des IGH auch ohne Rückgriff auf Ius Cogens sinnvoll ist und auf den Regeln über Entstehung und Wirkung des Völkergewohnheitsrecht beruht. Ein entgegenstehender Wille allein verhindert die Bindung an Völkergewohnheitsrecht nämlich gerade nicht, vielmehr muss nach der Persistent‑objector‑Regel dieser Wille auch rechtzeitig, deutlich und beharrlich geäußert werden. Nur wenn der IGH festgestellt hätte, dass erstens die streitige Norm gewohnheitsrechtlich entstanden war, und dass zweitens Deutschland die Voraussetzungen des persistent objector erfüllte, wäre es auf die Frage angekommen, ob Deutschland trotz Protests kraft Ius Cogens an die streitige Norm gebunden wäre. Der Nordseefestlandsockelfall spielt denn auch in späteren Debatten zum Ius Cogens keine Rolle. Vielleicht rührte Moslers Bezugnahme auf den Fall schlicht daher, dass er das Urteil des IGH als Ad‑hoc‑Richter mitverhandelt hatte. Mosler gelingt es in seinem Aufsatz insgesamt nicht, eine stringente Konzeption des völkerrechtlichen Ius Cogens vorzulegen.

3. Moslers Methode: Beispiele aus Deutschland und Europa

Neben diese inhaltlichen treten auch methodische Schwächen. Die zweischrittige Argumentation Moslers beim Ius Cogens als Gegenbegriff zum Ius Dispositivum (erstens: Ius Cogens als Prinzip im innerstaatlichen Recht; zweitens: Übertragung des Prinzips ins Völkerrecht) erinnert an eine anerkannte Methode zur Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Völkerrechts. Dabei erstaunt, wie freimütig Mosler sich im Abschnitt zum Ius Cogens im innerstaatlichen Recht (14‑16) damit begnügt, einen Blick allein in die deutsche Rechtsordnung zu werfen, um die so ermittelte Bedeutung des Ius Cogens dann seiner weiteren Abhandlung zugrunde zu legen. Nach schon damals einhelligem Verständnis des Artikel 38 des IGH‑Statuts kommt es nämlich für die allgemeinen Rechtsgrundsätze darauf an, dass diese in den nationalen Rechtsordnungen vieler und verschiedenster Staaten anerkannt sind. Mosler zitiert das deutsche BGB (15) und wendet seinen Blick keiner anderen nationalen Rechtsordnung zu. Auch in anderen Abschnitten dominieren Beispiele aus dem deutschen Recht, sei es der Grundsatz der Bundestreue aus dem Grundgesetz (31), die Figur des Ermessensspielraums aus dem Verwaltungsrecht (32), oder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verfassungswidrigem Verfassungsrecht (38).

Immerhin ist aber auch der europäische Geist Moslers (der ab 1959 als Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte diente) erkennbar. So nimmt Mosler Bezug auf die Rechtsprechung dieses Gerichts (32) und führt, wie schon erwähnt, die Europäischen Gemeinschaften als Organisationen an, deren Mitgliedsstaaten in eine Beschränkung ihrer Vertragsfreiheit eingewilligt haben (20‑21). Dennoch: nationale oder regionale Beispiele jenseits des deutschen oder europäischen Rechtskreises fehlen. Das erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Mosler zur selben Zeit Direktor eines Instituts war, zu dessen Aufgaben es zählte, Rechtsvergleichung auch mit Rechtsordnungen außerhalb der Grenzen Europas zu betreiben. Auch der Umstand, dass Mosler seinen (später überarbeiteten) Aufsatz zunächst als Vortrag vor der Schweizerischen Vereinigung für Internationales Recht hielt, kann hier kaum als Erklärung dienen, da Mosler auf das Schweizer Recht ebenfalls in keiner Weise eingeht.

Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass Mosler Denken über das Ius Cogens im Völkerrecht auf ein deutsches und europäisches Vorverständnis beschränkt blieb. Die heutige Völkerrechtswissenschaft würde es zutreffend als Eurozentrismus und epistemischen Nationalismus kritisieren, universelles Völkerrecht durch eine solche Brille zu lesen. Ein Merkmal des epistemischen Nationalismus ist nach dem von Anne Peters geprägten Begriff, dass Zugänge zum Völkerrecht von Vorverständnissen aus dem nationalen Recht verfärbt sind und dadurch ihren universellen Anspruch nicht erfüllen können. Genau dieser Gefahr setzt Mosler sich mit seiner Beschränkung auf überwiegend deutsche Beispiele aus.

4.  Ausblick ins Ungewisse

Trotz dieser methodischen Schwäche und trotz der Unklarheiten, die Moslers Ausführungen zum Konzept des Ius Cogens nicht beseitigen konnten, ist seine Unterscheidung der zwei konzeptionellen Wurzeln des Ius Cogens im Völkerrecht erhellend. Sie mag nämlich eine Erklärung bieten für die bleibende konzeptionelle Unschärfe des Ius Cogens im Völkerrecht. Einerseits wird das Ius Cogens auch heute noch als Grenze der Rechtsetzungsmacht der Staaten gesehen, ähnlich einem Ius Cogens als Gegenbegriff zum Ius Dispositivum. Dann handelt es sich um eine bloße Regelungstechnik, die für beliebige Inhalte und regionales Ius Cogens offen wäre. Andererseits wird das Ius Cogens heute ganz überwiegend mit den grundlegenden Werten der Völkerrechtsgemeinschaft verknüpft, wie es der Ordre‑public‑Konzeption innewohnt und wie zuletzt in den Schlussfolgerungen der Völkerrechtskommission betont. Das konzeptionelle Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Wurzeln des Ius Cogens vermag die bleibende Unschärfe des Ius Cogens im Völkerrecht zu erklären. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ius Cogens im Völkerrecht und in der Völkerrechtswissenschaft weiterentwickeln wird. Entgegen Moslers eingangs zitierter Einschätzung von 1969 scheint mir heute, dass eine abschließende Beurteilung der philosophischen und auch emotionalen Höhepunkte der Diskussion über Ius Cogens ebenso unangemessen wäre wie die damit verbundene Prognose weiterer Völkerrechtsentwicklungen.

Suggested Citation:

Felix Herbert, Hermann Mosler und das „Ius Cogens im Völkerrecht“, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-100215-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

“It seems to me that all the philosophical and emotional highlights of the discussion on ius cogens have already been reached.” – With this assessment from 1969, Hermann Mosler should turn out to be thoroughly mistaken. Numerous states have extensively commented on and criticised the work of the UN International Law Commission (ILC) on ius cogens from 2014 to 2022. Within the ILC itself, the discussion on ius cogens was equally controversial. On the question of the effects of ius cogens on UN Security Council resolutions, for example, a Commission member even warned of the destruction of the UN collective security system and the danger of a third World War. A discussion in the ILC could hardly be more emotional. The philosophical basis of ius cogens is far from settled as well. Contrary to Moslers assessment, “Ius cogens in international law” thus remains extremely controversial even over 50 years later. However, Mosler’s article, published in the 25th edition of the Swiss Yearbook of International Law (pp. 9‑40), cannot simply be dismissed as outdated or obsolete. When revisited, it sheds light on the continuing conceptual ambiguities of ius cogens (2.). At the same time, Mosler’s article illustrates how differently than today German scholars on international law approached a universal phenomenon: unashamedly based on German (and European) preconceptions (3.).

[pdf-embedder url=”https://mpil100.de/wp-content/uploads/2024/02/Hermann-Mosler-Ius-cogens-im-Voelkerrecht.pdf” title=”Hermann Mosler Ius cogens im Völkerrecht”]

1. What is, and why did Mosler Engage with Ius Cogens in International Law?

In international law, ius cogens refers to universally applicable norms that are endowed with special effects. These effects include, among others, the invalidity of legal acts derogating from ius cogens norms. Individual states, for example, cannot conclude a treaty that sets ius cogens aside. Ius cogens in international law is generally said to include such important rules as the prohibition of aggressive war, the prohibition of genocide, and the prohibition of slavery. However, it is disputed whether and to what extent some norms belong to the body of ius cogens, as the details of how a norm acquires ius cogens character are not fully clarified. Various effects of ius cogens also remain contentious, such as their effect on UN Security Council resolutions. In any case, a widely recognised effect of ius cogens is the invalidity of derogating treaties. Ius cogens norms are therefore also referred to as peremptory norms, contrasting with dispositive or derogable norms. At first glance, this non-derogable nature of ius cogens norms conflicts with the classical principle of international law that states make international law, and are therefore free to abolish or amend its rules. As Mosler summarised: “the ius cogens problem thus touches the foundations of international law” (10; quotes translated by the author).

Two circumstances may have prompted Mosler to engage with ius cogens. The extrinsic reason was the negotiation and adoption of the Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT) at the time. Article 53 of this treaty states: “A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law. […] a peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of States as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character.” This formulation also indicates the intrinsic reason that may have sparked Mosler’s interest in ius cogens: The reference to the international community of states, a motif that would remain central in his further work (notably in his 1974 General Course at the Hague Academy, “The international society as a legal community”).

2. Mosler’s Unclear ‘Clarifications’ – Shedding Light on the Ambiguity of Ius Cogens Itself

In retrospect, what does Mosler’s article contribute to the understanding of ius cogens? Mosler identifies two conceptual roots of ius cogens. According to him, the first root of ius cogens is the “traditional concept of ius cogens in domestic law” (9), which refers to a restriction of the freedom of contract. The second root, Mosler argues (14‑28), equates ius cogens with “ordre public”. The following sections shall examine and evaluate Mosler’s distinction.

Ius Cogens as an Antonym to Ius Dispositivum

Mosler characterises traditional ius cogens in a domestic law sense as those norms the legislator determines to be norms from which individuals may not derogate through contract, be it in the interest of the community, or to protect particularly vulnerable individuals. Ius cogens is thus contrasted with ius dispositivum, i.e. those norms individuals are free to derogate from by contract. This distinction presupposes a hierarchical relationship between the legislator and the contracting individuals (15). Ius cogens norms, however, need not be hierarchically superior to other norms; the same source of law can contain both non-derogable and derogable norms. Despite all structural differences to domestic law, Mosler holds that this concept is also transposable to international law (16‑22), because international law is more than a bundle of bilateral and multilateral relations. The international community of states had always exhibited a minimum level of homogeneity and community character (16‑17).

However, Mosler’s subsequent reasoning does not clarify what this reference to the international community means for his understanding of ius cogens in international law. First of all, Mosler emphasises that conceiving states as the legislators of international law would entail that they could also determine which norms to endow with what status or effects – conferring ius cogens status on some, and ius dispositivum status on other norms. With this understanding, regional ius cogens norms are well conceivable: A group of states can create a regional norm by treaty or regional customary law and confer, within their relations, ius cogens status on it. Mosler does not explicate this possibility, but implies it when he cites restrictions on the freedom of contract of the member states of the European Communities as an example of ius cogens (20‑21). In a later section on the emergence of ius cogens (37‑39), however, Mosler refers exclusively to norms of general international law (i.e. applicable to all states), as does the Vienna Convention cited above. This would exclude the possibility of regional ius cogens. In the end, Mosler’s view on the universality of ius cogens remains unclear. Secondly, with this understanding, the content of ius cogens norms could be completely trivial. If states are free to confer ius cogens status on any norm they create, ius cogens norms may have any content. It is unclear how this characteristic can be reconciled with the connection of ius cogens to the community character of the international legal order, which Mosler initially emphasised.

Finally, however, Mosler claims that certain ius cogens norms also arise “from rationally recognisable necessities of coexistence” (18). Thus, some ius cogens norms could be made by states, others would be removed from states’ law-making powers. From today’s perspective, Mosler’s openness to different types of ius cogens norms is astonishing and thought-provoking. Current scholarship still disagrees whether ius cogens norms acquire their status by states conferring it, or from a source beyond states’ control, which can be described as natural or rational law. These two potential sources of ius cogens status are widely regarded as mutually exclusive – in stark contrast to Mosler, who apparently accepts different sources for different ius cogens norms. Overall, Mosler is in favour of understanding ius cogens in international law as an antonym to ius dispositivum, in keeping with domestic ius cogens.

Ius Cogens as the Ordre Public of International Law

In contrast, Mosler is sceptical about the second conceptual root of ius cogens he identified, ius cogens understood as an international ordre public. According to Mosler, ordre public refers to “norms whose respect is necessary for the preservation of the international legal community” (24). These norms protect “legal values that serve the purpose of the legal community”. Ius cogens in the sense of ordre public would be significantly broader than in the domestic sense described above. Beyond restricting freedom of contract, ius cogens so understood would prohibit factual conduct of states (25‑26). Mosler uses the example of the prohibition of the use of force as a norm of ius cogens to illustrate this difference: in addition to the invalidity of a treaty derogating from the prohibition of the use of force, there would then be a prohibition of the individual act of aggression. Mosler ultimately rejects this expansion of ius cogens, arguing that there was no reason to give the clear domestic concept of ius cogens a different content in international law.

However, Mosler then proceeds to argue for a certain expansion of international ius cogens beyond the domestic concept. In international law, ius cogens could also bind states that are “outsiders to law‑making” (26), i.e. those that have not participated in or even reject the creation of the norm in question. Such an effect is irrelevant for domestic ius cogens, since all individuals are bound by the law regardless of their will or their participation in law‑making. This aspect of Mosler’s article has prevailed: Even a state that constantly protests against them (the so‑called persistent objector) is bound by ius cogens norms regardless of its protest.

However, Mosler’s invocation of the North Sea Continental Shelf case of the International Court of Justice (ICJ) to justify this feature of ius cogens is not convincing. The ICJ had assumed that Germany could, under certain circumstances, be bound against its will by a norm of international law invoked by Denmark and the Netherlands. According to Mosler, this assumption only makes sense if one accepts that ius cogens could create such a binding obligation against the will of the state in question (28). Mosler’s reasoning is not cogent though, because the ICJ’s assumption makes sense even without recourse to ius cogens; it may be justified by the rules regarding the creation and effect of customary international law. A contrary intention alone does not prevent a state from being bound by a rule of customary international law; rather, according to the persistent objector rule, this intention must also be clearly expressed in due time, and persistently upheld. Only if the ICJ had established, firstly, that the disputed norm had attained customary international law status and, secondly, that Germany fulfilled the requirements of the persistent objector, would the question have arisen as to whether Germany was still bound by the norm by virtue of its ius cogens character. Accordingly, the North Sea continental shelf case did not play a role in later debates on ius cogens. Perhaps Mosler’s reference to the case simply stemmed from the fact that he had been involved in the ICJ case as an ad hoc judge. Overall, Mosler’s article does not present a stringent account of ius cogens.

3. Mosler’s method: Using Exclusively German and European Examples

In addition to these weaknesses in terms of content, Mosler’s article also suffers from methodological flaws. Mosler’s two‑step argumentation on ius cogens as an antonym to ius dispositivum (first: ius cogens as a principle in domestic law; second: transfer of the principle to international law) is reminiscent of a recognised method for determining general principles of international law. It is surprising how frankly Mosler contended himself in the section on ius cogens in domestic law (14‑16) with looking only at the German legal system to establish ‘the’ domestic meaning of ius cogens that he then used for his further argument. According to the uncontended understanding of Article 38 of the ICJ Statute, also at the time, general principles of law are only such that are recognised in the national legal systems of many different states. Mosler cites the German Civil Code (15) but does not turn his attention to any other national legal system. Other sections of his article are also dominated by examples from the German legal system, be it the principle of federal loyalty enshrined in the Basic Law (31), the concept of the margin of discretion in administrative law (32), or the jurisprudence of the Federal Constitutional Court on unconstitutional constitutional law (38).

At least Mosler’s European spirit (serving as a judge at the European Court of Human Rights since 1959) is recognisable. Mosler refers to the jurisprudence of this court (32) and, as already mentioned, cites the European Communities as organisations whose member states have consented to a restriction of their freedom of contract (20‑21). Nevertheless, examples beyond the German or European legal sphere are completely absent. This is particularly surprising given that Mosler was, at the same time, director of an institute whose expertise includes comparative legal research outside the borders of Europe. The fact that Mosler initially presented his (later revised) article as a lecture to the Swiss Association for International Law can hardly serve as an explanation either, as Mosler makes no reference whatsoever to Swiss law.

The impression therefore arises that Mosler’s reflections on ius cogens in international law were restricted by German and European preconceptions. Today’s international legal scholarship would rightly criticise reading universal international law through such a lens as Eurocentrism and epistemic nationalism. According to Anne Peters, who coined the term, one characteristic of epistemic nationalism is that approaches to international law are coloured by preconceptions from national law and therefore cannot deliver on their universal claim. It is precisely this danger that permeates Mosler’s article by limiting itself to predominantly German examples.

4. Uncertain Prospects

Despite its methodological and conceptual weaknesses of Mosler’s article, his distinction between two conceptual roots underlying ius cogens in international law is enlightening. On the one hand, ius cogens is still seen today primarily as restricting the treaty-making power of states, similar to ius cogens as an antonym to ius dispositivum. In this context, ius cogens serves as a regulatory technique open to any content, and to regional ius cogens norms. On the other hand, ius cogens today is widely linked to fundamental values of the international community, as emphasized by the ordre‑public‑conception and recently reflected in the conclusions of the ILC on ius cogens. The unresolved tension between these two conceptual roots of ius cogens explains the persisting ambiguity of ius cogens in international law. It remains to be seen how ius cogens will evolve in international law and international legal scholarship. Contrary to Mosler’s assessment from 1969 quoted at the beginning, it seems to me today that it would be inappropriate to claim an ultimate assessment of the philosophical and emotional highlights of the discussion on ius cogens, as would be a prediction of future developments of public international law entailed thereby.

Suggested Citation:

Felix Herbert, Hermann Mosler and „Ius Cogens in International Law“, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-100310-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

Von Pfeifenrauch und „klingelnden Weckern“. Das Institut in den siebziger und achtziger Jahren

Pipe Smoke and "Ringing Alarm Clocks". The Institute in the Seventies and Eighties

Deutsch

Von Berlin nach Heidelberg. Wie ich 1968 ans Institut kam

Den ersten Kontakt zum Institut hatte ich im Wintersemester 1968/69. Eigentlich hatte ich das erste Staatsexamen an der Freien Universität Berlin ablegen wollen. Dort hatte ich, mit Ausnahme zweier Semester in Heidelberg, die meiste Zeit studiert. Doch die damaligen Studentenunruhen hatten am Ende auch die Juristische Fakultät in Berlin erreicht, sodass ich nach Heidelberg zurückgekehrt war. Viele Lehrveranstaltungen hatte ich nicht mehr zu absolvieren, aber ein völkerrechtliches Seminar von Professor Mosler, dem damaligen Direktor des Instituts, reizte mich. Es wurde dann aber nicht von Mosler geleitet, der als ad hoc Richter im Nordsee-Festlandsockel-Fall an den IGH in Den Haag berufen worden war, sondern von Professor Doehring, und nicht in der Fakultät, sondern im Institut. Die Art, wie Professor Doehring das Seminar leitete, hat mich sehr beeindruckt, und so beschloss ich, auch seine Vorlesung zu besuchen; wohl die einzige, die ich jemals um acht Uhr morgens wahrgenommen habe.

Ich traf Professor Doehring wieder im mündlichen Ersten Staatsexamen im Juni 1970, in dem er zu Beginn den Kandidaten sagte, er wolle nicht seine (bekannte oder vermutete) Meinung hören, sondern würde auch eine andere akzeptieren, sofern sie schlüssig begründet sei. Später hörte ich, dass er auch eine der Klausuren gestellt hatte und ich dachte, dass das wohl auch bei der Benotung gegolten hatte.

Das Institutsgebäude in der Berliner Straße 1975[1]

Nach der mündlichen Prüfung (Endergebnis „gut“ und Platzziffer 3) kam Professor Doehring auf mich zu und fragte: „Was machen Sie jetzt?“ Ich antwortete: „Referendarzeit“. Professor Doehring: „Langweilig.“ Ich meinte dann, vielleicht arbeite ich daneben in einer Anwaltskanzlei, woraufhin er sagte: „Warum kommen Sie nicht ans Institut, das kennen Sie ja schon etwas?“ Da musste ich nicht lange überlegen und wurde zum 1. September 1970 von dem neuen (zusätzlichen) Direktor Professor Bernhardt als Wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt.

Über Ostfriesland ins Japan-Referat. Referentenstellen und Länderreferate

Das Institut war in den 1970er und 1980er Jahren noch bedeutend kleiner als heute. Untergebracht war es damals noch im 1954 errichteten Gebäude in der Berliner Straße, erst 1997 wurde das heutige Institut errichtet und durch den 2019 eingeweihten Ergänzungsbau noch einmal bedeutend erweitert. Gibt es heute 24 wissenschaftliche Mitarbeiter und 31 Referenten, waren es seinerzeit nur 21 sogenannte Referentenstellen. Im Unterschied zu heute wurden sie jedoch ganz überwiegend als volle Stellen vergeben, mit Ausnahme der Stellen jener, die parallel den Referendardienst absolvierten. Mit Ablegen des 2. Staatsexamens, spätestens nach erfolgter Promotion, wurden die Stellen entfristet. Folglich gab es nur so viel wissenschaftliche Mitarbeiter wie Stellen.

Das wiederum hatte zur Folge, dass sich alle gut kannten und wussten, woran jeder arbeitete, auf Zuweisung durch die Institutsleitung oder an eigenen Projekten. Wenn man selber auf ein Problem stieß, ging man zu dem entsprechenden Referenten und bat um Rat, der – soweit möglich – immer gegeben wurde.

Zugewiesen wurden den Referenten zur Beobachtung jeweils ein Land und ein völkerrechtliches Sachthema, die in Abständen geändert wurden. Da aus meinem Lebenslauf bekannt war, dass ich die ersten zehn Jahre nach dem Krieg in Ostfriesland sozialisiert wurde, bekam ich als erstes die Niederlande, und da ich zwischen Abitur und Studium zum Reserveoffizier ausgebildet worden war, das Thema der UN-Streitkräfte. Später bekam ich Japan, und als in der Ausstellung neuerworbener Bücher, die man mit einem Zettel zur Ansicht bestellen konnte, eines auf Japanisch enthalten war, habe ich meinen Zettel angehängt. Danach hielt sich lange in der Bibliothek der Eindruck ich sei des Japanischen mächtig.

Das Durchschnittsalter der wissenschaftlichen Mitarbeiter war damals höher als heute. Einige wenige waren bereits habilitiert oder standen kurz davor und wechselten 1971 auf Lehrstühle (Helmut Steinberger, Christian Tomuschat). Andere waren bereits promoviert und arbeiteten an ihrer Habilitation oder bereiteten sich auf die Aufnahmeprüfung in den Auswärtigen Dienst vor.

… auch noch Chefredakteur

So gegen Ende der siebziger Jahre wurde ich gefragt, ob ich mir zutraute, die Redaktion des Instituts zu übernehmen. Ich zögerte etwas, denn ich war mitten in der Arbeit an meiner Habilitationsschrift und war mir im Klaren, dass das deren Abschluss verzögern würde. Letztlich nahm ich aber an, denn mir wurde zugesagt, nach erfolgter Habilitation eine C3-äquivalente Stelle zu bekommen, die ansonsten nur noch der Direktor der Bibliothek hatte.

Mit der Redaktion war ich schon einmal ganz am Anfang meiner Tätigkeit in Berührung gekommen, als es darum ging, das Register für einen umfangreichen rechtsvergleichenden Konferenzband zu erstellen; später nur dann, wenn ich eine Buchbesprechung verfasst hatte, die der langjährige Leiter der Redaktion, Dr. Strebel, zuweilen kräftig umformulierte, bis ich ihm sagte, ich hätte das Buch gelesen, und wenn er die Rezension anders haben wollte, solle er es lesen und besprechen; da hörte das auf.

Hauptaufgabe der Redaktion war die vom Institut herausgegebene „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV)“, in der von außen angebotene oder im Haus entstandene Artikel in vier Heften pro Jahr veröffentlicht wurden. Reichten die von außen kommenden und angenommenen Beiträge nicht aus, erging ein Aufruf an die Mitarbeiter, zu prüfen, welche Manuskripte sie aus ihrem Arbeitsgebiet beisteuern könnten.

Sämtliche Manuskripte landeten zunächst auf meinem Schreibtisch und ich musste sie gründlich lesen und zudem auch hin und wieder durch einen Blick in die (zitierte) Literatur überprüfen. Offensichtlich ungeeignete Angebote habe ich eigenständig und so höflich wie möglich abgelehnt, es sei denn, es war ein sehr prominenter Kollege; dann habe ich mich der Zustimmung der Direktoren versichert. Einmal habe ich ein überwiegend strafrechtlich-kriminologisches Manuskript von Professor Heike Jung von der Universität des Saarlandes abgelehnt und an „Frau Professor Jung“ geschrieben, mit dem Schwerpunkt würde man den ansonsten interessanten Artikel in der ZaöRV nicht suchen bzw. finden. Als ich nach einiger Zeit im Rahmen einer Bewerberrunde in Saarbrücken einen Vortrag hielt, kam ein großer, kahlköpfiger Mann auf mich zu und sagte: „Ich bin Frau Jung.“ Dass in Süddeutschland Heike auch ein männlicher Vorname war, wusste ich damals nicht. Als es mich dann später nach Saarbrücken verschlug, wurden wir gute Freunde.

Vorstellung des neuen Fontes-Bandes (Sectio 2, nationale Rechtsprechung). Albert Bleckmann, Kay Hailbronner, Werner Morvay und Karl Doehring, 1970er [2]

Beiträge, die ich annehmen wollte, legte ich dem jeweils geschäftsführenden Direktor vor, der fast ausnahmslos zustimmte. Bei Manuskripten aus dem Haus war das nicht immer so. Einige wenige Mitarbeiter wurden grundsätzlich kritisch gesehen und ihr Beitrag nach wenigen Randbemerkungen auf den ersten Seiten abgelehnt. Ich habe dann regelmäßig interveniert und gesagt, sicherlich könne man manches verbessern, aber so schlecht sei das nicht, man müsse es nur zu Ende lesen.

Ich hätte die Habilitation neben der Redaktionsleitung nicht in einer zumutbaren Zeit geschafft ohne die Hilfe der sehr erfahrenen und tüchtigen Damen in der Redaktion: Frau Makarov, Frau Neureither und später auch Frau Schmidt.

Einen „Defekt“ habe ich aus jener Zeit des gründlichen Lesens behalten: Ich finde nahezu jeden Schreib- oder Tippfehler in Büchern oder Tageszeitungen.

Arbeit an den Quellen Fontes Iuris Gentium

Nach Art. 38 Abs.1 d) des Statuts des Internationalen Gerichtshofes (IGH) dienen unter anderem richterliche Entscheidungen der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von (völkerrechtlichen) Rechtsnormen. Eine kleinere Arbeitsgruppe (fünf bis sechs Mitarbeiter) unter Leitung von Professor Doehring hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Rechtsprechung deutscher oberer und oberster (in Ausnahmefällen auch mal erstinstanzlicher) Gerichte daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie als solches Hilfsmittel angesehen werden konnte. Die Sache war recht arbeitsintensiv: Zunächst wurden die amtlichen Entscheidungssammlungen, die oft verzögert erschienen, und die Fachzeitschriften daraufhin durchgesehen, ob sie einschlägige Entscheidungen enthielten, die dann kopiert wurden. Das hatte die Arbeitsgruppe unter sich aufgeteilt und traf sich dann, um zu beraten, ob und welche Aussagen (Leitsätze) daraus entnommen, sachlich geordnet und unter Angabe der Fundstelle in aufwendig gedruckten dicken Bänden sehr viel später veröffentlicht werden sollten. Die Debatten dauerten oft lange, denn eine Erkenntnis war, dass ein erheblicher Teil der Aussagen deutscher Gerichte zum Völkerrecht schlicht falsch war. Das legte die Schlussfolgerung nahe, dass die Einordnung des Völkerrechts als bloßes Wahlfach in der juristischen Ausbildung nicht ausreichend war (und ist). Da der Absatz dieser dicken Bände nicht dem Aufwand für ihre Erstellung entsprach, wurde das Projekt ab den 1980ern nicht weiterverfolgt.

Heidelberger “Kaffeehauskultur“: Das Café Frauenfeld

Die Café-Runde: Albert Bleckmann, Torsten Stein, Werner Morvay und Hartmut Schiedermair (Foto: MPIL)[3]

Jeden Werktag um 10 Uhr machte sich ein kleiner Trupp (Albert Bleckmann, Werner Morvay, Georg Ress, Hartmut Schiedermaier – mich hatten sie adoptiert) auf in das nahegelegene Café Frauenfeld in der Mönchhofstraße (heute ist da die Sparkasse). Dort haben wir bei einem Kaffee oder zwei unsere wissenschaftlichen Projekte reihum diskutiert und oft auch allgemeinpolitische Fragen. Ein besonderes Thema war immer die Dissertation von Werner Morvay. Er war hoch intelligent, sehr belesen und kenntnisreich, aber sich selbst gegenüber sehr kritisch und von wechselnder Gemütslage. So kam es wiederholt vor, dass er auf die Frage nach seiner Arbeit antwortete, er habe alles zerrissen, das genüge seinen Ansprüchen noch nicht. Sein Thema war die Dekolonisierung des Commonwealth.[4] Wir baten ihn dann, uns doch in Kopie zu geben, was er neu zu Papier gebracht hatte, damit wir uns ein Bild machen konnten. So hatten wir am Ende das komplette Manuskript, auch wenn er wieder mal etwas zerrissen hatte. Schließlich reichte er es unter unserer Aufsicht ein und wurde damit an der Heidelberger Fakultät promoviert; wenn ich es richtig erinnere: summa cum laude. Das zeigt, jenseits der bloßen Kollegialität, die besondere Kameradschaft, die nicht zwischen allen, aber doch einigen herrschte.

Die Referentenbesprechung und danach

Jeden Montag von 16 bis 18 Uhr fand die Referentenbesprechung statt, die 2022 in Montagsrunde / Monday Meeting unbenannt wurde. Die Teilnahme war ungeschriebene Pflicht. Sie diente den berichtenswerten Mitteilungen aus den Sach- und Länderreferaten der Referenten. Themen aus eigenen Projekten oder Gastvorträge waren die eher seltene Ausnahme. So waren alle über die Entwicklungen in den anderen Zuständigkeitsbereichen informiert. Die Dauer war auf jeweils 15 Minuten begrenzt, damit möglichst viele zu Wort kamen. Wer deutlich überzog, bekam unauffällig die Zeichnung eines „heftig klingelnden Weckers“ durchgereicht, was in den allermeisten Fällen zu kurzen Schlussworten führte. Nachdem Professor Frowein 1981 als Direktor in das Institut eingetreten war, erübrigte sich der „Wecker“. Wenn jemand überzog, klopfte er tonlos, aber unübersehbar auf seinen Siegelring.

Lange Zeit durfte während der Referentenbesprechung geraucht werden. Da waren die Pfeifenraucher an vorderster Front: Michael Bothe, Karl Doehring, Helmut Steinberger und auch ich selbst. Als das abgeschafft wurde, war die Luft anders, aber nicht unbedingt besser.

Nach der Referentenbesprechung gingen viele, aber nicht alle, in ein Handschuhsheimer Lokal, mal das „Alt Hendesse“, mal das „Lamm“, und diskutierten intensiv den einen oder anderen Beitrag des Nachmittags oder andere aktuelle völkerrechtliche Fragen bei Bier oder Wein und etwas zu Essen. Professor Mosler war nie dabei, Professor Doehring immer, Professor Bernhardt oft und Professor Frowein hin und wieder. Diese „Nachsitzungen“ haben wesentlich zum Zusammengehalt beigetragen. Leider kamen sie in den späten achtziger Jahren mehr und mehr außer Mode.

Was war anders damals? Ob seiner geringeren Größe und dem Engagement seiner Mitglieder war das Institut so etwas wie eine wissenschaftliche Familie.

 

[1] Foto: Max-Planck-Gesellschaft (Hrsg.), Berichte und Mitteilungen. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg 2 (1975), S. 9.

[2] Foto: MPIL.

[3] Foto: MPIL.

[4] 1974 in der „Schwarzen Reihe“ erschienen: Werner Morvay, Souveränitätsübergang und Rechtskontinuität im Britischen Commonwealth. Ein Beitrag zur Lehre von der Staatensukzession, Heidelberg: Springer 1974.

Suggested Citation:

Torsten Stein, Von Pfeifenrauch und „klingelnden Weckern“. Das Institut in den siebziger und achtziger Jahren, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240404-211138-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

From Berlin to Heidelberg. How I Joined the Institute in 1968

I first came into contact with the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law in the winter semester of 1968/69. Originally, I had intended on taking my first state examination at Freie Universität Berlin. With the exception of two semesters in Heidelberg, I had studied there for most of my degree. However, the student riots at the time had also reached the Faculty of Law in Berlin, and so I had decided to return to Heidelberg. I did not have to attend a lot of courses anymore, but I was intrigued by an international law seminar by Professor Mosler, the director of the institute at the time. The seminar was, however, not led by Mosler, after all, as he had been appointed as an ad hoc judge in the North Sea Continental Shelf case at the ICJ in The Hague, but instead by Professor Doehring; and it was not held at the faculty, but at the Institute. I was very impressed by the way Professor Doehring conducted the seminar, and so I decided to join his lecture too; probably the only one I have ever attended at eight o’clock in the morning.

I met Professor Doehring again in my oral state examination in June 1970, which he opened by telling the candidates he did not want to hear his (known or assumed) own opinion, but would gladly accept a different one, if it was conclusively justified. I later heard that he had also set one of the exams and I figured that this had probably also been applied in the grading.

The institute building in the Berliner Straße 1975[1]

After the oral exam (final result “good” and rank number 3), Professor Doehring came up to me and asked: “What are you doing now?”;I replied: “my legal clerkship [Referendariat]”;Professor Doehring: “Boring”. I stated that I might be doing side work in a law firm, to which he replied: “Why don’t you come to the institute, since you already know it a bit?”. I didn’t have to think twice and was hired as a research assistant (wissenschaftliche Hilfskraft) by the new (additional) director, Professor Bernhardt, on 1 September 1970.

Via East Frisia to the Japan Department. Lecturer Positions and Country Departments

In the 1970s and 1980s, the institute was significantly smaller than it is today. At that time, it was still housed in the building in Berliner Straße from 1954; the current institute was not built until 1997 and was significantly expanded once again with the extension inaugurated in 2019.  While today there are 24 scientific employees and 31 research fellows, back then there were only 21 so-called research fellow positions. Unlike today, however, most of these were full-time positions, with the exception of those who were absolving their legal clerkship at the same time. Once they had passed the second state examination, or at the latest after completing their doctorate, the positions were made permanent. As a result, there were only as many scientific employees as there were posts.

This, in turn, meant that everyone knew each other well and knew what everyone was working on, either on assignment by the directors or on their own projects. Whenever anyone encountered a problem, they went to the relevant researcher and asked for advice, which – as far as possible – was always given.

The research fellows were each assigned a country and an international law topic to observe, which were changed periodically. As it was known from my CV that I was socialised in East Frisia (in North-West Germany) for the first ten years after the war, I was first given the Netherlands, and as I had been trained as a reserve officer between high school and university, the topic of the UN armed forces. Later I got Japan, and when the collection of newly acquired books, which you could order with a note, included one in Japanese, I attached mine to it. After that, the impression that I spoke Japanese persisted in the library for a long time.

The average age of the scientific employees was higher back then than it is today. A few had already completed their habilitation or were about to do so and moved on to department chairs in 1971 (Helmut Steinberger, Christian Tomuschat). Others had already obtained their doctorate and were working on their habilitation or preparing for the admission examination to the Foreign Service.

…  Editor-In-Chief to Boot

Towards the end of the seventies, I was asked whether I thought I was capable of taking over the editorial department of the Institute. I hesitated a little because I was in the middle of writing my habilitation thesis and realised that this would delay its completion. In the end, however, I accepted because I was promised a C3-equivalent position after completing my habilitation, which otherwise only the director of the library had.

I had already come into contact with the editorial department once, at the very beginning of my work, while compiling the index for a comprehensive comparative law conference volume; later on, only when I had written a book reviews, which the long‑standing head of the editorial team, Dr Strebel, often reformulated considerably, until I told him that I had read the book and if he wanted the review to be different, he should read and discuss it himself; that’s when that stopped.

The main task of the editorial team was the “Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV;English Title: Heidelberg Journal of International Law, HJIL) published by the Institute, in which articles offered from outside or written in-house were published in four issues per year. If the articles submitted and accepted from outside were not sufficient, a call went out to the staff to check which manuscripts they could contribute from their field of work.

All manuscripts landed on my desk first and I had to read them thoroughly and occasionally double‑check them by looking at the (cited) literature. I rejected obviously unsuited offers independently and as politely as possible, unless they came from a very prominent colleague; then I made sureto get the directors’ assent. . I once turned down a manuscript, which was mainly focussed on criminal law and criminology, by Professor Heike Jung from Saarland University and wrote to “Frau Professor Jung” to say that the otherwise interesting article would not be looked for or found in the ZaöRV. Sometime later, when I was giving a presentation as part of an application process in Saarbrücken, a tall, bald man came up to me and said “I am Mrs Jung”. I didn’t realise at the time that Heike is a first name also common for men in Southern Germany. When I later moved to Saarbrücken, we became good friends.

Presentation of the new Fontes Edition (Sectio 2, national case law): Albert Bleckmann, Kay Hailbronner, Werner Morvay and Karl Doehring, 1970s [2]

Contribution I wanted to accept were submitted to the managing director, who mostly agreed. This was not always the case with manuscripts from within the Institute. A few employees were generally viewed critically and their contributions were rejected after a few marginal comments on the first few pages. I would then regularly intervene and say that while some things could certainly be improved, the article was not that bad, you just had to read it to the end.

I would not have been able to complete my habilitation in a reasonable amount of time without the help of the very experienced and capable women in the editorial team: Mrs Makarov, Mrs Neureither, and later also Mrs Schmidt.

I have retained one “defect” from those days of thorough reading: I spot almost every spelling mistake or typo in books and newspapers.

Working with the Sources. Fontes Iuris Gentium

According to Art. 38 para. 1 d) of the Statute of the ICJ, judicial decisions from different nations, among other things, serve as subsidiary means for the determination of international legal norms. A small working group (five to six staffers) headed by Professor Doehring had set out to analyse the case law of the German upper and federal courts (and in exceptional cases also of the lower courts) to determine whether and to what extent it could function as such an aid. The task was quite labour-intensive: First, the official collections of decisions, which were often published with a delay, and the specialist journals were examined to see whether they contained relevant decisions, which were then copied. The working group divided this up among themselves and subsequently met to discuss whether and which guiding principles (Leitsätze) should be extracted from them, organised materially and finally published, citing the relevant source, in lavishly printed, thick volumes, much later. The debates often dragged on for a long time, as one insight was that a considerable portion of the statements made by German courts on international law were simply wrong. This suggested that the categorisation of international law as a mere elective subject in legal education was (and is) insufficient. As the sales of these thick volumes did not match the effort required to produce them, the project was discontinued in the 1980s.

“Coffee House Culture” in Heidelberg. Café Frauenfeld

The café circle: Albert Bleckmann, Torsten Stein, Werner Morvay and Hartmut Schiedermair [3]

Every weekday at 10 a.m., a small group (Albert Bleckmann, Werner Morvay, Georg Ress, Hartmut Schiedermaier – I was adopted by them) set off for the nearby Café Frauenfeld in Mönchhofstraße (near the institute, in Heidelberg-Neuenheim, today a bank is located there). There, over a coffee or two, we discussed our respective scientific projects and often broader political issues as well. A special topic was always Werner Morvay’s dissertation. He was highly intelligent, very well-read, and knowledgeable but very critical of himself and moody. On multiple occasions, when asked about his work, he replied that he had torn everything up as it did not meet his standards yet. His topic was the decolonisation of the Commonwealth.[4] We then asked him to give us a copy of what he had recently put down on paper so that we could get an idea. Finally, we were in possession of the complete manuscript, despite him having torn things up again. In the end, he submitted it under our supervision and was awarded his doctorate from the Heidelberg faculty of law; if I remember correctly: summa cum laude. This shows, beyond mere collegiality, the special camaraderie that prevailed, not between all, but nevertheless between some.

The Referentenbesprechung and Beyond

Every Monday from 4 to 6 p.m., it was time for the Referentenbesprechung, which was renamed Monday Meeting (Montagsrunde) in 2022. Attendance was an unwritten requirement. It was used for newsworthy announcements from the speakers’ specialist and country departments. Topics from their own projects or guest lectures were the rare exception. This meant that everyone was informed about developments in the other departments. The duration of each presentation was limited to 15 minutes so that as many people as possible could have their turn. Those who clearly exceeded their time were inconspicuously handed a drawing of a “fiercely ringing alarm clock”, which in the vast majority of cases led to short closing remarks. After Professor Frowein joined the institute as a director in 1981, the “alarm clock” became superfluous. If someone took too long, he would tap his signet ring silently but unmistakably.

For a long time, smoking was allowed during the Referentenbesprechung. The pipe smokers were at the forefront: Michael Bothe, Karl Doehring, Helmut Steinberger and also myself. When this was abolished, the air was different, but not necessarily better.

After the meeting, many, but not all, attendees went to a restaurant in Handschuhsheim, sometimes the “Alt Hendesse“, sometimes the “Lamm“, and intensively discussed one or the other of the afternoon’s contributions or other current international law issues over beer or wine and something to eat. Professor Mosler was never there, Professor Doehring always, Professor Bernhardt often and Professor Frowein from time to time. These “after-sessions” contributed significantly to the sense of cohesion. Unfortunately, they increasingly fell out of fashion in the late 1980s.

What was different back then? Due to its smaller size and the commitment of its members, the Institute was much like a scientific family.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Photo: Max Planck Society (ed.), Berichte und Mitteilungen. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg 2 (1975), p. 9.

[2] Photo: MPIL.

[3] Photo: MPIL.

[4] Published in 1974 in the “Schwarze Reihe“: Werner Morvay, Souveränitätsübergang und Rechtskontinuität im Britischen Commonwealth. Ein Beitrag zur Lehre von der Staatensukzession, Heidelberg: Springer 1974.

Suggested Citation:

Torsten Stein, Pipe Smoke and “Ringing Alarm Clocks”. The Institute in the Seventies and Eighties, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240404-211042-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED