Wenn ich als Bibliothekar die Bibliothek des Instituts in den Jahren von 1989 bis 2002 erinnere, erkenne ich, dass sie damals anders gearbeitet hat, anders benutzt und anders wahrgenommen wurde als heute.[1] Gegenwärtig scheint mir die allgemeine Vorstellung von ihr eher unbestimmt zu sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen die Bibliothek nicht als festumrissene Einheit. Das war in der Zeit von 1989 bis zum Umzug in den Neubau im September 1996 anders. Man betrat das alte Institutsgebäude durch eine kleine Vorhalle. Rechts führte eine Freitreppe in die Obergeschosse, in denen die Direktoren und Wissenschaftler saßen. Die verhaltene Eleganz ihres leicht geschwungenen Geländers vermittelte dem Aufsteigenden, dass er sich in einem Gebäude gehobener Bedeutung befand – dem Sitz eines Forschungsinstituts. Geradeaus betrat man die schmucklose Bibliothek. Sie erstreckte sich über das gesamte Erdgeschoß. Dieses Erdgeschoß des Institutsgebäudes war in der allgemeinen Vorstellung „die Bibliothek‟. Referenten und Gäste besuchten sie regelmäßig, weil sie sie besuchen mussten. Nur in ihrem Katalogsaal fanden sie die Zettelkataloge, die über den Bücherbestand informierten. Sie gingen dann vielleicht weiter in das anschließende Magazin, den sogenannten „Turm‟. Oder sie besuchten die Aufsatzkartei mit, im Jahre 1996, 402.000 Nachweisen oder die Kartei völkerrechtlicher Verträge mit, in demselben Jahr, 68.800 internationalen Verträgen, die damals von der Bibliothek geführt wurden. Dabei begegneten sie auch den Bibliotheksmitarbeitern, deren Hilfe sie ausdrücklich anerkannten. In einem veröffentlichten Band sind die Erwähnungen der Bibliothek in Vorworten wissenschaftlicher Arbeiten von 1978 bis 2002 reproduziert. Der Band enthält 377 Blatt mit nicht ganz so vielen Danksagungen.[2] Viele Autoren erinnerten auch an Bibliotheksangehörige, die nicht dem höheren Dienst angehörten. Sie nannten die Namen von 14 solcher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die Hälfte davon mehrfach. So wird Petra Weiler, die Verwalterin der Dokumente der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, in dreizehn Vorworten gelobt. Die Erwähnungen zeigen, wie gut sich Benutzer und Bibliothekare damals persönlich kannten und wie wohlwollend sie miteinander umgingen.

Petra Weiler 1985 in ihrem Büro[3]
Wenn die Referenten damals die Bibliothekare und deren Büros kannten, so gab es auch etwas, was ihnen nicht täglich vor Augen stand: Es war die gewachsene Büchersammlung. Das an das Institutsgebäude angebaute Büchermagazin fasste inzwischen nur den kleineren Teil der Bibliotheksbestände. Der größere Teil war in den zwei Untergeschossen des Max-Plank-Hauses in der Gerhart-Hauptmann-Straße und, in den Jahren vor 1996, außerdem in einem Industriegebäude in Oftersheim bei Schwetzingen untergebracht. Manche Referenten hielten den Buchbestand für kleiner als er war. Das führte auch zu Fehlurteilen bei Vorschlägen für Standorte des Neubaus. Es wurden Gelände empfohlen, die für das Bibliotheksmagazin zu klein waren.
Die Gebäude des Neubaus

Die Rotunde um 2010[4]
Die beiden folgenreichsten Ereignisse für die Bibliothek in den Jahren von 1989 bis 2002 waren der Bezug des Neubaus und die Ersetzung des Papiers durch Elektronik bei bibliothekarischen Arbeiten. Die äußere Gestalt des Neubaus macht die partikuläre Gliederung des Instituts in zwei Bereiche sichtbar, wie sie schon im Altbau aufgefasst war, in welchem man die Bibliothek im Erdgeschoß als eigenen, vom Rest unterschiedenen Bereich, empfunden hatte. Der eine Bauteil des Neubaus war für die Wissenschaftler und die Verwaltung bestimmt, der andere für die Bibliothek. Inzwischen wurde die damalige Gestalt verändert. Beide Bauteile waren und sind durch die Rotunde verbunden – oder eben auch getrennt. Die Grenze zwischen Wissenschaftsbereich und Bibliothek ist noch heute im Erdgeschoß auf dem Boden der Rotunde markiert. Der Wissenschaftsbereich ist mit schwachrosa Platten belegt, der Bibliotheksbereich mit braunem Parkett aus kleinen Holzstücken. Stellte man sich die beiden Untergeschosse der Bibliothek, die weit unter die Wiese vor dem Gebäude reichen, als zweigeschossigen Magazinhochbau über dem Erdboden vor und setzte die zwei Stockwerke des vorhandenen Bibliotheksbaus darauf, sähe man ein vierstöckiges Gebäude, das höher und umfangreicher wäre als der Bauteil auf der anderen Seite der Rotunde.
Die Bibliotheksräume im Neubau

Die Kartenkataloge, heute im Untergeschoss befindlich[5]
Die der Bibliothek im Neubau zugewiesenen Büros unterschieden sich sehr von der Unterbringung in der Berliner Straße 48. Im Neubau gab es keinen Katalogsaal. Es fehlte ein Ort, der dem größten Arbeitsraum der alten Bibliothek, abgesehen vom Lesesaal, entsprach, der auch der zweitgrößte Raum des alten Instituts gewesen war, die einstige Mitte der Bibliothek zwischen Magazin und Einzelbüros. Im Neubau standen die Kartenkataloge in neuen Holzkästen dekorativ in der Rundung der offenen, zum Durchschreiten geplanten Rotunde im ersten Obergeschoß, fern der Büros von Referenten und Bibliothekaren. In dem neuen Gebäude gab es die alte Bibliothek nicht mehr. Dass die Veränderung nicht laut beklagt, dass der Katalograum kaum vermisst wurde, lag allerdings nicht an der neuen Raumeinteilung. Der Umzug fiel in die Zeit, in der die Bibliothek die elektronische Datenverarbeitung einführte. Im Jahre 1996 arbeiteten viele Wissenschaftler bereits mit der EDV. Den Kartenkatalog konsultierten sie kaum noch. Sie recherchierten auf ihren Bildschirmen in ihren Büros. Die elektronische Datenverarbeitung hatte den Katalogsaal als Ort ihrer Literatursuche überflüssig gemacht.

Walter Höfer und Otto Steiner im Katalogsaal in der Berliner Straße 1972[6]
Die elektronische Datenverarbeitung – das VRZS 1978–2000
Der elektronischen Datenverarbeitung fühlten sich die Bibliothekare des Instituts enger verbunden seitdem das „Verzeichnis rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und Serien in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland‟, abgekürzt VRZS, veröffentlicht wurde.[7] Es war mit Hilfe der EDV hergestellt und erschien in vier Ausgaben von 1972 bis 2000. Der Grund für unsere Zuneigung zum VRZS war ein Vermerk auf seinen Titelseiten. Er lautet: Das Verzeichnis „führt das Zeitschriftenverzeichnis der juristischen Max-Plank Institute– (ZVJM) fort.“ Ein Drittel der im VRZS genannten Zeitschriften war auch in unserer Bibliothek vorhanden. In der Ausgabe 1990 waren es 13.700 der 40.200 gemeldeten Titel.
Auswärtige Benutzer

Der Lesesaal um 2010[8]
Die Erwähnung der juristischen Max-Plank-Institute auf den Titelblättern des VRZS zeigt, dass Zeitschriften ihrer Bibliotheken von auswärtigen Lesern eingesehen werden durften. Das galt auch für Monographien. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft vermerkte regelmäßig und auch im Jahre 2001 bei der Nennung ihres überregionalen Sammelschwerpunkts „Rechtswissenschaft‟ in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: „Für spezielle Literatur zum ausländischen und internationalen Recht stehen im Übrigen die Präsenzbibliotheken der juristischen Max-Plank-Institute nach Maßgabe ihrer Benutzungsbedingungen zur Verfügung.‟[9] Die DFG bestätigte hiermit, dass unsere Bibliothek spezielle Literatur zum ausländischen und internationalen Recht sammelte, die Interessenten von außerhalb des Instituts und der Max-Plank-Gesellschaft zugänglich war.
Informationsvermittlung vor 1989

Harald Müller 1985 in seinem Büro[10]
Otto Steiner, der Bibliotheksdirektor von 1960 bis 1980, verfolgte die Klassifikationen der Dokumente internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaften. Im Jahr 1965 beschrieb er mit Alfred Maier das Repertorium völkerrechtlicher Verträge, das in der Bibliothek mit Hollerith-Karten, entsprechend dem damaligen Stand der Technik, geführt wurde.[11] Eine Informationsvermittlungsstelle der Bibliothek bot im Jahre 1985 über einen Personal Computer (Marke R C Partner) Anschluss an etwa 250 auswärtige Datenbanken von juristischem Interesse. Insgesamt waren etwa 700 Datenbanken über sie zugänglich. Dr. Harald Müller, stellvertretender Bibliotheksdirektor von 1981 bis 2002 und danach Bibliotheksdirektor bis 2014, wachte seit seinem Eintritt in die Bibliothek über die technischen Erfordernisse für die bibliothekarische Anwendung der EDV.
Die elektronische Katalogisierung und Retrokatalogisierung des Alphabetischen Katalogs

Bibliotheksmitarbeiterinnen 1972 am Katalog[12]
Seit dem 15. September 1988 setzte die Bibliothek die EDV regulär für die Erwerbung und Katalogisierung der Bücher ein. Das war jahrelang vorbereitet worden. Ein Antrag der Bibliothek auf Einführung der EDV im Geschäftsgang vom Februar 1986 wurde vom „Beratenden Ausschuss für EDV-Anlagen in der MPG‟, dem sogenannten BAR, in München behandelt. Nachdem sich ein eigens hierfür eingesetzter Unterausschuss mit dem Vorhaben befasst hatte, hieß der BAR den Antrag im Oktober gut und bewilligte einen Betrag von DM 95.000, zur Aufnahme eines Probebetriebs. Ein vom BAR geforderter EDV-Berater wurde Anfang 1987 eingestellt. Wir hatten uns für die Katalogisierung der Bücher dem Südwestverbund in Konstanz angeschlossen. Damit konnten wir EDV-Einrichtungen und Programme dieses gut ausgestatteten Verbundes der baden-württembergischen Universitätsbibliotheken benutzen. Wir nahmen vor allem an der Entwicklung der EDV-Welt teil. Noch heute katalogisieren wir in Konstanz und transferieren die Daten in unsere eigene Datenbank in Heidelberg. Wir hatten dabei die Katalogisierungsregeln der Konstanzer Zentrale anzuwenden. Das war für die ab dann laufend elektronisch zu katalogisierenden Neuerwerbungen kein Problem. Die vorhandenen Titelaufnahmen des alphabetischen Kartenkatalogs waren nach älteren Regeln hergestellt. Wir retrokatalogisierten sie nach den neuen Einheitsregeln elektronisch. Die große Unternehmung dauerte bis zum Jahre 2000. Die Arbeiten führten auch drei mit Sondermitteln bezahlte Diplombibliothekarinnen aus.
Der Beitritt zum Südwestverbund
Zur Illustration, dass Bibliothekare vor etwa 40 Jahren die elektronische Datenverarbeitung anders beurteilten als es heute üblich ist, möchte ich anfügen, dass unser Anschluss an den Südwestverbund keinesfalls einfach war. Der Verbund war 1986 gegründet worden. In ihm bestimmten im Wesentlichen die Direktoren der baden-württembergischen Universitätsbibliotheken. Diese sahen einen gemeinsamen Katalog sehr unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung der Ausleihe von Büchern zwischen ihren Bibliotheken. Der Leihverkehr erfolgte damals mit Hilfe der Versendung von Papierleihscheinen. Wir waren eine der ersten Nicht-Universitätsbibliotheken, die einen Antrag auf Teilnahme am Südwestverbund stellten und wurden als den Universitätsbibliotheken nicht gleichwertig angesehen. Außerdem liehen wir keine Bücher aus und wurden nicht vom Bundesland Baden-Württemberg finanziert, das den Südwestverbund unterhielt. Zu unserer Aufnahme hat die Fürsprache von Frau Dr. Mallmann-Biehler, der Leiterin des Südwestverbundes, beigetragen. Sie war bis 1987 Abteilungsleiterin an der Universitätsbibliothek Heidelberg gewesen und kannte unsere Bibliothek.
Nicht erreicht: Die Anpassung des Systematischen Katalogs an elektronische Benutzung

Elektronische OPAC-Recherchemöglichkeiten in der Rotunde um 2010[13]
Die elektronische Datenverarbeitung hatte nicht nur Arbeitsweise und Kataloge unserer Bibliothek verändert, sondern auch das Suchverhalten ihrer Benutzer. Wollte man diesen die Informationen unseres Systematischen Katalogs vermitteln, musste man die Beschreibungen der Systematik, nach deren Ordnung die Bücher in den Regalen stehen, ihrer Suchweise anpassen. Bisher war nur der Text der Systematiken, etwa für Völkerrecht, elektronisch abfragbar. Zusätzlich sollte man die systematischen Positionen derart mit Schlagworten verstehen, dass deren Anklicken zu einer Systemstelle mit Buchtiteln führte. Dann hätten sich die Referenten vielleicht nicht damit begnügt, in nicht systematisch geordneten Quellen, wie dem alphabetischen Katalog oder dem Internet, zu suchen.
Zum Abschluss: Vergleich der Bibliothek in den Jahren 2002 und 2023
Die Bibliothek ist seit 2002 schwächer geworden. Ein Beispiel kann es beweisen: Im Jahre 2002 verbrauchte die Bibliothek für Erwerbungen, Einband und Bibliotheks-EDV 893.000 Euro – im Jahre 2023 betrug ihr Sach-Etat 994.000 Euro. Ihre Erwerbungsmittel sind in 21 Jahren um 100.000 Euro, oder 1/9 oder 11%, gestiegen. Die Kaufkraft ihrer Finanzausstattung ist um mindestens 20% gesunken. Die Bibliothek hat in den Jahren von 1989 bis 2002 nicht nur andere, sondern auch bessere Zeiten gesehen, als sie heute erlebt.
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[1] Ausführliche Angaben in: Max-Plank-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Jahresberichte Bd. 1–25 (1984–2009).
[2] Joachim Schwietzke (Hrsg.), Die Bibliothek des Max-Plank-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Erwähnungen in Vorworten wissenschaftlicher Arbeiten von 1978 bis 2002, 2., um einen Nachtrag erweiterte Auflage, Heidelberg: J. Schwietzke c/o MPIL 2003.
[3] Foto: MPIL.
[4] Foto: MPIL.
[5] Foto: MPIL.
[6] Foto: MPIL.
[7] Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz (Hrsg.), Verzeichnis rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und Serien in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I–IV, München, Saur 1972–2000, Engl. Ausg. u.d.T.: Union list of legal serials in selected libraries of the Federal Republic of Germany.
[8] Foto: MPIL.
[9] Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (Hrsg), Jahrbuch der deutschen Bibliotheken, Bd. 59 (2001/2002), Wiesbaden, Harrassowitz 2001, 373–374.
[10] Foto: MPIL.
[11] Otto Steiner/Alfred Maier (Hrsg.), Allgemeines Repertorium völkerrechtlicher Verträge. Beschreibung, Gebrauchsanweisung, Schlüsselisten, Bd. 2, Heidelberg, Max Plank Institut für Ausländisches und Öffentliches Recht und Völkerrecht 1965, Engl. Ausg. u.d.T.: General repertory of international treaties; Otto Steiner, Dokumente und Publikationen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen. Einführung für Juristen und Politologen, Bd. V, Tübingen, Arbeitsgemeinschaft für Jurist. Bibliotheks- u. Dokumentationswesen 1978.
[12] Foto: MPIL.
[13] Foto: MPIL.

Joachim Schwietzke ist Senior Research Affiliate und Library Counsel am MPIL. Zuvor war er von 1975-1980 Bibliothekar am Institut und von 1980 bis 2003 Bibliotheksdirektor.