Kategorie: Blog

„Crimes against Humanity“ und die Völkermordkonvention. Kein Thema für das Institut?

Einer der zentralen Straftatbestände des internationalen Strafrechts stammt aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs: Exiljuristen aus besetzten europäischen Ländern, darunter bemerkenswert viele aus mittel- und osteuropäischen Ländern, prägten in think tanks in London den Begriff der crimes against humanity.[1]  Der Gedanke knüpfte an frühere Versuche an, die Kriegsführung zu zivilisieren,[2] insbesondere an die beiden Friedenskonferenzen von Den Haag 1899 und 1907. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit besagt, dass „Bürger unter dem Schutz des Völkerrechts stehen, auch wenn sie von ihren eigenen Landsleuten viktimisiert werden“. [3] Es stellt ein wichtiges juristisches Instrument in der Nürnberger Ära dar, insbesondere im Hinblick auf die Verbrechen im Zusammenhang mit dem Holocaust in Europa.

Das Konzept von crimes against humanity geht auf Debatten einer epistemic community von Juristen zurück[4], die sich, durch die nationalsozialistische Verfolgung ins Exil gezwungen, Anfang der 1940er Jahre in London zu sammeln begonnen hatten, um zu diskutieren, wie Verbrechen, die im laufenden Krieg begangen wurden, zu behandeln seien.[5] Diese Experten verstanden sich als Vertreter einer neuen, supranationalen Forschungsgemeinschaft; die meisten von ihnen waren bereits vor ihrem Exil  prominente Juristen gewesen.

Es ist auffällig, dass sich in den historischen Beständen des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) kaum ein Niederschlag ihrer Debatten findet. Zum einen lässt sich dies mit der relativen Isoliertheit der deutschen Wissenschaft während der Kriegs- und Nachkriegsjahre erklären,[6] jedoch nicht nur. Im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin hat sich ein kurzer Briefwechsel zwischen Raphael Lemkin und Hermann Mosler, dem damaligen MPIL-Direktor, von 1957 erhalten, der die ausbleibende Rezeption dieser juristischen Debatten noch in der Völkerrechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik zeigt. Im MPIL selbst waren die crimes against humanity vor den 1990ern kein Forschungsthema.[7]

Biographiegeschichte als Erklärungsansatz

Ein biographischer Ansatz kann helfen zu verstehen, warum gerade Exiljuristen ihr Engagement in der United Nations War Crimes Commission (UNWCC) als Chance gesehen hatten, neue Rechtskonzepte umzusetzen – ohne sich über die Ohnmacht ihrer politischen Situation im Exil Illusionen zu machen.[8] Eine politisch besonders aktive Gruppe von Exiljuristen stammte aus den Grenzgebieten des untergegangenen Habsburger Reiches. Ihre Angehörigen  erlebten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die erzwungene Migration aufgrund antisemitischer Pogrome in Osteuropa, insbesondere Galizien.  Sie alle einte das Bestreben, Rechtsnormen und -doktrinen für die Nachkriegszeit zu entwickeln und eine kosmopolitische Rechtsordnung zu fördern.[9] Diese um 1900 geborenen Rechtsgelehrten vom Rande europäischer Imperien waren tief geprägt von ihrer persönlichen Erfahrung der Verfolgung als Juden[10] und der Unfähigkeit des Völkerbundes, Minderheiten in Osteuropa zu schützen. Es war ihnen ein lebenslanges Anliegen, das Konzept der staatlichen Souveränität einzuhegen, um Einzelne für staatliches Handeln, zum Beispiel rassistische Verfolgung, zur Verantwortung zu ziehen.

Hauptpunkte der Debatten jener Exiljuristen waren die Definition des „Kriegsverbrechens“, das Konzept von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Forderung nach Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs. Angesichts der unterschiedlichen Pogrom- oder Besatzungserfahrungen, die die Exiljuristen aus Europa nach London mitbrachten, war gerade die Definition des „Kriegsverbrechens“ von entscheidender Bedeutung. Die zentralen Fragen waren, ob das, was bisher als „Kriegsverbrechen“ bezeichnet wurde, bereits dann verfolgt werden konnte, wenn es vor einer offiziellen Kriegserklärung oder hinter der Frontlinie geschah, ob auch Verbrechen gegen nationale Minderheiten oder religiöse Gruppen durch diese Auslegung geschützt waren und ob eine internationale juristische Instanz Gerechtigkeit üben konnte. Die Debatte zwischen den Hauptakteuren in London spiegelt zum einen die Machlosigkeit der Exilregierungen, aber auch die politische Agenda der Alliierten in Bezug auf Strafverfolgung wider.

Der Rechtsgelehrte Hersch Lauterpacht wurde zum Motor dieser Gruppe. Der im habsburgischen Ostgalizien geborene Lauterpacht war 1918 von der Universität Lemberg (L’viv/Lwow) aus Protest gegen den wachsenden Antisemitismus und den polnischen numerus clausus für jüdische Studierende an die Universität Wien gewechselt[11], wo er unter anderen bei Hans Kelsen studierte und in Rechts- und Politikwissenschaft doppelt promoviert wurde. Im Jahr 1923 ging er nach London, wo er an der LSE bei Arnold McNair nochmals promovierte. 1937 war er auf den angesehenen Whewell-Lehrstuhl für Völkerrecht in Cambridge gewechselt, von 1955  bis zu seinem Tod 1960 war er Richter am Internationalen Gerichtshof.

Genozid als Dachbegriff?

Israel ratifiziert die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und unterzeichnet das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen. Egon Schwelb, als stellvertretender Direktor der UN-Menschenrechtsabteilung (zweiter von links) mit Constantin Stavropoulos, Direktor der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen, und Arthur C. Liveran, Berater der israelischen Delegation, 1. Oktober 1954 in New York[12]

Raphael Lemkin war einer der Juristen aus Ostmitteleuropa, die bereits in der Zwischenkriegszeit Nachbesserungen im Völkerrecht anmahnten.[13] Zusammen mit seinem Kollegen aus Polen, Andrej N. Mandelstam,[14] machte Lemkin einen Vorschlag, wie Minderheiten zukünftig besser geschützt werden könnten oder wie „Akte der Barbarei“ (gemeint waren Massaker) rechtlich als internationale Verbrechen definiert werden könnten, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen.[15] Doch ihre Vorschläge fanden im Völkerbund der 1920er Jahre nur wenig Echo.

Das Konzept der crimes against humanity wurde parallel zum Genozid-Konzept Raphael Lemkins entwickelt und steht in gewisser Konkurrenz dazu.[16] Egon Schwelb (1899-1976) stieß erst 1944 zur tschechischen Delegation der UNWCC hinzu, wurde dann aber sehr einflussreich. Schwelb ist mit dem Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbunden, das erstmals 1944 in der UN-Kriegsverbrechenskommission diskutiert wurde und mit der Ahndung der Holocaust-Verbrechen in Verbindung gebracht wird; ursprünglich sollte es jedoch für alle Verbrechen gegen Zivilisten außerhalb militärischer Aktionen gelten. Schwelb betonte, dass für ihn Genozid als Dachbegriff zu verstehen sei, beziehungsweise als „two rivers flowing under two different names“, und es Ziel völkerrechtlicher Reformen sein müsse, die beiden zu vereinen.[17]

Dies war wiederum nicht die Intention Raphael Lemkins, der den legalistischen Ansatz der etablierten Völkerrechtswissenschaft, deren professionellen Apparat und die üblichen Methoden der Expertengremien eher verachtete.[18] Lemkin ist in den Londoner Exiljuristen-Debatten seltsam abwesend, obgleich sich spätestens nach Publikation seines Werkes Axis Rule in Occupied Europe Überschneidungen hätten ergeben müssen.[19] Lemkins Schrift von 1944 gilt heute zweifellos als Schlüsselwerk in der Debatte zur Zivilisierung von Kriegsgewalt, zum einen wegen des neuen Begriffes „Genozid“, den er in die Debatte einführte, aber auch aufgrund des umfangreichen Dokumentenapparats deutscher Verordnungen und Besatzungsrichtlinien, der die Herausbildung juristischer Gegenkonzepte und Ahndungsmechanismen erheblich erleichtert haben dürfte. Insbesondere die Darstellung der Besatzungspraktiken als Verschränkung aus politischer Unterdrückung, wirtschaftlicher Ausbeutung und kultureller Zerstörung nimmt in Lemkins Analyse breiten Raum ein, wohingegen der Holocaust zumindest umfangmäßig in dem 700-Seiten-Werk auffällig unterbelichtet bleibt, und dies ist umso bemerkenswerter, als ein Großteil von Lemkins Familie dem Holocaust zum Opfer fiel.[20] Lemkin betonte jedoch, auch wenn er den Rechtsbegriff des Genozids abstrakt formulierte, die Besonderheit des organisierten Judenmords als völkerrechtlichen Präzedenzfall[21], indem er formulierte:

„The treatment of the Jews in the occupied countries is one of the most flagrant violations of international law, not only of specific regulations of the Hague regulations, but also of the principles of the law of nations, as they have emerged from established usage among civilized nations, from the laws of humanity, and from the dictates of the public conscience – principles which the occupant is bound to respect.”[22]

Lemkins Schrift war zudem globaler ausgerichtet als die zeitgenössische alliierte Kriegsverbrecherpolitik: Während die Moskauer Erklärung dezidiert von „German atrocities“ sprach, lenkte Lemkin den Blick auf „Axis rule“, und damit auf Deutschlands willige Verbündete.[23] Eine weitere Besonderheit, so Annette Weinkes Analyse, ist Lemkins Betonung der NS-Besatzungspraxis, die in der Wortwahl stark an Beschreibungen des imperialer Herrschaft erinnerte.[24] Einen Unterschied zur Kolonialpraxis der Alliierten sah Lemkin indes vor allem darin, dass es den Nationalsozialisten nicht um utilitaristische Ziele wie Eroberung, Ausbeutung und Rekrutierung gegangen sei, sondern tatsächlich um Vernichtung und Neuordnung des Raumes nach völkisch-rassistischen Kriterien, sozusagen um eine „koloniale Ordnung neuen Typs“ (Weinke).[25] Weinke urteilt, Lemkins „Axis rule“ sei neben Henry Morgenthaus Plan zum Umgang mit dem nationalsozialistischen Deutschland „der vielleicht konsequenteste und radikalste Versuch, aus einer Analyse der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis Schlussfolgerungen für eine strafrechtliche Behandlung staatlicher Massengewalt zu ziehen.“[26] Folge der Debatten des Zweiten Weltkriegs führten jedoch auf eine Konzentration auf Individualisierung des Völkerrechts.[27]

“Die Entwicklung nicht mehr verfolgt“. Raphael Lemkin und Hermann Mosler

Es war eine der Schwächen der juristischen Debatte, dass sich die von Raphael Lemkin geprägten Begriffe „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Genozid“ zu zwei parallel genutzten Instrumenten entwickelten, obwohl Schwelb davor gewarnt hatte, sie als unterschiedliche Begriffe zu verwenden.  Crimes against humanity hat sich zu einem „präzisen, jedoch nicht immer eindeutigen juristischen Begriff im nationalen und internationalen Strafrecht entwickelt”.[28]

Die Zuständigkeit des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg umfasste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere Verfolgungen aus politischen, rassischen und religiösen Gründen. In der Praxis der alliierten und deutschen Nachkriegsprozesse wurde ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit jedoch meist nur als Nebenanklage zu konventionellen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden behandelt.  Mit diesem juristischen Kunstgriff sollte vermieden werden, in Konflikt mit der Doktrin der staatlichen Souveränität zu geraten. Dies war der Grund für Schwelbs Konflikt mit Raphael Lemkin und dessen Initiative für die Völkermordkonvention (1948), die Schwelb „als einen Rückschritt gegenüber dem Recht, wie es durch die Nürnberger Charta geschaffen wurde“, ansah.[29] Um eine flexible Völkerrechtslehre zu entwickeln, die bestehende Gewohnheiten und innerstaatliche Praktiken berücksichtigt, betonte er die Notwendigkeit, die beiden Säulen der UN-Charta – die souveräne Gleichheit und die Achtung der Menschenrechte – in ein Gleichgewicht zu bringen, eine Strategie, die anti-utopische Tendenzen im Liberalismus des Kalten Krieges widerspiegelt.[30]  Dies bedeutete jedoch, dass frühere juristische Zielvorstellungen  aufgegeben werden mussten, zum Beispiel die von Lauterpacht forcierte Idee eines internationalen Gerichtshofs, der über Menschenrechtsverletzungen urteilen sollte.

In einem Aufsatz stellte Schwelb fest, es sei unerheblich, ob ein Verbrechen vom Typ „Mord“ vor oder während des Krieges begangen worden sei.[31] Schwelb betonte, Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien ein Konzept, „eine Art Nebenprodukt des Krieges, das nur in Kriegszeiten gilt“.[32] Schwelb setzte damit eine Agenda für spätere UN-Resolutionen im Bereich der Menschenrechte und machte auch deutlich, dass es mit völkerrechtlicher Normsetzung nicht getan sei, wenn der Wille zur politischen Umsetzung fehle. 1946 kam er zu der weitsichtigen Prognose: “The task of making the protection of human rights general, permanent and effective still lies ahead.” Schwelb sah im System der UN (das die Souveränität der Staaten betonte) ein großes Problem bei der Umsetzung der Menschenrechte, welches nur durch supranationale Durchsetzungsmaßnahmen und eine rasche Anpassung an das nationale Recht umgangen werden könne. Er zeigte sich besorgt, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte dazu beigetragen habe, die Grenzen zwischen „verbindlichen Konventionen“ und „unverbindlichen Verlautbarungen“ zu verwischen.

Lemkin wiederum intervenierte nach 1954 auf verschiedenen Wegen für seine Position, da er befürchtete, es gebe „Schwierigkeiten“, wenn sich die Anwendung der Genozid-Konvention mit den Nürnberger Prinzipien vermische. In dieser Sache schrieb er am 25.2.1957 an Hermann Mosler, Direktor des Heidelberger Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, und forderte ihn auf, bei der Bundesregierung „für den Schutz der Konvention“ zu lobbyieren.[33] Er wisse sich in diesem Vorstoß mit seiner Kollegin Ellinor von Puttkamer einig, die 1936-1945 Referentin am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin gewesen war und dem Institut auch nach der Wiedergründung in Heidelberg eng verbunden blieb. Lemkin legte seinem Schreiben ein Memorandum in deutscher Sprache, betitelt „UNO Pläne zur Ersetzung der Völkermordkonvention durch eine Formulierung der Nürnberger Rechtsprechung“, bei.[34] Darin zeigte er sich besorgt über eine „verstümmelte Definition des Völkermordes“ durch die Nürnberger Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. An die deutsche Bundesregierung gerichtet, formulierte Lemkin mit Blick auf die Verbrechen gegen sogenannte Volksdeutsche nach 1945:

„Sollte aber der Nürnberger Begriff ‚Ausrottung‘ die Überhand nehmen, dann könnte Deutschland diesen Vertrag kaum in Bezug auf die Taten gegen die Deutschen in den Nachbarländern anwenden. Die Deutschen wurden in diesen Ländern als nationale ethnische Gruppe zerstört, nicht aber ausgerottet.“

Lemkins Hinweis ist bemerkenswert, zeigt er doch seinen universalistischen Anspruch und ein Bemühen, das Konzept völlig losgelöst vom Holocaust zu behandeln, was wiederum zu Konflikten mit der vorherrschenden Lesart und der Betonung der Nürnberger Prinzipien führte. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde erstmals im Rahmen des Eichmann-Prozesses 1961 in Jerusalem in vollem Umfang angewandt (und wurde somit untrennbar mit den Verbrechen des Holocaust verbunden).

Mosler schrieb erst verspätet und sehr abwartend zurück: „Ich bin vor einigen Jahren zur Zeit der Vorbereitung der Ratifikation der Konvention über das Genozidium im Auswärtigen Amt tätig gewesen und über den damaligen Stand der Fragen unterrichtet. Seitdem habe ich die Entwicklung nicht mehr verfolgt.“[35] Er versprach, sich in Bonn zu erkundigen, doch der Briefwechsel bricht an dieser Stelle ab. Mosler scheint in der Sache nichts weiter unternommen zu haben, auch gibt es bis in die 1990er Jahre weder Publikationen zum Thema, noch ein Völkerrechtsgutachten des Instituts. Dies entsprach durchaus dem Zeitgeist und den auch politisch gewünschten Bestrebungen, einen Schlussstrich zu ziehen – der „Heidelberger Juristenkreis“ oder das Tübinger Institut für Besatzungsfragen sind weitere Beispiel hierfür.[36]

Felix Lange betont, dass die Sozialisation im KWI sowie die Erfahrungen während des Krieges Mosler in seiner Haltung bestärkten, dass sich das MPIL an der Rechtspraxis orientieren und von „politisierend-theoretisierenden Strömungen fernhalten“ müsse, da er solche Strömungen für die Anlehnung an nationalsozialistische Rechtsvorstellungen verantwortlich machte.[37] Dies erklärt seine Zurückhaltung, sich auch jetzt nach dem Krieg, an der von Lemkin an ihn herangetragenen Debatte zu beteiligen. Erst nachdem die Diskussionen in anderen Fachgesellschaften bereits breit geführt worden waren, ausgehend von den Exiljuristen und dann, nach 1945, vor allem in den USA, beteiligten sich auch Forschende des MPIL an den Debatten.[38]

***

[1] Kerstin von Lingen, „Crimes against Humanity“. Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt, 1864–1945, Paderborn: Schoeningh 2018, 21; Sabina Ferhadbegovic/Kerstin von Lingen/Julia Eichenberg, The United Nations War Crimes Commission (UNWCC), 1943-1948, and the Codification of International Criminal Law: An Introduction to the Special Issue, JHIL 24 (2022), 305–314; vgl. insbes.: Julia Eichenberg, Crossroads in London on the Road to Nuremberg. The London International Assembly and its Sub-Commission on the Trial of War Criminals as a UNWCC predecessor, JHIL 24 (2022), 334–353, sowie die angekündigte Publikation: Julia Eichenberg, The London Moment. European Governments-in-exile during the Second World War, Habilitation HU Berlin.

[2] Vgl.: Raphael Schäfer, Humanität als Nicht-Prinzip. Anmerkungen zur Kriegsrechtsvorlesung von Ernst Martin Schmitz aus dem Jahre 1938, MPIL100.de.

[3] Beth van Schaack, The Definition of Crimes against Humanity: Resolving the Incoherence, Columbia Journal of Transnational Law 37 (1998/99), 787–850, 791.

[4] Kerstin von Lingen, Epistemic Communities of Exile Lawyers at the UNWCC, JHIL 24 (2022), 315-333.

[5] Van Schaack (Fn. 3), 789; Cherif M. Bassiouni beschreibt “crimes against humanity” als “product of exigent historical circumstances”: Cherif M. Bassiouni, “Crimes against Humanity”. The Need for a Specialized Convention, Columbia Journal of Transnational Law 31 (1993/94), 457–494, 472.

[6] Hierzu ausführlich: Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 262, Heidelberg: Springer 2017, 41–48.

[7] Zu den ersten substanziellen Publikationen zum Thema in der ZaöRV zählen: Stefan Oeter, Kriegsverbrechen in den Konflikten um das Erbe Jugoslawiens. Ein Beitrag zu den Fragen der kollektiven und individuellen Verantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, ZaöRV 53 (1993), 1–48, und: Karin Oellers-Frahm, Anmerkungen zur einstweiligen Anordnung des Internationalen Gerichtshofs im Fall Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien (Serbien und Montenegro) vom 8. April 1993, ZaöRV 53 (1993), 638–656.

[8] Kerstin von Lingen, Coining Postwar Justice from the Margins: Exile Lawyers in London, 1941–45, in: Ornella Rovetta/ Pieter Lagrou (Hrsg.), Defeating Impunity. Attempts at International Justice in Europe since 1914, War and Genocide Bd. 33, New York: Berghahn 2021, 64–90, 66; Mira Siegelberg, Unofficial Men, Efficient Civil Servants. Raphael Lemkin in the History of International Law, Journal of Genocide Research 15 (2013), 297–316, 304.

[9] Mira Siegelberg, The Via Media. Egon Schwelb’s Mid-Century Stoic Legalism and the Birth of Human Rights Law, in: James Loeffler/Moria Paz (Hrsg,), The Law of Strangers, Jewish Lawyers and International Law in the Twentieth Century, Cambridge: Cambridge University Press 2019, 143–166.

[10] Von Lingen (Fn. 4).

[11] Martti Koskenniemi, Lauterpacht: The Victorian Tradition in International Law, EJIL 2 (1997), 215–263, 228.

[12] Foto: © UN Photo/Marvin Bolotsky.

[13] Daniel Segesser/ Myriam Gessler, Raphael Lemkin and the International Debate on the Punishment of War Crimes (1919–1948), Journal of Genocide Research 7 (2005), 453–468.

[14] Helmut Aust, From Diplomat to Academic Activist. Andre Mandelstam and the History of Human Rights, EJIL 25 (2015), 1105–1121.

[15] Siegelberg, Unofficial Men (Fn.8); Daniel Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, in: Thomas Vormbaum (Hrsg.), Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007), 75–101, 93; Daniel Segesser, Der Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (NMT), in: Kim Christian Priemel/Alexa Stiller (Hrsg.), NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, Hamburg: Hamburger Edition 2013, 586–604, 589; hierzu ausführlich: Daniel Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen fachwissenschaftlichen Debatte 1872–1945, Krieg in der Geschichte Bd. 38, Der Weg zum Internationalen Strafgerichtshof – Eine Sackgasse? Die Debatte in Der Zwischenkriegszeit, 233–302.

[16] Eingehend hierzu in teilweise fiktionalisierter Form: Philippe Sands, East West Street: On the Origins of “Genocide” and “Crimes Against Humanity”, New York: Alfred A. Knopf, Penguin Random House 2016.

[17] Brief von Egon Schwelb an Sir Humphrey Waldock, datiert 7.06.1947, zitiert nach: Siegelberg, Unofficial Men (Fn. 8), 304.

[18] Siegelberg, Unofficial Men (Fn. 8), 307.

[19] Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe. Laws of Occupation, Analysis of Government, Proposals for Redress, Clark, NJ: Publications of the Carnegie Endowment for International Peace, Division of International Law 1944.

[20] Annette Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2016, 119.

[21] Seyla Benhabib, From “the Dialectic of Enlightenment” to “the Origins of Totalitarianism” and the Genocide Convention: Adorno and Horkheimer in the Company of Arendt and Lemkin, in: Warren Breckman et al. (eds.), The Modernist Imagination: Intellectual History and Critical Theory, New York: Berghahn 2009, 299.

[22] Lemkin (Fn. 19), 77; ebenso bei Weinke (Fn. 20), 119.

[23] Weinke (Fn. 20), 121.

[24] Auch im Folgenden hierzu: Weinke (Fn. 20), 121–122.

[25] Weinke (Fn. 20), 122.

[26] Weinke (Fn. 20), 124.

[27] Anne Peters, Before Human Rights. The Formation of the International Legal Status of the Individual, 1914– 45, in: Tom Sparks/Anne Peters (eds.), The Individual in International Law, Oxford: Oxford University Press 2024, 119–163.

[28] Michael Geyer, Crimes against Humanity, in: Gordon Martel, The Encyclopedia of War, Hoboken NJ: Blackwell 2012, DOI: 10.1002/9781444338232.

[29] Brief von Egon Schwelb an George Brand (UNWCC), datiert 18.11.1948, SOA 17/03, United Nationals Office at Geneva; siehe auch: Siegelberg, Via Media (Fn. 9), 153.

[30] Siegelberg, Via Media (Fn. 9), 145.

[31] Egon Schwelb, Material for the Preparation of a Definition of “Crimes Against Humantiy”, 22.03.1946, 14.

[32] Egon Schwelb, Crimes against Humanity, Oxford: Oxford University Press 1946, 206.

[33] Brief von Raphael Lemkin an Hermann Mosler, datiert 25.2.1957, II Rep 44, Nr. 1-10, AMPG.

[34] Raphael Lemkin, Memorandum „UNO Pläne zur Ersetzung der Völkermordkonvention durch eine Formulierung der Nürnberger Rechtsprechung“, II Rep 44, Nr. 1-10, AMPG.

[35] Brief von Hermann Mosler an Raphael Lemkin, datiert 9.4.1957, II Rep 44, Nr. 1-10, AMPG.

[36] Vgl.: Philipp Glahé, Amnestielobbyismus für NS-Verbrecher. Der Heidelberger Juristenkreis und die alliierte Justiz 1949-1955, Göttingen: Wallstein 2024; Philipp Glahé, The Heidelberg Circle of Jurists and Its Struggle against Allied Jurisdiction: Amnesty-Lobbyism and Impunity-Demands for National Socialist War Criminals (1949–1955), JHIL 21 (2019), 1–44.

[37] Lange (Fn. 6), 95.

[38] Vgl. Analyse bei: Ronen Steinke, The Politics of International Criminal Justice, Oxford: Hart Publishing 2012.

Umbrüche. Das Institut und das Ende des Kalten Kriegs

Upheavals. The Institute and the End of the Cold War

Deutsch

1. Die Westbindung des Instituts

Das Institut war nach dem zweiten Weltkrieg – so wie die Bundesrepublik Deutschland – fest im Westen verankert. Die Verbindungen nach Westeuropa waren geknüpft und wurden gepflegt, als besonderes Qualifikationsmerkmal am Institut galt ein Forschungsaufenthalt an einer US-Universität. Alle Institutsdirektoren seit Rudolf Bernhardt – mit der einzigen Ausnahme von Armin von Bogdandy – hatten, bevor sie einen Lehrstuhl erhielten, Forschungsaufenthalte an US-Universitäten absolviert. Wer eine Otto-Hahn-Medaille gewann, den zog es zumeist über den Atlantik. Rechtsvergleichende Arbeiten untersuchten fast immer auch das US-Verfassungsrecht und die Rechtsprechung des Supreme Court, und zwar zumeist als Vorbild und nicht als Gegenstand der Kritik. Das Rechtssystem der Vereinigten Staaten hatte einen großen Einfluss auf das am Institut gepflegte Rechtsverständnis.

Demgegenüber richtete sich der Blick des Instituts nur zögerlich nach Osten. Dies war in erster Linie den politischen Umständen geschuldet: Der Osten zeigte sich wegen der gravierenden Reisebeschränkungen für seine Bürger und auch für die Wissenschaftler für einen unmittelbaren Austausch nicht bereit. Die aus den osteuropäischen Ländern anreisenden Wissenschaftler traten als their political masters’ voice auf, sie verteidigten in unkritischer Weise das politische Handeln ihrer Regierungen und wurden als Juristen nicht ganz ernst genommen. Ein Studium der innerstaatlichen Verhältnisse der sozialistischen Staaten aus rechtswissenschaftlicher Sicht erschien unergiebig, weil das Recht für den Staat nur eine untergeordnete Rolle spielte und eine intellektuell herausfordernde Doktrin in diesen Ländern fehlte.

2. Die Öffnung zum Osten

Meinhard Hilf und sowjetische Völkerrechtler Mark Boguslavsky 1985 auf dem Institutskolloquium „Die Rechtsstellung von Ausländern nach staatlichem Recht und Völkerrecht“[1]

Erst seit den 1970er Jahren – einhergehend mit der Entspannungspolitik – wurden intensivere Kontakte in den Osten geknüpft, angefangen mit den von Professor Bernhardt organisierten deutsch-polnischen Juristentreffen; Polen hatten schon seit dieser Zeit immer wieder längere Forschungsaufenthalte am Institut absolviert, wie etwa Professor Zdzisław Kedzia und Privatdozent Jurek Kranz aus Posen (1986-1987). Seit den 1980er Jahren wurde auch ein Kontakt mit der Sowjetunion aufgebaut, auch ein Besuch der Sowjetunion durch eine Delegation des Instituts fand 1986 statt. Seit 1988 besuchten dann regelmäßig Gastwissenschaftler aus ganz Osteuropa das Institut, wie etwa Professor Arben Puto und Dr. Xhezair Zaganjori aus Albanien, der aufgehende Star der sowjetischen Rechtswissenschaft Gennadi Danilenko, dann Sergej Brutian und der spätere Mitarbeiter des Instituts Tigran Beknazar Jusbaschew. Der Direktor des Instituts für Staat und Recht der Akademie der Sowjetunion Boris Nikolaevich Topornin kam ebenfalls immer häufiger nach Heidelberg, merkte aber gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen an, dass Einladungen an Mitarbeiter des Instituts für Staat und Recht in Moskau über seinen Schreibtisch zu gehen hätten und keinesfalls unmittelbar an die Eingeladenen gerichtet werden dürften; das entsprach allerdings nicht der Praxis des Max-Planck-Instituts.

Die Besucher insbesondere aus den stärker abgeschotteten Staaten wie der Sowjetunion oder Albanien brachten zumeist ein ideologisch vorgefertigtes Bild von den kapitalistischen Ländern mit, das nicht immer der Überprüfung durch die Wirklichkeit standhielt, so dass es manche Überraschungserlebnisse gab. Ein sowjetischer Wissenschaftler ging davon aus, dass in Bayern im Wesentlichen Nazis lebten, die immer noch Jagd auf Russen machten; ein anderer hielt die rechtsextremistische National- und Soldatenzeitung, die er regelmäßig las, für den wahren Spiegel des deutschen Denkens. Den Albanern erschien unheimlich, dass in Deutschland ein überwiegend vernichtendes Urteil über den großen Vorsitzenden Mao Tse Tung vorherrschte.

Der erste Rechtswissenschaftler aus der DDR, der 1989 an einer Konferenz am Institut teilnahm, wurde bestaunt wie auf einer Völkerschau. Erst langsam wurde der Kulturschock nach dem Aufeinandertreffen zweier gegeneinander isolierter Welten überwunden. Mit den Gästen aus Ostmitteleuropa wie Jurek Kranz aus Polen, Balthasar Nagy aus Ungarn, die leichter in die Bundesrepublik Deutschland kamen als Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit aus der DDR, begann ein reger Austausch, auch über die Möglichkeiten einer Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen, oft bei einem köstlichen ungarischen Essen, das László Bodnár mit Meisterschaft – bisweilen über einen ganzen Tag – für größere Gruppierungen zwischen 15 und 20 Personen vorbereitete.

3. Die „deutsche Frage“ und ihr Verschwinden

Wissenschaftlich beschäftigte man sich am Institut mit den Gegebenheiten des Kalten Krieges in erster Linie im Umfeld der „deutschen Frage“, zu deren Beantwortung insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren sehr elaborierte Konstruktionen entwickelt wurden, welche einerseits die friedliche Koexistenz und andererseits ein Festhalten an der künftigen Wiedervereinigung ermöglichten. Die Ostverträge und der Grundlagenvertrag hatten, so wird berichtet, am Institut zu sehr lebhaften Diskussionen geführt, aber seit den 1980er Jahren hatte man sich in die Gegebenheiten gefügt. Die „Deutschlandfrage“ verschwand aus dem Blickpunkt der Forschung, wie sich an der abnehmenden Zahl an Publikationen zu diesem Thema ablesen lässt. Nur einzelne Fragen – wie etwa die Staatsangehörigkeitsfrage, welche in dem Teso-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eingehend behandelt wurde – führten noch einmal zu wissenschaftlichen Äußerungen. Einzelne Mitglieder des Instituts hielten an der Hoffnung auf Wiedervereinigung fest. An erster Stelle ist hier Privatdozent Theodor Schweisfurth (später Professor an der Viadrina in Frankfurt an der Oder), spezialisiert im Ostrecht, zu nennen, der mit sehr profunden Kenntnissen und aus einem Patriotismus im guten Sinne die deutsche Teilung als etwas zu Überwindendendes behandelte. Er war Sozialdemokrat, verließ die Partei aber in den 1980er Jahren, weil sie die Wiedervereinigung nicht weiter verfolgte. Auch Professor Karl Doehring, ein erklärter Konservativer, sah die deutsche Teilung nicht als von der Geschichte vorgeben an und hielt diesen Zustand auch wegen der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts für völkerrechtswidrig. Zu einer bemerkenswerten Begebenheit, 1987 oder 1988, geriet ein Vortrag von Professor Wolfgang Seiffert. Dieser Wissenschaftler hatte einen sehr farbigen Lebenslauf mit Jugendjahren in der Sowjetunion, einem Gefängnisaufenthalt in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren wegen subversiver Tätigkeiten, einem steilen Aufstieg zum Leiter der Rechtsabteilung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und schließlich der überraschenden Übersiedlung in die Bundesrepublik 1978, wo er Professor für Ostrecht an der Universität Kiel wurde. Er war ein entschiedener Verfechter der Wiedervereinigung und legte in seinem Vortrag dar, dass diese bevorstehe, weil auch in der DDR der Glaube an die geschichtliche Zwangsläufigkeit einer deutschen Teilung schwinde. Solche Worte klangen Ende der 1980er Jahre ungewohnt und trafen bei den Zuhörern auf ungläubiges Staunen, das dann in heftige Kritik umschlug, um in einem hochemotionalen Streitgespräch zu enden; Professor Seiffert wurde als ein Phantast gesehen, der eine gefährliche Unruhe in den akzeptierten Status quo trug. Tatsächlich war dieses Ereignis symptomatisch für die Einstellung am Institut. Für die deutsche Wiedervereinigung galt das Umgekehrte des berühmten Satzes von Gambetta über Elsass-Lothringen nach 1871: „On en parlait toujours, mais on n’y pensait jamais“. Sie lag wie die Wiederkunft des Messias in einer fernen Zukunft, die niemand erleben würde. Professor Seiffert, welch Ironie der Geschichte, kooperierte später eng mit dem Institut, als dieses unter der Federführung von Professor Wolfrum in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Instituts für Staat und Recht in Moskau, Professor Topornin, einen Kurs im öffentlichen Wirtschaftsrecht anbot.

4. Der Mauerfall als grundgesetzlich vorgesehenes, aber tatsächlich unvorhergesehenes Ereignis

Hat 1972 allenfalls das Potenzial zum schlechten Scherz: Das Ende des Kalten Krieges[2]

Der Fall der Mauer hat alle überrascht, wahrscheinlich auch, weil – in Umkehr des berühmten Ulbricht-Satzes – niemand die Absicht hatte, die Mauer einzureißen. Die eingehende theoretische Beschäftigung mit der Deutschlandfrage hatte nicht dazu geführt, dass die praktisch eingetretenen Ereignisse vorausgeahnt, geschweige denn vorausgesagt, worden sind. Dass eintreten konnte, was grundgesetzlich vorgesehen war, nämlich die Wiedervereinigung, überstieg dann doch die Vorstellungskraft. Der Verfasser dieser Zeilen weilte am 10. Oktober 1989 in Dresden, das an diesem Tag von gepanzerten Fahrzeugen umstellt war, und er fragte sich, ob die dortige Demonstration in einem Blutbad oder als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ (Hegel) enden würde; noch einen Monat vor dem Fall der Mauer war für ihn der Lauf der Geschichte nicht absehbar. Die Hegelsche Eule der Minerva begann auch dieses Mal ihren Flug erst in der Dämmerung, und so lag denn auch beim Institut kein Plan in der Schublade, wie die sich überschlagenden Ereignisse juristisch eingefangen werden konnten. Klar war nur, dass alle am Institut und damit auch das Institut selbst die Wiedervereinigung sehr begrüßten. Kritische Stimmen – seinerzeit auch in der deutschen Gesellschaft hier und dort zu hören, zumeist wegen der zu erwartenden Kosten, teilweise auch wegen der außenpolitischen Implikationen – fanden sich am Institut nicht. Bei den ausländischen Gästen wurde die ungetrübte Euphorie nicht überall geteilt. Manche befiel ein etwas mulmiges Gefühl wegen einer möglichen deutschen Übermacht auf dem europäischen Kontinent; dazu wurde der Ton gesetzt von Margret Thatcher, François Mitterand und Giulio Andreotti. Polnische Gäste bemängelten, dass die Regierung Kohl sich erst nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zu einer klaren Festlegung der Ostgrenze gegenüber Polen verstand. (Wobei anzumerken ist, dass wegen des Viermächtevorbehaltes für Fragen, die Deutschland als Ganzes betrafen, wozu auch alle Territorialfragen gehörten, Deutschland tatsächlich erst nach dem Ende der Besatzungsregelungen über sein Gebiet verfügen konnte.)

5. Wechselwirkungen zwischen Mauerfall und Institut

Wozu nach Berlin? Kaffeepause im Institut, 1986[3]

Die Ereignisse um den 9. November 1989 beeinflussten das Institut, indem die schon lange schwebende Frage nach einem Institutsneubau mit der Suche nach einem Bauplatz in Berlin beantwortet werden sollte. Hierfür machten sich in den Tagen des Novembers insbesondere Theodor Schweisfurth, Georg Nolte und der Verfasser dieses Beitrags stark. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass der Vereinigungsprozess noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde – von einer schnellen Wiedervereinigung sprach noch niemand, eher von konföderalen Lösungen und einer schrittweisen Annäherung, und darauf könnte die am Institut versammelte Expertise Einfluss nehmen. Die Diskussion gewann – was sonst am Institut eher selten vorkam – auch eine emotionale Tonlage, die ihren höchsten Ausdruck in Theodor Schweisfurths Ausruf fand: „Es kann doch nicht sein, dass das Völkerrechtsinstitut in den Gebäuden des Berliner Schlosses seinen Anfang nahm, um dann im Heidelberger Campus neben einer Müllverbrennungsanlage zu enden.“ Schließlich siegte, wie häufig in solchen Fragen, das Beharrungsvermögen des status quo über die neue Idee. Unter Hinweis auf die, allerdings auch in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden, nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter aus Handschuhsheim und anderen Gegenden Heidelbergs, denen verständlicherweise ein Umzug nach Berlin nicht zumutbar war, wurde von einer Verlegung des Instituts nach Berlin abgesehen. Wie sehr bei dieser Entscheidung auch die Entfernung von Berlin nach Straßburg eine Rolle spielte, wo das Institut in den Organen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs prominent vertreten war – Professor Bernhardt als Richter, Professor Frowein in der Kommission – vermag der Autor nicht zu sagen.

Wenn also die Ereignisse des 9. November 1989 die Diskussion des Instituts beeinflussten, ist unbekannt, ob umgekehrt das Institut auch den Lauf der Ereignisse beeinflusste. Diese überstürzten sich derart, dass eine eingehende Beratung gar nicht möglich war. Die Schnelligkeit der Veränderungen vertrug die wissenschaftliche Bedächtigkeit nicht. Wieweit über den wissenschaftlichen Beirat des Auswärtigen Amtes Mitglieder des Instituts ihren Rat anboten, ist dem Verfasser dieses Beitrags unbekannt. Aufsätze zur Wiedervereinigung finden sich in der ZaöRV erst im Band 51 aus dem Jahr 1991.

6. In orientem lux

Allerdings wurde nach der Wiedervereinigung sehr aktiv der Aufbau der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Demokratien betrieben. Georg Nolte ging als junger Wissenschaftler an die juristische Fakultät in Leipzig und wirkte an ihrer Neugestaltung mit. Mitarbeiter reisten in viele mittel- und osteuropäische Länder zu Beratungen über Verfassungen, Verfassungsgerichtsbarkeit und Europarecht. Der Autor verbrachte vier Monate am Institut für Staat und Recht in Moskau, was die Grundlage für spätere Beratungstätigkeiten am russischen und ukrainischen Verfassungsgericht schuf. Das ukrainische Verfassungsgericht – einzelne Richter, Richterdelegationen oder die wissenschaftlichen Mitarbeiter – wurde zum regelmäßigen Gast am Institut, wo gemeinsame Kolloquien oder Seminare abgehalten oder rechtliche Problemstellungen in der Ukraine unter Heranziehung der Rechtsvergleichung erörtert wurden.

Viele Personen aus den Umbruchsländern, welche am Institut als Gäste forschten, machten in den darauffolgenden Jahren bemerkenswerte Karrieren – um nur einige Beispiele zu nennen: Hanna Suchocka wurde polnische Ministerpräsidentin, Krysztov Skubiszewski polnischer Außenminister, Jurek Kranz polnischer Botschafter in Deutschland, Xhezair Zaganjori albanischer Botschafter in Deutschland, später Präsident des Verfassungsgerichts und dann des Obersten Gerichts, Ineta Zimele wurde lettische Verfassungsrichterin, Richterin am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und am Europäischen Gerichtshof, Pavel Holländer tschechischer Verfassungsrichter, Alexander Brösel slowakischer Verfassungsrichter, Pál Sonnevend Berater des ungarischen Verfassungsgerichtspräsidenten und dann des ungarischen Präsidenten László Sólyom. Auf diese Weise wurden die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und des akademischen Austauschs am Institut in viele Länder in den Aufbaujahren getragen.

7. Das Ende des Falles und der Morgen danach

Die Konzentration des Instituts auf die Reformländer Ost- und Mitteleuropas endete zu Beginn des neuen Jahrtausends; zwar wurde weiter eine intensive Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Rechtspraktikern aus diesen Ländern gepflegt, aber nicht mehr mit demselben Vorrang, andere Weltgegenden wie insbesondere Lateinamerika rückten regional stärker in den Fokus, thematisch die Integration Europas und der Kampf gegen den Terrorismus. Immerhin wurde 2012 noch die virtuelle russischsprachige Zeitschrift Дайжест публичного права (Digesten des öffentlichen Rechts) ins Leben gerufen, in welcher Tigran Beknazar Jusbaschew deutsche Artikel in russischer Sprache veröffentlichte und die bis zu ihrer Einstellung 2024 zu einem im russischsprachigen Raum sehr nachgefragten Journal wurde.

Heute erinnert das größte Kunstwerk am Institut, gleich am Eingang, das fast 15 qm große Ölgemälde „Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach“, bildgewaltig an den Mauerfall als den Anfangspunkt der hier geschilderten Ereignisse, die die Tätigkeit des Instituts über ein Jahrzehnt prägten und damit auch Teil der Institutsgeschichte wurden. Angesichts fortdauernder Krisen – der Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie imperialistischer Kriege – dauert dieser Morgen nach dem 9. November 1989 in vielen dieser Länder bis heute an.

[1] Foto: MPIL.

[2] Bibliotheksmitarbeiterin Frau Kalt, 1972; Foto: MPIL.

[3] Mit: Margot Lintaller, Sabine Thomsen, Werner Morvay, Peter Lawrence, Robert Heuser, Robert Hollweg; Foto: MPIL.

English

1. The Institute’s Westbindung

After the Second World War, the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) – like the Federal Republic itself – was firmly anchored in the West. Connections to Western Europe were established and maintained, and a research stay at a US university was considered a special qualification at the Institute. All MPIL directors since Rudolf Bernhardt – with the sole exception of Armin von Bogdandy – have been on research stays at US universities before being awarded an academic chair. Those who won an Otto Hahn Medal were usually drawn across the Atlantic. Comparative studies rarely failed to analyse US constitutional law and the jurisprudence of the Supreme Court and usually considered them a model rather than an object of criticism. The legal system of the United States had a major influence on the understanding of law cultivated at the Institute.

In contrast, the MPIL was hesitant to look eastwards. This was primarily due to the political circumstances: The East was not prepared for a direct exchange, not least due to the severe travel restrictions imposed on its citizens, including its academics. Those academics who did visit from Eastern European countries acted as their political masters’ voice: they uncritically defended the political actions of their governments and were thus not taken very seriously as legal scholars. Additionally, studying the domestic conditions of the socialist states from a jurisprudential perspective seemed unproductive because the law only played a subordinate role in these systems and they thus lacked intellectually challenging legal doctrine.

2. The Opening to the East

Meinhard Hilf and Soviet international law scholar Mark Boguslavsky at the Institute’s colloquium “The Legal Status of Foreigners under National and International Law”[1]

It was not until the 1970s – in line with the policy of détente – that more intensive contacts with the East were established, starting with the German-Polish law expert meetings organised by Professor Bernhardt. Since then, Poles regularly came to the Institute for extended research stays, as exemplified by Professor Zdzisław Kedzia and university lecturer Jurek Kranz from Poznan (1986–1987).  Since the 1980s, contact with the Soviet Union was established as well and a delegation from the Institute first visited the country in 1986. Since 1988, visiting academics from all over Eastern Europe regularly came to  the Institute, such as Professor Arben Puto and Dr Xhezair Zaganjori from Albania, the rising star of Soviet jurisprudence Gennady Danilenko, then Sergei Brutian and Tigran Beknazar Yuzbashev, who would later go on to work at the MPIL. Boris Nikolaevich Topornin, Director of the Institute for State and Law of the Academy of Sciences of the Soviet Union, also travelled to Heidelberg more and more frequently, but remarked to the author of these lines that invitations to employees of his Moscow Institute had to go through him and should never be addressed directly to the invitees; a proposal which did not correspond to the practice of the Max Planck Institute.

Visitors, particularly those from the more isolated states such as the Soviet Union or Albania, usually brought with them an ideologically preconceived image of capitalist countries that did not always stand up to scrutiny by reality, resulting in some surprising experiences: One Soviet scholar assumed that population of Bavaria essentially consisted of Nazis still on the hunt for Russians; another considered the right-wing extremist National- und Soldatenzeitung (“National and Soldier newspaper”), which he read regularly, to be the true mirror of general German thought. The Albanians found it uncanny that the prevailing judgement of the great Chairman Mao Tse Tung in Germany was largely negative.

The first legal scholar from the GDR to take part in a conference at the Institute in 1989 was marvelled at like a rare attraction at a human zoo. The culture shock after the clash of two worlds, that had long been isolated from each other, was only slowly overcome. Guests from Central and Eastern Europe, such as Jurek Kranz from Poland and Balthasar Nagy from Hungary, who were able to visit the Federal Republic more easily than those with German citizenship from the GDR, participated in a lively exchange at the Institute, including about the possibilities of a rapprochement between the East and the West. Those conversations often took place over delicious Hungarian food, which Laszlo Bodnár prepared with mastery –sometimes over a whole day – for larger groups of between 15 and 20 people.

3. The “German Question” and its Disappearance

Academically, the Institute dealt with the circumstances of the Cold War primarily in the context of the “German question”. In order to answer it, enabling peaceful coexistence on the one hand and adherence to future reunification on the other, very elaborate constructions were developed, particularly in the 1960s and 1970s. It is reported that the so called Ostverträge (“Eastern treaties”) and the Grundlagenvertrag (Basic Treaty) had led to very lively discussions at the Institute, but since the 1980s, people had come to terms with the circumstances. The “German question” was no longer the focus of the MPIL’s research, as can be seen from the decreasing number of publications on this topic. Now, scholarly attention was merely given to specialised questions – such as the issue of citizenship, which was dealt with in detail in the Teso decision of the Federal Constitutional Court. Yet, individual members of the Institute held on to the hope for reunification. First and foremost, private lecturer Theodor Schweisfurth (later professor at the Viadrina in Frankfurt an der Oder), who specialised in Eastern European law, should be mentioned here: With very profound knowledge and patriotism, he treated the division of Germany as something to be overcome. Schweisfurth was a Social Democrat, but left the Social Democratic Party of Germany (SPD) in the 1980s because it did not further pursue reunification. Professor Karl Doehring, an avowed conservative, did not see the division of Germany as predetermined by history either and considered this state of affairs to be contrary to international law due to a violation of the right to self-determination. A lecture by Professor Wolfgang Seiffert in 1987 or 1988 was a remarkable event: This academic had a very colourful curriculum vitae with his youth spent in the Soviet Union, a prison term in the Federal Republic in the 1950s for subversive activities, a steep rise to become head of the legal department of the Council for Mutual Economic Assistance, and finally the surprising move to the Federal Republic in 1978, where he became Professor of Eastern European Law at the University of Kiel. He was a staunch advocate of reunification and explained in his lecture that it was imminent because even in the GDR the belief in the historical inevitability of German division was fading. Such words sounded unusual at the end of the 1980s and were met with incredulous amazement by the audience, which then turned into fierce criticism and ended in a highly emotional debate; Professor Seiffert was seen as a fantasist who was bringing dangerous unrest to the accepted status quo. In fact, this event was symptomatic of the attitude at the institute. The prevailing view of German reunification at the time can be described by the inversion of Gambetta’s famous phrase about Alsace-Lorraine after 1871: “On en parlait toujours, mais on n’y pensait jamais” – like the return of the Messiah, it lay in a distant future that no one would live to see. Professor Seiffert – what an irony of history – later cooperated closely with the Institute when it offered a course in public commercial law under the leadership of Professor Wolfrum in collaboration with the Director of the Institute for State and Law in Moscow, Professor Topornin.

4. The Fall of the Berlin Wall. Foreseen by the Constitution but not in Actuality

A tired joke, at best, in 1972: The end of the Cold War [2]

The fall of the Berlin Wall took everyone by surprise, probably in part because – in a reversal of Ulbricht’s famous statement – nobody had any intention of tearing down the wall. The in-depth theoretical examination of the German question had not led to the events that occurred in practice being anticipated, let alone predicted. The fact that what was intended for by the Federal Republic’s Constitution, reunification, could actually materialise was beyond anyone’s imagination. The author of these lines spent 10 October 1989 in Dresden, which was surrounded by armoured vehicles on that day, and he wondered whether the demonstration there would end in a bloodbath or as “progress in the consciousness of freedom” (Hegel); even a month before the fall of the Wall, he could not foresee the course of history. Once again, Hegel’s owl of Minerva only began its flight at dusk, and so the MPIL had no plan drawn up as to how the unfolding events could be addressed legally. The only thing that was clear was that everyone at the Institute, and thereby the Institute itself, very much welcomed the reunification. Critical voices – which could be heard here and there in German society at the time, mostly because of the expected costs, sometimes also because of the foreign policy implications – did not find an open ear at the Institute. Yet, the unclouded euphoria was not universally shared by the foreign guests. Some felt a little uneasy about the possibility of German superiority on the European continent; the tone was set by Margret Thatcher, François Mitterand, and Giulio Andreotti. Polish guests criticised the fact that the Kohl government was only able to agree on a clear definition of the Eastern border with Poland after the Two Plus Four Treaty. (It should be noted, however, that due to the four-power reservation for issues affecting Germany as a whole, which included all territorial issues, Germany could actually only dispose of its territory after the end of the occupation regulations).

5. The Fall of the Berlin Wall and the Institute

Why go to Berlin? Coffee break at the Institute, 1986[3]

The events around 9 November 1989 influenced the Institute directly insofar that the long-pending question of a new institute building was to be answered with the search for a building site in Berlin. In the following weeks, Theodor Schweisfurth, Georg Nolte, and the author of this contribution were particularly avid supporters of this. The underlying idea was that the unification process would take some time – no one was talking about a quick reunification yet, but rather about confederal solutions and a gradual rapprochement – and the expertise gathered at the Institute could influence it. The discussion also took on an emotional tone, something that otherwise rarely happened at the Institute, which found its highest expression in Theodor Schweisfurth’s exclamation: “It’s inconceivable that the International Law Institute should have started in the buildings of the Berlin Palace only to end up on the Heidelberg campus next to a waste incineration plant.” In the end, as is often the case in such matters, the inertia of the status quo won out over the new idea: With reference to the non-scientific staff from Handschuhsheim and other areas of Heidelberg – whose importance should indeed not be underestimated – who could not reasonably be expected to move to Berlin, the decision was made not to relocate the institute. The author is unable to determine to what extent the distance from Berlin to Strasbourg, where the Institute was prominently represented in the organs of the European Court of Human Rights – Professor Bernhardt as a judge, Professor Frowein in the Commission – played a role in this decision.

While the events of 9 November 1989 influenced the Institute’s discussions, it is not known whether, conversely, the Institute influenced the course of events of the reunification process. Things happened so quickly that it was impossible to hold in-depth discussions. The speed of the changes was not compatible with scientific deliberation. The author of this article does not know to what extent members of the Institute offered their advice via the Scientific Advisory Council of the Federal Foreign Office. Articles on the German reunification can be found in the Institute’s Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV; English title: Heidelberg Journal of International Law, HJIL) only from volume 51 of 1991 onwards.

6. In orientem lux

However, after reunification, the establishment of the rule of law in the new democracies was very actively pursued. Georg Nolte joined the law faculty in Leipzig as a young academic and was involved in its reorganisation. MPIL members travelled to many Central and Eastern European countries for consultations on constitutions, constitutional jurisdiction, and EU law. The author spent four months at the Institute for State and Law in Moscow, which laid the foundation for later consultancy work at the Russian and Ukrainian Constitutional Courts. Representatives of the Ukrainian Constitutional Court – individual judges, delegations of judges and academic staff – became regular guests at the Institute, where joint colloquia and seminars were held and legal problems Ukraine was facing were discussed from a comparative legal perspective.

Many scholars from these transitioning countries who came to the MPIL as guest researchers went on to make remarkable careers in the years that followed – to name just a few examples: Hanna Suchocka became Polish Prime Minister; Krysztov Skubiszewski Polish Foreign Minister; Jurek Kranz Polish Ambassador to Germany; Xhezair Zaganjori became Albanian Ambassador to Germany, later President of the Constitutional Court and then of the Supreme Court; Ineta Zimele became a Latvian constitutional judge, judge at the European Court of Human Rights, and the European Court of Justice; Pavel Holländer Czech constitutional judge; Alexander Brösel Slovakian constitutional judge; Pál Sonnevend became advisor to the President of the Hungarian Constitutional Court and then to Hungarian President László Sólyom. In this way, the results of scientific research and academic exchange at the Institute were carried to many young nations.

7. The End of the Fall and the Morning After

The Institute’s focus on the reforming countries of Eastern and Central Europe ended at the beginning of the new millennium; although intensive cooperation with scholars and legal practitioners from these countries continued, it was no longer given the same priority. Other parts of the world, in particular Latin America, became more of a focus, as did European integration, and the fight against terrorism. Nevertheless, in 2012, the virtual Russian-language journal Дайжест публичного права (Digests of Public Law), in which Tigran Beknazar Yuzbachev published German articles in Russian, was launched and became a very popular journal in the Russian-speaking world until it was discontinued in 2024.

Today, the largest artwork at the Institute, the almost 15 square metre oil painting „Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach“ (“9 November 1989 in Deuna, the morning after”), is a powerful reminder of the fall of the Berlin Wall as the starting point of the events described here, which shaped the Institute’s activities for over a decade and thus also became part of the Institute’s history. In the face of ongoing crises – the threat to democracy and the rule of law as well as imperialist wars – in many of the aforementioned countries, this metaphorical morning after the events of 9 November 1989 continues to this day.

[1] Photo: MPIL.

[2] Library employee Mrs. Kalt, 1972; Photo: MPIL.

[3] With: Margot Lintaller, Sabine Thomsen, Werner Morvay, Peter Lawrence, Robert Heuser, Robert Hollweg; Photo: MPIL.

Letters from Zagreb. Juraj Andrassy and the MPIL

In modern and contemporary times, it is not often that one can encounter someone who was a true pioneer. However, for education in public international law at Croatian universities, Juraj Andrassy was the first one in many aspects. A pioneer and a Nestor, the first appointed professor of international law as a designated field, not in combination with another legal discipline, at the Faculty of Law of the University of Zagreb.[1] While the Zagreb Faculty of Law has an unbroken continuity of almost 250 years (the higher education in law in Zagreb started in 1776 and has since continued uninterrupted, despite all changes in legal structure and political circumstances over the two and a half centuries), before Andrassy became a professor of international law, this field had always been joined in with other disciplines such as legal history or constitutional law.

Juraj Andrassy was born in Zagreb on 12 August 1896. His father, Ljudevit Andrassy, was a professor of Roman law at the Zagreb Faculty of Law. Young Juraj followed in the choice of his career, receiving his doctoral title in 1919. Soon after, Andrassy went to Paris, where he studied public law, focusing especially on public international law. Andrassy then moved back to Zagreb, where he started his academic path at the Zagreb Faculty of Law, which would remain his main occupation until the end of his life in 1977.[3]

Portrait of Juraj Andrassy as a young man (undated, painter: Slavko Tomerlin)[4]

In his capacity as professor of international law, Andrassy created what has remained the curricular foundation of education in public international law in Croatia, and even in ex-Yugoslavia, to this day. This included the first postgraduate programme in international (public and private) law and the first textbook on international law written in Croatian language for purposes of education of lawyers.[5] Although significantly revised by his successors at the Zagreb Chair for International Law in light of progressive developments of international law, the structure of this book still provides a basis for the organisation of the Croatian system of general international law. Based on this work, but also his scientific and lexicographical work, Andrassy can be rightfully credited for creating Croatian international law terminology.[6] His names for various legal concepts in international law remain in use by Croatian internationalists and have passed the test of time and usage.

On the international level, Andrassy was a member of the most important learned societies of international law, including the Institut de Droit International, where he became an associate member in 1952, and a full member in 1961.[7] As a member of the Institute, Andrassy twice served as a rapporteur on two different, although somewhat connected resolutions, first on the topic of utilisation of non-maritime international waters (except for navigation) and the second time on measures concerning accidental pollutions of the seas. His reports on both topics resulted in extensive discussions and comments from some of the most eminent international lawyers of the time, finally ending in the adoption of resolutions by the Institute’s plenum in 1961[8] and 1969[9], respectively. Over the years, Andrassy served two terms as vice-president and was elected president of the Institute in 1969. In 1971 he organized the only session of the Institute held in Zagreb up until today.

Juraj Andrassy and the MPIL. A Long and Determined Relationship

Juraj Andrassy and Helmut Strebel at the Institute’s conference on “Judicial Settlement” in 1972[10]

Andrassy’s association with the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) was mostly from a distance due to his commitments in Zagreb, however it remained long lasting and determined. First occasions of cooperation can be traced back to a time that was significant both for the MPIL and for Andrassy himself: In 1951, Andrassy lectured at The Hague Academy for International Law for the second time. At the same time, the MPIL in Heidelberg was going through the first years of its reestablishment after the end of the Second World War and the process of (re-)connecting with colleagues in Europe and beyond. Andrassy’s topic that summer was Les relations internationales de voisinage (“The international relations of neighbourhood”)[11], a concept that he had dealt with across various fields of international law. It was likely in The Hague, that MPIL-Associate and long-standing editor of the its publications, Helmut Strebel, first met Andrassy.[12] Immediately after the summer, in early October of the same year, Strebel wrote to Andrassy inquiring whether he would be willing to write two contributions for the Zeitschrift für ausländisches öffentlisches Recht und Völkerrecht (ZaöRV, English title: Heidelberg Journal of International Law, HJIL).[13] Andrassy gladly accepted both offers.[14]

The first one of these is an article accompanying the translation (also provided by Andrassy) of Chapter XI of the Yugoslav Criminal Code (Krivični zakon) of 1951, which constituted a national codification of public international law, such as crimes against humanity. Chapter XI of the Code encompasses ten articles, establishing criminal liability in Yugoslav law of the time for, inter alia, genocide, war crimes, and crimes against cultural heritage. Andrassy, however, in his contribution accompanying the translation, did not restrict himself to providing a commentary or contextualization of the translated Chapter XI, but rather provided a review of public international law aspects of various parts of the Yugoslav Criminal Code, identifying and explaining international legal aspects of it.[15] In the correspondence between Strebel and Andrassy from around the time when this article was published in the HJIL and in Andrassy’s own work one cannot find a direct answer to the question of motivation, namely why Strebel asked Andrassy to write on a topic that was not in the focus of Andrassy’s interest at the time. However, some answers can be deduced from the letters exchanged between the two international law scholars: In these letters, Andrassy and Strebel are discussing the validity of laws in Yugoslavia during, before, and after the occupation of the country during the Second World War.[16] At first glance, one might think that Strebel just had an interest in the emerging postwar Yugoslav legal system. However, one can speculate about another reason, although there are no concrete clues or explicit evidence in the correspondence itself. At the time, the question of war crimes was still the topic of the day, which many international and public lawyers dealt with, as evidenced, inter alia, by the existence of the Institut für Besatzungsfragen (Institute for Occupation Studies), the Heidelberger Juristenkreis and other similar groups in German legal scholarship at the time.[17]

The second, smaller, contribution by Andrassy was a book review. The book, Grundprinzipien des modernen zwischenstaatlichen Nachbarrechts by Hans Thalmann, was published in Zürich in 1951.[18] Andrassy, who himself was a pioneer in the field that Thalmann chose as a main topic of his dissertation, was, judging by his comments in the review, glad to see, read, and review a book by another, as Andrassy himself called him, “pioneer in the field”. Both this review of Thalmann’s book[19] and the aforementioned article were published in HJIL volume 14, the journal’s second postwar volume, dated 1951, but effectively published only in the first months of the following year, 1952.

The correspondence between Strebel and Andrassy continued and in 1953, Andrassy again published an article in the HJIL, this time on another topic, which, at the time, represented an intriguing novelty, while today it can be considered mainly of interest for the history of international law: In February 1953, the so-called Balkan Entente Pact made international headlines. It was an international cooperation and assistance treaty between Yugoslavia, Greece, and Turkey. Considering both the historical and then-recent experiences with difficult relations between the three states, the Pact, which set a tone of peacefulness, coexistence, and cooperation (especially in the light of a USSR aggression that the three signatory states feared) between them, was a significant event. The HJIL editors, almost immediately after the news on the signing of the Pact broke, decided on publishing its integral text (in French). At the same time, they needed a competent international lawyer to provide a commentary to the text. Andrassy accepted their invitation, and his commentary was published accompanying the translation, involving meticulous analysis and carefully formulated conclusions.[20]

In 1958, Andrassy published his longest and most comprehensive contribution to the HJIL. The article, which opened volume 19 of the journal, bears the title Betrachtungen über die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (“Considerations on the jurisdiction of the International Court of Justice”).[21] In it, Andrassy studiously develops the theory of jurisdiction of the International Court of Justice, a topic that he investigated for many years: Exactly ten years earlier, he had published a book in Croatian, titled Međunarodno pravosuđe (“International Judiciary”)[22], that discussed similar topics at greater length. His theory, as presented in the article, encompasses a model based on the distinction between functional and treaty-based jurisdiction, aligned with the more traditional divide between jurisdiction ratione personae and ratione materiae.

Over the years, Andrassy published a handful more book reviews in the HJIL: In 1955[23] a review of a book on the law of the sea by Milovan Zoričić, the only Croat that has ever sat on the bench of the International Court of Justice, and a further review in 1958[24].

In 1966, Andrassy published his final contribution to the Journal, this time in French, under the title Les progrès techniques et l’extension du plateau continental (“Technical advances and the extension of the continental shelf.”)[25], another highly debated topic of the time, which occupied Andrassy for many years. In 1951, he had published a monograph in Croatian on the topic, under the title Epikontinentalni pojas (“Continental Shelf”)[26], which created an impetus for him to publish on the question of how advancement of technology should be followed by law. Andrassy made clear that law should engage in meaningful discussion with the technological advancements and reflect them, both in a new convention concerning the continental shelf and in the change of the existing regulations. He made his arguments clear, advocating for the change of Article 1 of the 1958 Convention on the Continental Shelf in order to clearly restrict the outer limit of the continental shelf.[27]

It would certainly be an overstatement to claim that the relationship between Andrassy and the MPIL was determinative for either the Croatian professor or the German research institute. However, their relationship was clearly both strong and cordial, reflecting Andrassy’s interest in different fields of public international law, on the one hand, and the MPIL’s eagerness to investigate and inform the international scientific community about important developments of international law, on the other, thereby affirming the Institute’s leading position in the field in a new geopolitical constellation after 1945.

[1] Vladimir Ibler, Juraj Andrassy: The Man and his Work, Jugoslovenska revija za međunarodno parvo 26 (1979), 9.

[2] Photos: Leon Žganec-Brajša.

[3] On Andrassy’s life, see: Vladimir Ibler, La vie et l’oeuvre du Professeur Juraj Andrassy, in: Vladimir Ibler (ed.), Mélanges offerts à Juraj Andrassy/Essays in International Law in Honour of Juraj Andrassy/Festschrift für Juraj Andrassy, The Hague: Martinus Nijhoff 1968, VII–XII.

[4] Source: Željko Pavić (ed.), Pravni fakultet u Zagrebu: 1776–1996, Zagreb: Pravni fakultet u Zagrebu 1996.

[5] Božidar Bakotić, En souvenir de Juraj Andrassy, Jugoslovenska revija za međunarodno pravo 26  (1979), 22–23.

[6] Bakotić (fn. 5).

[7] Nina Vajić, Andrassy i Institut za međunarodno pravo, Jugoslovenska revija za međunarodno pravo 26 (1979), 187.

[8] Neuvième Commission/Rapporteur M. Juraj Andrassy, Utilisation des eaux internationales non maritimes (en dehors de la navigation), Annuaire, Institut de droit international Vol. 49 (1961), 370–373.

[9] Douzième Commission/Rapporteur M. Juraj Andrassy, Mesures concernant la pollution accidentelle des milieux marins; Mesures en cas d’accident survenu, Annuaire, Institut de droit international Vol. 53 (1969), 363–369.

[10] Photo: MPIL.

[11] Académie de Droit International de la Haye (ed.), Les relations internationales de voisinage, Collected Courses of The Hague Academy of International Law Vol. 79 (1951), Leiden: Brill 1968.

[12] Letter from Helmut Strebel to Juraj Andrassy, dated 2 October 1951, II. Abt., Handakten Helmut Strebel, Wissenschafliche Korrespondenz, rep. 44, no. 31, vol. 1, Archive of the Max Planck Society.

[13] Letter Helmut Strebel (fn. 12).

[14] Letter from Juraj Andrassy to Helmut Strebel, dated 10 October 1951, II. Abt., Handakten Helmut Strebel, Wissenschafliche Korrespondenz, rep. 44, no. 31, Archive of the Max Planck Society.

[15] Juraj Andrassy, Völkerrechtliche Elemente im jugoslawischen Strafrecht, HJIL 14 (1952), 549–560.

[16] Letters from Helmut Strebel to Juraj Andrassy (fn. 12, 14).

[17] Philipp Glahé, The Heidelberg Circle of Jurists and its Struggle against Allied Jurisdiction: Amnesty-Lobbyism and Impunity-Demands for National Socialist War Criminals (1949–1955), Journal of the History of International Law – Revue d’histoire du droit international 22 (2019), 1–44.

[18] Hans Thalmann, Grundprinzipien des modernen zwischenstaatlichen Nachbarrechts, Zürich: Polygraphischer Verlag 1951.

[19] Juraj Andrassy, Thalmann, Hans: Grundprinzipien des modernen zwIschenstaatliehen Nachbarrechts. Zürich: Polygraphischer Verlag 1951. 175 S. (Zürcher Studien zum Internationalen Recht. Nr. 19), Buchbesprechung (Book Review), HJIL 14 (1952), 578–579.

[20] Juraj Andrassy, Der Balkan-Entente-Pakt von Ankara vom 28. Februar 1953, HJIL 15 (1953/1954), 133–139.

[21] Juraj Andrassy, Betrachtungen über die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes, HJIL 19 (1958), 1–23.

[22] Juraj Andrassy, Međunarodno pravosuđe: ustrojstvo i postupak, Zagreb: Jugoslavenska akademija znanosti i umjetnosti 1948.

[23] Juraj Andrassy, Zoričić, Milovan: Teritorijalno more s osvrtom na otvoreno i unutarnje more, vanjski pojas i pitanja kontinentalne ravnine. [Das Territorialmeer unter Berücksichtigung der hohen See, der Eigengewässer, der zusätzlichen Zone und der Fragen des Festlandsockels]. Zagreb 1953. 270 S. (Zagreb, Werke der jugoslawischen Akademie der Wissenschaften. Band 45), Buchbesprechung (Book Review), HJIL 16 (1955/1956), 127–129.

[24] Juraj Andrassy, Bloomfield, L. M.; Gerald F. Fitzgerald: Boundary Waters Problems of Canada and the United States (The International Joint Commission 1912-1958). Toronto: Carswell 1958. X, 264 S., Buchbesprechung (Book Review), HJIL 20 (1960), 699–700.

[25] Juraj Andrassy,  Les progrès techniques et l’extension du plateau continental, HJIL 26 (1966), 698–704.

[26] Juraj Andrassy, Epikontinentalni pojas, Zagreb: JAZU Jadranski institut 1951.

[27] Cf.: Budislav Vukas, Juraj Andrassy o pravu mora, Jugoslovenska revija za međunarodno pravo 26 (1979), 202–203, 206.

Zeitenwende. Carlo Schmid zwischen Völkerrecht und Außenpolitik

Der Polit-Star unter den Institutsmitarbeitern des 20. Jahrhunderts war fraglos Carlo Schmid: Minister in der Nachkriegszeit, Mitglied des Verfassungskonvents, Abgeordneter und einer der Begründer der deutsch-französischen Freundschaft, dazu Vordenker der europäischen Einigung und der Außenpolitik der Bundesrepublik. Sein Weg war keineswegs vorgezeichnet: Nach einer arbeitsrechtlichen Promotion war Carlo Schmid erst während seiner Zeit am damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) 1927 bis 1928 mit dem Völkerrecht in Berührung gekommen. Diese Episode ist Gegenstand eines Beitrags von Markus Payk auf diesem Blog.

Dieser Beitrag nimmt die denkwürdige Zeitenwende in den Blick, die das (überschaubare) wissenschaftliche Oeuvre von Carlo Schmid kennzeichnet. War er bis dahin ein zwar national denkender, aber hart dogmatisch arbeitender Völkerrechtler, bewog ihn die, von ihm unerwartete Entwicklung, nach der „Machtergreifung“, sich historischen Themen zuzuwenden, aus denen er geharnischte Kritiken der NS-Herrschaft entwickelte. Dies erlaubt einige Rückschlüsse auf das Verhältnis von Völkerrecht und Politik, insbesondere in Zeiten, in denen das Leitbild einer rechtlich geordneten Staatenwelt in die Ferne rückt.

1. Ein unpragmatischer Dogmatiker

Schmid arbeitete am Berliner Institut während spannungsreicher Zeiten. Die Institutionalisierung des Völkerrechts durch den Versailler Vertrag markierte eine deutliche Abkehr vom Bilateralismus des imperialen Vorkriegsvölkerrechts. Dogmatisches Denken hatte auf einmal eine bisher unbekannte Bedeutung. Das lag nicht zuletzt an der obligatorischen internationale Gerichtsbarkeit, die Schmid als Mitarbeiter von Viktor Bruns und Erich Kaufmann in den Verfahren des deutsch-polnischen Gemischten Schiedsgerichts hautnah erlebte. Ein autonomes Völkerrecht, das zwischenstaatliche Beziehungen unabhängig von nationalen Interessen und den damit verbundenen politischen Kämpfen in rationale Bahnen lenkt, schien hier auf einmal Wirklichkeit zu werden.[1] Die Apotheose dieser Entwicklung stammte zweifellos aus der Feder von Hans Kelsen. Zwar sah Kelsen durchaus die Strukturunterschiede zwischen staatlichem und überstaatlichem Recht, ordnete jedoch das erstere dem letzteren unter und profilierte sich damit als Gegenpol zu Triepel.[2] An einem ähnlichen Strang wie Kelsen zog Verdross, der den Institutionen des Versailler Vertrags den Charakter einer überstaatlichen Verfassung zuschrieb.[3]

Zweifel an der Autonomie des Völkerrechts fanden sich einerseits bei Völkerrechtskritikern wie dem in der deutschen Literatur kaum rezipierten Kommunisten Jewgenij Paschukanis[4] oder dem amerikanischen Progressiven Sterling Edmunds. Wesentlich wirkmächtiger in der deutschen Diskussion jedoch waren Völkerrechtstheorien, die im Vorgriff auf den Realismus in den internationalen Beziehungen den Nationalstaat verabsolutierten. Im Konfliktfall blieb danach von einem autonomen Völkerrecht nicht mehr viel übrig, denn dann galt: „Nur wer kann, darf.“[5] Ein solcher Zugriff auf das Völkerrecht war anschlussfähig an ethnonationale Positionen, die durch Ethnizität die Leere zu füllen versuchten, die die zusammengebrochenen oder schwindsüchtigen Imperien monarchischer Prägung hinterließen. In ihnen haben universelle Normen keinen Platz; es dominiert der Antagonismus zwischen Freund und Feind.[6]

Am Institut herrschte bezüglich dieses Streits eine gewisse Ambivalenz. Einerseits verbot die Rolle des Instituts eine radikale Völkerrechtsskepsis. Andererseits bestärkte die Arbeit an den Reparationspflichten, das tägliche Brot eines Teils des Instituts, die Skepsis gegenüber dem Versailler Vertrag. Man versuchte sich daher an der Theoretisierung eines zu gewissem Grad autonomen Völkerrechts. Aus der Sicht von Viktor Bruns erhoffte man sich von der Eigenlogik des Völkerrechts eine gewisse Gleichberechtigung innerhalb der Staatengemeinschaft, die in der politischen Realität nicht existierte.[7] Hermann Heller sah das Völkerrecht als durch den Selbsterhaltungsanspruch der Staaten begrenzt an.[8]

Carlo Schmid versuchte sich in seinen Arbeiten aus der Zeit am Institut sowie in der darauf zurückgreifenden Habilitation von 1932 an einem merkwürdigen Hybrid zwischen diesen Positionen. Das Völkerrecht sollte nach ihm einerseits möglichst autonom operieren, frei von politischer Beeinflussung. So war es konsequent, dass er, den romanischen Sprachen besonders zugeneigt, gemeinsam mit Cornelia Bruns das Lehrbuch von Anzilotti übersetze. Es zeichnete sich im Vergleich zu anderen Werken aus der Zeit durch einen hohen Grad an dogmatischer Systembildung aus und gewährte insbesondere der Analyse internationaler Organisationen breiten Raum.[9] Die zwei Aufsätze in der ZaöRV zu Detailfragen des Reparationsrechts strotzen geradezu vor Technizität.[10] In diesem Sinne erarbeitete Schmid auch in seiner Habilitation ein System des Völkerrechts aus der Spruchpraxis des Ständigen Internationalen Gerichtshofs.[11] Das war untypisch für die oft praxisferne, theoriegesättigte völkerrechtliche Literatur der damaligen Zeit. Schmids Schrift entsprach insofern ganz dem Programm von Anzilotti.

Im Vergleich dazu dachte Viktor Bruns das Völkerrecht stets viel politischer und schreckte nicht davor zurück, völkerrechtliche Argumentationen am nationalen Interesse auszurichten. Schmid dagegen verfocht stur dogmatische Positionen, auch wenn er um ihren politischen Zündstoff wusste. Das führte, als er schon wieder in Tübingen war, zum Konflikt mit Bruns, als Schmid – unter Pseudonym – die Sanktionsklauseln des Haager Abkommens von 1930 zur Umsetzung des Young-Plans kritisierte.[12] Die Klausel gab den Gläubigerstaaten ein Sanktionsrecht, sofern Deutschland den nunmehrigen Rückzahlungsplan hintertreiben („détruire“) würde. Nach Schmid fiel darunter bereits das Ansinnen einer Revision des Young-Plans, so dass der Reichsregierung politisch die Hände gebunden würden. Eine der Reichsregierung günstigere Auslegung schien Schmid rechtlich inopportun, auch wenn er damit das Institut – und in der Verlängerung die Reichsregierung – in Verlegenheit brachte.[13]

Andererseits war Schmid nicht bereit, wie Kelsen den Sprung zum Internationalisten zu wagen und beurteilte den Versailler Vertrag durchgängig aus einer nationalen Perspektive, die auf seine Revision abzielte.[14] Im Ergebnis führte das zu einer fast schon destruktiven Haltung, die dem Völkerrecht kompromisslos zu Autonomie verhelfen wollte, dabei jedoch ständig mit dem nationalen Interesse in Konflikt geriet. Der Jurist und der Politiker in Schmid schienen in Konflikt miteinander zu stehen – Zeichen einer gewissen Orientierungslosigkeit.

2. Unsanftes Erwachen und Zeitenwende

Den Nationalsozialismus vor Augen: Aufzug der Spanischen Legion Condor vor dem Alten Museum am 6. Juni 1939 in Berlin. Fotografiert von einem unbekannten Institutsmitarbeiter von den oberen Etagen des Schlosses [15]

Das änderte sich recht abrupt mit der „Machtergreifung“ der NSDAP im Januar 1933. In seiner Autobiographie gesteht Schmid, dass er die Diktatur nicht habe kommen sehen. Wie viele andere habe auch er auf die Fähigkeit Hugenbergs und von Papens, der gerissenen Protagonisten der „Harzburger Front“, vertraut, Hitler unter Kontrolle zu bekommen.[16] Schon bald nach dem Januar 1933 sei ihm jedoch klar geworden, welcher neue Wind nun im Land wehte, zumal die Auswirkungen an der Universität Tübingen und am Landgericht unübersehbar waren.[17]

Diese Erkenntnis führte bei Carlo Schmid zu einer regelrechten Zeitenwende in Forschung und Lehre. Am deutlichsten ist das an den Veränderungen von Schmids Vorlesungsportfolio abzulesen. Bis einschließlich des Sommersemesters 1933 las Schmid in Tübingen Vorlesungen im Völkerrecht, die eng an sein bisheriges Forschungsprogramm angelehnt waren.[18] Neben dem allgemeinen Völkerrecht behandelte er vor allem den Völkerbund, die internationale Rechtspflege und sein Spezialgebiet, die Reparationen – kurzum, das Einmaleins des Versailler Vertrags. Politische Naivität kann man ihm nicht nachsagen, jedoch trennte er auch in seinen Vorlesungen Recht strikt von der Politik.

Ab dem Wintersemester 1933/1934 lässt sich eine denkwürdige thematische Verschiebung feststellen. Sie beginnt mit einer Veranstaltung zum Gestaltwandel der Reichsidee für Hörer aller Fakultäten. Dem folgt im Sommer 1934 ein Seminar zu Formen und Mitteln der Außenpolitik, ferner ein Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung zum „Mythos vom Dritten Reich im Mittelalter“. Diese Vorlesungen markieren den Beginn einer Auseinandersetzung mit geopolitischen Fragen in historischer Perspektive. Zugleich endet um diese Zeit das völkerrechtsdogmatische Oeuvre Schmids. Es lohnt sich, diese Wendung anhand zweier Texte zu studieren, die jeweils die gereiften, ausgearbeiteten Fassungen der Vorlesungsmanuskripte darstellen:[19] Einerseits ein Text von 1937 zur Reichsidee bei Dante und Dubois;[20] andererseits ein Text von 1956 zu Recht, Politik und Moral auf der Grundlage von Machiavelli.[21]

3. Tastende Versuche: Dante und die Reichsidee

Carlo Schmid als Privatdozent in Tübingen, ca. 1938[22]

Carlo Schmid wendete sich der Reichsidee zur selben Zeit zu wie Carl Schmitt. Letzterer beschrieb das Reich in seiner Großraumtheorie von 1939 als Interessenssphäre, die den Begriff der Souveränität relativierte.[23] In der erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Nomos-Schrift verbrämt er diese machtpolitische Instrumentalisierung des Reichs durch Rückgriff auf die mittelalterliche Vorstellung des Reichs als eines Katechon, das Europa vor dem Feind in Gestalt der muslimischen Welt beschützt habe, bevor Europa mit der Kolonisierung Amerikas selbst expansiv geworden sei.[24]

Völlig anders fällt Schmids Beschäftigung mit dem Reichsbegriff aus. Schmid kontrastiert das Reich als Idee bei Dante mit dem Reich als Ideologie bei Dantes Zeitgenossen Pierre Dubois. Dante verstehe das Reich als Raum der Vielfalt und des Gleichgewichts. Es strebe insbesondere nicht nach weltlicher Expansion, sondern nach Transzendenz in Gestalt des „Dritten Reichs“ – des Reichs des Heiligen Geists. Aufgabe des Kaisers sei es, seine Untertanen auf dieses jenseitige Reich vorzubereiten, nicht seine eigene Verherrlichung. Um die Kritik am Nationalsozialismus noch deutlicher zu machen, erklärte Schmid dabei Dante kurzerhand zum Deutschen: Das Reich als Idee sei zwar im Italien der Renaissance entstanden, aber auch aufgrund der Verbindung über das Heilige Römische Reich deutscher Nation für den in Deutschland vorherrschenden Reichsbegriff maßgeblich.

Der Franzose Dubois dagegen verfolge einen zweckrationalen, ideologischen Reichsbegriff, der der zweckrationalen, expansiven Seite Europas entspreche (Schmitt bezeichnet dies als Landnahme). Selbst den Völkerbund ordnet Schmid diesem ideologischen Reichsbegriff zu, wenngleich er den angloamerikanischen Einfluss auf die Genfer Institution nicht leugnen kann. Selbstredend geht von diesem ideologischen Reichsbegriff eine erhöhte Kriegsgefahr aus. Schmid versuchte hier womöglich, die Nationalsozialisten bei der nationalen Ehre zu packen und ihr Treiben als „undeutsch“ zu markieren. Offenkundig konnte nach seiner Ansicht nur ein anderer, vermeintlich besserer, geschichtsphilosophisch konsistenterer Nationalismus die Gesellschaft vor den Nazis retten. In sozialistische Ansätze hatte er kein Vertrauen mehr, spätestens seit Hermann Hellers Verknüpfung von Sozialismus und Nation keinen Anklang in der SPD gefunden hatte.[25] Stattdessen suchte er sein Heil in einer im Grunde monarchischen, heilsgeschichtlich verstandenen Gesellschaftsordnung. Unschwer erkennt man darin die Esoterik des George-Kreises, mit dem Schmid über Studienfreunde in Berührung gekommen war[26] und auf den er in dem Text auch explizit Bezug nimmt. Jenseits der Abkehr vom dogmatischen Völkerrecht ist dieser Text jedoch eher als ein gescheitertes Experiment zu betrachten. Übersteigerter, irrationaler Nationalismus ließ sich nicht durch eine andere Variante des übersteigerten, historisch wenig stichhaltigen, jedoch nicht weniger irrationalen Nationalismus kurieren.

4. Konfrontation: Machiavelli, Recht und Moral

In eine andere Richtung führte die Auseinandersetzung von Schmid mit Machiavelli. Wie Schmid widmete sich auch Carl Schmitt zur selben Zeit diesem Denker, dem er zuschrieb, vor dem Hintergrund der kolonialen Expansion den Gedanken eines Gleichgewichts unter den europäischen Mächten formuliert zu haben.[27] Machiavelli wird dabei zum Theoretiker der Machtpolitik.

Carlo Schmids Machiavelli-Interpretation weicht davon deutlich ab. In seinen Erinnerungen gibt Schmid zwar zu Protokoll, auch er habe Machiavelli während einer Italien-Reise als Theoretiker des europäischen Gleichgewichts entdeckt.[28] Seine Machiavelli-Schrift stellt jedoch ein anderes Gleichgewicht in den Mittelpunkt: dasjenige zwischen Politik und Moral, beziehungsweise zwischen Macht und Recht. Der endgültige Text entstand in mehreren Phasen und entwickelte sich anhand unterschiedlicher Gelegenheiten weiter.[29] Der Grundgedanke blieb dabei jedoch konstant: Schmid liest Machiavellis Werk im Zusammenhang, fügt den Principe und die Discorsi in ein Gesamtbild. Das bringt ihn zu der Erkenntnis, dass Machiavelli eigentlich kein Machiavellist gewesen sei, kein kalter Theoretiker der Machtpolitik, für den der Zweck die Mittel heilige.[30] Vielmehr sei der Principe als Anleitung für Politiker in Krisensituationen zu lesen, während die Discorsi die grundlegende, moralisch fundierte Ausarbeitung eines idealen Staatswesens enthalte. Der Principe diene gewissermaßen nur dazu, um vom Zustand des „cattivo governo“ (der schlechten Regierung), wie es die Schmid sicherlich bekannte Allegorie des Ambrogio Lorenzetti in Siena verewigte, zum „buon governo“ (zur guten Regierung) zu gelangen. Schmid stützt seine Interpretation auf den realistischen, praxisorientierten Ansatz des Humanismus der italienischen Renaissance, der er einen geradezu konstruktivistischen Ansatz unterstellt. Volk und Staat seien nicht von sich aus gut, trügen auch keinen unveränderlichen, gar biologisch festgelegten Charakter, sondern müssten von ihren Regierenden auf den richtigen Pfad geführt werden. Die Regierenden seien insoweit immer auch Spiegel des Zustands des Volkes. Je schlimmer es um das Volk stehe, desto eher sei mit charismatischer Herrschaft zu rechnen. Um Volk und Staat in einen guten Zustand („buon governo“) zu führen, sei konsequentes und vor allem konsistentes Handeln erforderlich, auch in der Außenpolitik. Entscheidend dafür sei die Rahmung der Gesellschaft durch eine Verfassung als oberstes Gesetz, das auf einen Ausgleich zwischen Flexibilität und Stabilität abziele. Souveränität bestehe demnach in einer gesetzesgemäßen Regierung – nicht, möchte man hinzufügen, in der Entscheidung über den Ausnahmezustand.

Der Gegenentwurf sowohl zu Schmitts Politischer Theologie, als auch zum Ethnonationalismus und zum Führerprinzip der NS-Diktatur ist offensichtlich. Ob Schmid dabei immer werktreu bleibt, ist eine andere Frage. Die rechtsstaatliche, geradezu verfassungstheoretische Lektüre Machiavellis findet im Text nur eine geringe Stütze. Für das postulierte Gleichgewicht zwischen zweckrationalem und wertrationalem Denken bei Machiavelli spricht jedoch einiges, wenngleich sich die Trennlinie durch beide Werke hindurch zieht. So formuliert der Principe nicht nur Krisenratschläge, sondern auch allgemeine Verhaltensanforderungen an Fürsten für gute Zeiten, wie zum Beispiel zur Frage, ob Fürsten ihr Wort halten müssen. Solche Fragen beantwortet Machiavelli zwar grundsätzlich nach zweckrationalen Gesichtspunkten; die moralischen Untertöne schwingen jedoch hörbar mit. In jedem Fall aber besteht eine klare Trennung zwischen Politik und Moral, Macht und Recht – eine Trennung, die Schmid nicht zu Unrecht als charakteristisch für die abendländische Moderne identifiziert. Daran knüpft Schmid an, um die moralische Verklärung des nationalen Eigeninteresses zurückzuweisen. Mit Machiavelli versucht er Staat und Volk vor der Heroisierung zu retten. Dieser Ansatz zieht sich auch durch Schmids weitere außenpolitische Schriften.[31] Das Ziel der Außenpolitik sei nicht, den Feind zu besiegen, damit er einen nicht besiegt. Das wohlverstandene Eigeninteresse jeder Nation sei vielmehr die Selbsterhaltung, die, wenn nötig, durch Krieg zu erstreiten ist. Aber besser als Krieg zu führen sei es allemal, Krieg zu verhindern.

5. Schlussfolgerungen

Die Entwicklung von Carlo Schmid vom sturen, national denkenden Völkerrechtsdogmatiker zum Weltpolitiker gibt Anlass zu einigen Reflexionen über Zeitenwenden und das Völkerrecht. Zunächst einmal haben Zeitenwenden immer ein methodisches Spiegelbild. Der systembildende Ansatz von Bruns war ebenso ein Kind der Weimarer Zeit wie der widersprüchliche Dogmatismus des jüngeren Schmid. Im Unterschied zu anderen Institutsmitarbeitern begriff Schmid jedoch sehr schnell, dass ein dogmatischer Ansatz in der düsteren Zeitenwende ab 1933 nicht mehr zielführend war, ja gar das Regime, das Schmid rundheraus ablehnte, daraus seinen Vorteil ziehen könnte. Denn dogmatische Begriffe wie das Interventionsverbot blieben oft ambivalent und ließen sich zu verschiedenen Zwecken einsetzen. In Zeiten des grassierenden Autoritarismus kann der Wissenschaft vom Völkerrecht jedoch eine andere Aufgabe zukommen. Ein abgeklärter, postheroischer Rückgriff auf Theorie und Geschichte kann zur beißenden Kritik der Wirklichkeit autoritärer Regime werden. Schmid schaffte es, von den Nazis unbehelligt zu bleiben. Manchen Studierenden seiner gut besuchten Vorlesungen mag er selbst im tiefbraunen Tübingen Orientierung vermittelt haben. Für die Nachkriegszeit dürfte dies nicht ohne Bedeutung geblieben sein.

[1] Jens Steffek, Max Weber, Modernity and the Project of International Organization, Cambridge Review of International Affairs 29 (2016), 1502–1519.

[2] Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts: Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, Tübingen: JCB Mohr (P. Siebeck) 1920, 204 ff.

[3] Alfred Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, Wien: Springer 1926; Im Ergebnis vergleichbar, jedoch auf Grundlage einer anderen Epistemologie: Georges Scelle, Précis de droit des gens, Bd. 2: Droit constitutionnel international, Paris: Recueil Sirey 1934.

[4] Seine „Umrisse des Völkerrechts“ erschienen zwar erst 1935 auf Russisch, von Beginn an auf Deutsch vorliegend jedoch: Eugen Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus: Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe, Wien: Verlag für Literatur und Politik 1929.

[5] Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, Tübingen: Mohr Siebeck 1911.

[6] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 58 (1927), 1-33.

[7] Viktor Bruns, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 1 (1929), 1–56.

[8] Hermann Heller, Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin: de Gruyter 1927.

[9] Dionisio Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I: Einführung – Allgemeine Lehren, Berlin: de Gruyter 1929, 256 ff.

[10] Karl Schmid/Ernst Schmitz, Der Paragraph 4 der Anlage zu Sektion IV des Teils X des Versailler Vertrags, ZaöRV 1 (1929), 251–320; Ernst Schmitz/Karl Schmid, Zur Dogmatik der Sektion V des Teiles X des Versailler Vertrags, ZaöRV 2 (1931), 17–85.

[11] Karl Schmid, Die Rechtsprechung des Ständigen internationalen Gerichtshofs in Rechtsstätzen dargestellt, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1932.

[12] Karl Schmid, Die Sanktionsgefahr. Ein juristisches Gutachten über die Klauseln des Haager Abkommens, Der Deutsche: Die Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront, Nr. 42 v. 25.2.1930.

[13] Dazu: Petra Weber, Carlo Schmid, 1896–1979: Eine Biographie, München: C. H. Beck 1996, 71 ff.

[14] Weber (Fn. 13), 74 ff.

[15] Foto: AMPG.

[16] Carlo Schmid, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 3: Erinnerungen, Bern: Scherz 1973, 152; vgl. dazu auch: Jens Bisky, Die Entscheidung: Deutschland 1929 bis 1934, Berlin: Rowohlt 2024, 472.

[17] Schmid, Gesammelte Werke, Erinnerungen (Fn. 16), 155 ff.

[18] Vgl: Universität Tübingen, Verzeichnis der Vorlesungen, welche an der Königlich-Württembergischen Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen gehalten werden, 1846–1950.

[19] Die Vorlesungsmanuskripte sind im Archiv der sozialen Demokratie (AdSD) erhalten (Dep. Goebel).

[20] Karl Schmid, Idee und Ideologie des Abendlandes an der Wende von Mittelalter und Neuzeit. Dante und Dubois, Berlin: Verlag Die Runde 1937, hier zitiert nach: Carlo Schmid (Hrsg.), Politik muß menschlich sein, Bern: Scherz 1980, 229–251.

[21] Carlo Schmid, Machiavelli oder Die Einheit von Esprit und Staatsführung, in: Schmid, Politik muß menschlich sein (Fn. 20), 252–295. Der Text erschien erstmals als: Karl Schmid, Machiavelli, in: Rudolf Stadelmann (Hrsg.), Große Geschichtsdenker. Ein Zyklus Tübinger Vorlesungen, Tübingen: Wunderlich 1949.

[22] Foto: AdSD 6/FOTA003354.

[23] Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, Berlin: Deutscher Rechtsverlag 1939.

[24] Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln: Greven 1950, 25 ff.

[25] Hermann Heller, Sozialismus und Nation, Berlin: Arbeiterjugend-Verlag 1925; Weber (Fn. 13), 75.

[26] Schmid, Gesammelte Werke, Erinnerungen (Fn. 16), 170.

[27] Schmitt, Nomos (Fn. 24), 112, 117.

[28] Schmid, Gesammelte Werke, Erinnerungen (Fn. 16), 168, 172.

[29] Vgl. Fn. 21.

[30] Schmid, Machiavelli oder Die Einheit (Fn. 21), 266.

[31] Carlo Schmid, Was ist Außenpolitik?, in: Schmid, Politik muß menschlich sein (Fn. 20), 336–347.

Das MPIL an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Vier Thesen einer Praktikerin und Alumna

Die völkerrechtliche Beratung der Bundesregierung ist seit jeher eine Kernaufgabe des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL): „Das Institut steht öffentlichen Einrichtungen, insbesondere internationalen und europäischen Institutionen, dem Bundesverfassungsgericht, dem Deutschen Bundestag und Ministerien des Bundes sowie der Länder für Auskünfte, Gutachten und Beratung in völkerrechtlichen, unionsrechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Fragen zur Verfügung.“ Diese Aufgabe möchte ich hier aus der Perspektive der Praxis genauer beleuchten. Mein Interesse an dem Thema gründet dabei nicht zuletzt auf meinem persönlichen Werdegang, der mich vom MPIL in die Bundesregierung, genauer gesagt in das Bundesministerium der Justiz geführt hat.

Mein erster Kontakt mit dem MPIL entstand noch im Studium durch meine Teilnahme am Concours René Cassin 1999/2000, ein Moot Court zur Europäischen Menschenrechtskonvention in französischer Sprache. Das Heidelberger Cassin-Team war am Institut angesiedelt und wurde von Karen Kaiser mit großem Engagement betreut.[1] Viele Institutsmitglieder – von wissenschaftlichen Mitarbeitern/innen über Referenten/innen bis zu den Direktoren – gaben uns in zahlreichen Probe-Pleadings nicht nur inhaltliche Anregungen, sondern auch rhetorische Tipps. Die große Unterstützung durch das Institut hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Heidelberger Team als Vertreter des beschwerdegegnerischen Staates den ersten Platz belegen konnte. Der Concours Cassin war für mich nicht nur ausschlaggebend dafür, nach dem ersten Staatsexamen im Herbst 2001 als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans Institut zurückzukehren, er hat auch mein Interesse und mein Engagement für Menschenrechte und insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention nachhaltig geweckt. Es ist bedauerlich, dass heute keine Heidelberger Teams mehr am Wettbewerb teilnehmen und das Interesse deutscher Universitäten insgesamt stark abgenommen hat.[2]

Das Team des Concours René Cassin mit Institutsdirektor Jochen Frowein 2000 (v.l.n.r.):  Team-Betreuerin Karen Raible, Heike Stadtmüller, Nicola Wenzel (damals Vennemann) und Christian Maierhöfer[3]

Das europäische Menschenrechtssystem war Anfang der 2000er Jahre in einer Aufbruchstimmung: Die große Reform von 1998 war abgeschlossen, der „neue“ Gerichtshof hatte die Arbeit aufgenommen und etablierte sich mit seinen Urteilen als einer der Hauptakteure des Menschenrechtsschutzes in Europa. Viele der damaligen Entscheidungen sind heute noch wichtige Referenzpunkte der menschenrechtlichen Diskussion. So wurden mit den Urteilen Öneryildiz[4] und Hatton[5] Bausteine der heutigen Umweltrechtsprechung gelegt; die Bankovic-Entscheidung[6] definierte die territoriale Reichweite der Konventionsrechte neu; die Görgülü-Saga lenkte die Aufmerksamkeit auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und führte zu einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stellung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der deutschen Rechtsordnung.[7] Mir fiel es zu, diese Leitentscheidungen in der wöchentlichen Referentenbesprechung vorzustellen und zu bewerten.[8] Als junge wissenschaftliche Mitarbeiterin vor Rudolf Bernhardt als ehemaligem Präsidenten des EGMR und Jochen Abr. Frowein als ehemaligem Vizepräsidenten der Europäischen Menschenrechtskommission zu EMRK-Fragen vorzutragen und sich den kritischen Fragen insbesondere von Jochen Abr. Frowein zu stellen, war eine intellektuelle Herausforderung, der ich anfänglich mit einer gewissen Aufregung begegnete, die aber zunehmend zur Freude wurde und mein wissenschaftliches Selbstbewusstsein stärkte.

Heute bin ich als Verfahrensvertreterin der Bundesregierung vor dem EGMR und Leiterin des Menschenrechtsreferats im BMJ praktisch tätig. Mein wissenschaftlicher Hintergrund ist für mich Fundament meiner praktischen Arbeit und zugleich wichtiges Korrektiv, weil er mich zu kritischer Reflexion und Offenheit für andere Sichtweisen anregt. Ich bin der festen Überzeugung, dass der ergebnisoffene Austausch mit der Wissenschaft für gute Rechtssetzung und Regierungsarbeit essentiell ist.

Vor diesem Hintergrund möchte ich anhand von vier Thesen das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis im Allgemeinen beleuchten, Entwicklungen in diesem Verhältnis skizzieren, das MPIL in dieser Landschaft verorten und Zukunftsperspektiven aufzeigen.

These 1: Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis wird zu oft als einseitiger Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Praxis gesehen. Diese Sichtweise greift zu kurz.

Austausch von Theorie und Praxis: Auswärtiges Amt und MPIL veranstalten regelmäßige Workshops[9]

Es gibt viele Gründe, warum die Erfahrungen der Praxis für die Wissenschaft relevant sind. So kann ein Input aus der Praxis bei der Auseinandersetzung mit Forschungsfragen wichtige Erkenntnisse liefern. Ein Input aus der Praxis ist aber auch zur Identifizierung von Forschungsfragen wichtig:

In der praktischen Arbeit tauchen häufig rechtliche Fragen auf, die in der Wissenschaft noch nicht oder nur unzureichend beleuchtet sind. Ein aktuelles Beispiel ist die Frage der Vollstreckbarkeit von Ansprüchen auf gerechte Entschädigung aus EGMR-Urteilen gegen Russland in anderen Mitgliedstaaten des Europarates.

Der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis kann gewährleisten, dass Forschung zu den in der Praxis relevanten Fragestellungen stattfindet. Im besten Fall kann er dazu führen, dass ganz neue Forschungsfelder erschlossen werden. Ein gutes Beispiel ist der Zugang zur Abhilfe bei Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten. Der Fokus der Diskussion in der menschenrechtlichen Analyse war lange Zeit der gerichtliche Rechtsschutz. Außergerichtliche Mechanismen wurden zwar erwähnt, ihr Potential aber nicht erschlossen. Bestehende Forschung zu außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen („Alternative Dispute Resolution“) und der Frage ihrer wirksamen Ausgestaltung war in der Menschenrechts-Community nicht bekannt. Dies hat sich durch die Vergabe eines Forschungsvorhabens zur Ausgestaltung außergerichtlicher Streitbeilegungsmechanismen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten an eine ADR-Wissenschaftlerin grundlegend geändert. Das Forschungsvorhaben hat nicht nur dazu geführt, dass wesentliche Erkenntnisse aus der ADR-Forschung für die Gestaltung von außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen im Rahmen von Lieferketten fruchtbar gemacht werden konnten, sondern auch dazu, dass Mechanismen der alternativen Streitbeilegung im Lieferkettenkontext nun in der ADR-Forschung als neues Forschungsfeld verankert sind.

In der Praxis ist viel Expertise vorhanden. Diese wird jedoch nicht immer nach außen getragen. Insbesondere bei Fragestellungen, die in politischer Hinsicht sensibel sind, besteht große Zurückhaltung in der öffentlichen Kommunikation. Das bedeutet aber nicht, dass nicht innerhalb der Bundesregierung verschiedene Lösungsmöglichkeiten für rechtliche Probleme bekannt sind und diskutiert werden. In vielen Fällen findet die Diskussion über aktuelle rechtliche Fragestellungen hier sogar früher statt als in der Wissenschaft.

Vor diesem Hintergrund bedarf es nicht nur mehr Veranstaltungsformaten, die Wissenschaft und Praxis zusammenbringen. Förderlich erscheint mir auch ein personeller Austausch in beide Richtungen. Neue Formen sollten dabei in den Blick genommen werden. So könnten Wissenschaftler/innen zum Beispiel projektbezogen für eine gewisse Zeit im Ministerium arbeiten. Umgekehrt könnten Möglichkeiten für Praktiker geschaffen werden, zeitweise wissenschaftlich zu arbeiten, zum Beispiel durch gemeinsame Forschungsprojekte oder im Rahmen von Forschungsgruppen.

These 2: Der Austausch von Wissenschaft und Praxis ist häufig von einem clash of cultures geprägt.

Das Aufeinanderprallen der Kulturen betrifft sowohl die Ziele und die Arbeitsweise als auch die Inhalte und die Darstellung. Greifbar wird es zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit externen Verfahrensvertretern/innen bei Verfahren vor internationalen Gerichtshöfen. Das Arbeiten in Hierarchien, die kleinteilige Abstimmung von Stellungnahmen zwischen den Ressorts (die zu langwierigen Diskussionen, zum Teil über einzelne Wörter, führen können), der Einfluss politischer Erwägungen – all das ist täglich Brot für Ministerialbeamte/innen, wirkt aber auf Außenstehende häufig befremdlich. Andersherum ist aus Ministeriumssicht gewöhnungsbedürftig, wenn Stellungnahmen vermeintlich aus einer Position der „reinen Lehre“ verfasst werden oder in der Erwartung, dass die wissenschaftliche Stellungnahme vom Ministerium unverändert bei den Gerichten eingereicht wird. Wenn jedoch Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden und auf allen Seiten Offenheit für andere Sichtweisen und Herangehensweisen besteht, ist ein solcher clash of cultures gewinnbringend und führt bei allen Beteiligten zu neuen Erkenntnissen und in der Sache zu guten Ergebnissen.

Er zeigt aber auch, dass ein langfristig angelegter Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis hilfreich ist, in dem neben inhaltlich-thematischen Fragen auch Fragen zu Formen der Zusammenarbeit, Arbeitsweisen, Erwartungen und Bedürfnissen diskutiert werden. Ein solcher „Dialog über den Dialog“ kann Vertrauen schaffen. Er wird zum Beispiel sehr erfolgreich, u.a. durch öffentliche Veranstaltungen im Mercator Science-Policy Fellowship-Programm der Rhein-Main-Universitäten praktiziert. Der in den letzten Jahren in vorbildlicher Art und Weise entwickelte Bereich „Wissenschaft in Öffentlichkeit“ des MPIL ist bestens aufgestellt, um den Diskurs über den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in diesem Sinne weiterzuentwickeln.

These 3: In der Praxis besteht ein steigender Bedarf an intra- und interdisziplinärer Forschung.

Mit dem eingespielten System der intra- und interministeriellen Abstimmung und Zusammenarbeit verfügt die Praxis über ein funktionierendes System zum Umgang mit der zunehmenden Verzahnung der Rechtsgebiete. Die deutsche Wissenschaft praktiziert den übergreifenden Austausch dagegen weniger systematisch.

Die oben bereits erwähnte Lieferkettenregulierung ist ein gutes Beispiel für das Ineinandergreifen verschiedener Rechtsgebiete. Während der Ausgangspunkt der Regulierung menschenrechtlich ist und völkerrechtliches soft law umgesetzt wird (United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights), müssen die verbindlichen nationalen oder europäischen Normen eine Übersetzung dieser Standards ins Privatrecht vornehmen. Menschenrechtliche Pflichten der Unternehmen müssen hinreichend bestimmt statuiert werden, um sie auch mit Hilfe des Privatrechts durchsetzbar zu machen. Sowohl das Schadensersatzrecht als auch das Internationale Privatrecht spielen dabei eine wichtige Rolle. Die dafür erforderliche enge Verzahnung von Völkerrechtswissenschaft und Zivilrechtswissenschaft hat eine Weile auf sich warten lassen, ist inzwischen aber im Bereich der Lieferkettenregulierung fest etabliert.

Aus den genannten Gründen eines Ineinandergreifens verschiedener Rechtsgebiete ist für die Beratung der Regierung in völkerrechtlichen Fragen eine völkerrechtliche Expertise allein nicht immer ausreichend. Das MPIL hat beste Voraussetzungen, ein dem Bedarf der Regierungspraxis entsprechendes Angebot qualitativ hochwertiger wissenschaftlicher Expertise zu machen. Durch die gezielte Nutzung des Max Planck Law-Netzwerks und der Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft könnten verstärkt Beratungsangebote im Bereich der intra- und interdisziplinären Forschung geschaffen werden.

These 4: Es besteht die Gefahr, dass wissenschaftliche (und fachliche) Expertise für die Entwicklung politischer Positionen und Rechtsauffassungen an Bedeutung verliert.

Wissenschaftliche Expertise wird vermehrt zur Legitimierung bestehender politischer Positionen und Rechtsauffassungen genutzt, auch von Verbänden und der Zivilgesellschaft. Es besteht die Gefahr, dass der ergebnisoffene Austausch mit der Wissenschaft, der dazu dient, politische Positionen erst zu entwickeln, darüber an Bedeutung verliert. Aus der Wissenschaft ist bereits die Sorge zu hören, dass das Völkerrecht an sich nicht mehr als maßgeblicher Orientierungspunkt in der politischen Debatte wahrgenommen wird.[10]

Gerade in politisch unruhigen Zeiten ist es essentiell, dass sich Wissenschaft und Praxis gemeinsam für die Beachtung völkerrechtlicher Normen einsetzen. Eine proaktive Vermittlung von Forschungserkenntnissen durch die Wissenschaft und der Aufbau institutionalisierter Kooperationen können mit dazu beitragen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Entwicklung politischer Positionen und Rechtsauffassungen Berücksichtigung finden. Auch hier kann das MPIL einen wichtigen Beitrag leisten.

Ausblick

Die Geschwindigkeit im politischen Betrieb nimmt zu. Rechtlich komplexe Fragen müssen in kürzester Zeit beantwortet werden. Für einen formalisierten Austausch mit der Wissenschaft fehlt häufig die Zeit. In anderen Fällen wird ein formalisierter Austausch den Bedürfnissen nicht gerecht. Gerade bei politisch sensiblen Themen kann es hilfreich sein, Ansprechpartner/innen zu haben, mit denen man vertraulich Probleme und Lösungsoptionen diskutieren kann. Die Nutzung informeller Austauschformate setzt jedoch Vertrauen voraus. Dieses zu schaffen, ist unsere gemeinsame Aufgabe.

***

Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Verfasserin wieder.

[1] Vgl., zur Moot Court-Betreuung durch das Institut:Felix Herbert, Der Jessup Moot Court am MPIL. Geschätzter Gast oder geschuldete Last? Zur fragilen Geschichte eines symbiotischen Verhältnisses, MPIL100.de.

[2] 2024 war die Universität Münster als einzige deutsche Universität im mündlichen Teil des Wettbewerbs vertreten, vgl.: Association du Concours Européen des droits de l’homme René Cassin, Équipes requérantes qualifiées pour la phase orale (par ordre alphabétique), Strasbourg 2024.

[3] Foto: Nicola Wenzel, private Aufnahme.

[4] EGMR (Große Kammer), Öneryildiz v. Turkey, App. No. 48939/99, Urteile v. 18.6.2002 und 30.11.2004.

[5] EGMR (Große Kammer), Öneryildiz v. Turkey, App. No. 36022/97, Urteile v. 2.10.2001 und 8.7.2003.

[6] EGMR (Große Kammer), Banković et al. v. Belgien et al., App. No. 52207/99, Entscheidung v. 12.12.2001.

[7] BVerfG, Beschluss v. 14.10.2004, Az. 2 BvR 1481/04; siehe auch: EGMR, Görgülü v. Deutschland, App. No. 74969/01, Urteil v. 26.2.2004.

[8] Zur Referentenbesprechung und der Rolle, die der EMRK in ihr zukam, vgl.: Matthias Hartwig, Das wissenschaftliche Hochamt. Die Referentenbesprechung (vulgo Montagsrunde) am Institut, MPIL100.de.

[9] Foto: MPIL.

[10] Helmut Philipp Aust, Heike Krieger, Die allerneueste deutsche Angst ist Bindungsangst, FAZ, 6. Februar 2025, 11; der Text wurde in englischer Sprache am 13. Februar 2025 vom Verfassungsblog veröffentlicht.

Mut zum Widerspruch. Die völkerrechtliche Zeitenwende 9/11 am Institut

Wo waren Sie am 11. September 2001? Wo waren Sie, als kurz vor 15 Uhr deutscher Zeit (8:45 Ortszeit in New York) erst eines und kurz danach ein zweites Flugzeug in die Türme des World Trade Centers geflogen wurden? Ich saß in meinem Büro am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Als junge wissenschaftliche Mitarbeiterin war ich erst im Frühjahr des Jahres an das Institut zurückgekehrt und hatte meine Stelle angetreten. Ich war als Referentin unter anderem für das Humanitäre Völkerrecht zuständig; mein Länderreferat waren die USA. Das Jahr zuvor hatte ich meine Referendarszeit am Kammergericht in Berlin beendet, mit einer Station in New York beim Generalkonsulat im „Deutschen Haus“, direkt gegenüber der Vereinten Nationen. Meine Promotion war gerade erschienen, zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten und zu Fragen der Fortgeltung von umweltvölkerrechtlichen Verträgen im Krieg.[1] New York und die USA waren mir seit dem Sommer 2000 nah, ebenso Fragen von Kriegen, Zerstörung und der Geltung des Rechts in bewaffneten Konflikten.

Nachdem ein Kollege in mein Zimmer kam und von einem Unfall mit einem Flugzeug in New York berichtete, verfolgte ich die Nachrichten online, die in Echtzeit gepostet wurden. Videos der World-Trade-Center-Türme wurden ungeschnitten gezeigt. Zunächst war es ein Flugzeug, über das berichtet wurde. Der erste Einschlag sah auf den Videos minimal aus, nur ein kleiner schwarzer Einschlagspunkt in einem riesigen Turm. Es könnte ein verirrtes Sportflugzeug gewesen sein, hieß es. Unklar war, ob es sich um einen Unfall handelte. Dann, nur wenige Minuten später, folgte der zweite Einschlag. Danach zweifelte wohl niemand mehr, dass es sich um Anschläge handeln musste. Einige wissenschaftliche Mitarbeiter*innen berieten sich am Institut. Sollten wir nicht per E-Mail alle im Institut informieren? Uns war die Tragweite der Anschläge wohl intuitiv sehr bewusst. Einer meinte, dass mittlerweile ohnehin alle am Institut Bescheid wüssten und wir nichts ändern könnten. Die E-Mail wurde dann doch gesendet.

Ich selbst musste an diesem Tag von Heidelberg nach Frankfurt fahren. Als ich dort am späten Nachmittag am Hauptbahnhof ankam, waren riesige Leinwände aufgebaut, um die Bilder der Champions-League-Fußballspiele am Abend zu übertragen. Nun liefen auf diesen Leinwänden die Live-Bilder aus New York, minutenlang, auch hier praktisch ungeschnitten: die rauchenden Türme, die langsam fallenden Papiere aus den zerborstenen Scheiben der Hochhäuser, die in der Luft wirbelten. Die verzweifelt aus den Fenstern winkenden Menschen, die springenden Menschen, die fallenden Menschen – alles überlebensgroß. Ich habe diese furchtbaren Bilder seitdem nicht vergessen.

Die zweite Zeitenwende. Das Ende der friedlichen „Neuen Weltordnung“

Es war die zweite Zeitenwende, die ich erlebte, nach dem Ende des Kalten Krieges. 1989 war ich Jura-Studentin im ersten Semester an der Universität Freiburg, nun erlebte ich an einem Nachmittag und den Wochen danach das Ende der optimistischen 1990er Jahre, der Jahre von 1989-2001, in denen endlich auch völkerrechtlich alles möglich schien. Nun war die Hoffnung auf eine friedliche “Neue Weltordnung” – die ich noch in einem Seminar in Bonn bei Christian Tomuschat diskutiert hatte, nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs und dann nach dem Ende des Kosovo-Konflikts – zerschlagen. Die umwälzende Bedeutung der Anschläge war offensichtlich. Was alles folgen würde, insbesondere durch die US-Regierung, war mir nicht klar. Als ich Rüdiger Wolfrum, den damaligen Direktor des Instituts und Betreuer meiner Dissertation und Habilitation, kurz nach dem 11. September fragte, was er erwarte, meinte er erst einmal knapp: “Nichts Gutes.” Er sollte recht behalten.

Die USA waren ins Mark getroffen, und sie und die Welt unter ihrer Führung reagierten schnell. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte bereits am 12. September mit der knappen Resolution 1368 die Anschläge verurteilt und das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Auch die NATO reagierte und stellte am 13. September zum ersten Mal in ihrer Geschichte den kollektiven Verteidigungsfall fest. Am 20. September kündigte US-Präsident Bush in seiner “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns”-Rede vor dem US-Kongress den “Krieg gegen den Terror” als einen lang andauernden Feldzug an und forderte Afghanistan auf, Osama bin Laden auszuliefern. Wenige Tage später folgte die ausführliche Sicherheitsratsresolution 1373, einstimmig angenommen, zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie betonte ebenfalls das Recht aller Staaten auf Selbstverteidigung, neben detaillierten Vorgaben zum Einfrieren von Finanzmitteln und Kooperationspflichten.

Schon am 7. Oktober begannen die USA, zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Stellungen der Taliban in Afghanistan, zunächst aus der Luft, anzugreifen. Spätestens Ende Oktober wurden US-Bodentruppen in Afghanistan eingesetzt. Nach und nach wurde zudem offensichtlich, dass drei der mutmaßlichen Attentäter in Hamburg gelebt hatten. Und auch Deutschland reagierte: Im November 2001 beschloss die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Schröder etwa 3.500 deutsche Soldaten in Afghanistan im Rahmen eines Anti-Terror-Einsatzes einzusetzen. Am 11. Januar 2002 trafen die ersten Gefangenen in Guantanamo ein, einem US-Militärstützpunkt auf Kuba, der schnell von den USA zum Gefangenenlager für Terrorverdächtige umfunktioniert worden war.

Der „Global War on Terror”. Diskussionen in der Referentenbesprechung

Wachturm in Guantanamo 2002[2]

Wie reagierte das Institut? Nach meiner Erinnerung haben wir in den Referentenbesprechungen die Sicherheitsratsresolutionen diskutiert. Ich selbst habe abgewartet, um besser zu verstehen. Zu Beginn des Jahres 2002 ging es mir dann vor allem um die Frage, wie der Kampf gegen den Terrorismus völkerrechtlich einzuordnen war: War der Terrorismus Verbrechen oder Kriegsakt – A crime or an act of war? Die Mehrheit der europäischen Völkerrechtswissenschaftler*innen und wohl auch die Mehrheit am Institut vertraten damals zunächst die These, dass diese Anschläge allein Verbrechen seien und daher die Terroristen als Straftäter, sofern sie noch lebten, zu fassen und vor den Strafgerichten der betroffenen Staaten abzuurteilen seien.

Die These der US-Regierung war dagegen die eines militärisch zu führenden und gerechtfertigten “Global War on Terror”. Dies war verbunden mit der These eines örtlich und zeitlich entgrenzten Schlachtfeldes, wobei Terroristen rechtlos gestellt werden: Terroristen waren aus Sicht der US-Regierung weder „echte“ Kombattanten noch Zivilisten, sondern unrechtmäßige Kämpfer (“unlawful combatants”) und daher nicht durch die Genfer Konventionen geschützt. Die Gefangenen, die in Guantanamo interniert wurden, seien danach zweifellos – so die weitere These der US-Regierung – nicht als Kriegsgefangene nach der Dritten Genfer Konvention zu schützen. Für sie gälten zudem weder die Menschenrechte, an die die USA international als Vertragspartei gebunden waren, noch die Rechte der US-Verfassung, da beide nur innerhalb der Landesgrenzen den USA Pflichten auferlegten, aber nicht extraterritorial.

Ich hielt weder diese Thesen der US-Regierung, aber auch nicht die These vieler Kolleg*innen, dass es “nur” Verbrechen seien, letztlich für überzeugend und berichtete darüber in zwei Referentenbesprechungen zu Beginn des Jahres 2002. Meine Argumentation war zweistufig: Zunächst ging es zunächst um die Frage der Anwendbarkeit der Genfer Konventionen. Ich argumentierte dogmatisch: Geht man vom Anwendungsbereich der Genfer Konventionen nach ihrem Wortlaut aus, so ist entscheidend, ob – erstens – die Anschläge als Teil eines „bewaffneten Konfliktes“ zu qualifizieren waren, und ob – zweitens – dieser als nicht-internationaler oder internationaler Konflikt zu qualifizieren war. Letzteres ist der Fall, wenn terroristische Anschläge einem Staat zurechenbar sind. Aus meiner Sicht war beides zu bejahen, da die Anschläge auf die Türme des World Trade Centers, die unmittelbar zu ca. 3.000 Toten führten, zwar mit zivilen Flugzeugen ausgeübt wurden, aber in Art und Intensität der Gewaltanwendung einer Bombardierung gleichkamen. Die Zurechnung zu dem de-facto Regime der Taliban in Afghanistan konnte ebenfalls mit guten Gründen begründet werden, da dieses zwar nicht mit Al-Quaida, als Urheber der Anschläge, gleichzusetzen war, aber die Verbindungen eng waren, indem die Taliban Al-Quaida im Land Aufenthalt gewährten und auch weitere Verbindungen, wie durch Finanzierungen, bestanden.

Wurden diese Fragen positiv beantwortet, so war auch zu fragen und zu beantworten, was daraus völkerrechtlich folgt. Aus meiner Sicht war die Antwort eindeutig: Ist ein internationaler bewaffneter Konflikt gegeben, gilt auch hier die Vierte Genfer Konvention, die Zivilisten grundsätzlich schützt und – als enge Ausnahme – nur dann nicht schützt, wenn diese “offensiv” sind, wie Terroristen, wenn sie „unmittelbar an den Feindseligkeiten“ teilnehmen – so wie es ausdrücklich im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen normiert ist. Zudem gilt aber auch die Dritte Genfer Konvention, die diejenigen als Kriegsgefangene schützt, bei denen unklar war, ob sie Zivilisten oder Kombattanten waren; dies jedenfalls solange, wie es in der Dritten Genfer Konvention heißt, bis ein “kompetentes Tribunal” über diese Zweifel entschieden habe. Ein kompetentes Tribunal muss dabei nicht notwendig ein ziviles Gericht sein, es kann auch ein Militärgericht (court martial) sein. Jedenfalls konnte es kein militärisches Tribunal (military tribunal) sein, wie es in Guantanamo von den USA eingerichtet worden war. Damit widersprach ich der US-Regierungsthese, die bei Terroristen, oder denen, die man dafür nach Geheimdienstinformationen hielt, von unrechtmäßigen und deswegen rechtlosen und letztlich vogelfreien Kämpfern ausging.

Den damaligen zweiten Institutsdirektor, Jochen Abr. Frowein, hatte ich mit meinen Thesen zunächst nicht überzeugt – vielleicht auch, da er nur den letzten Teil meiner Argumentation in der Referentenbesprechung gehört hatte. Was ich jedoch am Institut geschätzt habe, war, dass Gegenargumente offen diskutiert wurden. Das war nicht immer einfach, gerade wenn man seine Thesen als junge Wissenschaftlerin gegen einen Direktor verteidigen musste; aber es war ein klarer Austausch, und man konnte dabei seine Argumente messen und auch schärfen, auch für die Diskussionen, die noch folgen würden – auf Konferenzen und mit dem Auswärtigen Amt (AA). Ich hatte das Gefühl, ich konnte Jochen Abr. Frowein von meinen letztlich auch überzeugen.

Schon damals, im Verlauf des Jahres 2002, und lange bevor die Foltervorwürfe in Guantanamo abschließend untersucht und belegt wurden, war damit klar – was ich mir bis dahin nicht hätte vorstellen können –, dass die US-Regierung, als Vertreterin der westlichen Welt und damals einzige Supermacht, in Bezug auf alle mutmaßlichen Terroristen offen gegen die Genfer Konventionen und weiteres Völkerrecht verstieß.

“Wenn wir uns nicht äußern, bleibt es unwidersprochen“. Die Zusammenarbeit zwischen Institut und Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes

In der Folge der Anschläge wurde die Zusammenarbeit zwischen der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und dem Institut besonders eng, da die völkerrechtlichen Fragen des „Global War on Terror“ bis dahin kaum diskutiert worden waren. Telefonate mit der Rechtsabteilung wurden geführt, beispielsweise darüber, wie der Begriff der „unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten“ auszulegen sei, der darüber entscheidet, ob ein Zivilist offensiv ist (und damit ausnahmsweise ungeschützt) oder nicht.

Als Referent*innen hatten wir – Christian Walter, Frank Schorkopf, Volker Röben und ich – zudem viel Freiheit und die Unterstützung der beiden Direktoren Wolfrum und Frowein, um im Januar 2003 eine große internationale Konferenz am Institut zu organisieren. Bei dieser konnten wir und alle damaligen Referent*innen des Instituts – wie Anja Seibert-Fohr, Petra Minnerop, Nicola Vennemann (jetzt Wenzel), Rainer Grote, Nico Krisch, etc. – nachdem wir unsere Positionen ausgearbeitet hatten, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung im Völkerrecht und in Bezug auf einzelne Staaten, mit den großen Völkerrechtler*innen unserer Zeit diskutieren[3]: Wie weit reicht das Recht zur Selbstverteidigung eines Staates? Wie ist auf einen Angriff nicht-staatlicher Akteure völkerrechtskonform zu reagieren? Wie kann die Finanzierung des Terrorismus völkerrechtlich unterbunden werden? Wie passen sich die innerstaatlichen Rechtsordnungen an? Welche Normen des Humanitären Völkerrechts gelten, wenn ein Staat militärisch reagiert? Welche Rolle spielen Menschenrechte? Diese Konferenz und die zum Teil kontroversen Diskussionen, die auch leidenschaftlich geführt wurden, waren ein weiterer Höhepunkt des völkerrechtlichen Austausches in dieser Zeit am Institut.

Die US-Regierung änderte jedoch auch in den nachfolgenden Jahren kaum etwas an ihrem Kurs. Nachdem der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schon 2002 gesagt hatte, dass die “Samthandschuhe” bei der Behandlung der Gefangenen in Guantanamo “ausgezogen werden sollten”, wurden im August 2002 die – erst später bekannt gewordenen – sogenannten Folter-Memoranden von US-Rechtswissenschaftler John Yoo verfasst, die dies rechtlich absichern sollten. Yoo engte den Folterbegriff so ein, dass inhumane Verhörmethoden, wie Schlafentzug und das sogenannte Waterboarding, nicht als Folter und nicht als grausame Behandlung qualifiziert wurden. Wir kannten die Memoranden nicht und doch wusste man von den Verhörmethoden und es war offensichtlich, dass sie völkerrechtswidrig waren.

Im Jahr 2003 erfolgte, nachdem Verteidigungsminister Rumsfeld kritische Staaten wie Deutschland als das “alte Europa” abqualifiziert hatte, schließlich der militärische Einsatz der US-Truppen im Irak, der aus Sicht der meisten kontinental-europäischen Völkerrechtswissenschaftler*innen eindeutig ebenfalls als völkerrechtswidrig zu qualifizieren war und nicht als Selbstverteidigung im Sinne der UN-Charta gerechtfertigt werden konnte. Im selben Jahr wurden auch die Misshandlungen im US-Militärgefängnis in Abu Ghraib im Irak bekannt und damit weitere Verstöße gegen das Völkerrecht. Dies alles wurde in der Referentenbesprechung erörtert, oft zeitlich knapp, aber ausreichend, um die zentralen Rechtsfragen anzusprechen. Ich hatte mich entschlossen, zu diesen Fragen auch weiter zu publizieren.

2006, in der Mitte der zweiten Amtszeit der Bush-Administration, kam etwas Bewegung in den internationalen Diskurs, da die USA versuchten, die vermehrte Kritik der „alten“ europäischen Staaten an dem Vorgehen der USA bei der Terrorismusbekämpfung einzuhegen. Auch hier spielte das Institut eine wichtige Rolle. So wurde etwa  – insbesondere durch Rüdiger Wolfrum und die Referatsleiterin in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, Susanne Wasum-Rainer –  2006 eine gemeinsame, nicht-öffentliche Konferenz mit Mitarbeiter*innen des Instituts organisiert, die Vertretern der US-Regierung und US-Ministerien die Möglichkeit bot, über unterschiedliche Positionen zu diskutieren.[4]

Als ich gebeten wurde vorzutragen, war ich, nachdem wir schon einige Jahre zu diesen Fragen publiziert hatten, skeptisch, ob sich dieser Austausch lohnen würde, vor allem, ob es mehr sein konnte als eine Marketing-Veranstaltung der US-Administration, damit diese uns „alten“ Europäern ihre Positionen besser verkaufen kann. Rüdiger Wolfrum hat damals zu mir gesagt: “Wenn wir uns nicht äußern, bleibt es unwidersprochen und es äußert sich niemand.” Das leuchtete mir ein. So kam es zu meinem Vortrag als Replik auf John B. Bellinger III, damaliger Legal Adviser to the Secretary of State, in einem der großen Konferenzsäle des Auswärtigen Amtes in Berlin. Er war besetzt bis auf den letzten Platz, mit Beamten verschiedener Ministerien aus beiden Ländern, Militärs, und Wissenschaftler*innen – für mich beeindruckend und einschüchternd zugleich.

John Bellinger III, 2006[5]

Seit der Referentenbesprechung Anfang 2002 hatten sich meine Argumente nicht im Kern geändert, aber vertieft und ausgeweitet und so widersprach ich verschiedenen Thesen der US-Regierung: Jenen zu vogelfreien „unlawful combatants“, zur Nicht-Anwendbarkeit der Menschenrechte und zur Einordnung von Verhörtechniken in Guantanamo als rechtskonform. John B. Bellinger III hat damals nach der Konferenz der Publikation seiner Position[6] und meiner Gegenrede[7] im German Law Journal, herausgegeben von Russel Miller und Peer Zumbansen, zugestimmt. Dies allerdings mit der Maßgabe, dass er wiederum schriftlich auf mich reagieren dürfe,[8] ich aber dann nicht mehr auf ihn – er mithin das letzte Wort habe. Darauf habe ich mich eingelassen. Dieser Spatz in der Hand war mir lieber als eine Taube auf dem Dach. Unsere Positionen sind weiterhin online nachlesbar. Auch deswegen war es wichtig, nicht zu schweigen.

Eine weitere Zeitenwende. US-Außenpolitik 2025

Schließt sich heute, im Frühjahr 2025, ein Kreis? Nach der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erleben wir, nach den völkerrechtwidrigen Aggressionsakten Russlands, durch den Überfall auf die Krim und dann die Ukraine, eine weitere Zeitenwende. Der Verteidigungsminister der aktuellen US-Regierung, Pete Hegseth, war als Soldat von 2004-2005 in Guantanamo eingesetzt. Einer seiner Auftritte außerhalb der USA, nur ein Monat nach seiner Vereidigung, war ein Besuch der Truppen in Guantanamo im Februar 2025. In seiner Rede an diese wird er auf der Internetseite des US-Verteidigungsministeriums zitiert mit den Worten:

“From our view, [Guantanamo Bay holding operations are] central to what we’re doing and [to] the message we’re sending to the world — which is that our border is closed,” he said, adding that the current administration “means business,” and that the service members at Guantanamo Bay are at “the tip of the spear” to make that happen.” “[So], keep executing [and] keep driving […].”[9]

Es gibt heute viele Gründe, gerade als Völkerrechtler*in, genau hinzusehen und nicht zu schweigen. Was nicht gesagt und nicht geschrieben wird, wird sonst möglicherweise niemals gesagt und niemals geschrieben.

***

[1] Silja Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 145, Berlin: Springer 2001.

[2] Foto: gemeinfrei.

[3] Publiziert in dem Band: Christian Walter et al. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 169, Berlin: Springer 2004.

[4] German American Colloquium “Legal issues in the fight against terrorism” of the Federal Foreign Office, the Max Planck Institute and the US Department of State, Auswärtiges Amt, Berlin, 12. und 13. Oktober 2006.

[5] Foto: US State Department, gemeinfrei.

[6] John B. Bellinger, Speech – Legal Issues in the War on Terrorism, German Law Journal 8 (2007), 735 – 746,DOI: 10.1017/S2071832200005897.

[7] Silja Vöneky, Response – The Fight against Terrorism and the Rules of International Law – Comment on Papers and Speeches of John B. Bellinger, Chief Legal Advisor to the United States State Department, German Law Journal 8 (2007), 747 – 759, DOI: 10.1017/S2071832200005903.

[8] John B. Bellinger, Legal Issues in the War on Terrorism – A Reply to Silja N. U. Vöneky, German Law Journal 8 (2007), 871 – 878, DOI: 10.1017/S2071832200006015.

[9] Matthew Olay, Hegseth Visits Guantanamo Bay, Engages With Troops, US Department of Defence, 26.2.2025.

Impressions of an Italian traveller. The Institute in the Course of Time

Impressioni di un viaggiatore italiano sul MPIL

English

I arrived in Heidelberg along with the dozens and dozens of blue Trabants of those fleeing East Germany via Hungary. Neuenheimer Feld, the area of Heidelberg where the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) is located, was full of these cars that, in their precariousness, evoked another world which would soon disappear.

I came to write my doctoral thesis, which my mentors, Professors Vincenzo Atripaldi and Claudio Rossano, wanted to have a strong comparative flavour. Claudio Rossano, in particular, who had spent a lot of time in Heidelberg during his studies, spoke of it as a place where I could study profitably and, at the same time, forge friendships. He recalled the presence of many young colleagues who, together with him, had spent a period of study between the MPIL and the Juristisches Seminar (the law faculty building), including Augusto Barbera, Carlo Amirante, and Alfonso Masucci.

Socialising in the Reading Room

The Institute’s reading room at the Max-Planck-Haus, 1975[1]

It was perhaps because I had just spent six months in Zurich at the Institute of Comparative Constitutional Law, where I did not have the opportunity to meet any peers working on their PhDs, but what struck me from the very beginning of my time at the MPIL was the immediate immersion in an atmosphere of sharing and comparing one’s research activities with other young scholars. There were daily exchanges of opinion on what was happening around us – the fall of the Iron Curtain – and, at the same time, on the research that everyone was carrying out. The atmosphere among us – I mean among those who “inhabited” the Lesesaal (reading room) – was so positive that I decided to stay much longer than the initially planned six months.

At that time, the reading room was frequented mainly by young people from Greece, South Africa, Israel, the former Yugoslavia, and Turkey. There were also many Spaniards and Portuguese. The Germans, who came from nearby universities to complete their doctoral and habilitation theses, could not be overlooked either. There were a few English- and Frenchmen as well. And then there were the Italians, a presence that was not large initially but would soon become perhaps the largest and most constant community. It was there that I met –to name friends and colleagues to whom I am still bound today– Agatino Cariola, Giuseppe Cataldi, Filippo Donati, Pier Francesco Lotito, and Alberto Lucarelli. Typically, Italians stayed for relatively short periods and then immediately returned to Italy.

I decided to stay longer, and this allowed me to consolidate relationships and friendships with many (then) young scholars, who hold important positions in universities and institutions around the world today. Here, again, I would like to mention a few: Iris Canor, Miguel Angel Cabellos Espierrez, Erika de Wet, Petros Mavroidis, Petros Patronos, and José Luis Rodriguez Alvarez.

After some time, the Institute Director I was reporting to, Professor Jochen A. Frowein, invited me to attend the weekly meeting that, at the time, took place every Monday afternoon (the Referentenbesprechung, now Monday Meeting) and involved all the young research fellows. For me, it was an opportunity not only to observe a different way of doing research – more participatory or ‘from below’ than what was happening at Italian universities at the time – but above all to come into contact (and in some cases to make friends) with the many young Germans who chose to do their training at the MPIL. Many of them are now professors at prestigious universities in Germany or involved in European institutions (Michael Hahn, Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Jörg Polakiewicz, and Andreas Zimmermann).

The Library. An Invaluable Resource

The library stack in 1975[2]

To speak only of the personal and academic relationships which have developed and strengthened over the years would, however, be to omit the main reason why so many young researchers from all over the world came to the Institute. And that reason was, and is, the library. The abundance of the library, which goes back to the Berlin period, is impressive. In this particular case, as I had to write a thesis that had at its roots the study of federal systems, access to the classics of German federalism, and more, was crucial. From that abundance flowed stupendous classics of legal literature on the subject (some written in Gothic letters).  What was equally, if not more astonishing, however, was the fact that Italian publicist literature, not only from the 20th century but also from the 19th century, was available as well. I remember the amazement of librarians who wondered (and perhaps still wonder today) why on earth Italians would ask for Italian books. The answer obviously lies in the shortcomings of many Italian university libraries.

I don’t think it exists anymore today, but until the late 1990s, there was a paper index of articles, compiled by subject: A work of exceptional value, today taken over, mostly, by the Internet (and the OPAC system). But at the time, it was a tool of incomparable value for anyone who wanted to conduct research in a new area or refine their knowledge or check something on a particular subject. And not only with regard to German literature, but literature from all over the world.

And now I come to the people who, over the years, have made the library work. I would like to dedicate a thought to the Library Director, Joachim Schwietzke, who, even today, although retired, still makes his experience and profound knowledge of treatise history available to the Institute. But special thanks go to the many other library staff with whom I have come into contact over the years: Marianne Kraft, Ali Zakouri, and Sandra Berg.

A Modernised Institute. The MPIL Since 2002

The new Institute building in 2010[3]

At the turn of the century, the Institute renewed its leadership, first with the arrival of Armin von Bogdandy, who took over as director in 2002, and then with Anne Peters in 2013. My relationship with Armin in particular has become increasingly friendly over time. Precisely for this reason, it is not for me to pass judgement on whether and how the Institute has changed in the last twenty years.

Certainly, from a strictly personal point of view, my view of the Institute has naturally changed. At some point, my sojourns no longer had the exclusive purpose of studying research originating in Italy, but also became an opportunity to become involved in the Institute’s research. The fact that Armin von Bogdandy’s field of scientific interest favoured European constitutional law played a role in this, thus intercepting my study activities more immediately. I am thinking in particular of my involvement in the adventure of the magnum opus that was Jus Publicum Europaeum, coordinated precisely by Armin von Bogdandy, and which gave me the opportunity to enter into communication with many highly estimated foreign colleagues.

Then, there is an objective factor that is obvious when looking at the composition of the research staff from a historical perspective (albeit still related to my personal experience): Whereas up until the late 1990s researchers were mostly German, in the last twenty years the presence of young foreign scholars within the research staff is undoubtedly considerable. To this objective evidence a further notation must be added, concerning, more specifically, the presence of qualified young Italian scholars, whom I have been able to meet personally in recent years. Some have returned to Italian universities, others have found a place in foreign universities, and others have chosen the path of international institutions, bearing witness to the fact that the selection made by the Institute was carried out with an exclusive focus on quality: Davide Paris, Angelo Junior Golia, Sabrina Ragone, Giacomo Rugge, Valentina Volpe. There might be some more I am forgetting.

For my part, I do not miss any opportunity to encourage the young people who work with me to come to the Institute for a brief, or longer, research stay. In this way, relationships are developed between new generations.

Concluding these brief personal recollections, one would like to talk about a Max Planck ‘model’, i.e. a research facility excellence which has always been open to all, where anyone who wants to put themselves to the test is welcomed and enabled to study. A model that has been supported with public funds for a hundred years, a successful example of cooperation between the Bund (federal government) and the Länder (governments of German states). But this would be too complex, and perhaps irritating, for us Italians. The fact is that, like the protagonist of a Heinrich Böll short story, I continue to have the ‘defect’ of returning to Heidelberg whenever I can.

***

[1] Photo: MPIL.

[2] Photo: MPIL.

[3] Photo: MPIL.

Italiano

Sono arrivato ad Heidelberg insieme alle decine e decine di Trabant azzurre che, attraverso l’Ungheria, fuggivano dalla Germania orientale. Neuenheimer Feld, la zona di Heidelberg dove ha sede il Max Planck Institut (MPIL), era piena di queste auto che, nella loro precarietà, evocavano un altro mondo, che di lì a poco sarebbe definitivamente scomparso.

Vi andai per scrivere la tesi di dottorato, che i miei maestri, i professori Vincenzo Atripaldi e Claudio Rossano, vollero avesse una forte impronta comparatistica. Claudio Rossano, in particolare, che aveva trascorso molto tempo ad Heidelberg al tempo della sua formazione, me ne parlò come di un luogo in cui avrei potuto studiare proficuamente e, allo stesso tempo, intessere amicizie. Rievocò la presenza di tanti giovani colleghi che, insieme a lui, avevano trascorso un periodo di studio tra il Max Planck e lo Juristisches Seminar (la facoltà di Giurisprudenza di Heidelberg), tra cui Augusto Barbera, Carlo Amirante, Alfonso Masucci.

La sala di lettura come luogo di socializzazione

La sala di lettura dell’Istituto nella Max-Planck-Haus nel 1975[1]

Fu forse perché arrivavo da sei mesi trascorsi a Zurigo presso l’Istituto di diritto costituzionale comparato, dove non ebbi occasione di conoscere coetanei anch’essi in fase di formazione, ma ciò che mi colpì fin dall’inizio dell’Istituto (intendo ovviamente il Max Planck) fu l’immediata immersione in un’atmosfera di condivisione e di confronto delle proprie attività di ricerca con altri giovani studiosi. Erano quotidiani gli scambi di opinione su quanto stava avvenendo intorno a noi –lo sgretolarsi della cortina di ferro- e, allo stesso tempo, sulle ricerche che ciascuno portava avanti. Il clima che si creò tra di noi -intendo tra quelli che popolavano la Lesesaal, la sala di lettura- fu così positivo che decisi di rimanere ben oltre il periodo di sei mesi inizialmente previsto.

La sala di lettura, in quegli anni, era frequentata soprattutto da giovani provenienti dalla Grecia, dal Sud Africa, da Israele, dalla ex-Jugoslavia, dalla Turchia. Molti anche gli spagnoli e i portoghesi. I tedeschi, che arrivavano dalle Università vicine per portare a termine i loro lavori di dottorato e di abilitazione, costituivano anche una presenza discreta. Pochi gli inglesi e i francesi. E poi vi erano gli italiani, una presenza che all’epoca non era nutrita ma che lo sarebbe divenuta col tempo, tanto da costituire, forse, la comunità più folta e costante. È lì che ho conosciuto -per fare dei nomi di amici e colleghi a cui sono ancora oggi legato- Agatino Cariola, Giuseppe Cataldi, Filippo Donati, Pier Francesco Lotito, Alberto Lucarelli. La caratteristica degli italiani era quella di rimanere per periodi relativamente brevi e poi ritornare subito in Italia.

Io decisi di rimanere più a lungo e ciò mi permise di consolidare rapporti ed amicizie con molti giovani (all’epoca) studiosi, che oggi ricoprono ruoli importanti in università e istituzioni di tutto il mondo. Anche qui ne cito alcuni: Iris Canor, Miguel Angel Cabellos Espierrez, Erika de Wet, Petros Mavroidis, Petros Patronos, José Luis Rodriguez Alvarez.

Dopo qualche tempo, il direttore dell’Istituto a cui facevo riferimento, il prof. Jochen A. Frowein, mi invitò a partecipare alla riunione settimanale che all’epoca si svolgeva ogni lunedì pomeriggio (Referentenbesprechung) e coinvolgeva tutti i giovani referendari. Fu per me l’occasione non solo di osservare un modo diverso di fare ricerca, più partecipato ‘dal basso’, di quanto non accadesse a quell’epoca nelle Università italiane, ma soprattutto di entrare in contatto (e in alcuni casi di stringere amicizia) con i tanti giovani tedeschi che sceglievano di svolgere la loro attività di formazione presso il Max Planck. Molti di loro sono oggi professori in prestigiose università in Germania o impegnati nelle istituzioni europee (Michael Hahn, Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Jörg Polakiewicz, Andreas Zimmermann).

Di valore ineguagliabile: la biblioteca

Il magazzino della biblioteca[2]

Parlare solo delle relazioni personali e accademiche, che negli anni si sono sviluppate e consolidate, vorrebbe però dire omettere la ragione principale per la quale così tanti giovani ricercatori, proveniente da tutto il mondo, si recavano all’Istituto. E quella ragione era ed è la biblioteca. Il pozzo librario, formatosi a partire dal periodo berlinese, è impressionante. Nel caso specifico, dovendo scrivere una tesi che aveva alle sue radici lo studio dei sistemi federali, l’accesso ai classici del federalismo tedesco, e non solo, era fondamentale. Da quel pozzo emergevano classici stupendi della letteratura giuspubblicistica in argomento (alcuni scritti in lettere gotiche).  Ciò che tuttavia era altrettanto, se non più sorprendente, era la possibilità di avere a disposizione anche la letteratura pubblicistica italiana, non solo quella novecentesca ma anche quella ottocentesca. Ricordo lo stupore dei bibliotecari che si chiedevano (e forse ancora oggi si chiedono) perché mai gli italiani chiedessero in consultazione libri italiani. La risposta sta ovviamente nelle carenze di molte biblioteche universitarie italiane.

Oggi non credo esista più, ma fino alla fine degli anni Novanta del secolo scorso esisteva poi uno schedario cartaceo degli articoli, redatto per soggetti. Un’opera di valore eccezionale, oggi in gran parte travolta da internet (e dal sistema Opac). Ma all’epoca era uno strumento di incomparabile valore per chi volesse condurre una ricerca su un soggetto nuovo oppure volesse perfezionare e svolgere gli ultimi controlli su una determinata materia. E non solo con riguardo alla letteratura tedesca ma a quella mondiale.

E vengo ora alle persone che, negli anni, hanno fatto funzionare la biblioteca. Mi piace dedicare un pensiero al direttore della biblioteca, Joachim Schwietzke, che ancora oggi, per quanto in pensione, mette a disposizione dell’Istituto la sua esperienza e la sua profonda conoscenza della storia dei trattati. Ma un ringraziamento particolare va ai tanti altri addetti alla biblioteca con i quali sono venuto a contatto negli anni: Marianne Kraft, Ali Zakouri, Sandra Berg.

Un istituto rinnovato. Il MPIL dal 2002

Il nuovo edificio dell’Istituto nel 2010[3]

A cavaliere del secolo l’Istituto ha rinnovato i propri vertici, prima con l’arrivo di Armin von Bogdandy, insediatosi come direttore nel 2002 e poi con Anne Peters nel 2013. Con Armin il rapporto è divenuto, col passare del tempo, sempre più amicale. Proprio per questo non sta a me esprimere un giudizio sul come e sul se l’Istituto sia cambiato negli ultimi vent’anni.

Certo è che, da un punto di vista strettamente personale, anche il mio sguardo sull’Istituto è naturalmente cambiato. A partire da un certo momento, i miei soggiorni non sono stati solo di studio per ricerche che nascevano in Italia ma sono divenuti anche occasione di coinvolgimento nelle ricerche dell’Istituto. In ciò ha giocato un ruolo la circostanza che il campo di interesse scientifico di Armin von Bogdandy abbia privilegiato il diritto costituzionale europeo, intercettando così più immediatamente le mie attività di studio. Penso in particolare al coinvolgimento nell’avventura di quell’opus magnum che è stato Jus Publicum Europaeum, coordinato appunto da Armin von Bogdandy, e che mi ha dato l’occasione di entrare in comunicazione con molti colleghi stranieri di grande valore.

Vi è poi un fattore oggettivo che emerge non appena si guardi alla composizione del personale di ricerca in una prospettiva storica (per quanto sempre legata alla mia personale esperienza). Mentre fino alla fine degli anni Novanta del secolo scorso i ricercatori erano per lo più tedeschi, negli ultimi venti anni la presenza di giovani studiosi stranieri, all’interno del personale di ricerca (Mitarbeiter), è senz’altro notevole. A questa evidenza oggettiva va aggiunta una ulteriore notazione, riguardante, più in particolare, la presenza di qualificati giovani studiosi italiani, che negli ultimi anni ho potuto conoscere personalmente. Alcuni sono ritornati in Università italiane, altri hanno trovato spazio in Università straniere, altri hanno scelto la strada delle istituzioni internazionali, a testimonianza che la selezione fatta dall’Istituto è stata svolta guardando esclusivamente alla qualità: Davide Paris, Angelo Junior Golia, Sabrina Ragone, Giacomo Rugge, Valentina Volpe. E forse ne dimentico qualcuno.

Per parte mia, non perdo l’occasione di spronare i giovani che collaborano con me a svolgere periodi più o meno lunghi di studio presso l’Istituto. Si sviluppano così rapporti tra nuove generazioni.

Concludendo questi brevi ricordi personali, verrebbe voglia di parlare di un ‘modello’ Max Planck, e cioè di una struttura di ricerca di eccellenza, aperta da sempre a tutti, in cui chiunque voglia mettersi alla prova viene accolto e messo in condizione di studiare. Un modello che da cento anni viene sostenuto con fondi pubblici, esempio riuscito di cooperazione tra Bund e Länder. Ma questo sarebbe un discorso troppo complesso e forse irritante per noi italiani. Sta di fatto che, come il protagonista di un racconto di Heinrich Böll, continuo ad avere il ‘difetto’ di tornare ad Heidelberg quando posso.

***

[1] Foto: MPIL.

[2] Foto: MPIL.

[3] Foto: MPIL.

Diplomatie, Geschichte, Völkerrecht.

Ellinor von Puttkamer und das KWI

Seit Oktober 2020, und damit erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1871, verfügt das Auswärtige Amt (AA) über einen Sitzungssaal, der nach einer Frau benannt ist. Die post-mortem-Würdigung Ellinor von Puttkamers gilt einer Spitzendiplomatin, deren ungewöhnlicher Werdegang bis heute nur wenig bis gar nicht bekannt ist.[1] Das AA beschränkte sich bei Bekanntgabe der Saalbenennung seinerzeit auf die knappe Information, Puttkamer sei die erste Frau auf einem bundesdeutschen Botschafterposten gewesen. Damit fehlte ein Hinweis darauf, dass Puttkamers 1953 beginnender Aufstieg im diplomatischen Dienst eine längere Vorgeschichte hatte, in der ihre Rolle in einflussreichen völkerrechtlichen Netzwerken besonders hervorstach. Trotz eher überschaubarer Forschungslage sind wir über den Lebensweg zumindest in groben Zügen informiert. Geboren 1910 im pommerschen Versin als jüngstes von fünf Kindern, verbrachte sie ihre Kindheits- und Jugendjahre auf dem Gut ihres Vaters, des Generallandschaftsrats Andreas von Puttkamer und seiner Frau Elsbeth, geborene von Zitzewitz. Die weit verzweigte Familie zählte zu den ältesten und politisch einflussreichsten Adelsfamilien Pommerns. Von 1930 bis 1936 studierte Ellinor von Puttkamer Geschichte in Köln, Marburg, Innsbruck und Berlin. Dort schloss sie sich dem Schülerkreis um den Osteuropahistoriker und DNVP-Politiker Otto Hoetzsch an, der 1935 aus politischen Gründen seines Lehrstuhls enthoben und zwangspensioniert wurde. Nach der Promotion[2] stieß Puttkamer 1936 als Nichtjuristin zum Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Felix Lange weist darauf hin, dass sie am Institut zu den wenigen Mitarbeiter:innen auf Referentenebene ohne NSDAP-Parteibuch gehörte.[3] Wohl um ihre Chancen auf eine mögliche akademische Karriere zu wahren, schrieb sie sich 1940 an der Berliner rechtswissenschaftlichen Fakultät ein, brach das Studium jedoch zwei Jahre später ohne Examen ab. Aus einem nach dem Krieg entstandenen Verzeichnis geht hervor, dass Puttkamer am KWI vor allem für die Redaktion der Zeitschrift und die Leitung der Informationsabteilung zuständig war.[4] Bereits vor Kriegsausbruch hatte sie sich dadurch den Ruf erarbeitet, einen guten Überblick zu fachlichen und forschungspolitischen Debatten zu besitzen, die zu dieser Zeit vor allem außerhalb des Deutschen Reichs geführt wurden.

Nach der deutschen Kapitulation zog Puttkamer von Berlin in die amerikanische Besatzungszone und arbeitete zeitweise als Assistentin an der juristischen Fakultät der Universität Mainz. Ab 1947 übernahm sie erste Lehraufträge in Heidelberg, wo sie während der nächsten Jahre auch lebte. Kurz vor Gründung der Bundesrepublik trat die fast Vierzigjährige als Quereinsteigerin in das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets ein, wurde 1950 vom Bundesjustizministerium (BMJ) übernommen und arbeitete danach als Regierungsrätin im Referat für Fragen des Besatzungsrechts und der alliierten Kriegsverbrecherpolitik.[5] Zu vermuten ist, dass ein 1949 erschienener Aufsatz sie für diese Aufgabe empfohlen hatte. Im Einklang mit einer im Nachkriegsdeutschland typischen Abwehr gegen eine alliierte Aufarbeitung von NS-Unrecht waren dort, unter Ausblendung des Menschheitsverbrechens an den europäischen Juden, die alliierte Kriegsverbrecherpolitik nach 1918 und die Nürnberger Prozesse gleichermaßen als völkerrechtswidrig qualifiziert worden.[6] Es folgten die Beförderung zur Oberregierungsrätin und die Habilitation an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn. Puttkamers Studie zur Geschichte der polnischen Nationaldemokratie und zu dem völkisch-antisemitischen Nationalisten Roman Dmowski war bereits während der vierziger Jahre am KWI fertiggestellt und 1944 in Krakau veröffentlicht worden, dies hatte ihr jedoch seinerzeit nicht den erwünschten akademischen Titel gebracht.[7]

1953 wechselte das gesamte BMJ-Referat zum AA, wo Puttkamer zur Leiterin des Referats Europäische Politische Gemeinschaft (Referat 218 beziehungsweise 216) ernannt wurde. Es folgten Stationen bei der UN-Beobachterstelle in New York, danach übernahm sie, wieder in der Bonner Zentrale, die Leitung des Referats 300 (Vereinte Nationen etc.). 1969 wurde sie schließlich von Willy Brandt, dem sozialdemokratischen Außenminister der Großen Koalition, zur ersten bundesdeutschen Botschafterin und Leiterin der deutschen Vertretung beim Europarat berufen. Bereits sechs Jahre zuvor hatte ihr die Universität Bonn die Würde einer außerplanmäßigen Professur für Osteuropäische Geschichte und vergleichende Verfassungsgeschichte verliehen. Trotz Puttkamers profunder Osteuropa-Expertise wurde sie im Zuge der Neuen Ostpolitik offenbar nie für einen Posten in Warschau oder Moskau in Erwägung gezogen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr beruflicher Aufstieg im Nationalsozialismus in der sozial-liberalen Ära als vergangenheitspolitischer Malus angesehen worden wäre.

(K)eine Anknüpfung an die Vorkriegskarriere. Puttkamer und das Heidelberger Institut

Ellinor von Puttkamer mit Erich und Hedwig Kaufmann anlässlich der Amtseinführung von Rudolf Bernhardt im Institut, 1970[8]

In einem 2014 erschienenen Aufsatz hat sich Felix Lange auf breiter Quellengrundlage mit der Institutsneugründung 1949 und den dahinterstehenden Entscheidungsprozessen befasst.[9] Gezeigt wurde nicht nur, warum sich Heidelberg am Ende gegen Berlin durchsetzen konnte, sondern auch, welche Bedeutung die Personalie Carl Bilfingers für die Standortfrage spielte. Während Bilfinger, trotz eines im Ganzen fragwürdigen Entnazifizierungsverfahrens, eine zweite Karriere als Leiter des wiedergegründeten Instituts gelang, endete Puttkamers langjährige Tätigkeit für das KWI letztlich mit ihrer Nichtübernahme und einem schrittweisen Rückzug vom Institut. Letzterer trat ein, obwohl sie maßgeblich an den Vorbereitungen für die Neugründung mitbeteiligt gewesen war. Wie eng Puttkamers Bindungen an das völkerrechtliche KWI noch bis Ende der vierziger Jahre waren, ist durch die vorhandene Aktenlage gut dokumentiert. So ergibt sich aus den überlieferten Korrespondenzen, Reiseberichten und Memoranden, dass sie eine vielgesuchte Ansprechperson in personal- und wissenschaftspolitischen Fragen war und von Anfang an in alle offiziellen und halb-offiziellen Planungen zu Wieder- bzw. Neugründung eingeweiht.

In den letzten Kriegstagen hatte Puttkamer zu den wenigen KWI-Angehörigen gehört, die auf dem Gut Kleisthöhe in der Uckermark, dem letzten Sitz des im Krieg verlagerten Instituts, die Stellung hielten. Sie machte sich Sorgen über den drohenden Verlust der alten ostelbischen Heimat („… es bleibt doch wohl nur Afrika“) und schien von Gewissensbissen geplagt, ihren in Hinterpommern zurückgebliebenen Familienangehörigen nicht rechtzeitig zur Hilfe geeilt zu sein. Einer ihrer letzten Briefe stammt vom Gründonnerstag (29. März) 1945:

„Noch einmal vornehm auf dem alten Institutspapier (wohl das letzte Mal, denn das Institut löst sich bereits langsam in Wohlgefallen auf). Einen Brief ins Blaue! Ob er noch ankommt? Die letzte Entwicklung lässt dies einigermaßen fraglich erscheinen.“[10]

Zurückgeworfen auf ein Leben jenseits aller beruflichen Verpflichtungen und gesellschaftlichen Ablenkungen, erschienen ihr das Institut und dessen Bibliothek als Haltepunkte in einer aus den Fugen geratenen Welt:

„Meine Existenz auf der Kleisthöhe ist äußerst merkwürdig. Einen Zweck hat sie nicht außer dem Privaten. Das Institut ist schon so gut wie aufgeflogen. Es ist uns freigestellt, im ‚Ernstfall‘ zu tun, was wir wollten. Den Besatzungen der Außenstellen sind noch großzügige Erlaubnisse erteilt worden, mit dem Erfolg, dass sie sich alle, außer einer sehr unzuverlässigen Sekretärin und mir, bereits verkrümelt haben. Gehalt haben wir noch bis zum 1.7. bezahlt bekommen. Ich könnte also – theoretisch – auch zu meiner Familie.

Ich tue es nicht, obwohl das vielleicht ganz dumm ist, weil ich das Gefühl habe, dies nicht einfach tun zu können, sondern dann nach Berlin zurück zu müssen, was ich vermeiden möchte. Über kurz oder lang werde ich wohl ganz allein hier übrigbleiben, in einem gut möbilierten Haushalt mit Mädchen, umgeben nicht nur von unserer Bibliothek, sondern auch von den vielen zurückgelassenen Privatsachen der Getürmten. […]

Wenn die Russen nicht schon vorher kommen, werde ich also so lange wie dies gegenüber dem Institut möglich ist, hier ausharren.“[11]

Ungeachtet ihres mutigen Einsatzes konnte Puttkamer letztlich nicht verhindern, dass große Teile der wertvollen KWI-Völkerrechtsbibliothek in den letzten Kriegstagen von sowjetischen Truppen, möglicherweise auch von der SS, niedergebrannt wurden.[12] Dass ihr eine tragende Rolle bei dem ins Auge gefassten Wiederaufbau des Instituts zugedacht war, zeichnete sich schon unmittelbar nach Kriegsende ab. In einer im Nachlass Hermann Moslers befindlichen Personalaufstellung von 1945/46 war sie neben der studierten Lehrerin Cornelia Bruns, die als Übersetzerin eingesetzt werden sollte, die einzige Frau und Nichtjuristin, die als geeignet für eine spätere Verwendung im Wiederaufbaustab angesehen wurde. Konkret war damals daran gedacht, ihr das Ostreferat oder die Informationsabteilung zu übertragen. Jedoch standen beide Aufgabenbereiche schon damals unter dem Vorbehalt einer vermeintlich nicht ausreichend nachgewiesenen akademischen Qualifikation. So knüpfte man ihre künftige Mitarbeit offenbar an die Bedingung, dass es ihr gelänge, quasi „nebenher“ die Habilitation abzuschließen.[13] Ob Puttkamer über die sie betreffenden Auflagen in Kenntnis gesetzt wurde, ist anhand der eingesehenen Akten nicht erkennbar.

Das Saxo-Borussen-Haus in Heidelberg, in dem das Institut von 1949 bis 1954 untergebracht war[14]

Die überlieferten Briefwechsel zwischen Puttkamer und dem späteren Institutsdirektor Mosler lassen darauf schließen, dass zwischen beiden eine freundschaftliche Beziehung bestand, die angesichts Moslers Herkunft aus rheinisch-katholischem Milieu nicht selbstverständlich war. Mosler, der zeitweise der SA angehört hatte und mehreren Parteiorganisationen beigetreten war, hegte offensichtlich einen gewissen Respekt dafür, dass die fast gleichaltrige Puttkamer entgegen aller Opportunitätserwägungen niemals NSDAP-Mitglied wurde. Hinzu kam, dass er in der umtriebigen, stets zuverlässig informierten Kollegin eine Person gefunden hatte, die ihn über alle Vorkommnisse im Umfeld des Instituts auf dem Laufenden hielt.

So meinte er im Mai 1949 gegenüber Angèle Auburtin:

„Über die Institutsangelegenheiten höre ich ab und zu durch Puttchen. Bi[lfinger] wird sich sehr anstrengen müssen, ein konkurrenzfähiges Unternehmen auf die Beine zu stellen. Der Neider und Verständnislosen gibt es genug. Er ist viel lebendiger geworden, rüstiger als er war – aber im Grunde labil. Ohne Grewe wird er auf die Dauer nicht auskommen. Ich halte es deswegen für richtiger, sich mit ihm gut zu stellen. Das Team, das er sich zusammenstellt, wird hoffentlich nicht allzu nationalliberal-treudeutsch ausfallen.

Die einzige wirksame Gegenkraft einer der wenigen noch vorhandenen Antinazis überhaupt – ist Puttchen.“[15]

Wenige Wochen zuvor hatte Mosler noch an Auburtin geschrieben, es sei „zweifelhaft“, ob Puttkamer tatsächlich in Heidelberg „mitmachen“ und dafür ihre Stelle in Frankfurt aufgeben würde. Dieser Skepsis hatte die Genannte selbst Nahrung gegeben. So bat sie Mosler, mit ihr über ihre, wie sie es formulierte, eigene „Endlösung“ zu sprechen, nachdem sie als Regierungsrätin im Rechtsamt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets eine Stelle gefunden hatte, die ihr „ausfüllbar“ erschien.[16] Mit dem Wechsel von der Wissenschaft in die Praxis und dem Eintritt in den krisenfesten Verwaltungsdienst eines Bundesministeriums folgte Puttkamer dem Weg ihrer langjährigen KWI-Kollegin Angèle Auburtin.[17] Die zweifach promovierte Juristin und frühere Leiterin des Amerika-Referats war nach Kriegsende Oberregierungsrätin im Kultusministerium von NRW geworden. Es bleibt also die Frage, warum sich Puttkamer 1949, dies vor dem Hintergrund ihres fast fünfjährigen Engagements für ein Weiterbestehen des Instituts, für einen beruflichen Neuanfang und damit für einen zumindest vorläufigen Abschied von der Wissenschaft entschied.

Gruppenbild ohne Dame: Grundsteinlegung des neuen Institutsgebäudes, 24. Juli 1953. Staatsrat Paul Vohwinkel (Mitte) mit (v.l.n.r.) Oberbürgermeister Neinhaus, Oberbaurat Barié, Carl Bilfinger und MPG-Vize-Präsident Erich Regener[18]

Gegen die Deutung, sie habe als Nichtparteimitglied möglicherweise nicht unter dem stark belasteten Bilfinger arbeiten wollen, spricht, dass sowohl sie selbst als auch Mosler diesem während des Entnazifizierungsverfahrens beigesprungen waren. So hatte Puttkamer bereits 1946 gegenüber der Spruchkammer ausgesagt, man habe durch Bilfingers Ernennung 1943 erreichen können, das Institut von „allen Parteieinflüssen“ freizuhalten.[19] Zwar konnte sie kurz nach Kriegsende noch nicht von einer späteren Leitungsposition Bilfingers ausgehen. Grundsätzliche Einwände, wie sie etwa der remigrierte deutsch-jüdische Rechtswissenschaftler Gerhard Leibholz gegen Bilfinger erhob,[20] waren von ihr aber auch zu späterem Zeitpunkt nicht zu hören. Vielmehr war sie noch 1953, also nach ihrem Eintritt in das BMJ, mit einem eigenen Beitrag an der Festschrift zu Bilfingers 75. Geburtstag vertreten.[21]

Man wird daher nach anderen Gründen suchen müssen, um ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Institut zu erklären. Abgesehen davon, dass sie von ihren Kollegen als NS-Gegnerin wahrgenommen wurde, könnte sich paradoxerweise auch ihre Ostexpertise als Hindernis ausgewirkt haben. Dies hatte damit zu tun, dass sich diese Qualifikation im Zeitalter des heranbrechenden Kalten Kriegs zur vielgefragten Ressource einer anwendungsorientierten Politikberatung und männlich konnotierten Cold War Science entwickelte, von denen Wissenschaftlerinnen nicht nur in der Bundesrepublik so gut wie vollständig ausgeschlossen blieben. Darüber hinaus dürfte auch der Einfluss von Krieg, Flucht und Entwurzelung eine gewisse Rolle gespielt haben. Wirkten sich solche lebensweltlichen Umbruchserfahrungen unmittelbar nach Kriegsende noch als Kohäsionsfaktor aus, der die Inklusion von Frauen in Institutionen tendenziell begünstigte, war nach Gründung der Bundesrepublik eher das Gegenteil der Fall. So erwies sich die gleiche Konstellation informeller und personalisierter Beziehungen im Zeichen aufkommender christlich-patriarchaler Geschlechterbilder plötzlich als gewichtiger Nachteil und Ausschlusskriterium, wenn es um berufstätige Frauen und Akademikerinnen ging. Insofern stellt Birgit Kolboske in ihrer 2023 erschienen Untersuchung zur Rolle von Frauen in der Max-Planck-Gesellschaft zu Recht fest, es habe, ungeachtet erster hoffnungsvoller Anzeichen nach 1945, „kein Wissenschaftswunder für Akademikerinnen“ gegeben.[22]

***

[1] Ludwig Biewer, In memoriam Ellinor von Puttkamer, Baltische Studien N. F. 86 (2000), 145–147; Ursula Müller/Christiane Scheidemann (Hrsg.), Gewandt, geschickt und abgesandt. Frauen im Diplomatischen Dienst, München: Olzog 2000, 109–114; Heike Anke Berger, Deutsche Historikerinnen: 1920–1970. Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2007.

[2] Ellinor von Puttkamer, Frankreich, Rußland und der polnische Thron 1733. Ein Beitrag zur Geschichte der französischen Ostpolitik, Osteuropäische Forschungen N. F. Bd. 24, Königsberg: Ost-Europa-Verlag 1937.

[3] Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 262, Heidelberg: Springer 2017, 126.

[4] Aufstellung über in den Westzonen lebende Mitarbeiter des KWI, die bei einer Wiedererrichtung im Rahmen der Max-Planck-Gesellschaft Verwendung finden könnten (o.D.), Archiv der Max-Planck-Gesellschaft [AMPG], Rep. 191, Nr. 20, Bd. 1 (4).

[5] Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München: C.H. Beck 2016, 115.

[6] Ellinor von Puttkamer, Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkriegs für Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, Archiv des Völkerrechts 1 (1949), 424–449.

[7] Ellinor von Puttkamer, Die polnische Nationaldemokratie, Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Ostarbeit, Sektion Geschichte Bd. 24, Krakau [Kraków]: Burgverlag 1944.

[8] Foto: MPIL.

[9] Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung und die Entscheidung für Heidelberg. Die Gründungsgeschichte des völkerrechtlichen Max-Planck-Instituts nach dem Zweiten Weltkrieg, ZaöRV 74 (2014), 697–731; ferner: Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (Hrsg.), Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879–1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, Baden-Baden: Nomos, 2024.

[10] Schreiben von Ellinor von Puttkamer an unbekannten Empfänger, datiert 29.3.1945, AMPG, III, Rep. 124, Nr. 35.

[11] Schreiben von Elinor von Puttkamer (Fn. 10).

[12] Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung (Fn. 9), 703.

[13] Aufstellung (Fn. 4).

[14] Foto: AMPG.

[15] Schreiben von Hermann Mosler an Angèle Auburtin, datiert 29.5.1949, AMPG, Rep. 191, Nr. 20, Bd. 1 (4).

[16] Schreiben von Ellinor von Puttkamer an Herrmann Mosler, datiert Karsamstag [16.4.] 1949, AMPG, Rep. 191, Nr. 20, Bd. 1 (4).

[17] Angèle Auburtin, Amerikanische Rechtsauffassung und die neueren amerikanischen Theorien der Rechtssoziologie und des Rechtsrealismus, ZaöVR 3 (1932/33), 529–567.

[18] Foto: MPIL.

[19] Zitiert nach: Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung (Fn. 9), 726.

[20] Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung (Fn. 9), 721; vgl. auch: Johannes Mikuteit, “Einfach eine sachlich politische Unmöglichkeit“. Die Protestation von Gerhard Leibholz gegen die Ernennung von Carl Bilfinger zum Gründungsdirektor des MPIL, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240408-140804-0.

[21] Ellinor von Puttkamer, Historische Pläne europäischer Verfassungsbildung, in: Carl Bilfinger (Gefeierter), Völkerrechtliche und staatsrechtliche Abhandlungen: Carl Bilfinger zum 75. Geburtstag am 21. Januar 1954 gewidmet von Mitgliedern und Freunden des Instituts, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 29, Köln: Heymann 1954, 345-370.

[22] Einzelne Fortschritte in diesem Bereich seien somit weniger das Ergebnis gezielter Frauenpolitik, sondern eine Folge des Mangels an unbelasteten männlichen Kollegen gewesen: Birgit Kolboske, Hierarchien. Das Unbehagen der Geschlechter mit dem Harnack-Prinzip. Frauen in der Max-Planck-Gesellschaft, Studien zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft Bd. 3, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 165.

Das Institut und das Bundesverfassungsgericht

Die „nicht unbedeutende Rolle, die frühere und gegenwärtige Mitarbeiter des KWI und MPIL im StIGH und IGH gespielt haben und noch spielen“, hat Karin Oellers-Frahm in ihrem Beitrag auf diesem Blog anschaulich aufgezeigt.[1] Auch am Bundesverfassungsgericht wirkten und wirken MPIL-Alumni: Beispiele der personellen Verbindungen sind – neben dem Kuratoriumsvorsitz, den traditionell der Präsident des Bundesverfassungsgerichts innehat[2] – insbesondere die beiden Bundesverfassungsrichter Helmut Steinberger und Christine Langenfeld, die vor ihrer Richtertätigkeit am Institut tätig waren (I.). Da Steinberger dem Zweiten Senat angehörte und Langenfeld derzeit dessen Mitglied ist, war „das Institut“ bislang nicht im Ersten Senat vertreten. Im „Dritten Senat“ aber, wie die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Richter des Gerichts häufig bezeichnet werden, waren bereits zahlreiche MPIL-Alumni tätig (II.). Auch abseits der Richterbank und jenseits des Dritten Senats war das Institut in Karlsruhe präsent: durch die Gutachten, die es für das Gericht erstattete; durch seine Direktoren, die Prozessvertretungen wahrnahmen; sowie durch seine Forschung, die Eingang in die Entscheidungen des Gerichts fand. Umgekehrt war und ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gegenstand der Institutsforschung (III.). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick (IV.).

I. Personelle Verbindungen: Verfassungsrichter mit MPIL-Hintergrund und das Kuratorium des Instituts

Einführung Helmut Steinberger als Institutsdirektor 1987. Von links: Jochen Frowein, Heide und Helmut Steinberger, Rektor Volker Sellin, Bundesverfassungsgerichtspräsident Roman Herzog, Ernst-Joachim Mestmäcker und MPG-Generalsekretär Wolfgang Hasenclever[3]

Der 1931 geborene Helmut Steinberger war von 1961 bis 1971 Mitarbeiter und Referent am MPIL. In dieser Zeit entstanden seine Dissertations- (1963) sowie Habilitationsschrift (1971) unter der Betreuung Hermann Moslers.[4] Noch im Jahr seiner Habilitation folgte Steinberger einem Ruf aus Mannheim auf den Lehrstuhl für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völker- und Europarecht. Nur wenig später, im Jahr 1975, wurde er zum Richter des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat) gewählt.

Steinbergers Dezernat umfasste u. a. das Ausländer- sowie das Völker- und Europarecht.[5] Als Berichterstatter war er maßgeblich für den Solange-II-Beschluss aus dem Jahr 1986 verantwortlich;[6] Unterstützung erhielt er dabei von seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Rainer Hofmann, einem der zahlreichen MPIL-Mitarbeiter, die dem „Dritten Senat“ angehörten.[7] Laut Hans-Joachim Cremer, der in der ZaöRV den Nachruf auf Steinberger verfasste, vermag man in den damaligen Entscheidungen des Zweiten Senats „die Handschrift Helmut Steinbergers wiederzuerkennen, der sich der Eingebundenheit des deutschen Verfassungsrechts in internationale Rechtskontexte und dessen Offenheit gegenüber dem Völker- und Europarecht stets bewusst war.“[8]

Nach dem Ende seiner zwölfjährigen Amtszeit im Jahr 1987 wurde Steinberger als Nachfolger Karl Doehrings Direktor am Institut sowie Lehrstuhlinhaber an der Fakultät in Heidelberg. In seinem Vortrag aus Anlass des Eintritts in das Direktorenkollegium knüpfte Steinberger an seine vormalige Tätigkeit an und referierte über „Entwicklungslinien in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtlichen Fragen“.[9]

Christine Langenfeld war von 1991 bis 1997 Referentin am Institut; im Jahr 2000 habilitierte sie sich an der Universität des Saarlandes mit der Arbeit „Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten“[10], die der damalige EGMR-Richter und MPIL-Alumnus Georg Ress betreute; noch im selben Jahr wurde sie Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen. Sie war von 2008 bis 2010 Dekanin der Göttinger juristischen Fakultät und von 2012 bis 2016 Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Im Jahr 2016 wurde sie zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat) gewählt, dem sie bis heute angehört; ihre Zuständigkeit umfasst u. a. das Staatskirchenrecht. Dass nicht noch ein Dritter in der Reihe mit Steinberger und Langenfeld zu nennen ist, lag an dessen Pflichtgefühl gegenüber dem MPIL und der Verbundenheit mit dem Völkerrecht: Im Jahr 1971 lehnte es der damalige Institutsdirektor und EGMR-Richter Hermann Mosler ab, sich für die Wahl ans Bundesverfassungsgericht vorschlagen zu lassen.[11]

Institutsdirektor Hermann Mosler im Gespräch mit Verfassungsrichter Ernst Friesenhahn und Gerichtspräsident Gebhard Müller auf dem Institutskolloquium „Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart“ 1961[12]

Das Kuratorium des Instituts bildet den Teil der Öffentlichkeit ab, der einen Bezug zur Institutsforschung aufweist. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts war stets Mitglied des Kuratoriums und wird traditionell zu dessen Vorsitzenden gewählt;[13] zuletzt gehörte auch Andreas Paulus, von 2010 bis 2022 Richter des Ersten Senats, dem Fachbeirat des Instituts an[14]. Im Jahr 2019 hielt der damalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle die später in der ZaöRV veröffentlichte Festrede anläßlich des Festaktes zur Eröffnung des Institutsneubaus;[15] der aktuelle Gerichtspräsident Stephan Harbarth überbrachte dem Institut die Glückwünsche des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Hundertjahrfeier im Dezember 2024[16]. Umgekehrt war auch das Institut an Jubiläen in Karlsruhe beteiligt: Im Jahr 2001 verfassten die damaligen Institutsdirektoren für die Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts Beiträge zur „Europäisierung des Verfassungsrechts“ (Frowein)[17] und über „Auswärtige Beziehungen und Verteidigungspolitik“ (Wolfrum)[18].

II. Weitere personelle Verbindungen: Mitglieder des „Dritten Senats“ mit MPIL-Hintergrund

Trotz rückläufiger Tendenz verzeichnete das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2023 weiterhin 4828 Verfahrenseingänge.[19] Durchschnittlich entfielen auf jeden der 16 Richter also etwa 300 Verfahren. Unterstützung bei der Fallbearbeitung erhalten die Richter heute von jeweils vier wissenschaftlichen Mitarbeitern; der Gerichtspräsident verfügt zusätzlich über einen persönlichen Referenten.[20] Bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern, deren Auswahl dem jeweiligen Richter obliegt,[21] handelt es sich i. d. R. um Richter (aller Gerichtsbarkeiten), Staatsanwälte und Ministerialbeamte, die zumeist zu Beginn ihrer Laufbahn für zwei bis drei Jahre an das Gericht abgeordnet werden.

Zu den Mitgliedern des „Dritten Senats“, wie sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Gerichts z. T. selbst bezeichnen,[22] gehörten in der Vergangenheit auch MPIL-Angehörige. Denn während der Großteil der Mitarbeiter aus Justiz und Verwaltung an das Bundesverfassungsgericht abgeordnet ist, wechselt ein kleiner Teil unmittelbar von einer wissenschaftlichen Einrichtung an das Gericht.[23] Während präzise Aussagen über die Anzahl der in der Vergangenheit am Bundesverfassungsgericht tätigen MPIL-Angehörigen und -Alumni nicht möglich sind, ließen sich mit Hilfe der Tätigkeitsberichte des MPIL, den Autorenlisten der Gemeinschaftspublikationen der wissenschaftlichen Mitarbeiter[24] sowie durch Gespräche mit Ehemaligen einige personelle Verbindungen rekonstruieren. So wechselten in den letzten Jahrzehnten bspw. Stephan Bitter, Clemens Feinäugle, Thomas Giegerich, Felix Hanschmann, Matthias Hartwig, Karen Kaiser, Nele Matz-Lück, Volker Röben, Frank Schorkopf[25] und Christian Walter vom MPIL nach Karlsruhe – viele von ihnen als wissenschaftliche Mitarbeiter für den Richter, der im Zweiten Senat für Völker- und Europarecht zuständig war. Dort haben sie einschlägige Senats- und Kammerverfahren betreut. Andere MPIL-Angehörige wie Lydia Müller-Gropp und Isabel Röcker führte der spätere berufliche Weg nach Karlsruhe. Einige der Ehemaligen beteiligten sich auch an den Gemeinschaftspublikationen der wissenschaftlichen Mitarbeiter des Gerichts.[26]

Die personellen Verknüpfungen zwischen MPIL und Bundesverfassungsgericht sind Ausdruck der damaligen „lose[n] Praxis“, dass ein MPIL-Mitarbeiter den für das Völkerrecht zuständigen Bundesverfassungsrichter bei der Bearbeitung völkerrechtlicher Fälle unterstützt.[27] Während diese Praxis mit der Zeit auslief, besteht eine institutionalisierte Verbindung zwischen dem MPIL und der (internationalen) Gerichtsbarkeit heute in Form der Teilnahme des Instituts am International Judicial Fellow-Programm des Internationalen Gerichtshofs. Das 1999 initiierte Programm ermöglicht Hochschulabsolventen und Angehörigen völkerrechtlicher Institutionen, für ein Jahr als Mitarbeiter am IGH zu wirken. Zuletzt war MPIL-Alumnus Tom Sparks von 2020-2021 judicial fellow für Richter Peter Tomka am IGH.

Sprungbrett BVerfG? Georg Ress, Helmut Steinberger, Christian Tomuschat und Hartmut Schiedermair 1970 am Institut[28]

Weitere bekannte MPIL-Alumni, die während oder nach ihrer Promotions- oder Referententätigkeit als Mitarbeiter an das Bundesverfassungsgericht wechselten, sind Kay Hailbronner, Eckart Klein, Georg Ress, Rainer Hofmann und Hartmut Schiedermair. Russell A. Miller, Professor an der Washington & Lee University und Gründungskoordinator des Netzwerks Max Planck Law, der zahlreiche Forschungsaufenthalte in Deutschland (u. a. mehrfach am MPIL) absolvierte und zu den besten angelsächsischen Kennern des deutschen (Verfassungs-) Rechts zählt,[29] war im Jahr 2000 der erste nichtdeutsche wissenschaftliche Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht.[30] Dort gründete er gemeinsam mit Peer Zumbansen, seinerzeit ebenfalls Mitarbeiter am Gericht, das German Law Journal,[31] in dessen Beirat und Herausgeberteam seither viele Institutsangehörige tätig waren und sind.

Zu den ersten Referendaren überhaupt, die eine Station ihres Referendariats am Bundesverfassungsgericht absolvierten, gehört der ehem. Institutsdirektor Jochen Frowein. In einer Zeit, als das Referendariat noch dreieinhalb Jahre und die Wahlstation sechs Monate dauerte, verbrachte Frowein 1962 ein halbes Jahr am Gericht bei seinem Doktorvater und akademischen Lehrer Ernst Friesenhahn, der 1951 zur Erstbesetzung des Gerichts gehörte und diesem bis 1963 angehörte. Seither haben es ihm zahlreiche (ehemalige) Institutsangehörige nachgetan, so bspw. Anfang der 2010er-Jahre Jelena von Achenbach und Anuscheh Farahat oder – derzeit – der Verfasser dieses Blogeintrags. Violetta Ritz, Konferenzdolmetscherin und Völkerrechtlerin sowie vormals Mitarbeiterin bei Anne Peters, ist aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem u. a. für Übersetzungen zuständigen Bereich „Protokoll/Internationales“ des Gerichts tätig.[32]

III. Gutachten, Prozessvertretungen, Zitationen

In seiner Fraport-Entscheidung aus dem Jahr 2011 befand das Bundesverfassungsgericht, dass sich das der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) entnehmbare Recht, den Ort der Versammlung zu bestimmen, neben dem öffentlichen Straßenraum auch auf private Grundstücke erstrecken kann, sofern diese dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht sind.[33] Bei der Beurteilung, ob ein solcher öffentlicher Kommunikationsraum vorliegt, verwies das Gericht u. a. auf das in der Rechtsprechung des US-amerikanischen und kanadischen Obersten Gerichtshofs entwickelte „Leitbild des öffentlichen Forums“.[34] Die Fraport-Entscheidung ist ein bekanntes Beispiel dafür, dass Verfassungsgerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts in ihren Entscheidungen vereinzelt die Rechtsprechung anderer Verfassungsgerichte berücksichtigen.[35] Diese vielen Gründen geschuldete Praxis[36] geht einher mit dem informellen Austausch zwischen Verfassungsrichtern verschiedener Staaten in Foren wie dem „Heidelberger Gesprächskreis Verfassungsgerichtsverbund[37]. Im Jahr 2016 von den damaligen Mitgliedern des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle und Peter M. Huber, dem langjährigen Richter des österreichischen Verfassungsgerichts (und nunmehr dessen Präsident) Christoph Grabenwarter sowie Institutsdirektor Armin von Bogdandy gegründet, widmete sich der Gesprächskreis den Fragen, die die zunehmende Zusammenarbeit zwischen nationalen und internationalen Gerichten in Europa aufwirft. Zu den Teilnehmern der jährlich am Institut stattfindenden Treffen gehörten regelmäßig Richter europäischer Verfassungsgerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts. Der Gesprächskreis wird fortan als „European Constitutional Forum“ in englischer Sprache unter Leitung von Armin von Bogdandy und Marta Cartabia, Professorin an der Universität Bocconi und ehem. Präsidentin des italienischen Verfassungsgerichts sowie ehem. Justizministerin Italiens, weitergeführt.

Stellt das Bundesverfassungsgericht rechtsvergleichende Überlegungen an, greift es mitunter auf externe Gutachten zurück. Entsprechend seines – zumal in der Vergangenheit – Forschungsschwerpunkts im vergleichenden Verfassungsrecht ist das Institut einer der „häufige[n] Lieferanten“ rechtsvergleichender Gutachten.[38] Diese behandelten etwa die Vorgaben in westlichen Demokratien zur Anpassung von Wahlkreisen bei Bevölkerungsverschiebungen[39] sowie zur verfassungsrechtlichen Beurteilung sog. Grundmandatsklauseln in europäischen Staaten[40]. Beide Gutachten übermittelte das Institut dem Gericht auf Ersuchen der damals für das Wahlrecht im Zweiten Senat zuständigen Berichterstatterin Karin Graßhof nach knapp zweimonatiger Bearbeitungszeit.[41] Hinzu kommen weitere Gutachten, die das Institut, die Direktoren oder einzelne Mitarbeiter für das Bundesverfassungsgericht erstattet haben;[42] z. T. verfassen auch andere Max-Planck-Institute rechtsvergleichende Gutachten für das Gericht[43]. Die vereinzelte Gutachteneinholung des Bundesverfassungsgerichts betreffend ausländisches (Verfassungs-) Recht erinnert an das Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit: Denn während im Hinblick auf das deutsche Recht der Grundsatz iura novit curia gilt, können Zivilgerichte, sofern ausländisches Sachrecht anwendbar ist, hierüber Sachverständigengutachten einholen, vgl. § 293 S. 1 ZPO.[44] Daneben verfasste das Institut bspw. im Verfahren zur Strafbarkeit von DDR-Spionen[45] ein später in der institutseigenen Schriftenreihe („Schwarzen Reihe“) erschienenes völkerrechtliches Gutachten zur Frage, inwieweit eine völkerrechtliche Regel der Bestrafung ehem. DDR-Spione in Deutschland entgegensteht.[46]

In den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht kommt den Prozessvertretern eine besondere Rolle zu, indem sie die Argumente ihrer Partei vortragen. Diese Rolle nahmen insbesondere vor der Jahrtausendwende auch (spätere) MPIL-Direktoren wahr: Dass Jochen Frowein die Bundesregierung im Verfahren über die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen i. R. v. Art. 24 Abs. 2 GG vertrat – und sein damaliger Habilitand Georg Nolte die Thematik bereits zuvor in der ZaöRV aufbereitet hatte –, hat Helmut Aust auf diesem Blog nachgezeichnet.[47] Prozessvertretungen nahm außerdem Rüdiger Wolfrum wahr;[48] als Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts war Hermann Mosler (vor seinem Eintritt in das Institut) ebenfalls an Prozessvertretungen der Bundesregierung in Karlsruhe beteiligt[49]. In eigener Sache in Karlsruhe aktiv war Karl Doehring, der im Zuge der 68er-Bewegung Verfassungsbeschwerde gegen das damalige baden-württembergische Hochschulgesetz einlegte.[50]

Anders als etwa der EGMR[51] zitiert das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen rechtswissenschaftliche Literatur.[52] Eine Zitation durch das Gericht gilt vielfach als Qualitätsausweis. Eine kursorische Durchsicht der offiziellen Entscheidungssammlung (BVerfGE) zeigt, dass das Gericht regelmäßig die großen Publikationsprojekte des Instituts und der Direktoren zitiert, darunter die nunmehr von Anne Peters und Rüdiger Wolfrum herausgegebene, von Rudolf Bernhardt begründete Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), das mehrbändige, von Armin von Bogdandy mitherausgegebene Werk Ius Publicum Europaeum,[53] das Völkerrechtslehrbuch Dahm/Delbrück/Wolfrum[54] oder den EGMR-Kommentar Frowein/Peukert[55]. In den Entscheidungen des Gerichts finden sich ebenfalls Verweise auf ZaöRV-Beiträge, etwa auf den bekannten Aufsatz Hermann Moslers „Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte“[56].

Umgekehrt begleitet das Institut die Rechtsprechung des Gerichts: Sowohl in der ZaöRV – etwa in dem für knapp 15 Jahre jährlich erschienenen Bericht Matthias Hartwigs über die völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik[57] – oder der Schwarzen Reihe finden sich seit Jahrzehnten Entscheidungsanmerkungen und konzeptionelle Arbeiten[58] zum Bundesverfassungsgericht. Hervorzuheben ist die in der Schwarzen Reihe erschienene Zusammenstellung sämtlicher Dokumente des Lissabon-Verfahrens durch Karen Kaiser, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Institut wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Udo Di Fabio wurde, dem Berichterstatter im Lissabon-Verfahren.[59] Schließlich ist die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung Gegenstand der Montagsrunde (vormals Referentenbesprechung); in Anlehnung an Matthias Hartwigs auf diesem Blog zur EGMR-Rechtsprechung vorgetragene Gleichung lässt sich sagen: „Was in Karlsruhe geschah, fand in der Referentenbesprechung ein Echo.“[60] Gelegentlich trugen in den vergangenen Jahren selbst Richter des Bundesverfassungsgerichts in der Montagsrunde vor – zuletzt Susanne Baer, Peter M. Huber und die aktuelle Vizepräsidentin Doris König. Der Besuch von Richtern des Bundesverfassungsgerichts führt übrigens nicht nur zu genuin rechtlichem Austausch: So mancher Institutsangehöriger erinnert sich, dass häufig auch für das leibliche Wohl der Chauffeure gesorgt wurde, deren Richter am Institut weilten.

IV. Ausblick

Die Entfernung zwischen dem Institut und dem Bundesverfassungsgericht beträgt knapp 60 Kilometer, die bei guter Verkehrslage in weniger als einer Stunde bewältigt werden können; eine Bahnfahrt dauert etwa 50 Minuten. Von der überschaubaren Distanz profitieren regelmäßig die Teilnehmer ausländischer Delegationen, die ohne längere Transfers beide Institutionen besuchen können, zuletzt im November 2024 einige Mitglieder des ukrainischen Verfassungsgerichts.

In diesem Blogpost konnten die vielfältigen Ausprägungen der nicht nur räumlichen Nähe zwischen dem MPIL und dem Bundesverfassungsgericht nur angedeutet werden; gerade der Einfluss der Institutsforschung auf inhaltliche Positionen des Gerichts bedürfte genauerer Untersuchung.[61] Aufschlussreich hierfür könnten die beratungsbezogenen Verfahrensakten sein, die nach Ablauf von 60 Jahren einsehbar (§ 35b Abs. 5 S. 2 BVerfGG) und z. T. bereits Gegenstand erkenntnisreicher Studien sind.[62] Unabhängig davon bleiben die beiden Institutionen einander auch in Zukunft verbunden: durch die skizzierten Traditionen sowie die MPIL-Angehörigen und Alumni, die in Karlsruhe tätig sind – im „Dritten Senat“ und auf der Richterbank.

***

[1] Karin Oellers-Frahm, Das Institut und die Internationale Gerichtsbarkeit, MPIL100.de.

[2] Siehe: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 270, Berlin: Springer 2018, 59.

[3] Foto: MPIL.

[4] Siehe: Hans-Joachim Cremer, Nachruf auf Helmut Steinberger, ZaöRV 74 (2014), 685–688.

[5] Siehe: Bundesverfassungsgericht, Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Helmut Steinberger ist verstorben, Pressemitteilung 65/2014, 23. Juli 2014.

[6] BVerfGE 73, 339.

[7] Vgl.: Armin von Bogdandy, Verfassungsgerichtsbarkeit in der europäischen Gesellschaft, in: Philipp B. Donath et al.  (Hrsg.), Der Schutz des Individuums durch das Recht. Festschrift für Rainer Hofmann zum 70. Geburtstag, Berlin: Springer 2023, 893–905, 894; zum „Dritten Senat“ sogleich unter II.

[8] Cremer (Fn. 4), 686.

[9] Siehe: Helmut Steinberger, Entwicklungslinien in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtlichen Fragen, ZaöRV 48 (1988), 1–17; für eine umfassende Würdigung von Steinbergers Wirken am Bundesverfassungsgericht und am Institut, siehe: Cremer (Fn. 4).

[10] Christine Langenfeld, Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten. Eine Untersuchung am Beispiel des allgemeinbildenden Schulwesens in der Bundesrepublik, Tübingen: Mohr 2001.

[11] Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 262, Berlin: Springer 2017, 61.

[12] Foto: MPIL.

[13] Siehe: Bernhardt/Oellers-Frahm (Fn. 2).

[14] Bernhardt/Oellers-Frahm (Fn. 2), 62.

[15] Andreas Voßkuhle, Rechtspluralismus als Herausforderung. Zur Bedeutung des Völkerrechts und der Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ZaöRV 79 (2019), 481–501.

[16] Aufgegriffen in: Jannis Koltermann, Theorie und Praxis. Das MPI für Völkerrecht feiert Geburtstag, FAZ vom 24.12.2024.

[17] Jochen Abr. Frowein, Die Europäisierung des Verfassungsrechts, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. I, Tübingen: Mohr 2001, 209–221.

[18] Rüdiger Wolfrum, Auswärtige Beziehungen und Verteidigungspolitik, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. II, Tübingen: Mohr 2001, 693–718.

[19] Siehe: Bundesverfassungsgericht, Jahresbericht 2023, 49.

[20] Zur Anzahl und Historie der wissenschaftlichen Mitarbeiter ausführlich Vanessa Hellmann, Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen am Bundesverfassungsgericht, in: Robert von Ooyen/Martin Möllers (Hrsg.), Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 3. Aufl., Berlin: Springer 2025, 15 ff. Aus der Literatur ferner: Rüdiger Zuck, Der „3. Senat“ am Bundesverfassungsgericht, DÖV 1974, 305–307; Daniel Volp, in: Tristan Barczak (Hrsg.), Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG, Berlin: de Gruyter 2018, § 1 Rn. 114 ff; Mayeul Hiéramente, Der „Dritte Senat“ des Bundesverfassungsgerichts, ZRP 53 (2020), 56–58; Johannes Masing, Das Bundesverfassungsgericht, in: Herdegen et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, München: C.H. Beck 2021, § 15 Rn. 76 ff.

[21] Siehe § 13 Abs. 2 der Geschäftsordnung des BVerfG.

[22] Siehe bereits Harald Klein, Der Dritte Senat am Bundesverfassungsgericht, in: Umbach/Urban/Fritz/Böttcher/v. Bargen (Hrsg.), Das wahre Verfassungsrecht, Baden-Baden: Nomos 1984, 377–386. Ferner unlängst: Sandra Lukosek/Alix Schlüter, Neues vom „Dritten Senat“: Aus dem Maschinenraum des Bundesverfassungsgerichts, LTO vom 06.12.2024.

[23] Hellmann (Fn. 20), 18; Hieramente (Fn. 20), 57.

[24] Dazu zählen einerseits die Mitarbeiterkommentare zum BVerfGG. Dies sind bspw. Barczak (Fn. 20); Christan Burkiczak/Franz Wilhelm Dollinger/Frank Schorkopf (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., Heidelberg: C.F. Müller 2021. Umfassend zur BVerfGG-Kommentarliteratur: Thomas Gawron, Fortsetzung einer Tradition. Ältester Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG in neuer Auflage erschienen, RuP 58 (2022), 240–242. Zudem sind mittlerweile sieben Bände der von aktiven und ehemaligen Mitarbeitern herausgegebenen „Linien der Verfassungsgerichtsrechtsprechung“ erschienen, zuletzt: Sandra Lukosek/Alix Schlüter (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. VII, Berlin: de Gruyter 2024.

[25] Vgl.: Volker Hagemeister, Karlsruher Karrieretraum, FAZ vom 02.04.2005.

[26] Siehe bspw.: Felix Hanschmann, „Ceci n’est pas une pipe“ – Zur Freiheit der Literatur in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Sigrid Emmenegger/Ariane Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. II, Berlin: de Gruyter 2011, 327–349; Karen Kaiser/Isabel Schübel-Pfister, Der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Europarechtsfreundlichkeit: Trick or Treat?, in: Sigrid Emmenegger/Ariane Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. II, Berlin: de Gruyter 2011, 545–571; Isabel Röcker, Enteignung = Aneignung? Zum Verständnis der Enteignung als Mittel hoheitlicher Güterbeschaffung, in: Fabian Scheffczyk/Kathleen Wolter (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. IV, Berlin: de Gruyter 2017, 291–314. Frank Schorkopf ist Mitherausgeber des Mitarbeiterkommentars Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (siehe Fn. 24).

[27] Vgl.: Barbara Dittmann/Katharina König, Workshop „Horizont erweitern. Wissenschaftliche Mitarbeit bei den Bundesgerichten und dem Generalbundesanwalt“, djbZ 1 (2010), 35-37.

[28] Foto: MPIL.

[29] Allein aus den vergangenen Jahren: Russell Miller, Herausforderungen und Wandel in der Außenperspektive (§ 22), in: Uwe Kischel/Hanno Kube (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I: Grundlagen, Wandel und Herausforderungen, Heidelberg: C.F. Müller 2023; Russell Miller, The German Federal Constitutional Court and Gender Identity, ZaöRV 83 (2023), 517–536; Russell Miller, An Introduction to German Law and Legal Culture, Cambridge: Cambridge University Press 2024.

[30] Über seinen Weg vom US-amerikanischen Rechtsanwalt zum Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht berichtet Miller in der vierten Folge des Podcasts „Recht wissenschaftlich“ (03.05.2024), den die MPIL-Alumna Paulina Starski gemeinsam mit ihrem Freiburger Kollegen Jan Henrik Klement betreibt.

[31] Siehe: German Law Journal, „About“.

[32] Ausführlich zu den Tätigkeiten des Bereichs siehe: Bundesverfassungsgericht, Jahresbericht 2023 (Fn. 19), 19.

[33] BVerfGE 128, 226 (251 ff.).

[34] BVerfGE 128, 226 (253).

[35] Stefan Martini, Verfassungsvergleichung als Autoritätsressource, in: Till Patrik Holterhus/Fabian Michl (Hrsg.), Die schwache Gewalt? Zur Behauptung judikativer Autorität, Tübingen: Mohr Siebeck 2022, 147–166, 148, mit weiteren Nachweisen. Ausführlich zur entsprechenden BVerfG-Praxis: Stefan Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung, Berlin: Duncker & Humblot 2018, 59 ff.; Uwe Kischel, Deutsches Verfassungsrecht im weltweiten Austausch, in: Kischel/ Kube (Fn. 29), § 10 Rn. 26 ff.

[36] Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung (Fn. 35), 126 ff.; 228 ff.

[37] Hierzu auch Voßkuhle (Fn. 15), 497.

[38] Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung (Fn. 35), 119.

[39] Siehe BVerfGE 95, 335 (347; 363 f.).

[40] Siehe BVerfGE 95, 408 (416; 423 f.).

[41] Nach ZaöRV 1997 (MPIL, Wahlkreiseinteilung in westlichen europäischen Demokratien, den USA und Kanada. Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht für das Bundesverfassungsgericht, ZaöRV 57 [1997], 633–674, 633) erreichte die Gutachtenanfrage im Verfahren zur Wahlkreiseinteilung das Institut am 05.12.1996. Das Institut erstattete sein Gutachten am 29.01.1997 und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging am 10.04.1997. Nach ZaöRV 1997 (MPIL, Grundmandatsklauseln in europäischen Staaten. Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht für das Bundesverfassungsgericht, ZaöRV 57 [1997], 615–631, 615) datierte die Anfrage im Verfahren zur Grundmandatsklausel vom 20.05.1996; das Institut übermittelte sein Gutachten am 23.07.1996 und die Entscheidung des Gerichts erging am 10.04.1997.

[42] Ausführlich Bernhardt/Oellers-Frahm (Fn. 2), 109 ff. Ferner: Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945–2002, in: Thomas Duve/Stefan Vogenauer/Jasper Kunstreich (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948–2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 49–90, 76.

[43] So etwa das Hamburger MPI, das im Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen (BVerfGE 166, 1) ein Gutachten zur Frühehe in rund 60 Staaten erstattet hat, siehe: MPI für ausländisches und internationales Privatrecht, Die Frühehe im Rechtsvergleich: Praxis, Sachrecht, Kollisionsrecht, RabelsZ 84 (2020), 705–785.

[44] Ausführlich zur Bezugnahme auf rechtsvergleichende Gutachten durch das Bundesverfassungsgericht: Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung (Fn. 35), 119 ff.

[45] BVerfGE 92, 277.

[46] Jochen A. Frowein/Rüdiger Wolfrum/ Gunnar Schuster, Völkerrechtliche Fragen der Strafbarkeit von Spionen aus der ehemaligen DDR. Gutachten erstattet im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts und Beschluß des Gerichts vom 15. Mai 1995,  Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 121, Berlin: Springer 1995.

[47] Helmut Philipp Aust, Praxisnähe und wissenschaftliche Reflexion, MPIL100.de.

[48] Wolfrum vertrat den Bundesrat im Verfahren über den Begriff der Partei i. S. v. Art. 21 GG (BVerfGE 91, 276) sowie die Bundesregierung im Verfahren über die Bologna-Reform (BVerfGE 112, 321).

[49] Siehe Lange (Fn. 11), 167, 180.

[50] Vgl. Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: wjs 2008, 141–142. Für eine Einordnung des Verfahrens: Florian Meinel, Das erste Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1973, WissR 50 (2017), 3–27; zur 68er-Zeit am MPIL: Ingrid Gilcher-Holtey, Burg in der Brandung? Das MPIL im Mobilisierungsprozess der 68er Bewegung, MPIL100.de.

[51] Hierzu etwa Matthias Jestaedt, Verfassungsdogmatik, in: Kischel/Kube (Fn. 29), § 6 Rn. 68 f.

[52] Laura Wittmann, Zitierpraxis von Verfassungsgerichten, Tübingen: Mohr Siebeck 2024, 108 ff.

[53] Das neunbändige Handbuch wird von Armin von Bogdandy und Peter M. Huber sowie jeweils einem ausländischen Mitherausgeber herausgegeben.

[54] Siehe Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I Tlb. (1), (2) und (3), 2. Aufl., Berlin: de Gruyter 1989 und 2002.

[55] Siehe: Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert (Hrsg.), EMRK-Kommentar, 4. Aufl., Kehl am Rhein: N.P. Engel 2024.

[56] Siehe Hermann Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22 (1962), 1–48, zitiert etwa in BVerfG NJW 2006, 2542, 2543. Der Titel Moslers Beitrags – „Die Erweiterung des Kreises des Völkerrechtssubjekte“ – ist zum geflügelten Wort in der deutschen Völkerrechtswissenschaft geworden, vgl.: Richard Dören, Business and Human Rights in den USA und in Deutschland. Ein Vergleich der völkerrechtswissenschaftlichen Diskurse, Baden-Baden: Nomos 2024, 197–198.

[57] Siehe bspw.: Matthias Hartwig, Bericht zur völkerrechtlichen Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018, ZaöRV 80 (2020), 147–232, 156, 158 ff.

[58] Siehe bspw. Theodor Shulman, The Challenge of Stability. Niklas Luhmann’s Early Political Sociology and Constitutional Adjudication in the United States and Germany, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 322, Baden-Baden: Nomos 2023.

[59] Karen Kaiser, Der Vertrag von Lissabon vor dem Bundesverfassungsgericht. Dokumentation des Verfahrens, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 242, Baden-Baden; Nomos 2013.

[60] Vgl.: Matthias Hartwig, Das wissenschaftliche Hochamt. Die Referentenbesprechung (vulgo Montagsrunde) am Institut, MPIL100.de: „Was in Straßburg geschah, fand in der Referentenbesprechung ein Echo.“

[61] Vgl. insoweit die Beiträge auf diesem Blog von Aust (Fn. 47) sowie von Frank Schorkopf, Grundrechtsschutz in den Gemeinschaften, MPIL100.de.

[62] Einführend: Felix Meinel/Benjamin Kram, Das Bundesverfassungsgericht als Gegenstand historischer Forschung, JZ 69 (2014), 913–921; für Beispiele aktengestützter Untersuchungen siehe: Felix Meinel (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bonner Republik. Aspekte einer Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen: Mohr Siebeck 2019; Fabian Michl, Das Sondervotum zum Apothekenurteil, JöR 68 (2020), 323–407; ferner Thomas Darnstädt, Verschlusssache Karlsruhe: Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts, München: Piper 2018.

Erinnerungen an die Bibliothek in den Jahren 1989 bis 2002

Wenn ich als Bibliothekar die Bibliothek des Instituts in den Jahren von 1989 bis 2002 erinnere, erkenne ich, dass sie damals anders gearbeitet hat, anders benutzt und anders wahrgenommen wurde als heute.[1] Gegenwärtig scheint mir die allgemeine Vorstellung von ihr eher unbestimmt zu sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen die Bibliothek nicht als festumrissene Einheit. Das war in der Zeit von 1989 bis zum Umzug in den Neubau im September 1996 anders. Man betrat das alte Institutsgebäude durch eine kleine Vorhalle. Rechts führte eine Freitreppe in die Obergeschosse, in denen die Direktoren und Wissenschaftler saßen. Die verhaltene Eleganz ihres leicht geschwungenen Geländers vermittelte dem Aufsteigenden, dass er sich in einem Gebäude gehobener Bedeutung befand – dem Sitz eines Forschungsinstituts. Geradeaus betrat man die schmucklose Bibliothek. Sie erstreckte sich über das gesamte Erdgeschoß. Dieses Erdgeschoß des Institutsgebäudes war in der allgemeinen Vorstellung „die Bibliothek‟. Referenten und Gäste besuchten sie regelmäßig, weil sie sie besuchen mussten. Nur in ihrem Katalogsaal fanden sie die Zettelkataloge, die über den Bücherbestand informierten. Sie gingen dann vielleicht weiter in das anschließende Magazin, den sogenannten „Turm‟. Oder sie besuchten die Aufsatzkartei mit, im Jahre 1996, 402.000 Nachweisen oder die Kartei völkerrechtlicher Verträge mit, in demselben Jahr, 68.800 internationalen Verträgen, die damals von der Bibliothek geführt wurden. Dabei begegneten sie auch den Bibliotheksmitarbeitern, deren Hilfe sie ausdrücklich anerkannten. In einem veröffentlichten Band sind die Erwähnungen der Bibliothek in Vorworten wissenschaftlicher Arbeiten von 1978 bis 2002 reproduziert. Der Band enthält 377 Blatt mit nicht ganz so vielen Danksagungen.[2] Viele Autoren erinnerten auch an Bibliotheksangehörige, die nicht dem höheren Dienst angehörten. Sie nannten die Namen von 14 solcher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die Hälfte davon mehrfach. So wird Petra Weiler, die Verwalterin der Dokumente der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, in dreizehn Vorworten gelobt. Die Erwähnungen zeigen, wie gut sich Benutzer und Bibliothekare damals persönlich kannten und wie wohlwollend sie miteinander umgingen.

Petra Weiler 1985 in ihrem Büro[3]

Wenn die Referenten damals die Bibliothekare und deren Büros kannten, so gab es auch etwas, was ihnen nicht täglich vor Augen stand: Es war die gewachsene Büchersammlung. Das an das Institutsgebäude angebaute Büchermagazin fasste inzwischen nur den kleineren Teil der Bibliotheksbestände. Der größere Teil war in den zwei Untergeschossen des Max-Plank-Hauses in der Gerhart-Hauptmann-Straße und, in den Jahren vor 1996, außerdem in einem Industriegebäude in Oftersheim bei Schwetzingen untergebracht. Manche Referenten hielten den Buchbestand für kleiner als er war. Das führte auch zu Fehlurteilen bei Vorschlägen für Standorte des Neubaus. Es wurden Gelände empfohlen, die für das Bibliotheksmagazin zu klein waren.

Die Gebäude des Neubaus

Die Rotunde um 2010[4]

Die beiden folgenreichsten Ereignisse für die Bibliothek in den Jahren von 1989 bis 2002 waren der Bezug des Neubaus und die Ersetzung des Papiers durch Elektronik bei bibliothekarischen Arbeiten. Die äußere Gestalt des Neubaus macht die partikuläre Gliederung des Instituts in zwei Bereiche sichtbar, wie sie schon im Altbau aufgefasst war, in welchem man die Bibliothek im Erdgeschoß als eigenen, vom Rest unterschiedenen Bereich, empfunden hatte. Der eine Bauteil des Neubaus war für die Wissenschaftler und die Verwaltung bestimmt, der andere für die Bibliothek. Inzwischen wurde die damalige Gestalt verändert. Beide Bauteile waren und sind durch die Rotunde verbunden – oder eben auch getrennt. Die Grenze zwischen Wissenschaftsbereich und Bibliothek ist noch heute im Erdgeschoß auf dem Boden der Rotunde markiert. Der Wissenschaftsbereich ist mit schwachrosa Platten belegt, der Bibliotheksbereich mit braunem Parkett aus kleinen Holzstücken. Stellte man sich die beiden Untergeschosse der Bibliothek, die weit unter die Wiese vor dem Gebäude reichen, als zweigeschossigen Magazinhochbau über dem Erdboden vor und setzte die zwei Stockwerke des vorhandenen Bibliotheksbaus darauf, sähe man ein vierstöckiges Gebäude, das höher und umfangreicher wäre als der Bauteil auf der anderen Seite der Rotunde.

Die Bibliotheksräume im Neubau

Die Kartenkataloge, heute im Untergeschoss befindlich[5]

Die der Bibliothek im Neubau zugewiesenen Büros unterschieden sich sehr von der Unterbringung in der Berliner Straße 48. Im Neubau gab es keinen Katalogsaal. Es fehlte ein Ort, der dem größten Arbeitsraum der alten Bibliothek, abgesehen vom Lesesaal, entsprach, der auch der zweitgrößte Raum des alten Instituts gewesen war, die einstige Mitte der Bibliothek zwischen Magazin und Einzelbüros. Im Neubau standen die Kartenkataloge in neuen Holzkästen dekorativ in der Rundung der offenen, zum Durchschreiten geplanten Rotunde im ersten Obergeschoß, fern der Büros von Referenten und Bibliothekaren. In dem neuen Gebäude gab es die alte Bibliothek nicht mehr. Dass die Veränderung nicht laut beklagt, dass der Katalograum kaum vermisst wurde, lag allerdings nicht an der neuen Raumeinteilung. Der Umzug fiel in die Zeit, in der die Bibliothek die elektronische Datenverarbeitung einführte. Im Jahre 1996 arbeiteten viele Wissenschaftler bereits mit der EDV. Den Kartenkatalog konsultierten sie kaum noch. Sie recherchierten auf ihren Bildschirmen in ihren Büros. Die elektronische Datenverarbeitung hatte den Katalogsaal als Ort ihrer Literatursuche überflüssig gemacht.

Walter Höfer und Otto Steiner im Katalogsaal in der Berliner Straße 1972[6]

Die elektronische Datenverarbeitung das VRZS 19782000

Der elektronischen Datenverarbeitung fühlten sich die Bibliothekare des Instituts enger verbunden seitdem das „Verzeichnis rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und Serien in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland‟, abgekürzt VRZS, veröffentlicht wurde.[7] Es war mit Hilfe der EDV hergestellt und erschien in vier Ausgaben von 1972 bis 2000. Der Grund für unsere Zuneigung zum VRZS war ein Vermerk auf seinen Titelseiten. Er lautet: Das Verzeichnis „führt das Zeitschriftenverzeichnis der juristischen Max-Plank Institute– (ZVJM) fort.“ Ein Drittel der im VRZS genannten Zeitschriften war auch in unserer Bibliothek vorhanden. In der Ausgabe 1990 waren es 13.700 der 40.200 gemeldeten Titel.

Auswärtige Benutzer

Der Lesesaal um 2010[8]

Die Erwähnung der juristischen Max-Plank-Institute auf den Titelblättern des VRZS zeigt, dass Zeitschriften ihrer Bibliotheken von auswärtigen Lesern eingesehen werden durften. Das galt auch für Monographien. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft vermerkte regelmäßig und auch im Jahre 2001 bei der Nennung ihres überregionalen Sammelschwerpunkts „Rechtswissenschaft‟ in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: „Für spezielle Literatur zum ausländischen und internationalen Recht stehen im Übrigen die Präsenzbibliotheken der juristischen Max-Plank-Institute nach Maßgabe ihrer Benutzungsbedingungen zur Verfügung.‟[9] Die DFG bestätigte hiermit, dass unsere Bibliothek spezielle Literatur zum ausländischen und internationalen Recht sammelte, die Interessenten von außerhalb des Instituts und der Max-Plank-Gesellschaft zugänglich war.

Informationsvermittlung vor 1989

Harald Müller 1985 in seinem Büro[10]

Otto Steiner, der Bibliotheksdirektor von 1960 bis 1980, verfolgte die Klassifikationen der Dokumente internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaften. Im Jahr 1965 beschrieb er mit Alfred Maier das Repertorium völkerrechtlicher Verträge, das in der Bibliothek mit Hollerith-Karten, entsprechend dem damaligen Stand der Technik, geführt wurde.[11] Eine Informationsvermittlungsstelle der Bibliothek bot im Jahre 1985 über einen Personal Computer (Marke R C Partner) Anschluss an etwa 250 auswärtige Datenbanken von juristischem Interesse. Insgesamt waren etwa 700 Datenbanken über sie zugänglich. Dr. Harald Müller, stellvertretender Bibliotheksdirektor von 1981 bis 2002 und danach Bibliotheksdirektor bis 2014, wachte seit seinem Eintritt in die Bibliothek über die technischen Erfordernisse für die bibliothekarische Anwendung der EDV.

Die elektronische Katalogisierung und Retrokatalogisierung des Alphabetischen Katalogs

Bibliotheksmitarbeiterinnen 1972 am Katalog[12]

Seit dem 15. September 1988 setzte die Bibliothek die EDV regulär für die Erwerbung und Katalogisierung der Bücher ein. Das war jahrelang vorbereitet worden. Ein Antrag der Bibliothek auf Einführung der EDV im Geschäftsgang vom Februar 1986 wurde vom „Beratenden Ausschuss für EDV-Anlagen in der MPG‟, dem sogenannten BAR, in München behandelt. Nachdem sich ein eigens hierfür eingesetzter Unterausschuss mit dem Vorhaben befasst hatte, hieß der BAR den Antrag im Oktober gut und bewilligte einen Betrag von DM 95.000, zur Aufnahme eines Probebetriebs. Ein vom BAR geforderter EDV-Berater wurde Anfang 1987 eingestellt. Wir hatten uns für die Katalogisierung der Bücher dem Südwestverbund in Konstanz angeschlossen. Damit konnten wir EDV-Einrichtungen und Programme dieses gut ausgestatteten Verbundes der baden-württembergischen Universitätsbibliotheken benutzen. Wir nahmen vor allem an der Entwicklung der EDV-Welt teil. Noch heute katalogisieren wir in Konstanz und transferieren die Daten in unsere eigene Datenbank in Heidelberg. Wir hatten dabei die Katalogisierungsregeln der Konstanzer Zentrale anzuwenden. Das war für die ab dann laufend elektronisch zu katalogisierenden Neuerwerbungen kein Problem. Die vorhandenen Titelaufnahmen des alphabetischen Kartenkatalogs waren nach älteren Regeln hergestellt. Wir retrokatalogisierten sie nach den neuen Einheitsregeln elektronisch. Die große Unternehmung dauerte bis zum Jahre 2000. Die Arbeiten führten auch drei mit Sondermitteln bezahlte Diplombibliothekarinnen aus.

Der Beitritt zum Südwestverbund

Zur Illustration, dass Bibliothekare vor etwa 40 Jahren die elektronische Datenverarbeitung anders beurteilten als es heute üblich ist, möchte ich anfügen, dass unser Anschluss an den Südwestverbund keinesfalls einfach war. Der Verbund war 1986 gegründet worden. In ihm bestimmten im Wesentlichen die Direktoren der baden-württembergischen Universitätsbibliotheken. Diese sahen einen gemeinsamen Katalog sehr unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung der Ausleihe von Büchern zwischen ihren Bibliotheken. Der Leihverkehr erfolgte damals mit Hilfe der Versendung von Papierleihscheinen. Wir waren eine der ersten Nicht-Universitätsbibliotheken, die einen Antrag auf Teilnahme am Südwestverbund stellten und wurden als den Universitätsbibliotheken nicht gleichwertig angesehen. Außerdem liehen wir keine Bücher aus und wurden nicht vom Bundesland Baden-Württemberg finanziert, das den Südwestverbund unterhielt. Zu unserer Aufnahme hat die Fürsprache von Frau Dr. Mallmann-Biehler, der Leiterin des Südwestverbundes, beigetragen. Sie war bis 1987 Abteilungsleiterin an der Universitätsbibliothek Heidelberg gewesen und kannte unsere Bibliothek.

Nicht erreicht: Die Anpassung des Systematischen Katalogs an elektronische Benutzung

Elektronische OPAC-Recherchemöglichkeiten in der Rotunde um 2010[13]

Die elektronische Datenverarbeitung hatte nicht nur Arbeitsweise und Kataloge unserer Bibliothek verändert, sondern auch das Suchverhalten ihrer Benutzer. Wollte man diesen die Informationen unseres Systematischen Katalogs vermitteln, musste man die Beschreibungen der Systematik, nach deren Ordnung die Bücher in den Regalen stehen, ihrer Suchweise anpassen. Bisher war nur der Text der Systematiken, etwa für Völkerrecht, elektronisch abfragbar. Zusätzlich sollte man die systematischen Positionen derart mit Schlagworten verstehen, dass deren Anklicken zu einer Systemstelle mit Buchtiteln führte. Dann hätten sich die Referenten vielleicht nicht damit begnügt, in nicht systematisch geordneten Quellen, wie dem alphabetischen Katalog oder dem Internet, zu suchen.

Zum Abschluss: Vergleich der Bibliothek in den Jahren 2002 und 2023

Die Bibliothek ist seit 2002 schwächer geworden. Ein Beispiel kann es beweisen: Im Jahre 2002 verbrauchte die Bibliothek für Erwerbungen, Einband und Bibliotheks-EDV 893.000 Euro – im Jahre 2023 betrug ihr Sach-Etat 994.000 Euro. Ihre Erwerbungsmittel sind in 21 Jahren um 100.000 Euro, oder 1/9 oder 11%, gestiegen. Die Kaufkraft ihrer Finanzausstattung ist um mindestens 20% gesunken. Die Bibliothek hat in den Jahren von 1989 bis 2002 nicht nur andere, sondern auch bessere Zeiten gesehen, als sie heute erlebt.

***

[1] Ausführliche Angaben in: Max-Plank-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Jahresberichte Bd. 1–25 (1984–2009).

[2] Joachim Schwietzke (Hrsg.), Die Bibliothek des Max-Plank-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Erwähnungen in Vorworten wissenschaftlicher Arbeiten von 1978 bis 2002, 2., um einen Nachtrag erweiterte Auflage, Heidelberg: J. Schwietzke c/o MPIL 2003.

[3] Foto: MPIL.

[4] Foto: MPIL.

[5] Foto: MPIL.

[6] Foto: MPIL.

[7] Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz (Hrsg.), Verzeichnis rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und Serien in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I–IV, München, Saur 1972–2000, Engl. Ausg. u.d.T.: Union list of legal serials in selected libraries of the Federal Republic of Germany.

[8] Foto: MPIL.

[9] Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (Hrsg), Jahrbuch der deutschen Bibliotheken, Bd. 59 (2001/2002), Wiesbaden, Harrassowitz 2001, 373–374.

[10] Foto: MPIL.

[11] Otto Steiner/Alfred Maier (Hrsg.), Allgemeines Repertorium völkerrechtlicher Verträge. Beschreibung, Gebrauchsanweisung, Schlüsselisten, Bd. 2, Heidelberg, Max Plank Institut für Ausländisches und Öffentliches Recht und Völkerrecht 1965, Engl. Ausg. u.d.T.: General repertory of international treaties; Otto Steiner, Dokumente und Publikationen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen. Einführung für Juristen und Politologen, Bd. V, Tübingen, Arbeitsgemeinschaft für Jurist. Bibliotheks- u. Dokumentationswesen 1978.

[12] Foto: MPIL.

[13] Foto: MPIL.