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Vom Kriegsgefangenen-Lager zum Völkerrechts-Colloquium: Drei Schlaglichter auf die Biographie Rudolf Bernhardts im Kontext der Institutsgeschichte nach 1945

Die berufliche Laufbahn meines Vaters Rudolf Bernhardt (1925-2021) war in vielfältiger Weise mit dem MPIL verbunden, arbeitete er doch hier zunächst von 1954 bis 1965 als Referent, dann von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1993 als einer der Direktoren und blieb dem Institut auch danach eng verbunden.[1] Dieser Beitrag deutet anhand von drei Lebensausschnitten – der Kriegsgefangenschaft 1945-47, der Zeit der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre sowie der Völkerrechtskolloquien mit Polen ab 1974 – schlaglichtartig an, wie sich einige seiner persönlichen und wissenschaftspolitischen Positionen im zeitgeschichtlichen Kontext herausbildeten und artikulierten. Solche individuellen Werdegänge und Sichtweisen haben, wie bereits für andere Führungspersönlichkeiten am Institut, zum Beispiel Hermann Mosler und Karl Doehring, gezeigt wurde,[2] die Entwicklung des MPIL nicht unwesentlich geprägt. Neben den hier präsentierten drei „Schlaglichtern“, die vorrangig aus den privaten Tagebüchern nachgezeichnet werden, ließen sich natürlich zahlreiche weitere anführen, die in anderen Artikeln dieses Blogs auch gestreift werden.[3] Dass der vorliegende Beitrag aus meiner sehr speziellen Perspektive als Sohn Rudolf Bernhardts und professioneller Zeithistoriker geschrieben ist, wird am Schluss kurz reflektiert.

1. Eindrücke aus der Kriegsgefangenschaft

Die gut zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947 hat mein Vater als junger Mann mehrfach nur mit viel Glück und äußerst knapp überlebt. Sein 1948 dazu niedergeschriebener detaillierter Erfahrungsbericht, der erstmals 76 Jahre später im April 2024 im Franz-Steiner Verlag veröffentlicht wurde,[4] gewährt drastische Einblicke in seine Erlebnisse in den sowjetischen Arbeitslagern nordöstlich von Moskau. Immerhin waren ihm in der Kriegszeit eine persönliche Verwicklung in Kampfhandlungen und damit die traumatischen Kriegserfahrungen vieler Altersgenossen, insbesondere an der „Ostfront“, erspart geblieben. Als 18-Jähriger am 1. Juli 1943 zur Reichswehr einberufen, hatte er in seiner zweijährigen Soldatenzeit bis Kriegsende eine Fliegerausbildung an mehreren „Fliegerhorsten“ bzw. Flugschulen im „Altreich“, wie zum Beispiel in Oschatz und Werder an der Havel, absolviert. Von dort aus war er auch periodisch zu Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen in Städte wie Nürnberg und Berlin abgeordnet und am 1. Mai 1945 bei Potsdam von sowjetischen Truppen festgenommen worden.[5]

Vier markante Aussagen aus dem genannten Bericht von 1948 reflektieren wichtige Erfahrungen und Schlussfolgerungen des 22-jährigen Rudolf Bernhardt:
Erstens und vor allem schildert der Bericht die extremen Lebensbedingungen in den sowjetischen Arbeitslagern, in denen mein Vater härteste Waldarbeit verrichten und wiederholt lebensgefährliche Gefahrensituationen und Erkrankungen überstehen musste. Zweitens übte er aus der Perspektive eines jungen, einfachen Gefangenen vom untersten Ende der brutalen Lagerhierarchie scharfe Kritik am Regime der als „Brigadeleiter“ fungierenden, vielfach privilegierten deutschen Offiziere, die er verantwortlich machte für zahlreiche willkürliche Gewaltexzesse und vermeidbare Todesfälle von Mitgefangenen. Drittens artikulierte er, in der einfachen Diktion eines 22-Jährigen, in kategorischer Abgrenzung zum NS- und zum sowjetischen Regime eine emphatische Ablehnung von „Militarismus“ und jedwedem „Nationalismus“. Viertens schließlich erörterte er, in kritischer, aber relativ nüchterner Diktion, weitere Seiten des Sowjetregimes, dem er zwar gewisse Erfolge bei der Alphabetisierung und Industrialisierung zugestand, dessen Wirtschaftssystem, massive Propaganda und brutale Unterdrückung der Zivilgesellschaft er aber strikt ablehnte.[6]

Wie wirkten nun diese Erlebnisse und Wertungen des 22-Jährigen in seiner späteren Laufbahn als Völkerrechtler, Direktor am MPIL und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nach? Auf den ersten Blick – scheinbar gar nicht: In seinen zwei veröffentlichten berufsbiographischen Skizzen widmet er ihnen nur wenige, zurückhaltende Sätze,[7] im Familiengespräch wurden sie kaum thematisiert,[8] eine direkte Einwirkung auf berufliche Richtungsentscheidungen – von der Wahl des Studienfachs, des Promotionsthemas oder der Forschungsschwerpunkte Völkerrecht und Menschenrechte bis zur Tätigkeit als Richter am EGMR – ist nicht dokumentiert, teilweise sogar auszuschließen.[9]
Jedoch formten diese frühen Erlebnisse zweifellos persönliche Grundhaltungen, die in seine Berufstätigkeit als ein Faktor unter mehreren einflossen, so zum Beispiel in kollegiale Beziehungen und wissenschaftspolitische Positionierungen. Zu diesen Grundhaltungen gehörten eine geringe Affinität zum militärischen Habitus und Denken – auch weil ihm der „Krieg als Primärerfahrungsraum“ [10] vieler Altersgenossen erspart geblieben war –, eine entschieden transnationale Orientierung,[11] eine nüchtern-distanzierte Haltung gegenüber der Sowjetunion sowie eine lebensbejahende und humanistische Weltsicht. Einen Beleg für diese These eines unterschwelligen, aber prägenden Nachwirkens der Erfahrungen aus der Kriegsgefangenschaft  findet sich in einer prägnanten Bemerkung seines amerikanischen Kollegen und Freundes Thomas Buergenthal in der Laudatio zum 80. Geburtstag meines Vaters 2005:

„I developed great affection to him, no doubt also influenced by the fact that his years as prisoner of war and mine in a concentration camp have given us a shared appreciation of the joy of being alive and a profound belief in the need to promote laws and institutions capable of contributing to a world in which future generations are spared the suffering our generation and that of our parents had to endure.” [12]

Generationengeschichtliche Konstellationen

In einer erweiterten historischen Sicht auf die ersten Nachkriegsjahre in der Bundesrepublik ist zu erkennen, dass die Grundhaltungen meines Vater sich erfahrungs- und generationengeschichtlich stark mit denen der sogenannten „Flakhelfer“-Generation der Jahrgänge 1926 bis 1930 deckten, die Heinz Bude als Träger- und Aufstiegsgeneration der Bundesrepublik untersucht und entschieden von der nur wenig älteren „Kriegsgeneration“ des Zweiten Weltkriegs abgegrenzt hat.[13] Ohne hier auf Details einzugehen ist festzuhalten, dass die Angehörigen der Flakhelfer-Generation, so auch mein Vater, als Jugendliche der massiven Indoktrination des NS-Systems ausgesetzt gewesen waren und dessen Niederlage auch als Zusammenbruch einer sie prägenden Weltanschauung erlebten. Für die darauf gemünzte, bekannte zeitgenössische Diagnose des Soziologen Helmut Schelsky von der gegenüber politisch-ideologischen Großentwürfen „skeptische(n) Generation“ (1957)[14] enthält der Erfahrungsbericht meines Vaters von 1948 zahlreiche charakteristische Formulierungen.[15] Eine vergleichende generationengeschichtliche  Analyse unter Einschluss der anderen Führungspersönlichkeiten des MPIL, wie für die gesamte Belegschaft, könnte aufschlussreiche Einblicke in personelle Konstellationen und sozialkulturelle Wandlungsprozesse im Institut liefern.

Geburtsjahr und Amtszeiten der Direktoren des MPIL 1954-2002. Es ist ersichtlich, dass alle in dieser Zeit amtierenden Direktoren den Nationalsozialismus bewusst erlebt haben, jedoch war nur einer (Karl Doehring) als Militär in Kriegshandlungen aktiv.

Wenn Bude, wie auch andere, die Rezeption zeitgenössischer belletristischer Literatur als einen der prägenden wie abgrenzenden Indikatoren zwischen den Nachkriegs-Generationen anführt und für die „Flakhelfer-Generation“ Namen wie Günter Grass, Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser oder Ingeborg Bachmann nennt,[16] so bestimmten diese Autoren tatsächlich auch den frühen Lektürekanon meines Vaters. Im Rahmen seines Jurastudiums an der Universität Frankfurt am Main ab dem Wintersemester 1948 hat er neben den Seminaren in seinem Kernfach auch Veranstaltungen anderer Fächer besucht, so zum Beispiel des Philosophen Max Horkheimer sowie zur Philosophie- und Literaturgeschichte. Dazu exzerpierte er auf hunderten von Seiten den klassischen Philosophie- und Literaturkanon, von Platon und Sophokles über Kant und Schiller bis zu Balzac und Tolstoi.[17] Die Stillung eines aufgestauten Lesehungers hat er in den ersten Nachkriegsjahren buchstäblich als zweite Befreiung erlebt, ebenso wie private Fahrten nach West- und Südeuropa. Letztere verankerten und festigten früh, zusammen mit den ersten beruflichen Auslandsreisen 1953 zum „Salzburg Seminar in American Studies“ und 1959 an die Harvard Law School in den USA, seine „transnationale“ Orientierung.[18]

Salzburg Seminar in American Studies 1953, Gruppenfoto (Rudolf Bernhardt dritte Reihe von unten ganz rechts)[19]

2. Die Zeit der „Studentenunruhen“

Bekanntlich trat mein Vater nach seiner Promotion bei Hermann Mosler 1954 in das MPIL ein und arbeitete dort für gut zehn Jahre als Wissenschaftlicher Referent, bis er 1965 auf das Ordinariat „Öffentliches Recht IV“ an der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt berufen wurde.[20] Als relativ junger Professor, der sich auf der „liberal-konservativen“ Seite des politischen Spektrums verortete und just beim Beginn der Studentenrevolte 1967/68 die Würde und Bürde des Dekans der juristischen Fakultät übertragen bekam, fand er sich in der Folgezeit generationell und hochschulpolitisch zwischen allen Stühlen wieder.

Protestaktionen der Studierenden einerseits, wie Sitzblockaden – bei deren Überwinden ihn ein bekanntes zeitgenössisches Foto zeigt – und die Erwartungen konservativer Kollegen sowie Gespräche mit dem Konrektor der Universität andererseits, erzeugten hochschulpolitische und alltagskulturelle Zerreißproben. Sie werden in den Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit deutlich: „Demagogisch aufgehetzte Studentenmengen in der Universität, Belagerungen von Konzil und Senat (…), systematische Störungen von Veranstaltungen und verabredeten Diskussionen, durch radikale, ideologisch und praktisch begabte Minderheiten (…)“. [21] „Als gerade gekürter Dekan hatte ich mich nach allen Seiten zur Wehr zu setzen, auch gegen manche Kollegen“.[22] „Unter den Professoren erzkonservative und auch (ehrlich oder opportunistisch) radikal-progressive Exemplare, die Mitte wird zerschlissen“. [23]

Studentische Sitzblockade an der Universität Frankfurt a.M. 1968 (Rudolf Bernhardt hinten Mitte rechts)[24]

Anhand seiner Auseinandersetzung mit den politisch hoch umstrittenen „Notstandsgesetzen“ lässt sich die vielfach widersprüchliche Entwicklung in diesen Jahren andeuten. Begonnen hatte mein Vater die fachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bereits in den frühen 1960er Jahren noch als Referent im MPIL, offensichtlich im Gespräch oder zumindest zeitlich parallel zu Hermann Mosler und Karl Doehring. Alle drei teilten die rechtsvergleichende Sicht auf das Sujet, das mein Vater bereits im Herbst 1963 in einem Vortrag auf einer Tagung der Österreichischen und Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung in Wien ansprach.[25] Im Herbst 1965 wählte er es auch als Gegenstand seiner Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt. Obwohl sich zu dieser Zeit die öffentliche Kontroverse über die geplante Novelle des Grundgesetzes bereits zuspitzte,[26] konnte man, nach seinen Aufzeichnungen, vor dem „Ausbruch der Unruhen“ 1967 „über die geplante ‚Notstandsverfassung‘ (…), auch bei dem sozialistischen Studentenbund, noch ungestört referieren und diskutieren“.[27] In seiner Antrittsvorlesung zur sogenannten Notstandsverfassung, die am 22. Februar 1966 in der FAZ abgedruckt wurde, plädierte Rudolf Bernhardt dezidiert für eine „knappe, griffige Notstandsformel“.

Beitrag Rudolf Bernhardts zur „Notstandsverfassung“ in der FAZ vom 22. Februar 1966

Die kurz zuvor im Sommer 1965 vom Bundestag diskutierte Fassung „in Bausch und Bogen als Anschlag auf die Demokratie abzulehnen“, zeige „Unkenntnis“ oder „abgrundtiefes Mißtrauen gegenüber den (…) demokratisch gewählten politischen Kräften unseres Landes“. Andererseits kritisierte er scharf die sieben bereits 1965 vom Bundestag verabschiedeten „einfachen Notstandsgesetze“ als „grotesken Perfektionismus“ von „überbordender Regelungswut“ und als teilweise verfassungswidrig. Das Fazit des FAZ-Beitrags lautete: „In Kenntnis des Risikos muss man auf ein Höchstmaß an Sicherheit verzichten, um mehr als ein Mindestmaß an Freiheit zu erhalten“.[28] Es wäre interessant, aus rechtsgeschichtlich kompetenter Sicht – die mir fehlt – die juristischen Positionen und einzelnen Argumente meines Vaters mit denen von Hermann Mosler und Karl Doehring in ihren ausführlichen Statements in der Sitzung des Rechts- und des Innenausschusses des Bundestages am 7. Dezember 1967 abzugleichen.[29] Zugleich ließe sich am Beispiel der „Notstandsgesetze“ exemplarisch die für das Verständnis der Arbeitsweise des Instituts zentrale Frage zum Verhältnis von arbeitsteiliger Wissensproduktion (etwa durch auf einzelne Länder spezialisierte Referenten), Synthese,  Publikation und Transfer der Ergebnisse in den politischen Raum reflektieren, [30] auch im Hinblick auf Fragen von Autorenschaft und „geistigem Eigentum“ an den Forschungsresultaten.

Für viele Leser*innen sicherlich überraschend war es, dass mein Vater mit einem Aufsatz zu den Notstandsgesetzen wider Willen auch zu einem Buch beitrug, das die ZEIT rückblickend als „gefeierte(n) Klassiker der 68er Generation“ apostrophierte, der zugleich „geschmäht [wurde] von denen, die sich damals angegriffen fühlten“.[31] Es handelte sich um den von seinem Frankfurter Fakultätskollegen Rudolf Wiethölter konzipierten Band „Rechtswissenschaft“ in der Reihe „Funkkolleg“ des Fischer Taschenbuch Verlags, der nach seinem Erscheinen 1968 innerhalb von knapp fünf Jahren vier Auflagen mit einer Gesamtzahl von 45.000 gedruckten Exemplaren erreichte.[32] Wiethölter stellte im Vorwort klar, die dem Buch zugrunde liegende Vorlesungsreihe für das „Funkkolleg“ des Hessischen Rundfunks sei „aus Unruhe als Bürgerpflicht“ entstanden, das Ziel sei die „Entzauberung des Rechts“ als „politisches Alibi und Verheißung“, um „mitzuwirken an der Entlarvung eines deutschen Götzendienstes: Dienst für den ‚General Dr. von Staat‘ (Thomas Mann)“.[33]

Funkkolleg Rechtswissenschaft (1968)

Von den insgesamt 20 „Kollegs“ (Rundfunk-Vorträgen) wurden jeweils zwei von Erhard Denninger und meinem Vater übernommen.[34] Wenig überraschend trugen die Beiträge meines Vaters über die „Entwicklung zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat“ sowie zum „Notstandsrecht“ nichts zu Wiethölters Mission der „Entzauberung des Rechts“ oder der von der ZEIT diagnostizierten späteren Karriere des „vor allem von linken und liberalen Juristen geliebten“ Buches bei. Hintergrund der besonderen Konstellation war, dass mein Vater ebenso wie Denninger kollegialer Weise für den erkrankten Wiethölter kurzfristig eingesprungen war, ohne seine Beiträge auf Wiethölters Programm auszurichten.[35] Die erstaunliche, kaum bekannte Rolle meines Vaters als Mitautor eines „68er Klassikers“ zeigt, dass zu dieser Zeit die Gräben zwischen den hochschulpolitischen „Lagern“ zuweilen noch fluide waren und durch kollegiale Praktiken punktuell überwunden wurden, so dass spezielle inhaltliche „Melangen“ wie das „Funkkolleg“- Buch entstehen konnten. Es sei aber nachdrücklich festgehalten, dass sich mein Vater im Grundsatz zu den Forderungen und Aktionen der Studentenbewegungen, mit ihnen sympathisierender Kollegen sowie der Umsetzung der Hochschulreform sehr kritisch beziehungsweise ablehnend positionierte.[36]

3. Die Völkerrechtskolloquien der 1970er und 1980er Jahre

Die Zeit der Rückkehr meines Vaters an das MPIL 1970 als Co-Direktor von Hermann Mosler war nicht nur von den anhaltenden Spannungen an den Universitäten geprägt, sondern auch von den politischen Kontroversen um die „neue Ostpolitik“. Zu dieser bestand auch unter den führenden Wissenschaftlern am Institut eine breite Meinungsvielfalt. Hier hatte sich der Institutsmitarbeiter Fritz Münch, der seit 1955 Leiter der 1960 aufgelösten Außenstelle des MPIL in Berlin gewesen war, frühzeitig besonders exponiert. Schon 1965 hatte er ein juristisches Gutachten mit verfasst, in dem er die Rechtsgültigkeit des Münchener Abkommens von 1938 zur Einverleibung des Sudentenlandes in das nationalsozialistische Deutsche Reich feststellte.[37] In der Folgezeit hatte sich Münch nicht nur in daraus hervorgegangene gerichtliche und publizistische Kontroversen verwickelt, sondern wechselte im Sommer 1972 von der CDU zur NPD, für die er im November 1972 auch bei den Bundestagswahlen kandidierte.[38] Im Institut vertrat er neben Karl Doehring, Hartmut Schiedermair, Helmut Steigenberger und Hermann Mosler eine kritische Sicht auf die Ostverträge,[39] während Jochen Frowein und mein Vater sie eher unterstützen. An einer ersten, im Januar 1972 von der Theodor-Heuß-Akademie in Gummersbach organisierten Konferenz deutscher und polnischer Völkerrechtler nahmen von Seiten des MPIL Fritz Münch und mein Vater teil,[40] der dazu in seinem Tagebuch notierte:

„Es war sehr aufschlussreich und verlief im großen und ganzen ganz angenehm. Natürlich lässt sich die Geschichte der jüngeren Vergangenheit nicht vergessen, sie wirkt in die Gegenwart hinein, aber es sind vielleicht doch Chancen für mehr Verstehen und eine begrenzte Kooperation vorhanden.“[41]

Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium in Gummersbach 1972. Rudolf Bernhardt fünfter von links.[42]

Die in der Folgezeit von meinem Vater federführend mit organisierte Serie deutsch-polnischer Völkerrechts-Kolloquien, deren erstes 1974 bei Warschau und zweites 1976 in Heidelberg stattfand, flankierte mit der Klärung von Rechtsfragen faktisch die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung und enthielte somit natürlich eine allgemein- und wissenschaftspolitische Komponente. So wurde der Konferenz 1974 in Warschau explizit „auch eine politische Bedeutung beigemessen“ (…). „Bei einem Empfang des deutschen Botschafters in Warschau aus Anlass des Treffens war eine größere Anzahl polnischer Gäste u.a. aus verschiedenen Ministerien anzutreffen“. [43] Ausweislich der Tagungsprogramme nahm die rechtliche Seite wirtschaftlicher Kooperation eine herausgehobene Stellung ein, aber auch kontroverse Themen wurden diskutiert, zum Beispiel auf der Tagung 1974 Fragen des polnischen Staatsangehörigkeitsrechts.[44]

Empfang beim deutsch-polnischen völkerrechtlichen Kolloquium 1984 in München. Rudolf Bernhardt zweiter von rechts.[45]

Die zwischen 1982 und 1990 durchgeführten bilateralen Konferenzen mit sowjetischen Völkerrechtlern, die ebenfalls von meinem Vater mit angestoßen wurden, waren politisch und organisatorisch noch komplizierter und erforderten eine manchmal mühsame Abstimmung mit Stellen im Auswärtigen Amt und der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft.[46]
Die Initiative für die Kolloquien und die privaten Aufzeichnungen machen unter anderem deutlich, dass mein Vater einerseits keine Berührungsängste gegenüber Kollegen aus sozialistischen Staaten hegte, noch etwa aus seiner Kriegsgefangenschaft herrührende Ressentiments gegenüber der Sowjetunion. Vielmehr förderte er den fachlichen Austausch, der mit polnischen Kollegen zu vertrauensvoller Zusammenarbeit gedieh, sich hingegen mit den Gesprächspartnern aus der Sowjetunion beziehungsweise Russland wegen grundlegender fachlich-rechtspolitischer Differenzen letztlich in Grenzen hielt.

Fazit

Insgesamt belegen die hier beleuchteten drei „Schlaglichter“ die auch von Kollegen erinnerte eher zurückhaltende, abwägende und dialogorientierte Haltung meines Vaters auch über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten hinweg.[47] Und offensichtlich war die gemeinsame Erforschung des Völkerrechts am Institut inhaltlich wie fachkulturell tragfähig genug, die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und konträren Positionen in den hier betrachteten bewegten Zeiten der 1950er bis 1980er Jahre zusammenzuhalten.
Die Fragestellungen und Ergebnisse dieses Beitrags sind primär aus meiner Perspektive als Geschichtswissenschaftler formuliert und fußen wesentlich auf schriftlichen Dokumenten, kaum jedoch auf direkten mündlichen Auskünften zu Lebzeiten meines Vaters. Die andere, hier nicht verfolgte Perspektive meiner privaten Erinnerungen als Sohn Rudolf Bernhardts, aber auch die von Partner*innen und Kindern anderer Institutsmitarbeiter – immerhin eine Gruppe von mehreren hundert bis tausend Personen über inzwischen viele Jahrzehnte hinweg – würden andere, ebenfalls interessante Facetten der Institutsgeschichte eröffnen. Das Erleben und Erinnern von Arbeitsbelastungen, Ortswechseln, am Familientisch kurz angesprochenen Namen, Institutionen, Sachverhalten und Konflikten ließen sich zu einem ganz eigenen Wörterbuch von Institutsthemen und Erfahrungen zusammenführen.

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Der vorliegende Beitrag schreibt meine Vorträge zum gleichen Thema auf der Akademischen Gedenkfeier für meinen Vater am 23. Oktober 2022 und auf dem Seminar Kriegsfolgenbewältigung und Westintegration der Seminarreihe 100 Jahre öffentliches Recht am 22. Februar 2024 (beide am MPIL) sowie den in Fußnote 6 genannten Aufsatz fort.

[1] Vgl. die autobiographische Skizze Rudolf Bernhardt, Staatsrecht im internationalen Verbund, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart58 (2010), 337-351; jetzt auch: Eckart Klein, Rudolf Bernhardt (1925-2021), in: Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff/Peter Häberle (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Nachtragsband Deutschland-Österreich-Schweiz, Berlin: De Gruyter 2024, 35-57.

[2] Vgl. Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzepte. Herman Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Berlin: Springer 2017; Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union – Erinnerungen, Berlin: Wolf Jobst Siedler Verlag 2008.

[3] Vgl. z.B. den Beitrag von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de.

[4] Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947, herausgegeben und mit einem Nachwort von Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024.

[5] Notizen im Tagebuch, Sammlung Rudolf Bernhardt, Familienarchiv Bernhardt.

[6] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 103-106; Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1945-1947, in: Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 127-145, 136.

[7] Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 142.

[8] Eine solche „Nicht-Thematisierung“ oder jahrzehntelang verzögerte Verarbeitung ist nach den Erkenntnissen der Forschung durchaus typisch für den Umgang vieler Kriegsgefangener mit Ihren Erlebnissen, vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 138-139.

[9] Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 138-139.

[10] So die Formulierung von Rebenich über die persönliche Verarbeitung der Kriegserlebnisse der prominenten Historiker und Altersgenossen meines Vaters Karl Christ und Reinhard Koselleck: Stefan Rebenich, Karl Christs Lebensmosaik. Die Schreie der Niedergewalzten gellten noch lange, FAZ 19.12.2023.

[11] So vertrat er auch nachdrücklich die Überzeugung, „dass die Völkerrechtswissenschaft keine nationale, sondern eine internationale Wissenschaft sei“: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Beiträge zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 270, Berlin: Springer 2018, 148.

[12] Thomas Buergenthal, Laudatio: Rudolf Bernhardt – Leben und Werk, ZaöRV 65 (2005), 519–524, 519.

[13] Heinz Bude, Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Falkhelfer-Generation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987.

[14] Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag 1957; vgl. auch Bude (Fn. 13), 43.

[15] Vgl. Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 4), 102-103.

[16] Bude (Fn. 13), 33; vgl. auch Rebenich (Fn. 10).

[17] Notizheft Rudolf Bernhardt: Exzerpte aus dem Wintersemester 1948/49, Familienarchiv Bernhardt.

[18] Vgl. Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[19] Foto: Familienarchiv Bernhardt.

[20] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339-340.

[21] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 22.1.1968, Tagebuch II, Familienarchiv Bernhardt.

[22] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[23] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 14.8.1969, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt; vgl. als Rückblick zur Situation an der Fakultät aus der Sicht des 1967 als Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte berufenen Bernhard Diestelkamp, Schmerzhafter Umbruch. 1968 im Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität, Forschung Frankfurt.  Das Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität 1 (2018), 27-30.

[24] Die Bildrechte haben sich trotz intensiver Recherche u.a. bei der Deutschen Universitätszeitung und dem Foto-Archiv der Süddeutschen Zeitung nicht klären lassen. Für weitere Hinweise wären wir dankbar.

[25] Rudolf Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 24 (1964), 431-452, 444.

[26] Vgl. Alexandra Kemmerer, Praktiker des Wortes. Fritz Bauer und die Kritische Justiz, in: Katharina Rauschenberger/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Fritz Bauer und ‘Achtundsechzig’. Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft, Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 3, Göttingen: Wallstein 2020, 121-142,123ff.

[27] Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 1), 339.

[28] Rudolf Bernhardt, Notstand und Verfassung. Wer soll in welcher Situation welche Maßnahmen ergreifen dürfen?, FAZ 22.2.1966, 9-10.

[29] Vgl. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Protokoll 4: öffentliche Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 7. Dezember 1967; ich danke Tim Wihl, dass er mir diese Quellen zugänglich gemacht hat.

[30] Vgl. dazu die auf einen anderen Fall bezogene Anmerkung von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de, sowie die Sichtweise meines Vaters auf diesen Sachverhalt in: Rudolf Bernhardt, Gruppenarbeit und Einzelleistung in Völkerrecht und Rechtsvergleichung, Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft (1970), 301-313.

[31] Wiethölter wieder zu kaufen: Kritik des Rechts, ZEIT 18/1986, 25.4.1986, zitiert nach ZEIT Online.

[32] Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, unter Mitarbeit von Rudolf Bernhardt und Erhard Denninger, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1968.

[33] Wiethölter (Fn. 32), 9-10.

[34] Vgl. die Ausführungen zu Wiethölter, Denninger und dem Funkkolleg-Band bei Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[35]  Diestelkamp (Fn. 23), 27-28.

[36] Vgl. als Zwischenbilanz mit dem Fokus auf der Reform der Universitäten: Rudolf Bernhardt: Reform oder Anarchie? Zur Situation an den deutschen Universitäten, Zeitwende. Kultur, Theologie, Politik 43 (1972), 215-227.

[37] Vgl. Otto Köhler, Schweine und Esel, Der Spiegel 21 (1961).

[38] So jedenfalls der Eintrag in der Wikipedia-Enzyklopädie zu Münch, letzter Aufruf 23.5.2024; der Nachruf von Karl Doehring in der ZaöRV spricht diese Sachverhalte nicht an:  Karl Doehring, Fritz Münch 1906-1995, ZaöRV 55 (1995), 949-950.

[39] So, nach Lange, Armin von Bogdandy/Philipp Glahé, Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte, MPIL100.de.

[40] Vgl.: Liste der Teilnehmer von deutscher Seite in Kolloquium polnischer und deutscher Völkerrechtler, 14.-16.1.1972, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.

[41] Rudolf Bernhardt, Notiz vom 18.1.1972, Tagebuch III, Familienarchiv Bernhardt.

[42] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Zur Tagung selbst: Deutsch-polnisches Völkerrechtskolloquium 1972. Referate deutscher und polnischer Völkerrechtler auf der Tagung vom 14. bis 16. Januar 1972 in der Theodor-Heuss-Akademie, Frankfurt am Main: Athenäum Verlag 1972.

[43] Vgl.: Rudolf Bernhardt, Bericht über den Verlauf des Treffens polnischer und deutscher Juristen vom 16.-19. September in Radziejowice bei Warschau, 9.10.1974, Ordner „Polen“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221, 3-4.

[44] Bernhardt, Bericht (Fn. 43), 1-2.

[45] Foto: Familienarchiv Bernhardt. Außerdem haben sich auf dem Foto, dank Jerzy Kranz, identifizieren lassen: links neben Bernhardt: Janusz Łętowski, Marian Rybicki (fünfter von rechts), Miroslaw Wyrzykowski (dritter von links).

[46] Vgl. die Schriftwechsel im Ordner „Sowjetunion“, Nachlass Rudolf Bernhardt, Max-Planck-Archiv Berlin, III. Abteilung, ZA 221.z.B

[47] Vgl. etwa die Kurznotiz „Rudolf Bernhardt 90“, FAZ 29.4.2015.

Which Federalism for Europe? A Moslerian Path

Because of its historical novelty, even before the problems of the constitutional structure of the Communities and then of the Union, the process of European integration poses the task of determining the categories that are appropriate for conceiving the political reality to which it gives rise and for understanding its ‘constitution’ in the broad and etymological sense of the term.

What seems difficult to imagine is a political and legal reality able to meet two conditions: on the one hand, that Europe should be an entity capable of confronting the great world powers for the sake of world balance and peace; on the other hand, that its members should retain their autonomy and be political actors in their diversity, so that the citizens of the various member states do not perceive Europe as an entity that is alien or even hostile to them. Looking at the current situation, we can see how difficult it is to reconcile these two conditions.

Another Meaning of Federalism. Approaches to Hermann Moslers Legal Thinking

In this context, the recurring reference to ‘federalism’ seems to depend on the fact that it provides an inescapable interpretative framework for understanding the integration process, both for grasping its development and articulation, and for reflecting on the current state of the Union. Specifically, it is useful because of the need both to preserve the dynamic and open character of integration and to grasp the inherently plural configuration of the supranational reality in political and legal terms. This idea of a structurally plural unity cannot but have repercussions on how representation and the ‘democratic’ form of political participation can and should be understood, and on the sense of political obligation capable of preserving plurality.

However, the use of the term ‘federalism’ is subject to a number of constraints that derive from the tradition of thought that the term is used to denote (from the ways in which this tradition is taken up, reproduced, and, ultimately, projected into new contexts). One entrenched bias that inevitably affects the perception of the ‘federalist’ character of Europe is that its meaning can be exhausted by the dichotomy of federal state – confederation of states[1]. In this regard, it seems useful to recall and follow up a subterranean hint that can be found in the writings of Hermann Mosler, a hint which points toward another meaning of federalism, of which the ‘classical’ dichotomy retains only vague remnants. This is not to turn Mosler into a federalist thinker; nor is it to raise the question of the international legal effects of the constitutions of federal states, to which Mosler had already made an important contribution in 1949[2] and which has been the subject of numerous and quite relevant contributions by the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law. The question, then, is what we can and should understand by federalism in relation to Europe on the basis of Mosler’s thinking.

Une communauté plus large et plus profonde’. The Foundation of the ECSC in 1951

Hermann Mosler speaks at the Institute. At the table: Gebhard Müller, President of the Federal Constitutional Court, Walter Hallstein, President of the EEC Commission and Hans Dölle, Director of the MPI for Comparative and International Private Law (from left to right).[3]

A first insight can be found in the commentary published in 1951 by the Institute’s Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht on the origin and qualification of the ECSC Treaty, which was to be the first step towards a political federation of the members of the nascent Community. Mosler, who, as is well known, took part in the negotiations as an adviser to Adenauer[4], begins by pointing out that, although the parties did not have in mind the creation of a mega-state, they did want to go a step beyond the realm of intergovernmental relations and create a closer community capable of overcoming the usual forms of international treaties and institutions of the international legal order.

One difficulty, therefore, was to understand exactly what the ‘European federation’ mentioned in the Schuman Declaration could be (which, among other things, was not transposed into the text of the Treaties, where it was referred to as ‘une communauté plus large et plus profonde’). If it meant nothing more than the establishment of a federal state, Mosler argued, “this idea may be politically revolutionary, but it is not a creative legal construction”[5]. What emerges in the first instance is the kind of unconditional reflex mentioned above: when it comes to creating a strong political unity beyond the nation-states, the term ‘federation’ automatically refers to a federal state (especially for those who come from the German historical experience). But it is worth noting that Mosler is no less clear that ‘federalism’ has a much broader meaning. In this sense, he emphasises that “despite all the similarities at the conference, however, it became clear that the methods familiar to the Germans for the co-operation of member associations in a higher unit, which itself has the character of a state, are alien to the other members of the Community”[6], France and Italy in primis. This clarification provides a valuable insight into Mosler’s thinking. Not only does he criticise the shadow of the federal form of (state‑)government, but he also stresses that the creation of a federal bond (“lien fédérale[7]) is a completely new challenge, because “it is not theoretical concepts a priori, but practical necessities arising from the limited purpose of the union that must determine the construction of institutions”[8].

Federalism Beyond the Federal State

Animated debates. Joseph Kaiser, Hans Kutscher, Ulrich Scheuner and Fritz Münch (from left to right).[9]

Here it is difficult not to recognise what will become a salient feature of Mosler’s approach:  its “praxis-oriented” character (which is mentioned here, albeit in a cursory, almost programmatic manner)[10]. Secondly, however, it is clear that the concept of federalism is by no means exhausted in the state-federal form of organisation. Similarly, the emphasis on the absence of a priori theoretical concepts again signals the inadequacy of the Community as a confederation[11].

The idea of federalism beyond the federal state does not appear only occasionally in this paper. Another relevant reference can be found in Mosler’s brief contribution to the conference of the Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer held in Münster in 1962. The topic of the conference was “Federalism as a national and international principle of organisation”. Here Mosler points out that, from a historical perspective, federalism in international society does not exist per se as an attempt to create sovereign state units, but that it is characterised by the aspect of cooperation from below: “Such cooperation, if it leads to regional groupings, can give rise to a federal structure in the international sphere”[12]. In this sense, Mosler rejected the view of those interpreters who argued that federalism would come about by crossing the threshold of the federal state, remarking: “If the federal idea is to be brought to the international stage, the state element in the concept of federalism must be abandoned (…). We must take a more sober view of the process and say: cooperation and collaboration in the international sphere become what one might call ‘federal’ at a certain quantitative level. This happens when a stage is reached where it is permissible to say: here an essential area of public life is so firmly united in the long term that the bond – in sociological terms – is no longer likely to break”[13]. In the context of this quote, it is important not to confuse the call for sobriety with a ‘weak’ conception of federalism.

To complete this excursus, a final insight can be gained from The International Society as Legal Community, first published in 1974. Here, the subject of federalism converges in a discussion of “types of organised co-operation”[14]. There is an immediate warning: “It is necessary to beware of thinking too much on predetermined lines or in well-defined categories”[15]. The direction indicated by Mosler also this time relates to the aspect that “federalism is not confined to States composed of member countries, for it can also form part of the structure of international co-operation”[16]. In this sense, and especially with regard to the possible future of international society, it is stressed that federalism is “a very flexible form of organisation”[17]; the point to be made then relates to the possibility that there may be “other forms of federal cooperation […], which allow more freedom for the particular features of groups of States, for minorities, for different stages of economic and cultural development and so on. […] Co-operation through a federal structure is an appropriate legal arrangement, capable of guaranteeing the freedom of weak parties and providing for effective organisation”[18].

Conclusion. How to Think About Federalism?

On the basis of this cursory survey, it is now possible to draw some final schematic conclusions with regard to our European dimension. First, overcoming the bias towards state-centred federalism, the question of ‘which federalism for Europe?’ can be specified in ‘how to think about federalism?’. In relation to this question, it is the element of cooperation that becomes central, because it reopens the question of the foedus. If one sticks to the dichotomy of federal state – confederation of states, the foedus remains at most a nominal link through the term. On the contrary, in a conception of federalism emphasising the dimension of cooperation among a determined plurality that requires the participation of its members, the specific element of the foedus lies precisely in a kind of (political) unity produced by the legal agreement of different parts – and precisely for this reason it is not of state order. This federalist idea, therefore, stands or falls on its ability to guarantee plurality in the structure of representation.

However, one aspect must be clarified: to say that federal cooperation must not lead to a state-like unity does not mean that it cannot lead to any kind of unity tout court. A federation is a political unity that is constructed differently from the model of sovereign states, which can only mean a rethinking of what political obligation is and, above all, that it must tend to overcome its possible ‘otherness’ in relation to the members of the federation – insofar as this otherness risks undermining the active role of the members.

In other words, the crucial point is to reconcile the presence of the members, with their autonomy and diversity, and the unity of European ‘power’, without which the governance of global processes can only appear as a pious illusion. Of course, this has repercussions on the whole institutional configuration, the meaning and the relationship between powers. If we now recognise that in democratic states the (democratic) legitimation of power is one with the organisation of the powers of the constitution, then the problem does not seem to be the so-called democratic deficit of the European institutions but rather that democracy as a whole has to be conceived differently at the supranational level[19].

An attempt in this direction can be seen in the recent work of one of Mosler’s heirs as director of the MPIL, Armin von Bogdandy. He proposed to elaborate the concept of ‘European society’ mentioned in Article 2 of the Treaty on European Union (a society, it should be noted, understood as structurally plural: neither a monolith nor an undifferentiated mass of individuals)[20]. It is this society that is the singular ‘subject’ of a European constitutionalism (beyond the state and without the state) which, apart from the idea of collective self-determination, goes hand in hand with the need for a democracy of multiple mediations.

Again, federalism in the sense indicated seems to be the most appropriate interpretative scheme to frame this form of democracy. From this point of view, recalling once again Mosler’s insights, it would be worth asking, especially from a practical point of view, how many and which federal thresholds have already been reached with the current institutional organisation of the European Union.

[1] For a different direction, see, inter alia: Armin von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform. Zur Gestalt der Europäischen Union nach Amsterdam, Baden-Baden: Nomos 1999; Stefan Oeter, »Föderation« oder »Bund« als Oberbegriff: Erscheinungsformen des Föderalen jenseits von Bundesstaat und Staatenbund, in Eva Marlene Hausteiner (ed.), Föderalismen. Modelle jenseits des Staates, Baden-Baden: Nomos 2016, 235-266.

[2] See: Hermann Mosler, Die völkerrechtliche Wirkung bundesstaatlicher Verfassungen. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum vergleichenden Verfassungsrecht, Tübingen: Mohr 1949.

[3]  Photo: MPIL.

[4] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Contributions on Comparative Public Law and International Law, , vol. 270, Berlin: Springer 2018, 8-9.

[5] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Entstehung und Qualifizierung, HJIL 14 (1951), 1-45, 33, translated by the author.

[6] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 33-34.

[7] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 34.

[8] Mosler, Vertrag (Fn. 5), 34.

[9]  Photo: MPIL.

[10] See: Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Contributions on Comparative Public Law and International Law, vol. 262, Berlin: Springer 2017.

[11] For a comparison with Walter Hallstein’s state-federal proposals, see Lange (Fn. 10), 171-174, 318-323.

[12] Föderalismus als nationales und internationales Ordnungsprinzip. Die öffentliche Sache: Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu Münster (Westfalen) vom 3. bis 6. Oktober 1962, Berlin: De Gruyter 1964 (VVDStRL), 139, translated by the author.

[13] Föderalismus (Fn, 12), 139.

[14] Hermann Mosler, The International Society as Legal Community, Collected Courses of The Hague Academy of International Law, Vol. 140, Leiden: Brill Nijhoff 1974, 1-320, 197.

[15] Mosler, International Society (Fn. 14), 203.

[16] Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[17]Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[18] Mosler, International Society (Fn. 14), 204.

[19] On this crucial aspect, see Giuseppe Duso, Reinventare la democrazia. Dal popolo sovrano all’agire politico dei cittadini, Milano: FrancoAngeli 2022.

[20] Armin von Bogdandy, The emergence of European society through public law: a Hegelian and anti-Schmittian approach, Oxford: Oxford University Press 2024.

Das Institut im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen

The Institute in the Fight Against Weapons of Mass Destruction

Deutsch

Rechtsberatung in Fragen des Verbotes chemischer und biologischer Waffen in den 1970er Jahren

Abrüstungsfragen stehen im Herzen des modernen Völkerrechts. So befasste sich nicht nur bereits die allererste Resolution der UN-Generalversammlung mit der Notwendigkeit der (nuklearen) Abrüstung, auch das erste der sechs ständigen Komitees der UN-Generalversammlung ist für Abrüstungsfragen zuständig. Und schon vor Gründung der Vereinten Nationen waren Abkommen zur Begrenzung des Einsatzes bestimmter Waffen und Kampfmethoden im Krieg ein zentraler Motor des Völkerrechts.[1]

Ein Jahrzehnt der Abrüstung nach einem Jahrzehnt der regionalen Kriege

Chemische Kriegsführung. Die US Army versprüht das Entlaubungsmittel „Agent Orange“ im Vientamkrieg 1963[2]

Geprägt durch eine Vielzahl regionaler Konflikte wie beispielsweise in Algerien, Vietnam, Korea oder dem Nahen Osten war der im Zeitraum Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre ein entscheidender Moment internationaler Abrüstungsbemühungen. Im Fokus standen damals neben konventionellen Waffen insbesondere Massenvernichtungswaffen (auch ABC-Waffen genannt).

Im Jahre 1968 wurde der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) geschlossen, der die nukleare Aufrüstung maßgeblich aufhielt und mit seinem Art. VI eine Verpflichtung aller Staaten enthält, nicht nur Gespräche bezüglicher nuklearer Abrüstung einzugehen, sondern das Ziel eines Vertrages zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung sämtlicher Waffen enthält. Auch das bilaterale nukleare Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion wurde durch das SALT I Abkommen sowie den ABM-Vertrag jeweils ab 1972 begrenzt.

Mit dem Durchbruch des NPT im Rücken sowie der breiten Unterstützung der Konferenz des Abrüstungskomitees, eingesetzt durch die UN-Generalversammlung, gab es ein Momentum, das Thema der biologischen B und chemischen C Waffen ebenfalls völkerrechtlich verbindlich anzugehen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch einen Bericht des UN-Generalsekretärs Sithu U Thant über „Chemische und bakteriologische (biologische) Waffen und die Auswirkungen ihrer Verwendung“[3], der auf mehr als 100 Seiten die weitreichenden Konsequenzen des Einsatzes solcher Waffen darstellt. Zum Kontext der Diskussion gehörten Vorwürfe der Verwendung von bakteriologischen Kampfmitteln gegen Soldaten im Koreakonflikt seitens der Vereinigten Staaten zu Beginn der 1950er Jahre, aber auch die im Vietnamkrieg während der gesamten 1960er Jahre verwendeten, für Mensch und Natur verheerenden Waffen (z.B. Agent Orange). Die Skandalisierung des Vietnamkriegs in der öffentlichen Meinung und ein aufkommendes Umweltbewusstsein taten ihr übriges.

Das MPIL als Rechtsberater für die bundesdeutsche Beobachtermission bei den Vereinten Nationen

Als Reaktion auf U Thants Bericht, flankiert durch den Bericht des Ersten Komitees,[4] trat im Jahr 1970 eine internationale Kommission zusammen, die sich mit zentralen Fragen biologischer und chemischer Waffen beschäftigen sollte. An dieser nahm auch die Bundesrepublik Deutschland teil, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch kein Mitglied der Vereinten Nationen war. Bis zu ihrem UN-Beitritt 1973 war die Bundesrepublik lediglich im Rahmen einer Beobachtermission tätig, wobei wenn dieser Status sie nicht daran hinderte, sehr aktiv aufzutreten. Um an der Abrüstungskommission informiert teilnehmen zu können, bedurfte das Auswärtige Amt völkerrechtliche Expertise. Daher wurde der damalige MPIL-Direktor Hermann Mosler am 2. Februar 1970 vom damaligen Leiter der Abteilung Völkerrecht und späteren Leiter der Rechtsabteilung des Ministeriums – Dedo von Schenck – brieflich um die Erstellung eines Gutachtens gebeten.

Zwei Fragen sollte das Gutachten beantworten: Zum einen sollte geklärt werden, ob der Inhalt des Genfer Gaskriegsprotokolls aus dem Jahre 1925 Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts sei. Zum anderen interessierte das Auswärtige Amt, ob bestimmte Mittel (Tränengas, Psycho-Kampfstoffe, Entlaubungsmittel und Napalm[5]) unter ein Verbot aus dem Protokoll fallen würden.

Zunächst fällt bei der Fragestellung auf, dass sie die Formulierung „allgemeines Völkerrecht“ verwendet. Aus heutiger Sicht ist das Gaskriegsprotokoll als völkerrechtlicher Vertrag selbstverständlich Teil des allgemeinen Völkerrechts. Die von Dedo von Schenck verwendete Formulierung erinnert allerdings an Art. 25 GG, welcher von den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ spricht. Diese grundgesetzliche Formulierung wird – und wurde schon damals – sowohl vom BVerfG[6] als auch nach staatsrechtlicher herrschender Meinung [7] als Synonym für Völkergewohnheitsrecht verstanden.

Michael Bothe und das Rechtsgutachten Nr. 178

Michael Bothe als Referent am Institut in den 1970ern[8]

In diesem Sinne verstand auch Michael Bothe die Frage, welcher sich zu dieser Zeit am Institut habilitierte und von Hermann Mosler beauftragt wurde, das Gutachten zu erstellen. Michael Bothe arbeitete von 1964 bis 1979 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent am Institut, wo er sich unter anderem mit Fragen des humanitären Völkerrechts und Rüstungskontrollrecht beschäftigte.

Auffällig ist die Logik hinter der Fragestellung des Gutachtens. Zunächst wurde gefragt, ob ein Vertrag selbst Teil des Gewohnheitsrechts sei. Anschließend wurde gefragt, ob bestimmte Mittel unter den Vertrag fallen würden. Die vom Auswärtigen Amt verfolgte Logik lag also darin zu sagen, Stoff X fällt unter das Gaskriegsprotokoll, das Gaskriegsprotokoll ist Gewohnheitsrecht, also ist der Einsatz von Stoff X völkergewohnheitsrechtlich verboten. Diese Logik demontierte Michael Bothe bereits zu Beginn des materiellen Teils seines Gutachtens. Völkergewohnheitsrecht kann sich unabhängig von Vertragsrecht bilden. Auch der Inhalt eines gewohnheitsrechtlichen Verbots, auch wenn sich dieses parallel zu Vertragsrecht entwickelte und durch dieses katalysiert wurde, kann sich von diesem durchaus unterscheiden. Daher nimmt Bothe den dogmatisch sauberen Weg und fragt zunächst, ob der Einsatz eines spezifischen Stoffes gewohnheitsrechtlich verboten sei, um dann im Einzelnen die Tragweite eines solchen Verbots zu analysieren.

Systematisch arbeitet er das Vorliegen der beiden konstitutiven Elemente von Gewohnheitsrecht, der opinio iuris und der consuetudo (Staatenpraxis), heraus. Er kommt zu dem Schluss, dass das Gaskriegsprotokoll Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist. Bei den jeweils angefragten Stoffen kommt er zu gemischten Ergebnissen: Napalm als Brandwaffe sei von keinem Verbot erfasst, was sich insbesondere an einer fehlenden Praxis aufgrund des massiven Einsatzes im Zweiten Weltkrieg zeige. Die übrigen Stoffe würden unter das Gaskriegsprotokoll fallen und seien daher vertraglich verboten. Interessanterweise lehnt er aber ein gewohnheitsrechtliches Verbot von Entlaubungsmitteln aufgrund des Widerstandes der Vereinigten Staaten, die dieses massiv in Vietnam einsetzten, ab. Nach heutiger Terminologie würde man diese als persistant objector bezeichnen.

Michael Bothe arbeitete sehr intensiv an dem Gutachten und stellte im September 1970 eine vorläufige Fassung fertig. Während das Gutachten selbst vierzig Seiten umfasste, folgten weitere knapp 200 Seiten Anhang, bestehend aus Analysen zu Einzelfragen und dem Abdruck von Vertragstexten sowie Protokollen – sichtbar ein Ergebnis harter juristischer und dokumentarischer Kärrnerarbeit. Die als Buch publizierte Langfassung wurde als wichtiger Beitrag für eine seit einem halben Jahrhundert bestehenden Diskussion über den Einsatz solcher Waffen gesehen, wobei insbesondere seine differenzierte Analyse des Vertrags- und Gewohnheitsrechts hervorgehoben wurde.[9] Die Übersendung des Gutachtens an das Auswärtige Amt übernahm Rudolf Bernhardt, der im selben Jahr als Direktor neu ans Institut berufen worden war. Nunmehr bestand das Direktorium mit Mosler und Bernhardt aus zwei Personen – eine Neuheit in der zu diesem Zeitpunkt knapp fünfzigjährigen Geschichte des Instituts. In der Korrespondenz zwischen MPIL und Auswärtigen Amt betonte das Auswärtige Amt regelmäßig die guten Beziehungen zwischen dem Völkerrechtsreferat des AA und dem Institut. Diese guten Beziehungen zeigen sich in der Korrespondenz insbesondere auch daran, dass Rudolf Bernhardt, bereits seit 1954 dem Institut verbunden, und der ihm offenbar schon lange bekannte Dedo von Schenck die sehr persönliche Grußformel „sehr verehrter, lieber Herr“ verwendeten. Noch heute werden diese besonderen Verbindungen gepflegt, etwa in den jährlich stattfindenden gemeinsamen Workshops, in denen Mitarbeitende des Auswärtigen Amts ein völkerrechtliches Thema intensiv mit Forschenden aus dem Institut diskutieren, oder der Tatsache, dass die geschäftsführende Direktorin Anne Peters Deutschland im Auftrag des Auswärtigen Amtes vor dem Internationalen Gerichtshof vertrat.

Was danach persönlich geschah

Das Gutachten lag nun in den Händen der Auftraggeber. Doch als Wissenschaftler ließ es sich Michael Bothe nicht nehmen, die umfangreiche Untersuchung, in die er mehr als ein halbes Jahr Arbeit investiert hatte, auch wissenschaftlich zu verwenden. Er arbeitete sein Gutachten, parallel zu seiner nicht weniger umfangreichen Habilitationsschrift, zu einem Buch aus und veröffentlichte dieses 1973 in der institutseigenen Reihe der Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht.[10] Wird diese Schriftenreihe heute aufgrund der Farbe der Einbände häufig einfach als Schwarze Reihe bezeichnet wird, so war Bothes Studie „Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen“ der letzte Band der Reihe, der noch mit einem grünen Einband erschien. Michael Bothe wurde 1974 an der Universität Heidelberg habilitiert und blieb bis zu seiner Berufung als ordentlicher Professor an die Universität Hannover 1979 am Institut, dem er weiterhin verbunden ist. Von 1983 an war er Professor in Frankfurt am Main, wo er 2003 emeritiert wurde. Weiterhin war er Teil der deutschen Delegation bei den Verhandlungen über die Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen.[11] Heute lebt er in Bensheim.

Was danach völkerrechtlich geschah

Fässer mit „Agent Orange“ im US-Kampfstofflager auf dem Johnston Atoll 1976[12]

Die Beratungen und Diskussionen in Völkerrechtswissenschaft und diplomatischer Praxis führten zu einem gewissen Erfolg. 1972 wurde die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (kurz: Biowaffenkonvention) unterschrieben. Zugegebenermaßen aber sah man diese Waffen militärisch als nicht sonderlich bedeutsam an, weswegen eine Einigung relativ leicht möglich war – zumal in der Konvention auch kein Kontrollmechanismus vorgesehen ist. Mittlerweile sind 184 Staaten der Welt (mit Ausnahme beispielsweise Syriens, Ägyptens und Israels)  Vertragsparteien dieser Konvention. Bei den chemischen Waffen dauerte es länger, bis die Weltgemeinschaft zu einem umfassenden völkerrechtlichen Vertrag kam. Sieben Jahre nach Ende des Kalten Krieges trat 1997 schließlich nach sehr komplizierten Verhandlungen das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (kurz: Chemiewaffenkonvention) in Kraft. Mit Ausnahme Israels, Ägyptens, Südsudans und Nordkoreas sind sämtliche Staaten der Welt Vertragsparteien des Abkommens. Der Grund für die deutlich längere Dauer der Verhandlungen bis zum Vertragsschluss liegt in der militärischen Relevanz – man denke beispielsweise an den Giftgaseinsatz im damals noch Nicht-Mitgliedsstaat Syrien – und in dem umfangreiche Kontrollmechanismus, dessen Einführung begleitet wurde durch die Einrichtung einer neuen Internationalen Organisation, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW).

Während nun somit B- und C-Waffen heute vollständig verboten sind, ist die Frage der Atomwaffen weiterhin offen. Zwar wollte der Nichtverbreitungsvertrag die weitere Ausbreitung von Atomwaffen verhindern, dennoch haben aber mehrere Staaten solche Staaten entwickelt; es fehlt es an einem globalen Willen, auch Atomwaffen vollständig zu verbieten. Seit 2021 ist der Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) in Kraft, bislang aber ist kein Nuklearwaffenstaat oder Staat des globalen Nordens diesem Vertrag beigetreten. Dennoch bleibt auch die Frage der nuklearen Abrüstung – insbesondere im Hinblick auf neue nukleare Technologien – nach wie vor ein Thema, zu welchem am Institut intensiv geforscht wird.

***

Der Autor dankt Professor Dr. Michael Bothe für seine anregenden Kommentare.

[1] Man denke nur an die Haager Landkriegsordnung von 1899 und 1907 oder das Genfer Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege von 1925.

[2] Foto: Wikimedia Commons.

[3] UN, Chemical and bacteriological (biological) weapons and the effects of their possible use: report of the Secretary-General, 1969, A/7575/Rev.1.

[4] UN Generalversammlung, Resolutionen 2516 (XXIV), 2574 (XXIV), 2601 (XXIV) – 2606 (XXIV).

[5] Napalm ist eine Brandwaffe, die bestehend aus zwei Säuren eine zähflüssige, klebrige Masse bildet, die sehr gut haftet und sehr leicht entzündlich ist. Eingesetzt wurde es unter anderem in Vietnam, im Nahen Osten und in Algerien.

[6] BVerfGE 23, 288 (Rn. 317); BVerfGE 94, 315 (Rn. 328); BVerfGE 96, 68 (Rn. 86).

[7] Ondolf Rojahn, in: Ingo von Münch/Philip Kunig(Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., München, C.H. Beck 2000; Art. 25, Rn. 6ff.; Christian Koenig in: Hermann v. Mangoldt(Begr.)/ Friedrich Klein(Hrsg.)/ Christian Starck(Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl., München: C.H. Beck 2018, Art.25, Rn. 29; Volker Epping/Christian Hillgruber(Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 57. Edition, München: C.H. Beck 2024, Art. 25, Rn. 19; Matthias Herdegen, in: Günter Dürig(Begr.)/Rupert Scholz(Hrsg.)/Roman Herzog(Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 95. EL, München: C.H. Beck 2021, Art. 25 GG, Rn. 34.

[8] Foto: MPIL.

[9] Frits Kalshoven, Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen [Book Review], Netherlands International Law Review 22 (1975), 97.

[10] Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Köln: Carl Heymanns Verlag 1973.

[11] Das Lebenswerk von Michael Bothe wurde gewürdigt in: Andreas Fischer-Lescano et. al (Hrsg), Frieden in Freiheit – Peace in liberty – Paix en liberté: Festschrift für Michael Bothe zum 70. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos 2008.

[12] Foto: Wikimedia Commons.

 

English

Legal Advice on Issues Relating to the Ban on Chemical and Biological Weapons in the 1970s

Disarmament issues are at the heart of modern international law. Not only did the very first resolution of the UN General Assembly deal with the need for (nuclear) disarmament, but the first of the six standing committees of the UN General Assembly is also responsible for disarmament issues. And even before the founding of the United Nations, agreements to limit the use of certain weapons and methods of warfare were a key driver of international law.[1]

A Decade of Disarmament After a Decade of Regional Wars

Chemical warfare. The US Army sprays the defoliant ‘Agent Orange’ during the Vietnam War in 1963[2]

Characterised by a large number of regional conflicts, such as in Algeria, Vietnam, Korea and the Middle East, the period at the end of the 1960s and beginning of the 1970s was a decisive moment in international disarmament efforts. In addition to conventional weapons, the focus at the time was on weapons of mass destruction.

In 1968, the Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT) was concluded, which significantly halted nuclear armament and, with its Art. VI contains a commitment by all states not only to enter into talks on nuclear disarmament, but also to the goal of a treaty on the general and complete disarmament of all weapons. The bilateral nuclear arms race between the USA and the Soviet Union was also limited by the SALT I agreement and the ABM Treaty from 1972 onwards.

With the breakthrough of the NPT behind them and the broad support of the Conference of the Disarmament Committee, set up by the UN General Assembly, there was momentum to also address the issue of biological and chemical weapons in a binding manner under international law. These efforts were supported by a report by UN Secretary‑General Sithu U Thant on “Chemical and bacteriological (biological) weapons and the consequences of their use”[3] , which outlines the far-reaching consequences of the use of such weapons in more than 100 pages. The context of the discussion included accusations of the use of bacteriological weapons against soldiers in the Korean conflict by the United States in the early 1950s, but also the weapons used in the Vietnam War throughout the 1960s, which were devastating for humans and nature (e.g. Agent Orange). The scandalisation of the Vietnam War in public opinion and an emerging environmental awareness did the rest.

The MPIL as Legal Advisor for the German Observer Mission to the United Nations

In response to U Thant’s report, flanked by the report of the First Committee,[4] an international commission was convened in 1970 to deal with key issues relating to biological and chemical weapons. The Federal Republic of Germany also took part in this commission, even though it was not yet a member of the United Nations at the time. Until it joined the UN in 1973, the Federal Republic was only active as an observer mission, although this status did not prevent it from being very active. In order to participate in the Disarmament Commission in an informed manner, the Federal Foreign Office required expertise in international law. For this reason, on 2 February 1970, the then MPIL Director Hermann Mosler was asked by the then Head of the Department of International Law and later Head of the Legal Department of the Ministry – Dedo von Schenck – to prepare an expert opinion.

The expert opinion was to answer two questions: Firstly, it was to clarify whether the content of the Geneva Gas War Protocol of 1925 was part of general international law. Secondly, the Federal Foreign Office was interested in whether certain agents (tear gas, psycho warfare agents, defoliants and napalm[5] ) were covered by a ban under the protocol.

Firstly, it is noticeable that the question uses the phrase “general international law”. From today’s perspective, the Gas War Protocol, as a treaty under international law, is of course part of general international law. However, the term used by Dedo von Schenck is reminiscent of Article 25 of the German Basic Law, which speaks of the “general rules of international law”. This formulation of the Basic Law is – and was even then – understood both by the Federal Constitutional Court[6] and by the prevailing opinion in constitutional law[7] as a synonym for customary international law.

Michael Bothe and the Legal Opinion no. 178

Michael Bothe as research fellow at the Institute in the 1970s[8]

Michael Bothe, who was completing his habilitation at the Institute at this time and was commissioned by Hermann Mosler to prepare the expert report, also understood the question in this sense. Michael Bothe worked at the Institute from 1964 to 1979 as a senior research fellow, where he dealt with issues of international humanitarian law and arms control law, among other things.

The logic behind the question posed in the expert opinion is striking. First, it was asked whether a treaty itself was part of customary law. Then it was asked whether certain means were covered by the treaty. The logic pursued by the Federal Foreign Office was therefore to say that substance X falls under the Gas War Protocol, the Gas War Protocol is customary law, and therefore the use of substance X is prohibited under customary international law. Michael Bothe already dismantled this logic at the beginning of the substantive part of his expert opinion. Customary international law can develop independently of treaty law. The content of a prohibition under customary law, even if it developed in parallel with and was catalysed by treaty law, can also be quite different from the latter. Bothe therefore takes the dogmatically clean path and first asks whether the use of a specific substance is prohibited under customary law in order to then analyse the scope of such a prohibition in detail.

He systematically analyses the existence of the two constitutive elements of customary law, opinio iuris and consuetudo (state practice). He comes to the conclusion that the Gas War Protocol is part of customary international law. He comes to mixed conclusions about the substances in question: Napalm as an incendiary weapon is not covered by any prohibition, as evidenced in particular by a lack of practice due to its massive use in the Second World War. The other substances are covered by the Gas War Protocol and are therefore prohibited by treaty. Interestingly, however, he rejects a customary ban on defoliants due to the resistance of the United States, which used them on a massive scale in Vietnam. In today’s terminology, this would be called a persistent objector.

Michael Bothe worked very intensively on the report and completed a preliminary version in September 1970. While the report itself was forty pages long, it was followed by a further 200 pages of appendices consisting of analyses of individual issues and the reprinting of treaty texts and protocols – clearly the result of hard legal and documentary work. The long version, published as a book, was seen as an important contribution to the half-century-long debate on the use of such weapons, with particular emphasis being placed on its differentiated analysis of treaty and customary law.[9] The report was sent to the Federal Foreign Office by Rudolf Bernhardt, who had been appointed Director of the Institute in the same year. With Mosler and Bernhardt, the Board of Directors now consisted of two people – a novelty in the almost fifty-year history of the Institute at that time. In correspondence between MPIL and the Federal Foreign Office, the Federal Foreign Office regularly emphasised the good relations between the International Law Division of the Federal Foreign Office and the Institute. These good relations are reflected in the correspondence in particular by the fact that Rudolf Bernhardt, who had been associated with the Institute since 1954, and Dedo von Schenck, whom he had obviously known for a long time, used a very personal form of greeting. These special connections are still cultivated today, for example in the annual joint workshops in which employees of the Federal Foreign Office discuss a topic of international law in depth with researchers from the Institute, as well as the fact that the managing director Anne Peters recently defended Germany in front of the International Court of Justice on behalf of the Federal Foreign Office.

What Happened Afterwards, Personally

The expert report was now in the hands of the client. However, as an academic, Michael Bothe did not miss the opportunity to use the extensive study, in which he had invested more than six months of work, for academic purposes. He compiled his expert opinion into a book, parallel to his equally extensive habilitation thesis, and published it in 1973 in the institute’s own series of Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht.[10] Today, this series is often simply referred to as the Black Series due to the colour of the covers, but Bothe’s study “Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen” was the last volume in the series to be published with a green cover. Michael Bothe habilitated at the University of Heidelberg in 1974 and remained at the institute until his appointment as a full professor at the University of Hanover in 1979, with which he is still associated. From 1983 onwards, he was a professor in Frankfurt am Main, where he retired in 2003. He was also part of the German delegation to the negotiations on the Additional Protocols to the Geneva Conventions.[11] Today he lives in Bensheim.

What Happened Afterwards, Under International Law

Barrels of ‘Agent Orange’ in the US warfare agent depot on Johnston Atoll in 1976[12]

The consultations and discussions in international law and diplomatic practice led to a certain degree of success. In 1972, the Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction (in short: Biological Weapons Convention) was signed. Admittedly, however, these weapons were not considered to be of particular military significance, which is why it was relatively easy to reach an agreement – especially as the convention does not provide for a control mechanism. There are now 184 states in the world (with the exception of Syria, Egypt and Israel, for example) that are parties to this convention. In the case of chemical weapons, it took longer for the international community to reach a comprehensive treaty under international law. Seven years after the end of the Cold War, the Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction (in short: Chemical Weapons Convention) finally came into force in 1997 after very complicated negotiations. With the exception of Israel, Egypt, South Sudan and North Korea, all states in the world are parties to the Convention. The reason for the significantly longer duration of the negotiations up to the conclusion of the treaty lies in the military relevance – think, for example, of the use of poison gas in Syria, which was not yet a member state at the time – and in the extensive control mechanism, the introduction of which was accompanied by the establishment of a new international organisation, the Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW).

While biological and chemical weapons are now completely banned, the issue of nuclear weapons remains unresolved. Although the Non-Proliferation Treaty aimed to prevent the further proliferation of nuclear weapons, several states have nevertheless developed such weapons; there is a lack of global will to ban nuclear weapons completely. The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW) has been in force since 2021, but so far no nuclear-weapon state or state of the Global North has acceded to this treaty. Nevertheless, the issue of nuclear disarmament – particularly with regard to new nuclear technologies – remains a topic of intensive research at the Institute.

***

The author would like to thank Professor Dr Michael Bothe for his stimulating comments.

[1] Just think of the Hague Land Warfare Convention of 1899 and 1907 or the Geneva Protocol on the Prohibition of the Use in War of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases and of Bacteriological Methods of Warfare of 1925.

[2] Photo: Wikimedia Commons.

[3] UN, Chemical and bacteriological (biological) weapons and the effects of their possible use: report of the Secretary-General, 1969, A/7575/Rev.1.

[4] UN General Assembly, Resolutions 2516 (XXIV), 2574 (XXIV), 2601 (XXIV) – 2606 (XXIV).

[5] Napalm is an incendiary weapon consisting of two acids that form a viscous, sticky mass that adheres very well and is highly flammable. It was used in Vietnam, the Middle East and Algeria, among other places.

[6] BVerfGE 23, 288 (Rn. 317); BVerfGE 94, 315 (Rn. 328); BVerfGE 96, 68 (Rn. 86).

[7] Ondolf Rojahn, in: Ingo von Münch/Philip Kunig(founders), Grundgesetz-Kommentar, 5. ed., Munich: C.H. Beck 2000; Art. 25, para. 6 et seq.; Christian Koenig, in: Hermann v. Mangoldt(founder)/ Friedrich Klein(ed.)/ Christian Starck(ed.), Grundgesetz Kommentar, 7. ed., Munich: C.H. Beck 2018, Art.25, para. 29; Volker Epping/Christian Hillgruber(eds.), BeckOK Grundgesetz, 57. ed., München: C.H. Beck 2024, Art. 25, para. 19; Matthias Herdegen, in: Günter Dürig(founder)/Rupert Scholz(ed.)/Roman Herzog(ed.), Grundgesetz-Kommentar, 95. EL, Munich: C.H. Beck 2021, Art. 25 GG, para. 34.

[8] Photo: MPIL.

[9] Frits Kalshoven, Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen [Book Review], Netherlands International Law Review 22 (1975), 97.

[10] Michael Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Cologne: Karl Heymanns Verlag 1973.

[11] Michael Bothe’s life‘s work is honored in: Andreas Fischer-Lescano et. al (eds.), Frieden in Freiheit – Peace in liberty – Paix en liberté: Festschrift für Michael Bothe zum 70. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos 2008.

[12] Photo: Wikimedia Commons.

Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften

Protection of Fundamental Rights in the European Communities

Deutsch

Wie das MPIL in den 1970er Jahren mit seinem „Heidelberg Approach“ half, eine Krise zu lösen

Im Mai 1974 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seinen berühmten Solange-I-Beschluss. Der Zweite Senat hatte den fehlenden Grundrechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften zum Anlass genommen, europäisches Sekundärrecht weiterhin an deutschen Grundrechten zu prüfen, bis es einen vom Europäischen Parlament beschlossenen Grundrechtskatalog geben würde.[1] Die Entscheidung löste eine juristisch-diplomatische Krise aus – die den Ereignissen sehr ähnelte, die sich nach dem PSPP-Urteil vom Mai 2020 abspielten.[2]

Es ist bislang wenig bekannt, dass das Max-Planck-Institut aktiv daran beteiligt war, diese Krise zu lösen – um diese Episode soll es in der folgenden Miniatur gehen. Sie gibt am Ende Gelegenheit zu einer These über die Rolle des Europarechts in Arbeit und Selbstverständnis des Instituts zum Ende der 1990er Jahre.

Grundrechte sind „herausragende Errungenschaften des modernen Verfassungsstaates.“[3] Stets schützen sie das Individuum, indem sie die Staatsgewalt begrenzen und politische Beteiligung ermöglichen; in manchen Rechtsordnungen versprechen Grundrechte zudem soziale Teilhabe. Wenn der Europäische Gerichtshof die Gemeinschaftsgewalt aus einer autonomen Rechtsordnung heraus begründete, um das Handeln der Europäische Union von den Mitgliedstaaten möglichst unabhängig zu machen, dann benötigte diese auch eine akzeptable Form des Grundrechtsschutzes.

Rudolf Bernhardt anlässlich seiner Einführung als Institutsdirektor, 1970[4]

So argumentierte im Kern eine Studie, die Rudolf Bernhardt, seinerzeit Direktor des Instituts, über „Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften“ im Bulletin der Gemeinschaften 1976 veröffentlichte. Die Studie wurde zusammen mit einem Bericht der Europäischen Kommission über den „Schutz der Grundrechte bei der Schaffung und Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts“ publiziert.[5] Diese Kopplung war kein Zufall. Die Kommission hatte die Studie bei Bernhardt in Auftrag gegeben. Sie sollte ihre Strategie für eine Grundrechtsbindung der Europäischen Gemeinschaften unterfüttern.

Die Studie ist rechtsvergleichend angelegt, wofür Bernhardt die Expertise der Referenten anzapfte. An der Studie, die die Grundrechtsbindung in den weiteren Mitgliedstaaten der Gemeinschaften untersuchte, wirkten unter anderem Karin Oellers, Eckart Klein und Christian Tomuschat mit. Die im Ton nüchterne, gediegene Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaft sehr wohl an Grundrechte in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze gebunden sei, die – der Natur des Verfahrens geschuldet – nur schrittweise entwickelt werden könnten. Gleichwohl bestünden Rechtsunsicherheit und die Bindung der Gemeinschaftsorgane, namentlich die des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, sei nicht immer eindeutig.

Die Studie endete mit der überraschenden Empfehlung, die drei Organe eine Erklärung abgeben zu lassen, an die vom Gerichtshof entwickelten Grundrechte gebunden zu sein. So ist es gekommen: Am 5. April 1977 unterzeichneten die Präsidenten der drei Organe, Kommissionspräsident Roy Jenkins, Parlamentspräsident Emilio Colombo und Ratspräsident David Owen, in Luxemburg die Gemeinsame Erklärung,[6] mit der sie die Organe an den prätorischen Grundrechtschutz banden.[7] Der Gerichtshof selbst blieb außen vor, was methodisch‑praktisch verständlich war, denn schließlich erkannte –das heißt erfand und konkretisierte – er ebenjene Gemeinschaftsgrundrechte. Dennoch entstand ein Muster, wie der zurückhaltende Umgang des Gerichtshofs mit der proklamierten, juristisch noch nicht in Kraft getretenen Charta der Grundrechte gut 20 Jahre später zeigte.

Dass die Zweifel an einer Grundrechtsbindung der Gemeinschaftsorgane durch eine Erklärung beseitigt werden sollten, knüpfte an eine kurz zuvor erprobte Innovation an. Rat und Parlament hatten sich 1975 auf eine inhaltliche Beteiligung des Parlaments an der Gesetzgebung, das Konzertierungsverfahren, geeinigt, was eine Folge des Brüsseler und des Luxemburger Vertrages war. Beide Verträge hatten das Haushaltsverfahren für das Parlament geöffnet – nun stand die aus dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts bekannte, parlamentarische Mitwirkung über das Budgetrecht im Raum. Die Spin‑Doktoren in den Juristischen Diensten der Organe hatten sich überlegt, das Verfahren in einer Erklärung zu regeln, denn die Verträge konnten und sollten dafür nicht geändert werden; zugleich war aber eine zumindest „weiche Normativität“ erwünscht.[8]

Meinhard Hilf, 1970er[9]

Auch wenn es keine greifbaren Erinnerungsspuren am Institut zu dem Dossier gibt, war es kein Zufall, dass die Europäische Kommission gerade das Max‑Planck‑Institut mit der Studie beauftragt hatte. Zwischen beiden Institutionen bestand nämlich über Meinhard Hilf eine persönliche Verbindung. Hilf, der 1972 in Heidelberg bei Herrmann Mosler promoviert worden war, arbeitete von 1974 bis 1976 im Juristischen Dienst der Kommission. Im Jahr 1977 kehrte er als Referent an das Institut zurück, um sich bei Bernhardt zu habilitieren. Ob der Autor der Studie seine Empfehlung, eine Organerklärung abgeben zu lassen, aus eigenem Antrieb formulierte oder ob die Studie wissenschaftliche Legitimation für einen bereits zuvor gefassten Plan geben sollte, muss an dieser Stelle offenbleiben.

Die Episode zeigt die Funktion und das Selbstverständnis des Max‑Planck‑Instituts, den Heidelberg Approach, exemplarisch auf: Als regierungsnahes Forschungsinstitut stellte es kurzfristig seine vergleichende und rechtsdogmatische Expertise, seine sprachlichen, personellen und bibliothekarischen Ressourcen in den Dienst eines übergeordneten politischen Ziels der Bundesrepublik – der europäische Integration. Zugleich leistete es einen originären Beitrag zum europäischen Grundrechtsschutz, es blieb nicht bei der Studie; Der Studienauftrag beschäftigte das Institut und die Genannten darüber hinaus, wie die große Tagung zeigt, die 1976 in Heidelberg zum europäischen Grundrechtsschutz stattfand und ein Jahr später in der Schwarzen Reihe veröffentlicht wurde.[10] Mit seinen persönlichen Verbindungen in das Auswärtige Amt,  die Europäische Kommission und das Bundesverfassungsgericht, dessen Präsident dem wissenschaftlichen Beirat des Instituts vorsitzt,[11] war es der Knotenpunkt eines Netzwerks juristischer Kommunikation.

Die Direktoren des Instituts waren auch vor und nach dieser Episode an wichtigen Ereignissen und Entwicklungen der europäischen Integration beteiligt. Hermann Mosler wirkte bekanntermaßen beratend an den Verhandlungen zur Montanunion mit und hat Schlüsselaufsätze in der ZaöRV dazu veröffentlicht.[12] Jochen Frowein, der 1981 an das Institut berufen wurde, hatte bereits 1972 am Vedel‑Bericht mitgeschrieben. Der Bericht war eine scharfsichtige, analytische Bilanz des institutionellen Rahmens der Gemeinschaften kurz nach Ende der zwölfjährigen Übergangszeit, der umfassende Vorschläge für eine Parlamentarisierung enthielt.[13] Gegen Ende seiner Amtszeit war er einer der „drei Weisen“, deren Bericht im September 2000 die „Causa Austria“, die diplomatische Sanktionierung Österreichs wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ, beendete.[14]

Gleichwohl will ich folgende These formulieren: „Europarecht“ war das mit leichtem Argwohn betrachtete neue Rechtsgebiet, das die Aufmerksamkeit von dem eigentlichem Erkenntnisgegenstand, dem Völkerrecht, abzuziehen drohte. Das galt jedenfalls für europarechtlich-operative Themen jenseits der Vertragsgrundlagen.[15] Der „Europarechtler“ war bis in die 1990er Jahre nicht der Typus von Nachwuchswissenschaftler oder Referent, den das Institut bevorzugte. Als Zusatzqualifikation und als pragmatische Notwendigkeit, berufungsfähig zu werden, war es geduldet. Als eigenständiges Gebiet, das als im Grunde Verwaltungsrecht und damit außerhalb der Institutszuständigkeit liegend betrachtet wurde, war es jedenfalls bis Anfang der 2000er Jahre beargwöhnt. Noch als ein sehr bekannter, neuer Direktor mit, unter anderem, starkem europarechtlichen Profil berufen wurde, hieß es intern, man hoffe, er mache Wirtschaftsvölkerrecht und nicht zu viel Europarecht.

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[1] BVerfGE 37, 271-305 – Solange I; zu den nationalen und europäischen Folgen des Beschlusses: Bill Davies, Pushing Back: What Happens When Member States Resist the European Court of Justice?, Contemporary European History 21 (2012), 417-435.

[2] BVerfGE 154, 17-152 – PSPP.

[3] Rudolf Bernhardt, Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften: Studie, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften 1976, Beilage 5/76, 25.

[4] Foto: MPIL.

[5] Bernhardt (Fn. 3).

[6] Europäische Kommission, Audiovisual Service, Signature of a joint declaration on the respect of fundamental rights by the EP, the Council and the CEC, ID: P-015852/00-01.

[7] Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 27. April 1977, ABl. 1977, C 103/1.

[8] Näher: Frank Schorkopf, Die unentschiedene Macht, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 158 ff., 170.

[9] Foto: MPIL.

[10] Herrmann Mosler/Rudolf Bernhardt/Meinhard Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa. Europäische Menschenrechts-Konvention und Europäische Gemeinschaften. Internationales Kolloquium veranstaltet vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg, Berlin: Springer 1977.

[11] Vgl. in diesem Kontext: Ernst Benda/Eckart Klein, Das Spannungsverhältnis von Grundrechten und übernationalem Recht, Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), 389 ff.

[12] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl – Entstehung und Qualifizierung, ZaöRV 14 (1951/52), 1- 45; Hermann Mosler, Zur Anwendung der Grundsatzartikel des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, ZaöRV 17 (1956), 407-427; Hermann Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, ZaöRV 28 (1968), 481-502.

[13] Bericht der ad hoc-Gruppe für die Prüfung der Frage einer Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments („Bericht Vedel“),25.3.1972, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften 1972,  Beilage 4/72, 7-85, 83 ff., auszugsweise zugänglich unter https://www.cvce.eu/de/obj/auszug_aus_dem_bericht_vedel_uber_die_entwicklung_der_praktiken_der_zusammenarbeit_zwischen_den_institutionen_25_marz_1972-de-5b08539b-cac2-43dc-85d9-2ecafb02bba5.html.

[14] Siehe: Constanze Jeitler, An “Almost Impossible Mission”: MPIL Director Jochen Abr. Frowein and the “EU Sanctions Against Austria” in 2000, MPIL100.de.

[15] Der vom Institut, besonders von Jochen Frowein, bearbeitete europäische Menschenrechtsschutz durch die EMRK ist davon ausgenommen, allerdings ist dieser als völkervertragliches Instrument des Menschenrechtsschutzes dem Völkerrecht zuzuordnen.

English

How the MPIL’s “Heidelberg Approach” Helped Resolve a Crisis in the 1970s

In May 1974, the German Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht) published its famous Solange I decision. The Second Senate had found that the lack of fundamental rights protection in the European Communities necessitated the application of German fundamental rights law to European secondary law as long as (“solange”) there was no catalogue of fundamental rights adopted by the European Parliament.[1]  The decision triggered a legal and diplomatic crisis – very similar to the events that unfolded after the PSPP judgement in May 2020.[2]

Until now, little attention has been drawn to the fact that the Max Planck Institute was actively involved in resolving this crisis – this episode will be the subject of the following miniature. At the end, it provides an opportunity to formulate a thesis on the role of EU law in the institute’s work and self-image at the end of the 1990s.

Fundamental rights are an “outstanding achievement of the modern constitutional state.”[3]  Their general purpose lies in protecting the individual by limiting state power and enabling political participation; in some legal systems, fundamental rights also promise social emancipation. With the European Court of Justice substantiating the political power of the European Communities on the basis of an autonomous legal order in order to make the European Union’s actions as independent as possible from the member states, it now also required an acceptable form of fundamental rights protection.

Rudolf Berhardt at his inauguration as director of the institute, 1970[4]

This was the essence of a study published by Rudolf Bernhardt, the institute’s director at the time, on “Problems of a Catalogue of Fundamental Rights for the European Communities” („Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften“) in the Bulletin of the Communities in 1976. The study was published together with a report by the European Commission on the “Protection of Fundamental Rights in the Creation and Development of Community Law”.[5]  This link was no coincidence. The Commission had commissioned the study from Bernhardt. It was intended to underpin its strategy for binding the European Communities to fundamental rights.

The study follows a comparative law approach, for which Bernhardt tapped into the expertise of the research fellows. Karin Oellers, Eckart Klein and Christian Tomuschat, among others, contributed to the study, which analysed the commitment to fundamental rights in the other member states of the Communities. The study, sound and sober in tone, concluded that the Community is indeed bound by fundamental rights in the form of general legal principles, which – due to the nature of the process – can only be developed incrementally. Nevertheless, it found, there was legal uncertainty and the binding nature of those principles for the European institutions, namely the European Parliament, the Council, and the Commission, was sometimes ambiguous.

The study ended with the surprising recommendation to have the three institutions make a declaration on their commitment to the fundamental rights developed by the European Court of Justice. That was what ensued: On 5 April 1977, the presidents of the three institutions, president of the Commission Roy Jenkins, president of the parliament Emilio Colombo, and president of the Council David Owen, signed a Joint Declaration in Luxembourg,[6] binding the institutions to the praetorian protection of fundamental rights.[7]  The Court of Justice itself was left out, which was understandable from a methodological and practical point of view, as it recognised – i.e. invented and concretised – precisely those Community fundamental rights. Nevertheless, a pattern emerged, as the Court’s cautious approach to the Charter of Fundamental Rights, which has been proclaimed but did not enter into force legally yet, showed a good 20 years later.

Dispelling the doubts about the Community institutions’ commitment to fundamental rights by means of a declaration was a course of action based on an innovation that had been tried out shortly before. In 1975, the Council and Parliament had agreed on a substantive involvement of the Parliament in the legislative process, the conciliation procedure, which was a consequence of the Brussels and Luxembourg Treaties. Both treaties had opened up the budgetary procedure to the European Parliament – now parliamentary involvement via budgetary power, familiar from 19th century constitutionalism, was on the cards. The spin doctors in the legal services of the institutions had considered laying out the procedure in a declaration, as the treaties could not and were not supposed to be amended for this purpose, while at the same time, however, at least “soft normativity” was desired. [8]

Meinhard Hilf, 1970s[9]

Even if there are no tangible traces of the dossier at the Institute, it was no coincidence that the European Commission had explicitly commissioned the Max Planck Institute with the study. There was a personal connection between the two institutions through Meinhard Hilf. Hilf, who had obtained his doctorate in Heidelberg in 1972 under Herrmann Mosler, worked in the Commission’s legal service from 1974 to 1976. In 1977, he returned to the Institute as a research fellow to complete his habilitation under Bernhardt. Whether the author of the study formulated his recommendation to have the European institutions make a declaration on his own initiative or whether the study was intended to provide scientific support for a plan that had already been drawn up must be left open at this point.

In any case, the episode exemplifies the Heidelberg Approach, the function and self-image of the Max Planck Institute: As a government-related research institute, it placed its comparative and dogmatic expertise, its linguistic, human, and library resources at the service of an overarching political goal of the Federal Republic of Germany, namely European integration. At the same time, it made a singular contribution to the protection of European fundamental rights – also beyond the study itself. The topic was dealt with extensively by the institute and its researchers, as shown by the major conference held in Heidelberg in 1976 on the protection of European fundamental rights, which was published a year later in the Black Series (“Schwarze Reihe”).[10]  With its personal connections to the Foreign Office, the European Commission and the Federal Constitutional Court, whose President chairs the Institute’s Scientific Advisory Board,[11] it was the hub of a network of legal communication.

The directors of the Institute were also involved in important events and developments in European integration before and after this episode. Hermann Mosler is known to have been involved in an advisory capacity in the negotiations on the European Coal and Steel Community and published key articles on the subject in the institute’s journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV; English title: Heidelberg Journal of International Law, HJIL).[12]  Jochen Frowein, who was appointed to the Institute in 1981, had already contributed to the “Vedel Report” in 1972. The report was a perceptive, analytical assessment of the institutional framework of the Communities shortly after the end of the twelve‑year transition period, which contained comprehensive proposals for parliamentarisation.[13]  Towards the end of his directorship, he was one of the “three wise men” whose report in September 2000 put an end to the “Causa Austria”, the diplomatic sanctions imposed on Austria because of the FPÖ’s participation in government.[14]

Nevertheless, I would like to conclude with the following thesis: “EU law” was a new field of law viewed with slight suspicion as it threatened to draw attention away from the core object of interest, international law. This was certainly the case for issues relating to operative EU law beyond the foundations of the treaties.[15]  Until the 1990s, the “European law scholar” was not the type of junior academic or research fellow favoured by the Institute. EU law was tolerated as an additional qualification and as a pragmatic necessity to become eligible for appointment. As an independent field, which was regarded essentially administrative law and therefore outside the Institute’s remit, it was frowned upon until the early 2000s. Even when a very well-known new director with, among other things, a strong European law profile, was appointed, word was one hoped that he would focus on international trade law and not EU law.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] BVerfGE 37, 271-305 – Solange I; On the national and international aftermath of the decision: Bill Davies, Pushing Back: What Happens When Member States Resist the European Court of Justice?, Contemporary European History 21 (2012), 417-435.

[2] BVerfGE 154, 17-152 – PSPP.

[3] Rudolf Bernhardt, Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften: Studie, Bulletin of the European Communities 1976, supplement 5/76, 25.

[4] Photo: MPIL.

[5] Rudolf Bernhardt (fn. 3).

[6] European Commission, Audiovisual Service, Signature of a joint declaration on the respect of fundamental rights by the EP, the Council and the CEC, ID: P-015852/00-01.

[7] Joint Declaration by the European Parliament, the Council and the Commission, Official Journal of the European Communities, 27 April 1977, C 103/1.

[8] For further reference: Frank Schorkopf, Die unentschiedene Macht, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 158 ff., 170.

[9] Photo: MPIL.

[10] Herrmann Mosler/ Rudolf Bernhardt/ Meinhard Hilf (eds.), Grundrechtsschutz in Europa. Europäische Menschenrechts-Konvention und Europäische Gemeinschaften. Internationales Kolloquium veranstaltet vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg, Berlin: Springer 1977.

[11] In this context, cf: Ernst Benda/Eckart Klein, Das Spannungsverhältnis von Grundrechten und übernationalem Recht, Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), 389 ff.

[12] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl – Entstehung und Qualifizierung, HJIL 14 (1951/52), 1- 45; Hermann Mosler, Zur Anwendung der Grundsatzartikel des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, HJIL 17 (1956), 407-427; Hermann Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, HJIL 28 (1968), 481-502.

[13] Report of the Working Party examining the problem of the extension of the powers of the European Parliament (“Vedel Report”), 25 March 1972, Bulletin of the European Communities 1972, supplement 4/72, 7-85, 83ff, available at: Archive of European Integration (pitt.edu).

[14] See: Constanze Jeitler, An “Almost Impossible Mission”: MPIL Director Jochen Abr. Frowein and the “EU Sanctions Against Austria” in 2000, MPIL100.de.

[15] This excludes human rights protection under the European Convention of Human Rights, which has been researched at the institute, especially by Jochen Frowein. It is, as an international treaty on human rights, however, part of international law.

Zeitgenossenschaft, Expertise und das „Völkerrecht als Rechtsordnung“. Das MPIL „um 68“

Dieser Beitrag, zur Diskussion gestellt als Teil eines Roundtable-Gesprächs im Rahmen der Seminarreihe zur Institutsgeschichte, ist Teil einer gemeinsamen Reflexion über die Zeitgenossenschaft des MPIL. Ist es im Verlaufe seiner Nachkriegsentwicklung auf der Höhe seiner Zeit gewesen, und ist die Zeit auf der Höhe der Wissenschaft der MPIL gewesen? Letzteres wäre der Fall, wenn die Wissenschaft des Völkerrechts den realen Verhältnissen der inter­na­tionalen Beziehungen vorausgeeilt oder auf dem Wege wäre, die zukünftigen Etappen der Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft mitzugestalten.

I. Woran will ich die Zeit­genossenschaft des MPIL (in dem erwähn­ten doppelten Sinne) festmachen? Unter den verschiedenen methodischen Wegen zur Beant­wortung dieser Frage bot sich die mir persönlich nächstliegende Herangehens­weise an, nämlich die Identifizierung und Bewertung jener Thematik, welche das Institut seinerseits „um 68“ zum Gegenstand seiner Forschung gemacht und damit auf die völkerrechtswissenschaftliche Agen­­da gesetzt hat. Die Deka­de zwischen der Mitte der 1960er und der 1970er Jahre betrachte ich als die Zeitspanne, die man grob vereinfachend als „um 68“ charakterisieren kann. Diese Jahreszahl vermittelt ja nicht lediglich eine chronologische Infor­mation, sondern symbolisiert nachhaltig wirkende gesellschaftliche Ereignisse mit internationaler Ausstrahlung in verschiedene, vor allem westliche Gesell­schaften.

Hermann Mosler 1975 in der Alten Aula anlässlich des 50-jährigen Institutsjubiläums (Foto: MPIL)

Als para­digmatisch betrachte ich das Thema, mit dem Hermann Mosler, der da­malige Direk­tor des MPIL, die Serie der Beiträge eröffnete, die aus An­lass des 1974 gefeierten 50jährigen Bestehens des Instituts in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) veröffentlicht wurden. Es lautete: Völker­recht als Rechts­ord­nung. Natürlich war das keine speziell für das Jahrzehnt zwischen der Mitte der 1960er und 1970er Jahre charakteristische wissenschaftliche Fra­gestellung. Mosler hatte dieses Thema gewählt, weil er damit das Werk des Gründungsdirektors des Kaiser-Wilhelm-Instituts Viktor Bruns ehren wollte, der im Jahr 1929 die ZaöRV gegründet und den ersten Band mit eben dieser Thematik – „Völkerrecht als Rechtsord­nung“ eröffnet hatte.

Man könnte sagen, dass dieses Thema für das MPIL nicht nur aus Anlass seiner Jubiläen bedeutungsvoll und würdiger Gegenstand seiner Forschung ist, son­dern im Grunde die Ratio seiner Existenz ausmacht. Jubiläen wie das fünf- fünfzig- oder hundertjährige Bestehen des MPIL markieren daher lediglich Stationen, wie sich dieses für den wissenschaftlichen Auftrag des MPIL konstitutive Problem im geschichtlichen Prozess der dazu geführten Diskurse entwickelt hat. Aus Anlass des hundertsten Geburtstages des MPIL daran zu erinnern ist der Sinn der folgenden Überlegungen eines Nicht-Völkerrechtlers.

Original Typoskript des Vortrages „Völkerrecht als Rechtsordnung“ von Viktor Bruns, gehalten am 16. Februar 1927 vor der KWG (Foto: MPIL)

II. Zunächst: Was meinten die beiden Autoren Bruns und Mosler mit der Qualifi­zierung des Völkerrechts als Rechtsordnung? Gewiss verstanden sie unter dem Begriff Rechtsordnung nicht le­diglich eine Ordnung allein des recht­lichen Stof­fes, den wir als Völkerrecht klassifizieren, das heißt eine Ta­xonomie des Rechts­stof­fes, der die internationale Dimension des Rechts betrifft. So etwas gehört in den Hörsaal einer Vorlesung über das Völkerrecht und wird in den völker­recht­lichen Reflexionen und Forschungen vorausgesetzt. Wenn das Völkerrecht als Rechtsordnung qualifiziert wird, dann ist damit nicht gemeint, dass dieses Rechtsgebiet eine Ordnung hat und deswegen auch eine Ordnung dieses Rechtsgebietes ist – sinnvollerweise kann damit nur gemeint sein, dass das Völkerrecht eine ordnende Funktion für seinen Gegenstand hat, nämlich die internationale Gemeinschaft.

In modernen Gesellschaften ist die gesellschaftliche Ordnung zugleich eine Rechtsordnung – rechtlich konstituiert und reguliert. Sozial­ord­nung und Rechts­­­­ordnung sind weitgehend identisch – selbst der Bruch des Rechts ist ein rechtliches Ereignis. So ist zum Beispiel Diebstahl ein in die Alltagssprache eingegan­gener Rechtsbegriff für den Vorgang der Wegnahme einer Sache ohne oder gegen den Willen der bestohlenen Per­son. Das ist ge­meint, wenn von der konstitutiven Bedeutung der Norm für die Erkenntnis des rechtlichen Charak­ters sozialer Beziehungen und Verhält­nisse die Rede ist: der von der sinnlich wahr­nehmbaren konkreten Realität eines sozialen Verhältnis­ses abstrahier­ende Rechtsbegriff prägt Sprache und Be­wusst­sein einer durch Recht konsti­tuierten Ordnung. Ohne das Recht gäbe es diese Ordnung nicht; ohne das Recht wären die Men­schen lediglich ein Haufen im Hobbes’schen Naturzu­stand, in dem jeder gegen jeden um sein Überleben kämpft.

III. In der Begeisterung der demokratischen Bewegung der Paulskirchenversammlung 1848 und deren Ver­abschiedung einer Verfassung schrieb der Dichter Fer­di­­nand Frei­li­grath: „Noch gestern, Brüder, wart ihr nur ein Haufen; ein Volk, o Brüder, seid ihr heut“.

Die gegenwärtig gängige Formulierung für etwas Gleichartiges oder Ähnliches in Bezug auf die inter­na­tio­nalen Beziehungen lautet „regelbasierte Weltord­nung“. Das ist das Ideal ins­besondere der liberalen westlichen Demokratien des globalen Nordens. Eine regelbasierte Ordnung müsste auf globaler Ebene das leisten, was innerstaatlich jedenfalls in jenen Staaten gesichert erscheint: Frie­den und Ordnung durch Recht. Wir wissen, dass es das nicht gibt, in dem Zeitalter der Staatlichkeit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch nicht gegeben hat.

Warum hat es diese Konstellation in den Beziehungen der Staaten nicht gege­ben? Die Antwort ist so schlicht wie folgenreich. Die Staaten bilden eine Plura­lität, sicherlich mehr als einen Haufen oder eine bloße Menge. Andererseits haben sie sich nicht wie der Freiligrath’sche Haufen zu einem kollektiv hand­lungsfähigen Ver­band transformiert – sie befinden sich damit in der paradoxen Situation, dass sie unter diesem Zustand der unorganisierten Vielheit zugleich leiden, wie ihn aber gleichzeitig auch genießen und mit allen Mitteln verteidi­gen. Sie leiden darunter, dass sie mangels ei­ner über ihnen existierenden sanktionsfähigen Autorität eines in­ter­na­tionalen Superstaates in ständiger Sorge um ihre Sicher­heit leben, die potentiell von jedem anderen Staat bedroht ist, und sich daher in ständiger kostenintensiver Wehrbereitschaft befinden müssen. Sie genießen diesen Zustand zugleich aber auch, weil sie dank ihrer Souveränität keiner ihnen überlegenen Ordnungsmacht unterliegen und weitgehend ungestört und selbstbezüglich ihre inneren Angele­gen­heiten regeln können – bis hin zu grausamster Unter­drückung ihrer jeweiligen Völker.

IV. Dieser „Souveränitätspanzer“ verhindert, dass völkerrechtliche Normen einen konstitutiven Status erlangen können. Sie können nicht den soziologischen Roh­­­zustand der internationalen Beziehungen souveräner Staaten in eine Ord­nung umwandeln, die einen verbindlichen kollektiven Mehrheitswillen hervor­bringen könnte, geschweige denn eine überlegene Autorität, die diesen Willen gegen Widerspruch durchsetzen könnte. Schon der Gegenstand des Völ­ker­rechts ist diffus: laut Präambel der UNO-Sat­zung sind es die „Völker der Ver­einten Natio­nen“, später im Text dann auch nur die „Vereinten Natio­nen“, in der Li­tera­tur wird auch von der „inter­na­tionalen Gemeinschaft“, „Staa­ten­ge­mein­schaft“, der „Völkerrechtsgemeinschaft“ oder der „Staaten­gesellschaft“ gesprochen, zuweilen von der Mensch­heit (man­kind). Bei genauer Betrachtung bilden die Staaten keine Gemein­schaft, sondern eine Gesellschaft. In der präzi­sierenden Unterscheidung zwischen Vergemeinschaftung und Vergesell­scha­ftung von Max Weber wird letztere als die Existenz einer sozialen Beziehung gekennzeichnet, „wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckra­tional) motiviertem Interes­senaus­gleich oder auf ebenso motivierter Interes­sen­ver­bindung beruht“.[1] In diesem Sinne kennzeich­net Hedley Bull, Be­grün­der der englischen Schule der internationalen Beziehun­gen, das Pluriversum der Staaten als „anar­chi­cal society“. Damit charakterisier­te er eine Konstellation, die durch drei widerspruchsvolle Elemente gekenn­zeich­­­net sei: Kriege zwischen den Staaten und Kämpfe um Macht; transnationa­le Solidarität und Konflikt sowie Kooperation und regulierte Beziehungen zwis­chen Staaten.[2] Auf ein weniger beachtetes Element dieser Beziehung von Krieg und internationalem anarchischem System hat übrigens der britische Militär­historiker Michael Howard in einem klugen Essay unter dem Titel The Invention of Peace  aufmerksam gemacht.[3]

Rudolf Bernhardt, Ernst Friesenhahn und Jochen Frowein auf der Tagung „Völkerrecht als Rechtsordnung“ 1975 (Foto: MPIL)

Die weitgehend anerkannten Eigenheiten der internationalen Ordnung be­ruhen darauf, dass die Staaten nicht rechtlich kon­stituiert sind. Staaten sind keine Geschöpfe des Rechts, sondern natur­wüch­sig aus dem mehr oder weni­ger gewalttätigen Verkehr der Staaten oder sonstiger Herrschafts­verbände hervorgegangene Gebilde (zum Beispielnach dem Zerfall von Imperien), die ausschließ­liche Herrschaft über ein umgrenztes Territorium und dessen Bevöl­kerung aus­üben. Während binnenstaatlich die soziale Ordnung durch die kon­stitutive Wir­kung der Verfassung in eine Rechtsordnung transformiert wird, bleibt die Exi­stenz der Staaten in der zwischenstaatlichen Sphäre ein bloßes Faktum. Kel­sen bezeichnete bekanntlich das Völkerrecht als eine „primitive Rechtsord­nung“. Da­­mit bezog er sich darauf, dass die generellen Normen des Völker­rechts nicht durch ein gesondertes Gesetzgebungsorgan erzeugt werden, son­dern durch die „Glieder der Rechtsgemeinschaft“ selbst, das heißt die Staaten.[4] Sie haben keine In­sti­­tu­tion hervorgebracht, die mit der selbständigen Wahrung der Gesamtinter­es­sen der „Gemeinschaft“ betraut wurde. Dass dies auch unter dem Schirm der UN-Charta gilt, zeigen deren Artikel 24 und 25. Danach handeln die Mit­glie­der des Sicherheitsrates bei der Erfüllung ihrer Hauptverantwortung für die Wahr­ung des Weltfriedens nicht im Namen und im Interesse einer in den Ver­einten Nationen verfassten Gemeinschaft der Staaten und deren Völ­ker, son­dern im Namen der Summe der Mitglieder der Vereinten Na­tionen, also der Staaten. Sie bleiben in ihrer Pluralität und Souveränität die Quel­le der Legitimi­tät der Beschlüsse des Sicherheitsrates. Die Verbindlichkeit der Beschlüsse des Sicherheitsrates ergibt sich folglich nicht aus einer strukturellen Über­legenheit eines Gesamtwillens über die Einzelwillen der Staaten; sie folgt aus der Über­einkunft der einzelnen Mitglieder der Vereinten Nationen, „die Be­schlüs­­se des Sicherheitsrates im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzufüh­ren“ (Artikel 25). Quelle der Legitimität der Beschlüsse des Sicher­heitsrates sind die Übereinkünfte der Staaten, die damit auch die Interpretationshoheit über deren jeweiligen Inhalt und damit über das Maß der Verbindlichkeit innehaben.

Zum Mitglied einer „anarchischen Gesellschaft“ nach der erwähnten Konzepti­on von Bull wird ein Staat als Faktum erst durch die Anerkennung als Staat – erst dadurch erwirbt er den Status eines internationalen Rechts­sub­jektes.[5] Bei­des – Anerkennung und Völkerrechtsfähigkeit – sind Begriffe des Völkerrechts. Ihre Geltung und Anwendung schaffen eine eigene soziale Wirklichkeit und er­lösen damit die faktische Wirk­lichkeit eines „naturhaften“ Nebeneinanders von ungleich machtvollen souveränen Herrschafts­gebilden von ihrem Verharren in der rohen Ver­sion eines Hobbes’schen Naturzustan­des.

V. Was durch die Geltung dieser völkerrechtlichen Nor­men, im Verbund mit dem elementaren, in der Re­gel rechtsethisch fundierten Grundsatz pacta sunt servanda[6] bewirkt wird, ist nichts weniger als der erste Schritt hin zu einer Rationalisierung des rohen Zustandes einer Viel­zahl machtoppor­tu­nistisch agierender Souveräne in eine normativ inspirierte Konstellation eines ge­ord­neten Ne­beneinanders. Man kann also den genannten völkerrechtlichen Nor­men einen konstitutiven Char­akter zuspre­chen.

Rechtfertigt das die These vom Völkerrecht als Rechts­ord­nung? Es kommt darauf an, welche Ansprüche wir an den Begriff der völker­recht­li­chen Ordnung stellen. Verstehen wir darunter die oben erwähnte „re­gelbasierte internationa­le Ord­nung“, so wird man die Frage wohl verneinen müssen. Denn beim gegen­wärtigen Stand der ungezügelt ausgetragenen inter­nationalen Konflikte ist von einer ordnenden, geschweige denn steuernden Macht des Völkerrechts wenig zu se­hen. Für uns Heutige muss der Frieden noch erfunden werden. Wir werden uns wohl mit der bescheide­neren Idee einer regelorientierten Ordnung zufriedengeben müssen. Die Kluft zwi­schen regelbasiert und regel­ori­entiert ist das Feld der internationa­len Politik. Sie benötigt dringend die Exper­tise und Kreativität der völkerrechtlichen Pro­fession und ihres deutschen Hor­tes, des Heidelberger MPIL. Dessen Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen ermutigt zu kühnen Hoffnungen und Wünschen.

[1] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr 1972, 21.

[2] Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, London:  Macmillan1977, 41.

[3] Michael Howard, The Invention of Peace. Reflections on War and International Order, London: Yale University Press 2000.

[4] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. (1960), 5. Neudruck, Wien: Verlag Österreich 2000, 323 ff.

[5] Vgl.  Wilfried Schaumann, Anerkennung, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, Berlin: De Gruyter 1960, 47 ff.; Hermann Mosler, Völkerrechtsfähigkeit, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, Berlin: De Gruyter 1962, 665 ff.

[6] Hierzu Werner Kägi, Pacta Sunt Servanda, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, Berlin: De Gruyter 1961, s711-716.

„Eine Stelle am MPI lässt man nicht verfallen“ Oder: Eine kleine Hommage an Professor Karl Doehring

Meine Zeit am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg war kurz bemessen, sie währte nur ein halbes Jahr, zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 1978. Diese interessante Zeit habe ich Professor Karl Doehring zu verdanken.

Professor Doehring war mir ein langjähriger wertvoller und liebenswerter Mentor. Seine Rolle bei einigen Weichenstellungen meines Lebens ist maßgeblich. Ohne sein Interesse an mir und sein Engagement hätte sich mein Leben anders gestaltet; es wäre ärmer gewesen und hätte mir – last but not least – wohl auch nicht den (ein wenig scheue ich mich, dies in diesem Zusammenhang zu erwähnen, muss dies der Ehrlichkeit halber dennoch tun) wirtschaftlichen Erfolg geschenkt, den ich erfahren durfte. Karl Doehring war Staats‑, Verwaltungs‑ und von Herzen besonders auch Völkerrechtler. Seine 2008 unter dem Titel Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union erschienenen Erinnerungen[1] sind, auch für Nichtjuristen, höchst lesenswert. Sein Schicksal als Jugendlicher und junger Mann (samt Gestapo-Verfolgung und frühem Tod des Vaters, samt Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft) ist beklemmend, seine Lebensleistung beeindruckend. Bernd Rüthers, der mit seinen Forschungen und Schriften zur Rechtsbeugung im Dritten Reich und zum „Entarteten Recht“ einen unverzichtbaren Beitrag zur Enthüllung und Aufarbeitung dieses Unrechtsstaats geleistet hat, bezeichnet Doehring in seiner Rezension des Memoirenbandes als „eine[n] der bedeutendsten Universitätslehrer des öffentlichen Rechts der Bundesrepublik“.

Karl Doehring in den 1980ern (Foto: MPIL)

Hier ist nicht der Ort und mir steht es nicht zu, die wissenschaftliche Leistung von Karl Doehring zu würdigen. Es geht mir um seine Bedeutung als Mentor, um seine menschliche Seite; im Übrigen habe ich später keinen öffentlich-rechtlichen, sondern einen zivilistischen Berufsweg eingeschlagen. Ich lernte Professor Doehring in seinen Vorlesungen zum Verfassungsrecht und zum Völkerrecht an der Universität Heidelberg kennen, schon ab dem zweiten Semester, meinem ersten Semester in Heidelberg. Und sogleich beeindruckte, faszinierte er mich. Zu einer Zeit, als andere Professoren noch Semester für Semester einfach ihr Skript, sorry: ablasen, hielt er seine Lehrveranstaltungen bereits nach der socratic method, die ich später in den USA, an der Cornell University, so immens und intensiv zu schätzen lernte: Ohne Verzicht auf Wissensvermittlung steht hierbei der Dialog mit den Studenten im Vordergrund. Durch seine Lebensgeschichte geprägt (sein Vater war in der NS-Zeit politisch verfolgt, er selbst konnte wegen Reichsarbeitsdienst, Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft erst elf Jahre nach dem vorgezogenen Abitur sein Jurastudium aufnehmen) war Karl Doehring ein Verfechter der freien Rede. Nicht nur, dass er ein begnadeter Rhetor mit vollvolumiger Stimme war, er war auch ein Ur-Liberaler, der sich durch große Toleranz und stete Diskussionsbereitschaft auszeichnete. Freiheit im Leben und Denken waren ihm Lebensmaxime. Tragisch empfand ich, dass gerade er in der wilden Zeit von SDS und SPK, während der er sich – anders als die meisten seiner Kollegen – dem Dialog und der Diskussion stellte, mit Megaphonen überschrien wurde. Genauso tragisch wie traurig empfand ich dann allerdings auch seine durch diese Erfahrungen, wohl durch seine Wahrnehmung der Ereignisse in den Jahren 1968 ff., sich entwickelnde Verhärtung. Die Grenzen seiner Toleranz wurden enger und traten deutlicher hervor. Diesen Einstellungswandel teilte er allerdings mit anderen Hochschullehrern, in Heidelberg und in der Bundesrepublik überhaupt.

Auch poetisch tätig: Karl Doehring reagiert auf Eierwurf 1969 in der Rhein-Neckar-Zeitung

Doch nun zur Bedeutung von Professor Doehring für mich persönlich. Am Ende einer Vorlesung sprach er mich an, ob ich nicht als Wissenschaftliche Hilfskraft, als „HiWi“, an seinem Lehrstuhl tätig sein wolle; ich hatte wohl während der Vorlesung eine nicht gänzlich dumme Frage gestellt oder Antwort gegeben. Mit Freude nahm ich das Angebot an. Meine Tätigkeit bedeutete die Wahrnehmung von einfachen Rechercheaufträgen und ein wenig administrative Mithilfe. In eher leidvoller Erinnerung ist mir allerdings, dass den Assistenten und HiWis von Professor Doehring bereits am späteren Vormittag in täglich‑netter Runde im Fakultätsseminar ein Gläschen Schnaps zum Verzehr gereicht wurde; die Pflanzen in seinem Büro waren wohl die Hauptleidtragenden dieser Tortur. Auch wird ein Gerücht kolportiert, dass der große, alte Frankfurter Schrank (auch heute noch im Eingangsbereich des MPIL) eine von Professor Doehring gesponserte Minibar enthielt; aus eigener Anschauung vermag ich dieses Gerücht weder zu bestätigen noch aus der Welt zu schaffen. Überhaupt kursieren wohl über kaum einen ehemaligen Direktor mehr Anekdoten als über Professor Doehring; er war eben ein profilierter Charakter.

Professor Doehrings tatkräftiger Unterstützung verdanke ich, dass mir für das akademische Jahr 1976/77 eines der beiden großzügig dotierten, nicht fakultätsgebundenen Direktstipendien im Austausch zwischen der Heidelberger Universität und der Cornell University, Ithaca, New York, zugesprochen wurde. Das Jahr an der Cornell Law School war ein großartiges akademisches und persönlich prägendes Erlebnis. Der dort erworbene LL.M.‑Grad war ein wichtiger Baustein für meinen späteren beruflichen Lebensweg und mein Reüssieren in der internationalen Anwaltssozietät Baker McKenzie.

Doch so weit war es noch nicht. Zunächst hatte ich Gelegenheit, dank eines weiteren Stipendiums – einer Förderung des think-tanks Institute für World Order, natürlich wieder mithilfe eines Referenzschreibens von Professor Doehring – eine dreimonatige Stage bei der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen in New York City zu verbringen. Auch dies eine interessante Erfahrung; das intensive Erleben des Big Apple während dieser Zeit, samt eines dreitägigen Blackouts, war flabbergasting. Nochmals intensiviert wurde das Erlebnis, weil ich mich in Cornell in eine griechische Studentin namens Adda verliebt hatte, die ich – wo sonst? – im Völkerrechtskurs kennen‑ und dann lieben gelernt hatte. Wir verbrachten die Zeit in NYC gemeinsam und es reifte der Entschluss, dass wir auch das weitere Leben gemeinsam verbringen wollten, zumindest zunächst in NYC.

Als sich nun meine Zeit bei den Vereinten Nationen ihrem Ende entgegen neigte, hatte ich einen schweren Canossagang vor mir, so schien mir jedenfalls der (zunächst telefonische) Gang nach Heidelberg, um Professor Doehring meine Pläne für die nächste Zukunft zu unterbreiten. Er hatte mir in seiner Eigenschaft als Direktor des MPIL für die Zeit nach meiner Rückkehr aus den USA eine Referentenstelle am Institut vorgehalten. Als ich nun beschlossen hatte, den USA mit Adda eine Chance zu geben und dort eventuell for good zu leben, schien mir diese Stage am MPIL hinfällig. Hier hatte ich mich jedoch profund getäuscht, hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als ich meinen Mentor aus NYC mit etwas weichen Knien anrief, um ihm diesen Wechsel in meinen Plänen mitzuteilen, schallte es mir umgehend und in no unclear terms ins Ohr: „Aber, lieber Herr Fritzemeyer, eine Stelle am MPIL lässt man nicht verfallen. Sie treten jetzt erst einmal an. Wenn Sie nach einem halben Jahr dann immer noch meinen, in die USA zu sollen, dann machen Sie das halt in Gottes Namen.“ Da gab es nun kein Vertun. Professor Doehring war mir Autorität. Ich war ihm zu großem Dank verpflichtet, war ihm immens dankbar, bin es nach wie vor. Und ihn tief zu enttäuschen, das hätte ich nicht übers Herz gebracht. So habe ich dann meine Zelte in den USA zunächst einmal abgebrochen. Adda und ich mussten eine halbjährige transatlantische Beziehung pflegen – nicht einfach für eine junge Liebe! Ich trat im Januar 1978 meine Stelle an, folgte meinem Mentor aber „in Gottes Namen“ auch insofern, als ich zum 30. Juni 1978 meinen Vertrag mit dem MPIL kündigte und wieder nach New York zurückkehrte, um erneut bei Adda einzuziehen und meine Stelle in einer New Yorker Sozietät anzutreten.

Das klingt nun nach einem etwas sinnlosen Hin und Her. Es stellte sich indessen heraus, dass es dies keineswegs war: Das halbe Jahr im MPIL war mir eine überaus wertvolle Zeit. Nicht nur der Vorarbeiten für meine Doktorarbeit (Thema: Die Intervention vor dem Internationalen Gerichtshof) wegen, sondern weit mehr noch angesichts des Erlebnisses, in solch einer hochkarätigen reinen Forschungsumgebung tätig zu sein. Mein Aufgabenfeld war beschränkt, meine Arbeitslast überschaubar. Es entstanden zwar auch zwei kleinere Publikationen, vor allem jedoch war mir der Umgang mit und das Lernen von den maßgeblichen deutschen Völkerrechtlern ein großes Erlebnis. Ich war zwar der jüngste Referent, dennoch wurde ich mit Wertschätzung aufgenommen und man suggerierte mir, „auf Augenhöhe“ mitarbeiten zu dürfen. Zentrales Erlebnis war es, ehrfurchtsvoll an den wöchentlichen Referentenbesprechungen teilzunehmen. In diesen Besprechungen referierten die Institutsangehörigen über neue Entwicklungen in und Erkenntnisse zu den jeweiligen Sachgebieten, die ihnen zugeteilt waren. Das waren Zuständigkeiten einerseits für einzelne Länder oder Regionen, andererseits für bestimmte Fachgebiete wie beispielsweise die Vereinten Nationen, ihre Unterorganisationen, die völkerrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit oder das Weltraumrecht. Und wenn hier die Professoren Mosler (ehemals Richter am Internationalen Gerichtshof), Doehring (dessen Pfeife auch während dieser Sitzungen nicht ausging!), Bernhardt oder Bothe vortrugen und untereinander oder mit altgedient‑erfahrenen Akademischen Räten diskutierten, war dies ungemein spannend. Jedes Argument schien plausibel, aber auch jedes Gegenargument, nachgerade für einen Jungspund wie mich.

Karl Doehring 1960er (Foto: MPIL)

Die Sachgebiete waren naturgemäß ihrer Bedeutung und der Seniorität der Referenten entsprechend zugeordnet. So war mir denn unter anderem das in der Gesamtschau ungeheuer wichtige Gebiet der frankophonen Staaten Afrikas zugeteilt. Und noch heute bewundere ich die Geduld, mit der diese Koryphäen meinem Einstandsbeitrag zu diesem Thema lauschten, sicher insgeheim amüsiert ob der Ernsthaftigkeit und der Ausdauer, mit der ich ihnen ihre Zeit für wertvolles Forschen stahl. Sowohl intellektuell als auch persönlich war mir die Referententätigkeit ein großer Gewinn. So beendete ich meine Tätigkeit am MPIL doch auch mit einem weinenden Auge, aber das lachende Auge und der Drang zurück in die USA und zu Adda waren doch übermächtig. Auch wenn Professor Doehring über diese, in diesem Fall dann doch irreversible, Entscheidung nicht erbaut war, trug er mir das nicht nach. Und dies, obwohl das MPIL für ihn doch Nabel seiner Völkerrechtswelt war, für dessen Mitarbeiter – insbesondere wenn er sie mochte und diese im Gegenzug, so sagt man, jedenfalls zum peripheren Konsens mit seinen Einstellungen bereit waren – er sich uneingeschränkt engagierte. Seine Sorge ging hin bis zu den Betriebsausflügen, die ihm immer besonders am Herzen gelegen haben sollen: Jeden Ausflugsort habe er zuvor selbst besucht, um sicher zu gehen, dass er sich auch wirklich eigne.

Nach zweieinhalbjähriger Anwaltstätigkeit in NYC und dem Bar Exam dort sowie leider der Erkenntnis seitens Addas und mir, dass wir wohl doch nicht füreinander bestimmt waren (wir sind uns jedoch noch heute freundschaftlich verbunden) und nach einer halbjährigen Weltreise  – dank eines PanAm-Standby-Tickets „Around the World“ für $999! – trat ich eine Assistentenstelle bei Professor Kay Hailbronner, Schüler von Herrn Doehring und selbst langjähriger MPIL‑Mitarbeiter, in Konstanz an. Den Hinweis auf diese Stelle und meine Empfehlung Herrn Hailbronner gegenüber hatte ich – wem wohl? – Professor Doehring zu verdanken. Konstanz, und damit Professor Doehring, verdanke ich schöne zwei Jahre vertrauensvoller Arbeit für und mit Professor Hailbronner, meine Promotion sowie das Kennenlernen einer Assistentenkollegin namens Verena, die meine Frau und Mutter unserer drei Kinder geworden ist.

Karl Doehring in seinem Büro, 1970er. Foto: MPI

Karl Doehring in seinem Büro, 1970er. Foto: MPI

Und noch ein weiteres Mal hat Professor Doehring meinen akademischen Weg unterstützt: „Mit Freude“, so schrieb er mir, habe er eines der beiden Gutachten verfasst, die im Zusammenhang mit meiner Ernennung zum Honorarprofessor der Universität Konstanz erforderlich waren.

Die wohl letzte maßgebliche Begegnung hatten wir als Professor Doehring mir die Freude machte, anlässlich unsres Cornell Weekend 1993 – eines Treffens der deutschen Alumnae und Alumni der Cornell University – in Heidelberg als Referent zur Verfügung zu stehen. War sein Vortrag zum Thema Maastricht – Staat und Verfassung im zusammenwachsenden Europa schon spannend genug, wurde es auch die Diskussion, gegen alle Usancen „sokratisch“ ausufernd: Erst um 1:30 Uhr am frühen Morgen brach er notgedrungen – und  dem leisen Wink seiner lieben Frau (definitiv alles andere als eine Xanthippe!) folgend, es sei nun doch „etwas spät“ geworden – den Heimweg an.

Professor Doehring und ich blieben einander verbunden. Alle die beschriebenen, mir von ihm eröffneten Stationen waren prägend und bedeutungsvoll für mich und mein Leben; ich bin Professor Doehring zu größter Dankbarkeit verpflichtet (Verena und die Kinder natürlich auch!). Ich hoffe, dass ich ihm dies über die Jahre jedenfalls ein wenig deutlich machen konnte. Seine vorgenannte Autobiographie sollte auch denjenigen, die ihn nicht persönlich kennenlernen durften, deutlich machen, dass sich das MPIL glücklich schätzen durfte, einen solch wertvollen, humorigen, bisweilen wohl auch ein wenig kauzigen, sicher kantigen, auf jeden Fall intellektuell ehrlichen und empathischen Menschen in seinen Reihen und als langjährigen Direktor zu haben und zu erleben.

[1] Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs Verlag 2008.

Suggested Citation:

Wolfgang Fritzemeyer, „Eine Stelle am MPI lässt man nicht verfallen“. Oder: Eine kleine Hommage an Professor Karl Doehring, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-094310-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Fontes Juris Gentium. Ein völkerrechtliches Editionsprojekt

Fontes Iuris Gentium. An editorial project on international law

Deutsch

Einleitung. Zur Schaffung eines „Sinnsystems“

Vor etwa 100 Jahren war es wohl allenfalls Utopisten vorstellbar, dass riesige Quellen- und Textsammlungen digital verfügbar sein könnten. Zu jener Zeit waren Textsammlungen dessen, was man als Völkerrecht kannte, äußerst rar und ihre Anpassung an Rechtsentwicklungen allein schon aus technischen Gründen zeit- und natürlich auch kostenaufwendig. Die bedeutendste Sammlung völkerrechtlicher Quellen war seinerzeit der von Martens herausgegebene Recueil völkerrechtlicher Verträge, dessen erster Band bereits 1791 erschien.[1] Diese Publikation wird zurecht als die bedeutendste Grundlage des Völkerrechts und Martens daher als „Vater des positiven Völkerrechts“ angesehen.  Vor diesem Hintergrund war die Idee, weitere völkerrechtliche Quellen zu sammeln und zu publizieren, folgerichtig und es war naheliegend, dass dabei der Blick auf die völkerrechtliche Praxis gelenkt wurde. Die verlässlichste Aussagekraft über diese bot die internationale Gerichtsbarkeit, was zu dem Projekt führte, den völkerrechtlichen Gehalt aus Entscheidungen internationaler Rechtsprechungsorgane kontinuierlich zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Der Urheber des Projekts, Viktor Bruns, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (später Max-Planck-Institut, MPIL), umschrieb die Grundidee folgendermaßen:

„Es ist … Aufgabe der Wissenschaft, die Grundlagen und Grundprinzipien des Völkerrechts als einer Rechtsordnung zu ermitteln und ein System aufzustellen, das aus der Beobachtung der internationalen Praxis gewonnen ist und das ein Sinnsystem ist, das dem Charakter einer Rechtsordnung und im speziellen dem einer Ordnung für das Zusammenleben und den Verkehr der Staaten entspricht. So muß die Theorie des Völkerrechts aus der Erfahrung in der Praxis gewonnen, und so muß die Praxis an den so gewonnenen Erkenntnissen geprüft werden. Das ist nur möglich auf Grund eines umfassenden Überblicks über die internationale Praxis. Diesen Überblick zu verschaffen, ist Zweck der Herausgabe der Fontes Juris Gentium.“[2]

Da bekanntlich Völkerrecht nicht nur Grundlage der Entscheidungen vor internationalen Gerichten ist, sondern auch nationale Gerichte bei ihrer Rechtsfindung Völkerrecht anzuwenden haben, war das Projekt Fontes Iuris Gentium nicht nur darauf angelegt, die Rechtsprechung internationaler Gerichte zu bearbeiten, sondern auch die Positionen nationaler Gerichte zu völkerrechtlichen Fragen aufzuarbeiten. Entsprechend wurden in der Serie der Fontes zur   Gerichtsbarkeit (Series A) zwei Abteilungen vorgesehen: die erste Abteilung (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 1) war der internationalen Gerichtsbarkeit gewidmet, das heißt dem Ständigen Schiedshof und dem Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH) und dessen Nachfolger, dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Die zweite Abteilung dieser ersten Serie (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 2) galt der Erörterung völkerrechtlicher Fragen in den Entscheidungen der obersten Gerichte der wichtigsten Staaten. Zusätzlich zur Serie über die internationale Gerichtsbarkeit wurde eine zweite Serie angelegt, die die politischen und rechtlichen Grundsätze aus dem Notenwechsel der wichtigsten Staaten enthalten sollte (Series B). Geplant, aber niemals ausgeführt wurden zudem eine dritte Serie zu Gutachten und Entscheidungen internationaler Organe, die nicht den Charakter internationaler Gerichte haben (Series C), und schließlich eine vierte Serie (Series D), in der die Vertragsklauseln der wichtigsten, seit Beginn des 19. Jahrhunderts abgeschlossenen Verträge enthalten sein sollten.[3] Dass dieses höchst ehrgeizige Vorhaben nur in langfristiger Zusammenarbeit mehrerer Wissenschaftler durchgeführt werden konnte, war offensichtlich. Daher war es ohne Frage bei einer Forschungseinrichtung wie dem MPILin den richtigen Händen und wohl auch nur hier zu bewältigen.

System und Aufbau der Fontes  

Meine persönliche Erfahrung mit der Arbeit an den Fontes betrifft nur die Serie A, Sectio 1, also die Bearbeitung der Entscheidungen des IGH, beginnend mit der Publikation von Band 6, der die Entscheidungen von 1959-1975 enthält, bis zur Beendigung des Projekts im Jahr 2005.

Als ich 1970 als wissenschaftliche Referentin am MPIL angestellt wurde, war dies in zweierlei Hinsicht etwas Besonderes, was mir allerdings erst später bewusst wurde. Zum einen war damals schon die Tatsache, dass Frauen im wissenschaftlichen Bereich eingestellt wurden, außergewöhnlich und kann als „Pilotprojekt“ für die dann später zunehmende Einstellung von Kolleginnen angesehen werden. Zum anderen, und wesentlich bedeutender, war die Tatsache, dass meine vita nicht den Lebensläufen bisheriger Mitarbeiter entsprach. Ich hatte nämlich in einem ersten Studium den Weg als Diplomdolmetscherin eingeschlagen und dann bei der EWG mit seinerzeit noch nur sechs Mitgliedstaaten als Simultandolmetscherin gearbeitet. Aber diese wenig kreative Tätigkeit erschien mir auf Dauer nicht befriedigend und so studierte ich dann Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Die Kombination aus Sprachkompetenz und erfolgreichem Jurastudium war dann offensichtlich ausschlaggebend für meine Einstellung –insbesondere mit Blick auf das Projekt Fontes, das aufgrund der zunehmenden Zahl von Fällen, die vor den IGH gebracht wurden, intensiveren Einsatz forderte. Erfreulicherweise blieb jedoch trotzdem noch Raum für die Fertigstellung einer Dissertation.[4] Neben den üblichen Aufgaben als wissenschaftlicher Referent am Institut blieb ich bis zur Einstellung 2005 „die Konstante“ des Fontes‑Teams, dessen Leitung ich 1985 übernommen hatte, mit Beginn der Fortführung des  Projekts in der von Professor Rudolf Bernhardt initiierten Form des World Court Digest. Die weiteren drei bis vier Mitglieder der Arbeitsgruppe waren jeweils nur vorübergehend eingebunden.

Wie schon erwähnt, begann meine Tätigkeit an den Fontes mit den beiden Teilbänden von Band 6 der Fontes Series A, Sectio 1. Diese waren (zusammen mit Band 7, der die Dekade von 1976 bis 1985 abdeckt) die letzten Bände, die noch unter dem ursprünglichen Titel und in der ursprünglichen Form der Fontes Iuris Gentium erschienen. Die Dokumentation der späteren Rechtsprechung des IGH wurde dann unter dem Titel World Court Digest fortgeführt, allerdings mit einigen wesentlichen Änderungen.

Aber zunächst einmal zum grundlegenden System der Fontes-Serie. Wie der Titel bereits sagt, handelt es sich um ein Quellenwerk. Das heißt, dass nur Exzerpte aus den Originaltexten der Entscheidungen des Gerichts wiedergegeben wurden. Das schließt natürlich auch Gutachten ein. Da die Entscheidungen jeweils in Englisch und Französisch abgefasst sind, wurden jeweils beide Sprachfassungen aufgenommen, auf der linken Buchseite die französische Fassung, auf der rechten die englische. Exzerpte des authentischen Texts der Entscheidung wurden mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Auch Erklärungen und Sondervoten, die den Entscheidungen angefügt sind, wurden ausgewertet und zunächst in kleinerem Druck einbezogen, auch hier wurde jeweils die authentische Sprache kenntlich gemacht. Später, bei der Umstellung auf den World Court Digest, wurde allerdings die Einbeziehung der Sondervoten und Erklärungen zunächst grundsätzlich in Frage gestellt. Die Aufnahme dieser Texte wurde aber dann – glücklicherweise – doch beibehalten, da sie zum Diskussionsstand im Gericht und insbesondere auch zur Entwicklung der Rechtsauffassung des Gerichts außerordentlich informativ sind.

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Die Systematik aller Bände folgt einem einheitlichen Aufbau: Der erste Teil der jeweiligen Bände gilt dem materiellen Recht, das in gleichbleibender Struktur von den Grundlagen und Grundfragen des Völkerrechts über spezielle Rechtsgebiete wie Vertragsrecht, Staatshaftungsrecht, und internationale Organe bis hin zu Krieg und Neutralität reicht. Gerade in diesem Teil hat sich natürlich die Bandbreite der Sachgebiete über die Jahre ganz wesentlich erweitert, da das Völkerrecht immer mehr Bereiche abdeckt, wie zum Beispiel Seerecht, Luft- und Weltraumrecht, Menschenrechte, internationales Wirtschaftsrecht, internationales Umweltrecht, internationales Strafrecht, um nur einige der neueren Aspekte zu nennen. Der zweite Teil eines Bandes gilt jeweils der Struktur der internationalen Gerichtsbarkeit, also dem StIGH und dem KaIGH und hat sich sachlich nicht erweitert. Er behandelt neben den Grundlagen der internationalen Gerichtsbarkeit die Bereiche Zuständigkeit, Verfahren, Urteile und Gutachten.

Wie bereits betont, trug die Publikation ursprünglich den Titel Fontes Iuris Gentium und den Untertitel Handbuch der Entscheidungen des (Ständigen) Internationalen Gerichtshofs. Dieser präzisierende Zusatz war durchaus sinnvoll, denn die Entscheidungen internationaler Gerichte sind als solche nicht „Quellen“ des Völkerrechts, da Gerichte bekanntlich nicht Recht setzen, sondern Recht sprechen. Allerdings sind die Grenzen hier oft fließend, und gerade im Völkerrecht gab es vor 100 Jahren nicht nur „weniger Recht“, sondern vor allem: weniger geschriebenes, kodifiziertes Recht. Aufgabe und Wert der Fontes lag insbesondere darin, genau herauszuarbeiten und zu dokumentieren, was das internationale Gericht als Teil des positiven Völkerrechts festgestellt hatte. Diese Zielsetzung musste bei der konkreten Arbeit immer wieder in Erinnerung gerufen werden, denn bisweilen war es schon sehr verlockend, ein Exzerpt kurz zu halten und damit die Aussage des Gerichts konkreter und definitiver zu fassen, als sie tatsächlich sein sollte. Doch der wissenschaftliche Geist und die Verantwortung des Teams und seines langjährigen Leiters Rudolf Bernhardt führten – wie wir fanden – immer dazu, die „Quelle“ nicht anzutasten und Aussagen so umfänglich wie erforderlich zu reproduzieren, um ihren tatsächlichen Gehalt getreu widerzuspiegeln. Dieses Bestreben führte auch dazu, dass beim Übergang zum World Court Digest längere Exzerpte aufgenommen wurden, um Ausgangspunkt, Parteivorbringen und Bewertung des Gerichts genauer abzubilden. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Fälle und der Umfang der Entscheidungen im Laufe der Zeit stark zugenommen hatten – was eine erfreuliche Akzeptanz der internationalen Gerichtsbarkeit dokumentiert – wurden damit jedoch auch Einschnitte an anderer Stelle erforderlich. Konkret hatte dies zur Folge, dass die Zweisprachigkeit aufgegeben wurde und nur noch die englischen Texte der Entscheidungen ausgewertet und wiedergegeben wurden – unabhängig davon, ob sie die authentische Textfassung waren.  Neu eingeführt wurde eine Zusammenfassung der Fälle in englischer Sprache, was bei den oft recht komplizierten Grundlagen der Streitigkeiten und auch Gutachtenfragen sehr hilfreich war. Zudem wurde auch eine Liste der Richter und ad hoc Richter des behandelten Zeitraums erstellt, so dass die bearbeitete Periode im Gesamtüberblick leicht zu überschauen war.

Editorische Arbeit im vordigitalen Zeitalter: Mit Schere, Papier und Klebstoff

Wie Viktor Bruns schon im Vorwort zum 1. Band der Serie A, Sectio 1, erwähnt hatte, konnte nur ein Team von Wissenschaftlern, in der Regel vier bis fünf Kollegen, die Arbeit an den Fontes leisten. Das erforderte zunächst einmal vor allem die intensive Lektüre der Entscheidungen und dann, in nicht minder intensiven Diskussionen, die Entscheidung darüber, welche Passagen an welcher Stelle der Systematik wiedergegeben werden sollten. Hierbei war eine gewisse Kontinuität zumindest eines Teils des Teams hilfreich, so dass Erfahrung mit der Kultur der Fontes und neuer Input durch neue Mitarbeiter gleichermaßen permanent gesichert waren. Für neue Teamkollegen, vor allem jüngere Mitarbeiter, bot dies Gelegenheit, sich intensiv mit den Entscheidungen des „Weltgerichtshofs“ zu befassen, die bis heute ein wesentlicher Spiegel des Standes des Völkerrechts und seiner Entwicklung sind. Kritische Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht konnte auf diese Weise hervorragend vermittelt und eingeübt werden.

Dorothee Bender (1970er) (Foto MPIL)

Neben dem „wissenschaftlichen Team“, dem die Auswahl der Exzerpte und ihrer Position in der Systematik oblag, hing die Herstellung der einzelnen Bände natürlich ganz wesentlich von dem „technischen Team“ ab, das in der Regel aus nur zwei oder drei Personen bestand. Die Herstellung des Manuskripts im „vordigitalen Zeitalter“ mag heute geradezu abenteuerlich erscheinen. Sie verdient an dieser Stelle ausdrückliche Würdigung, denn ohne die akribische Mitarbeit der Sekretariate wäre wohl kaum je ein Band erschienen. Natürlich können hier nicht alle einzelnen Mitarbeiterinnen genannt werden, die sich da höchst verdienstvoll betätigt haben, aber stellvertretend soll zumindest Dorothee Bender namentlich erwähnt werden, die über Jahrzehnte der nicht-digitalen Welt diese Arbeit in der ihr eigenen Perfektion hauptverantwortlich bewältigt hat. Und das lief folgendermaßen ab: Wenn das Team sich auf ein Exzerpt und dessen Einordnung in die Systematik geeinigt hatte, wurde dies im Text der Entscheidung kenntlich gemacht und seine Zuordnung vermerkt. Händisch musste dann dieses Exzerpt mit einer Schere aus dem Text ausgeschnitten und auf ein Blatt Papier geklebt werden; die entsprechende Rubrik des Exzerpts sowie die Angabe der Seiten im Urtext waren dann manuell und gut leserlich einzufügen. War ein Exzerpt für mehrere Rubriken vorgesehen, so musste es mehrfach abgetippt werden und den gleichen Weg gehen. Die Entscheidungen des Gerichts sahen nach diesem Prozedere sehr löchrig aus.  Und das Endmanuskript der Fontes bestand schließlich aus den gesammelten Seiten mit den aufgeklebten Exzerpten. Für die beiden Teile von Band 6 zum Beispiel – insgesamt über 830 Seiten – war das ein eindrucksvolles Konvolut, das natürlich noch ungebunden war und daher sorgfältig gehütet werden musste, damit kein einziges Blatt verloren ging oder falsch einsortiert wurde. Dieser zugegeben aufwendigen, aber verlässlichen Art der Manuskriptherstellung haben wir schmerzlich nachgetrauert, als das erste im Institut am Computer verfasste Manuskript, der World Court Digest 1986-1990, plötzlich auf mysteriöse Weise „verschwunden“ war, kurz bevor es zum Verlag gehen sollte –  und auch nur teilweise wieder hergestellt werden konnte. Allerdings blieb dieses Missgeschick einmalig – und die Herstellungsweise konnte insgesamt den technischen Fortschritten angepasst werden, die es bald auch ermöglichten, eine digitale Online-Version zur Verfügung zu stellen.[5]

Schlussbemerkung

Der durch die digitale Entwicklung erleichterte Zugriff auf die Originaltexte der Entscheidungen des IGH ist fraglos sehr zu begrüßen, kann meines Erachtens aber die Fontes Iuris Gentium bzw. den World Court Digest nicht völlig ersetzen. Denn diese Publikationen machten es möglich, die Entwicklungen des Völkerrechts zu bestimmten Sachbereichen, so wie sie in den Entscheidungen des IGH zum Ausdruck kamen, kontinuierlich über Jahrzehnte zu verfolgen. Gerade in den neueren Bereichen des Völkerrechts ist ein solcher „historischer“ Überblick außerordentlich lohnend und hilfreich. Und nebenbei sei bemerkt, dass die Bearbeiter dabei vielfach feststellen konnten, dass ihre Versuchung, Exzerpte kürzer zu fassen, und damit die völkerrechtliche Aussage kategorischer erscheinen zu lassen, als sie seinerzeit wirklich war, der tatsächlichen Entwicklung des Rechts oft nur vorgegriffen hätte. Die mit den Fontes eröffnete Möglichkeit, die Entwicklung des Völkerrechts in einzelnen Bereichen minutiös nachzuverfolgen, reicht nur bis 2005. Danach wurde das gesamte Projekt eingestellt, was, wie alle derartigen Entscheidungen, zwar nachvollziehbar ist, aber eben auch bedauerliche Nebenwirkungen hat.

[1] Georg Friedrich von Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites, d’échange etc. conclus par les puissances de l’Europe tant d’entre elles qu’avec du monde depuis 1761 jusqu’à présent, Bd. 1, Göttingen: Jean Chretien Dieterich 1791; Ab1819 wurde das Werk von unterschiedlichen Herausgebern bis 1944 fortgeführt unter dem Titel „Recueil Martens“.

[2] Viktor Bruns, Vorwort zu Band 1, Series A, Sectio 1, S. XI.

[3] Erschienen sind in Serie A, Sectio 1 Band 1 (1931), 3 (1935) und 4 (1964) zum Ständigen Internationalen Gerichtshof; Band 2 (1931) zum Ständigen Schiedshof und zum Internationalen Gerichtshof; die Bände 5 (1961), 6 (1978) und 7 (1990) in der „alten“ Fassung unter dem Titel Fontes Iuris Gentium und beginnend mit der Rechtsprechung ab 1986 unter dem Titel World Court Digest die Bände 1-4, die die Rechtsprechung bis einschließlich 2005 umfassen. In der Serie A, Sectio 2, sind in Band 1 (1931) die Entscheidungen des Deutschen Reichsgerichts von 1879 – 1929 bearbeitet worden; in Band 2 (1960) die Entscheidungen  des Reichsgerichts unter Einbeziehung der Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, 1929-1945; Band 3 bis Band 9 betreffen dann die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen bis einschließlich 1985. Die Serie B Sectio 1 umfasst in Band 1 die diplomatische Korrespondenz von 1856 ‑1878 und in Band 2 die diplomatische Korrespondenz von 1871‑1878.

[4] Karin Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 66, Berlin: Springer 1975.

[5] Diese ist zu finden auf: <www.mpil.de/de/pub/publikationen/archiv/world-court-digest.cfm>.

English

Introduction. On the establishment of a “material system”

Some 100 years ago, only utopians could have imagined that huge collections of legal sources and texts would become available digitally. At that time, collections of texts on what was known as international law were extremely rare and their adaptation to legal developments was – for technical reasons, to begin with – time-consuming and, of course, costly. The most important collection of international law sources at the time was the Recueil of international treaties edited by von Martens, the first volume of which was published as early as 1791.[1]  This publication is rightly regarded as the most important basis of international law and Martens is therefore considered the “father of positive international law”. Against this background, the idea of collecting and publishing further sources of international law was logical, and it was only natural that the focus was to be put on the practice of international law. Here, international jurisdiction offered the most reliable information, which led to the project of continuously compiling and publishing excerpts relevant to the determination of international law from the decisions of international judicial bodies. The initiator of the project, Viktor Bruns, Director of the Kaiser Wilhelm Institute for Comparative Public Law and International Law (later to become the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, MPIL), described the main concept as follows:

“It is […] the task of science to ascertain the bases and basic principles of international law as a legal order and to draw up a system, informed by the observation of international practice and which is a material system, corresponding to the character of a legal order, specifically an order for the coexistence and interaction of states. Thus, the theory of international law must be extracted from experience in its practice and thus practice must be evaluated on the basis of the findings made in this manner. This is only possible based on a comprehensive overview of international practice. To create this overview is the purpose of the publication of the Fontes Juris Gentium.[2]

As international law is not only the legal basis of decisions of international courts, but national courts also have to apply international law, the Fontes Iuris Gentium project was designed not only to analyse the case law of international courts, but also to examine the positions taken by national courts on questions concerning international law. Accordingly, the Fontes series on jurisdiction (Series A) was divided into two sections: the first section (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 1) was devoted to international jurisdiction, i.e. the Permanent Court of Arbitration (PCA) and the Permanent Court of International Justice (PCIJ) as well as its successor, the International Court of Justice (ICJ). The second section of this first series (Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 2) dealt with questions of international law in decisions of the highest courts of the most important states. In addition to the series on international jurisdiction, a second series was created, containing the political and legal principles derived from the exchange of diplomatic notes between the most important states (Series B). Planned, but never realised, were a third series on opinions and decisions of international bodies that do not have the character of international courts (Series C), and a fourth series (Series D), which was to contain the treaty clauses of the most important treaties concluded since the beginning of the 19th century.[3]  That this highly ambitious project could only be realised through the long‑term collaboration of several scholars was obvious. It was therefore evidently in the right hands at a research institution such as the MPIL and could arguably only be accomplished here.

System and structure of the Fontes 

My personal experience with the work on the Fontes only relates to Series A, Sectio 1, i.e. the processing of the decisions of the ICJ, starting with the publication of Volume 6, which contains the decisions from 1959-1975, until the termination of the project in 2005.

When I came to the MPIL as a research fellow in 1970, it was a special situation in two regards, although I only realised that later. Firstly, the employment of women in the scientific field as such was unusual at the time and can be seen as a “pilot project” for the later increase in the recruitment of female colleagues. Secondly, and much more importantly, my curriculum vitae differed from that of other research fellows. After my first degree I had initially chosen the career of a certified interpreter and had worked as a simultaneous translator at the EEC, which at the time had only six member states. This rather uncreative occupation did not strike me as satisfying in the long term, however, and so I went on to study law at the University of Heidelberg. The combination of language skills and a law degree was obviously the decisive factor in my recruitment – especially with regard to the Fontes project, which, due to the increasing number of cases brought before the ICJ, required more intensive work. Fortunately, however, there was still time to complete a doctoral thesis.[4]  In addition to my regular duties as a research fellow at the Institute, I remained “the constant” of the Fontes team, the leadership of which I took over in 1985, when, on initiative of Rudolf Bernhardt, the project was continued in the form of the World Court Digest. The other three to four members of the working group were each only involved on a temporary basis.

As already mentioned, my work on the Fontes began with the two parts of volume 6 of the Fontes Series A, Sectio 1, which (together with Volume 7, covering the ten-year period from 1976 to 1985) were the last volumes to appear under the original title and in the original form of the Fontes Iuris Gentium. The documentation of the ICJ’s later case law was then continued under the title World Court Digest, albeit with some substantial changes.

But, first of all, to the general structure of the Fontes series: As the title suggests, it is a collection of sources. This means that only excerpts from the original texts of the court’s decisions have been reproduced. This of course also includes advisory opinions. As the decisions are each formulated in English and French, both language versions were included, the French version on the left side of the book and the English version on the right side. Excerpts from the authentic text of the decisions were marked with an asterisk (*). Declarations as well as separate and dissenting opinions attached to the decisions were also analysed and initially included in smaller print; here, too, the authentic language was indicated. Later, during the transition to the World Court Digest, the inclusion of the separate opinions and declarations was called into question fundamentally. Fortunately, however, it was decided to continue with this practice after all, as these texts are extremely informative with regard to the state of the legal debate within the Court and, in particular, the development of the Court’s legal opinion.

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The composition of all volumes follows a standardised structure: The first part of each volume is devoted to substantive law, with a uniform structure ranging from the foundations and basic questions of international law to specific areas such as treaty law, the law of state responsibility, international organs and war and neutrality. In this part in particular, the range of subject matters has significantly increased over the years, as international law now covers more and more areas, such as the law of the sea, aviation law, space law, human rights law, international commercial law, international environmental law, and international criminal law, to name just a few of the more recent aspects. The second part of each volume is devoted to the structure of international jurisdiction, i.e. the PCIJ and the ICJ, and has not been expanded in terms of subject matter. It covers the foundations of international jurisdiction as well as the areas of jurisdiction, proceedings, judgements, and advisory opinions.

As previously highlighted, the publication was originally entitled Fontes Iuris Gentium and subtitled Handbuch der Entscheidungen des (Ständigen) Internationalen Gerichtshofs (“Digest of the Decisions of the (Permanent) International Court of Justice”. This clarifying addition was needed, as decisions of international courts are not as such “sources” of international law, since courts do not make, but apply law. However, the boundaries are often blurred, and in international law in particular there was not only “less law” 100 years ago, but above all, there was less positive/written, law. The significance and value of the Fontes lay in particular in precisely identifying and documenting what an international court had found to constitute part of positive international law. This objective had to be kept in mind in the course of the work, as it was sometimes very tempting to keep an excerpt short and thus make the Court’s statement appear more concrete and definitive than it actually was. However, the scientific spirit and responsibility demonstrated by the team and its long-standing head Rudolf Bernhardt always ensured – we believed – the safeguarding of the “sources’” integrity and the reproduction of statements as comprehensively as necessary in order to accurately reflect their true content. This ambition also led to the inclusion of longer excerpts after the transition to the World Court Digest with the aim to reflect the question at stake, the point of view of the parties and the assessment of the Court in more detail.  However, in view of the fact that the number of cases and the volume of decisions had increased significantly over time – which documents a commendable acceptance of international jurisdiction – this made it necessary to make cuts elsewhere in the new edition. Specifically, bilingualism was abandoned and only the English texts of the decisions were now analyzed and reproduced – regardless of whether they were the authentic text version.  A summary of the cases in English was newly introduced, which was very helpful in view of the often quite complicated origins of the contentious cases and advisory opinions. In addition, a list of the judges and ad hoc judges of the period covered was compiled, so that the period dealt with could be easily overseen at a glance.

Editorial work in the pre-digital age: with scissors, paper, and glue

As Viktor Bruns had mentioned in the preface to the first volume of Series A, Sectio 1, only a team of scholars, usually four to five colleagues, could accomplish the work on the Fontes. It required, first of all, an intensive reading of the decisions and then, in no less intense discussions, the making of decisions as to which passages should be reproduced and at which point in the systematic overview. A certain continuity of at least part of the team was helpful here, so that experience with the culture of the Fontes as well as new input from new team members were ensured on a permanent basis. For colleagues, especially younger employees, this provided an opportunity to familiarise themselves intensively with the decisions of the “World Court”, which to this day are an essential reflection of the state of international law and its development. In this way, critical analysis of international law was excellently conveyed and practised.

Dorothee Bender (1970s, photo: MPIL)

In addition to the “scientific team”, which was responsible for the decisions on the selection of excerpts and their position, the production of the individual volumes was of course largely dependent on the “technical team”, which usually consisted of just two or three members. The production of the manuscript in the “pre-digital age” may, from today’s perspective, seem quite adventurous. It deserves to be explicitly recognised here, as without the meticulous cooperation of the secretary’s offices, any volume would hardly ever have been published. Of course, it is not possible to name all the individual members of staff who deserve high appreciation for their efforts, but pars pro toto Dorothee Bender should be mentioned by name here, as she was primarily responsible for this work over decades in the non-digital age and managed it with immanent perfectionism. The process was as follows: Once the team had agreed on an excerpt and its categorisation in the system, this was indicated in the text of the decision and its categorisation was noted. This excerpt then had to be cut out of the text by hand with scissors and glued onto a sheet of paper; the corresponding heading of the excerpt and the page number in the original text then had to be inserted manually and in a clearly legible manner. If an excerpt was intended for several headings, it had to be typed out several times and then followed the same process. The decisions of the court looked very holey after this procedure.  The final manuscript of the Fontes ultimately consisted of the collected pages with the glued‑on excerpts. For the two parts of volume 6, for instance – which totalled over 830 pages ‑ this was an impressive compilation, which was of course still unbound and therefore had to be carefully guarded so that not a single page was lost or misplaced. We mourned the loss of this admittedly time-consuming but reliable way of producing manuscripts when the first manuscript written on a computer at the Institute, the World Court Digest 1986-1990, suddenly and mysteriously “disappeared” shortly before it was due to go to the publisher – and could only be partially restored. However, this mishap remained a one-off – and the overall production method could be modified in line with technological advances, which soon made it possible to provide a digital online version.[5]

Concluding remarks

The facilitation of access to the original texts of the decisions of the ICJ by digital innovations is undoubtedly to be commended, though in my opinion it cannot completely replace the Fontes Iuris Gentium or the World Court Digest. After all, these publications have made it possible to follow developments in international law in certain subject areas, as expressed in the decisions of the ICJ, continuously over decades. Especially in the more novel areas of international law, such a “historical” overview is extremely worthwhile and helpful. And, it may be noted in this context, that the editors have often realised that their temptation to shorten excerpts, and thus to make the statements on international law appear more categorical than they really were at the time, would often have anticipated the actual development of the law in many cases. The opportunity to trace the development of international law in individual areas in minute detail offered by Fontes only lasted until 2005; then, the entire project was discontinued, which, like all such decisions, is understandable but also has some regrettable consequences.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Georg Friedrich von Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites, d’échange etc. conclus par les puissances de l’Europe tant d’entre elles qu’avec du monde depuis 1761 jusqu’à présent, vol. 1, Göttingen: Jean Chretien Dieterich 1791; From 1819 to 1944 the edition was published by various editors under the title “Recueil Martens”.

[2] Viktor Bruns, Preface of vol. 1, Series A, Sectio 1, S. XI.

[3] Published in Series A, Sectio 1 are volumes 1 (1931), 3 (1935) and 4 (1964) on the Permanent Court of International Justice; volume 2 (1931) on the Permanent Court of Arbitration and the International Court of Justice; volumes 5 (1961), 6 (1978) and 7 (1990) in the “old” version under the title Fontes Iuris Gentium and, starting with the case law from 1986, volumes 1-4 under the title World Court Digest, which cover the case law up to and including 2005. In Series A, Sectio 2, Volume 1 (1931) contains the decisions of the German Reichsgericht (supreme criminal and civil court in the German Empire and Weimar Republic) from 1879 to 1929; Volume 2 (1960) contains the decisions of the Reichsgericht under consideration of the Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich (constitutional court of the Weimar Republic), 1929-1945; Volumes 3 to 9 then cover case law of the highest German courts concerning international law up to and including 1985. Series B Sectio 1 comprises the diplomatic correspondence from 1856 to 1878 in Volume 1 and the diplomatic correspondence from 1871 to 1878 in Volume 2.

[4] Karin Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit, Contributions on Comparative Public Law and International Law vol. 66, Berlin: Springer 1975.

[5] This can be found at: <www.mpil.de/de/pub/publikationen/archiv/world-court-digest.cfm>.