Schlagwort: Rechtsphilosophie

Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte

Two Defeats in Two World Wars as a Red Thread in the Institute’s History

Deutsch

Die Kapitulationen am Ende des Ersten und des Zweiten Weltkrieg gelten als Niederlagen Deutschlands, nicht nur seiner Armee oder Regierung. Sie bilden tiefe gesellschaftliche Zäsuren und prägen den deutschen Weg bis heute, auch den des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Wir verstehen diese Kapitulationen als critical junctures[1] und zeigen, dass sie einen roten Faden bilden, der viele Positionierungen des Instituts verbindet und seine Forschung durchzieht. Eine Kontrastfolie bildet das Genfer Institut de hautes études internationales, das ab 1927 die neue Ordnung aus der Siegerperspektive begleitete.[2]

Der rote Faden der Niederlagen dominiert das Institut der Zwischenkriegszeit und der frühen Bundesrepublik, erschließt aber auch viele Aspekte der jüngeren Institutsgeschichte. Er findet sich in den Studien zur deutschen Einheit und zum Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, zum Völkerrecht als Werteordnung, zum globalen Konstitutionalismus. Gewiss verliert er an Deutungskraft mit der zeitlichen Distanz und mit der personellen Internationalisierung des MPIL. Dieser Beitrag zeigt den roten Faden anhand prägender Positionierungen des Instituts in der Weimarer Republik und seiner Neupositionierung in der jungen Bundesrepublik.

Wohlgemerkt: Der rote Faden besteht allein aus der Deutung der Kapitulationen als prägende deutsche Niederlagen. Nur diese Deutung ist geradezu selbstverständlich, anders als Deutungen der Kriegsursachen, der Kriegsschuld, von Ausmaß und Einzigartigkeit deutscher Verbrechen. Es sei weiter betont, dass diese These nicht monokausal und nicht deterministisch ist.[3] Viele weitere Kräfte haben den Weg des Instituts mitgeprägt. Der rote Faden verläuft zudem alles andere als geradlinig: So zielte das Institut nach der ersten Niederlage auf eine Revision der völkerrechtlichen Nachkriegsordnung, nach der zweiten hingegen auf deren konsequente Entfaltung. Die Behauptung eines roten Fadens behauptet auch keinen Konsens in der Bewertung oder der Konsequenzen, die man zog. Viele Beiträge dieses Blogs zeigen einen bisweilen erstaunlichen Pluralismus, wie innerhalb des Instituts mit den Niederlagen umgegangen wurde. Unser roter Faden kann nur deshalb ein roter Faden sein, weil er vieles offen, ja strittig lässt. Auf den Punkt gebracht: Wir schreiben kein Narrativ.

Eine Verliererinstitution

Die Gründung des Instituts am 19. Dezember 1924 ist eine Folge der Kapitulation. Deutschland musste sich als Verlierer einer neuen internationalen Ordnung beugen und sich in ein von seinen Gegnern dominiertes System einordnen. Die Niederlage stellte das deutsche Völkerrecht, auch als wissenschaftliche Disziplin, vor unerhörte Herausforderungen. Nunmehr stand es allein, ohne eine große Armee an seiner Seite. Die Pariser Vorortverträge, zumal der von Versailles, gaben ihm schwerste Probleme auf, etwa die Gebietsabtrennungen, die Beschränkungen der Souveränität, enorme Reparationszahlungen, die Kriegsschuld, weltpolitische Isolation. Zudem litt das deutsche Völkerrecht an einem Mangel kompetenter Völkerrechtler, von Völkerrechtlerinnen ganz zu schweigen. Der Etatismus des Kaiserreichs hatte wenig Interesse am Völkerrecht gehabt, so dass die Disziplin über Jahrzehnte vernachlässigt worden war.

Die Gründung des Instituts reagierte auf diese Lage. So heißt es in der von dem Generalsekretär der KWG Friedrich Glum und die beiden Berliner Professoren Viktor Bruns und Heinrich Triepel verfasste Denkschrift zu seiner Gründung:

Deutschland wird sich für Jahrzehnte die Pflege internationaler Beziehungen mehr denn je angelegen sein lassen müssen, um sich zu schützen gegen die unberechtigten Ansprüche seiner Kriegsgegner, um seinen Landsleuten in den abgetretenen Gebieten zu helfen und um sich aufs neue Geltung in der Welt zu verschaffen.“[4]

Das Institut begann als „Verlierer-Institution“. Das hatte Folgen, die aber ganz unterschiedlich ausfallen konnten, etwa als ein kritisches oder aber als ein emphatisches Völkerrechtsverständnis. Eine naheliegende Folge wäre ein Verständnis als ein Instrument der Starken zur Unterdrückung der Schwachen gewesen, ‚the strong do what they can and the weak suffer what they must‘. Das Institut entschied sich anders, klüger. Einem Land mit einer Wehrmacht von nur 100.000 Mann nutzt eher ein Völkerrechtsverständnis, wonach das Recht mehr ist als nur die Formalisierung von Macht. Der Interessenlage entspricht ein Verständnis als ein eigenständiges, gerade auch machthemmendes Ordnungssystem. So ist es kein Zufall, dass Bruns‘ Gründungsaufsatz der Institutszeitschrift die Autonomie des Völkerrechts beschwört, „Völkerrecht als Rechtsordnung“.

Diese Art der Verarbeitung der Niederlage durch das KWI war keineswegs zwangsläufig. Das zeigt der Vergleich mit dem 1922 von Albrecht Mendelssohn Bartholdy gegründeten Hamburger „Institut für auswärtige Politik“ und insbesondere dem bereits 1914 ins Leben gerufenen Kieler „Institut für Internationales Recht“, das ab 1926 Walther Schücking leitete. Auch diese beiden Institute verarbeiteten die Niederlage, aber mit einem progressiveren Verständnis des Völkerrechts, das sich zur internationalen Ordnung und Völkerbund bekannte. Solche Bekenntnisse kennzeichneten nicht die Arbeit des KWI. Selbst ‚Völkerrecht als Rechtsordnung‘ erscheint mehr ein Mittel als ein Zweck.  Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich diese Offenheit des Umgangs mit der Niederlage sogar intern. Während Carl Bilfinger (1879-1958) als Wiedergründungsdirektor 1950 eine Friedensordnung im Gleichgewicht der Mächte nach dem überkommenen Muster des Wiener Kongresses empfahl, setzte sein Nachfolger Hermann Mosler (1912-2001) konsequent auf eine Westintegration, welche die bisherigen völkerrechtlichen Formen sprengte.

Konkrete Erfahrungen der Niederlagen

Das ausgebrannte Schloss 1946[5]

Die Prägekraft der Niederlagen sei anhand der Institutsangehörigen konkretisiert. Betrachtet man die Personalstruktur des KWI, so war sie „vergleichbar mit der am Auswärtigen Amt: Adlige Herkunft, bürgerliche Tradition und ein gewisser gesellschaftlicher Dünkel dominierten.“[6] Angesichts einer zumeist ausgeprägt nationalen Haltung empfanden viele die Niederlage als besonders schmerzlich. Das ist offensichtlich bei der Leitungsebene des Institutes um seinen Gründer Viktor Bruns (1884-1943), die die wissenschaftlichen Mitglieder bzw. Berater Rudolf Smend (1882-1975), Erich Kaufmann (1880-1972) sowie den zweiten Direktor und Cousin Viktor Bruns‘ Carl Bilfinger (1879-1958) umfasste. Dabei hatte lediglich Erich Kaufmann als mehrfach dekorierter Soldat am Krieg teilgenommen, den er in seiner berühmten, inzwischen berüchtigten Schrift über das „Wesen des Völkerrechts“ geradezu herbei gewünscht hatte.[7] Viktor Bruns und Heinrich Triepel gehörten zu den mehr als 3000 Professoren, die 1914 die nationalistische „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“ unterzeichnet und den Krieg dann auch aktiv begleitet hatten.

Als Soldaten am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten nur wenige Institutsangehörige, wie Hermann Heller (1891-1933), Carlo Schmid (1896-1979) oder Friedrich Berber (1898-1984). Die meisten Referenten hatten den Krieg im Jugendalter und fernab der Front erlebt, so Joachim Dieter Bloch (1906-1945), Karl Bünger (1903-1997), Joachim von Elbe (1902-2000), Herbert Kier (1900-1973), Gerhard Leibholz (1901-1982), Hans-Joachim von Merkatz (1905-1982), Hermann Mosler (1912-2001), Hermann Raschhofer (1905-1979), Helmut Strebel (1911-1992), Ulrich Scheuner (1903-1981), Berthold von Stauffenberg (1905-1944) oder Wilhelm Wengler (1907-1995).[8] Die Angehörigen dieser „Kriegsjugendgeneration“, die ganz im Geiste des deutschen Nationalismus und der Kriegspropaganda aufgewachsen waren, zeichnete eine merkwürdige Verbitterung aus: Sie hatten die Kriegsteilnahme und somit  die nationale Bewährung verpasst, was sie anderweitig zu kompensieren suchten.[9] Die Prägung durch Krieg und Niederlage tritt in autobiographischen Schriften von Institutsangehörigen deutlich zu Tage.[10]

Geteilte Kriegserfahrung: Erich Kaufmann und Carlo Schmid als Offiziere im Ersten Weltkrieg. Fotos: UB der HU zu Berlin, Porträtsammlung: Erich Kaufmann; AdSD 6/FOTA020638.

Die Kollektiv-Erfahrung der Niederlage hatte für das Institut eine bedeutende soziale Funktion: Der „Kampf gegen Versailles“ integrierte die Angehörigen des KWI über ihre politischen Differenzen hinweg. Somit gab es durchaus eine gewisse „Diversität“ im Institut, an dem mit Erich Kaufmann, Hermann Heller und Gerhard Leibholz sogar jüdische Forscher und politische Gegner zusammenfanden. Die Differenzen, die zwischen den Sozialdemokraten Heller und Carlo Schmid auf der einen und Nationalkonservativen wie Kaufmann oder Berthold von Stauffenberg auf der anderen Seite bestanden, bedürfen keiner Erläuterung. Diversität bringen weiter Referentinnen wie Ellinor von Puttkamer, Marguerite Wolff oder Angèle Auburtin. Der Kitt, der diese Gegensätze überbrückte, war die Absicht, die Nachkriegsordnung zu revidieren. Sie erleichterte die Zusammenarbeit, auch über 1933 hinaus. Gewiss hatte die Leitung die jüdischen Mitarbeiter Erich Kaufmann und Marguerite Wolff aus dem Institut verdrängt, gleichwohl gab es bis 1944 ein Miteinander aus völkischen Juristen wie Herbert Kier und Georg Raschhofer mit politisch Unangepassten wie Wilhelm Wengler, Regime-Zweiflern wie Hermann Mosler und später Berthold von Stauffenberg.

Die wissenschaftliche Begleitung des Krieges

Viktor Bruns, Die Schuld am „Frieden“ und das deutsche Recht am Sudentenland, Jahrestagung KWG 1938 (Bruns dritter von rechts, neben Max Planck, zweiter von rechts)[12]

Die positive Haltung des Instituts gegenüber dem Nationalsozialismus versteht sich vor allem aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Viktor Bruns und seine Mitarbeiter hofften auf die Revision des Versailler Vertrages und die Wiederherstellung einer deutschen Großmachtstellung.[13] So war das Institut schon früh in die Kriegsvorbereitungen des Dritten Reiches involviert. Bereits 1934 schuf Bruns eine eigene Abteilung für Kriegsrecht, der Berthold von Stauffenberg vorstand.[14] Ab 1935 kooperierte das KWI mit der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“, einem NS-Thinktank zu Kriegsfragen. Dessen „Ausschuss für Kriegsrecht“ hatte das Ziel, das heterogene Kriegsrecht zu vereinfachen und – im Hinblick auf einen kommenden Krieg – alle notwendigen Unterlagen zu sammeln, um nach einem siegreichen Abschluß des Krieges die deutschen Interessen (…) möglichst gut vertreten zu können.[15] Neben Viktor Bruns, Hermann Mosler, Ernst Schmitz und Berthold von Stauffenberg waren Angehörige von Auswärtigem Amt, Reichsjustizministerium, Oberkommando der Wehrmacht und der Marine und des Reichsluftfahrtsministeriums beteiligt.[16] Er erarbeitete eine Prisenordnung (hierfür verantwortlich war Berthold von Stauffenberg), eine Prisengerichtsordnung und Teile einer Luftkriegsordnung. Sie waren, das ist ihnen zu Gute zu halten, stark am Kriegsvölkerrecht orientiert.

Es ist festzuhalten, dass das KWI sich an der Vorbereitung eines neuen Krieges beteiligte und damit nationalsozialistische Politik unterstützte, jedoch zumeist im Rahmen des Völkerrechts.[17] Die Grenzen dieser Unterstützung wurden denn auch mit dem Bekanntwerden der grob völkerrechtswidrigen Kriegsführung an der Ostfront erreicht. Wenngleich das Institut deswegen nicht zu einem Zentrum des Widerstands wurde, so haben sich Schmitz, Wengler, Mosler und Stauffenberg doch „strikt für humanitäres Völkerrecht“ bei der Kriegsführung eingesetzt.[18] Die ebenso bedeutende wie komplexe Frage seiner Involvierung beim Attentat vom 20. Juli 1944 kann hier nicht ausgeführt werden.[19]

„Kriegsfolgenforschung“

Auch der verlorene Zweite Weltkrieg war eine Erfahrung, die die Angehörigen der Institution prägte. Die Niederlage mit all‘ ihren Konsequenzen, die Zerstörung des Berliner Schlosses, die dramatische Rettung der Institutsbibliothek, der Tod von Kollegen, ist in Zeitzeugenberichten und Nachrufen in der ZaöRV greifbar.[20]

Bis zu seiner Neu-Gründung durch die Max-Planck-Gesellschaft 1949 in Heidelberg befand sich das Institut in einem höchst prekären Zustand. Teile des Inventars befanden sich bereits in Heidelberg, ein Großteil jedoch noch im zerstörten Berlin, insbesondre im Privathaus der Familie Bruns. In dieser Zeit befassten sich die Institutsmitarbeiter vor allem mit der rechtlichen Erfassung der als „Kriegsfolgen“ verbrämten Niederlage. Carl Bilfinger war als Gutachter in alliierten Kriegsverbrecherprozessen für die I.G.-Farben sowie für die Industriellen Hermann Röchling und Friedrich Flick tätig, Hermann Mosler trat vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg für Gustav Krupp und Albert Speer auf.[21] Bis in die 1960er Jahre verfasste das Institut zahlreiche Gutachten zu Fragen des Besatzungsrechtes, Reparationen, des Status von Berlin und der Sowjetischen Besatzungszone.[22]

Boltzmannstraße 1 in Berlin. Die Direktorenvilla des KWI für Biologie beherbergte von 1947 bis 1960 die Berliner Zweigstelle des MPIL [23]

In der ersten Nachkriegsausgabe der ZaöRV 1950 definierte der trotz seiner eindeutigen NS-Belastung als Direktor wiederberufene Carl Bilfinger die Forschungsaufgaben des Instituts. Ohne den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, die deutschen Verbrechen auch nur zu erwähnen ging es ihm vor allem um eine Kritik der Behandlung Deutschlands durch die Alliierten. Er setzte die Lage 1950 mit der des Berliner Instituts in den 1920ern gleich: „Die Zeitschrift des Instituts befindet sich auch insoweit in einer neuen, zwar schon nach dem ersten Weltkrieg diskutierten, aber nicht voll geklärten Situation gegenüber einer alten Fragestellung.“[24] Als Hauptleistung von Bruns‘ KWI lobte Bilfinger, dieses habe Deutschlands Gegner „zur Demaskierung ihres rein machtpolitischen Standpunktes gezwungen“,[25] womit er das Heidelberger Institut in diese Linie stellte. Bilfinger sah Deutschland als Opfer der Alliierten. Von seiner restaurativen Konzeption der Nachkriegsordnung war bereits die Rede.

Die Alternative: Westintegration

Vordenker der europäischen Integration: Walter Hallstein hält 1962 am MPIL den Vortrag „Die EWG politisch gesehen). Am Tisch Hermann Mosler und Hans Dölle. Links im Hintergrund hört eine Schar junger Referenten zu, dritter von rechts ist Rudolf Bernhardt. [26]

Ganz andere Lehren zog Hermann Mosler aus der deutschen Niederlage. Mosler, Direktor ab 1954, entwickelte ein Verständnis des EGKS-Vertrags, welches das überkommene Völkerrecht im Sinne Schumans sprengte. Auch im Weiteren begleitete er eng die Westintegration Konrad Adenauers. Dem folgten letztlich alle nachfolgenden Direktoren. So hatte der rote Faden eine neue Richtung.

In den 1950ern und 1960ern dominierten am Institut Studien, welche die Westintegration begleiteten. Im Fokus stand die europäische Integration mit ihren vielen Aspekten, Menschenrechte, Verfassungsgerichtsbarkeit sowie die vielen Themen, welche die deutsche Außenpolitik in der Verarbeitung der Niederlage beschäftigten. Als die Ostpolitik ab den späten 1960er Jahren eine weitere Dimension der deutschen Niederlage zu bearbeiten begann, wurde dies selbstredend zu einem zentralen Thema. Zugleich ließ der rote Faden vieles offen: Der Umgang mit der wichtigsten Kriegsfolge, der deutschen Teilung, polarisierte wie kaum ein anderes Thema.[27] Der rote Faden findet sich just darin, dass diese Frage so wichtig war, dass sie polarisieren konnte.

Viele Mitglieder und Mitarbeiter des Instituts, allen voran Karl Doehring, Hartmut Schiedermair, Fritz Münch, aber auch Helmut Steinberger und Hermann Mosler, sahen die Ostverträge, die eine Reihe von Verträgen mit osteuropäischen Staaten, allen voran der UdSSR, Polen und später der DDR umfassten, kritisch.[28] Mit Jochen Frowein und dessen Grundlagenwerk zum „De facto Regime“ hatte das Institut aber zugleich einen Vordenker der neuen Ostpolitik in seinen Reihen.[29] Wir sehen hierin einen Beitrag zu Willy Brandts Nobelpreis. Auf jeden Fall prägte die „deutsche Frage“ als die offensichtlichste Folge der Niederlage Generationen von Wissenschaftlern. So begann auch mit der Wiedervereinigung die Präsenz der Niederlagen sich langsam zu verlieren.

Die Niederlagen im Institut des 21. Jahrhunderts

Fortleben soldatischen Stolzes, Karl Doehring (rechts) im Gespräch mit Gerhard Gutmachter, früherer Richter am Landgericht Heidelberg, anlässlich der Feier von Doehrings 80. Geburtstag am 22.03.1999 im Institut. Das Eiserne Kreuz weist den Gutmacher als hochdekorierten Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges aus. [30]

Mit Karl Doehring und Rudolf Bernhardt starben 2011 und 2021 die letzten Direktoren mit Kriegserfahrung.[31] Wo stehen Bewusstsein, Verständnis und Relevanz der beiden Kapitulationen heute? Mit dem Gang der Zeit und der Internationalisierung des Institutspersonals ist ein Verblassen unausweichlich. Zudem haben heute viele Mitarbeitenden in der Wissenschaft, aber auch in der Bibliothek und in der Verwaltung eine Migrationsgeschichte, haben ihre Sozialisation und Ausbildung im Ausland erfahren.

Und doch gilt die Erfahrung, welche der historische Institutionalismus mit den Begriffen der critical juncture und der Pfadabhängigkeit artikuliert. Wir hoffen, mit diesem Beitrag unseren Lesern einen Faden gegeben zu haben, um sich auch auf jüngste Publikationen des Instituts einen Reim zu machen, der zur Lage Deutschlands spricht. Falls der Faden nicht mehr rot oder vielleicht gar nicht mehr auffindbar ist, so ist das auch erkenntnisträchtig. Man mag sich dann nämlich fragen, ob die Wissenschaftlerin, das Institut, Deutschland die Niederlagen vergessen, verwunden oder ‚bewältigt‘ hat, und weiter, ob man dies feiern oder aber bedauern sollte. Für uns gilt letzteres.

[1] Giovanni Capoccia, Critical Junctures, in: Orfeo Fioretos/Tulia G. Falleti/Adam  Sheingate (Hrsg.), The Oxford Handbook of Historical Institutionalism, Oxford: Oxford University Press 2016, 89-106.

[2]  Jan Stöckmann, The Architects of International Relations. Building a Discipline, Designing the World, 1914-1940, Cambridge: Cambridge University Press 2022, 97-98.

[3] Jan-Holger Kirsch, „Wir haben aus der Geschichte gelernt“. Der 8. Mai als politischer Gedenktag in Deutschland, Köln: Böhlau 1999, 8; Reinhart Koselleck, Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze (1988), in: Reinhart Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, 27-77; 68-69.

[4] Denkschrift über die Errichtung eines Institutes für internationales öffentliches Recht der Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (undatiert, jedoch vor Dezember 1924), BArch, R 1501, pag. 3-10, pag. 3.

[5] Foto: BArch, Bild 183-U0628-501/ Erich O. Krueger.

[6] Ingo Hueck, Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandaufnahme und Perspektiven der Forschung, Göttingen: Wallstein 2000, Bd. 2, 490-528, 510.

[7] Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, Tübingen: Mohr 1911.

[8] Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg: Hamburger Edition 2002; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, München: Beck 2016.

[9] Siehe: Herbert (Fn. 8) 54; Samuel Salzborn, Zwischen Volksgruppentheorie, Völkerrechtslehre und Volkstumskampf. Hermann Raschhofer als Vordenker eines völkischen Minderheitenrechts, Sozial.Geschichte 21(2006), 29-52, 33.

[10] Carlo Schmid, Erinnerungen, Stuttgart: Hirzel 2008, 40 ff.; Friedrich Berber, Zwischen Macht und Gewissen. Lebenserinnerungen, München: Beck 1986, 13-18; Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, München: Bertelsmann 1983, 54-57.

[12] Foto:Weltbild Foto Verlag. Das Originalbild war in besserer Ausführung nicht auffindbar. Recherchen im Bundesarchiv, im Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und bei Ullstein Bild und beim Scherl-Archiv/SZ-Foto, die Teile des Weltbild-Bestandes übernommen haben, blieben erfolglos. Für weitere Informationen wären wir dankbar.

[13] Vgl. etwa: Viktor Bruns, Die Schuld am „Frieden“ und das deutsche Recht am Sudetenland, 31.05.1938, in: Ernst Telschow (Hrsg.), Jahrbuch 1939 der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Leipzig: Drugulin 1939, 57-85.

[14] Andreas Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, München: De Gruyter 2008; 207; Andreas Meyer, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944). Völkerrecht im Widerstand, Berlin: Duncker & Humblot 2001, 60.

[15] Meyer (Fn. 14), 64.

[16] Toppe (Fn, 14), 207.

[17] Ernst Schmitz, Vorlesung Kriegsrecht 1938, unveröffentlichtes Manuskript, in der Bibliothek des MPIL vorhanden unter der Signatur: VR: XVII H: 40; ferner überliefert sind die Gutachten Hermann Moslers, ohne Signatur, MPIL; ferner: Hueck (Fn. 6), 512. Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Heidelberg: Springer 2017, 76.

[18] Hueck (Fn. 6), 522.

[19] Hueck (Fn. 6), 522..

[20] Die Nachkriegs-ZaöRV, Band 13 im Jahre 1950, beginnt mit sechs Nachrufen. Durch den Krieg kamen Joachim-Dieter Bloch ums Leben, der bei der Befreiung Berlins von Rotarmisten erschossen wurde, Alexander N. Makarov, Joachim-Dieter Bloch (1906-1945), ZaöRV 13 (1950), 16-18; Der 22-jährige Referent Ferdinand Schlüter galt seit 1944 als vermisst. „Die alten Gefährten des Instituts bewahren ihm ein treues Andenken und haben die Hoffnung auf seine Rückkehr noch nicht aufgegeben“, Helmut Strebel, Ferdinand Schlüter (vermißt), ZaöRV 13 (1950), 20-21, 21; Eindrucksvoll der Zeitzeugenbericht der Bibliothekarin Annelore Schulz, Die Rückführung unserer Institutsbibliothek aus der Uckermark nach Berlin-Dahlem, 1946 (unveröffentlicht).

[21] Lange (Fn. 17), 150; Hubert Seliger, Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse, Baden-Baden: Nomos 2016, 181; 548; Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (Hrsg.). Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879-1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, Baden-Baden: Nomos 2024, 329.

[22] Hierzu siehe umfangreiche Gutachtensammlung im MPIL-Bestand. Die bis 1960 bestehende Berliner Abteilung des Instituts war vor allem dem Kriegsfolgenrecht gewidmet. In den 1950er Jahren wurden ferner zwei bedeutende juristische Archivbestände vom MPI übernommen, das „Heidelberger Dokumentenarchiv“, das einen vollen Satz der Prozessunterlagen der Nürnberger Prozesse umfasst und Teile der Bestände des „Instituts für Besatzungsfragen“, das in Tübingen angesiedelt war und u.a. zu alliierten Besatzungsrechtsverstößen forschte, siehe Bestand im MPIL-Keller; Hermann Mosler, Der Einfluss der Rechtsstellung Deutschlands auf die Kriegsverbrecherprozesse, Süddeutsche Juristenzeitung 2 (1947), 362-370; Hermann Mosler, Die Kriegshandlung im rechtswidrigen Kriege, in: Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg/Institut für internationales Recht an der Universität Kiel, Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht 1948, Bd. 2, Hamburg: Hansischer Gildenverlag 1948, 335-358.

[23] Foto: AMPG.

[24] Carl Bilfinger, Prolegomena, ZaöRV 13 (1950), 22-26, 26.

[25] Carl Bilfinger, Völkerrecht und Historie, in: Boris Rajewski/Georg Schreiber (Hrsg,), Aus der deutschen Forschung der letzten Dezennien. Dr. Ernst Telschow zum 65. Geburtstag gewidmet, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1954, 29-32, 30.

[26] Foto: MPIL.

[27] Hiervon zeugen die überlieferten Protokolle der Referentenbesprechungen.

[28] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik.

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945–2002, in: Thomas Duve/Jasper Kunstreich/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948–2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 26.

[29] Jochen Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, Köln: Carl Heymanns Verlag 1968.

[30] Foto: MPIL.

[31] Bernhardt schien sich zeitlebens nicht zu dieser Erfahrung geäußert zu haben, in seiner Privatbibliothek dominierten aber Werke, die sich mit dem Phänomen des Nationalsozialismus auseinandersetzten. Anders: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 71-114. Zu Rudolf Bernhardts Erfahrungen in der Kriegsgefangenschaft: Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947, hrsg. von Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024.

English

The capitulations at the end of the First and Second World Wars are regarded as defeats for Germany, not only for its army or government. They represent deep social caesuras and continue to characterise the German path to this day, including that of the Institute for Comparative Public Law and International Law. We perceive these capitulations as critical junctures [1] and will demonstrate that they form a common thread that links many of the Institute’s positions and runs through its research. The Geneva Institut de hautes études internationales, which accompanied the new order from a victor’s perspective from 1927 onwards, forms a contrasting foil.[2] The thread of defeat dominates the Institute in the inter-war period and the early Federal Republic, yet also taps into many aspects of the Institute’s more recent history.  It can be found in the studies on German unity and on European integration after the fall of the iron curtain, on international law as a value-based order, as well as on global constitutionalism. Certainly, it loses some of its interpretative power with increasing historical distance and with the internationalisation of the MPIL. This article opens shows the common thread on the basis of the formative positioning of the institute in the Weimar Republic and its repositioning in the young Federal Republic of Germany.

Please note, we propose as the red thread the interpretation of the capitulations as formative German defeats. This interpretation is almost universally shared, in stark contrast to the understanding of the causes of the wars, war guilt, and the extent and uniqueness of Germany’s crimes. Moreover, our thesis is not monocausal or deterministic: further causes have been shaping the Institute’s path.[3] The red thread we are describing by no means follows a straight path: After the first defeat, the Institute aimed to revise the post-war international legal order, whereas after the second defeat it aimed to for its consistent development. The assertion of a common thread also does not claim a consensus in the assessment or the consequences that were drawn. Many contributions to this blog show the sometimes-astonishing pluralism in how the defeats were dealt with within the Institute. Our common thread can only be a common thread because it leaves many aspects open and up for debate. In a nutshell: we are not writing a narrative.

A Loser’s Institution

The foundation of the institute on 19 December 1924 was a result of the capitulation. Having lost the war, Germany had to submit to a new international order dominated by its opponents. The defeat presented the German international lawyers and the entire discipline with unprecedented challenges. They now stood alone, without a powerful army at their side. Moreover, the Treaty of Versailles confronted Germany with intricate international problems, such as the loss of territory, restrictions on sovereignty, enormous reparations, war debts and political isolation. In addition, Germany suffered from a lack of competent lawyers. The statism of the German Empire had little interest in international law, so the discipline was neglected for decades.

The establishment of the Institute responded to this situation. The founding memorandum, written by KWG Secretary General Friedrich Glum, the eminent Weimar professor Heinrich Triepel and the founding director Viktor Bruns stated:

“In the decades to come, Germany will have to deal more than ever with the cultivation of international relations, in order to protect itself from the unjustified claims of its war enemies, to help its compatriots in the ceded territories and to reassert itself in the world.” [4]

The Institute started a “loser’s institution”. The consequences of this, however, could turn out very differently, leading for example to a critical or an emphatic understanding of international law. One obvious consequence could have been a critical understanding of international law as an instrument of the strong to suppress the weak, ‘the strong do what they can and the weak suffer what they must’. The Institute decided differently, more wisely: a country with a Wehrmacht of only 100,000 men is better served by an understanding of international law according to which law is more than just the formalisation of power. Corresponding to the interests at stake is an understanding as an independent system of order, which also serves to inhibit pure power. It is therefore by no means a coincidence that Bruns’ programmatic first article in the Institute’s newly founded journal theorizes the autonomy of international law: “International Law as a Legal Order“.

The KWI’s approach to the defeat was not the only possible. Consider the Hamburg Institut für auswärtige Politik (“Institute for Foreign Policy”), founded in 1922 by Albrecht Mendelssohn Bartholdy, and the Kiel Institut für Internationales Recht (“Institute for International Law”) under the directorship of Walther Schücking. These two institutes also addressed the defeat, but with a more progressive understanding of international law committed to the international order and the League of Nations. Such commitments do not characterise the work of the KWI. Even ‘international law as a legal order’ appears to be more a means than an end.  After the Second World War, this openness in dealing with the defeat was even evident internally.Whereas Carl Bilfinger (1879-1958), who oversaw the re-foundation of the institute in 1950, , recommended a peace order based on the balance of power according to the traditional model of the Congress of Vienna, his successor Hermann Mosler (1912-2001) focussed on theintegration into the West that ‘detonated’ (“sprengen”) traditional thinking.

Concrete Experiences of Defeat

The burned-out castle in June 1946[5]

The influential power of the defeats can be concretised by looking at the members of the institute. Looking at the staff structure of the KWI, it was “comparable to that at the Federal Foreign Office: aristocratic origins, bourgeois tradition and a certain social arrogance dominated.”[6] Due to an, in many cases, starkly nationalist sentiment, many felt the defeat particularly deeply. This is most evident in the leadership of the Institute, its founder Viktor Bruns (1884-1943),  and the academic members and advisors Rudolf Smend (1882-1975), Erich Kaufmann (1880-1972) and from 1944 onwards by the second director, Carl Bilfinger (1879-1958). Among them, Erich Kaufmann, a highly decorated soldier, was the only one who had served in the war, which he had almost yearned for  in his famous – by now infamous – bellicose essay on the “Nature of International Law” (“Das Wesen des Völkerrechts”).[7] Viktor Bruns and Heinrich Triepel were among the more than 3,000 professors who had signed the nationalistic “Declaration of the Professors of the German Empire” (“Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches”) in 1914 and consequently showed active support of the war.

Among staff members, only a few, such as Hermann Heller (1891-1933), Carlo Schmid (1896-1979) and Friedrich Berber (1898-1984), had fought in the First World War. Most had experienced the war as teenagers, such as Joachim Dieter Bloch (1906-1945), Karl Bünger (1903-1997), Joachim von Elbe (1902-2000), Herbert Kier (1900-1973) and Gerhard Leibholz (1901-1982), Hans-Joachim von Merkatz (1905-1982), Hermann Mosler (1912-2001), Hermann Raschhofer (1905-1979), Helmut Strebel (1911-1992), Ulrich Scheuner (1903-1981), Berthold von Stauffenberg (1905-1944) and Wilhelm Wengler (1907-1995).[8] Yet, educated in the spirit of German nationalism and subject to the war propaganda, they were characterised by a strange bitterness: For not fighting in the war to avoid defeat, they felt to have missed the opportunity to prove themselves to their nation, and many tried to make up in other ways.[9] Some have reported on the experience of defeat in autobiographies.[10]

Shared war experience: Erich Kaufmann in 1918 and Carlo Schmid in 1917 as officers (Photos: UB der HU zu Berlin, Porträtsammlung: Erich Kaufmann; AdSD 6/FOTA020638).

The shared experience of defeat had an important social function for the Institute: the “fight against Versailles” integrated the members of the KWI beyond their political differences. Indeed, there was a certain degree of “diversity” at the Institute. It provided a space for researchers of Jewish origin such as Erich Kaufmann, Hermann Heller and Gerhard Leibholz. There was also political diversity, and the differences between the social democrats Heller and Carlo Schmid on the one hand and conservatives such as Kaufmann or Berthold von Stauffenberg ran deep. It is worth mentioning diversity for female researchers such as Ellinor von Puttkamer, Marguerite Wolff and Angèle Auburtin.

The glue among the members was the intention to revise the post-war order. This shared objective facilitated cooperation among the Institute’s members, even after 1933. It is true that the Jewish members Erich Kaufmann and Marguerite Wolff were forced out. However, until 1944, political nonconformists such as Wilhelm Wengler, regime-sceptics such as Hermann Mosler and, later, the dissident and member of the resistance movement of 20 July 1944 Berthold von Stauffenberg worked with national socialist lawyers such as Herbert Kier and Georg Raschhofer.

Scientific Support of the War

Viktor Bruns, The Guilt of “Peace” and the German Right to the Sudetenland, Annual Conference of theKWG 1938 (Bruns third from right, next to Max Planck, second from right) [12]

The Institute’s support of National Socialism can be explained with the defeat in the First World War, not with deep belief in the regime’s ideology. Viktor Bruns and his staff longed for a revision of the Treaty of Versailles and the restoration of Germany as a great power.[13] With this aim, the Institute became involved in the Third Reich’s war preparations early on. Already in 1934, Bruns set up a department for martial law, headed by Berthold von Stauffenberg.[14] From 1935, the Institute participated in the Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (“German Society for Defence Policy and Defence Sciences”), a Nazi think-tank on war issues. Its Ausschuss für Kriegsrecht (“Committee for the Law of War”) aimed to “simplify the heterogeneous law of war and – in view of a coming war – to collect all the necessary documents in order to be able to represent German interests  as well as possible after the German victory.”[15]  In this think tank, Viktor Bruns, Hermann Mosler, Ernst Schmitz and Berthold von Stauffenberg joined members of the Foreign Office, the Ministry of Justice, the High Command of the Wehrmacht and the Navy, and the Ministry of Aviation.[16] It developeda draft for a prize law (“Prisenordnung”), for which Berthold von Stauffenberg was responsible, as well as a law of admiralty courts and parts of a law on aerial warfare. These were, to their credit, heavily oriented on the international law of war.While the KWI was involved in preparing a new war and supported Nazi policy, it was so mostly within the limits of international law.[17] Thus, its support weakened when the gross violation of international law on the Eastern Front became known. Although the Institute did not become a centre of resistance, there is evidence that Schmitz, Wengler, Mosler and Stauffenberg were “strictly committed to international humanitarian law”. [18] An issue of both great relevance and complexity is Stauffenberg’s involvement in the operation Walküre of 20 July 1944.[19] It can, however, not be discussed here.

Kriegsfolgenforschung” -“Research on the Consequences of the War”

The defeat in the Second World War with all its consequences, the destruction of Berlin Palace, the dramatical rescue of the institute’s library, and the deaths of colleagues, was another experience impacting the institute’s staff. Much of this becomes tangible in the eyewitness accounts and obituaries in the ZaöRV.[20]  Until the Institute’s re-establishment by the newly founded Max Planck Society in Heidelberg in 1949, it was in a most precarious state. Parts had already been moved to Heidelberg where Bilfinger was living, but much of the library and staff were still in Berlin, but in Bruns’ villa. The Institute’s staff was primarily concerned with the legal side of the defeat, euphemistically termed “the law of the consequences of war” (Kriegsfolgenrecht). Carl Bilfinger worked for the industrialists Hermann Röchling and Friedrich Flick in the Allied war crimes trials, while Hermann Mosler appeared on behalf of Gustav Krupp and Albert Speer.[21] Until the 1960s, the Institute was busy with questions of the law of occupation, reparations, and the status of Berlin and the Soviet occupation zone.[22]

Boltzmannstraße 1 in Berlin. The Director’s Villa of the KWI for Biology housed the Berlin branch of the MPIL from 1947 to 1960[23]

In the first post-war issue of the ZaöRV in 1950, Carl Bilfinger, reappointed as director despite his Nazi background, defined the Institute’s research tasks. Without any mentioning National Socialism, the Second World War or German crimes, he was primarily concerned with criticising the treatment of Germany by the Allies. He compared the situation in 1950 with that of the Berlin Institute in the 1920s: “In this respect, the journal of the Institute also finds itself in a new situation, which was already discussed after the First World War, but not fully clarified, in relation to an old question.” [24]  Bilfinger praised the main achievement of Bruns’s KWI as having “forced Germany’s opponents to unmask their purely power-political standpoint”, thus placing the Heidelberg Institute in this line. [25] Bilfinger saw Germany as a victim of the Allies. His restorative conception of the post-war order has already been mentioned.

The Alternative: The Federal Republic’s Integration into the West

Protagonist of European integration: Walter Hallstein gives a lecture on “The EEC seen from a political point of view” at the MPIL in 1962. Hermann Mosler and Hans Dölle at the table. In the background on the left, a group of young researchers listening, third from the right is Rudolf Bernhardt, later director of the Institute.[26]

Hermann Mosler drew very different lessons from Germany’s defeat. Mosler, who took over as director in 1954, developed a new understanding of the ESCS treaty, which transcended traditional international law according to Schuman. Generally, he closely followed and supported Konrad Adenauer’s Western integration. All subsequent directors followed suit, and thus the red thread took on a new direction.

In the 1950s and 1960s, the research agenda of the Institute was dominated by studies accompanying this integration of the West: European integration in its many aspects, human rights, and, on the comparative side, constitutional adjudication and the control of the executive. When, in the late 1960s, the Ostpolitik began to address a further dimension of the German defeat, this naturally became a central issue. At the same time, the red thread left much open, namely how to deal with the most visible consequence of the defeat: the division of Germany and its loss of territory. The issue was a polarising the Institute as it was polarizing the country.[27] The red thread is that the issue was so important that it could polarise the Institute.

Many members and staff of the Institute, above all Karl Doehring, Hartmut Schiedermair, Fritz Münch, but also Helmut Steinberger and Hermann Mosler, rejected the Ostverträge, a series of treaties of the Federal Republic with the Eastern European countries, above all the Soviet Union, Poland and later the German Democratic Republic.[28] But with Jochen Frowein and his fundamental work on the “de facto regime”, the Institute had also produced much of the legal thought of the new Ostpolitik. [29] We see this as a contribution to Willy Brandt’s Nobel Peace Prize. In any case, the “German question”, as the most obvious consequence of the defeat, had a formative influence on generations of researchers. Consequently, with German reunification, the presence of the defeat slowly began to fade.

The Defeats and the Institute in the 21st century

he Continuous Relevance of Military Pride. Karl Doehring (right) in conversation with Gerhard Gutmacher, former judge at the Landgericht Heidelberg, on the occasion of Doehring’s 80th birthday on 22 March 1999 at the Institute. The Iron Cross identifies the guest as a highly decorated participant in the Second World War.[30]

Karl Doehring and Rudolf Bernhardt, the last directors with war experience, died in 2011 and 2021 respectively. [31] What is the awareness, understanding and relevance of Germany’s capitulations today?  With the passage of time and the internationalisation of the MPIL’s staff, fading is inevitable, not least because many of today’s academic, library and administrative staff have a history of migration and were socialised and educated abroad.

And yet, historical institutionalism’s concepts of critical juncture and path dependency express a deep truth. With this article, we hope to have provided our readers with a thread leading towards a grasp of the Institute’s most recent publications, and by that, also of the situation in Germany more broadly. If the thread is no longer red or even has become impossible to find, this is also significant. Then one might ask whether researchers, the institute, and Germany have forgotten, overcome, or coped with the defeats and whether this should be reason for celebration or for regret. For us it would be the latter.

[1] Giovanni Capoccia, Critical Junctures, in: Orfeo Fioretos/Tulia G. Falleti/Adam  Sheingate (eds), The Oxford Handbook of Historical Institutionalism, Oxford: Oxford University Press 2016, 89-106.

[2] Jan Stöckmann, The Architects of International Relations. Building a Discipline, Designing the World, 1914-1940, Cambridge 2022, 97-98.

[3] Jan-Holger Kirsch, „Wir haben aus der Geschichte gelernt“. Der 8. Mai als politischer Gedenktag in Deutschland, Köln: Böhlau 1999, 8; Reinhart Koselleck, Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze (1988), in: Reinhart Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, 27-77; 68-69.

[4] Memorandum on the foundation of the Institute for Comparative Public Law and International Law (undated, but drafted before December 1924), BArch, R 1501, 3-10, 3, translated by the authors.

[5] Photo: BArch, Bild 183-U0628-501/ Erich O. Krueger.

[6] Ingo Hueck, Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (ed.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandaufnahme und Perspektiven der Forschung, Göttingen: Wallstein 2000, Vol. 2, 490-528, 510.

[7] Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, Tübingen: Mohr 1911.

[8] Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg: Hamburger Edition 2002; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. Munich: C.H. Beck 2016.

[9] Cf. Herbert (fn. 8), 54; Samuel Salzborn, Zwischen Volksgruppentheorie, Völkerrechtslehre und Volkstumskampf. Hermann Raschhofer als Vordenker eines völkischen Minderheitenrechts, Sozial.Geschichte 21 (2006), 29-52, 33.

[10] Carlo Schmid, Erinnerungen, Stuttgart: Hirzel 2008, 40 et seqq; Friedrich Berber, Zwischen Macht und Gewissen. Lebenserinnerungen, Munich: Beck 1986, 13-18; Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, Munich: Bertelsmann 1983, 54-57.

[11] Photo: University Library of the Humbolt University (Berlin), portrait collection: Erich Kaufmann; AdSD  6/FOTA020638.

[12] Photo: Weltbild Foto Verlag. The original image could not be found in a better version. Searches in the Bundesarchiv (German Federal Archive), the picture archive of the Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Prussian Cultural Heritage Foundation) and the archives of Ullstein Bild and Scherl/SZ-Foto, which have taken over parts of the Weltbild collection, were unsuccessful. We would be grateful for any further information.

[13] Cf. Viktor Bruns, Die Schuld am „Frieden“ und das deutsche Recht am Sudetenland, 31.05.1938, in: Ernst Telschow (ed.), Jahrbuch 1939 der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Leipzig: Drugulin 1939, 57-85.

[14] Andreas Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, Munich: De Gruyter 2008, 207; Andreas Meyer, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944). Völkerrecht im Widerstand, Berlin: Duncker & Humblot 2001, 60.

[15] Meyer (fn. 14), 64, translated by the authors.

[16] Toppe (fn. 14), 207.

[17] Ernst Schmitz, Vorlesung Kriegsrecht [“Lecture on the Law of War”] 1938, unpublished manuscript, in the MPIL’s library under signature: VR: XVII H: 40; there are also legal opinions by Hermann Moslers, without signature, MPIL; see also: Hueck (fn. 6), 512; Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Heidelberg: Springer 2017, 76.

[18] Hueck (fn. 6), 522.

[19] Hueck (fn. 6), 522.

[20] The post-war issue of the ZaöRV (today also under the English title Heidelberg Journal of International Law, HJIL), vol. 13 of 1950, begins with six obituaries. The war claimed the life of Joachim-Dieter Bloch, who was shot by Red Army soldiers during the liberation of Berlin, Alexander N. Makarov, Joachim-Dieter Bloch (1906-1945), HJIL 13 (1950), 16-18; the 22-year-old lecturer Ferdinand Schlüter had been missing since 1944: “The old companions of the Institute honour his memory faithfully and have not yet given up hope of his return”: Helmut Strebel, Ferdinand Schlüter (vermißt), HJIL 13 (1950), 20-21, 21; Impressive contemporary witness report by librarian Annelore Schulz, Die Rückführung unserer Institutsbibliothek aus der Uckermark nach Berlin-Dahlem [“The repatriation of our institute library from the Uckermark to Berlin-Dahlem”], 1946 (unpublished).

[21] Lange (fn, 17), 150; Hubert Seliger, Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse, Baden-Baden: Nomos 2016, 181, 548; Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (Hrsg.). Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879-1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, Baden-Baden: Nomos 2024, 329.

[22] See the extensive collection of expert opinions in the MPIL’s holdings. The Institute’s Berlin department, which existed until 1960, was primarily concerned with the legal consequences of the war. In the 1950s, the MPI also took over two important collections of legal archives: the “Heidelberger Dokumentenarchiv”, which contains a complete set of the trial documents of the Nuremberg Trials, and parts of the certificates of the “Institut für Besatzungsfragen”, which was based in Tübingen and researched, among other things, violations of the law of the Allied occupation; see the collection in the basement of the MPIL; Hermann Mosler, Der Einfluss der Rechtsstellung Deutschlands auf die Kriegsverbrecherprozesse, Süddeutsche Juristenzeitung 2 (1947), 362-370; Hermann Mosler, Die Kriegshandlung im rechtswidrigen Kriege, in: Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg/Institut für internationales Recht an der Universität Kiel, Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht 1948, vol. 2, Hamburg: Hansischer Gildenverlag 1948, 335-358.

[23] Photo: AMPG.

[24] Carl Bilfinger, Prolegomena, HJIL 13 (1950), 22-26, translated by the authors.

[25] Carl Bilfinger, Völkerrecht und Historie, in: Boris Rajewski/Georg Schreiber (eds.), Aus der deutschen Forschung der letzten Dezennien. Dr. Ernst Telschow zum 65. Geburtstag gewidmet, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1954, 29-32, 30.

[26] Photo: MPIL.

[27] The surviving minutes of the “Referentenbesprechung” bear witness to this.

[28] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik.

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945–2002, in: Thomas Duve/Jasper Kunstreich/Stefan Vogenauer (eds.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948–2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 26.

[29] Jochen Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, Cologne: Carl Heymanns Verlag 1968.

[30] Photo: MPIL.

[31] Bernhardt does not seem to have commented on this experience throughout his life, but his private library was dominated by works dealing with the phenomenon of National Socialism, unlike Karl Doehring, who wrote extensively about his time as a soldier: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs Verlag 2008, 71-114. On Rudolf Bernhardt’s experiences as a prisoner of war: Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945-1947, ed. by Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024.

Zeitgenossenschaft, Expertise und das „Völkerrecht als Rechtsordnung“. Das MPIL „um 68“

Dieser Beitrag, zur Diskussion gestellt als Teil eines Roundtable-Gesprächs im Rahmen der Seminarreihe zur Institutsgeschichte, ist Teil einer gemeinsamen Reflexion über die Zeitgenossenschaft des MPIL. Ist es im Verlaufe seiner Nachkriegsentwicklung auf der Höhe seiner Zeit gewesen, und ist die Zeit auf der Höhe der Wissenschaft der MPIL gewesen? Letzteres wäre der Fall, wenn die Wissenschaft des Völkerrechts den realen Verhältnissen der inter­na­tionalen Beziehungen vorausgeeilt oder auf dem Wege wäre, die zukünftigen Etappen der Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft mitzugestalten.

I. Woran will ich die Zeit­genossenschaft des MPIL (in dem erwähn­ten doppelten Sinne) festmachen? Unter den verschiedenen methodischen Wegen zur Beant­wortung dieser Frage bot sich die mir persönlich nächstliegende Herangehens­weise an, nämlich die Identifizierung und Bewertung jener Thematik, welche das Institut seinerseits „um 68“ zum Gegenstand seiner Forschung gemacht und damit auf die völkerrechtswissenschaftliche Agen­­da gesetzt hat. Die Deka­de zwischen der Mitte der 1960er und der 1970er Jahre betrachte ich als die Zeitspanne, die man grob vereinfachend als „um 68“ charakterisieren kann. Diese Jahreszahl vermittelt ja nicht lediglich eine chronologische Infor­mation, sondern symbolisiert nachhaltig wirkende gesellschaftliche Ereignisse mit internationaler Ausstrahlung in verschiedene, vor allem westliche Gesell­schaften.

Hermann Mosler 1975 in der Alten Aula anlässlich des 50-jährigen Institutsjubiläums (Foto: MPIL)

Als para­digmatisch betrachte ich das Thema, mit dem Hermann Mosler, der da­malige Direk­tor des MPIL, die Serie der Beiträge eröffnete, die aus An­lass des 1974 gefeierten 50jährigen Bestehens des Instituts in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) veröffentlicht wurden. Es lautete: Völker­recht als Rechts­ord­nung. Natürlich war das keine speziell für das Jahrzehnt zwischen der Mitte der 1960er und 1970er Jahre charakteristische wissenschaftliche Fra­gestellung. Mosler hatte dieses Thema gewählt, weil er damit das Werk des Gründungsdirektors des Kaiser-Wilhelm-Instituts Viktor Bruns ehren wollte, der im Jahr 1929 die ZaöRV gegründet und den ersten Band mit eben dieser Thematik – „Völkerrecht als Rechtsord­nung“ eröffnet hatte.

Man könnte sagen, dass dieses Thema für das MPIL nicht nur aus Anlass seiner Jubiläen bedeutungsvoll und würdiger Gegenstand seiner Forschung ist, son­dern im Grunde die Ratio seiner Existenz ausmacht. Jubiläen wie das fünf- fünfzig- oder hundertjährige Bestehen des MPIL markieren daher lediglich Stationen, wie sich dieses für den wissenschaftlichen Auftrag des MPIL konstitutive Problem im geschichtlichen Prozess der dazu geführten Diskurse entwickelt hat. Aus Anlass des hundertsten Geburtstages des MPIL daran zu erinnern ist der Sinn der folgenden Überlegungen eines Nicht-Völkerrechtlers.

Original Typoskript des Vortrages „Völkerrecht als Rechtsordnung“ von Viktor Bruns, gehalten am 16. Februar 1927 vor der KWG (Foto: MPIL)

II. Zunächst: Was meinten die beiden Autoren Bruns und Mosler mit der Qualifi­zierung des Völkerrechts als Rechtsordnung? Gewiss verstanden sie unter dem Begriff Rechtsordnung nicht le­diglich eine Ordnung allein des recht­lichen Stof­fes, den wir als Völkerrecht klassifizieren, das heißt eine Ta­xonomie des Rechts­stof­fes, der die internationale Dimension des Rechts betrifft. So etwas gehört in den Hörsaal einer Vorlesung über das Völkerrecht und wird in den völker­recht­lichen Reflexionen und Forschungen vorausgesetzt. Wenn das Völkerrecht als Rechtsordnung qualifiziert wird, dann ist damit nicht gemeint, dass dieses Rechtsgebiet eine Ordnung hat und deswegen auch eine Ordnung dieses Rechtsgebietes ist – sinnvollerweise kann damit nur gemeint sein, dass das Völkerrecht eine ordnende Funktion für seinen Gegenstand hat, nämlich die internationale Gemeinschaft.

In modernen Gesellschaften ist die gesellschaftliche Ordnung zugleich eine Rechtsordnung – rechtlich konstituiert und reguliert. Sozial­ord­nung und Rechts­­­­ordnung sind weitgehend identisch – selbst der Bruch des Rechts ist ein rechtliches Ereignis. So ist zum Beispiel Diebstahl ein in die Alltagssprache eingegan­gener Rechtsbegriff für den Vorgang der Wegnahme einer Sache ohne oder gegen den Willen der bestohlenen Per­son. Das ist ge­meint, wenn von der konstitutiven Bedeutung der Norm für die Erkenntnis des rechtlichen Charak­ters sozialer Beziehungen und Verhält­nisse die Rede ist: der von der sinnlich wahr­nehmbaren konkreten Realität eines sozialen Verhältnis­ses abstrahier­ende Rechtsbegriff prägt Sprache und Be­wusst­sein einer durch Recht konsti­tuierten Ordnung. Ohne das Recht gäbe es diese Ordnung nicht; ohne das Recht wären die Men­schen lediglich ein Haufen im Hobbes’schen Naturzu­stand, in dem jeder gegen jeden um sein Überleben kämpft.

III. In der Begeisterung der demokratischen Bewegung der Paulskirchenversammlung 1848 und deren Ver­abschiedung einer Verfassung schrieb der Dichter Fer­di­­nand Frei­li­grath: „Noch gestern, Brüder, wart ihr nur ein Haufen; ein Volk, o Brüder, seid ihr heut“.

Die gegenwärtig gängige Formulierung für etwas Gleichartiges oder Ähnliches in Bezug auf die inter­na­tio­nalen Beziehungen lautet „regelbasierte Weltord­nung“. Das ist das Ideal ins­besondere der liberalen westlichen Demokratien des globalen Nordens. Eine regelbasierte Ordnung müsste auf globaler Ebene das leisten, was innerstaatlich jedenfalls in jenen Staaten gesichert erscheint: Frie­den und Ordnung durch Recht. Wir wissen, dass es das nicht gibt, in dem Zeitalter der Staatlichkeit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch nicht gegeben hat.

Warum hat es diese Konstellation in den Beziehungen der Staaten nicht gege­ben? Die Antwort ist so schlicht wie folgenreich. Die Staaten bilden eine Plura­lität, sicherlich mehr als einen Haufen oder eine bloße Menge. Andererseits haben sie sich nicht wie der Freiligrath’sche Haufen zu einem kollektiv hand­lungsfähigen Ver­band transformiert – sie befinden sich damit in der paradoxen Situation, dass sie unter diesem Zustand der unorganisierten Vielheit zugleich leiden, wie ihn aber gleichzeitig auch genießen und mit allen Mitteln verteidi­gen. Sie leiden darunter, dass sie mangels ei­ner über ihnen existierenden sanktionsfähigen Autorität eines in­ter­na­tionalen Superstaates in ständiger Sorge um ihre Sicher­heit leben, die potentiell von jedem anderen Staat bedroht ist, und sich daher in ständiger kostenintensiver Wehrbereitschaft befinden müssen. Sie genießen diesen Zustand zugleich aber auch, weil sie dank ihrer Souveränität keiner ihnen überlegenen Ordnungsmacht unterliegen und weitgehend ungestört und selbstbezüglich ihre inneren Angele­gen­heiten regeln können – bis hin zu grausamster Unter­drückung ihrer jeweiligen Völker.

IV. Dieser „Souveränitätspanzer“ verhindert, dass völkerrechtliche Normen einen konstitutiven Status erlangen können. Sie können nicht den soziologischen Roh­­­zustand der internationalen Beziehungen souveräner Staaten in eine Ord­nung umwandeln, die einen verbindlichen kollektiven Mehrheitswillen hervor­bringen könnte, geschweige denn eine überlegene Autorität, die diesen Willen gegen Widerspruch durchsetzen könnte. Schon der Gegenstand des Völ­ker­rechts ist diffus: laut Präambel der UNO-Sat­zung sind es die „Völker der Ver­einten Natio­nen“, später im Text dann auch nur die „Vereinten Natio­nen“, in der Li­tera­tur wird auch von der „inter­na­tionalen Gemeinschaft“, „Staa­ten­ge­mein­schaft“, der „Völkerrechtsgemeinschaft“ oder der „Staaten­gesellschaft“ gesprochen, zuweilen von der Mensch­heit (man­kind). Bei genauer Betrachtung bilden die Staaten keine Gemein­schaft, sondern eine Gesellschaft. In der präzi­sierenden Unterscheidung zwischen Vergemeinschaftung und Vergesell­scha­ftung von Max Weber wird letztere als die Existenz einer sozialen Beziehung gekennzeichnet, „wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckra­tional) motiviertem Interes­senaus­gleich oder auf ebenso motivierter Interes­sen­ver­bindung beruht“.[1] In diesem Sinne kennzeich­net Hedley Bull, Be­grün­der der englischen Schule der internationalen Beziehun­gen, das Pluriversum der Staaten als „anar­chi­cal society“. Damit charakterisier­te er eine Konstellation, die durch drei widerspruchsvolle Elemente gekenn­zeich­­­net sei: Kriege zwischen den Staaten und Kämpfe um Macht; transnationa­le Solidarität und Konflikt sowie Kooperation und regulierte Beziehungen zwis­chen Staaten.[2] Auf ein weniger beachtetes Element dieser Beziehung von Krieg und internationalem anarchischem System hat übrigens der britische Militär­historiker Michael Howard in einem klugen Essay unter dem Titel The Invention of Peace  aufmerksam gemacht.[3]

Rudolf Bernhardt, Ernst Friesenhahn und Jochen Frowein auf der Tagung „Völkerrecht als Rechtsordnung“ 1975 (Foto: MPIL)

Die weitgehend anerkannten Eigenheiten der internationalen Ordnung be­ruhen darauf, dass die Staaten nicht rechtlich kon­stituiert sind. Staaten sind keine Geschöpfe des Rechts, sondern natur­wüch­sig aus dem mehr oder weni­ger gewalttätigen Verkehr der Staaten oder sonstiger Herrschafts­verbände hervorgegangene Gebilde (zum Beispielnach dem Zerfall von Imperien), die ausschließ­liche Herrschaft über ein umgrenztes Territorium und dessen Bevöl­kerung aus­üben. Während binnenstaatlich die soziale Ordnung durch die kon­stitutive Wir­kung der Verfassung in eine Rechtsordnung transformiert wird, bleibt die Exi­stenz der Staaten in der zwischenstaatlichen Sphäre ein bloßes Faktum. Kel­sen bezeichnete bekanntlich das Völkerrecht als eine „primitive Rechtsord­nung“. Da­­mit bezog er sich darauf, dass die generellen Normen des Völker­rechts nicht durch ein gesondertes Gesetzgebungsorgan erzeugt werden, son­dern durch die „Glieder der Rechtsgemeinschaft“ selbst, das heißt die Staaten.[4] Sie haben keine In­sti­­tu­tion hervorgebracht, die mit der selbständigen Wahrung der Gesamtinter­es­sen der „Gemeinschaft“ betraut wurde. Dass dies auch unter dem Schirm der UN-Charta gilt, zeigen deren Artikel 24 und 25. Danach handeln die Mit­glie­der des Sicherheitsrates bei der Erfüllung ihrer Hauptverantwortung für die Wahr­ung des Weltfriedens nicht im Namen und im Interesse einer in den Ver­einten Nationen verfassten Gemeinschaft der Staaten und deren Völ­ker, son­dern im Namen der Summe der Mitglieder der Vereinten Na­tionen, also der Staaten. Sie bleiben in ihrer Pluralität und Souveränität die Quel­le der Legitimi­tät der Beschlüsse des Sicherheitsrates. Die Verbindlichkeit der Beschlüsse des Sicherheitsrates ergibt sich folglich nicht aus einer strukturellen Über­legenheit eines Gesamtwillens über die Einzelwillen der Staaten; sie folgt aus der Über­einkunft der einzelnen Mitglieder der Vereinten Nationen, „die Be­schlüs­­se des Sicherheitsrates im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzufüh­ren“ (Artikel 25). Quelle der Legitimität der Beschlüsse des Sicher­heitsrates sind die Übereinkünfte der Staaten, die damit auch die Interpretationshoheit über deren jeweiligen Inhalt und damit über das Maß der Verbindlichkeit innehaben.

Zum Mitglied einer „anarchischen Gesellschaft“ nach der erwähnten Konzepti­on von Bull wird ein Staat als Faktum erst durch die Anerkennung als Staat – erst dadurch erwirbt er den Status eines internationalen Rechts­sub­jektes.[5] Bei­des – Anerkennung und Völkerrechtsfähigkeit – sind Begriffe des Völkerrechts. Ihre Geltung und Anwendung schaffen eine eigene soziale Wirklichkeit und er­lösen damit die faktische Wirk­lichkeit eines „naturhaften“ Nebeneinanders von ungleich machtvollen souveränen Herrschafts­gebilden von ihrem Verharren in der rohen Ver­sion eines Hobbes’schen Naturzustan­des.

V. Was durch die Geltung dieser völkerrechtlichen Nor­men, im Verbund mit dem elementaren, in der Re­gel rechtsethisch fundierten Grundsatz pacta sunt servanda[6] bewirkt wird, ist nichts weniger als der erste Schritt hin zu einer Rationalisierung des rohen Zustandes einer Viel­zahl machtoppor­tu­nistisch agierender Souveräne in eine normativ inspirierte Konstellation eines ge­ord­neten Ne­beneinanders. Man kann also den genannten völkerrechtlichen Nor­men einen konstitutiven Char­akter zuspre­chen.

Rechtfertigt das die These vom Völkerrecht als Rechts­ord­nung? Es kommt darauf an, welche Ansprüche wir an den Begriff der völker­recht­li­chen Ordnung stellen. Verstehen wir darunter die oben erwähnte „re­gelbasierte internationa­le Ord­nung“, so wird man die Frage wohl verneinen müssen. Denn beim gegen­wärtigen Stand der ungezügelt ausgetragenen inter­nationalen Konflikte ist von einer ordnenden, geschweige denn steuernden Macht des Völkerrechts wenig zu se­hen. Für uns Heutige muss der Frieden noch erfunden werden. Wir werden uns wohl mit der bescheide­neren Idee einer regelorientierten Ordnung zufriedengeben müssen. Die Kluft zwi­schen regelbasiert und regel­ori­entiert ist das Feld der internationa­len Politik. Sie benötigt dringend die Exper­tise und Kreativität der völkerrechtlichen Pro­fession und ihres deutschen Hor­tes, des Heidelberger MPIL. Dessen Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen ermutigt zu kühnen Hoffnungen und Wünschen.

[1] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr 1972, 21.

[2] Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, London:  Macmillan1977, 41.

[3] Michael Howard, The Invention of Peace. Reflections on War and International Order, London: Yale University Press 2000.

[4] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. (1960), 5. Neudruck, Wien: Verlag Österreich 2000, 323 ff.

[5] Vgl.  Wilfried Schaumann, Anerkennung, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, Berlin: De Gruyter 1960, 47 ff.; Hermann Mosler, Völkerrechtsfähigkeit, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, Berlin: De Gruyter 1962, 665 ff.

[6] Hierzu Werner Kägi, Pacta Sunt Servanda, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, Berlin: De Gruyter 1961, s711-716.

Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung

A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement

Deutsch

Prolog

„1968 ist eine Jahreszahl, in die sich das Imaginäre eingenistet hat“, schrieb der Schriftsteller und Essayist Hans Magnus Enzensberger, der als Herausgeber des Kursbuch zu den Sprechern der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Deutschland zählte, in Notizen zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968. Es seien „die verbotenen Sätze auf die Straße gegangen“, notierte er: „Zweitausend, zwanzigtausend, zweihunderttausend Worte, Umzüge, Resolutionen […] Die Widersprüche schrien zum Himmel. Jeder Versuch, den Tumult intelligibel zu machen, endete notwendig im ideologischen Kauderwelsch.“[1] Auch vor Heidelberg machten die Worte, die auf die Straße gingen – eine treffende Metapher, um das Neue, die Besetzung von Straßen und Plätzen, zu zeigen – nicht halt. Lautstarke Protestaktionen und performative Happenings setzten nach dem 2. Juni 1967 ein und dauerten an, als an anderen Orten die Mobilisierung längst abgeebbt war, so dass auch von „Heidelgrad“ gesprochen wurde.[2] Wie positionierte sich das Max‑Planck‑Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in den und zu den Konflikten? Fungierte es als Burg in der Brandung? Setzte es, fernab der Altstadt, seine Arbeit in einer Art Elfenbeinturm fort? Auf den ersten Blick sieht es so aus, aber noch fehlt eine fundierte Studie über das Institut vor dem Hintergrund der kritischen Ereignisse der Jahre 1967 bis 1970. Es fehlen zudem, um eine solche zu erstellen, Aufzeichnungen, Stellungnahmen, Erinnerungen der Mitarbeiter des Instituts in diesen Jahren – anders als von anderen Instituten liegen mir keine „Wortergreifungen“ der Assistenten vor, keine zeitgenössischen, keine rückblickenden. [3] Last but not least steht eine systematische Suche nach Gesprächs- und Sitzungsprotokollen, Notizen, Flugblättern, Plakaten und Fotos aus. Dieser Beitrag zur Rolle des Instituts im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung kann daher nur eine Annäherung im Konjunktiv sein. Diese lässt sich von zwei analytischen Bezugsrahmen leiten: den Überlegungen Pierre Bourdieus zum juridischen Feld sowie von Fragestellungen und Hypothesen der Sozialen Bewegungsforschung. Sie untergliedert sich zwei Punkten.

1. Soziale Bewegung und juridisches Feld

Die Welle der Proteste, die in fast allen westlichen Industrieländern 1968 kulminierte, war mehr als eine Studenten- oder Generationsrevolte. Die transnationalen Proteste waren soziale Bewegungen, analytisch definiert als „Prozess des Protestes“ von Individuen und Gruppen, welche die bestehende Sozial- und Herrschaftsstruktur negierend, grundlegende gesamtgesellschaftliche Veränderungen erstreben und dafür Unterstützung mobilisieren. [4]  Im Mai 1968, so formulierte es der Philosoph Michel de Certeau „on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789”. Worum ging es? Was stand auf dem Spiel? Ein noch nicht aufgebrauchter „Vorrat an Vertrauen in die Möglichkeit, durch Handeln die Welt zu verändern“, kennzeichnete die Proteste, wie die Philosophin Hannah Arendt urteilte, die von New York aus die Entwicklung der Protestbewegungen in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich aufmerksam verfolgte.[5] Handlungsmotivierend und legitimitätsstiftend wirkte die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und einer imaginierten, ‚anderen‘, neuen Ordnung, geprägt durch zwei Leitideen: Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung (autogestion) einerseits und Selbstorganisation/Selbstverwaltung (participatory democracy, Mitbestimmung) andererseits. Um Unterstützung für ihre Ziele zu generieren, sind soziale Bewegungen gezwungen zu agieren und sich aus der Aktion zu formieren. Der Dynamik erzeugende mobilisierende Effekt der 68er Bewegung beruhte jenseits des Charismas ihrer Leitidee auf einer Strategie der direkten performativen Aktion, der begrenzten Regelverletzung. Orientiert an der anarchistischen Bewegung und der künstlerischen Avantgarde – Dadaismus, Surrealismus, bewegten sich die Aktionen oft im Grenzbereich von Legalität und Illegalität. Was passiert im juridischen Feld, wenn eine solche Bewegung entsteht und an Dynamik gewinnt?

Recht „als geschichtlich konstruierte strukturierte Struktur“, trägt, folgt man dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, zur „Produktion der Welt“ bei. „Es ist“, so seine These, daher „nicht übertrieben zu sagen, dass es die soziale Welt macht – wobei es natürlich zuerst von ihr gemacht wird.“[6] Bourdieu definiert das juridische Feld als „Feld von Kämpfen, in dem die Akteure mit je nach ihrer Position in der Struktur des Kraftfeldes unterschiedlichen Mitteln und Zwecken miteinander rivalisieren und auf diese Weise zu Erhalt oder Veränderung seiner Struktur beitragen.“[7] Neben dem Bildungssystem trage das Recht entscheidend zur Reproduktion der bestehenden Machtverhältnisse bei. Wirke es doch an der Festigung von Sicht- und Teilungskriterien mit, welche die Wahrnehmung der sozialen Welt entsprechend den Kriterien der herrschenden Ordnung orientieren. Juristen tragen dergestalt zu dem bei, was Bourdieu die „Suspendierung des Zweifels, die Welt könne eine andere sein“ nennt.[8] Damit steht, die Schlussfolgerung ist klar, das juridische Feld den Zielen sozialer Bewegungen diamental entgegen.

Indes, so Bourdieu, kann auch das juridische Feld – das einer relativen autonomen Logik folgt – potentiell von außen in Bewegung versetzt werden: durch Intellektuelle, soziale Bewegungen und die Kunst. Voltaires Rolle in der Affäre Calas, die ihn zum Vorkämpfer einer Strafrechtsreform machte, sei exemplarisch hervorgehoben.[9] Indes, um der Kritik – artikuliert von Intellektuellen, sozialen Bewegungen, der Kunst – Wirksamkeit zu verleihen, braucht es Vermittler in das Institutionensystem. Voltaire verfügte über solche. Im Fall der Außerparlamentarischen Opposition waren es die Anwälte, die die Justizkritik der 68er Bewegungen verstärkten, indem sie diese, neue Verteidigungsstrategien wie die Konfliktverteidigung erprobend, in den Gerichtsaal experimentell anwandten um hierarchische Strukturen vor Gericht aufzudecken.[10] Neben Anwälten und Richtern zählen auch die Rechtsgelehrten zu den Akteuren im juridischen Feld. Wie positionierten sie sich, konfrontiert mit der 68er Bewegung, die, dies sei nochmals betont, eine transnationale Bewegung war und in Frankreich zu Barrikadenkämpfen und dem größten Generalstreik der Nachkriegszeitführte? Konkret: Was geschah im MPIL? ‚Business as usual‘? Textarbeit im Elfenbeinturm? Keineswegs.

2. Die 68er Bewegung und das MPIL:

“Heidelberg: Vorsorge für die nächste Krise” – “Solidarität mit den Heidelberger Genossen!!” Solidaritätskundgebung von Studierenden in Kiel 1970 anlässlich des Verbots der SDS-Hochschulgruppe in Heidelberg[11]

Das MPIL wurde mit Fragen und Folgen der Bewegung unmittelbar konfrontiert und zur Stellungnahme angeleitet ‚von oben‘, vom Staat. Wie positionierte es sich? Grundsätzlich gilt, folgt man Bourdieu, dass die Stellungnahmen der Akteure im juridischen Feld durch deren Stellung im Feld und die Kräfteverhältnisse innerhalb des Feldes geprägt werden. Auf die Kräfteverhältnisse, die als „Kompetenzkämpfe um die Kompetenz“ sowie „das Recht, Recht zu sprechen“ ausgetragen werden, wirken zwei Faktoren ein: erstens, die Hierarchie der Rechtsinstanzen und der Rechtsgebiete sowie zweitens, die Homologien zwischen dem juridischen Feld und anderen Feldern – wie zum Beispiel die Nähe zum Feld der Macht. Wendet man diese Kriterien auf das MPIL als Akteur an, so verleiht ihm seine Stellung in der Hierarchie der Rechtsgebiete sowie seine Nähe zur Macht eine herausgehobene Position innerhalb des Feldes. Was macht es damit? Als kollektiver Intellektueller in der Tradition Voltaires agiert es nicht.  Es übernimmt die Rolle des „conseiller du prince“, des Fürstenberaters, des Experten, der den Staat berät. Es setzt seine spezifische Kompetenz ein und liefert vergleichende Rechtsgutachten an das Innenministerium. Ruft man in Erinnerung, dass in der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik Studentenbewegung, Anti‑Notstands‑Opposition und Ostermarschbewegung (Kampagne für Demokratie und Abrüstung) interagierten, so nahm das Institut zu zentralen Themen der Bewegung Stellung.

Erstens: Zur Notstandsgesetzgebung. Die erste Anfrage nach einem rechtsvergleichenden Gutachten zur „Einschränkung der Grundrechte“, wie es in der Korrespondenz heißt, datiert vom 3. Februar 1964.  Der Direktor des MPIL, Hermann Mosler, nahm am 7. Dezember 1967 im Bundestag Stellung zu dem – wie es nun hieß – „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“[12]. Mosler sprach zu den Abgeordneten über seinen Untersuchungsgegenstand: das Ausnahmerecht in Frankreich.

Zweitens: Zu den neuen Demonstrationsformen, der Besetzung von Straßen und Plätzen. In Auftrag gegeben vom Bundsinnenministerium im Herbst 1969, fertiggestellt unter Einsatz aller Kräfte, wie die Korrespondenz zeigt, im Januar 1970 und schließlich abgeliefert im Februar 1970 wurde das Gutachten zu „Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“ in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und den USA.[13]

Drittens: Zur Forderung der Bewegung nach „direkter Demokratie“. Auf Anfrage des Bundesinnenministeriums im September 1969, mithin eingeleitet noch unter der Großen Koalition, erarbeitet das Institut schließlich ein Gutachten zu „Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“ (1970).

Recht reproduziert, so Bourdieu, bestehende Machtverhältnisse. In welchem Maße gilt das auch für die Rechtsauslegung von Experten? Eine Analyse der Rechtsauslegung durch das MPIL könnte unter anderem prüfen, ob die Expertisen neben der Rekonstruktion der Rechtslage in den Ländern auch die Anwendungspraxis und damit den – nicht nur von der Außerparlamentarischen Opposition angeprangerten – Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit (mit)reflektieren. Zu prüfen wäre zudem, welcher Demokratiebegriff den Gutachten zugrunde liegt. Die New Left (Neue Linke, intellektuelle Nouvelle Gauche), die in allen westlichen Industrieländern den Mobilisierungsprozess der 68er-Bewegungen anfachte, richtete sich gegen den vorherrschenden, auf Wahlen beschränkten Demokratiebegriff. Sie setzte der Demokratie als Staats- und Regierungsform ein Demokratieverständnis entgegen, das Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen, mithin Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform einschloss. Zu prüfen wäre, last but not least, ob, wann und wie das Institut Wege interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Gesellschaftswissenschaften einschlug (und damit einen Impuls der Bewegung aufnahm), die zu einer neuen Konzeption des Völkerrechts führten.

„Für freie politische Betätigung“. Gottfried Zieger und Institutsmitarbeiter Georg Ress 1975 in der Alten Aula[14]

Bleibt die Frage nach Strukturveränderungen innerhalb des Instituts. In vielen Instituten – darunter den von mir untersuchten in Starnberg und Frankfurt[15] – rebellierten die Mitarbeiter gegen die autoritäre Führung durch die Institutsdirektoren. Auch im „Oberhaus der deutschen Wissenschaft“ (DIE ZEIT), der Max-Planck-Gesellschaft, sahen sich die Mitarbeiter unter dem Druck der Ereignisse zu Kritik und Reformforderungen veranlasst. Und: Mitarbeiter aus 37 von 52 Max-Planck-Instituten traten am 9. Mai 1970 in Heidelberg zusammen, um eine „Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“ zu etablieren. Sie kritisierten die bestehende Struktur der Max-Planck-Institute als „undemokratische ‚Hierarchie’“.[16] Zur Strukturierung der Arbeit dieser Vertretung wurde ein Ausschuss (Satzungsausschuss) gegründet, der ein Organisationsstatut entwerfen sollte. Waren auch Mitarbeiter des MPIL darunter? Oder, anders gefragt, war es möglich, von der Bewegung nicht bewegt zu sein? Dieter Grimm, Mitarbeiter im MPI für Rechtsgeschichte in Frankfurt und persönlicher Referent des Institutsdirektor Helmut Coing, erklärte in einem Interview:

„Man konnte den Aktionen der protestierenden Studenten gar nicht entgehen, sie begegneten einem in Demonstrationen, Happenings, Sit-ins, Fassadenbeschriftungen (‚Nehmt Euch die Freiheit der Wissenschaft – forscht, was ihr wollt’, stand lange an einem Universitätsgebäude), auf Hörsaalwänden, die in Protest- oder Ankündigungsflächen verwandelt wurden (‚Heute 16.00 Uhr Demo – kommt massenhaft’ – niemand konnte mehr sagen, welchen Tag das betraf, aber das machte nichts, es galt ja fast jeden Tag). Man musste sich dazu einstellen.“ [17]

Wie standen die Mitarbeiter des MPIL zur Forderung der 68er Bewegung nach mehr Mitbestimmung in der Demokratie? Wie standen sie zu mehr Mitbestimmung im eigenen Haus? Gab Karl Doehrings Verfassungsbeschwerde[18] gegen das baden-württembergische Hochschulgesetz den Takt vor? Wurde das Harnack-Prinzip nicht als Barriere empfunden – angesichts der Rufe „Forscht, was Ihr wollt“? Selbst in der Max-Planck-Gesellschaft waren bereits seit 1969 Reformüberlegungen im Gange. Befürchtend, dass die Unruhe an den Hochschulen auch in ihre Institute übergreifen könnte, hatte der Präsident Adolf Butenandt eine Reformkommission – Strukturkommission genannt – eingesetzt.  Und in der Tat, die Mitarbeiter klagten Mitwirkung ein: bei der Wahl der Institutsdirektoren und der Festlegung der Forschungsprogramme, eine zeitliche Begrenzung und Kontrolle der Institutsleitung, eine Änderung des Systems der Zeitverträge sowie eine kritische Reflexion des Leistungsbegriffs.

Auch aus dem MPIL nahm ein Mitarbeiter an den Beratungen teil, wie ich durch Befragung des Zeitzeugen und Akteurs Dieter Grimm in Erfahrung bringen konnte: Michael Bothe. Ich habe Kontakt zu ihm gesucht. Krankheitsbedingt konnte er meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachkommen. Aus Dokumenten im Nachlass von Werner Conze, der 1969/70 Rektor der Universität Heidelberg war, geht jedoch hervor, dass Bothe persönlicher Referent des Rektors war und damit beteiligt an der Einführung einer neuen Grundordnung der Universität Heidelberg, entsprechend dem Hochschulreformgesetzes des Landes.[19] Vielleicht gibt es noch andere damalige Mitarbeiter, die hierzu Stellung nehmen könnten. Ich hoffe darauf, denn es kann doch nicht sein, dass die Rechtsexperten einem abgebrochenen Juristen und seiner (Sprach-)Kritik an den Instanzen des juridischen Feldes das letzte Wort belassen, nämlich Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] Eingehen kann ich auf diesen Text nicht, abschließen aber möchte ich mit den Worten, die Handke am Ende seiner Publikumsbeschimpfung in Bewegung setzte, um die vierte Wand (zwischen Bühne und Publikum) aufzubrechen und die den Zeitgeist von 1968 spiegeln:

„…. Ihr Leuchten der Wissenschaft. Ihr vertrottelten Adeligen. Ihr verrottetes Bürgertum. Ihr gebildeten Klassen. Ihr Menschen unserer Zeit. Ihr Rufer in der Wüste. […] Ihr Jammergestalten. Ihr historischen Augenblicke. Ihr Oberhäupter. Ihr Unternehmer. Ihr Eminenzen. Ihr Exzellenzen. Du Heiligkeit. Ihr Durchlauchten. Ihr Erlauchten. Ihr gekrönten Häupter. Ihr Krämerseelen. Ihr Ja-und-Nein-Sager. Ihr Neinsager. Ihr Baumeister der Zukunft. Ihr Garanten für eine bessere Welt. Ihr Unterweltler. Ihr Nimmersatt. Ihr Siebengescheiten. Ihr Neunmalklugen. Ihr Lebensbejaher. Ihr Damen und Herren ihr, ihr Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens ihr, ihr Anwesenden ihr, ihr Brüder und Schwestern ihr, ihr Genossen ihr, ihre werten Zuhörer ihr, ihr Mitmenschen ihr.

       Sie waren willkommen. Wir danken Ihnen. Gute Nacht.“[21]

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (Hrsg.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt der Briefwechsel Hartmut Schiedermairs (Habilitant von Herrmann Mosler) mit Helmut Ridder dar, veröffentlicht unter dem Titel: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; zudem sei verwiesen auf die 2008 erschienenen Erinnerungen Karl Doehrings an die Studentenbewegung: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (Hrsg.), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; vgl. auch Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (Hrsg.), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19.

[6]Pierre Bourdieu, Die Kraft des Rechts. Elemente einer Soziologie des juridischen Feldes, in: Andrea Kretschmann (Hrsg.), Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2019, 35–78, 60.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221.

[9] Vgl. Voltaire, Die Affäre Calas, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Vgl. dazu Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (Hrsg.), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Hervorhebung durch die Autorin.

[13] Mitarbeiter waren Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. Das Gutachten wurde als Buch veröffentlicht unter dem Titel: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (Hrsg.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, herausgegeben und kommentiert von Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Nachlass Karl Doehring, Universitätsarchiv Heidelberg.

[19] Brief von Werner Conze an das Kultusministerium Baden-Württemberg, datiert 30. Juli 1969, Nachlass Werner Conze, Universitätsarchiv Heidelberg, Ref. 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, 47-48.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-094922-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

Prologue

“1968 is a date in which the imaginary has ensconced itself” wrote the author and essayist Hans Magnus Enzensberger, who as editor of the Kursbuch (roughly: “textbook”, a key cultural and political publication of the time) was one of the spokespersons of the extra‑parliamentary opposition (Außerparlamentarische Opposition, APO) in the Federal Republic of Germany, in notes for his 1968 diary. In 1968, “the forbidden sentences took to the streets”, he noted: “Two thousand, twenty thousand, two hundred thousand words, processions, resolutions [ …]  The contradictions towered to heaven. Every attempt to make the tumult intelligible had to end in ideological gibberish.”[1] The words that took to the streets – an apt metaphor to underline the novelty of the occupation of streets and squares – did not spare Heidelberg. Loud protests and performative happenings began after 2 June 1967 and continued long after the mobilisation had died down in other places, leading to the coining of the term “Heidelgrad”.[2] How did the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) position itself in and in relation to the conflicts? Did it act as a bastion in troubled waters? Did it continue its work, far from the old town (Altstadt, where most university buildings are located), in a kind of ivory tower? At first glance, it would appear so, but a well‑founded study of the institute against the backdrop of the critical events of 1967 to 1970 is still lacking. Moreover, in order to produce such a study, there are no records, statements, recollections of the staff of the institute during these years – unlike other institutes, I have no commentaries by the assistants, no contemporary ones, no retrospective ones.[3] Last but not least, a systematic search for minutes of discussions and meetings, notes, flyers, posters and photos is still pending. This contribution on the role of the institute in the mobilisation process of the 1968 movement can therefore only be an approximation in the subjunctive. It is guided by two analytical frames of reference: Pierre Bourdieu’s reflections on the juridical field and the questions and hypotheses of social movement research. It is subdivided into two points.

1. Social Movements and the Juridical Field

The wave of protests culminating in almost all industrialised Western countries in 1968 was more than just a student or generational revolt. The transnational protests were social movements, analytically defined as a “process of protest” by individuals and groups who, rejecting the existing social and power structure, sought fundamental changes in society as a whole and mobilised support for them.[4]  In May 1968, as the philosopher Michel de Certeau put it, “on a pris la parole comme on a pris la Bastille en 1789“. What was all of that about? What was at stake? The protests were characterised by a by a “reserve of trust in the possibility of changing the world through action” that had not yet been used up as the philosopher Hannah Arendt put it who closely followed the development of protest movements in the USA, the Federal Republic of Germany and France from New York.[5] Fuel for mobilisation and source of legitimacy was the discrepancy between reality and an imagined, ‘different’, new order, characterised by two guiding principles: self‑determination/self-realisation (Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung/autogestion) on the one hand and participatory democracy (Selbstorganisation/Selbstverwaltung/Mitbestimmung) on the other. In order to generate support for their goals, social movements are forced to act and form themselves out of action. Beyond the charisma of its central idea, the dynamic mobilising effect of the 1968 movement was based on a strategy of direct performative action, of limited rule-breaking. Inspired by the anarchist movement and the artistic avant-garde – Dadaism, Surrealism – the actions were often situated in the grey zone between legality and illegality. What happens in the legal field when such a movement emerges and gains momentum?

According to French sociologist Pierre Bourdieu, law is a “structured structure[…], historically constituted ” and contributes to the “production of the world”. According to his thesis, it “would not be excessive to say that it creates the social world, but only if we remember that it is this world which first creates the law.”[6] Bourdieu defines the juridical field as a “field of struggles in which actors compete with each other with different means and ends depending on their position in the structure of the force field and in this way contribute to maintaining or changing its structure.”[7] Alongside the education system, the law makes a decisive contribution to the reproduction of existing power relations, according to Bourdieu. After all, it contributes to the consolidation of criteria of vision and division that orientate the perception of the social world according to the criteria of the prevailing order. In this way, jurists contribute to what Bourdieu calls the “suspension of doubt that the world could be a different one”.[8] Accordingly, the conclusion is clear: the legal field is diametrically opposed to the goals of social movements.

However, according to Bourdieu, the juridical field – which follows a relatively autonomous logic – can potentially be set in motion from the outside: by intellectuals, social movements and art. Voltaire’s role in the Calas affair, which made him a pioneer of criminal law reform, should be emphasised as an example.[9] However, in order for criticism – articulated by intellectuals, social movements and the arts – to be effective, mediators are needed in the institutional system. Voltaire had such mediators. In the case of the extra-parliamentary opposition, it was the lawyers who reinforced the judicial criticism of the 1968 movement by experimenting with new defence strategies such as Konfliktverteidigung (roughly: “confrontational defence”, a strategy of criminal lawyers to call into question not just the legitimacy of the charges at hand, but of the court as a whole) in order to expose hierarchical structures in court.[10] In addition to lawyers and judges, legal scholars were also among the actors in the legal field. How did they position themselves when confronted with the 1968 movement, which, it should be emphasised once again, was a transnational phenomenon and led to barricade struggles in France and the largest general strike of the post-war period? Specifically: What happened at the MPIL? Business as usual? Scholarly work in an ivory tower? Not at all.

2. The 68 Movement and the MPIL

Solidarity rally by students in Kiel in 1970 on the occasion of the ban on the SDS (Socialist German Students’ League) university group in Heidelberg. The banners read: “Heidelberg: Precautions for the next crisis” and “Solidarity with Heidelberg comrades!!” (Foto: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.)[11]

The MPIL was directly confronted with the questions and consequences of the movement and instructed ‘from above’, by the state, to take a stand. How did it position itself? Basically, according to Bourdieu, statements of the actors in the legal field are determined by their position in the field and the balance of power within it. Two factors influence the balance of power, which is formed by “competence struggles over competence” and “the right to adjudicate”: firstly, the hierarchy of courts and fields of law, and secondly, the homologies between the legal field and other fields – such as the proximity to the field of power. If these criteria are applied to the MPIL as an actor, its position in the hierarchy of legal fields and its proximity to power give it a prominent position within the field. What does it do with this? It does not act as a collective intellectual in the tradition of Voltaire.  It takes on the role of the “conseiller du prince“, the prince’s counsellor, the expert who advises the state. It uses its specific expertise and provides comparative legal opinions to the Ministry of the Interior. If one recalls that in the extra-parliamentary opposition in the Federal Republic of Germany, the Studentenbewegung (student movement), the movement against the proposed Notstandsgesetze (German Emergency Acts, reintroducing martial law into the constitution) and the Ostermarschbewegung (“Easter march movement”, a campaign for democracy and disarmament) interacted, the institute took a stand on central issues of the movement.

Firstly, on the German Emergency Acts. The first request for a comparative legal opinion on the “restriction of fundamental rights”, as it is called in the correspondence, is dated 3 February 1964. The director of the MPIL, Hermann Mosler, gave a statement in the Bundestag on 7 December 1967 on what was now called the “draft law to supplement the Basic Law” (“Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes“)[12]. Mosler spoke to the members of parliament about the subject of his enquiry: martial law in France.

Secondly, on the new forms of demonstration, the occupation of streets and squares. Commissioned by the Federal Ministry of the Interior in autumn 1969, completed in January 1970, as the correspondence shows, and finally delivered in February 1970, the report on “Freedom of demonstration and road traffic” („Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr“) covered the legal situation in Belgium, the Federal Republic of Germany, France, Great Britain, Italy, the Netherlands, Austria, Sweden, Switzerland and the USA.[13]

Thirdly, on the movement’s demand for “direct democracy”. At the request of the Federal Ministry of the Interior in September 1969, i.e. initiated still under the “grand coalition” of Germany’s two major parties at the time, the institute finally drafted an expert report on “Plebiscitary elements in the constitutional life of European democracies” („Plebiszitären Elemente im Verfassungsleben europäischer Demokratien“, 1970).

According to Bourdieu, law reproduces existing power relations. To what extent does this also apply to the interpretation of the law by experts? An analysis of the interpretation of the law by the MPIL could examine, among other things, whether the expert opinions, in addition to reconstructing the legal situation in other states, also reflect (on) the application practice and thus the contradiction between constitutional law and constitutional reality, denounced not only by the extra-parliamentary opposition. The concept of democracy on which the expert opinions are based should also be examined.  The New Left (Neue Linke, intellectual Nouvelle Gauche), which fuelled the mobilisation process of the 1968 movements in all Western industrialised countries, opposed the prevailing concept of democracy, reduced to elections. It sought to replace the understanding of democracy as a form of state and government with an understanding of democracy built on participation in all areas of society, i.e. democracy as a way of life and a social order. Last but not least, it should be examined whether, when and how the institute embarked on paths of interdisciplinary cooperation between law and social sciences (and thus took up an impulse of the movement) that led to a new conception of international law.

Gottfried Zieger and member of the institute Georg Ress at Heidelberg University in 1975. The graffiti in the background reads: “For free research”[14]

This leaves the question of structural changes within the institute. In many MPIs – including the ones I studied in Starnberg and Frankfurt[15] – the staff rebelled against the authoritarian leadership of the directors. Even within the Max Planck Society, the “House of Lords of German science” (as it was called by the German newspaper DIE ZEIT), employees felt compelled by the pressure of events to criticise and demand reform. And: employees from 37 of the 52 Max Planck Institutes met in Heidelberg on 9 May 1970 to establish a “Representation of Scientific Staff at Max Planck Institutes” („Vertretung der an Max-Planck-Instituten wissenschaftlich Tätigen“). They criticised the existing structure of the Max Planck Institutes as an “undemocratic ‘hierarchy'”.[16] To structure the work of this representation, a Statutory Committee (Satzungsausschuss) was set up to draft an organisational statute. Were employees of the MPIL among them? Or, to put it another way, was it possible not to be moved by the movement? Dieter Grimm, a member of staff at the MPI for Legal History in Frankfurt and personal advisor to the institute’s director Helmut Coing, explained in an interview:

“You couldn’t escape the events of the protesting students, you encountered them in demonstrations, happenings, sit-ins, graffities (‘Take your freedom of science – research what you want’ was written on a university building for a long time), on lecture hall walls, which were transformed into protest or announcement areas (‘Demonstration, today 16.00 – all come’ – no one could tell which day that was, but that did not matter, it applied almost every day). You had to take a stance.” [17]

How did the staff of the MPIL view the demands of the 1968 movement for more participation in democracy? How did they feel about more participation in their own institute? Did Karl Doehring’s constitutional complaint (Verfassungsbeschwerde)[18] against the University Reform Act (Hochschulreformgesetz) of Baden-Württemberg set the pace? Was the Harnack principle not perceived as a barrier – in view of the calls to “research what you want”? Even in the Max Planck Society, reform considerations had been underway since 1969. Fearing that the unrest at the universities could spread to their institutes, President Adolf Butenandt had set up a reform commission – known as the Strukturkommission (Commission on Structure).  And indeed, the employees demanded participation: in the election of institute directors and the definition of research programmes, a time limit and control of institute management, a change in the system of temporary contracts and a critical reflection on the conceptualization of performance.

An employee from the MPIL also took part in the consultations, as I was able to find out by interviewing the contemporary witness and actor Dieter Grimm: Michael Bothe. I sought contact with him. Due to illness, he was unable to fulfil my request for an interview. However, documents in the estate of Werner Conze, who was Rector of the University of Heidelberg in 1969/70, show that Bothe was the Rector’s personal advisor and thus involved in the introduction of a new Grundordnung (basic regulations) for the University of Heidelberg in accordance with the University Reform Act.[19] Perhaps there are other former employees who could comment on this. I hope so, or legal experts will have to leave the last word to a law school dropout and his (linguistic) criticism of the authorities in the legal field, namely Peter Handke in Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.[20] I cannot go into detail about this text, but I would like to conclude with the words that Handke set in motion at the end of his play “Offending the Audience” in order to break down the fourth wall (between stage and audience) and which reflect the zeitgeist of 1968:

You luminaries of science. You beacons in the dark. You educated gasbags. You cultivated classes. You befuddled aristocrats. You rotten middle class. You lowbrows. You people of our time. You children of the world. […] You wretches. You congressmen. You commissioners. You scoundrels. You generals. You lobbyists. You Chief of Staff. You chairmen of this and that. You tax evaders. You presidential advisers. You U-2 pilots. You agents. You corporate-military establishment. You entrepreneurs. You Eminencies. You Excellencies. You Holiness. Mr- President. You crowned heads. You pushers. You architects of the future. You builders of a better world. You mafiosos. You wiseacres. You smart‑alecs. You who embrace life. You who detest life. You who have no feeling about life. You ladies and gents you, you celebrities of public and cultural life you, you who are present, you brothers and sisters you, you comrades you, you worthy listeners you, you fellow humans you.

          You were welcome here. We thank you. Good night.[21]

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Hans Magnus Enzensberger, Erinnerungen an einen Tumult. Zu einem Tagebuch aus dem Jahr 1968, in: Rudolf Sievers (ed.), 1968. Eine Enzyklopädie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, 23-26, 23, 25, translated by the editor.

[2] Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung. Studentenunruhen in Heidelberg 1967-1973, Heidelberg: Gunderjahn 2009; Dietrich Hildebrandt, „und die Studenten freien sich!“. Studentenbewegung in Heidelberg 1967-973, Heidelberg: esprit 1991.

[3] One notable exception is the correspondence between Hartmut Schiedermair (habilitation student of Herrmann Mosler) and Helmut Ridder, which was published under the title: Die Heidelberger Rechtsfakultät im Jahre 1970 – Ein Briefwechsel, Kritische Justiz 3 (1970), 335-339; see also Karl Doehrings memories of the student movement as described in his 2008 memoir: Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 137-152.

[4] Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, The Analyses of Social Movements: The State of the Art and some Perspectives of further Research, in: Dieter Rucht (ed), Research on Social Movements: The State of the Art in Europe and the USA, Frankfurt am Main: Westview Press 1991, 421-464, 450; Roland Roth (ed), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, 13; Cf. Ron Eyerman, How social movements move, in: Jeffrey Alexander/Bernhard Giesen/Jason L. Mast (eds), Social Performance. Symbolic Action, Cultural Pragmatics, and Ritual, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 193-217, 195.

[5] Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 19, translated by the editor; this work was also published in English as: Hannah Arendt, On Violence, San Diego: HBJ Book 1970.

[6] Pierre Bourdieu, The Power of Law. Elements of a sociology of the juridical field, Hastings Law Journal 38(1987), 814-853, 839.

[7] Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 18, translated by the editor.

[8] Pierre Bourdieu, Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, 221, translated by the editor.

[9] Cf. Voltaire, Die Affäre Calas, edited and with an epilogue by Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Insel 2010.

[10] Cf. Ingrid Gilcher-Holtey, Einleitung, in: Gisela Diewald-Kerkmann/Ingrid Holtey (eds), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF, Berlin: Duncker & Humblot 2013, 7-13.

[11] Photo: Stadtarchiv Kiel, 22.135/Magnussen, Friedrich, CC-BY-SA 3.0.

[12] Emphasis added by the author.

[13] Contributors were Albert Bleckmann, Konrad Buschbeck, John D. Gorby, Meinhard Hilf, Klaus Holderbaum, Alfred Maier, Georg Ress, Axel Werbke. The expert opinion was published as a book under the title: MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ed), Demonstration und Straßenverkehr. Landesberichte und Rechtsvergleichung, Berlin: Carl Heymanns 1970.

[14] Foto: MPIL.

[15] Ingrid Gilcher-Holtey, Verfassung gestern: Rebell in Robe. Dieter Grimm zum 80. Geburtstag – ein Vortrag geschrieben für mehrere Stimmen, in: Ulrike Davy/Gertrude Lübbe-Wolff (eds.), Verfassung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft.  Autorenkolloquium mit Dieter Grimm, Baden-Baden: Nomos 2018, 45-61.

[16] Helmut Coing, Für Wissenschaften und Künste. Lebensbericht eines europäischen Rechtsgelehrten, edited and annotated by Michael F. Feldkamp, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, 212.

[17] Dieter Grimm, „Ich bin ein Freund der Verfassung“. Dieter Grimm im Gespräch mit Oliver Lepsius, Christian Waldhoff, Matthias Roßbach, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017, 74-75, translated by the editor.

[18] ACC 48/16, Ak-Nr.1, Estate of Karl Doehring, Heidelberg University Archive.

[19] Letter by Werner Conze to the Baden-Württemberg Ministry of Education, dated 30 July 1969, Estate of Werner Conze, Heidelberg University Archive, Ref 101/32.

[20] Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972; the title translates to „I am an inhabitant of the ivory tower”.

[21] Peter Handke, Publikumsbeschimpfung, translation following: Peter Handke, Offending the Audience and Self-Accusation, translated by Michael Roloff, London: Methuen & Co Ltd 1971, 38.

Suggested Citation:

Ingrid Gilcher-Holtey, A Bastion in Troubled Waters? The MPIL in the Mobilisation Process of the 1968 Movement, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-095001-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

Die Gemischten Schiedsgerichte der Zwischenkriegszeit

The Mixed Arbitral Tribunals of the Interwar Period

Un grand procès international: The inaugural hearing of the deportees’ case before the German‑Belgian Mixed Arbitral Tribunal on 7 January 1924 at the Hôtel de Matignon in Paris. In the background, from left to right: Alfred Lenhard, Richard Hoene, Paul Moriaud, Albéric Rolin and the Belgian State Agents Henri Gevers and Georges Sartini van den Kerckhove. In the foreground: the German Secretary Walther Uppenkamp (left) and his Belgian colleague Jean Stevens (right) [Meurisse news agency, gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France]

Deutsch

Wie ein internationales Medienphänomen zum „Nicht-Erinnerungsort“ der Völkerrechtswissenschaft verkam – und seine Wiederentdeckung heute unser Verständnis von transnationalen Mobilisierungen verändern könnte

Am Morgen des 7. Januar 1924 begab sich ein Fotograf der Presseagentur Meurisse ins Pariser Hôtel de Matignon. Nicht etwa, um dort einer offiziellen Erklärung des Premierministers beizuwohnen – erst 1935 wurde das Stadtpalais zur offiziellen Residenz der französischen Regierungschefs. Der Pressefotograf sollte vielmehr ein damals neuartiges Spektakel ablichten, das die Brüsseler Tageszeitung Le Soir ihren Lesern als „grand procès international“ – als „großen internationalen Prozess“ – angekündigt hatte.[1]

Letzterer sollte vor dem auf Grund des Versailler Vertrages geschaffenen Deutsch‑Belgischen Gemischten Schiedsgericht stattfinden, dessen ständige Mitglieder der Genfer Rechtsgelehrte Paul Moriaud, sein namhafter belgischer Kollege Albéric Rolin und Senatspräsident Richard Hoene aus Frankfurt waren. Kläger waren zehn Belgier, die im Laufe des Krieges von Deutschland als Zwangsarbeiter deportiert worden waren und nun vom Reich eine Entschädigung verlangten. Einer der Kläger, der noch immer von seiner Gefangenschaft gezeichnete 38‑jährige Jules Loriaux, hatte den Weg nach Paris angetreten. Vertreten wurden er und seine Leidensgenossen durch den 33‑jährigen Brüsseler Anwalt Jacques Pirenne und dessen Mentor, den ehemaligen belgischen Außenminister Paul Hymans. Das Deutsche Reich hatte seinerseits nicht nur auf seinen Staatsvertreter, Senatspräsident Alfred Lenhard, sondern, wie üblich bei besonders wichtigen Fällen, zusätzlich auf einen Rechtsanwalt zurückgegriffen – in diesem Falle auf den später durch die NS-Rassenpolitik ins Exil getriebenen Max Illch aus Berlin, dessen akzentfreies Französisch von der Presse besonders hervorgehoben wurde.

Der Pariser Deportiertenprozess entsprach dem, was Karen J. Alter und Mikael Rask Madsen heute als „the international adjudication of mega-politics“ bezeichnen.[2] Hätte das Deutsche Reich damals diesen Prozess verloren, hätten ihm zehntausende solcher Klagen und Entschädigungsforderungen in Höhe von rund fünf Millionen Francs gedroht, das heißt das Zehnfache der Belgien für seine zivilen Kriegsopfer bereits versprochenen Summe.[3]

Das Deutsch-Belgische Gemischte Schiedsgericht war nur eines von siebzehn solcher Schiedsgerichte, die damals im Hôtel de Matignon einquartiert waren. Diese stellten damals ein Novum dar. Sieht man von dem schmalbrüstigen Zentralamerikanischen Gerichtshof ab, der zwischen 1907 und 1918 gerade einmal zehn Fälle behandelte, waren sie die ersten tatsächlich funktionierenden internationalen Gerichte vor denen Individuen gegen einen ausländischen – und teils sogar gegen den eigenen – Staat klagen konnten. Im Gegensatz zu ihrem zentralamerikanischen Vorgänger waren sie ein Massenphänomen: insgesamt gab es 39 Gemischte Schiedsgerichte, die grob geschätzt zwischen 90.000 und 100.000 Fälle behandelten – einige davon noch nach Kriegsausbruch 1939. Dieser Masse an, insbesondere für Deutschland, oft hochbrisanten Streitfällen verdankten auch das (Kaiser-Wilhelm-) Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1924) und jenes für ausländisches und internationales Privatrecht (1926) zumindest teilweise ihre Existenz und fortwährende staatliche Unterstützung.[4] Angesichts dieser Fakten scheint es umso verwunderlicher, dass die Gemischten Schiedsgerichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast gänzlich aus dem kollektiven Gedächtnis der Völkerrechtler verschwanden.

Die Gründe hierfür mögen vielfältiger Natur sein. Der Verruf, in den die für gescheitert erklärten internationalen Gebilde der Pariser Friedensordnung geraten waren, dürfte ebenso dazu gehören wie der üble Nachgeschmack, den insbesondere die Gemischten Schiedsgerichte bei den vor ihnen teils diskriminierten ehemaligen Mittelmächten, aber auch bei verschiedenen Alliierten – besonders in Mittel- und Südosteuropa – hinterlassen hatten. Auch dem Willen, den europäischen Wiederaufbau- und Einigungsprozess unter das Zeichen eines Neuanfangs zu stellen, wäre mit längeren Verweisen auf die in puncto Völkerversöhnung doch recht durchwachsene Bilanz der „Tribunaux arbitraux mixtes“ wohl kaum gedient gewesen. Auf Historiker dürfte nicht nur die Masse, sondern auch die technische Komplexität des lange noch reichlich vorhandenen Archivmaterials eine abschreckende Wirkung gehabt haben.

Fakt ist, dass, nach einer wahren Publikationsflut in der Zwischenkriegszeit, zwischen 1947[5] und den späten 2010er Jahren fast nichts zu diesem Thema erschienen ist. Im Gegensatz zu den, mit ihnen oft verglichenen, Gemischten Kommissionen, die sich insbesondere bei Anhängern der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit stets großer Beliebtheit erfreut haben, entsprachen die Gemischten Schiedsgerichte damit durchaus dem vom französischen Sozio‑Historiker Gérard Noiriel geprägten Begriff eines „Nicht Erinnerungsorts“, eines „non‑lieu de mémoire[6] – in anderen Worten, einem kollektiven Gedächtnisschwund der Völkerrechtsgemeinschaft. Wie real dieser Gedächtnisschwund war, verdeutlicht sich, wenn man bedenkt, dass das aus 40 größeren Kisten bestehende und mehrere Tonnen wiegende Archiv der Pariser und mehrerer anderer Gemischter Schiedsgerichte, dass den Weltkrieg nahezu intakt überstanden hatte, irgendwann Ende der 1970er oder Anfang der 1980er Jahre von der Bibliothek im Haager Friedenspalast ausgesondert wurde.[7]

Auch wenn große Teile der Hinterlassenschaft der Gemischten Schiedsgerichte damit für immer verloren sein dürften, so gibt es heute zumindest wieder Interesse an einer tiefgehenden Wiederaufarbeitung dieser Institutionen. Bahnbrechend sind hier vor allem Jakob Zollmanns Forschungen gewesen.[8] Darüber hinaus haben einige Publikationen anlässlich des 100. Jahrestages der Pariser Verträge, unter anderem von Marta Requejo Isidro und Burkhard Hess[9] sowie von August Reinisch,[10] es den Gemischten Schiedsgerichten zumindest ansatzweise erlaubt, den Rückweg in das Bewusstsein des völkerrechtlichen Mainstreams anzutreten. Diese Tendenz weiter zu verstärken und auszuweiten war auch das Vorhaben des Sammelbandes, den ich im April 2023 zusammen mit Hélène Ruiz Fabri herausgegeben habe und der das erste Buch zu diesem Thema seit 1947 darstellt.[11]

Die bereits in dieser Publikation vertretenen Ansätze können durchaus noch ausgebaut werden. Fünf Themenkomplexe erscheinen mir in dieser Hinsicht besonders vielversprechend – unter anderem deshalb, weil sie auch neueren methodologischen Ausrichtungen ein weites Betätigungsfeld bieten können, vor allem im Bereich der Sozio-Rechtsgeschichte. Hier denke ich insbesondere an die von Natasha Wheatley[12] und Jessica Marglin[13] veröffentlichten Arbeiten über die Mobilisierung des Völkerrechts und internationaler Institutionen sowohl durch Eliten als durch Graswurzelbewegungen. Aber auch klassischere rechtsgeschichtliche und biographische Herangehensweisen unter Herbeiziehung von Archivmaterial wären hier möglich.

1. Die Bedeutung der Gemischten Schiedsgerichte für das Auswärtige Amt und das KWI

Aus der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts ausgeschieden: Briefkopf des auch als „Schiedsgerichtsabteilung“ bekannten Kommissariats Otto Göpperts (1931) [14]

Dieser Themenkomplex ist natürlich von besonderer Relevanz für die Aufarbeitung der Geschichte des  Kaiser Wilhelm Instituts (KWI) für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, welches seine Existenz zu einem guten Teil dem Bedürfnis der Weimarer Republik nach einer sowohl personell als argumentativ angemessenen Vertretung vor den Gemischten Schiedsgerichten verdankt. Einige KWI-Mitglieder wirkten sogar direkt an Gemischten Schiedsgerichten mit. So war der KWI-Direktor Viktor Bruns Schiedsrichter von 1927 bis 1931 am Deutsch‑Polnischen und auch am Deutsch‑Tschechoslowakischen Gemischten Schiedsgericht. Sein Kollege Erich Kaufmann war um die gleiche Zeit deutscher Staatsvertreter unter anderem vor dem Deutsch‑Polnischen Gemischten Schiedsgericht. Beiden Professoren assistierte hierbei Carlo Schmid, der von 1927 bis 1929 Referent am KWI war.[15] Das Ergebnis dieser beratenden Tätigkeit war zum Teil widersprüchlich. Wie bereits durch Jakob Zollmann aufgezeigt, trug das KWI zwar durch seine Publikationen und Gutachten wesentlich dazu bei, die Qualität der durch die deutschen Staatsvertreter vorgebrachten völkerrechtlichen Argumente zu verbessern, verfestigte aber auch innerhalb Deutschlands das Verständnis der Versailler Friedensordnung als eines grundlegend ungerechten „Diktats“. Um diese Dynamik eingehender zu beleuchten, wäre es sicher auch angebracht, eine Studie über das 1923 innerhalb des Auswärtigen Amtes geschaffene „Kommissariat für die Gemischten Schiedsgerichtshöfe und die Staatsvertretungen“ anzustrengen, das unter der Leitung von Dr. Otto Göppert stand und zeitweise über 300 Mitarbeiter beschäftigte, darunter über 70 Juristen.[16] Die Arbeit dieses Kommissariats und seiner Mitarbeiter näher zu erforschen dürfte nicht nur für das Verständnis der deutschen Völkerrechtsdiplomatie in der Zwischenkriegszeit interessant sein, sondern es auch erlauben, Kontinuitäten und Diskontinuitäten mit der Nachkriegszeit aufzuzeigen, insbesondere im Hinblick auf den europäischen Einigungsprozess.

2. Die Gemischten Schiedsgerichte und das internationale Privatrecht

Ernst Rabel (1874‑1955) war nicht nur von 1926 bis 1937 Leiter des KWI für ausländisches und internationales Privatrecht, sondern auch von 1921 bis 1930 Mitglied des Deutsch‑Italienischen Gemischten Schiedsgerichts mit Sitz in Rom.[17]

Da die Zuständigkeit der Gemischten Schiedsgerichte sich auch auf Fragen des internationalen Privatrechts erstreckte, hegten manche zeitgenössischen Juristen wie zum Beispiel. Jean‑Paulin Niboyet den Wunsch, dass die von ihnen entwickelte Rechtsprechung zu einer Harmonisierung der in den verschiedenen europäischen Staaten geltenden Regeln führen würde.[18] Obwohl diese Vorstellung sich nicht verwirklichen sollte, könnten die damaligen Diskussionen trotzdem für heutige Spezialisten des internationalen Privatrechts interessant sein. Darüber hinaus wurde das KWI für ausländisches und internationales Privatrecht 1926 ebenfalls mit Hinblick auf die sich vor den Gemischten Schiedsgerichten stellenden Rechtsfragen gegründet und hatte mit Ernst Rabel – ähnlich wie sein völkerrechtliches Pendant mit Viktor Bruns – einen Direktor, der als Schiedsrichter an einem solchen Gericht fungierte. Die Erforschung dieser Zusammenarbeit dürfte sicher weitere interessante Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Rechtswissenschaft und Politik im Deutschland der Zwischenkriegszeit liefern.

3. Die Gemischten Schiedsgerichte und die Entstehung einer transnationalen juristischen Öffentlichkeit

Ein internationales Medienereignis: Kläger und Publikum zum Auftakt des Pariser Deportiertenprozesses am 7. Januar 1924. Im Vordergrund die Anwälte Jacques Pirenne (links) und Paul Hymans (rechts). Im Hintergrund der Hauptkläger Jules Loriaux (zweiter v.  r., mit Gehstock) [19]

Angesichts der Anzahl der vor ihnen verhandelten Fälle und der teils beträchtlichen damit verbundenen finanziellen und politischen Konsequenzen, schufen die Gemischten Schiedsgerichte ein neues transnationales Betätigungsfeld, das sowohl von Angehörigen von Rechtsberufen wie von Teilen der Zivilgesellschaft wahrgenommen wurde. Da die Verhandlungen vor den Gemischten Schiedsgerichten öffentlich waren, auch von der Presse kommentiert wurden und sogar Schaulustige anzogen, kann man hier durchaus von einer transnationalen juristischen Öffentlichkeit sprechen. Dieser Faktor erlaubte es unter anderem, dass eher unprivilegierte Akteure, wie zum Beispiel Kriegsgeschädigte, die Gemischten Schiedsgerichte dafür benutzten, ihre Interessen gegen ehemalige Feindstaaten – oder gar gegen ihren eigenen Staat – durchzusetzen oder zumindest zur Sprache zu bringen. Einige dieser Verfahren, wie etwa der anfangs erwähnte Deportiertenprozess vor dem Deutsch‑Belgischen Gemischten Schiedsgericht, wurden auch medial transnational rezipiert.

Aber auch Teilen der Eliten boten die Gemischten Schiedsgerichte neue Möglichkeiten. Insbesondere Paris entwickelte sich zum Mittelpunkt einer transnationalen Juristen‑Gemeinschaft. International bestens vernetzte Anwälte entwickelten sich hier zu Spezialisten in deutsch‑französischen und anderen transnationalen Streitfällen. Gemeinsam mit Mitgliedern der Gemischten Schiedsgerichte und der Internationalen Handelskammer versuchten sie sogar, das System dieser Gerichte zu reformieren und dauerhaft zu etablieren. Die Motivationen, Argumente und Aktionen all dieser Akteure zu erforschen, würde sicherlich einen Beitrag zur Entwicklung der Sozio‑Rechtsgeschichte leisten.

4. Die Gemischten Schiedsgerichte und die Neuordnung der Besitzverhältnisse in Mittel‑ und Südosteuropa

Sitzung des Deutsch‑Polnischen Gemischten Schiedsgerichts im Pariser Hôtel de Matignon im Februar 1925. Im Hintergrund v. l. n. r.: Alfred Lenhard, Franz Scholz, Robert Guex, Jan Namitkiewicz, Tadeusz Sobolewski. Im Vordergrund die beiden Sekretäre, deren Identität nicht genauer bestimmt werden konnte [20]

Anders als die westlichen Alliierten genossen Polen und die Mitglieder der „Kleinen Entente“ vor den mit ihnen eingerichteten Gemischten Schiedsgerichten keine weitgehende Immunität gegenüber Klagen von Angehörigen ehemaliger Mittelmächte. Ganz im Gegenteil: die Pariser Friedensverträge sahen sogar ausdrücklich deren Entschädigung für etwaige Eigentumsliquidationen vor, was die Neuordnung der Besitzverhältnisse in diesen, teils gerade unabhängig gewordenen, Staaten zu behindern drohte. Besonders die Streitfälle zwischen deutschen Klägern und der Polnischen Republik sowie der rumänisch‑ungarische Optantenstreit sorgten hierbei für internationale Schlagzeilen. Hier wäre es interessant, den Einfluss dieser Prozeduren auf das Souveränitätsverständnis der beteiligten Staaten sowie die Mobilisierung der beteiligten Akteure, sowohl in der Region als auch in Westeuropa, zu untersuchen.

5. Die Gemischten Schiedsgerichte jenseits von Europa

Dieser Themenkomplex entspringt der Erkenntnis, dass die Gemischten Schiedsgerichte trotz ihres Ursprungs in den Pariser Friedensverträgen nicht als ein rein europäisches Phänomen verstanden werden dürfen, sondern in dreierlei Hinsicht darüber hinausgingen. Erstens fällt beim Betrachten der Liste der 39 Gemischten Schiedsgerichte[21] auf, dass nicht nur europäische, sondern auch zwei außereuropäische Alliierte an diesen Gerichten beteiligt waren, nämlich Japan und Siam. Noch harren die Archive dieser Staaten zu ihrer Beteiligung an den Gemischten Schiedsgerichten – die zumindest im Falle Japans noch immer bestehen – einer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Diese wäre umso interessanter, als sie die Wahrnehmung der Versailler Friedensordnung und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit durch diese Staaten weiter beleuchten könnte. Zweitens gilt es, auf den besonderen Wert der nach dem Lausanner Friedensvertrag von 1923 mit der Türkei in Istanbul aufgestellten Gemischten Schiedsgerichte hinzuweisen: zum einen, weil sie die an ihnen beteiligten Staaten und deren Staatsangehörige gleich behandelten und damit als zukunftsfähiges Modell dargestellt werden konnten; zum anderen, weil sie trotz dieses Unterschiedes von der Türkei als eine Neuauflage der für semi‑koloniale Rechtsordnungen typischen „gemischten Gerichtshöfe“ wahrgenommen wurden und damit auch die Frage der Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Kolonialismus und Internationalismus stellen. Drittens dürfte es insbesondere aus sozio‑rechtsgeschichtlicher Perspektive interessant sein, Fälle mit außereuropäischen Klägern (zum Beispiel alliierten Kolonialuntertanen) oder einem außereuropäischen Bezug zu analysieren.

[1] „Un grand procès international: Les déportés belges contre le Reich“, in: Le Soir,  9. Januar 1924.

[2] Karen J. Alter/Mikael Rask Madsen, The International Adjudication of Mega-Politics, Law and Contemporary Problems 84 (2021), 1.

[3] Siehe hierzu: Michel Erpelding, An Example of International Legal Mobilisation: The German–Belgian Mixed Arbitral Tribunal and the Case of the Belgian Deportees, in: Hélène Ruiz Fabri/Michel Erpelding (Hrsg.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 309-362.

[4] Jakob Zollmann, Mixed Arbitral Tribunals: Post-First World War Peace Treaties, in: Hélène Ruiz Fabri (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Procedural Law, Oxford: Oxford University Press 2022, § 32.

[5] Charles Carabiber, Les juridictions internationales de droit privé, Neuchâtel: La Baconnière 1947 (mit einem Vorwort von Georges Scelle).

[6] Gérard Noiriel, Le creuset français: histoire de l’immigration, XIXe-XXe siècle, Paris: Seuil 1988, 19.

[7] Email-Austausch zwischen dem Autor und der Bibliothek im Friedenspalais, August-September 2020.

[8] Siehe u. a.: Jakob Zollmann, Reparations, Claims for Damages, and the Delivery of Justice: Germany and the Mixed Arbitral Tribunals (1919-1933), in: David Deroussin (Hrsg.), La Grande Guerre et son droit, Paris: LGDJ 2018, 379-394; Jakob Zollmann, Un juge berlinois à Paris entre droit public international et arbitrage commercial. Robert Marx, les tribunaux arbitraux mixtes et la Chambre de commerce internationale, in: Philipp Müller/Hervé Joly (Hrsg.), Les espaces d’interaction des élites françaises et allemandes. 1920-1950, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2021, 63-77.

[9] Marta Requejo Isidro/Burkhard Hess, International Adjudication of Private Rights: The Mixed Arbitral Tribunals in the Peace Treaties of 1919-1922, in: Michel Erpelding/Burkhard Hess/Hélène Ruiz Fabri (Hrsg.), Peace Through Law: The Versailles Peace Treaty and Dispute Settlement After World War I, Baden-Baden: Nomos 2019, 239-276.

[10] August Reinisch, The Establishment of Mixed Arbitral Tribunals, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), Le Traité de Versailles: Regards franco-allemands en droit international à l’occasion du centenaire / The Versailles Treaty: French and German Perspectives in International Law on the Occasion of the Centenary, Paris: Pedone 2020, 267-288.

[11] Hélène Ruiz Fabri/Michel Erpelding (Hrsg.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023.

[12] Natasha Wheatley, Mandatory Interpretation: Legal Hermeneutics and the New International Order in Arab and Jewish Petitions to the League of Nations, Past and Present 227 (2015), 205-248.

[13] Jessica M. Marglin, Notes towards a socio-legal history of international law, Legal History 29 (2021), 277-278; Jessica M. Marglin, The Shamama Case: Contesting Citizenship across the Modern Mediterranean, Princeton: Princeton University Press 2022.

[14] PA AA, RZ 403 53267.

[15] Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern: Scherz 1979, 123-128.

[16] Otto Göppert, Zur Geschichte der auf Grund des Vetrags von Versailles eingesetzten Gemischten Schiedsgerichte und Schiedsinstanzen für Neutralitätsansprüche, unveröffentlichtes Typoskript, Berlin, März 1931, 34.

[17] Eckart Henning/Marion Kazemi: Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm- /Max-Planck-Gesellschaft 1911-2011, Teil II/1, Berlin: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 2016, 881.

[18] Jean-Paulin Niboyet, Les Tribunaux arbitraux mixtes organisés en exécution des traités de paix, Bulletin de l’Institut intermédiaire international 7 (1922), 215-241.

[19] Presseagentur Meurisse, gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France.

[20]  Narodowe Archiwum Cyfrowe.

[21] Appendix: Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Ruiz Fabri/Michel Erpelding (Hrsg.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581.

Suggested Citation:

Michel Erpelding, Die Gemischten Schiedsgerichte der Zwischenkriegszeit, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-093718-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

How a former international media phenomenon became one of international laws ”spaces of collective amnesia“ – and how its recent rediscovery could change our understanding of transnational mobilisation

On the morning of 7 January 1924, a photographer from the Meurisse news agency went to the Hôtel de Matignon in Paris. Not to attend an official declaration by the Prime Minister – the townhouse only became the official residence of the French head of government in 1935. Rather, the press photographer was to photograph a spectacle that was novel at the time andwhich the Brussels daily newspaper Le Soir had announced to its readers as ”un grand procès international“ – a ”great international trial“.[1]

The proceedings were to take place before the German‑Belgian Mixed Arbitral Tribunal established pursuant to the Treaty of Versailles and whose permanent members were the Geneva legal scholar Paul Moriaud, his renowned Belgian colleague Albéric Rolin, and Richard Hoene, a senior judge (”Senatspräsident“) from Germany. The plaintiffs were ten Belgians who had been deported by Germany as forced labourers during the war and were now demanding compensation from the Reich. One of the claimants, 38‑year‑old Jules Loriaux, who was still scarred by his imprisonment, had travelled to Paris. He and his fellow deportees were represented by the 33‑year‑old Brussels lawyer Jacques Pirenne and his mentor, the former Belgian Foreign Minister Paul Hymans. For its part, the German  Reich not only had recourse to its state representative, Senatspräsident Alfred Lenhard, but, as usual in particularly important cases, also to a lawyer – in this case Max Illch from Berlin, who would later be driven into exile by Nazi racial policy and whose accent-free French earned him some recognition from the press.

The Belgian deportees’ case was what Karen J. Alter and Mikael Rask Madsen today refer to as ”the international adjudication of mega-politics”.[2] If Germany had lost this case at the time, it would have faced tens of thousands of such lawsuits and claims for compensation adding up to around five million francs, i.e. ten times the sum it had already agreed to pay to Belgium for its civilian war victims.[3]

The German‑Belgian Mixed Arbitral Tribunal was just one of seventeen Mixed Arbitral Tribunals (MATs) that were housed in the Hôtel de Matignon. They were an altogether new kind of international court. With the exception of the short-lived and little-used Central American Court of Justice, which dealt with just ten cases between 1907 and 1918, they were the first actually functioning international tribunals before which individuals could sue a foreign – and sometimes even their own – state. In contrast to their Central American predecessor, the MATs were a mass phenomenon: all in all, there were 39 of them, which would deal with roughly between 90,000 and 100,000 cases – some of them even after the outbreak of war in 1939. The (Kaiser Wilhelm) Institute for Comparative Public Law and International Law (1924), just as the one for Comparative and International Private Law (1926), owed at least part of its existence and continued state support to this mass of often highly sensitive disputes, particularly for Germany.[4] In view of these facts, it seems all the more surprising that the MATs disappeared almost completely from the collective memory of international law scholars in the second half of the 20th century.

The reasons for this are likely manifold. The discredit to which the international structures of the Paris peace order, which had been declared a failure, had fallen, was probably one of them, as was the bad aftertaste that the MATs in particular had left behind not only among the former Central Powers, some of whom had been discriminated against before them, but also among various Allies – particularly in Central and South-Eastern Europe. The desire to place the European reconstruction and unification process after the Second World War under the sign of a new beginning and to focus on international reconciliation would also hardly have been served by lengthy references to the rather mixed record of the MATs. Moreover, historians are likely to have been deterred not only by the sheer volume but also by the technical complexity of the (then) still abundant archive material.

The fact is that after a veritable flood of publications in the interwar period almost nothing was published on this topic between 1947[5] and the late 2010s. In this regard, their fate contrasts with that of the Mixed Commissions created during the 19th century and the first half of the 20th century, with which the MATs have often been compared. Whereas the Mixed Commissions have always enjoyed great popularity, especially among supporters of international investment arbitration, the MATs turned into an example of what the French socio-historian Gérard Noiriel described as a ”non-lieu de mémoire”,[6] a ”space of collective amnesia” – in this case, of the international legal community. Just how real this loss of memory was, becomes clear when one considers that the archives of the Paris and several other MATs, consisting of 40 large boxes and weighing several tonnes, which had survived the Second World War almost intact, were discarded by the Peace Palace Library sometime in the late 1970s or early 1980s.[7]

Even if large parts of the legacy of the MATs are thus probably lost forever, there is at least renewed interest today in an in‑depth reappraisal of these institutions. Jakob Zollmann’s research has been particularly ground‑breaking in this regard.[8] In addition, several publications on the occasion of the 100th anniversary of the Paris Treaties, notably those by Marta Requejo Isidro and Burkhard Hess[9] as well as August Reinisch,[10] have at least to some extent allowed the MATs to make their way back into the consciousness of the international law mainstream. Further strengthening and expanding this trend was also the aim of the anthology that I edited together with Hélène Ruiz Fabri in April 2023 and which is the first book on this topic since 1947.[11]

The approaches already represented in this publication can certainly be expanded on. Five general themes seem particularly promising to me in this respect – partly because they can also offer a broad field of activity for newer methodological orientations, especially in the area of socio‑legal history. Here I am thinking in particular of the work published by Natasha Wheatley[12] and Jessica Marglin[13] on the mobilisation of international law and international institutions by both elites and grassroots movements. But more classical legal‑historical and biographical approaches, drawing on archival material, would also be possible here.

1. The Significance of the Mixed Arbitral Tribunals for the German Foreign Office and the Kaiser Wilhelm Institute

Distinct from the German Foreign Office’s Legal Department: Letterhead of Otto Göppert’s ”Commissariat“, also known as the ”Department of Arbitral Tribunals“ (1931) [14]

This general theme is, of course, of particular relevance for the history of the Kaiser Wilhelm Institute (KWI) for Comparative Public Law and International Law, which owes its existence in large part to the need of the Weimar Republic for adequate representation before the MATs, both in terms of personnel and arguments. Some KWI members even participated directly. KWI Director Viktor Bruns, for example, was an arbitrator on the German‑Polish and German‑Czechoslovakian Mixed Arbitral Tribunals from 1927 to 1931. Around the same time, his colleague Erich Kaufmann was a German state agent before the German‑Polish Arbitral Tribunal, among others. Both professors were assisted by Carlo Schmid , who was a research fellow at the KWI from 1927 to 1929.[15] The result of this advisory activity was in part contradictory. As Jakob Zollmann has already pointed out, although the KWI’s publications and expert opinions contributed significantly to improving the quality of the arguments on international law put forward by German state representatives, they also reinforced the understanding of the Versailles peace order within Germany as a fundamentally unjust ”dictate”. In order to shed more light on this dynamic, it would certainly also be appropriate to undertake a study of the ”Commissariat for the Mixed Arbitral Tribunals and the State Agencies” (”Kommissariat für die Gemischten Schiedsgerichtshöfe und die Staatsvertretungen“), which was created within the Foreign Office in 1923, headed by Dr Otto Göppert, and at times employed over 300 staff members, including over 70 lawyers.[16] Researching the work of this commissariat and its staff in more detail should not only be interesting for understanding German diplomacy in international law in the interwar period, but also allow for continuities and discontinuities with the post-war period to be identified, particularly with regard to the European unification process.

2. The Mixed Arbitral Tribunals and Private International Law

Ernst Rabel (1874–1955) did not only hold the position of Director of the KWI for Comparative and International Private Law between 1926 and 1936, but also sat on the German‑Italian Arbitral Tribunal based in Rome between 1921 and 1930.[17]

As the jurisdiction of the MATs also extended to questions of private international law, some contemporary jurists, such as Jean‑Paulin Niboyet, hoped that the case law they developed would lead to a harmonisation of the rules applicable in the various European states.[18] Although this idea was not to be realised, the discussions at the time could still be of interest to today’s specialists in private international law. Furthermore, the KWI for Foreign and International Private Law was also founded in 1926 with a view to the legal issues arising before the MATs and with Ernst Rabel – similar to his international law counterpart, with Viktor Bruns – had a director who sat as a MAT member. Research into this co‑operation should certainly provide further interesting insights into the relationship between jurisprudence and politics in interwar Germany.

3. The Mixed Arbitral Tribunals and the Emergence of a Transnational Legal Public Sphere

An international media event: Plaintiffs and public at the inaugural hearing of the deportees’ case in Paris on 7 January 1924. In the foreground: lawyers Jacques Pirenne (left) and Paul Hymans (right). In the background: main plaintiff Jules Loriaux (2nd from the right, with cane)[19]

Given the number of cases heard before them and the sometimes considerable financial and political consequences associated with them, the MATs created a new transnational field of activity that was recognised by both members of the legal profession and parts of civil society. Since the hearings before the MATs were public and were also commented on by the press and even attracted onlookers, one can certainly speak of a transnational legal public sphere. This factor made it possible, among other things, for rather unprivileged actors, such as war victims, to use the MATs to assert their interests against former enemy states – or even against their own state – or at least to raise them. Some of these proceedings, such as the deportees’ case before the German‑Belgian MAT mentioned above, also received transnational media coverage.

However, the MATs also offered new opportunities to parts of the elite. Paris in particular developed into the centre of a transnational legal community. Lawyers with excellent international networks developed into specialists in Franco German and other transnational disputes. Together with members of the MATs and the International Chamber of Commerce, they even attempted to reform the system of these courts and establish it on a permanent basis. Researching the motivations, arguments and actions of all these actors would certainly contribute to the development of socio‑legal history.

4. The Mixed Arbitral Tribunals and the Reorganisation of Property Relations in Central and Southeastern Europe

Session of the German–Polish Mixed Arbitral Tribunal at the Hôtel de Matignon in Paris in February 1925. In the background, from left to right: Alfred Lenhard, Franz Scholz, Robert Guex, Jan Namitkiewicz, Tadeusz Sobolewski. In the foreground are the Tribunal’s two secretaries, whose precise identity could not be determined.[20]

Unlike the Western Allies, Poland and the members of the ”Little Entente” did not enjoy extensive immunity from lawsuits brought by members of the former Central Powers before the MATs established with them. On the contrary: the Paris Peace Treaties even expressly provided for their compensation for any liquidation of property, which threatened to hinder the reorganisation of property relations in these states, some of which had just become independent. The disputes between German claimants and the Polish Republic as well as the Romanian‑Hungarian optant dispute in particular made international headlines. It would be interesting to examine the influence of these proceedings on the understanding of sovereignty of the states involved and the mobilisation of the actors involved, both in the region and in Western Europe.

5. The Mixed Arbitral Tribunals Beyond Europe

This general theme  arises from the realisation that, despite their origins in the Paris Peace Treaties,  MATs should not be understood as a purely European phenomenon. They went beyond Europe in three respects. Firstly, when looking at the list of the 39 MATs,[21] it is striking that not only European but also two non‑European allies were involved in these tribunals, namely Japan and Siam. The archives of these states on their participation in the MATs – which have been preserved, at least in the case of Japan – are still awaiting academic analysis. This would be all the more interesting as it could shed further light on the perception of the Versailles peace order and international arbitration by these states. Secondly, the special value of the MATs established in Istanbul after the Lausanne Peace Treaty of 1923 with Turkey should be emphasised for two reasons. On the one hand, because they treated the participating states and their nationals equally and could thus be presented as a credible model for future courts. On the other hand, despite this difference, they were perceived by Turkey as a new edition of the ”mixed courts” typical of (semi-)colonial legal systems and thus also raise the question of continuities and discontinuities between colonialism and internationalism. Thirdly, it should be particularly interesting from a socio‑legal‑historical perspective to analyse cases with non‑European plaintiffs (e.g.allied colonial subjects) or concerning events or subject‑matters situated outside Europe.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Un grand procès international: Les déportés belges contre le Reich, in: Le Soir, 9 January 1924.

[2] Karen J. Alter/Mikael Rask Madsen, The International Adjudication of Mega-Politics, Law and Contemporary Problems 84 (2021), 1.

[3] See, on this subject: Michel Erpelding, An Example of International Legal Mobilisation: The German–Belgian Mixed Arbitral Tribunal and the Case of the Belgian Deportees, in: Hélène Ruiz Fabri/Michel Erpelding (eds.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 309-362.

[4]Jakob Zollmann, Mixed Arbitral Tribunals: Post-First World War Peace Treaties, in: Hélène Ruiz Fabri (ed.), Max Planck Encyclopedia of International Procedural Law, Oxford: Oxford University Press 2022, para 32.

[5] Charles Carabiber, Les juridictions internationales de droit privé, Neuchâtel: La Baconnière 1947 (with a preface by Georges Scelle).

[6]Gérard Noiriel, Le creuset français: histoire de l’immigration, XIXe-XXe siècle, Paris: Seuil 1988, 19.

[7] Email exchange between the author and the Peace Palace Library, August–September 2020.

[8] See notably: Jakob Zollmann, Reparations, Claims for Damages, and the Delivery of Justice: Germany and the Mixed Arbitral Tribunals (1919-1933), in: David Deroussin (ed.), La Grande Guerre et son droit, Paris: LGDJ 2018, 379-394; Jakob Zollmann, Un juge berlinois à Paris entre droit public international et arbitrage commercial. Robert Marx, les tribunaux arbitraux mixtes et la Chambre de commerce internationale, in: Philipp Müller/Hervé Joly (eds.), Les espaces d’interaction des élites françaises et allemandes. 1920-1950, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2021, 63-77.

[9] Marta Requejo Isidro/Burkhard Hess, International Adjudication of Private Rights: The Mixed Arbitral Tribunals in the Peace Treaties of 1919-1922, in: Michel Erpelding/Burkhard Hess/Hélène Ruiz Fabri (eds.), Peace Through Law: The Versailles Peace Treaty and Dispute Settlement After World War I, Baden-Baden: Nomos 2019, 239-276.

[10] August Reinisch, The Establishment of Mixed Arbitral Tribunals, in: Société française pour le droit international (ed.), Le Traité de Versailles: Regards franco-allemands en droit international à l’occasion du centenaire / The Versailles Treaty: French and German Perspectives in International Law on the Occasion of the Centenary, Paris: Pedone 2020, 267-288.

[11] Hélène Ruiz Fabri/Michel Erpelding (eds.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023.

[12] Natasha Wheatley, Mandatory Interpretation: Legal Hermeneutics and the New International Order in Arab and Jewish Petitions to the League of Nations, Past and Present 227 (2015), 205-248.

[13] Jessica M. Marglin, Notes towards a socio-legal history of international law, Legal History 29 (2021), 277-278; Jessica M. Marglin, The Shamama Case: Contesting Citizenship across the Modern Mediterranean, Princeton: Princeton University Press 2022.

[14] PA AA, RZ 403 53267.

[15] Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern: Scherz 1979, 123-128.

[16] Otto Göppert, Zur Geschichte der auf Grund des Vetrags von Versailles eingesetzten Gemischten Schiedsgerichte und Schiedsinstanzen für Neutralitätsansprüche, unpublished typoskript, Berlin, March 1931, 34.

[17] Eckart Henning/Marion Kazemi: Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm- /Max-Planck-Gesellschaft 1911-2011, vol. II/1, Berlin: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 2016, 881.

[18] Jean-Paulin Niboyet, Les Tribunaux arbitraux mixtes organisés en exécution des traités de paix, Bulletin de l’Institut intermédiaire international 7 (1922), 215-241.

[19] Meurisse news agency, gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France.

[20] Narodowe Archiwum Cyfrowe.

[21] Appendix: Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Ruiz Fabri/Michel Erpelding (eds.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919–1939: An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581.

Suggested Citation:

Michel Erpelding,The Mixed Arbitral Tribunals of the Interwar Period, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240327-093809-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

100 Jahre Öffentliches Recht. Die Entwicklung der Disziplin und das MPI

100 Years of Public Law. The Development of the Discipline and of the MPI

Deutsch

Vor 100 Jahren, als das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht gegründet wurde, verlief zwischen dem Völkerrecht und dem Staatsrecht noch eine scharfe Grenze. Das Völkerrecht regelte die Außenbeziehungen von Staaten, das Verfassungsrecht das Innenverhältnis in Staaten. Überwölbt wurden beide von der Souveränität, die Staaten zugeschrieben wurde und im Kern das Selbstbestimmungsrecht nach außen wie im Inneren meinte. Die äußere Souveränität gab den Staaten einerseits das Recht, ihre Beziehung untereinander frei zu regeln. Andererseits schützte sie die Staaten vor der Einmischung fremder Staaten in ihre inneren Angelegenheiten. Die innere Souveränität bezog sich auf das Recht der Staaten, ihre Herrschafts- und Gesellschaftsordnung frei zu bestimmen, und fand ihren höchsten Ausdruck in der Verfassungsgebung. Beide Seiten der Souveränität hingen insofern zusammen, als die äußere Voraussetzung der inneren ist.

Dementsprechend konnten die Disziplinen des Völkerrechts und des Staatsrechts ein Eigenleben führen. Wo die eine endete, begann die andere. Es war möglich, Völkerrecht zu erforschen und zu lehren, ohne dass man sich im Staatsrecht auskannte, und umgekehrt. Beide waren juristische Disziplinen, aber sie hatten es mit verschiedenen Arten von Recht zu tun. Das Völkerrecht war vertraglich begründetes Recht und ermangelte einer überstaatlichen öffentlichen Gewalt, die es hätte durchsetzen können. Das öffentliche Recht ging aus Gesetzgebung hervor und war mit Sanktionsmöglichkeiten versehen. So verhielt es sich auch noch, als ich 1957 das Jurastudium aufnahm, obwohl damals mit der Gründung der Vereinten Nationen bereits eine grundlegende Änderung der Verhältnisse eingetreten war, die sich aber nicht sofort in einer geänderten Wahrnehmung niederschlug. Ich möchte sogar sagen, dass es sich auch noch so verhielt, als ich 1979 Professor für Öffentliches Recht in Bielefeld wurde. Mein Büro befand sich neben dem von Jochen Frowein, der den Lehrstuhl für Völkerrecht innehatte, bevor er Direktor des Heidelberger Max-Planck-Instituts wurde. Wir pflegten ein gut nachbarliches Verhältnis, aber mit seiner Disziplin hatte ich nichts zu tun.

Die Veränderung, die mit der Gründung der UN einherging, war fundamental, wenngleich sie wegen des bald einsetzenden Ost-West-Gegensatzes, der den Weltsicherheitsrat lähmte, lange Zeit latent blieb. Fundamental war sie gleichwohl, weil die UN sich von älteren internationalen Bündnissen und Allianzen dadurch unterschied, dass ihr von den Staaten Hoheitsrechte abgetreten worden waren, welche sie nun ihnen gegenüber ausüben durfte, notfalls mit militärischer Gewalt, ohne dass die Staaten sich dagegen unter Berufung auf ihre Souveränität wehren konnten. Oberhalb der Staaten gab es nun eine internationale öffentliche Gewalt mit Rechtsetzungsbefugnissen und Durchsetzungsmechanismen, die das nationale Recht auf Dauer nicht unberührt ließ. Die dreihundert Jahre währende Identität von öffentlicher Gewalt und Staatsgewalt war damit zu Ende. Die Grenze zwischen den beiden Rechtsmassen und damit auch zwischen den Disziplinen wurde porös. An Bedeutung steht diese Veränderung der Entstehung des Staates im 16. Jahrhundert und seiner Konstitutionalisierung im 18. Jahrhundert nicht nach.

Völkerrecht

Infolge dieser Entwicklung nahm das Völkerrecht an Bedeutung erheblich zu. Der Bedeutungsgewinn äußerte sich gerade in der Grenzüberschreitung zum nationalen Recht. Die staatliche Souveränität ist seitdem keine absolute mehr, und zwar weder nach außen noch nach innen. Das Mittel des Krieges, ehedem mangels anderer Durchsetzungsmechanismen zur Rechtsverwirklichung statthaft, wurde illegitim. Nur der Verteidigungskrieg ist noch zulässig. Ferner hat sich ein ius cogens ausgebildet, das die Staaten beim Vertragsschluss bindet. Der Einzelne hat eine Rechtsstellung im Völkerrecht gewonnen. Die Staaten sind in der Regelung ihrer inneren Verhältnisse nicht mehr völlig frei. Das humanitäre Völkerrecht zieht ihnen Grenzen. Grundrechte – ihrer Genese in der amerikanischen und der französischen Revolution nach schon immer Menschenrechte – sind es nun auch ihrer Wirkung nach, wenngleich an Effektivität immer noch weit hinter dem staatlichen Grundrechtsschutz zurückbleibend. Humanitäre Interventionen sind im Prinzip anerkannt. Die internationale Gerichtsbarkeit hat einen erheblichen Aufschwung genommen. Weitere supranationale Institutionen sind unter oder neben den UN zustande gekommen. Die wissenschaftliche Disziplin, die diese Entwicklung zum Teil vorgedacht hat, sah sich dadurch wiederum in ihrer Bedeutung beträchtlich gesteigert.

Europäisches Recht

In Europa hat sich diese Entwicklung noch einmal beschleunigt und intensiviert. Sie begann bald nach der Entstehung der UN mit der Gründung des Europarats 1949. In Gestalt der Europäischen Menschenrechtskonvention steht ihm ein rechtliches Instrument zur Verfügung, das einen Mindeststandard an Menschenrechtsschutz in den Mitgliedstaaten garantieren soll und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchgesetzt werden kann. Die EMRK hält sich im Rahmen des traditionellen Völkerrechts insofern, als sie Entscheidungen des EGMR keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung entfalten, also den für konventionswidrig befundenen staatlichen Akt nicht annullieren. Sie überschreiten die Grenzen des traditionellen Völkerrechts aber dadurch, dass Einzelne die Mitgliedstaaten wegen Verletzung von Konventionsrechten verklagen können. Zwar hat der Europarat nicht die Möglichkeit, Urteile zwangsweise durchzusetzen. Er kann aber immerhin den Staaten Geldstrafen auferlegen, wenn sie sich nicht an die Urteile des EGMR halten.

Eine weitere Steigerung entfaltete die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die in demselben Jahr gegründet wurde, als ich mit dem Jurastudium begann, ohne sich aber im Jurastudium schon auszuwirken. Die EWG, heute EU, übertrifft alle anderen supranationalen Organisationen an Kompetenzfülle und Organisationsdichte und übt die ihr von den Mitgliedstaaten übertragenen öffentlichen Gewalt nicht nur anlassbezogen und punktuell aus wie die UN, sondern permanent und flächendeckend. Seit den grundstürzenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen van Gend & Loos und Costa v. ENEL von 1963 und 1964 beansprucht das europäische Recht Vorrang vor dem nationalen Recht. Erst durch die Rechtsprechung des Gerichts ist die EU zu dem geworden, was sie heute ist: ein präzedenzloses Gebilde zwischen einer supranationalen Organisation und einem Bundesstaat, aber näher an diesem als an jener. Der EuGH setzt den Vorrang nicht nur beharrlich durch, sondern erweitert den Anwendungsbereich des Europarechts noch durch eine außerordentlich extensive Interpretation, der nur einige nationale Verfassungsgerichte äußerste Grenzen zu ziehen versuchen.

Nachhaltiger als das Völkerrecht änderte das Europarecht den Gegenstand des öffentlichen Rechts, den Staat und die staatliche Rechtsordnung. Gleichwohl wurde es noch lange ohne Bezug zum Verfassungsrecht, ja zum nationalen Recht überhaupt, behandelt. Anfangs kümmerten sich teils Völkerrechtler, teils Verfassungsrechtler um das neue Rechtsgebiet. Bald schon trat aber eine Spezialisierung des Europarechts ein. Europarechtliche Lehrstühle, Lehrveranstaltungen, Vereinigungen, Zeitschriften und Kongresse entstanden. Eine Eigenart der neuen Disziplin war, dass sich ihre Vertreter überwiegend mit dem politischen Projekt der europäischen Integration identifizierten und daher eine kritische Distanz zum Gegenstand vermissen ließen. Die Europarechtswissenschaft war lange Zeit apologetisch und wurde damit der Funktion von Wissenschaft nicht völlig gerecht.

Staatsrecht

Dieter Grimm als Richter am Bundesverfassungsgericht 1987 [1]

Im Staatsrecht vollzog sich unterdessen eine ambivalente Entwicklung. Der Bedeutungsgewinn des internationalen Rechts macht sich innerstaatlich primär als Bedeutungsverlust der nationalen Verfassungen bemerkbar. Jede Kompetenzabtretung an supranationale Organisationen verkürzt den Anwendungsbereich der nationalen Verfassungen. Sie können ihren Anspruch, die auf dem Territorium des Staates ausgeübte öffentliche Gewalt umfassend zu regeln, nicht mehr einlösen. Der Rechtszustand eines Staates ergibt sich nur noch aus einer Zusammenschau von nationalem und internationalem Recht. Es muss aber betont werden, dass das nicht notwendig gegen die Verfassung gerichtet ist. Das Grundgesetz zum Beispiel war von Anfang an offen für die Anwendung überstaatlichen Rechts in seinem Geltungsbereich. Die Entwicklung darf auch nicht nur unter Verlustgesichtspunkten gesehen werden. Gerade beim Menschenrechtsschutz ist in vielen Staaten, in denen die Grundrechte bis dahin rechtlich keine Rolle spielten, durch den internationalen Menschenrechtsschutz eine erhebliche Verbesserung eingetreten.

Andererseits ist es durch die Ausbreitung der Verfassungsgerichtsbarkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer ganz neuen Relevanz der Verfassung für politisches Handeln und gesellschaftliche Verhältnisse gekommen. Ausgangspunkt für Deutschland (und im Gefolge für zahlreiche weitere Staaten) war das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, erlassen im selben Jahr, in dem die EWG ins Leben trat. Von ihm ist über die Zeit eine Entwicklung ausgegangen, die zu einer Konstitutionalisierung der gesamten nationalen Rechtsordnung geführt hat. Die Disziplin des Staatsrechts, infolge dieser Bedeutungssteigerung der Verfassung fast nur noch als Verfassungsrecht bezeichnet, hatte daran erheblichen Anteil. Entgegen der bekannten These hat das Bundesverfassungsgericht die Staatsrechtslehre nicht „entthront“. Vielmehr konnte das Gericht für bedeutende Urteile auf neue Erkenntnisse der Staatsrechtslehre zurückgreifen.

Die Existenz der Verfassungsgerichtsbarkeit hat die Staatsrechtslehre dann aber auch wieder zu immer neuen dogmatischen Verfeinerungen angespornt, so dass heute bereits vor einer Überdogmatisierung gewarnt wird. Allemal ist aber die öffentliche Bedeutung der Staatsrechtslehre durch die überragende Wichtigkeit des Verfassungsgerichts erheblich gestiegen. War die Weimarer Republik mit ihrer ständig gefährdeten Verfassung eine Blütezeit der Verfassungstheorie, so ist die Bundesrepublik mit ihrer fest verwurzelten Verfassung eine Blütezeit der Verfassungsdogmatik. Obwohl die Fortschritte des Völkerrechts und noch weit mehr die Auswirkungen des europäischen Rechts – EMRK wie Unionsrecht – den Gegenstand der Wissenschaft vom öffentlichen Recht, den Staat und das Staatsrecht, nachhaltig verändert haben, hat es lange gedauert, bis die Disziplin die Veränderungen wahrnahm und als relevant für die Behandlung des eigenen Fachs anerkannte.

Rechtsvergleichung

Die zunehmende Verflechtung der Rechtsordnungen, vertikal wie horizontal, hat der Verfassungsvergleichung, ja, dem Vergleich im öffentlichen Recht überhaupt, erheblichen Auftrieb gegeben. Lange Zeit war Rechtsvergleichung keine eigenständige Disziplin. Das heißt nicht, dass es sie nicht gab, sondern nur, dass sie sich noch nicht zu einer Disziplin verdichtet hatten. Rechtsvergleichende Forschungen entsprangen weitgehend der Neigung Einzelner und bezogen sich meist auf wenige favorisierte Länder, oft nur das eigene und ein weiteres. Seit dem neuen Jahrtausend ist die Rechtsvergleichung, gerade im Verfassungsrecht, ein boomendes Feld. Die Gründe liegen zum einen in der Intensivierung der Staatenbeziehungen, zum anderen in der Internationalisierung, die das Bedürfnis nach Kenntnis fremder Rechte erheblich erhöht hat. Hinzu kommt die große Zahl neuer Verfassungen und neuer Verfassungsgerichte gegen Ende des 20. Jahrhunderts, die den Vergleich beflügelt hat.

Mittlerweile kann man an den Universitäten und Forschungseinrichtungen bereits eine Verselbständigung der Rechtsvergleichung beobachten. Vergleichende Lehrveranstaltungen werden heute routinemäßig abgehalten, die Zahl komparatistischer Publikationen, Periodika, Vereinigungen und Kongresse wächst kontinuierlich. Der Verfassungsvergleich wird mit anderen Erkenntnisinteressen und anderen Methoden betrieben als die wissenschaftliche Bearbeitung des positiven Rechts. Beide widmen sich einem normativen Gegenstand. Aber einmal steht die Geltung und richtige Deutung und Anwendung des geltenden Rechts im Vordergrund, das andere Mal die Rechtswirkung und die tatsächliche Praxis. Hier wird die Forschung in normativer, dort in empirischer Absicht betrieben. Dementsprechend dominiert hier die juristische Interpretation, dort die rechtssoziologische Erhebung.

Der Vergleich findet häufig noch verhältnismäßig unambitioniert statt. Es gibt Textvergleiche, Institutionenvergleiche, Rechtsprechungsvergleiche, bisweilen auch Methodenvergleiche, jedoch oft ohne Berücksichtigung des Kontextes, in dem das Recht seine Wirkung entfaltet und von dem die Wirkung abhängt. Diese Art der Rechtsvergleichung ist nicht nutzlos, aber von begrenztem Nutzen. Erst die Einbeziehung der Rechtsverwirklichung vermittelt vertiefte und realitätsnahe Kenntnisse des fremden Rechts und erlaubt Rückschlüsse auf das eigene. Für das eigene Recht kann man bis zu einem gewissen Grad ohne Kontext auskommen, weil das Kontextwissen immer schon mitläuft, oft unausgesprochen oder sogar unbewusst. Für ausländisches Recht muss der Kontext explizit gemacht werden. Das macht die Rechtsvergleichung schwierig, aber auch erst ertragreich.

Ähnlich verhält es sich mit der Theoriegeleitetheit der vergleichenden Forschung. Sie präjudiziert den Blick auf den Gegenstand. Im Rahmen dieses kurzen Vortrags ist nur Zeit, auf zwei Großtheorien einzugehen. Es gibt Rechtsvergleichung auf der Grundlage der Annahme, dass das öffentliche Recht (wie Recht überhaupt) eine relative Autonomie genießt und rechtliche Operationen einer spezifisch juristischen Logik folgen. Für andere ist das ein realitätsblinder Idealismus. Verfassungen sind dann nicht zur Legitimation und Limitation von Herrschaft da, sondern erweisen sich als hegemoniale Projekte zur Machtsicherung über die Zeit. Rechtsprechung ist für diese sich als realistisch verstehende Forschungsrichtung ein Vorgang, der anderen als juristischen Kriterien folgt, weil Richter wie politische oder wirtschaftliche Akteure Nutzenmaximierer sind und anderweitig gefundene Ergebnisse nur nachträglich als rechtlich zwingend ausgeben. Dogmatik und Methode erscheinen dann als Berufsideologie. Sie verdienen keine wissenschaftliche Beachtung. Das erklärt das Desinteresse vieler Rechtsvergleicher am Vorgang der Auslegung und Anwendung des Rechts. In den USA ist diese Sicht weit verbreitet, in Europa hat sie bisher nicht die Oberhand gewonnen.

Das MPI

Wenn ich mich zum Schluss der Frage zuwende, wie sich diese Entwicklung in dem Max-Planck-Institut widerspiegelt, so handelt es sich zum einen um Eindrücke, die keiner eigenen Forschung entspringen, zum anderen um Informationen, die ich den Forschungen von Felix Lange entnehme. Danach dominierte in der Zeit von der Gründung des Instituts bis zum Kriegsende das Völkerrecht. Das entsprach den Gründungsmotiven des Instituts, den völkerrechtlichen Standpunkt des Deutschen Reichs in der vom Versailler Vertrag geprägten Nachkriegszeit zu stärken. Auch nach der Wiedergründung im Jahr der Entstehung der Bundesrepublik blieb es trotz der veränderten Bedingungen zunächst bei der Priorisierung des Völkerrechts. Offenkundig war der Praxisbezug der Forschung. Dem entsprach die Methode. Im Unterschied zu einer eher philosophisch-historischen Annäherung an den Gegenstand, der anderwärts vorherrschte, war sie juristisch. Neuere Fragestellungen und Theorieansätze hatten lange keine Chance.

Die Wirkung des Instituts war freilich groß. Allenthalben traf man auf den völkerrechtlichen Lehrstühlen in Deutschland Habilitanden aus dem MPI an. Für den europäischen Menschenrechtsschutz war das MPI besonders wichtig, weil zwei seiner Direktoren Richter am EGMR waren, Hermann Mosler von 1959 bis 1981, Rudolf Bernhardt von 1981 bis 1998, zuletzt sogar Präsident. Ein weiterer Direktor, Jochen A. Frowein, gehörte von 1973 bis 1993 der Europäischen Kommission für Menschenrechte an, die dem Gerichtshof bis zu der Reform von 1999 vorgeschaltet war. Georg Ress, der von 1998 bis 2004 als EGMR-Richter amtierte und zuvor schon Mitglied der Kommission gewesen war, war aus dem MPI hervorgegangen.

Für das deutsche Staatsrecht war das Institut nicht zuständig, wohl aber von Beginn an für das ausländische öffentliche Recht. Gleichwohl trat der Vergleich erst seit Ende der fünfziger Jahre stärker in Erscheinung, insbesondere durch breit angelegte vergleichende Kolloquien, die ihren bleibenden Niederschlag in zum Teil umfangreichen Publikationen fanden. Viele machen aber den Eindruck einer eher additiven als integrativen Vergleichung. Stark war das Institut jedoch, was die Vorhaltung von Expertise über das öffentliche Recht fremder Staaten betraf. Diese Expertise war aber nicht in sich rechtsvergleichend. Insofern bildete das Jahr 2002 eine Zäsur in der Institutsgeschichte. Erstmals wurde ein Direktor berufen, dessen Interessenschwerpunkt nicht das Völkerrecht war, sondern das Europarecht und die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, und zwar mit erkennbar theoretischen Ambitionen, die vor allem der Erklärung des öffentlichen Rechts unter Bedingungen der Internationalisierung und Globalisierung galten. Der internationale Einfluss des MPI ist damit abermals gestiegen.

[1] Foto: Dieter Grimm.

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Dieter Grimm, 100 Jahre Öffentliches Recht. Die Entwicklung der Disziplin und das MPI, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240403-102642-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

English

100 years ago, when the Institute for Comparative Public Law and International Law was founded, a sharp boundary divided international law and constitutional law. International law regulated the external relations among states, constitutional law the internal relations within states. However, both shared the notion of sovereignty, which was ascribed to states and in essence referred to the right to self-determination both externally and internally. External sovereignty gave states the right to freely regulate their relations with each other, on the one hand. On the other hand, it  protected them from interference in their internal affairs by foreign states. Internal sovereignty referred to the right of states to freely determine their system of governance and social order and found its highest manifestation in the act of constitution-making. Both sides of sovereignty were related insofar as external sovereignty is a prerequisite for internal sovereignty.

Consequently, the disciplines of international law and constitutional law could exist independently of each other. Where one ended, the other began. It was possible to research and teach international law without being familiar with constitutional law, and vice versa. Both were legal disciplines, but they dealt with different types of law. International law was based on treaties and lacked a supranational public authority that could have enforced it. Public law emerged from legislation and was characterised by the possibility of sanctions. This was still the case when I started studying law in 1957, even though a fundamental change in circumstances had already occurred with the founding of the United Nations, which, however, was not immediately reflected in a changed perception. I might even go so far as to say that this was still the case when I became Professor of Public Law in Bielefeld in 1979. My office neighboured that of Jochen Frowein, who held the Chair of Public International Law before becoming Director of the Max Planck Institute in Heidelberg. We had a good neighbourly relationship, but I had nothing to do with his field.

The transformation that was brought forth by the founding of the UN was fundamental, even if it remained latent for a prolonged period of time due to the onset of the East-West conflict, which paralysed the UN Security Council. Nevertheless, it was a fundamental change because the UN differed from older international associations and alliances in that states had transferred sovereign rights to it, which it was now authorised to exert on them, if necessary by using military force, without the states being able to defend themselves by invoking their sovereignty. Above the states, there existed now an international public authority with legislative powers and enforcement mechanisms that in the long term would not leave national law untouched. The three-hundred-year-old identity of public authority and state authority had thus come to an end. The boundary between the two bodies of law and consequently between the disciplines became porous. In terms of significance, this change equals the emergence of the state in the 16th century and its constitutionalisation in the 18th century.

International Law

As a result of this development, the importance of international law increased considerably. The increase manifested itself particularly in the transgression of the border with national law. Since then, state sovereignty is no longer absolute, both internally and externally. War, formerly permissible due to the lack of other enforcement mechanisms for the realisation of law, became illegitimate. It remains permissible only for purposes of self-defense. Furthermore, a jus cogens has developed, which binds states when concluding treaties. The individual has gained a legal status in international law. States are no longer completely free to regulate their internal relations. International humanitarian law imposes limits on them. Fundamental rights – in the American and French revolutions already perceived as human rights – are now human rights also in terms of their impact, even if their effectiveness still lags far behind the protection of fundamental rights by the state. Humanitarian interventions are in principle recognised. International jurisdiction has seen a considerable upswing. Other supranational institutions have come into being under or alongside the UN. The academic discipline, which in part anticipated this development, has in turn seen its importance increased considerably.

European Law

In Europe, this development has once again accelerated and intensified. It began soon after the emergence of the UN with the founding of the Council of Europe in 1949. In the form of the European Convention on Human Rights, it has a legal instrument at its disposal that is intended to guarantee a minimum standard of human rights protection in the member states and can be enforced by the European Court of Human Rights. The ECHR remains within the framework of traditional international law insofar as decisions of the ECtHR do not have direct domestic effect, i.e. they do not annul state acts found to be contrary to the Convention. However, they exceed the limits of traditional international law in that individuals can sue member states for violations of convention rights. The Council of Europe does not have the power to enforce judgements. However, it can impose fines on states if they do not comply with the judgements of the ECtHR.

The European Economic Community, which was founded in the same year that I started studying law, was another step forward, although it had no impact on my law studies. The EEC, now the EU, surpasses all other supranational organisations in terms of powers and organisational density, and exercises the public authority delegated to it by the member states not only on an ad hoc and selective basis like the UN, but permanently and comprehensively. Since the landmark decisions of the European Court of Justice in the van Gend & Loos and Costa v. ENEL cases of 1963 and 1964, European law claims precedence over national law. It is only through the jurisprudence of the Court that the EU has become what it is today: an unprecedented entity between a supranational organisation and a federal state, but closer to the latter than to the former. The ECJ not only persistently enforces primacy, but also extends the scope of application of European law by means of an extraordinarily extensive interpretation, which only some national constitutional courts attempt to draw ultimate limits to.

European law changed the object of public law, the state, and the national legal order, more permanently than international law. Nevertheless, for a long time it was treated without reference to constitutional law, or indeed to national law in general. Initially, the new area of law was dealt with partly by international law experts and partly by constitutional law experts. Soon, however, the treatment of European law became a matter for specialists. Chairs, courses, associations, journals, and congresses on European law were established. One peculiarity of the new discipline was that its members predominantly identified with the political project of European integration and therefore lacked a critical distance to the subject matter. For a long time, the discipline of European law was apologetic and thus did not fully fulfil its scholarly function.

Constitutional Law

Dieter Grimm as Federal Constitutional Court judge, 1987 [1]

Meanwhile, an ambivalent development has taken place in constitutional law. The growing importance of international law entails a loss of importance of national constitutions. Every transfer of competences to supranational organisations reduces the scope of application of national constitutions. They can no longer fulfil their claim to comprehensively regulate the public authority exercised on the territory of the state. The law of the land can only be ascertained by way of a synopsis of national and international law. However, it must be emphasised that this is not necessarily directed against the constitution. German Basic Law, for example, has always been open to the application of supranational law within its area of application. The development should not only be seen from a perspective of loss. International human rights protection, for instance, has led to a considerable improvement in the protection of human rights in many states where fundamental rights had previously played no legal role.

On the other hand, the spread of constitutional jurisdiction in the second half of the 20th century led to a completely new relevance of the constitution for political action and social relations. The starting point for Germany (and subsequently for numerous other countries) was the Lüth judgement of the Federal Constitutional Court, issued in the same year in which the EEC came into being. Over the course of time, it has resulted in the constitutionalisation of the entire national legal system. The discipline of “Staatsrecht”, almost exclusively referred to as constitutional law as a consequence of this increase in the importance of the constitution, played a significant role in this. Contrary to a well-known thesis, the Federal Constitutional Court has not “dethroned” the discipline of “Staatsrecht”. On the contrary, the Court was able to draw on new insights from constitutional law theory for important judgements.

The existence of constitutional jurisdiction has, however, spurred constitutional law doctrine on to ever new dogmatic refinements, so that today there are already warnings of an over-dogmatisation. Nevertheless, the public significance of the discipline has increased considerably due to the paramount importance of the Constitutional Court. While the Weimar Republic, with its constantly jeopardised constitution, was a high point of constitutional theory, the Federal Republic, with its firmly rooted constitution, is a high point of constitutional dogmatics. Although the progress of international law and even more so the effects of European law – the ECHR and Union law – have permanently changed the subject of the study of public law, the state and its law, it took a long time for the discipline to recognise the changes and acknowledge them as relevant for the study of its own subject.

Comparative Law

The increasing interdependence of legal systems, both vertically and horizontally, has given comparative constitutional law, and indeed comparative public law in general, a considerable impetus. For a long time, comparative law was not an independent discipline. This does not mean that it did not exist, but merely that it had not yet crystallised into a discipline. Comparative legal research was largely the result of the inclination of individuals and usually related to a few favoured countries, often just one’s own and one further country. Since the new millennium, comparative law has been a booming field, especially in constitutional law. The reasons for this lie on the one hand in the intensification of state relations and on the other in internationalisation, which has considerably increased the need for an understanding of foreign law. Added to this is the large number of new constitutions and new constitutional courts towards the end of the 20th century, which has fuelled comparative law.

Nowadays, one can observe a growing independence of comparative law at universities and research institutions. Comparative courses are now routinely taught, and the number of comparative publications, periodicals, associations, and conferences continues to grow. Constitutional comparison is pursued with different epistemological interests and methods than the academic study of positive law. Both are dedicated to a normative subject. Yet on the one hand, the focus is on the validity and correct interpretation and application of the law in force, and on the other hand on the legal effect and actual practice. In the former, research is conducted with normative intent, in the latter with empirical intent. Accordingly, the legal interpretation dominates in one case, and the legal-sociological analysis in the other.

Comparisons are often still relatively unambitious. There are text comparisons, comparisons of institutions, comparisons of case law, sometimes even comparisons of methods, but often without taking into account the context in which the law unfolds its effect and on what the effect depends. This type of legal comparison is not useless, but it is of limited use. Only the inclusion of the actual application of the law provides in-depth and realistic insights into foreign law and allows conclusions to be drawn about one’s own law. For one’s own law, one may get along to a certain extent without regard to the context, because the contextual knowledge always runs in parallel, often unspoken or even unconsciously. For foreign law, the context must be made explicit. This makes comparative law difficult, but it also makes it rewarding.

A similar situation applies to the theory-led nature of comparative research. It prejudices the view of the object. In the context of this short presentation, there is only time to discuss two major theories. There is comparative law based on the assumption that public law (like law in general) enjoys relative autonomy and that legal operations follow a specific legal logic. For others, this is reality-blind idealism. Constitutions are not there for the legitimisation and limitation of rule, but rather serve as hegemonic projects for securing power over time. For this research direction, which sees itself as realistic, jurisprudence is a process that follows criteria deviating from legal standards, because judges, like political or economic actors, are utility maximisers and only retrospectively present their results  as if derived with necessity from the law. Doctrine and method therefore appear as professional ideology. They do not deserve academic attention. This explains the lack of interest shown by many comparative lawyers in the process of interpreting and applying the law. Although this perspective is widespread in the USA, it has not yet gained prevalence in Europe.

The MPIL

When I finally turn to the question of how this development is reflected in the Max Planck Institute, I rely on the one hand on impressions that are not based on my own research, and on the other hand on information that I have gathered from Felix Lange’s research. According to this, international law dominated the period between the founding of the Institute and the end of the war. This was in line with the Institute’s founding motives of strengthening the German Reich’s position on international law in the post-war period, which was characterised by the Treaty of Versailles. Even after its re-establishment in the year the Federal Republic of Germany was founded, international law was initially prioritised despite the changed conditions. The practical relevance of the research was obvious. The methods corresponded with this. In contrast to a more philosophical-historical approach to the subject matter, which prevailed elsewhere, the approach was of a legal nature. For a long time, newer questions and theoretical approaches had no real prospect.

The impact of the Institute was, however, considerable. You could find habilitation graduates from the MPI in international law departments all over Germany. The MPI was particularly important for the protection of European human rights because two of its directors were judges at the ECHR, Hermann Mosler from 1959 to 1981 and Rudolf Bernhardt from 1981 to 1998, who eventually became its president. Another director, Jochen A. Frowein, was a member of the European Commission of Human Rights from 1973 to 1993, which operated as first instance until the reform of 1999. Georg Ress, who served as an ECtHR judge from 1998 to 2004 and had previously been a member of the Commission, had also emerged from the MPI.

The Institute did not cover German constitutional law, but it did cover foreign public law from the very beginning. Nevertheless, it was only from the end of the 1950s onwards that comparative law became more prominent, particularly through broad-based comparative colloquia, some of which were documented in extensive publications. Many, however, give the impression of an additive rather than integrative comparison. Nevertheless, the Institute was particularly influential when it came to providing expertise on the public law of foreign states. However, this expertise was not inherently comparative. In this respect, 2002 marked a turning point in the Institute’s history. For the first time, a director was appointed whose focus of interest was not international law, but rather European law and comparative public law, with recognisable theoretical ambitions that were primarily aimed at explaining public law under conditions of internationalisation and globalisation. As a result, the international influence of the MPI increased once again.

Translation from the German original: Áine Fellenz

[1] Photo: Dieter Grimm.

Suggested Citation:

Dieter Grimm, 100 Years of Public Law. The Development of the Discipline and of the MPI, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240403-102716-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

What Narratives Do

 

‘This workshop where ideals are fabricated—it seems to me just to stink of lies.’
Friedrich Nietzsche, On the Genealogy of Morality (2007 [1887]), §I.14

Narratives play a crucial role when it comes to who, how, and what is remembered from the history of international law. Why? What is the role? And what are the narratives? To begin with, Narratives can be understood as a discursive form in which meaning emerges and is stabilized at different levels of ordering.

For example, we tend to live our lives in light of a conception of where we are from and what kind of person we want to be, and that conception arises in large parts from the stories we tell about ourselves, to ourselves, and to others. At this first level of ordering, narratives play an important role in conferring and stabilizing meaning with regard to who we are and who we want to be as individuals.

Narratives do the same for any collective, i.e. for any social group. Just consider the well-studied roles that narratives have played in the formation of nations, and of national identities. There would be no ‘imagined communities’ of nationals without narratives, and without the stories that members of communities tell about themselves.

Moving closer to the field of international law, any community of scholars maintains narratives about their community, what is important to them, and what it is they are doing: as such, narratives interact with disciplinary identities.

More specifically then, narratives are crucial with regard to who, how, and what is remembered from international law. This is what I will continue to focus on and unpack: the role of narratives in international law in the dynamics of remembering and in the construction of memory.

Who remembers?

But before I do just that: next to individuals and social groups, one could also consider narratives to work on a still higher level of ordering, at the level of humanity. Whether to think of narratives of humanity is desirable – or even possible – remains a hotly disputed question.

In the very first pages of the Journal of the History of International Law (founded in The Hague, then moved to Heidelberg) Philipp Allott argued in 1999 that this is the way to go: ‘History is public memory’, he wrote, and the task before us, as he saw it, is to help construct the history of international law as the history not of any social group, but of humanity as such, as an expression of the ‘memory of the human species itself, a species memory’.

The opening editorial of that same issue, written by the Journal’s founding editor, Ronald St. John Macdonald, suggested, however, a different route: Macdonald urged awareness of the ‘plurality of human civilizations and cultures’, hoping that the new Journal ‘will intensify the study of various pasts [note the plural] of international law’. (Also see Karen Knop’s superb treatment of Macdonald’s historiographical method)

What is being negotiated in this first issue is the very desirability and even possibility of a collective memory which is that of humanity as such. It is a crucial question that is glossed over in the title of the roundtable at the inaugural workshop of the MPIL100 project, of which the present intervention formed part: ‘‘Actors, archives, canonization. Who, how, and what is remembered from 100 years of international law?’’ The title implements a passive voice to avoid any question-begging ‘we’—who does the remembering?

Dipesh Chakrabarty recently revived the debate that also percolated the first issue of the Journal on the History of International Law. Contra the stance taken by Allot, Chakrabarty disputes that humanity as a social (rather than biological) unit could be the carrier of any history. Like Macdonald, he opts for plurality as the starting point and then demands a related sensitivity for the power-ridden distribution of whose memory matters or is side-lined, and what those memories cast aside or, rather, revere.

Sometimes the obvious may bear repeating: who, what, and how the past is being remembered depends on who does the remembering.

Who is Remembered? Narratives and Canon-Making

But, of course, not everybody’s memory of the past is equally influential for the field. I therefore approach the question of who, what, and how the past is being remembered in interaction with questions about the construction of canons, with a focus on the role that narratives play here. How do narratives contribute to the emergence of canons, and how do canons, in turn, sustain certain narratives?

Here I draw on a wonderful symposium on canon-making that Paolo Amorosa and Claire Vergerio recently convened in the Leiden Journal of International Law. Canons, they start off, are important anchors of disciplinary identity. They enable conversations within and across disciplines and facilitate scholars’ self-identification.

Canons are contested, and they change. I was told that the portrait of the Max Planck Institute’s first director in Heidelberg, Carl Bilfinger, is taken down every so often in the Institute’s meeting room to then reappear in an equally clandestine fashion. Bilfinger was notably a resolved national socialist. Soon after the war, he resigned from his directorship of the Kaiser-Wilhelm-Institute, which he had led since 1943.

Photo of the MPIL’s Directors’ Gallery in room 014. The picture was taken on 1.6.2023, when the Institute’s summer party was held. On the left, it shows the portrait of the Institute’s founding director Victor Bruns. The portrait of his successor Carl Bilfinger was taken down by unknown persons. (Photo Philipp Glahé)

Bilfinger may not be a canonical figure in international law, but whoever makes him temporarily disappear seems to contest that this former director of the Max Planck Institute today enjoys the pride of place in the meeting room.

Paolo Amorosa has himself shown how James Brown Scott, writing in the 20th century, put 16th century Francisco de Vitoria on a pedestal as the founding father of international law. Amorosa further studied what enabled this positioning of Vitoria, what role narratives have played in that regard, and what the focus on Vitoria has then meant for the legal field, namely a marked commitment to human rights and to a universalist conception of international law.

By drawing attention to contingencies in the history of an author’s reception, Amorosa and Vergerio in their LJIL symposium, highlight questions of who is included and excluded in canon-making, and they reflect on shifting concerns and power relations over time. In short, dynamics of reception matter much more than the outstanding quality or characteristics of any author.

The point with regard to either canons or narratives is not that they are historical constructs. They are. What else would they be? But rather, the point is: first, how have they come about and, second, what are they doing in any moving present.

Those two points are linked. I have myself been concerned with questions of how to convey historical contingencies, and how to convey a sense for the possibility of alternative paths. We know ex post that some things happened and others did not. However, an outcome that was possible does not become necessary only because it happened. Neither does it become impossible only because it did not happen. How to convey this? There is always an underlying reason: a reason why Carl Bilfinger did become a director, and why Carlo Schmid did not. But Schmid could have. To convey this sense of contingency, developments have to be embedded in thick descriptions that ground claims to possibility between, and distinguish them from, unconstrained speculation. For that, the work with historical resources—archives and oral histories—remains key. This takes me to the role that narratives play in how history is being remembered in international law.

Remembering How? Narratives and Archives

It remains the case that many historical accounts in international legal scholarship continue to rehash other secondary literature and repeat received narratives without much further ado. I am referring to monographs about this or that question, this or that doctrine, whose second chapter is often a historical one, summarizing the developments that were bound to lead to the present. They turn to history not—as many historians would do—as a realm of possibility, but as a prequel to the present. Those chapters are often tied up with a sort of rationalizing analysis that speaks about legal history as a kind of unfolding of timeless ideas. Received narratives partake in this practice, arise from it, and, in turn, stabilize it.

Let me offer a quick example from my own work, recently published in the Institute’s Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV). Secondary literature repeats in a self-referential fashion that the first bilateral investment treaty (BIT) was concluded between Germany and Pakistan in 1959, and that the regime has since then developed with the intention to facilitate the economic development of the host state. When I stumbled on those claims once again, I started to look for an account of what led to this first BIT, and I did not find any. My archival research then showed, among other interesting things, that the reasons why Germany concluded this first BIT and then others, were due to concerns about Germany’s imbalance of trade and payments. The development of the host countries was not a consideration for the BIT practice at all.

Archival resources are, sure enough, open to interpretation and subject to appropriation in different, competing narratives. But they can and do also nicely irritate narratives, such as those underlying the investment regime. This brings me to my last and final point:

What Narratives Do

Who and what is being remembered, I have already submitted, is also an expression of the interests and sensibilities of whoever does the remembering or, put differently: archives do not themselves reveal historical truths, but are subject to interpretation and woven into narratives. And yet, some interpretations and narratives do certainly fare better amidst archival sources when compared to others. A lot of work remains for critically testing the narratives that “we” continue to tell.

But narratives can be engaged differently as well, not by questioning narratives with regard to their historical accuracy, but rather with a view to what it is that those narratives have been doing over time. This is the kind of genealogical inquiry in which Friedrich Nietzsche was invested: the point of his Genealogy of Morality was not that people have been wrong about why and how their morality has emerged. Rather, Nietzsche wanted to show and critique what those mistaken beliefs and their related narratives have been doing. In Amia Srinivasan’s take on Nietzsche’s genealogy:

“The crucial question for such critical genealogists is not ‘are our representations true’, but ‘what do our representations do?’ What practices and forms of life do they help sustain, what sort of person do they help construct, and whose power do they help entrench?”

It seems clear to me that many of the narratives—about investment law, but also about many other fields of international law—are narratives that legitimize international law as such. They also sustain exaggerated believes in international law’s problem-solving capacity. However, it is not just international law that those narratives support; they empower anyone who can pursue their interests legally, who has the possibility to kill legally, to outcompete legally, or to pollute legally.

 

Suggested Citation:

Ingo Venzke, What Narratives Do, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240403-141007-0

Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED

 

Nothing Compares 2 U. Oder doch?

Nothing Compares 2 U. Or does it?

Deutsch

Eine sehr kurze Geschichte der Vergleichung im Staats- und Völkerrecht

Die Aussage, dass irgendjemand oder irgendetwas unvergleichlich sei, birgt ein Paradoxon, weil sie auf einer Vergleichung beruht. In der Geschichte des öffentlichen Rechts wurde intensiv verglichen und auch dort war man der Ansicht, das europäische Völkerrecht sei ganz unvergleichlich – mit Folgen bis heute.

I. Das wissenschaftliche Interesse an Völkerrecht und ausländischem öffentlichen Recht geht historisch weit zurück. Seine Entstehungszeit lässt sich im europäischen Rechtsraum auf das 16. bis 18. Jahrhundert datieren. Rechtsvergleichung hat dabei eine anfangs schwache, dann wechselnde Rolle gespielt und spezielle Konjunkturen gehabt. Privatrecht, Staatsrecht und Völkerrecht befinden sich dabei in dynamischen Konstellationen; die Grenzen werden anders als heute gezogen und sind nicht starr. Mein kurzer Beitrag will einige Schlaglichter in größerer historischer Perspektive auf die Geschichte öffentlich-rechtlicher Disziplinen werfen und ist dabei besonders an Objekten, Räumen und Ursachen für Rechtsvergleichung interessiert.

Zu welcher Disziplin gehört wohl die „Staatsverfassung von Europa“ nach damaligem und nach heutigem Verständnis der Einteilungen des öffentlichen Rechts? Johann Jakob Moser distanzierte sich später von seiner 1732 erschienenen Abhandlung[2]

II. Vergleichung ist eine in der Vormoderne weitverbreitete Methode zahlloser wissenschaftlicher Disziplinen. Antike politisch-juristische Vorläufer finden sich schon bei Plato und Aristoteles, die nach dem Vergleich von Gesetzen und Staatswesen fragten: Was ist die beste Verfassung eines Staatswesens und was sind die dieser Verfassung entsprechenden besten Gesetze? Vergleichung findet in der Epoche der Entstehung des ius publicum insbesondere in den Naturwissenschaften statt und dient diversen Erkenntniszielen. Beobachtung und Messung sind ihre Instrumente. Die Vergleichungstraditionen sind reich und vielfältig; sie erfassen auch Gegenstände wie Kultur und Religion.

III. Der Rückgriff auf und das Interesse an Rechtsvergleichung wurde befördert durch die spezielle europäische und deutsche Konstellation mit ihrer reichen Universitätslandschaft: Der multiple Pluralismus der deutschen Territorien und der europäischen Staaten nährte in mehrfacher Weise das Interesse an Vergleichung. Die Vergleichung der verschiedenen Rechte gründete zudem auf dem speziellen vormodernen Rechtsquellenpluralismus, der im Alten Reich ganz besonders ausgeprägt war. Rechtsvergleichung fand zunächst innerhalb von Territorien statt, die daraus entstehende vormoderne Disziplin nannte sich „Differentienliteratur“ und war privatrechtlich geprägt. Hier ging es auch ganz pragmatisch um Fragen der Geltungskraft und Anwendungsmöglichkeit. Auf Reichsebene und vor Reichsgerichten (Reichskammergericht, Reichshofrat) wiederholte sich dieses Muster. Es entwickelte sich im Rahmen der gelehrten Jurisprudenz ein ausgefeiltes wissenschaftliches Instrumentarium.

IV. Verglichen wurden aber auch öffentlich-rechtliche Zustände und Normen („Verfassung“) und zwar zwischen verschiedenen Territorien und der europäischen Staatenwelt. In den Blick kommen das Reichsstaatsrecht, Territorialstaatsrechte und auswärtige, nicht‑deutsche Rechtszustände. Diese Rechts‑ und Verfassungsvergleichung bleibt klassischerweise in Umfang und Methode hinter der im Privatrecht – siehe etwa das Handelsrecht – zurück.

Europäische Staatsvergleichung, grafisch in Tabellen organisiert: Randels staatenkundliches Werk (1792) beginnt mit Bestandsaufnahmen von Lage, Grenzen, Boden und Gewässern der von ihm behandelten Länder.[3]

V. Aufklärung und Absolutismus befeuerten das Interesse an der Vergleichung weiter. Erstrebt wurden wirksame Gesetze und Einheitlichkeit des Rechts durch neue Gesetzbücher und besonders Kodifikationen. Rechtsvergleichung ist im Kontext des utilitaristischen Staatsverständnisses sowie seiner Gesetzgebung und Normimplementierung ein Instrument, um sich diesen Zielen rechtswissenschaftlich anzunähern und der Politik Hilfe zu leisten. Verglichen werden dabei verschiedene Gesetzgebungen und positiven Rechte untereinander, aber auch deren spannungsreiches Verhältnis zum Naturrecht wird zum Objekt der Vergleichung. Gerade auch der Blick auf die verschiedenen europäischen Staaten ist im öffentlichen Recht vergleichend angelegt. An den Universitäten Halle und Göttingen verbindet sich das Interesse an der normativen Konstellation mit den tatsächlichen Machtverhältnissen. Eine Staatenkunde blüht, die, auch inspiriert durch Pufendorf ebenso wie Montesquieu, stark empirische Züge trägt („Statistik“). Ihren Ausdruck findet dieses empirische Interesse medial auch in großformatigen Tabellenwerken. Diese Staatenkunde bezieht die Geschichte ein, fördert Reisen und interessiert sich wissenschaftlich ebenso umfassend wie prinzipiell vergleichend für die Beschaffenheit von Staatswesen. Öffentliches Recht wird hier immer als Recht im Kontext gesehen. Die Vergleichung ist dabei in ihrem – auch geographisch – weiten Blick inspiriert von Kooperation und Konkurrenz der politisch‑rechtlichen Einheiten und ihrer spezifischen Organisation. Gesucht werden insbesondere Gemeinsamkeiten und praktische Vorbilder für Regelungen: „Die Vergleichung verschiedener Systeme der Staatsverwaltung ist für Jeden, der auf die neue Einrichtung des Staatsdienstes Einfluß haben kann, ohnehin Pflicht“, schreibt Günther Heinrich von Berg 1808. Der Eurozentrismus trifft im Zeitalter der Weltworte zusammen mit Wettbewerbsgeist, Planungsoptimismus und einer universalistischen Betrachtungsweise.

Zur Staatenkunde von Randel (1792) gehören aber nicht nur die Statistiken über materielle Zustände, behandelt wird auch die „Staatsverfassung“, bevor es am Ende „Vergleichenden Resultate“ gibt.

VI. Nach dem Ende des Alten Reiches bleibt der Rechtsquellenpluralismus und verändert sich. Die spezielle Konstellation von Rheinbund und Deutschem Bund befördert erneut vergleichende Blicke. Paradigmatisch kann hier der Vergleich der verschiedenen deutschen Staatsrechte genannt sein. Die Juristen sind auf der Suche nach Gesetzmäßigkeit und Regelhaftigkeit. Gesucht wird beispielsweise ein gemeines deutsches Staatsrecht. Diachrone und synchrone Vergleiche finden statt. Der Ruf nach einem Ausbau und einer akademischen Institutionalisierung wird laut: „Warum hat der Anatom seine vergleichende Anatomie? und (sic) warum hat der Rechtsgelehrte noch keine vergleichende Jurisprudenz?“, so Paul Johann Anselm Feuerbach 1810. Diese Verwissenschaftlichung des Vergleichens wird insbesondere Programm der „Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes“ (ab 1829). Teilweise wird bereits im frühen 19. Jahrhundert auch eine geographische Horizonterweiterung der Rechtsvergleichung über Europa hinaus gefordert. Nationalismus und Internationalismus sind auf seltsame Weise verschränkt: Der Imperialismus des europäischen Nationalstaats führt die vergleichenden Traditionen fort und bringt zugleich neue Dimensionen ein.

VII. Die Suche nach Gemeinsamkeiten der Regelungen im öffentlichen Recht bildet sich auch in der Sprachformel ius publicum europaeum ab, die zeitgenössisch verbürgt ist, jedoch weniger verbreitet bleibt als man es nach Carl Schmitt annehmen sollte und nicht immer das Völkerrecht meint. Sie adressiert einen europäischem Rechtsraum, der durch dynastische Verbindungen, Konflikterfahrungen und Kommunikation geprägt ist.

 

Völkerrechtswissenschaft aus dem Kontext kleinräumiger Zustände im Alten Reich und in langsamer Abkehr vom Naturrecht: Karl Gottlob Günther legte einige Jahre nach diesem Grundriss von 1777 ein zweibändiges Lehrbuch des Völkerrechts nach (1787/1792).[4]

VIII. Allerdings bedient sich auch die Völkerrechtswissenschaft der vergleichenden Methode, und zwar insbesondere jener ab dem 18. Jahrhundert aufsteigende und schließlich dominierende Zweig, der sich weniger an naturrechtlichen Axiomen als an Verträgen und Gewohnheiten als Rechtsquellen des Völkerrechts ausrichtet. Dies kommt im frühen 19.  Jahrhundert etwa bei Johann Ludwig Klüber zum Ausdruck (Europäisches Völkerrecht, Vorrede zur französischen Ausgabe 1821 (von ihm selbst übersetzt), 1851, XI):

„Der Verfasser eines Werkes, wie dieses, ist oft verpflichtet, sich schlechthin an Abstractionen zu halten, die aus sorgfältiger und unparteiischer Betrachtung des natürlichen Völkerrechtes, aus gewissen Verträgen und aus manchen Gewohnheiten hervorgehen, die, wenn nicht von allen, doch von den meisten europäischen Staaten angenommen sind. Die aus einer solchen Vergleichung sich bildende allgemeine Theorie kann daher in einem einzelnen Fall nur so weit Anwendung finden, als sie hier mit dessen besonderen Umständen sich verträgt. Da diese Theorie nie in der Art begründet ist, daß sie durch die besondern Beziehungen zurückgesetzt würden, die auf Thatsachen oder particulären Rechtsquellen sich stützen, so muß ein Staatsmann überall zuerst die besondern Verhältnisse in das Auge fassen, welche zwischen den in Betracht kommenden Mächten bestehen.“[5]

Völkerrechtswissenschaft basiert demnach auf innereuropäischer Rechtsvergleichung. Verglichen werden innereuropäische vertragliche Regelungen, Rechtsgewohnheiten und Zustände.

IX. Die Wissenschaft des europäischen Völkerrechts entwickelt eine spezielle vergleichende Komponente. Indem sie die historischen Vorläufer und besonders die Ursachen des gegenwärtigen Zustands in einem Fortschrittsnarrativ betrachtet, findet einerseits eine diachrone Vergleichung statt, die inspiriert ist durch die Historische Rechtsschule und Ideen vom Einfluss von Volksgeist und Zivilisation, Religion und auch Konfession auf das Recht verfolgt. Zugleich wird das europäische Völkerrecht synchron mit anderen Zwischen‑Mächte‑Normativitäten außerhalb Europas verglichen; manchmal werden aber auch nur isolierte Regelungen aufgerufen. Dabei glauben die europäischen Völkerrechtler, als Amateursoziologen agierend, zu erkennen, dass das unvergleichliche Europa (siehe Titel) auf einer höheren Stufe der Rechtsentwicklung und des Rechtsbewusstseins stünde. Anderen Weltregionen wird dieses Rechtsbewusstsein nur eingeschränkt attestiert oder völlig abgesprochen.

X. Die Wissenschaft des europäischen Völkerrechts besitzt damit auch in ihrer Vergleichung ein imperiales, rassistisches und koloniales Bias. Sie ist politisierte Wissenschaft und verrechtlicht zugleich die Politik. Noch der historische Blick des 20. Jahrhunderts ist von diesem ideologischen Bias dominiert. Eine historische und rechtshistorische Öffnung für und ein Interesse an normativen Ordnungen außerhalb Europas, besonders in vorkolonialer Zeit, bleibt peripher. Auch in den diversen Internationalisierungsschüben des vergangenen Jahrhunderts und den Institutionalisierungen des Völkerrechts und der Weltgemeinschaft bleiben deutliche blinde Flecken und Diskriminierungen. Erst die postkoloniale Konstellation und die andauernde Globalisierung verschaffen stärkere Neugier und Wahrnehmung – auch infolge einer kritischeren Selbstwahrnehmung. Vormalige Außenseiter der Disziplinen werden nun als Vorreiter wahrgenommen.

XI. Die verschiedenen Denkstile der europäischen Völkerrechtswissenschaft bekommen historisch jenseits von anekdotischer Evidenz wenig Beachtung. Stattdessen wird performativ eine Einheit beschworen; in ihrem historischen Zentrum steht zunächst Europa, später der Westen. Politische Krisen und Kriege erschüttern diese Gewissheiten.


[1] “Frieden und Krieg” waren nicht nur ein beliebtes Motiv frühneuzeitlicher Malerei in Form von Allegorien (wie hier 1629 bei Peter Paul Rubens), sondern damals auch perspektivischer Ausgangspunkt der zeitgenössischen Völkerrechtswissenschaft. Nicht von ungefähr greift Hugo Grotius in seinem epochalen Werk “De Jure Belli ac Pacis libri tres” von 1625 genau diese, auf die römische Antike zurückgehende Paarformel auf. Er entwickelt aus ihr ein umfassendes System der gesamten Rechtswissenschaft, anwendbar auf alle Lebensbereiche.

[2] Johann Jacob Moser von Filseck, Anfangs-Gründe der Wissenschaft von der heutigen Staats-Verfassung von Europa, Tübingen 1732.

[3] Adolph Friedrich Randel, Annalen der Staatskräfte von Europa. Das Deutsche Reich im Allgemeinen: nach den neuesten physischen, gewerblichen, wissenschaftlichen u. politischen Verhältnissen der sämmtlichen Reiche u. Staaten, in tabellarischen Übersichten, Berlin: Vieweg, 1792

[4] Karl Gottlob Günther, Grundriß eines europäischen Völkerrechts nach Vernunft, Verträgen, Herkommen und Analogie: mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände, Regensburg 1777;  Ders., Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Richter, Altenburg 1787 und 1792.

[5] Johann Ludwig Klüber, Europäisches Völkerrecht, Vorrede zur französischen Ausgabe 1821 (von ihm selbst übersetzt), 1851, XI.

English

A very brief history of comparison in constitutional and international law

The statement that someone or something is incomparable harbours a paradox, as it hinges on a comparison. In the history of public law, comparisons have been made in extensive fashion, and here, too, the view was held that European international law is quite incomparable – this has consequences to this day.

I. Academic interest in international law and foreign public law goes back a long way historically. Its origins in the European legal area can be dated back to the 16th‑18th Comparative law played an initially minor, then varying role and was subject to specific booms. Private law, constitutional law, and international law found themselves in dynamic constellations; the boundaries were drawn differently than they are today and were not rigid. My short contribution aims to shed some light on the history of public law disciplines from a broader historical perspective and in doing so is particularly focused on objects, spaces, and causes for legal comparison.

Which discipline does the “State Constitution of Europe” („Staatsverfassung von Europa“) belong to according to the understanding of the categorisation of public law at the time –  and today? Johann Jakob Moser later distanced himself from his treatise published in 1732.[2]

II. Comparison was a widespread method in countless scientific disciplines in the pre‑modern era. Ancient political-legal precursors can already be found in the writings of Plato and Aristotle, both of whom enquired about the comparison between laws and state constitutions: What is the best constitution of a state, and what are the best laws corresponding to this constitution? In the era of the emergence of ius publicum, comparison took place particularly in the natural sciences and served various scientific goals. Observation and measurement were its instruments. The traditions of comparison are rich and varied; they also encompass objects such as culture and religion.

III. The return to and interest in comparative law was fuelled by the unique European and German constellation with its rich university landscape: the multiple pluralism of the German territories and the European states nourished the interest in comparison in several ways. The comparison of different legal orders was also based on the characteristic pre-modern pluralism of legal sources, which was particularly prominent in the old German Empire. Legal comparison initially took place within territories; the resulting pre-modern discipline was called “Differentienliteratur” (roughly: literature on differences) and was dominated by private law. It was also concerned with pragmatic questions of validity and applicability. This pattern was repeated at the imperial level and before the imperial courts (Imperial Chamber Court [Reichskammergericht]; Aulic Council [Reichshofrat]). Within the framework of legal scholarship, a sophisticated set of scientific instruments was developed.

IV. Comparison also extended to constellations and norms of public law (“constitution”), namely between different territories and within the realm of European states. The focus here was on the constitutional law of the German Empire, the constitutional law of its territories, and on foreign, non-German legal constellations. This comparison of laws and constitutions traditionally lagged behind that of private law – for example commercial law – in terms of scope and method.

Comparison of European states, graphically organised in tables: Randel’s work on the European states (1792) begins with inventories of the location, borders, soil, and waters of the countries he deals with.[3]

V. Enlightenment and absolutism further fuelled the interest in comparative studies. The goal of effective and uniform laws was pursued through new legal codes and, in particular, through codifications. In the context of a utilitarian understanding of the state, its legislation, and the implementation of norms, legal comparison is an instrument for approaching these goals from a jurisprudential perspective and for aiding policy making. To this end, different legislations and positive legal orders are compared with each other, including in terms of their tense relationship with natural law. Particularly the perspective on the European states has a comparative character in the discipline of public law. At the universities of Halle and Göttingen, the interest in the normative constellation is combined with that in the actual balance of power. A study of states (“Staatenkunde”) flourished, which, inspired by Pufendorf as well as Montesquieu, was characterized by strong empirical features (“statistics”). This empirical interest is expressed in large-format tables. The Staatenkunde included history, promoted travelling, and took a scientific interest in the set-up of states that was as comprehensive as it was principally comparative. Public law is always seen here as law in context. In its – also geographically – broad perspective, the comparison is inspired by cooperation and competition between political-legal units and their specific organisation. In particular, similarities and practical models for regulations are sought. “The comparison of different systems of state administration is in any case a duty for anyone who can influence the new organisation of the civil service”, wrote Günther Heinrich von Berg in 1808. In the age of world words, (Weltworte) Eurocentrism coincided with a spirit of competition, planning optimism, and a universalist approach.

Randel’s study on states (1792) includes not only statistics on material conditions, but also deals with the “constitution of the state” before concluding with “comparative results”.

VI. After the end of the Old German Empire, the pluralism of legal sources remains, but undergoes changes. The unique constellation of the Confederation of the Rhine (Rheinbund) and the German Confederation (Deutscher Bund) once again favours comparative perspectives. A paradigmatic example of this is the comparison of the various German constitutional laws. Legal scholars are in search of systems and regularity. For example, a common German constitutional law is being sought. Diachronic and synchronic comparisons take place. There are calls for expansion and academic institutionalisation: “Why does the anatomist have his comparative anatomy? and why does the legal scholar not yet have comparative jurisprudence?” Paul Johann Anselm Feuerbach asked in 1810. This scientification of comparison became the programme especially of the “Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes” (from 1829). In the early 19thcentury, there were already some calls for comparative law to expand its geographical horizons beyond Europe. Nationalism and internationalism were strangely intertwined: The imperialism of the European nation state continues comparative traditions and at the same time introduces new dimensions.

VII. The search for commonalities in the norms of public law is also reflected in the linguistic formula ius publicum europaeum, which was used at the time, although not as commonly as Carl Schmitt would have us believe, and does not always refer to international law. It addresses a European legal area that is characterised by dynastic connections, experiences of conflict, and communication.

The study of international law in the context of compartmentalized conditions in the old German Empire and a gradual turning away from natural law: Karl Gottlob Günther published a two-volume textbook on international law a few years after this 1777 outline (1787/1792). [4]

VIII. International law, however, also makes use of the comparative method, in particular the branch emerging from the 18th century onwards and ultimately becoming dominant, which focusses less on axioms of natural law and more on treaties and customs as legal sources of international law. This is expressed in the early 19th century by Johann Ludwig Klüber (Europäisches Völkerrecht, Vorrede zur französischen Ausgabe 1821, XI):

“The author of a work such as this is often per se obliged to adhere to abstractions arising from careful and impartial consideration of the natural law of nations, from certain treaties and from some customs which have been adopted, if not by all, at least by most European states. The general theory arising from such a comparison can therefore only be applied to an individual case to the extent that it is compatible with its particular circumstances. As this theory is never founded in such a way as to be set aside by the particular relations which are based on facts or particular sources of law, a statesman must everywhere first consider the particular conditions which exist between the powers under consideration.”

Accordingly, international law is based on legal comparison within Europe. Intra‑European contractual regulations, legal customs, and conditions are being compared.

IX. The study of European international law develops a specific comparative component. By analysing the historical precursors and, in particular, the causes of the current conditions in a narrative of progress, on the one hand, a diachronic comparison takes place, which is inspired by the historical school of law and follows ideas of the influence of the spirit of the people, civilisation, religion, and religious confession on the law. At the same time, European international law is compared synchronously with other normative orders between political powers outside of Europe; even if sometimes only isolated regulations are invoked. European international law scholars, acting as amateur sociologists, believe to recognise that the incomparable Europe (see title) is on a higher level of legal development and legal consciousness. Other regions of the world however are sought to have only limited legal consciousness or none at all.

X. The European international law doctrine thus has an imperial, racist, and colonial bias, even when it utilizes comparative methods. It is a politicised science and at the same time it serves to enshrine policy into the law. Even the historical perspective of the 20th century is still dominated by this ideological bias. A historical and legal-historical opening‑up to and interest in normative orders outside of Europe, especially in pre-colonial times, remains peripheral. Even in the various waves of internationalisation of the past century and the institutionalisation of international law and the international community, clear blind spots and discriminations remain. Only the post-colonial constellation and ongoing globalisation create greater curiosity and awareness – partly as a result of a more critical self-perception. Former outsiders in the disciplines are now perceived as pioneers.

XI. Beyond anecdotal evidence, the different styles of reasoning in European international law receive little historical attention. Instead, a unity is conjured up performatively; at its historical centre is first Europe, later the West. Political crises and wars bring these certainties into question.

Translation from the German original: Áine Fellenz


[1] “Peace and War” were not only a popular motif in early modern painting in the form of allegories (as here in 1629 by Peter Paul Rubens), but were also the point of departure for contemporary scholarship on international law. It is no coincidence that Hugo Grotius took up precisely this pair formula, which dates back to Roman antiquity, in his epoch-making work “De Jure Belli ac Pacis libri tres” from 1625. He uses it to develop a comprehensive system of the entire science of law, applicable to all areas of life.

[2] Johann Jacob Moser von Filseck, Anfangs-Gründe der Wissenschaft von der heutigen Staats-Verfassung von Europa, Tübingen 1732.

[3] Adolph Friedrich Randel, Annalen der Staatskräfte von Europa. Das Deutsche Reich im Allgemeinen: nach den neuesten physischen, gewerblichen, wissenschaftlichen u. politischen Verhältnissen der sämmtlichen Reiche u. Staaten, in tabellarischen Übersichten, Berlin: Vieweg, 1792

[4] Karl Gottlob Günther, Grundriß eines europäischen Völkerrechts nach Vernunft, Verträgen, Herkommen und Analogie: mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände, Regensburg 1777;  Ders., Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Richter, Altenburg 1787 and 1792.

Being a Trespasser

Disciplinary Entanglements, Collective Reflections

One of the major developments of public law scholarship in the last half century has been the enlargement of the study of public law, from studying the law to studying also the various approaches to the law and their changes over time.

This is a process of self-consciousness comparable to the revolution produced by the publication, in the second half of the Sixteenth century, of the “Essais” by Michel de Montaigne, because now lawyers study not only law, but also legal scholarship (that is how lawyers study law). This development has introduced a new canon in the legal culture.

For this reason, a collective reflection on the history of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law is particularly important and useful, if we succeed in situating this reflection in the larger  framework of the history of legal thought in the area of public law.

Disciplinary entanglements among public international law, European public law, and comparative public law (but also between public law and private law) progress in time as the product of a double development, one at the level of the legal change, the other in the scholarly dimension. The first is the erosion of state power, the second the crisis of the positivistic approach to science and to legal scholarship. Both phenomena have prompted a set of transformative developments in the field of public law.

Five new Developments

A first development is the blurring of the frontiers between the national dimension of the law and the foreign and supranational dimension. As in the XVI and XVII centuries national European courts, the “lex alius loci” (the law of another country) becomes relevant[1].

Article 6(3) TEU provides that: “[f]undamental rights, as guaranteed by the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and as they result from the constitutional traditions common to the Member States, shall constitute general principles of the Union’s law.”[2] A similar clause is found in the Treaty on the Functioning of the European Union (TFEU), Article 340. The reference to the legal orders of the Member States of the European Union as sources of Union law is reiterated in the Charter of Fundamental Rights of the European Union, albeit with different wording (first “principles” and later “traditions”: Article 41(3) and Article 52(4)).

These provisions introduce an entirely new manner of lawmaking. The first is that the higher law is made up of the lower law, through a process of absorption. Therefore, in the area of fundamental rights, the “general principles” of European law are the result of a complex “two-way” process, because they first proceed from the bottom up, and then from the top down. The higher law can derive from lower law; the “general principles” do not drop down from the top. This process launches a “dialogue” between the two levels of government, and is proof of their reciprocal openness. “The inclusion of Member States’ law in the concept of European law” produces a “European conglomerate of legal norms of different legal orders”[3].

The second peculiarity is that this vertical two-way procedure also requires a horizontal, comparative process, because the commonalities must be discovered through a comparison of traditions. Comparison becomes a part of the norm-setting procedure. However, at the same time, this use of comparison has an impact on the identity of this branch of legal scholarship, which thus becomes an instrument to develop concepts and institutions that transcend individual national legal orders. Comparative law replaces legal comparison and to some extent can be considered as binding law[4].

A second development is the blurring of the borders between public and private law. To overcome the different national approaches to the public/private law divide, European law has introduced the notion of “body governed by public law” “established for the specific purpose of meeting needs in the general interest, not having any industrial or commercial character”[5]. This new notion crosses the public/private  law divide, is based on substantial and not formal elements, goes beyond the national dividing lines of private and public law.

A third development is the rediscovery of the role of legal scholarship as a major element of the legal order: culture and epistemic communities become a part of the study of law as they have an impact on the legal order through system building and interpretation. Therefore, it is vital to study the historical developments of legal scholarship as a part of the legal systems at the national and at the supranational level, taking into account the divergent legal approaches and crossing borders between States, disciplines and the public and private divide.

A fourth development is the overcoming of the traditional border between the legal space and the non legal (political, social) dimension. Thanks to this development, it becomes possible to study and understand the reciprocal influences of scientific management and Taylorism, on  one side, and the regulation of administrative procedure by judges and legislators, on another side. This convergence of learning overcomes fragmentation of science and encourages integration of points of view and cultures that were separated: the life of law is not only norms and judgments, not only legal orders and systems, not only legal concepts, but also history, culture, “mentalité”, and our task is to reassemble what has been divided in the last two centuries.

A fifth development is the recognition that foreign, transnational, supranational, and global law are not only an object of scientific analysis by national scholars belonging to a different legal system, but also “goods” or “merchandises” imported from the outside into a different legal order, that have effect due to their normative or quasi–normative role both in the original system and in the importing country. This is because legal systems are open or porous (treaties and agreements abolish barriers to money transfers and to trade; and money and trade are instrumental to the transplant of legal institutions); there are some characteristics, institutions, procedures, rules, practices, common to more than one national legal system; legislators get “inspiration” from comparison, and, therefore, they have to adjust national legal systems to the prevailing institutions in the most developed nations; national courts, for their part, establish links with foreign legal orders via comparison; legal scholarship is not bound to a nationalistic approach, and comparative law experts may not only study, but also suggest or advise, on the basis of comparison; comparison is not a pure intellectual effort to know each other; it assumes a practical function; as a consequence, legal scholarship can proceed from legal comparison (“Rechtsvergleichung”) to true comparative law; comparative lawyers establish a transnational legal discourse and act as “merchants of law”; finally, comparison becomes a “source of law”, with donor countries and receptor countries (that in some cases improve the model and become donors for other countries)[6].

Looking to the Future

Due to these developments, public law has changed and is changing. Three important aspects of this change are: the overcoming of the national limitation of law, the transdisciplinary opening of the splendid isolation of the legal method, and the modifications of the grammar of law (and its traditional conceptual grounding in Roman law).

Today’s imperative is to abandon exclusive legal nationalism. This does not mean not cultivating national law, but recognizing its necessary interdependence with other national laws, regional legal orders, and universal principles.

The second imperative is to build bridges between law, the “humanities” and the “social sciences”, because law is a social science. This does not mean to abandon the “legal method”, but to integrate it with other disciplines.

The third imperative is the construction of a more comprehensive language and grammar. The vehicular language is now English, spoken by a billion and a half inhabitants of the earth. The grammar is that developed by the various branches of the science of law almost everywhere in the world.

In its centennial history, the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law has become an innovative and attractive forum and center of the world’s epistemic community in public law. The combination of open-mindedness, richness of seminars and discussion, efficiency, and continuity attracts the best scholars in the field, junior and senior, a combination that has produced some of the best comparative pieces in the field of public and international law.

One can only hope that the Institute will continue along its well established traditions. One can expect and hope that in the future it will also combine researches on the State with the study of non-State actors and indirect rule, and match the study of legal doctrine and theory with a problem-oriented approach, open to non-legal methodologies.

As side by side to the State-pyramid have developed the State-network, and recently the State-archipelago, while the borders between internal and external public law become blurred, and the State is flanked by non-State supranational and global actors, attention must be given also to these new bodies.

Legal institutions and processes do not live in a vacuum, their study cannot proceed without taking into account political, sociological, cultural aspects. Therefore, while being using the tools of the trade, possessing full mastery of the legal techniques, perfect command of the principles, lawyers assembling at the Institute should also strive for a more open study of law.

 My final conclusion is an invitation: cross borders, be a trespasser, go “beyond the State, beyond the West, beyond the law”[7]!

A comprehensive version of this article will be published in the Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.


[1] Gino Gorla, I tribunali supremi degli Stati italiani, fra i secoli XVI e XIX, quali fattori di unificazione del diritto nello Stato e della sua uniformazione fra Stati, in: Bruno Paradisi (ed.), La formazione storica del diritto moderno in Europa, Firenze: Olschki 1977, 447 ff.

[2] On the origins of the general principles of EC law, see Paul Craig, UK, EU and Global Administrative Law. Challenges and Foundations, Cambridge: Cambridge University Press 2015, 323.

[3] Armin von Bogdandy, The Current Situation of European Jurisprudence in the light of Schmitt’s Homonymous Textunpublished paper, 15.

[4] I have developed these points in: Sabino Cassese, Ruling from below: common constitutional traditions and their role, N.Y.U. Environmental Law Journal 39 (2021), 591-618. On the methodologies of comparison, see Ran Hirschl, Comparative Methodologies, in: Roger Masterman/Robert Schütze (eds), The Cambridge Companion to Comparative Constitutional Law, Cambridge: Cambridge University Press 2019, 11 ff.

[5] Art. 1 directive 18 of 2004; see also CJEU, Gemeente Arnhem and Gemeente Rheden v BFI Holding BV, Judgement of 10 November 1998, case no. C-360/96, ECLI:EU:C:1998:525.

[6] I have made these points in: Sabino Cassese, Beyond Legal Comparison, in: Annuario di diritto comparato e di studi legislative, Napoli: Edizioni Scientifiche Italiane 2012, 387-395.

[7] This is a synthesis made by Tommaso Amico di Meane, Sulle spalle dei giganti? La questione metodologica del diritto comparato e il suo racconto, Napoli: Editoriale scientifica 2022, 336.

Suggested Citation:

Sabino Cassese, Being a Trespasser, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240219-171434-0
Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 DEED