Kategorie: Blog

Praxisnähe und wissenschaftliche Reflexion

Practice Orientation and Scholarly Reflection

Deutsch

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht –  ein „state agent“?

I. Einleitung

Ist das Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) ein „state agent“, wie ein Panel des vierten Seminars der Veranstaltungsreihe zum 100. Geburtstag des Instituts überschrieben war? Die Frage, was ein „state agent“ eigentlich ist, ist dabei alles andere als trivial. Woher stammt der Begriff? Was sagt er uns? Und passt er auf die Beschreibung des Verhältnisses zwischen dem MPIL und den diversen in der Panelbeschreibung auftauchenden Praxisakteuren? (II.). Nach diesen begrifflichen und konzeptionellen Vorklärungen möchte ich einige Schlaglichter auf die Begleitung der bundesrepublikanischen Außenpolitik in den dieses Seminar interessierenden Jahren 1989 bis 2002 durch das Heidelberger Institut und seine Mitglieder werfen (III.). Dem Beitrag liegt die These zugrunde, dass das MPIL jedenfalls im Zeitraum seit Ende des Kalten Krieges kein „state agent“ im Sinne eines zentrale außenpolitische Entscheidungen der Bundesregierung bloß begleitenden und mit völkerrechtlichen Argumenten komplementierenden Akteurs gewesen ist. Vielmehr erscheint eine kontextualisierende Pluralisierung angebracht: Weder Institut noch Staat sind monolithische Akteure, deren Interessen durchweg eindeutig bestimmbar sind.

II. Zum Begriff des „state agent

Ein „state agent“? Jochen Abr. Frowein vor dem IGH als Vertreter Albaniens, 2010[1]

State agent“ ist kein Begriff des Völkerrechts, jedenfalls wohl nicht in einem hier weiterführenden Sinn. Im Völkerrecht sprechen wir vom „agent“, der einen Staat vor einem internationalen Gericht vertritt.[2] Im europäischen Menschenrechtsschutzsystem ist der „state agent“ eine dogmatische Kategorie für die Bestimmung der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Territoriums.[3] Gelegentlich fällt der Begriff „state agent“ auch, wenn es um die Zurechnung der Handlungen nicht-staatlicher Akteure zu einem Staat im Recht der Staatenverantwortlichkeit geht.[4] All dies führt hier nicht wirklich weiter.

Wenn wir die Redeweise vom „state agent“ verstehen wollen, müssen wir vielmehr auf Literatur jenseits der Völkerrechtswissenschaft zurückgreifen. Von „agents“ ist vor allem in der politikwissenschaftlichen „principal-agent“-Literatur die Rede. Einfach zusammengefasst geht es bei principal-agent-Ansätzen um das Verhältnis zwischen einem Prinzipal, der eine bestimmte Aufgabe zur Wahrnehmung an einen Agenten delegiert.[5] Mit einer rechtlichen Brille betrachtet, gibt es hier verschiedene analytische Anknüpfungsmöglichkeiten: Welcher Auftrag wird delegiert? Wie spezifisch sind die mit der Delegation verbundenen Aufgaben? Wie kontrolliert der Prinzipal den Agenten im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung? Welche Wissensasymmetrien können hierbei eine Rolle spielen? Nach welchen Maßstäben kann der Agent für eine, entweder defizitäre oder auch über das Ausmaß der Delegation hinausgehende, Aufgabenerfüllung zur Rechenschaft gezogen werden?

In rechtswissenschaftlichen Kontexten ist dieser, von rational-choice-Erwägungen geprägte Ansatz, vielfach fruchtbar herangezogen worden.[6] Besonders bekannte Beispiele beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative sowie unabhängigen Agenturen im US-amerikanischen Verfassungsrecht.[7] Aber auch in der völkerrechtlichen Literatur finden sich gewinnbringende Analysen, die mit principal-agent-Ansätzen arbeiten, so etwa zum Verhältnis von UN-Generalversammlung (UNGA) und Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.[8] Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass nicht jeder Rückgriff auf eine principal-agent-Theorie bedeuten muss, dass der Agent durch seinen Prinzipal vollständig determiniert wird. Es mag Unschärfen im Auftrag geben – siehe „codification and progressive development“ als Mandat der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, die man auch nicht als „UNGA agent“ bezeichnen würde, sondern ihre Aufgaben anhand ihres Mandats aus UN-Charta und Satzung der Kommission erfasst.

Lange Rede, kurzer Sinn: Um vom Heidelberger MPI als „state agent“ in einem spezifischen Sinn zu sprechen, bräuchten wir jedenfalls Anhaltspunkte für eine eindeutige Delegation einer bestimmten Aufgabe an das Institut. Noch grundsätzlicher ist allerdings zu fragen, inwiefern eine Einordnung als „state agent“ nicht sowohl das Heidelberger Institut als auch den Staat zu absolut setzen und als monolithische Akteure begreifen würde, deren Interessen einfach bestimmbar erschienen. Das MPIL ist eine in sich komplexe und von unterschiedlichen Präferenzen und Strömungen gekennzeichnete Gemeinschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, jedenfalls erscheint es aus der Jetztperspektive so und die Erträge der Veranstaltungen zu seiner Geschichte legen nahe, dass es dies auch in den 1990er Jahren war. Institutsdirektoren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können unterschiedliche Agenden verfolgen, die auch mit unterschiedlichen Rollen im internen wie externen Kontext von wissenschaftlichen Interventionen zu tun haben können. Die Mitglieder des MPIL mussten und müssen sich dabei in ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Kontexten bewegen, in denen Handeln nach verschiedenen Kriterien bemessen wird: Institutsdirektoren waren und sind häufig zugleich Mitglieder des völkerrechtswissenschaftlichen Beirats des Auswärtigen Amts, referieren aber auch auf der Staatsrechtslehrertagung, sind Mitglieder des Institut de droit international oder nehmen Prozessvertretungen vor internationalen Gerichten wahr.[9]

Auf der anderen Seite ist auch der Begriff des Staates in „state agent“ der Konkretisierung bedürftig. Die Frage nach dem MPIL als „state agent“ scheint vor allem auf Regierungsnähe abzustellen und dadurch einen gewissen kritischen Reflex auszulösen. Wird die Arbeit des MPIL vor allem als eine solche des „state agent“ charakterisiert, könnte es ein Defizit an wissenschaftlicher Unabhängigkeit, ja an der Ernsthaftigkeit im Hinblick auf den eigentlichen Auftrag der Grundlagenforschung geben, was auch immer mit diesem Konzept im rechtswissenschaftlichen Kontext genau gemeint ist.[10] Allerdings legt gerade die Vielfalt der auch praxisbezogenen und praxisnahen Interventionen von MPIL-Mitgliedern im hier interessierenden Zeitraum eine Pluralisierung und Kontextualisierung des Staatsbegriffs nahe. Wissenschaftliche Interventionen positionieren sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, keineswegs immer auf einer, wie auch immer zu identifizierenden, Regierungslinie, sondern positionieren sich gerade in Opposition zu einer vermeintlich etablierten Regierungsposition oder stärken verfassungsrechtliche Argumente für eine stärkere Beteiligung der Legislative in Fragen der auswärtigen Gewalt.

III. Völkerrechtswissenschaft im Dienste der Bundesregierung? Einige Nuancierungen

Nun ist es natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass das Heidelberger Institut auf eine lange Tradition von wirkmächtiger Politikberatung und -begleitung zurückblicken kann. Es entfaltet, wie Jan Klabbers es in seinem Beitrag zu der Seminarreihe auf den Punkt gebracht hat, erhebliche epistemische Autorität. Sowohl in der von Rudolf Bernhardt und Karin Oellers-Frahm verantworteten Institutsgeschichte[11] als auch in den wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten von Felix Lange[12] finden sich zudem viele Belege und Beispiele für die wichtige Rolle, die das Heidelberger Institut nicht nur für wissenschaftliche Debatten, sondern erst recht in der Völkerrechtspraxis gespielt hat. Florian Kriener hat jüngst die Akten des Politischen Archivs im Auswärtigen Amt auf das Verhältnis von Amt und Institut hin untersucht. In seinem Beitrag heißt es: Das „Institut [vertrat] in dem hier untersuchten Zeitraum (1924 bis 1994) in der Regel staatsnahe Thesen, die den außenpolitischen Interesse Deutschlands weitestgehend entsprachen.“

Die für meinen Beitrag relevante Phase von 1989 bis 2002 ist zeitlich enger begrenzt als der von Florian Kriener in seiner Archivstudie untersuchte Zeitraum, auch wenn dieser mit seinem Enddatum 1994 noch in die uns hier interessierende Phase hineinragt. Aber für den Zeitraum der an den Kalten Krieg anschließenden historischen Phase möchte ich anhand einiger Schlaglichter die These der ganz überwiegenden Staatsnähe jedenfalls ein Stück weit differenzieren und dies anhand von drei Themenkomplexen darstellen, die jeweils eine Gemengelage von verfassungs- und völkerrechtlichen Rechtsfragen aufwarfen und zu denen Mitglieder des Instituts sich an exponierter Stelle geäußert haben.

Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied am 12. Juli 1994 in Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr: (v.l.n.r.) Paul Kirchhof, die Senatsvorsitzende Jutta Limbach, Hans Hugo Klein, Konrad Kruis und Berthold Sommer[13]

Das erste Beispiel betrifft die Diskussionen um die völker- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Ihren archimedischen Punkt hat diese Diskussion durch das große Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 gewonnen, in dem das Gericht salomonisch die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG betonte, zugleich aber auch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus dem Grundgesetz ableitete. Die Bundesregierung wurde in dem Verfahren unter anderem von Jochen Abr. Frowein als Prozessbevollmächtigter vertreten. Der damals am Institut beschäftigte Referent und Habilitand Froweins Georg Nolte hatte bereits vor dem Urteil in einem Beitrag in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) maßgebliche verfassungsrechtliche Fragen aufbereitet und zentrale Erwägungen Karlsruhes zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Auslandseinsätze vorweggenommen.[14]

Ein Beispiel für Verfassungs- und Völkerrechtsberatung im Dienste Bonns, gewissermaßen eine „smoking gun“ für die „state-agent“-These? Bei genauerer Betrachtung fällt das Bild differenzierter aus. Die Prozessvertretung der Bundesregierung im AWACS-Verfahren hat eine Vorgeschichte. 1989 veranstalteten Jochen Abr. Frowein und Torsten Stein am Heidelberger Institut ein Kolloquium zur Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen.[15] In ihren Referaten legten sie entgegen der damaligen herrschenden Auffassung im Schrifttum und der Position der Bundesregierung dar, warum bereits der damalige Völkerrechts- und Verfassungsrahmen Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht im Wege stünde. Die an dem Kolloquium teilnehmenden Vertreter der Bundesregierung reagierten distanziert. So äußerte sich Jürgen Oesterhelt, der damalige Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, wie folgt:

„Ich glaube, man muß feststellen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich bisher niemals an VN-Friedenstruppen beteiligt und daß sie auch öffentlich mehrfach erklärt hat, daß sie eine derartige Beteiligung aus rechtlichen Erwägungen nicht für zulässig hält. Dies ist über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Haltung der Bundesregierung gewesen. Ich glaube, dies muß einfließen in unsere Bewertung, was hier Verfassungsrecht ist. Die Verfassungswirklichkeit kann hier nicht getrennt gesehen werden.“[16]

Betrachtet man mithin die sich verändernden deutschland- wie weltpolitischen Zusammenhänge, die wissenschaftliche Diskussion und ihren Einfluss auf die Position der Bundesregierung und die Rechtsprechung Karlsruhes, so erscheint hier das MPIL weniger als „state agent“, denn als Vordenker einer dann in der politischen und gerichtlichen Praxis nachvollzogenen und heute in der Sache vollkommen unumstrittenen Auslegung der Verfassungs- und Völkerrechtslage.[17]

„Kontrolle der auswärtigen Gewalt“

Rüdiger Wolfrum anlässlich seines 60. Geburtstages 2001 im Institut[18]

Ein zweites Beispiel betrifft das Referat Rüdiger Wolfrums auf der Jahrestagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 1996 in Dresden. Rüdiger Wolfrum hielt den zweiten Bericht zum ersten Beratungsgegenstand „Kontrolle der auswärtigen Gewalt“.[19] Wolfrums Referat widmete sich dabei vor allem der Verteilung der auswärtigen Gewalt zwischen Exekutive und Legislative, ein Themenzuschnitt, der Gelegenheit geboten hätte, Staatsnähe im Sinne von Regierungsfreundlichkeit zu demonstrieren. Der Vortrag Wolfrums tat aber alles andere als das. Vielmehr ist das Referat voll von, sowohl im damaligen Kontext als auch teilweise heute noch, innovativ anmutenden Thesen zur Verteilung der auswärtigen Gewalt zwischen Exekutive und Legislative. Einige Kostproben: Noch klassisch ist die Grundposition Wolfrums, dass die auswärtige Gewalt „wesensmäßig nicht grundsätzlich dem Bereich der Regierung und Verwaltung“ angehöre, sondern von Regierung und Parlament „gemeinsam ausgeübt“ werde.[20] Wolfrum bezieht sich dann auf den immer stärkeren Einfluss des Völkerrechts und Europarechts auf die Rechtsstellung des Einzelnen und konstatiert, dass die Wesentlichkeitslehre ein Gebot der parlamentarischen Mitwirkung an der Gestaltung des internationalen Rechts einfordere.[21] Gegen das durchaus als exekutiv-freundlich zu bezeichnende Nachrüstungsurteil des Bundesverfassungsgerichts[22] fordert Wolfrum eine Beteiligung des Bundestages an den „eigentlichen staatsleitenden Entscheidungen in der Außenpolitik“.[23] „Strukturelle Änderungen des Völkerrechts“ führten zu einer „Intensivierung parlamentarischer Mitwirkungskompetenzen.“[24] Dies erstrecke sich zum Beispiel auch auf die Kündigung völkerrechtlicher Verträge, die ebenfalls nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen dürften.[25] Und die Bundesregierung dürfe sich nicht durch eine freie Formenwahl völkerrechtlicher relevanter Handlungen der parlamentarischen Kontrolle entziehen, was Wolfrum mit dem konkreten Beispiel der Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung von Mittelstreckenraketen vom 14. Dezember 1979 exemplifiziert.[26]

Die Kosovo-Intervention der NATO 1999

Schließlich noch ein Schlaglicht auf ein drittes Beispiel, die Kosovo-Intervention der NATO-Staaten 1999. Ist die öffentliche und publizierte Positionierung des Instituts hier geeignet, der These des Instituts als „state agent“ Vorschub zu leisten oder zumindest zu bestätigen, dass das Institut grosso modo jedenfalls sehr staatsnahe Positionen vertreten habe? Auf den ersten Blick mag dies zutreffend erscheinen. Die völkerrechtliche Zulässigkeit einer sogenannten humanitären Intervention ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats war auch in der Öffentlichkeit stark umstritten. Jochen Frowein bezog in dieser Diskussion im Sommer 1999, also nach bereits erfolgter Gewaltanwendung, in einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung Position. In diesem bejahte er die Rechtfertigungsmöglichkeit, da „sich das Völkerrecht seit 1945 weiterentwickelt“ habe und „es mittlerweile nicht mehr nur die Souveränität von Staaten schützen will, sondern auch den einzelnen Menschen vor massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen.“[27] Zugleich war seine Argumentation akademisch abgewogen. Frowein konzedierte, dass „die hier vorgetragene Rechtsauffassung weder eindeutig ist noch zur Zeit allgemein anerkannt“ sei. Auch sei die Gefahr des Missbrauchs „bei einer derartigen Argumentation nicht zu verkennen.“[28] Angesichts des Ende April 1999 von der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien auch gegen Deutschland eingeleiteten Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof eine Positionierung mit Augenmaß, die sich jedenfalls nicht als pauschale Verteidigung bundesrepublikanischen Handelns nach der Devise „right or wrong, my country“ lesen lässt. Andere Stellungnahmen aus der deutschen Völkerrechtswissenschaft waren im Hinblick auf ihren Umgang mit dem Gewaltverbot forscher.[29] Sie ignorierten jedenfalls die außerhalb des Westens mehr oder weniger einhellige Ablehnung eines Rechts zur humanitären Intervention ohne Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat, wie Georg Nolte 1999 anlässlich eines Symposiums zu Ehren von Jochen Frowein im Max-Planck-Institut herausarbeitete.[30]

IV. Schluss

Ich hoffe jedenfalls ein deutliches Fragezeichen hinter die Einordnung des MPIL als „state agent“ gesetzt zu haben. Die Bezeichnung setzt ein Prinzipal-Agenten-Verhältnis voraus, welches schon im Lichte der hinter diesen Konzepten stehenden Theorie nicht wirklich zu überzeugen vermag. Die Schlaglichter auf besonders umstrittene Verfassungs- und Völkerrechtsfragen des Zeitraums 1989 bis 2002 zeigen auf, dass die Positionierungen des Instituts und seiner Mitglieder jedenfalls nicht durchweg als „staatsnah“ im Sinne von regierungsfreundlich oder -orientiert charakterisiert werden können.

Schließen möchte ich mit einer letzten Bezugnahme auf die verhaltensökonomisch inspirierte juristische Literatur zur principal-agent-Theorie: Wie dort beschrieben wird, ist der Agent in den meisten Fällen „ungeachtet seiner Verpflichtung auf das Interesse des Prinzipals […] zunächst einmal und vor allem Maximierer seines eigenen Nutzens.“[31] Auf das Verhältnis Praxis-MPIL gemünzt, könnte dies die Frage aufwerfen, ob das Heidelberger Institut durch die Praxisnähe für seine eigene rechtswissenschaftliche Arbeit nicht wenigstens genauso profitiert wie der vermeintliche Prinzipal, nämlich durch das, was in Kontexten qualitativer Sozialforschung als teilnehmende Beobachtung von Praxisakteuren bezeichnet wird. Einfacher ausgedrückt: Durch die unmittelbare Einbindung in Praxiszusammenhänge kann Völkerrechtswissenschaft ihren Forschungsgegenstand besser einschätzen, als wenn es an solchen Kontakten fehlen würde.

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[1] Foto: Frank van Beek/Capital Photos, Courtesy of the ICJ.

[2] Eduardo Valencia-Ospina, International Courts and Tribunals, Agents, Counsels, and Advocates, in: Anne Peters (Hrsg.), MPEPIL, Online Edition, Oxford: Oxford University Press 2019, Rn. 1-2.

[3] EGMR (Große Kammer), Al-Skeini and others v. United Kingdom, App. No. 55721/07, Urteil v. 7.7.2011, Rn. 133-137.

[4] Vgl. z.B.: Alan Nissel, One State’s Rebel is Another State’s Agent, EJIL 35 (2024), 207-220.

[5] Randall L. Calvert/Mathew D. McCubbins/Barry R. Weingast, A Theory of Political Control and Agency Discretion, American Journal of Political Science 33 (1989), 588-611.

[6] Siehe einführend: Klaus Ulrich Schmolke, Vertragstheorie und ökonomische Analyse

des Vertragsrechts, in: Emanuel V. Towfigh/Niels Petersen (Hrsg.), Ökonomische Methoden im Recht, 3. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck 2023, Rn. 304 ff.

[7] Christopher J. Walker, Inside Agency Statutory Interpretation, Stanford Law Review 67 (2015), 999-1079,1049 ff.

[8] Laurence Helfer/Timothy Meyer, The Evolution of Codification – A Principal-Agent Theory of the International Law Commission’s Influence, in: Curtis Bradley (Hrsg.), Custom’s Future, Cambridge: Cambridge University Press 2016, 305-331,309 ff.

[9] Dazu: Karin Oellers-Frahm, Das Institut und die internationale Gerichtsbarkeit, MPIL100.de.

[10] Zum Verhältnis zwischen Grundlagenforschung und den Aufgaben des MPIL siehe etwa: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer, Vorwort, in: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 7-14, 9; Georg Nolte, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 67 (2007), 657-674,670 ff.

[11] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung 1949 bis 2013, Berlin: Springer 2018.

[12] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945-2002, in: Duve/Kunstreich/Vogenauer (Fn. 10), 49-90.

[13] Foto: © picture-alliance/dpa.

[14] Georg Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU: Völker- und verfassungsrechtliche Fragen, ZaöRV 54 (1994), 95-123.

[15] Jochen Abr. Frowein/Thorsten Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Materialien des Kolloquiums vom 17./18.8. 1989, Berlin: Springer 1990; zu diesem Kolloquium siehe auch: Felix Lange, Nach dem Ende der „grundgesetzlich auferlegten Enthaltsamkeit“ – Potential einer verfassungsrechtlichen Bindung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an das Völkerrecht, Der Staat 62 (2023), 485-522, 499-500.

[16] Jürgen Oesterhelt, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Fn. 15), 52; vgl. auch: 91.

[17] Siehe mit weiteren Nachweisen: Helmut Philipp Aust, Art. 24, Rn. 74 ff., in: Jörn Axel Kämmerer/Markus Kotzur (Hrsg.), von Münch/Kunig – GG-Kommentar, 7. Auflage, München: C.H. Beck 2021.

[18] Foto: MPIL.

[19] Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38-66.

[20] Wolfrum (Fn. 19), 40.

[21] Wolfrum (Fn. 19), 41.

[22] BVerfGE 68, 1 (86).

[23] Wolfrum (Fn. 19), 44, 53.

[24] Wolfrum (Fn. 19), 46.

[25] Wolfrum (Fn.  19), 50.

[26] Wolfrum (Fn.  19), 60.

[27] Jochen Abr. Frowein, Der Schutz des Menschen ist zentral – Der Krieg im Kosovo und die völkerrechtliche Regelung der Gewaltanwendung, NZZ vom 17./18. Juli 1999, 61-62.

[28] Frowein (Fn. 27).

[29] So lesen sich zumindest die damaligen Stellungnahmen von Ipsen und Tomuschat entschiedener, auch wenn sie jeweils im Ergebnis ebenfalls Bedenken gegenüber der Eindeutigkeit der Rechtslage anmelden: Knut Ipsen, Der Kosovo-Einsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, Die Friedens-Warte 74 (1999), 19-23; Christian Tomuschat, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, Die Friedens-Warte 74 (1999), 33-37.

[30] Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, ZaöRV 59 (1999), 941-959.

[31] Schmolke (Fn. 6), Rn. 305, Hervorhebung im Original.

English

The Heidelberg Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law – a State Agent?

I. Introduction

Is the Heidelberg Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) a “state agent”, as the title of one of the panels during the fourth session of the seminar series commemorating the Institute’s centenary suggests? To begin with, defining the term “state agent” is anything but trivial. Where does it come from? What does it tell us? And does it appropriately describe the relationship between the MPIL and the many practical actors listed in the panel’s description? (II.) After some reflections on these conceptual preliminaries, I will analyse the Institute’s and its members’ relationship with the Federal Republic’s foreign policy during the period of interest for the fourth seminar, 1989 to 2001, on the basis of some key events and questions which arose during that time (III.). This contribution argues that the MPIL has, at least in the period since the end of the Cold war, not been a “state agent” in the sense of simply providing support and coming up with international law arguments for key foreign policy decisions of the Federal Government. Instead, a contextualizing pluralisation seems appropriate: Neither the Institute nor the state are monolithic actors whose interest can be clearly determined at any given time.

II. On the Term “State Agent”

Jochen Abr. Frowein representing Albania before the ICJ, 2010[1]

“State agent” is not a term of international law, at least not in any sense relevant in this context. In international law, there are “agents” representing a state before international courts.[2] In the European system for the protection of human rights, “state agent” is a doctrinal category for the determination of the exercise of jurisdiction outside of the state’s territory.[3]  Furthermore, the term “state agent” is also occasionally used in the context of the attribution of acts of non-state actors to a state in the sense of state responsibility.[4] None of these uses is of great interest here.

To understand the use of the term “state agent”, we must have recourse to literature from outside international law scholarship. “Agents” are most prominently mentioned in the political science literature on principal and agent theories. Briefly summarized, principal–agent approaches describe the relationship between a principal, who delegates the carrying out of a certain task to an agent.[5] From a legal point of view, there are several analytical questions to be asked: Which tasks are being delegated? How specific are the tasks being delegated? How does the principal control the agent in its fulfilment of the tasks? Which knowledge asymmetries can be of relevance for that? Which rules apply regarding the responsibility of the agent for a fulfilment of tasks that is either deficient or goes beyond the scope of the delegation?

This approach, informed by rational choice theory, has often proved fruitful for legal scholarship.[6] The most well-known examples include the application of principal and agent theory to the relationship between the executive and legislative branches of government as well as independent agencies in the context of US-American constitutional law.[7] Yet, interesting analyses on this basis can also be found in the international law literature, for example with respect to the relationship of the UN General Assembly (UNGA) to the UN’s International Law Commission.[8] However, this example also demonstrates that not every recourse to principal- agent theory indicates that an agent’s actions are fully determined by the principal. The definition of the tasks delegated may not be entirely precise – like the UN International Law Commission’s mandate of „codification and progressive development“. The Commission would certainly not be accurately described as the UNGA’s “agent”, as its tasks are determined by its mandate in the UN Charta and the Commission’s Statute.

In summary: In order to categorize the Heidelberg MPIL as a “state agent” in a meaningful sense, we would need at least indications of a clear delegation of a certain task to the institute. Even more generally, it should be questioned whether a categorization as a “state agent” would essentialise both the Institute and the state and implicitly define them as monolithic actors, whose interests can be clearly determined. The MPIL is, in itself, a complex community of scholars, influenced by various preferences and trends, at least from today’s perspective. The contributions to the seminar on its history suggest the same for the 1990s. The Institute’s directors and staff may follow diverse agendas, which may be related to their diverse roles in the internal and external context of scholarly interventions.  The MPIL’s members had to and have to navigate diverse scholarly and practical environments, in which their actions are assessed according to many different sets of standards: Past and present directors of the Institute have commonly been members of the Federal Foreign Office’s Advisory Council on international law but also speakers at the conferences of the Association of German Constitutional Law Professors (“Staatsrechtslehrertagung”), members of the Institut de droit international, and representatives of Germany before international courts.[9]

On the other hand, the definition of the term state in “state agent” requires concretization as well. Asking whether the MPIL is a “state agent” seems to imply first and foremost an association with the government and thereby evoke a critical reflex. If the MPIL’s work is characterized primarily as that of a “state agent”, this may point to a lack of scientific independence, or even seriousness with regard to its actual function as an institution of “basic research” (Grundlagenforschung), however that notion is defined in legal scholarship.[10] However, it is precisely the multitude of practice oriented interventions by MPIL members during the period of interest that suggests the need for a pluralisation and contextualization of the term “state”. As will be shown, these scholarly interventions have by no means always aligned themselves with the government line, in whatever way that is to be identified, but, to the contrary, opposed supposedly established government positions or emphasized constitutional arguments in favour of a stronger role of the legislative branch in questions of foreign policy.

III. International Law Scholarship in Service of the Federal Government? Some Nuance

It cannot be denied that the MPIL can look back on a long tradition of influential political advisory. It has, as Jan Klabbers has summarized in his contribution, significant epistemic authority.  Both the Institute history as published by Rudolf Bernhardt and Karin Oellers-Frahm[11] and the historical work of Felix Lange[12] provide ample evidence and examples for the important role the Heidelberg Institute has played not only in the academic discourse but especially in international law practice. Florian Kriener has recently analysed the material found in the Foreign Office’s Political Archive with regard to the relationship between the ministry and the Institute. His contribution concludes that “in the period analysed (1924 to 1994), the Institute held mostly government-friendly positions, which were in line with Germany’s foreign policy interests.”[13]

The period relevant to my contribution, 1989 to 2002, is more narrowly defined than the period Florian Kriener analysed in his archive study. However, the end of the period he studied overlaps with the time frame of interest here. For the historical period immediately after the end of the cold war, I will endeavour to add nuance to the thesis of a largely government-friendly Institute. For that, I will utilize three overarching issues, which each opened up a whole field of constitutional and international law questions and on which members of the institute have prominently voiced their opinions.

Admissibility of Foreign Deployments of the German Military

The Second Senate of the Federal Constitutional Court in Karlsruhe pronounces its judgement on the admissibility of foreign deployments of the German military on 12 July 1994; from left to right: Paul Kirchhof, Presiding Justice Jutta Limbach, Hans Hugo Klein, Konrad Kruis, and Berthold Sommer[14]

The first example is related to the question of admissibility of foreign deployments of the German military under constitutional and international law. The discourse found its Archimedean point in the landmark judgment of the Federal Constitutional Court’s Second Senate in 1994. Here, the judges, in Solomonic fashion, pointed out the legality of foreign deployments insofar as they occur within and pursuant to the rules of a system of mutual collective security as laid down in Article 24, para. 2 of the Basic Law, while simultaneously interpreting the Basic Law to set out a requirement for parliamentary approval for these foreign deployments. In the court, the Federal Government was represented by Jochen Abr. Frowein as agent, among others. Before the judgment came out, Georg Nolte, who was a senior research fellow at the institute at the time and whose Habilitation thesis was supervised by Frowein, had already written a contribution in the Heidelberg Journal of International Law (Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, ZaöRV) discussing the relevant constitutional law questions and anticipating central arguments made by the court regarding the admissibility of foreign deployments.[15]

An example of constitutional and international law advisory in service of the Federal Government, a “smoking gun” proving the “state agent” thesis? Upon further inspection, the picture is more nuanced. The involvement of the MPIL in the case has a history going back to 1989, when Jochen Abr. Frowein and Torsten Stein held a colloquium at the Institute concerning the contribution of the Federal Republic of Germany in the United Nations Peacekeeping Forces.[16] In their respective talks, both argued that foreign deployment of the German military was not prohibited by constitutional law, nor international law, even as it stood at the time. This was in opposition to the dominant position in legal scholarship as well as the Federal Government’s position back then. Government representatives present at the colloquium reacted in a reserved fashion, exemplified by Jürgen Oesterhelt, then Head of the Foreign Office’s Legal Department, who was cited as follows:

“I believe one must make note of the fact that the Federal Republic of Germany has never contributed to UN Peacekeeping Forces so far and that it has furthermore publicly declared on multiple occasions that it believes such a contribution to be inadmissible for legal reasons. This has been the Federal Government’s position for many years, if not decades. I believe this must be taken into for our constitutional law assessment of this issue. One cannot disregard the constitutional reality.”[17]

Thus, when taking into account the changing political context in Germany and internationally, the scholarly discussion and its influence on the Federal Government’s position, and the judgment of the Federal Constitutional Court, the MPIL seems less like a “state agent” and more like a thought leader towards an interpretation of the constitutional and international law framework which would then find its way into the practice of political actors and courts and is widely accepted today.[18]

“Control in Matters of Foreign Affairs”

Rüdiger Wolfrum celebrating his 60th birthday at the Institute, 2000[19]

A second example concerns the paper presented by Rüdiger Wolfrum at the annual conference of the Association of German Constitutional Law Professors in Dresden in 1996. He gave the second report on the first topic of the conference “Control in Matters of Foreign Affairs” (“Kontrolle der auswärtigen Gewalt“.)[20] His talk focused on the distribution of power between the executive and legislative branches of government, a choice of topic that would have given him the opportunity to signal sympathy towards the Federal Government. Yet, the presentation did the quite the opposite. It is full of arguments on the distribution of power regarding foreign policy that were innovative at the time, and many would be considered to be of this quality even today. Some examples: Wolfrum follows traditional doctrine in his basic assumption that the power over foreign affairs is “because of its inert nature not in principle part of the domain of the executive and administrative realm” but is to be “exercised jointly” [21] by the Federal Government and the parliament. However, he then refers to the increasing influence of international law and European Union law on the legal situation of the individual and argues that this necessitates parliamentary participation in the creation of international law, based on the so-called Wesentlichkeitslehre according to which essential questions of public importance need to be decided on directly by the legislature. In opposition to the, rather executive-friendly, judgment of the Federal Constitutional Court on the stationing of US-American nuclear weapons in Germany,[22] Wolfrum called for participation of the parliament in “foreign policy decisions that are materially fundamental to the state”.[23] “Structural chances to international law”, he argued, led to a “strengthening of the parliamentary right to participation.”[24] This extends, for example, to the termination of international treaties, which can only be done with the parliament’s approval, according to Wolfrum. [25] Furthermore, Wolfrum opined that the Federal Government was prohibited from executing acts of relevance to international law unilaterally by circumventing the requirement of parliamentary approval by way of strategical choice of certain legal instruments. Here, he explicitly referred to the Federal Government’s decision to consent to the stationing of medium-range missiles in Germany of 14 December 1979.[26]

The NATO Kosovo Intervention 1999

Finally, a brief look at a third example, the intervention in Kosovo carried out by NATO states in 1999. Does the public and publicized positioning of the institute on this issue underpin the thesis of it being a “state agent” or at least back the view that the MPIL has generally held government-friendly positions? At first glance, that seems to be the case. The legality under international law of this so-called humanitarian intervention without the authorization of the UN Security Council was highly controversial, including in public debate. Jochen Abr. Frowein made a statement on the issue in an article for Swiss newspaper Neue Zürcher Zeitung in the summer of 1999, after NATO member states had already intervened. He affirmed that such an intervention could indeed have been justified because “international law has evolved since 1945” and “now, not only serves to protect state sovereignty but also to protect individuals from severe and systematic violations of human rights.”[27] However, his reasoning was academically balanced: Frowein conceded that “the legal view laid out is not unequivocal nor universally shared at this time.” Furthermore, he recognized that the danger of abuse “of such an argument cannot be overlooked.” [28] With an eye toward the complaint filed at the ICJ by Yugoslavia against, among others, Germany in late April 1999, this was a temperate statement, and, in any case, not a blanket endorsement of government action in the sense of “right or wrong, my country”. Statements made by other German international law scholars were less prudent regarding the prohibition of the use of force.[29] They did not account for the rejection of the right to humanitarian intervention without authorization by the UN Security Council, shared more or less universally by non-Western states, as Georg Nolte has emphasized on the occasion of a symposium in honour of Jochen Abr. Frowein in 1999.[30]

IV. Conclusions

I hope to have at least promoted a questioning of the classification of the MPIL as a “state agent”. This assessment would presuppose a principal–agent relationship, which is hardly fitting, even just based on the theory behind this concept. The examples given regarding questions of constitutional and international law that sparked particularly controversial debates between 1989 and 2002 show that the positions taken by the Institute and its members cannot be characterized as consistently government-friendly in the sense of a general siding with or even orientation towards government policy.

I would like to close with a final reference to the legal literature on principal and agent theory, inspired by behavioral economics: As described there, the agent is typically “despite his responsibility for ensuring the interests of the principal […] first and foremost a maximiser of his own interest” [31]. Looking at the relationship between political practice and the MPIL, this opens up the question whether the Heidelberg Institute itself might profit from its practice-oriented approach just as much, if not more, than the supposed principal. Namely, through what social sciences call participatory observation of practical actors. Or, in simpler terms: Through the direct participation in the practical context, international law scholarship is able to better understand its subject matter than it could without.

Translation from the German original: Sarah Gebel

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[1] Photo: Frank van Beek/Capital Photos.

[2] Eduardo Valencia-Ospina, International Courts and Tribunals, Agents, Counsels, and Advocates, in: Anne Peters (ed.), MPEPIL, Online Edition, Oxford: Oxford University Press 2019, paras. 1-2.

[3] ECHR (Grand Chamber), Al-Skeini and others v. United Kingdom, App. No. 55721/07, judgement of 7.7.2011, paras. 133-137.

[4] See, for example: Alan Nissel, One State’s Rebel is Another State’s Agent, EJIL 35 (2024), 207-220.

[5] Randall L. Calvert/Mathew D. McCubbins/Barry R. Weingast, A Theory of Political Control and Agency Discretion, American Journal of Political Science 33 (1989), 588-611.

[6] See, for introductory information: Klaus Ulrich Schmolke, Vertragstheorie und ökonomische Analyse des Vertragsrechts, in: Emanuel V. Towfigh/Niels Petersen (ed.), Ökonomische Methoden im Recht, 3. ed., Tübingen: Mohr Siebeck 2023, paras. 304 ff.

[7] Christopher J. Walker, Inside Agency Statutory Interpretation, Stanford Law Review 67 (2015), 999-1079,1049 ff.

[8] Laurence Helfer/Timothy Meyer, The Evolution of Codification – A Principal-Agent Theory of the International Law Commission’s Influence, in: Curtis Bradley (ed.), Custom’s Future, Cambridge: Cambridge University Press 2016, 305-331,309 ff.

[9] See on this: Karin Oellers-Frahm, The Institute and International Jurisdiction, MPIL100.de.

[10] See on the relationship between basic reasearch and the work of the MPIL, for example: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer, Vorwort [Introduction], in: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer (eds.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 7-14, 9; Georg Nolte, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, HJIL 67 (2007), 657-674, 670 ff.

[11] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung 1949 bis 2013, Berlin: Springer 2018.

[12] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945-2002, in: Duve/Kunstreich/Vogenauer (fn. 9), 49-90.

[13] Translated by the editor.

[14] Photo: © picture-alliance/dpa

[15] Georg Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU: Völker- und verfassungsrechtliche Fragen, HJIL 54 (1994), 95-123.

[16] Jochen Abr. Frowein/Thorsten Stein (eds.), Rechtliche Aspekte der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Materialien des Kolloquiums vom 17./18.8. 1989, Berlin: Springer 1990; on this colloquium, see also: Felix Lange, Nach dem Ende der „grundgesetzlich auferlegten Enthaltsamkeit“ – Potential einer verfassungsrechtlichen Bindung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an das Völkerrecht, Der Staat 62 (2023), 485-522, 499-500.

[17] Jürgen Oesterhelt, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (fn. 16), 52; see also: 91, translated by the editor.

[18] See, with further sources: Helmut Philipp Aust, Art. 24, paras. 74 ff., in: Jörn Axel Kämmerer/Markus Kotzur (eds.), von Münch/Kunig – GG-Kommentar, 7. ed., Munich: C.H. Beck 2021.

[19] Photo: MPIL.

[20] Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38-66.

[21] Wolfrum (fn. 20), 40, translated by the editor.

[22] BVerfGE 68, 1 (86).

[23] Wolfrum (fn. 20), 40.

[24] Wolfrum (fn. 20), 40.

[25] Wolfrum (fn. 20), 40.

[26] Wolfrum (fn. 20), 40.

[27] Jochen Abr. Frowein, Der Schutz des Menschen ist zentral – Der Krieg im Kosovo und die völkerrechtliche Regelung der Gewaltanwendung, NZZ of 17/18 July 1999, 61-62, translated by the editor.

[28] Frowein (fn. 25), translated by the editor.

[29] At least the statements made by prominent German jurists Ipsen and Tomuschat seem more decisive, even though they also voice concerns regarding the supposed unambiguousness of the legal situation in their respective assessments: Knut Ipsen, Der Kosovo-Einsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, Die Friedens-Warte 74 (1999), 19-23; Christian Tomuschat, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, Die Friedens-Warte 74 (1999), 33-37.

[30] Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, HJIL 59 (1999), 941-959.

[31] Schmolke (fn. 5), para. 305, emphasis in original.

Hermann Mosler – der Befreier

1951 befreite Hermann Mosler das deutsche juristische Denken transnationaler Phänomene aus den Fesseln des staatsrechtlichen Denkens. Medium der Befreiung war die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), Anlass der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).[1]

Konkret legte Mosler einen Weg frei, das Gemeinschaftsrecht, jenseits des staatsrechtlichen Dualismus von Landesrecht und Völkerrecht[2], als eine neue und neuartige Rechtsordnung in föderalen und verfassungsrechtlichen Kategorien zu denken. Er zeigte, dass Schumans und Adenauers politischer Wille zu einer völkervertraglich verfassten Föderation souveräner Staaten kein juristisches Paradoxon war, sondern vielmehr ein Weg in eine bessere Zukunft. Das verlangte allerdings, staatsrechtliche Dogmen zu sprengen.

Sprengen ist ein Begriff Moslers (S. 24), auch für seine eigene Arbeit.[3] Eine solche performative Rechtswissenschaft ist, so Mosler, wissenschaftsadäquat und sogar geboten. Denn zu den Aufgaben der Rechtswissenschaft gehört, politische Verbände „zu regeln“,     „den

Hermann Mosler und das Ehepaar Freudenberg anlässlich der Eröffnung des neuen Institutsgebäudes, 1954[4]

Ausgleich der gesellschaftlich wirksamen Interessen zu fördern“ und dabei „Integration“ voranzubringen (S. 37). Mosler konzipiert das Verhältnis von Rechtswissenschaft und Gesellschaft letztlich als dialektisch. Zum einen muss „die Rechtswissenschaft dem gesellschaftlichen Faktum folgen“, dem „Substrat der rechtlichen Konstruktion“, zum anderen soll sie förderungswürdigen gesellschaftlichen Dynamiken einen Weg bahnen (S. 37). Moslers Beitrag ist ein Werk des rechtswissenschaftlichen Konstruktivismus, auch wenn er es nicht so reflektierte.

Moslers Sprengung bleibt nach 70 Jahren unvollständig, denn der staatsrechtliche Zugang prägt weiter Teile des deutschen Europarechtsdenkens. Gewichtige Stimmen konzipieren das Unionsrecht als ‚Staatsrecht III‘, als ‚delegiert‘ oder als kreisend um die Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts. So bleibt Moslers ZaöRV-Beitrag aktuell, selbst wenn der EGKS-Vertrag wenig erfolgreich war, am 23. Juli 2002 erlosch und bereits die Römischen Verträge auf seinen Leitbegriff verzichteten: die Überstaatlichkeit (supranationalité).

Die Fesseln

Die staatsrechtlichen Fesseln, aus denen Mosler das deutsche öffentlich-rechtliche Denken befreite, zeigen plastisch zeitgenössische Aufsätze in der ZaöRV, etwa die Carl Bilfingers. Ihn kennzeichneten eine tiefe Prägung durch den Wilhelminismus, eine enge Verbindung zu Carl Schmitt und anderen Exponenten etatistischen Denkens, eine bekennende NSDAP-Mitgliedschaft und, dank dieser credentials, sein vorheriges Wirken im Direktorenamt des Kaiser-Wilhelm-Instituts. Insofern markiert dieser Blogbeitrag eine Bruchstelle in der Institutsgeschichte.[5]

Deutlich werden die Fesseln in Bilfingers Aufsatz „Friede durch Gleichgewicht der Macht?“, mit dem Bilfinger 1950 die ‚Abhandlungen‘ der ZaöRV wiederbelebt. Ich habe den tieferen Sinn vieler Passagen dieses gewundenen Beitrags nicht wirklich verstanden, entnehme ihm aber eine Kernaussage: Die Westalliierten sollten zwecks einer stabilen europäischen Friedensordnung mit dem besiegten Deutschland so umgehen wie die Heilige Allianz mit dem besiegten Frankreich auf dem Wiener Kongress.

Die Vier Mächte machten keinen solchen Schritt auf Deutschland zu, wohl aber Frankreich auf die Bundesrepublik. Der war letztlich viel größer und sollte auch zu einem viel größeren Erfolg führen. Frankreich erklärt sich mit der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 bereit, gemeinsam mit Deutschland den Weg in eine gemeinsame Föderation aufzunehmen, womit es von seinem ursprünglichen Plan einer dauerhaften Schwächung Abstand nahm (auf amerikanischen Druck). Adenauer erblickte die Chance und machte das Gelingen des Schuman-Plans zu einem Kernanliegen deutscher Außenpolitik.

Es entsprach dem Selbstverständnis der ZaöRV, dieses Projekt prominent zu besprechen, eben durch Bilfinger als Direktor des Instituts.[6] Auch in diesem Aufsatz habe ich den Gedankengang nicht wirklich verstanden. Mir scheint, dass er die Praktikabilität des Schuman-Plans an die Anerkennung eines Vorbehalts knüpft: Es muss den teilnehmenden Staaten eigenmächtiges Handeln erlaubt sein, wenn sie ihre Lebensinteressen betroffen sehen. Ein heutiges Äquivalent heißt ‚Verfassungsidentität‘.

Die Befreiung Moslers

Walter Hallstein, Jean Monnet und Konrad Adenauer in Bonn, 1951[7]

Hermann Mosler schenkt Bilfingers Bemühen um den Schuman-Plan keine Zeile. Das Nachwuchstalent aus dem Berliner Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht kannte sich aus, da Teil der deutschen Verhandlungsdelegation. Das Gelingen des Schuman-Plans war ihm eine „Herzensangelegenheit“.[8] Damit bezog er Position, denn anderen galt der Plan als „Landesverrat“, als Kniefall „vor der amerikanischen Finanzoligarchie“, aber auch als die „Mitteleuropa-Konzeption der deutschen Imperialisten von 1914“.[9] So behandelt Moslers Aufsatz aus einem tiefen Anliegen heraus ein großes und umstrittenes Thema, und das mit enormer Sachkenntnis, politischer Peilung und juristischer Schlagkraft. Das sind die Zutaten großer Beiträge.

Moslers juristisches Denken gilt als ‚pragmatisch‘. Zumindest in diesem Aufsatz kann man es genauer als ‚situativ‘ kennzeichnen: Es lebt aus dem Verständnis der politischen Lage, bezieht Position und wirkt auf sie ein. Die Lage ist Moslers Aufsatz nichts Äußeres, das er, wie viele dogmatische Beiträge, mit ein paar einleitenden Sätzen abhandelt, um sich dann der Pflege des umfriedeten dogmatischen Gartens zu widmen. Die genaue Erfassung der Lage ist vielmehr elementar für die rechtwissenschaftliche ‚Qualifizierung‘ des Vertrags, weit wichtiger als dessen Bestimmungen. So widmet Mosler über die Hälfte seines Beitrags der Lage, dargestellt anhand der politischen Interessen, Konflikte, Positionen, Projekte und Prozesse der Konsensbildung (S.1–23, 27–29). Mosler versteht dies als eine Beschreibung der „Entstehung“, heute spricht man von process tracing.

Gerhard Anschütz und Hermann Mosler am Institut, 1965[10]

Mosler versteht die Lage, für die der EGKS-Vertrag zu entfalten ist, im Grunde wie Schuman: Der Friede in Europa braucht eine neue Form internationaler Ordnung. Allerdings verzichtet Mosler auf den Begriff der Solidarität, dem in der Schuman-Erklärung eine Schlüsselrolle zukommt. Schuman denkt die europäische Einigung wohl mit Durkheims Soziologie solidarischer Vergesellschaftung, ein Ansatz, den Léon Duguit ins Verfassungs- und Verwaltungsrecht und Georges Scelle ins Völkerrecht einbrachten. Das fehlt bei Mosler, ebenso wie jeder Hinweis auf den ähnlich ausgerichteten sozialdemokratischen Europaföderalismus seines früheren Institutskollegen Hermann Heller oder auf den republikanischen Föderalismus des Manifests von Ventotene. Ich frage mich, ob der heutige deutsche Europarechtsdiskurs vertrauter mit dem Prinzip europäischer Solidarität wäre, hätte Mosler, mit Schuman, die europäische Integration als ein Projekt solidarischer Vergesellschaftung begriffen.

Mosler fokussiert ab dem allerersten Satz allein auf die „Große Politik“, also die Politik um Krieg und Frieden, die von einer kleinen Gruppe mächtiger Personen geprägt wird. Er präsentiert die Montanunion als Antwort auf die Dysfunktionalität des UN-Sicherheitsrats (S. 2). Es fehlt damit jeder Hinweis nicht nur auf Fragen der solidarischen Vergesellschaftung, sondern insgesamt auf die sozialen Konflikte der Zwischenkriegszeit, die zu autoritären, totalitären und damit oft aggressiven Regimen geführt hatten, ohne die der Zweite Weltkrieg und der nachfolgende Ost-West-Konflikt kaum zu verstehen sind.

Mosler blendet somit Wichtiges aus, was aber seiner Scharfsichtigkeit nicht schadet. Letztere zeigt seine ungewöhnliche Artikulation der Lage. Es gehe 1951 nicht darum, Westeuropa zu integrieren, so das übliche Verständnis, sondern die Montanunion solle vielmehr seine Desintegration verhindern:

Die Verflechtung der Wirtschaftsinteressen soll die tatsächlichen Voraussetzungen schaffen, die eine erneute politische Desintegration der zur Zeit durch die gemeinsame Bedrohung seitens des Ostblocks verbundenen Mitgliedstaaten unmöglich machen soll.“ (S. 23)

Damit artikuliert er das window of opportunity der ersten Sattelzeit. Dieses Fenster öffnet sich durch, erstens, die militärische, ökonomische, politische und weltanschauliche Abhängigkeit der westeuropäischen Staaten von den Vereinigten Staaten von Amerika, zweitens das amerikanische Bestreben, die europäischen Staaten in ihrer Einflusszone zu föderieren, und drittens die Wahrnehmung sowjetischer Bedrohung. Diese Lage impliziert den Verlust der Weltmachtstellung europäischer Staaten, aber auch eine gewisse Gemeinsamkeit ihrer Gesellschaftsordnung als Teil des sich formierenden geopolitischen Westens (S. 9). Dieser Machtverlust, dieser Gleichklang, diese Abhängigkeit, diese US-Politik und diese militärische Konfrontation bestimmen die Lage, aus der heraus sich die Montanunion versteht. Mosler präsentiert den Schuman-Plan zwar als ein autonomes französisches Projekt, das aber dieser Lage zu verdanken ist (S. 5).

Die ‚Große Politik‘ reagiert mit diversen Projekten auf diese Lage. Sie alle genügen nicht, denn sie bleiben in den Fesseln geschlagen, die in Deutschland das staatsrechtliche Denken artikuliert. Erst der Schuman-Plan „verläßt diese Anschauungswelt“ (S. 8) und bietet, so Mosler, den einzig brauchbaren Weg zu einer belastbaren Friedensordnung. So wiesen Moslers weltpolitischer Realismus und katholischer Idealismus denselben Weg.

Der EGKS-Vertrag verlässt die Anschauungswelt des überkommenen Völkerrechts und damit des überkommenen Staatsrechts. Mosler erschließt dies rechtswissenschaftlich mittels einer kategorialen Verortung seines Wesens im Lichte der Lage. Diese Verortung erfolgt ausgehend vom „Wesen internationaler Zusammenschlüsse im derzeitigen Stadium der Völkerrechtsentwicklung“ (S. 25–26). Eine solche begriffsanalytische „Wesensschau“ juristischer Phänomene konstituiert den Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung und erfolgt selbstredend mit eigenen Methoden. Mosler reflektiert also die politische Lage, operiert aber unter der Prämisse rechtswissenschaftlicher Autonomie. Solche rechtswissenschaftlichen Operationen sind politisch und gesellschaftsweit bedeutsam, weil sie die soziale Ordnung eigenständig entwickeln (S. 37).

„Der erste Schritt zur Einheit Europas“. Schaubild zur Gründung der EGKS[11]

Mosler bestimmt die „Anschauungswelt“, aus der sich das „Wesen“ internationaler Zusammenschlüsse ergibt, mit dem Begriff der souveränen Gleichheit der Staaten (S. 28).

Seine Befreiung wählt nun nicht den einfachen Weg, staatliche Souveränität als unumschränkte Herrschaftsmacht zu definieren und dann an den scharfen Klippen der Lage als obsolet kentern zu lassen. Vielmehr deutet er den Grundsatz im Lichte der Satzung der Vereinten Nationen, welche diese Lage reflektiert und gleichwohl die souveräne Gleichheit als Grundsatz postuliert (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Was ist also das befreiende Neue? Mosler fixiert den Schlüsselgedanken in der Lageanalyse. Es ist der Schritt, „ein zentrales wirtschaftliches Problem mit organisatorischen Mitteln zu lösen, die bisher nur dem Zusammenschluss selbständiger Länder zu einem Bundesstaat gedient haben“ (S. 8).

Das erste bundesstaatliche Element findet sich in der öffentlichen Gewalt, die der Vertrag begründet. Die Hohe Behörde, ein Gemeinschaftsorgan, kann einseitig verpflichtende Entscheidungen erlassen, die innerstaatlich gegenüber Behörden wie Privaten wirken. Bei Ungehorsam müssen mitgliedstaatliche Behörden die Entscheidungen vollstrecken, ohne dass es auf nationales Recht dabei ankäme. Dies impliziert die unmittelbare und vorrangige Wirkung der Entscheidungen und damit des Gemeinschaftsrechts, analog einem Bundesrecht (S. 44). Dagegen beanspruchen selbst Entscheidungen des Sicherheitsrats keine innerstaatliche Wirkung.

Die zweite Innovation kreist um die Unabhängigkeit des entscheidenden Organs. Nun setzt bereits der Begriff der internationalen Organisation eine gewisse Verselbständigung gegenüber ihren Mitgliedern voraus. Der Schuman-Plan übertrifft aber diese Verselbständigung, wie der Schlüsselbegriff der Überstaatlichkeit der Hohen Behörde verdeutlicht (‚supranationalité‘, Art. 9 EGKS-Vertrag). Überstaatlichkeit erfordert, dass die Behörde unabhängig entscheidet.

Diverse Bestimmungen dienen solcher Unabhängigkeit. Dazu zählt, dass die Behörde ein handlungsfähiges Gremium ist, per Mehrheit entscheidet und ihre Amtsträger weisungsfrei sind. Zudem müssen sich weder das Organ noch seine Amtsträger vor nationalen Institutionen verantworten, sondern nur vor der EGKS-Versammlung, der Keimzelle des Europäischen Parlaments. Dagegen unterliegen die Entscheidungsträger des UN-Sicherheitsrats staatlichen Weisungen und Verantwortungsstrukturen.

Das dritte Moment ist die Bedeutung der supranationalen Kompetenz. Die Entscheidungen der Hohen Behörde sollen Relevanz für politische Fragen im Sinne der ‚Großen Politik‘ erlangen, für Fragen von Krieg und Frieden. Deshalb hat die Gemeinschaft ein eigenes politisches Gewicht und ist weit mehr als nur eine Verwaltungsunion, wie sie seit dem späten 19. Jahrhundert existierten.

Mosler sieht das Neue, denkt es aber nicht, wie Hallstein und Monnet, als ein werdendes Staatsrecht.[12] Nach seinem Verständnis zielt die ‚Gemeinschaftsidee‘ vielmehr auf eine per Vertrag verfasste Föderation souveräner Mitgliedstaaten (S. 32) und sprengt damit die bisherige Anschauungswelt. Es bleibt die Frage, wie die Rechtswissenschaft diese Sprengung begrifflich nachvollziehen kann.

Die Sprengung

Walter Hallstein (stehend) hält 1962 den Vortrag „Die EWG politisch gesehen“ am Institut. Sitzend: Hermann Mosler, Hans Dölle[13]

Der EGKS-Vertrag etabliert, was staatsrechtlichem Denken ein Paradoxon ist: eine nicht-staatliche und staaten-überspannende haute autorité, also öffentliche Gewalt ohne Staatlichkeit. Mosler reflektiert das nicht im Lichte seiner früheren völkerrechtstheoretischen Konzeption, die Bilfingers Denken nahestand.[14] Man mag das so verstehen, dass mit dem EGKS-Vertrag für das juristische Denken ein neuer Tag begann und, weil die Eule der Minerva eben erst abends fliegt, die Zeit nicht reif war für eine Verfassungstheorie nicht-staatlicher Föderationen. Man kann Moslers Enthaltsamkeit aber auch so deuten, dass er sein früheres Denken nicht konfrontieren wollte.

Moslers rechtswissenschaftlicher Sprengakt implementiert keine politiktheoretische Revolution, sondern den politischen Sprengakt des EGKS-Vertrags, der den Weg in eine verfasste Föderation souveräner Staaten freimachen sollte. Moslers rechtswissenschaftlicher Sprengakt ist darauf kalibriert: Er hat einen juristischen Weg zu dem vermeintlichen juristischen Paradoxon einer verfassten Föderation souveräner Staaten frei zu legen, und gerade nicht zu einem europäischen Bundesstaat. Ginge es um Bundesstaatlichkeit, „so mag dieser Gedanke politisch revolutionär sein, eine schöpferische Rechtskonstruktion indes ist er nicht“ (S. 33).

Diese Sprengung soll also keiner europäischen Integration die Bahn brechen, wie sie etwa Friedrich Naumann nach dem Ersten Weltkrieg propagiert hatte. Naumann zielte auf „die Bildung von ‚Mitteleuropa‘ als des vierten Groß-Staates neben dem Britischen Reich, Rußland und den Vereinigten Staaten“ (S. 45). Das erscheint Mosler als der falsche Weg.

Wenn Staatlichkeit nicht mehr die politische Leitidee ist, dann muss die Rechtswissenschaft ihre überkommene Anschauungswelt verlassen. Nur so kann sie das politische Projekt des EGKS-Vertrags adäquat begleiten, das, als eine „engere Gemeinschaft, die in der Völkerrechtsordnung geläufigen Formen und Einrichtungen sprengt“ (S. 24). Zu konzipieren ist eine politische Föderation (S. 32), die nicht unter dem Telos künftiger Staatlichkeit steht.

Um die alte Anschauungswelt zu verlassen, aber gleichwohl brauchbare Bausteine in die neue Anschauungswelt mitzunehmen, bedarf es einer genau kalibrierten Sprengung. Mosler sprengt deshalb allein das überkommene Dogma der unteilbaren Souveränität (S. 32), indem er sie kurzum als teilbar und partiell fusionierbar setzt (S. 12, 24, 34, 39). So wird es konzeptionell möglich, dass die EGKS-Mitgliedstaaten Teile ihrer Souveränität durch die nationalen Ratifikationen fusionieren und so überstaatliche öffentliche Gewalt begründen.

Mosler reflektiert diesen Prozess mit dem Begriff der Föderation.[15] Dies liegt nahe, denn seit den Federalist Papers sind die Debatten über die Teilbarkeit von Souveränität und über das Wesen von Föderationen eng verbunden. Allerdings rekurriert Mosler nicht auf diese verfassungstheoretische Tradition. Ihm reicht es, dass das juristische Denken mit diesem Schritt Schumans ‚föderale Gemeinschaftsidee‘ grundbegrifflich nachvollziehen kann. Angesichts des offensichtlichen demokratischen Willens bedarf es keiner weiteren theoretischen Legitimation. So konzipiert Mosler das Gemeinschaftsrecht als ein föderales Recht, das sich als Ausdruck fusionierter Souveränität kategorial von einem Staatsrecht wie vom internationalen Recht unterscheidet (vgl. nur S. 9, 24, 34).

Das ist ein großer Schritt, grundbegrifflich wie politisch. Es ist bemerkenswert, dass Mosler ihn nicht nur mit den entsprechenden Positionen in der ‚Großen Politik‘ absichert, sondern zudem auf die öffentliche Meinung rekurriert: Sie wolle diesen Schritt zur Teilbarkeit von Souveränität und deren Fusion in einem nicht-staatlichen Verband (S. 13). Damit dokumentiert er, dass seine grundbegriffliche Arbeit nicht die isolierte Meinung politischer Eliten, sondern eine gesellschaftsweite Auffassung nachvollzieht.

„Einigt endlich Europa“. Pro-europäische Demonstration anlässlich der Konferenz der Außenminister der Montanunion in Baden-Baden, 1953[16]

Der Fusionsgedanke ist folgenreich. So ist in der neuen Anschauungswelt die überstaatliche öffentliche Gewalt nicht mehr, wie in der alten, als eine Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität zu verstehen. Denn sie ist ein Produkt der fusionierten mitgliedstaatlichen Souveränitäten, also nichts ihnen Gegenüberstehendes, kein ‚Anderes‘, sondern vielmehr sie selbst in einem neuen Zustand. Just deswegen steht Akten der EGKS kein Souveränitätsvorbehalt entgegen.

Es bleibt die Frage, ob dieser grundbegriffliche Schritt in eine teilbare Souveränität, der eine nichtstaatliche Föderation ermöglicht, elementare Errungenschaften verrät. Die Frage beschäftigt bis heute das europäische Verfassungsrecht. Die heutigen Zweifler fokussieren sich auf die Volkssouveränität und bestreiten, dass die Union ohne ein souveränes, sich selbst bestimmendes Unionsvolk als demokratisch gelten kann. Mosler hat keine Geduld für solche Positionen. Deren Vorstellungswelt erscheint ihm defizitär, weil idiosynkratisch. Es sei eine spezifisch deutsche Blickverengung, Föderation mit Bundesstaatlichkeit gleichzusetzen: „Der Gedanke an die deutsche Vergangenheit der letzten anderthalb Jahrhunderte legt ihm [d.h. dem deutschen Betrachter] die Vorstellung nahe, überstaatliche Zusammenschlüsse nur in etatistischer Form sehen zu können. […. Dies] ist den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft fremd“ (S. 33–34). Damit sieht Mosler den Weg frei, die Souveränität zu teilen und die EGKS als föderal zu begreifen.

Das Theorem der teilbaren und transnational fusionierbaren Souveränität sprengt so den Weg zu neuen begrifflichen Konstruktionen frei. Es erlaubt, die EKGS als Trägerin öffentlicher Gewalt zu konzipieren, die sie gegenüber ihren Gliedern und den Rechtsunterworfenen ausübt. Zur näheren Fassung dieser Gewalt nutzt Mosler bundesstaatliche Begriffe: Rechtserzeugung, Verwaltung und Rechtsprechung (S. 36). Dank seiner begrifflichen Grundoperation impliziert diese Qualifizierung keine Bundesstaatlichkeit. Heute ist es selbstverständlich, das gesamte Arsenal öffentlich-rechtlicher Begriffe auf die Union anzuwenden, ohne damit eine europäische Staatlichkeit zu implizieren. Moslers Beitrag steht am Anfang dieses Verständnisses überstaatlicher öffentlicher Gewalt.

Die Fusionierung der Souveränität für eine überstaatliche Föderation erfolgt durch einen völkerrechtlichen Vertrag. Mosler, seinem sprengfreudigen Impetus weiter folgend, qualifiziert dies als die „Vertragliche Errichtung eines verfassungsrechtlichen Teilgebildes“ (S. 32). Diese verfassungsrechtliche Qualifikation folgt zwanglos aus dem bisherigen Gedanken: Wenn die EGKS dank teilfusionierter Souveränitäten öffentliche Gewalt ausübt, dann klärt es die Rechtsnatur der diese Gewalt konstituierenden Grundbestimmungen, sie in verfassungsrechtlichen Kategorien zu begreifen.

Mehr noch: Da die neue Anschauungswelt demokratische Rechtsstaatlichkeit in Westeuropa schützen soll, ist es geradezu zwingend, ihr konstruktives wie kritisches Potenzial für den neuen Verband zu nutzen. Es entspricht dieser Grundentscheidung, die neue öffentliche Gewalt verfassungsrechtlich zu deuten, eben im Sinne der „notwendigen Bestandteile jeder gesellschaftlichen Ordnung“, die nun auch die EGKS erbringt.

Mosler ist umsichtig: Er unterscheidet den Begriff des Verfassungsrechts, den er adjektivisch für den EGKS-Vertrag verwendet, von dem der Verfassung, den er für den Übergang in eine europäische Staatlichkeit reserviert (S. 39). Damit bringt er zum Ausdruck, dass das, was er als ein verfassungsrechtliches Teilgebilde bezeichnet, nur in Ansätzen dem entspricht, was man im westlichem Erfahrungshorizont unter einer Verfassung versteht.

Mosler unterstreicht, das kritische Potential der verfassungsrechtlichen Rekonstruktion nutzend, die Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Weiterentwicklung. Obwohl er keinen republikanischen Föderalismus wie das Manifest von Ventotene vertritt, ist es auch für seinen Föderalismus offensichtlich, dass die EKGS-Versammlung zu einem Parlament auszubauen ist; er spricht sogar von einer europäischen Volksvertretung (S. 43). Die weitere Entwicklung hat zwar kein europäisches Volk generiert, wohl aber, so Art. 2 EUV seit 2009, eine europäische Gesellschaft, welche die Prinzipien des demokratischen Konstitutionalismus charakterisieren. Der Pfad von Moslers Aufsatz zu diesem Art. 2 EUV ist leicht zu ziehen.

Moslers Sprengung dient dem Weg in eine nicht-staatliche Föderation, ihr gilt seine Präferenz. Gleichwohl schließt er den Weg in eine europäische Staatlichkeit nicht aus. Mosler beschreibt die Schwelle in eine europäische Staatlichkeit mit einem Strauß von Gesichtspunkten, die sich um die Begriffe Macht und Schicksal gruppieren. Man kann zum einen Bundesstaatlichkeit aus dem Außenverhältnis erschließen: Europäische Bundesstaatlichkeit ist danach erreicht, wenn die Mitgliedstaaten zu einem einheitlichen politischen Schicksal dergestalt verbunden sind, dass sie gegenüber dritten Mächten eine Einheit darstellen (S. 35–36, 45). Man kann Bundesstaatlichkeit aber auch aus dem föderalen Verhältnis folgern: Danach liegt eine Staatswerdung vor, wenn ein Austritt eines Mitgliedstaats ihm ähnliche Schwierigkeiten bereitet wie der Austritt aus einem Bundesstaat (S. 39), weil die „Lebenssphären“ so eng verbunden sind (S. 44). Ein weiterer Gesichtspunkt ist, ob „die Gemeinschaft die Sezession im Sanktionsweg zu verhindern fähig“ ist (S. 44).

Betrachtet man diese Kriterien im Lichte der finanziellen ‚Nahtoderfahrung‘ griechischer Bürger aufgrund von Entscheidungen der Europäischen Zentralbank im Jahr 2015, der Konvulsionen des Vereinigten Königreichs im Zuge des Brexit, der Positionierung der Union im Ukrainekrieg, von Behauptungen, die Kommissionspräsidentin sei der (ja, der) vielleicht mächtigste Politiker Europas, so erscheint in Moslers Perspektive die Schwelle einer europäischen Staatswerdung in Sichtweite, wenn nicht gar schon erreicht.

Wo also stehen wir heute? Aus einer Distanz von mehr als 70 Jahren bringt mich Moslers Beitrag ins Grübeln über eine elementare Frage des europäischen Verfassungsrechts. Ich sehe darin den ultimativen Beweis seiner Aktualität.

***

Dieser Blogbeitrag beruht auf einem Aufsatz für die ZaöRV 4/2024 unter dem Titel Die Befreiung. Moslers europaföderale Sprengung des staatsrechtlichen Denkens.

[1] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Entstehung und Qualifizierung, ZaöRV 14 (1951), 1–45. Seitenzahlen im Text (S. X) beziehen sich auf diesen Beitrag.

[2] Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig: C.L. Hirschfeld 1899; Carl Schmitt, Über die zwei großen ‚Dualismen‘ des heutigen Rechtssystems. Wie verhält sich die Unterscheidung von Völkerrecht und staatlichem Recht zu der innerstaatlichen Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht?, in: Mélanges Streit [Festschrift für Georgios Streit], Bd. 2, Athen: Pyrsos 1940, 315–328.

[3] Zur Selbstbeschreibung: Hermann Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, ZaöRV 28 (1968), 481–502, 500.

[4] Foto: MPIL.

[5] Zu Kontinuitäten von Bruns über Mosler bis zum heutigen Tage: Anne Peters, Völkerrecht als Rechtsordnung: 1929 – 1976 – 2024, MPIL100.de; Armin von Bogdandy/Philipp Glahé, Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte,MPIL100.de.

[6] Carl Bilfinger, Vom politischen und nicht-politischen Recht in organisatorischen Kollektivverträgen. Schuman-Plan und Organisation der Welt, ZaöRV 13 (1950), 615–659.

[7] Foto: BArch, B145 Bild-F000029-0035.

[8] Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Berlin: Springer 2017, 173.

[9] Nachweise siehe: Lange (Fn. 9), 177–178.

[10] Foto: MPIL.

[11] Foto: BArch B 285 Plak-022-011

[12] Jean Monnet, Les États-Unis d’Europe ont commencé: la communauté européenne du charbon et de l’acier. Discours et allocutions 1952 – 1954, Paris: Robert Laffont 1955; Walter Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat. Europäische Erfahrungen und Erkenntnisse, Düsseldorf: Econ 1969.

[13] Foto: MPIL.

[14] Vgl. seinen 1946 gehaltenen, Bilfinger gewidmeten Habilitationsvortrag: Hermann Mosler, Die Großmachtstellung im Völkerrecht, Heidelberg: Schneider 1949; dazu: Florian Kriener, Das Interventionsverbot in autoritären Kontexten. Hermann Moslers Intervention im Völkerrecht, MPIL100.de.

[15] Näher: Matteo Bozzon, Which Federalism for Europe? A Moslerian Path, MPIL100.de.

[16] Foto: BArch, B 145 Bild-F000812-0011/ Arntz. Prof.

 

Eine „ganz unverhoffte Freude“. Eindrücke aus der Gründungszeit des Instituts 1924-1926

A “Completely Unexpected Joy”. Impressions from the Time of the Institute’s Founding 1924-1926

Deutsch

Marie Bruns (1885-1952), geborene Bode, war ab 1915 mit Viktor Bruns verheiratet. Bereits in jungen Jahren übernahm sie für ihren Vater Wilhelm von Bode (1845-1929), Kunsthistoriker und Generaldirektor der Berliner Museen, Schreib- und Korrespondenzarbeiten. Auch am beruflichen und wissenschaftlichen Leben ihres Ehemanns hatte Marie Bruns intensiven Anteil. Häufig begleitete sie Viktor Bruns auf internationalen Vortragsreisen oder zum Ständigen Internationalen Gerichtshof nach Den Haag. Das Wirken ihres Mannes und das Leben am Institut hat Marie Bruns in vielen Tagebucheinträgen ausführlich dokumentiert. Überliefert sind insgesamt 18 Tagebücher, die fast 2800 eng beschriebene Seiten umfassen. Hinzu kommen zahlreiche Korrespondenzen, die sich heute in Familienbesitz befinden. Teile der Tagebücher wurden von ihrem Enkel Rainer Noltenius ediert[1], der uns freundlicherweise Zugang zu bislang unveröffentlichten Notizen seiner Großmutter gewährte. Hierzu gehört das Ehetagebuch von Marie Bruns, in welchem diese die Gründung des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht schildert.[2]

Völkerrecht statt Theaterkunde. Institutsgründung in letzter Minute

Der Winter 24/25 verlief glatt, ohne nennenswerte Erkrankungen. Er brachte uns eine große, ganz unverhoffte Freude. Viktor hatte in den vergangenen Jahren oft und reiflich den Plan eines deutschen Lehrbuchs für Völkerrecht erwogen. Er las auch Bücher und Broschüren darüber, ließ sich von Frau Wolff und juristischen Assistenten oder Studenten über den Inhalt von Büchern berichten, damit er nicht alles selbst durchlesen mußte. Selbst den Anfang des Lehrbuchs entwarf er im Kopfe; aber je weiter er kam mit dem Entwurf zu der Arbeit, desto klarer wurde ihm die Unmöglichkeit des ganzen Unternehmens. Er konnte an das Material nicht heran, das ihm am wichtigsten schien. Ein lückenhaftes Lehrbuch würde belanglos sein. Eine Arbeit von Jahrzehnten würde nötig werden, um das Material zur Kristallisierung der Völkerrechtswissenschaft zusammenzustellen. Wenn man ein Forschungsinstitut begründen könnte? Aber das war ja ausgeschlossen in diesen Zeiten.

Einige Wochen vor Weihnachten ließ er im Gespräch mit [Friedrich] Glum[3], dem Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ganz beiläufig ein Wort über diesen Institutsgedanken fallen. Sofort nahm ihn Glum sehr lebhaft auf. „Das ließe sich aber sehr gut machen“, sagte er, „voriges Jahr hat unsere Gesellschaft zu viel Geld bewilligt bekommen. Den Überschuß können wir für Ihr Institut verwenden. Aber wir müssen rasch handeln, denn sonst kommen uns andere mit törichten Unternehmungen zuvor. Da wird z.B. ein Institut für Theaterkunde geplant – was hat das für einen praktischen Nutzen?“

So ähnlich sprach Glum und gab Viktor gleich einige Ratschläge für die Ausführung des Unternehmens.

Auszug aus dem Tagebuch von Marie Bruns [4]

Zunächst mußte warmes Interesse für die Sache geweckt werden. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft konnte das Institut nicht alleine stützen; denn Viktor dachte es auf eine breite Basis zu stellen, damit die Wirkung eine umso weitgreifendere würde. Als geldgebende Protektoren wurden das Reich, Preußen, d. K. W. Ges. und die Notgemeinschaft[5] gewonnen.[6]

Es ging nicht ohne Kämpfe ab. Viktors Duzfreund [Werner] Richter[7] – damals Personalreferent im Kultusministerium – wollte durchaus ein preußisches Institut schaffen. Dann hätte man bei jeder Entscheidung auf das gnädige Interesse der ministeriellen Behörde warten müssen. Es hätte Verschleppungspolitik bedeutet – darum rang Viktor mit Richter, bis ihm sein Institut als selbständige Behörde bewilligt wurde.

Bescheidenerweise hatte Viktor drei Direktoren vorgeschlagen: Smend[8], Triepel[9] und seine eigene Person. Der Antrag auf das Triumvirat wurde aber abgelehnt und Viktor zum alleinigen Direktor ernannt. Ein Kuratorium[10] steht ihm zur Seite mit einer Reihe von Professoren darunter, deren Forschungen auf völkerrechtlichem Gebiet in der neu zu begründenden Zeitschrift niedergelegt werden sollen; repräsentative Pflichten, Propaganda-Besuche u. ä. nimmt der Präsident des Kuratoriums, zugleich Oberhaupt der Oberrechnungskammer und früherer Minister, Saemisch[11], Viktor ab.

Der Lehrkörper der Juristischen Fakultät Berlin 1921. Viktor Bruns (stehend, erster von links), Rudolf Smend (stehend, zweiter von links) und Heinrich Triepel (stehend, zweiter von rechts). [12]

Nachmieter des Kaisers. Die Institutsräumlichkeiten im Berliner Schloss

Unsere Freundin, Margaret Wolff, ist die Hausfrau des neuen Instituts und hat zugleich ein juristisches Referat. Dr. Wille[13] versieht mit dem tauben Cörnchen[14] den bibliothekarischen Dienst. Fünf Assistenten stehen Viktor neben Frau Wolff noch bei Seite, fünf Sekretärinnen wirken im Büro. Die Arbeitsstätte ist im dritten Stock des einstigen kgl. Schlosses.[15] Der Privataufzug der Majestäten, auf dessen Bank noch ein roter Überzug mit Kronen angebracht ist, führt zum Institut hinan. Wo ich früher so manches liebe Mal zum Unterricht der Prinzeß die Treppen heraufstieg[16], kann ich jetzt stolz fahren, und mein Mann ist der Herrscher in seinem Bereich. 32 Stuben stehen ihm zur Verfügung. Früher haben dort Unterbeamte gewohnt, die Weißzeugsbeschafferin z.B., die schönsten Zimmer mit Bad hatte der kaiserliche Leibarzt inne. Jetzt wohnt da Viktor in einer Stube; die andere ist zum Sitzungszimmer gemacht. Alle wissenschaftlichen Mitarbeiter und Assistenten haben ein Zimmer für sich.[17]

Die Sekretärinnen und Bibliothekarinnen des Instituts, 1931. Von links nach rechts: Ilse von Engel, Annelore Schulz, Jutta Selling, Charlotte Zowe-Behring und Liese Rapp.[18]

Da der Flügel sehr verwohnt war, hat Viktor zugleich Linoleum legen, Decke und Wände streichen und seine beiden Stuben sogar mit Samt bedecken lassen. Es sind freundlich lichte Farben gewählt, meist ein frisches Grün als Wandanstrich. Von dem weiten Himmel strömt viel Licht in die Stuben. Man fühlt sich hoch über Staub und lärmendem Verkehrsleben. Die Schwalben fliegen um die Fenster und streifen an dem Turm der alten Gertraudenkirche vorbei. Einige Stuben haben Aussicht auf den schönen alten Hof, und mitunter ragt ein Schienbein oder eine Krone von den großen Barockwappen in die Fensterbreite hinein. Sieben Bibliotheksräume und eine eigene Buchbinderei besitzt das Institut. Im Januar 1926 ist auch die Casinoküche eröffnet worden. Frau Fürst, die Frau des Hauswirts, stellt mit wenig Geld ein sehr nahrhaftes, gesundes und wohlschmeckendes Essen her. Die Sekretärinnen essen für 70 Pfg., die Herren für 1 Mark 40.

Der Institutsmittagstisch im Schloss. Um den Tisch von oben links: Victoria Rienäcker, Ruth von Braumüller (spätere Bischof), Charlotte Zowe-Behring, Else Sandgänger, Annelore Schulz, Ellinor Greinert. Aufnahme um 1935 [19]

Wie feudal macht es sich, wenn Viktor des Morgens im Institut anruft und zur Antwort erhält: „Hier Fürst im Schloß!“

Bis auf den langen, früher so finsteren Korridor hat sich alles verschönt: seit er weiß gestrichen ist, hat er etwas Eigenlicht bekommen.

Aber durchreisende Agrarier sind nicht immer zufrieden, daß Viktor sein Amt ins Schloß gelegt hat; denn er hat’s mal erlebt, daß ein sehr ländlich anmutendes Ehepaar das Schild am Außenportal studierte und seiner Entrüstung Ausdruck gab, daß nun auch Internationales Recht sich auf kaiserlichem Boden breit mache!

Ein schwieriger Start. Forschungsfinanzierung in Krisenzeiten

Alle Ausgaben für Renovierung und Gehälter mußten bis Ende 1925 auf Bankschuld gemacht werden.[20] Da der Geldstrom aus so verschiedenen Quellen floß, mussten eine ganze Reihe von Instanzen für die Sache des Instituts gewonnen werden. Es gab eine Art Spießrutenlaufen bei 11 Behörden oder Institutionen.[21] Viktor konnte seine diplomatischen Fähigkeiten nun in reichem Maße ausbeuten, um maßgebende Männer zu bearbeiten, die dann in entscheidenden Sitzungen ihre Stimme für ihn abgaben und seine Sache verfochten. Eine sehr geschickte Denkschrift[22] wurde den verschiedenen Regierungsherren eingeschickt, aber manche gaben sich nicht einmal die Mühe, diese Schrift zu überfliegen, und waren im psychologischen Moment völlig unorientiert. In der Reichsratssitzung scheiterte die Sache am Widerstand Bayerns.[23] Das entscheidende Wort sollte bei der nächsten Zusammenkunft gesprochen werden – aber die Bank wollte keinen Kredit mehr geben; es fehlte schon seit einiger Zeit das Gehalt, es fehlten die Gelder zu notwendigen Anschaffungen!

Diese Zeit der Klemme war schlimm für Viktor. Mehr als das viele Herumlaufen in den Ministerien und Ämtern griff Viktor die Wackeligkeit seiner ganzen Position an. Aber er war kein Mann, dessen Forschungen von einsichtsvollen Menschen einfach beiseite geschoben würden. Dazu war das Institut schon viel zu populär. Immer war die Verlegenheit des Auswärtigen Amtes und anderer Behörden groß gewesen, wenn Völkerrechtsfälle berührt wurden. Da konnte die Entente eine unverschämte Note schicken mit Anspielung auf einen solchen Fall, den kein Mensch recht kannte. Nachschlagebücher, die den rechten Bescheid geben könnten, waren nicht vorhanden, das Aktenmaterial war vergraben – wer weiß wo?

Diese Verwirrung sollte in Zukunft aufhören; denn Viktor wollte vor allem eine umfangreiche Materialsammlung gründen, deren Zusammenstellung und Ordnung das Werk des nächsten Jahrzehnts würde. Und alle maßgebenden Stellen hatten seinen Plan mit Jubel begrüßt. Ein Unternehmen, das mit so viel Begeisterung aufgenommen wurde, konnte nicht scheitern, besonders da es von Viktor mit so viel Verstand und Weisheit gestützt wurde. Er kann jedem nicht ganz beschränkten Menschen seine Gründe plausibel machen, weil er sich niemandem mit seiner Sache aufdrängt und jede Verhandlung ruhig, höflich, auch gelegentlich humorvoll und mit großer innerer Sicherheit führt.

Ein Herr, der für Sachsen seine Stimme abzugeben hatte, wurde erfolgreich von ihm bearbeitet und versprach, in der nächsten Reichsratssitzung die nötigen Erklärungen für Viktors Sache abzugeben, denn Bayern habe lediglich aus Mangel an Informierung Einspruch erhoben. Zum Glück ließ die Sitzung nicht lange auf sich warten und hatte den gewünschten Erfolg. Schulden konnten bezahlt, Angestellte besoldet und Anschaffungen bestritten werden. Das Spießrutenlaufen ist zwar noch nicht zu Ende, unter anderem muß das Plenum des Reichstags noch seine Bewilligung geben; aber mit dem Jawort des Reichsrats ist das Institut doch auf die Beine gestellt und wird in seiner Stellung nicht mehr erschüttert werden können. Von der grundlegenden Unterredung mit Glum bis zur Sanktionierung durch den Reichsrat war jedoch ein Jahr vergangen – bei der jetzt üblichen Verschleppung von Regierungsgeschäften nicht mal eine lange Spanne Zeit, wenn sie auch für Viktors Tatendrang die größte Folter bedeutete.

Blick aus den Fenstern der Institutsräume im Berliner Schloß: hier in den großen Schloßhof (Eosanderhof) aus dem Arbeitszimmerfenster von Gertrud Heldendrung und Annelore Schulz, 1930er Jahre[24]

Das Recht als Waffe der Schwachen. Forschung in staatlichem Dienst

Das Institut ist nicht das erste seiner Art in Europa. Frankreich besitzt schon seit dem Jahr 1876 eines, auch Italien hat gerade eins gegründet. Umso wichtiger ist es, daß nun auch Deutschland endlich [teil-] nimmt an den völkerrechtlichen Forschungen. England und Frankreich sind uns weit voraus. Wir meinten, uns auf Heer und Flotte stützten zu können und vernachlässigten darum das internationale Recht. Jetzt blieb uns das Recht als einzige Waffe, die wir aufs sorglichste [Wort fehlt] müssen.

Die Ziele des Instituts sind verschiedenartige. Im Vordergrund steht die Materialsammlung. Was an wichtigen völkerrechtlichen Dokumenten in Berliner Reichsämtern vorhanden ist, wird von Viktor zur Verfügung gestellt werden. Seine Assistenten und Frau Wolff, die Referate für bestimmte Länder zuerteilt bekamen, werden Auslandsreisen machen, um das nötige Material zusammen zu bringen. Im Lauf des Jahres wird Viktor eine Zeitschrift gründen, für die seine Mitarbeiter und die Assistenten Artikel über Zeitfragen schreiben werden. Man hat es ja erleben müssen, daß in Paris alle 14 Tage Aufsätze in Journalen erschienen, die völkerrechtliche Fälle von aller größter Wichtigkeit für Deutschland behandelten – und das Land, das es eigentlich anging, schwieg sich aus. Wenn Deutschlands Stimme auch noch so oft von der Entente überhört werden wird, ist es doch besser als daß es stumm bleibt wie ein Sklave in Ketten, der sich nicht zu rühren wagt.

Die jetzigen Assistenten werden nicht immer am Institut bleiben. Es soll für sie eine Lehrzeit sein, deren Auswirkung ihnen im künftigen Beruf – auf dem Lehrstuhl oder am grünen Tisch eines Ministeriums – zugutekommen wird. Dann werden andere Jüngere von Viktor herangezogen; es können auch junge Leute vom Auswärtigen Amt mal eine Zeit lang am Institut arbeiten, damit sie einen wissenschaftlichen Grund für ihre praktische Tätigkeit legen.

„Wie eine Frau ihren Mann und besonders den Chef des Instituts für Völkerrecht anhimmeln soll!“ Viktor und Marie Bruns, Wanderung zur Meeraug-Spitze (Rysy, Slowakei) 1926. [26]

Viktor hat seine Assistenten besonders sorgfältig ausgesucht. Drei unter ihnen haben einen juristischen Doktor mit einer selten verliehenen Auszeichnung bestanden. Seltsamerweise fand Viktor in Berlin wenig geeignete Leute. So kam es, daß, den Chef eingerechnet, augenblicklich 5 Schwaben am Institut tätig sind. Wahrscheinlich kommt Dr. Kohler aus Tübingen im Herbst als sechster noch hinzu. Die übrigen heißen: Dörtenbach, Heck, Maunz und – Friedrich Schiller![25] Solch Name läßt die Herzen höher schlagen. Die glänzenden Zeugnisse, die Schiller vom Ministerium des Inneren und von seinem militärischen Vorgesetzten im Kriege mitbrachte, berechtigten zu allerkühnsten Hoffnungen. Umso enttäuschter war ich, als mir der Träger des Dichternamens bei seinem ersten Besuch in unserem Hause wenig vertrauenserweckend und völlig seelenlos vorkam. Im Institut seufzten die Mitarbeiter und die Schreibfräuleins über seine Grobheit. Kann es sein, daß der Hauptgrund zu seinem Kriegsruhm in seiner Revolverschnauze gelegen hat?! Die Grobheit schien so sehr sein Element zu sein, daß er sich selbst mit Glum überwarf und über einem Briefe, der in höflichen Formen gehalten sein sollte, stundenlang brütete! Während der Wohnungssuche und hernach in der Zeit der Hausreparaturen erwies er sich als unentbehrlich. Er allein konnte die Handwerker, denen geschwätzig der Kropf sehr geschwollen ist, in Ordnung halten. Es kam ihm zu statten, daß er eiserner Besen war! Wie er sich für wissenschaftliche Arbeiten eignet, ist noch nicht festgestellt worden.

Ernst Martin Schmitz, undatiert. [28]

Seit kurzem arbeitet ein Rheinländer am Institut, Dr. Schmitz[27], der an Herz und Charakter wohl der feinste, geradeste und zuverlässigste unter den jungen Leuten ist, immer ein joviales Wesen zeigt und Vorzügliches leistet. Für Frau Wolff, die schwer unter dem Starrkopf, dem Widerspruchsgeist und der, wie sie sagt, intriganten Wesen von Schiller leidet, ist Schmitz der größte Trost. Sie selbst hat unendlich viel mehr Freude am Leben, seit ihre Berufstätigkeit sie so schön ausfüllt und seit sie durch die Freundschaft mit Viktor eine geachtete Stellung einnimmt. Am Auswärtigen Amt, wo sie vorher war, behandelte man sie schlecht und nützte sie dabei nach Kräften aus.

Auch Cörnchens Leben fließt leichter dahin, seit sie an der Institutsbibliothek arbeitet. Zwar liegt ihr der viele mechanische Kleinkram nicht und sie verströstet sich auf eine Zeit, wo sie Gelegenheit zu Übersetzungen haben wird – aber sie hat doch wenigstens eine gesicherte Zukunft. Wie lange suchte sie schon nach einer Stellung in Berlin, von der sie leben könnte – und niemand hat die taube Hilfskraft haben wollen. Viktor tut nun alles, um sie ihr Leiden nicht empfinden zu lassen, und ein gleicher Trieb beherrscht alle ihre Mitarbeiter. Im Stillen hoffe ich, dass Wille bald durch einen wirklichen Bibliothekar mit helleren Sinnen und jugendlicheren Weisen ersetzt werden wird. Er ist eine Hinterlassenschaft von Partsch[29], der sich in diesem Manne gründlich getäuscht haben muß. Seine Dummheit ist so groß wie seine Unselbständigkeit, denn er kommt alle 10 Minuten zu Viktor um einen Bescheid, und in der Zwischenzeit telefoniert er noch. (Dies Viktors eigene Aussagen über ihn.)

Die größte Aufgabe, die an Viktors bisher durchs Institut herantrat, war ein Gutachten für das Auswärtige Amt. Die Griechen hatten gegen Deutschland 500 Millionen Goldmark Schadensersatz eingeklagt für den Verlust von Schiffen, die während der Zeit der Neutralität von Deutschen in den Grund gebohrt waren.[30] Es galt festzustellen, daß die Griechen zu diesen Forderungen nicht berechtigt seien. Wie mir Viktor sagte, war das Thema das allerschwerste, das überhaupt innerhalb dieser Wissenschaft gestellt werden konnte. Eine Unmasse Literatur mußte von Viktor durchgearbeitet und das darin aufgefundene Material mußte sorgfältig gesichtet werden, ehe die kritische Arbeit beginnen konnte.

Die Arbeit zog sich dann auch so lange hin, daß zwei Sonntage zum Diktieren im Institut benutzt werden mußten. Am Tag nach der Ablieferung fuhr ein Herr aus dem Auswärtigen Amt mit dem Gutachten in der Tasche nach Paris, da der Prozeß, bei dem die Sache ausgefochten werden sollte, sogleich begann. Leider hat Viktor nicht viel Hoffnung auf Erfolg; denn der Richter in diesem Prozeß ist ein Holländer[31], der wenig Sympathie für Deutschland hat. Aber er hat das Seinige getan und sogar die große, schwierige Arbeit dem Deutschen Reich umsonst zur Verfügung gestellt.

An Arbeit wird es im Institut nicht fehlen; denn schon wird von verschiedenen Ämtern  um Gutachten gebeten, mehr als zur Zeit bei dem noch ungesammelten Material geleistet werden kann. Auch F. Trendelenburg[32], der sich sehr nett zu Viktor stellt, hat verheißen, ihm zwei kirchenrechtliche Fälle, die in Viktors Gebiet hineinspielen, zur Verfügung zu stellen.

Wissenschaft und Politikberatung. Das Institut als neues Aufgabenfeld

Das Beglückendste an der ganzen Sache ist Viktors Befriedigung. Wie hat es all‘ die Jahre auf ihm gedrückt, daß er sich zum Professor nicht geschaffen fühlte, daß ihn die Not des Vaterlandes zu praktischen Aufgaben drängte und ihn sein Vater daran gehindert hatte, Diplomat zu werden!

Ist er nun auch nicht als praktischer Politiker tätig, so kann er doch einen Teil des Materials für die Politiker ordnen, kann die Wissenschaft, die die grundlegende Basis für die Diplomaten ist, fördern und – wer weiß? – vielleicht auch hinter den Kulissen auf die Regierung einigen Einfluß haben. Ich selbst hoffe vor allem, daß sich Viktor in der internationalen Welt bald bekannt machen möchte und dann auch zu den Schiedsgerichten hinzugezogen wird.

„Viktor arbeitet bei Hitze auf unserer Veranda“ Štrbské Pleso 1928. [33]

Wenn das Institut auch als reines Forschungsinstitut nun der Wissenschaft dient, so hat Viktor als Direktor doch Gelegenheit genug, seine organisatorischen Gaben, seine praktische Veranlagung und seine Menschenkenntnis anzuwenden. Die Fähigkeit, richtige Menschen auf den richtigen Posten zu stellen, wird sein Institut zu einer Musterbehörde machen, aus der dann auch andere Behörden ihren Nutzen ziehen.

Ich finde Viktor völlig verwandelt. Er ist so heiter, jung und unternehmend geworden, er leistet am Tage ungestraft viel mehr als früher. So leiht die glückliche Seele dem Körper Flügel!

Manche interessante Reise wird Viktor in Institutsangelegenheiten unternehmen müssen. Die erste dieser Reisen ging im Januar 1925 nach Holland. Dort wollte er dem Präsidenten des Haager Schiedsgerichtshofs die Gründung des Instituts mitteilen. Bei der Zusammenkunft zeigte der Präsident – ein kluger Schweizer[34] – zunächst wenig Interesse für Viktors Angelegenheit. Aber je länger Viktor sprach, desto aufmunternder hörte er zu, und schließlich war er Feuer und Flamme für die Sache. Er sagte, daß ihm selbst etwas Ähnliches vorgeschwebt habe und er nur leider zu viel zu tun hätte, um die Gründung solchen Institutes zu veranlassen. Es wäre auch über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus von großer Wichtigkeit, und wenn Viktor je in Schwierigkeiten geriete, so möchte er sich nur an ihn wenden, er würde ihm jederzeit gern behilflich sein.

Das war es ja gerade, was Viktor erwartet hatte – wie schön der Name Viktor für ihn paßt! Was er auch unternimmt, gelingt ihm stets. Die Menschen pflegen so etwas „Glück“ zu nennen. In Wirklichkeit ist es aber die naturgemäße Folge seines kritischen Verstandes, seines geduldigen Abwartens eines günstigen Zeitpunktes und festen Zugreifens im geeigneten Augenblick. Noch nie hat er eine Sache übers Knie gebrochen; er läßt sie sich immer erst ausreifen. Er hat eine selten feine Witterung für Zeitverhältnisse, und er versteht, Widerstände in den Menschen zu besiegen durch die Stärke seiner Argumente, die Tiefe seiner Menschenkenntnis, die ruhige Würde seines Wesens und freundliche, humorvolle Umgangsart.

Seinen jungen Leuten ist Viktor ein väterlicher Freund. Er wird mit ihrer Eigenart glänzend fertig. Wie sehr hat er Schiller, den eisernen Besen, sehr bezähmt! Wenn es sich drum handelt, einen Menschen von einem ganz verrückten Vorhaben abzubringen, das sich dieser fest in den Kopf gesetzt hat, so zeigt er dem Betreffenden, wie er sich selber durch seine Handlungsweise schaden würde; so bewegt er die wunderlichsten Käuze, von törichten Vorhaben abzusehen. Niemals würde es ihm glücken, wenn er den [unleserlich] -süchtigen, hochmütigen Mentor spielte, wenn er dabei in Eifer geriete oder die Dinge von seinem eigenen Standpunkte aus beleuchtete.

***

[1] Rainer Noltenius (Hrsg.), Mit einem Mann möchte ich nicht tauschen. Ein Zeitgemälde in Tagebüchern und Briefen der Marie Bruns-Bode (1885-1952), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018.

[2] Auszug aus Marie Bruns, Ehetagebuch (1921-1929), Eintrag „Das Institut für Völkerrecht und ausländisches Staatsrecht“, Privatarchiv Rainer Noltenius, Bremen. Transkription und Annotation Philipp Glahé. Einzelne Rechtschreibfehler wurden stillschweigend im Sinne des Leseflusses korrigiert. Die Zwischenüberschriften wurden zur besseren Lesbarkeit eingefügt.

[3] Friedrich Glum (1891-1974), Jurist und Wirtschaftswissenschaftler. Von 1922 bis 1937 Generalsekretär der KWG.

[4] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[5] Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, gegründet 1920, war die Vorläuferorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

[6] Hierzu siehe auch: Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Weimarer Republik. Ausbau zu einer gesamtdeutschen Forschungsorganisation (1918-1933), in:  Bernhard vom Brocke/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1990, 197-355, 300-304.

[7] Werner Richter (1887-1960), Germanist. Ab 1920 Ministerialrat im Personalreferat der Hochschulabteilung des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, ab 1925 Ministerialdirektor und Leiter der Hochschulabteilung. Enger Mitarbeiter des Ministers Carl Heinrich Becker (1876-1933).

[8] Rudolf Smend (1882-1975), zum Zeitpunkt der Institutsgründung Professor für Staats-, Verwaltungs- u. Kirchenrecht, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und Fakultätskollege von Viktor Bruns. Wissenschaftliches Mitglied des Instituts und langjähriger Mitherausgeber der ZaöRV.

[9] Heinrich Triepel (1868-1946), ab 1913 Professor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht in Berlin, Lehrer Viktor Bruns. Wissenschaftliches Mitglied sowie Mitherausgeber der ZaöRV.

[10] Das Gründungskuratorium bestand aus: Adolf von Harnack, Ernst Heymann, Generalkonsul Paul Kempner, dem Bankier Arthur Salomonsohn, Georg Schreiber, Rudolf Smend, Erich Zweigert (Staatssekretär im Reichsinnenministerium), Max Donnevert (Ministerialrat im Reichsinnenministerium) und Friedrich Glum: Aufzeichnung über die Sitzung des Kuratoriums des Vereins „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V.“, 24. Juli 1925, BArch R 1501, pag. 117-121.

[11] Friedrich Ernst Moritz Saemisch (1869-1945), 1921 preußischer Finanzminister, 1922-1938 Präsident des Reichsrechnungshofes und der Preußischen Oberrechnungskammer, 1922-1934 zugleich Reichssparkommissar, Senator der KWG.

[12] Stehend, von links nach rechts: Viktor Bruns, Rudolf Smend, ?, ?, Heinrich Triepel, Karl Heinsheimer. Sitzend, von links nach rechts: Ulrich Stutz, Martin Wolff, ?, Wilhelm Kahl, Conrad Bornhak, Arthur Nußbaum, Ernst Heymann. Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[13] Aufgrund kriegsbedingt stark unvollständiger Aktenlage zur Geschichte des KWI hat sich diese Personalie nicht mehr klären lassen.

[14] Cornelia Bruns (1888-1965), genannt Cörnchen. Cousine zweiten Grades von Viktor Bruns.

[15] Die Institutsanschrift lautete: Berlin, Schloss Portal III. Die Räumlichkeiten im Schloss wurden dem Institut kostenlos überlassen. Im ehemaligen kaiserlichen Schloss war ab 1922 auch die Generalverwaltung der KWG untergebracht.

[16] Marie Bruns war eine Tochter des Kunsthistorikers Wilhelm von Bode. Von 1907 bis 1910 arbeitete sie als Kunstgeschichtslehrerin am Kaiserhof für Prinzessin Viktoria Luise von Preußen (1892-1970).

[17] Zu den Institutsräumlichkeiten im Schloss siehe auch: Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, München: C. Bertelsmann 1983, 164-165; allgemein: Christian Walther, Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss, Berlin: Verlag für Berlin Brandenburg 2021.

[18] Foto: AMPG.

[19] Foto: AMPG.

[20] Zur Finanzlage des Instituts: Brief von Viktor Bruns an den Reichsminister des Innern, datiert 14. September 1925, BArch R 1501, pag. 136-137.

[21] Dokumentiert in: BArch R 1501.

[22] Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für internationales öffentliches Recht der Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (undatiert), BArch R 1501, pag. 3-10.

[23] Siehe hier: vom Brocke (Fn. 6), 300-301.

[24] Foto: AMPG

[25] Aufgrund kriegsbedingt schlechter Aktenlage zur Geschichte des KWI lassen sich viele der Personalien nicht mehr über Personalakten rekonstruieren. Gesichert am Institut tätig waren Karl Heck (1896-1997), später Richter am BGH, Friedrich Schiller (1895-1990), später Ministerialbeamter. Dass Theodor Maunz (1901-1993) in den 1920ern am Institut tätig gewesen wäre, ist nicht bekannt. Ob es sich bei dem Assistenten Dörtenbach um Ulrich Doertenbach (1899–1958), Präsident der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, handelt, ist unklar. Zu Dr. Kohler ist ebenfalls nichts Weiteres bekannt.

[26] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[27] Ernst Martin Schmitz (1895-1942), seit 1926 am Institut tätig, seit 1934 stellvertretender Direktor.

[28] Foto: MPIL.

[29] Joseph Partsch (1882-1925), Professor für Internationales Privatrecht in Berlin.

[30] Zum Deutsch-Griechisch Gemischten Schiedsgericht und den verhandelten griechischen Entschädigungsforderungen siehe: Walter Bäumer, Entscheidungen über griechische Entschädigungsforderungen wegen deutscher Neutralitätsverletzungen im ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 16 (1975), 307-313; Michel Erpelding, Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Michel Erpelding/Hélène Ruiz-Fabri (Hrsg.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919-1939. An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581, 568.

[31] Carel Daniël Asser (1866-1939).

[32] Friedrich Trendelenburg (1878-1962), Ministerialdirektor und Leiter der Kirchenabteilung im preußischen Kultusministerium.

[33] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[34] Max Huber (1874-1960), war von 1924 bis 1927 Präsident des StIGH in den Haag.

English

Marie Bruns (1885-1952), née Bode, was married to Viktor Bruns from 1915. From an early age, she had taken on writing and correspondence work for her father Wilhelm von Bode (1845-1929), art historian and Director General of the Berlin museums. Marie Bruns was also closely involved in her husband’s professional and academic life. She often accompanied Viktor Bruns at his international lectures or to the Permanent Court of International Justice in The Hague. Marie Bruns closely documented her husband’s work and (social) life at the Institute in many diary entries. A total of 18 diaries have survived, comprising almost 2,800 pages of tightly composed handwriting, in addition to numerous pieces of correspondence that are now in family possession. Parts of the diaries have been edited by her grandson Rainer Noltenius,[1] who kindly gave us access to his grandmother’s previously unpublished notes. These include Marie Bruns’ marriage diary, in which she describes the founding phase of the Institute for Comparative Public Law and International Law.[2]

International Law Instead of Theatre Studies. The Institute’s Founding at the Last Second

The winter of 24/25 went smoothly, without any notable illnesses. It brought us a great, completely unexpected joy. Over the past few years, Viktor had often and thoroughly contemplated a plan for a German textbook on international law. He studied books and brochures about it and had Mrs. Wolff and legal assistants or students report on the contents of books so that he did not have to read through everything himself. He even sketched out the opening of the textbook in his head, but the further he got with the draft of the work, the more he realized the impossibility of the whole undertaking. He could not get hold of the material he considered most important. An incomplete textbook would be inconsequential. Decades of work would be required to compile the material needed to crystallize the study of international law. If only a research institute could be founded? Alas, that was out of question at times like these.

A few weeks before Christmas, he briefly mentioned this idea of an institute in conversation with [Friedrich] Glum[3], the director of the Kaiser Wilhelm Society. Glum immediately met him with great enthusiasm. “That could very well be done, indeed”, he said; “last year our society was granted too much money. We can use the surplus for your institute. But we must act swiftly, or others will beat us to it with foolhardy ventures. There are plans for an institute for theatre studies for example – what practical use is that supposed to have?”

That’s roughly what Glum told Viktor, and he promptly gave him some advice on how to carry out the undertaking.

Excerpt from Maire Bruns’ marriage diary[4]

First, it was necessary to arouse warm interest for the cause. Support for the Institute by the Kaiser Wilhelm Society alone would not suffice, as Viktor wanted to put it on a broad basis so that its influence would be all the wider. The Reich, Prussia, the K.[aiser] W.[ilhelm] Society, and the Emergency Association [of German Science][5] were secured as financial sponsors.[6]

This couldn’t be done without struggle. Viktor’s close friend [Werner] Richter[7] – Officer of Personnel in the Ministry of Education at the time – wanted to create a positively Prussian institute. That would have meant that, for every single decision, one would have to wait for the merciful interest of the ministerial authority. It would have meant obstruction – which is why Viktor wrestled with Richter until he was guaranteed independence for his Institute.

Viktor had modestly proposed three directors: Smend[8], Triepel[9] and himself. But the proposed triumvirate was rejected, and Viktor was appointed sole director. He is supported by a Board of Trustees[10], including a number of professors whose research in the field of international law is to be covered in a newly founded journal; Viktor is relieved of representative duties, propaganda visits, etc. by the President of the Board of Trustees, who is also the head of the Superior Accounting Chamber and former minister, Saemisch[11].

The legal faculty of Berlin University in 1921. Viktor Bruns (standing, first on the left), Rudolf Smend (standing, second from left), and Heinrich Triepel (standing, second from right)[12]

On Royal Premises. The Institute at Berlin Palace.

Our friend Margaret Wolff is the housewife of the new institute and at the same time a legal research fellow. Dr. Wille[13] is in charge of the library, together with deaf Cörnchen[14]. Besides Mrs. Wolff, Viktor is supported by five more assistants and five secretaries work in the office. The workplace is on the third floor of the former Royal Palace.[15] Their Majesties’ private elevator, the bench of which is still covered in a red lining with crowns, leads up to the Institute. Where I once climbed the stairs time and time again, on my way to tutor the princess,[16] I can now proudly ride up, and my husband is the ruler in his domain. He has 32 rooms at his disposal. Junior civil servants used to live there, the woman in charge of linen garments, for example. The most beautiful room with a bathroom was reserved for the Kaiser’s personal physician. Now Viktor lives in one room; the other has been turned into a meeting room. All research fellows and assistants have a room to themselves.[17]

The secretaries and librarians of the Institute, 1931.From left to right: Ilse von Engel, Annelore Schulz, Jutta Selling, Charlotte Zowe-Behring und Liese Rapp.[18]

As the wing was very run-down, Viktor had linoleum laid, the ceiling and walls painted, and his two rooms even covered with velvet, all at the same time. Light, friendly colours were chosen, mainly a fresh green for the walls. From the open sky, plenty of light gets into the rooms. One feels elevated above the dust and noisy traffic. Swallows fly around the windows and glide past the tower of the old Gertrauden church. Some rooms have a view of the beautiful old yard, and here and there a shinbone or a crown of the large baroque coats of arms protrudes into the width of the window. The Institute encompasses seven library rooms and its own bookbindery. Furthermore, in January 1926, the casino kitchen was opened. Mrs. Fürst, the janitor’s wife, prepares very nutritious, healthy and pleasant meals for little money. The secretaries eat for 70 Pfennig, the gentlemen for 1,40 Mark.

Lunch at the palace. Around the table, from the top left: Victoria Rienäcker, Ruth von Braumüller (later to become Ruth Bischof), Charlotte Zowe-Behring, Else Sandgänger, Annelore Schulz, Ellinor Greinert. Photo taken around 1935[19]

How feudal it sounds when Viktor makes a call to the Institute in the morning and the answer he receives is: “This is Fürst, at the palace!”.[20]

Except for the long, formally all too dim, corridor, everything has been beautified: since it’s been painted white, there is some light from within.

Yet the countryfolk travelling through aren’t always pleased with the fact that Viktor’s Institute took home in the palace; one time, he witnessed a very country-looking couple studying the sign on the portal and voicing their outrage over the fact that that nowadays, international law is occupying the Kaiser’s premises!

Off to a Rough Start. Acquiring Funding in Times of Crisis.

All expenses for the renovations and salaries had to be financed by bank credit up until the end of 1925.[21] Since the funding came from so many different sources, a plethora of authorities had to be won over in favour of the Institute. It was like running the gauntlet at 11 offices and institutions.[22] Viktor could put his diplomatic abilities to great use to convince the relevant men to vote in his favour in the relevant meetings and to defend his project.  A very smart essay[23] was sent to the various members of government, but some did not even care to skim it, and were entirely disoriented in the psychologic moment. During the summit of the Reichstag, the project was vetoed by [the state of] Bavaria.[24] A final decision was supposed to be made at the next meeting – but the bank denied further credit; the money for salaries had already been missing for a while and the money for crucial acquisitions was missing as well!

This time of holding the wolf by the ears was tough on Viktor. Much more than the constant rumbling around at the ministries and authorities, it was the precariousness of his position that affected him. But he wasn’t the kind of man to have his research pushed aside by people with some sense. The Institute already had too much of a name for that. The Foreign Ministry and other authorities had always been lacking in terms of international law. The entente would send in outrageous notes referencing a such and such case that nobody really knew about. Encyclopaedias to inform the gentlemen did not exist, the relevant were files buried – who knows where?

This confusion was to stop; as Viktor’s first goal was to establish an extensive collection of sources, the compilation and organisation of which would be the work of the coming decade. And all relevant authorities had gladly embraced his plan. An endeavour met with such enthusiasm couldn’t fail, especially since it was undertaken by Viktor with all his intelligence and insight. Everyone who has ears to hear can be convinced by Viktor, because he will never push his cause on anyone and conducts every discussion calmly, politely, with occasional humour, and with a strong inner certainty.

A gentleman representing [the state of] Saxony was successfully briefed by him and promised to make the necessary statements in the next session of the Reichstag, as Bavaria had only dissented for lack of information. Luckily, the session was soon to come and brought the desired results. The debt could be paid, as well as the staff, and acquisitions could be made. Viktor isn’t quite finished running the gauntlet, the Reichstag still has to agree, but with the verdict of the Reichstag the Institute is now established and cannot be robbed of its standing. Yet, between the first conversation with Glum and the sanctioning by the Reichstag a whole year had passed – not even a particularly long time, considering the ubiquitous obstruction of government action these days, but for Viktor’s entrepreneurial spirit, it was most torturous.

View from the windows of the Institute’s premises within Berlin Palace: Towards the Grand Courtyard (“Eosanderhof”) from Gertrud Heldendrung’s and Annelore Schulz’s office, 1930s[25]

Law as the Weapon of the Weak. Research in Service of the State

The Institute isn’t the first of its kind in Europe. France has had one since the year of 1876, and Italy has just founded one. It’s all the more important for Germany to finally [participate] in international law research in in its own right.  England and France are way ahead of us. We thought we could rely on our Army and Navy and therefore neglected international law. Now, law has remained as our sole weapon, which we will have to [word is missing] most diligently.

The objectives of the Institute are diverse. On the forefront is the collection of sources. Important international law documents scattered around the Berlin federal authorities will be made available to Viktor. His assistants and Mrs. Wolff, which have been assigned departments for certain countries, will travel abroad to gather necessary material. In the coming year, Viktor will found a journal, for which his fellows and assistants will write articles on the questions of the time. After all, one had to witness the publishing of essays on international law cases of the greatest relevance to Germany in the Paris journals every other week – while the country it was really about, did not raise its voice. If Germany’s voice is cast aside by the Entente time and time again, it’s certainly better than to remain silent like a slave in chains, who does not dare to even move.

The current assistants won’t stay at the Institute forever. It’s supposed to be a training for them, the influence of which will support their future work – as university professors or at a ministry desk. Viktor will then recruit new young gentlemen – young people from the Foreign Office can also work at the Institute for some time to establish a scientific basis for their practical work.

“How a wife is supposed to admire her husband, especially when he’s the head of the International Law Institute”, Viktor and Marie Bruns, Hike to the Meeraug Peak (Rysy, Slovakia), 1926[26]

Viktor has chosen his assistants with great care. Three of them have received their doctorates with very rare honours. Curiously, Viktor couldn’t find many eligible candidates within Berlin. That’s how it came about that there are now 5 Swabians at the Institute, including the director. A sixth one, Dr Kohler from Tübingen, will likely arrive in autumn. The other ones are: Dörtenbach, [Karl] Heck, Maunz and – Friedrich Schiller[27]! What an exciting name.[28] The excellent references Schiller had received from the Ministry of the Interior and his superiors in the military during the war gave way to the greatest of expectations. I was all the more disappointed when, during his first personal visit, the bearer of the poet’s name seemed hardly sympathetic and completely dull. At the Institute, the staff and secretaries were dispirited by his rudeness. Maybe, the main reason for his military success lied in his constant shooting off his mouth?! Rudeness seemed to be so innate to him that he even managed to get on the wrong side of Glum and that the drafting of a polite letter took him hours! Yet, during the search for an apartment and the following renovations, he was indispensable. He was the only one able to keep the contractors, who would beat their gums to the point of destruction, in check. Him being a ruffian was helpful. His fitness for research work is yet to be tested.

Ernst Martin Schmitz, undated[29]

Recently, a young man from the Rhineland has joined the Institute, Dr Schmitz[30], who is the finest among the young men in terms of heart and character, as well as straightforward, reliable, and witty and always produces excellent work. For Mrs. Wolff, who suffers greatly from the stubbornness, combativeness, and, as she reports, scheming nature, of Schiller, Schmitz is the greatest solace. She herself is so much more satisfied in her life, now that her work gives her purpose and she occupies a respected position, thanks to her friendship with Viktor. In the Foreign Office, where she had previously worked, she was ill-treated and exploited, by any measure.

Cörnchen’s life is also going better since she has been working in the Institute library. She isn’t quite happy doing the mechanical nitty-gritty and she hopes to be able to do translations in the future – but at least she has a secure future now. For how long she has been looking for employment to support her in Berlin and nobody wanted a deaf assistant! Viktor is doing everything in his power for her to not suffer from the effects of her disability and the other staff acts in the same vein. I secretly hope that Wille will soon be replaced by a real librarian with more alert senses and a more youthful ways. He is a relic of [Joseph] Partsch[31], who must have been wholly mistaken in his assessment of the man. His stupidity is as great as his lack of independence, as every 10 minutes he bothers Viktor with inquiries and in the meantime, he is on the phone. (This is what Viktor himself has said.)

The most extensive assignment to reach Viktor via the Institute, so far, has been a legal opinion for the Foreign Office. Greece had sued Germany for 500 million Mark in reparations for the loss of ships that had been sunk by Germans during its neutrality. [32] It had to be shown that the Greeks were not entitled to such claims. As Viktor explained to me, this issue was the single most difficult to be raised in the entire field. An incomprehensible amount of literature had to be worked through, and the materials referenced had to be analysed by Viktor before the critical work could be commenced.

Ultimately, the process was so extensive that two Sundays had to be used for dictations at the Institute. A day after its completion, a gentleman from the Foreign Office travelled to Paris with the legal opinion in hand, as the court hearings on the case were about to begin. Sadly, Viktor doesn’t have much hope for a successful outcome; because the judge presiding over the case is a Dutchman[33] who has little sympathy for Germany. But he did his part and even provided his extensive and hard work to the German Reich for free.

There won’t be a lack of work for the Institute, as different authorities are already asking for legal opinions, more than can be provided at the moment, without a proper collection of materials. F.[riedrich] Trendlenburg[34], who is very friendly with Viktor, has promised to hand over two canon law cases, crossing over in Viktor’s area of expertise.

Research and Political Advisory. The Institute as a New Domain.

The most joyous thing about it all is Viktor’s satisfaction. How much he has been weighed down all these years by the fact that he didn’t feel cut out to be a professor, that the suffering of the Nation called him to practical work and that his father had kept him from becoming a diplomat!

While he hasn’t become a practical politician, he can at least organize some of the materials for politicians; he can promote research, which is the basis of diplomacy and – who knows?  – maybe exude some influence on the government behind closed doors. I myself primarily hope that Viktor will soon make a name for himself on the international stage and will then go on to become a judge in Courts of Arbitration.

“Viktor working on our balcony on a hot day”, Štrbské Pleso, 1928[35]

Despite the Institute being a research institution devoted to science, Viktor, as its director, has plenty of opportunities to employ his talent for organization, his practical approach, and his knowledge of people. His ability to put the right people in the right positions will make the Institute into an exemplary office, which other authorities will profit from.

I feel that Viktor has been positively transformed. He is so happy, young and endeavours nowadays, working so much more than previously on any given day, without feeling the strain. How high spirits elevate the body!

Viktor will have to go on many interesting trips for the Institute, the first of which brought him to Holland in the January of 1925. He wanted to announce the foundation of the Institute to the President of the Court of Arbitration in The Hague. At the meeting, the President – a smart Swiss[36] – showed little interest the matter at first. But the longer Viktor spoke, the more he engaged and finally he was all for it. He said that he himself had had a similar proposal in mind, but he was unfortunately too busy to initiate the foundation of an institute. Its existence, he said, was of great importance, even beyond the Reich and he offered Viktor to come to him with any difficulties he might encounter, he would always be happy to be of service.

That was just what Viktor had expected – how fitting the name Viktor is for him! Whatever he sets out to do, always succeeds. People like to attribute that to “luck”. In reality it’s the natural result of his analytic mind, his patience in waiting for the right time, and decisive action when it comes to it. He has never been over-hasty; he gives the things the time that they need. He has a rare, delicate feeling for the sign of the times, and he knows how to break peoples’ resistance with the strength of his arguments, the depths of his insight into human nature, the calm dignity of his character, and friendly, witty conversation.

He is a fatherly friend to his young staff. He can deal with their ways brilliantly. How expertly he has gotten Schiller, the ruffian, under control! When someone needs to be persuaded out of some downright crazy endeavour, he has set his mind to, he will show the person in question how they will hurt themself in the process; and this is how he will keep the queerest cards from acting foolishly. This would never work out, if he were to portray the [unintelligible] grand mentor, get in over his head, or only ever saw things from his own perspective.

Translation from the German original: Sarah Gebel

***

[1] Rainer Noltenius (ed.), Mit einem Mann möchte ich nicht tauschen. Ein Zeitgemälde in Tagebüchern und Briefen der Marie Bruns-Bode (1885-1952), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018.

[2] Excerpt from Marie Brun’s marriage diary (1921-1929), entry entitled “The Institute for International Law and Foreign State Law” [“Das Institut für Völkerrecht und ausländisches Staatsrecht“], Private Archive of Rainer Noltenius, Bremen. Transcription and annotation by Philipp Glahé. Individual spelling mistakes have been tacitly corrected and subheadings have been added to improve the flow of the text.

[3] Friedrich Glum (1891-1974), Jurist and Economist. Secretary General of the KWG from 1922 to 1937.

[4] Private Archive of Rainer Noltenius.

[5] The Emergency Association of German Science (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft), founded in 1920, was the precursor of the German Research Foundation (Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG).

[6] See on this: Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Weimarer Republik. Ausbau zu einer gesamtdeutschen Forschungsorganisation (1918-1933), in:  Bernhard vom Brocke/Rudolf Vierhaus (ed.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1990, 197-355, 300-304.

[7] Werner Richter (1887-1960), Germanist. From 1920 Ministerial Councillor [Ministerialrat] in the Personnel Department of the Prussian Ministry of Science, Art and National Education, from 1925 Ministerial Director [Ministerialdirektor] and head of the Department of Higher Education. Close collaborator of Minister Carl Heinrich Becker (1876-1933).

[8] Rudolf Smend (1882-1975), at the time of the Institute’s founding professor for constitutional, administrative, and canon law at Friedrich Wilhelm University Berlin and a faculty colleague of Viktor Bruns. Academic member of the Institute and co-editor of the Institute’s Journal (today under the English title HJIL) for many years.

[9] Heinrich Triepel (1868-1946), professor of constitutional, administrative and canon law in Berlin from 1913, teacher of Viktor Bruns. Academic member and co-editor of HJIL.

[10] The first Board of Trustees [Kuratorium] included: Adolf von Harnack, Ernst Heymann, Consul General [Generalkonsul] Paul Kempner, the banker Arthur Salomonsohn, Georg Schreiber, Rudolf Smend, Erich Zweigert (State Secretary [Staatssekretär] in the Federal Ministry of the Interior), Max Donnevert (Ministerial Councillor [Ministerialrat] in the Federal Ministry of the Interior), and Friedrich Glum: Aufzeichnung über die Sitzung des Kuratoriums des Vereins „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V.“, 24. Juli 1925, BArch R 1501, pag. 117-121.

[11] Friedrich Ernst Moritz Saemisch (1869-1945), from 1921 Prussian Minister of Finance, President of the Federal Court of Audit [Reichsrechnungshof] and the Prussian Superior Accounting Chamber [Oberrechnungskammer] from 1922-1938, also Federal Austerity Commissioner [Reichssparkommissar] from 1922-1934, Senator of the KWG.

[12] Standing, from left to right: Viktor Bruns, Rudolf Smend, ?, ?, Heinrich Triepel, Karl Heinsheimer. Seated, from left to right: Ulrich Stutz, Martin Wolff, ?, Wilhelm Kahl, Conrad Bornhak, Arthur Nußbaum, Ernst Heymann. Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[13] As documents on the history of the KWI are sparse because of the war, the identity of this person could not be determined.

[14] Cornelia Bruns (1888-1965), nicknamed Cörnchen. Second cousin of Viktor Bruns.

[15] The Institute’s address was: “Berlin, Schloss Portal III”, today the building is known as Berlin Palace. The premises in the palace were given to the Institute free of charge. The former Royal Palace also housed the general administration of the KWG from 1922.

[16] Marie Bruns was a daughter of the art historian Wilhelm von Bode. From 1907 to 1910, she taught art history to Princess Viktoria Luise of Prussia (1892-1970).

[17] On the Institute’s premises within the palace, see also: Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, München: C. Bertelsmann: 1983,164-165; More broadly: Christian Walther, Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss, Berlin: Verlag für Berlin Brandenburg 2021.

[18] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[19] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[20] Mrs. Fürst’s last name literally translates to “Lord” in German.

[21] On the financial situation of the Institute: Letter by Viktor Bruns to the Federal Ministry of the Interior, dated 14 September 1925, BArch R 1501, pag. 136-137.

[22] Documented in: BArch R 1501.

[23] Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für internationales öffentliches Recht der Kaiser Wilhelm Geselschaft zur Förderung der Wissenschaften (translation: “Essay on the Foundation of an Institute for Public International Law of the Kaiser Wilhelm Society for the Advancement of Science”, undated), BArch R 1501, pag. 3-10.

[24] See: vom Brocke (Fn. 6), 300-301.

[25] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[26] Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[27] Due to the scarcity of files on the history of the KWI as a result of the war, many of the personal details can no longer be reconstructed from personnel files. Karl Heck (1896-1997), later a judge at the Federal Court of Justice [Bundesgerichtshof], and Friedrich Schiller (1895-1990), later a ministerial official, are known to have worked at the Institute. It is not known if it was Theodor Maunz (1901-1993), who worked at the Institute in the 1920s. It is also unclear whether the assistant “Dörtenbach” was Ulrich Doertenbach (1899-1958), President of the Stuttgart Chamber of Industry and Commerce. Nothing further is known about Dr Kohler either.

[28] Friedrich Schiller is also the name of one of the most well-known German classical playwrights and poets, Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759 -1805).

[29] Ernst Martin Schmitz (1895-1942), worked at the Institute from 1926 and became deputy director in 1934.

[30] Photo: MPIL.

[31] Joseph Partsch (1882-1925), professor for private international law in Berlin.

[32] On the German-Greek Joint Arbitration Tribunal and the Greek compensation claims negotiated, see: Walter Bäumer, Entscheidungen über griechische Entschädigungsforderungen wegen deutscher

Neutralitätsverletzungen im ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 16 (1975), 307-313; Michel Erpelding, Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Michel Erpelding/Hélène Ruiz-Fabri (ed.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919-1939. An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581, 568.

[33] Carel Daniël Asser (1866-1939).

[34] Friedrich Trendelenburg (1878-1962), Ministerial Director (Ministerialdirektor) and Head of the Church Department in the Prussian Ministry of Science, Art and National Education.

[35] Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[36] Max Huber (1874-1960), President of the PCIJ in The Hague from 1924 to 1927.

Völkerrecht im Radio. Marianne Grewe-Partsch interviewt das Institut 1966

Knapp 700.000 „Medieneinheiten“ auf mehr als 43 Regalkilometern Stellfläche umfasst die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg.[1] Hierzu zählen vor allem Bücher und Zeitschriften. Durchforstet man das fußballfeldgroße Bibliotheksmagazin, so stößt man aber auch auf andere, im Zeitalter der Digitalisierung rasant veraltende Speichermedien. Kistenweise CD-ROMS, Disketten und VHS-Kassetten befinden sich im Bibliothekskeller, alles sorgfältig archiviert und mit Signaturen versehen. Doch sammelte sich in hundert Jahren auch einiges an, das in keinem Katalog verzeichnet ist und einen vielfach langen Dornröschenschlaf schlief, wie das Tonband „Rundfunksendung im Hessischen Rundfunk am 6.6.1966“. Versteckt in einem Stehordner überdauerte das Band knapp sechs Jahrzehnte, ehe es sich durch Zufall wiederfand, mitsamt Begleitkorrespondenz und einem Transkript, das Aufschluss über den Inhalt der Sendung gibt. Das Tonband stellt die Aufzeichnung eines Instituts-Portraits der Juristin und Journalistin Marianne Grewe-Partsch (1913-2004) dar. Für die Sendereihe „Wissen im Wandel“ sprach sie 47 Minuten lang mit Institutsangehörigen über deren Forschung. Zu Wort kommen neben dem damaligen Direktor Hermann Mosler (1912-2001) dessen späterer Nachfolger Karl Doehring (1919-2011), der Schriftleiter der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) Helmut Strebel (1911-1992), der Leiter der Bibliothek Otto Steiner (1915-1999) und die Referenten Jochen Abr. Frowein (geb. 1934), Helmut Steinberger (1931-2014), Hermann-Wilfried Bayer (1933-2023) und Werner Morvay (geb.1933). Als besonderes Highlight vermerkt das Protokoll den Tonmitschnitt einer Referentenbesprechung. Das früheste aus der Institutsgeschichte bekannte Audio-Dokument ist ein besonderer historischer Schatz, der Einblicke in die Institutskultur und -arbeit der 1960er Jahre gibt.

Dank der Retrodigitalisierung des Tonbandes durch den Hessischen Rundfunk (HR), der das Original selbst nicht mehr in seinen Archiv-Beständen führte, ist das Radio-Portrait nun für die Öffentlichkeit verfügbar. Dieser Beitrag lädt also zu einer kleinen Zeitreise ein und möchte einige begleitende historische Kontextualisierungen geben.

Lesen statt Hören? Hier das Transkript zur Radiosendung.

Öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag. Rundfunk und Erwachsenenbildung

Marianne Grewe-Partsch 1968[2]

Das Radio-Feature von Marianne Grewe-Partsch ist ein Mitschnitt aus einer anderen Zeit. Etwas steif und formell mutet der Umgangston zwischen der Interviewerin und den Befragten an. Auch die Ausführungen der Interviewten wirken nicht selten wie gedruckt und eher unspontan. Dies mag mit dem ungewohnten Umgang mit Mikrophon und Aufnahmegerät zusammenhängen, aber auch mit dem, gemessen an heutigen Maßstäben, sehr hohen fachlichen Niveau der Sendung. Die Fragen von Marianne Grewe-Partsch, die nicht nur selbst promovierte Juristin war, sondern aus einer weitverzweigten Juristenfamilie stammte, sind anspruchsvoll.[3] Auch wenn die Interviewten sich darum bemühen, ihre Arbeit allgemeinverständlich darzulegen, verlangen ihre Ausführungen den Hörern einiges an Konzentration ab.

Das Feature der Serie „Wissen im Wandel“, die die Arbeit und Forschung verschiedener Max-Planck-Institute der nicht-fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellte, steht im Kontext der Radio-Bildungsprogramme der 1960er Jahre, von denen das von 1966 bis 1998 ebenfalls vom HR betriebene „Funkkolleg“ das bekannteste ist.[4] Angesichts der Bildungsexpansion und Überlastung sowie Neugründung vieler Universitäten, beschritt man mit den Bildungssendungen im Radio neue Wege und versuchte wissenschaftliche und universitäre Inhalte und Debatten einem weiten Publikum im Sinne der „Volksbildung“ zugänglich zu machen. Insbesondere das Funkkolleg fungierte als eine Art Abend- und Fern-Universität für nebenberuflich Studierende des Zweiten Bildungsweges. Marianne Grewe-Partsch, ab 1961 Programmredakteurin für „Frauenfunk und Erwachsenenbildung“ im HR, war eine der führenden Akteurinnen dieser neuen medialen Wissensvermittlung.[5] Die Reihe „Wissen im Wandel“ ist zwar nicht als universitäre Fern-Vorlesung angelegt, ist in ihrem Zuschnitt jedoch erkennbar Teil einer Demokratisierung der Wissensvermittlung. Für das Institut stellt das Feature ebenfalls ein Novum dar, da es bis dahin seine Forschung kaum jenseits der Fachwelt kommuniziert hatte.[6]

Männliche deutsche Prädikatsjuristen erforschen die Welt. Das Institut im Jahre 1966

Der Haupteingang des Instituts in der Berliner Straße 1961[7]

Das Radio-Feature gibt nicht nur einen Einblick in eine andere Zeit, sondern mit ihr in ein sehr anderes Institut, das sich in Aufbau, personeller Zusammensetzung und wissenschaftlichem Selbstverständnis in Vielem vom heutigen unterscheidet. Das Institut des Jahres 1966 war nahezu beschaulich. Insgesamt 47 Mitarbeitende hatte das MPIL, von denen knapp die Hälfte (22) in der Wissenschaft tätig waren.[8] Im Vergleich dazu: Im Jahr 2023 hatte das Institut 168 Mitarbeitende (unter ihnen 102 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler).[9] Die Belegschaft hat sich in sechs Jahrzehnten also mehr als verdreifacht, die Zahl der Forschenden sogar verfünffacht.

Forschung und Wissenschaftsmanagement des Instituts sind 1966 ebenfalls anders, nahezu behördlich, strukturiert. Orientiert am Referatssystem des Auswärtigen Amtes waren seit seiner Gründung 1924 die Forschungsgebiete des Instituts ist in Länderreferate unterteilt, die jeweils von einem Fachreferenten bearbeitet wurden. Im Interview mit Marianne Grewe-Partsch betonen Hermann Mosler und seine Mitarbeiter die im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) wurzelnde Tradition der gegenwarts- und praxisorientierten Forschung. Diese wurde nicht nur in der Forschungsorganisation, sondern auch in den Publikationsformaten fortgeführt. Themen der 1960er Jahre sind die Anknüpfung an die wissenschaftliche Politikberatung der Europäischen Integration der 1950er, die Politik der Vereinten Nationen und die „Deutsche Frage“.[10] Die 1960er sind für das Institut jedoch auch der Beginn einer langsamen Internationalisierung, die durch eine Vielzahl internationaler verfassungsrechtsvergleichender Kolloquien und der Aufnahme erster ausländischer Gäste am MPIL seinen Ausdruck fand.[11] Dennoch lag der Fokus des Instituts seinerzeit vor allem auf der Konsolidierung der Bundesrepublik, ihrer internationalen Integration und aktuellen Fragen des Völkerrechts beziehungsweise seiner systematischen Weiterentwicklung.[12]

 „Eine Ordnung für eine exklusive Gemeinschaft“. Hermann Mosler über das Völkerrecht (Min. 2:40 bis 10:32 und Min. 16:03 bis 19:41)

Marianne Grewe-Partsch befragt zu Beginn ihres Institutsportraits Hermann Mosler zu seinem Verständnis des Völkerrechts. Bereits 1937 ins Berliner KWI eingetreten und stark von Viktor Bruns in seinem Rechtsdenken beeinflusst, war Mosler 1954 zum Direktor ernannt worden. Mosler war nicht nur Wissenschaftler, sondern hatte als vormaliger Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und ab 1959 als deutscher Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen ausgewiesen praktischen Blick auf das Völkerrecht.

Mosler führt aus, dass das Völkerrecht nach traditionellem Verständnis das „Recht zwischen den Staaten“ darstelle und somit eine „Ordnung für eine exklusive Gemeinschaft“ von Rechtssubjekten sei. Diese Ordnung habe sich Mosler zufolge vor allem im „abendländischen zwischenstaatlichen Verkehr“ entwickelt und basiere auf Verträgen und allgemeinen Grundsätzen. Darüber hinaus hätten sich „in der jüngsten Zeit“ durch die wirtschaftliche Globalisierung und ein wachsendes „Netz“ internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaften eine neue Form der internationalen Verflechtung ergeben.

Auf die Frage, ob es in Zeiten des Blockkonflikts ein einheitliches Völkerrecht in Ost und West gebe, antwortet Mosler differenzierend. „Ost“ und „West“ sind ihm zu grobe Kategorien, „denn der Westen ist keine Einheit in diesem Sinne“, wie auch der Osten kein monolithischer Block sei. Mosler verweist auf die neuen Staatenbildungsprozesse des Globalen Südens und darauf, dass viele dieser Länder „blockfrei“ seien. Auch verwehrt er sich gegen den Begriff des „westlichen Völkerrechts“, da er hierin vielmehr einen ideologisch abwertenden sowjetischen Kampfbegriff sieht. Für Mosler ist das „westliche Völkerrecht“ das „eigentliche“ Völkerrecht, das sich aus der europäischen und amerikanischen Tradition entwickelt habe und „objektiv“ sei. Dennoch gebe es auch ein Völkerrecht, das zwischen Ost und West gleichermaßen gelte als eine „Ordnung für den Interessensausgleich“, wie sie unter anderem in internationalen Handelsabkommen ihren Ausdruck finde. Auch als Marianne Grewe-Partsch nach den Durchsetzungsmöglichkeiten des Völkerrechts fragt, betont Mosler vor allem den friedensorientierten Ordnungsgedanken des Rechts und dessen Durchsetzung über internationale (Schieds-) Gerichte.

Moslers Ausführungen sind in Anbetracht des Interview-Formats denkbar knapp. Dennoch werden sein eurozentrisches und praxisorientiertes Völkerrechtsverständnis wie auch seine Skepsis gegenüber den neuen nicht-staatlichen Akteuren greifbar, die er bald zehn Jahre später in seinem an Viktor Bruns anknüpfenden Grundlagenaufsatz zum „Völkerrecht als Rechtsordnung“ sehr viel mehr differenzieren sollte.[13]

Gemeinschaftsarbeit und Arbeitsteilung. Das Selbstverständnis des Instituts im Jahre 1966 (Min. 10:33-16:02)

Nach einem ersten Interview-Block mit Hermann Mosler folgt ein Überblick über die Geschichte und Aufgaben des Instituts, die an den offiziellen Selbstdarstellungen des MPIL orientiert ist.[14] Als Hauptaufgaben der Forschungseinrichtung charakterisiert werden die Sammlung und Aufbereitung des Materials zum Völkerrecht, Staats- und Verwaltungsrecht des Auslands aus und die Weiterentwicklung von Dogmatik und Systematik dieser Rechtsgebiete. Ebenso gehöre die Publikation dieser Materialien und ihrer begleitenden Erforschung zu den Kernaufgaben. Dies geschehe durch die institutseigene Zeitschrift ZaöRV, eine wissenschaftliche Monographien-Reihe (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht) und Quellenwerke (Fontes Iuris Gentium). Neben der Forschung habe das Institut jedoch auch praktische Tätigkeiten zu bewältigen, so in der Ausbildung von Nachwuchskräften für Universitäten, Ministerien und internationalen Organisationen und durch Gutachten und wissenschaftliche Beratung von öffentlichen Stellen. Auf die Frage Grewe-Partschs, was „nun die eigentliche Eigenart“ des Instituts sei, betont Mosler die praxisorientierte Gemeinschaftsarbeit.[15]

„Beiträge auch ausländischer Fachgenossen“. Helmut Strebel über die Instituts-Publikationen (Min. 19:41-23:20)

Helmut Strebel, 1972[16]

Helmut Strebel betont in seinem Gespräch mit Marianne Grewe-Partsch vor allem die Kontinuität des Heidelberger Instituts mit seiner Berliner Vorgängereinrichtung.[17] Schwerpunkt der Instituts-Publikationen sei, seit seiner Gründung, die Veröffentlichung amtlicher Quellen aus der völkerrechtlichen Staatenpraxis mit einem Fokus auf vertraglich nicht festgelegten Völkerrechtsgrundsätzen. Strebel kennzeichnet die Publikationspraxis durch ihre „Nähe zur Wirklichkeit und vorsichtige Zurückhaltung gegenüber theoretischer Ableitung“. Der Schriftleiter der ZaöRV hebt die Bedeutung des dokumentarischen Teils der Zeitschrift hervor, der ähnlich dem Editionsprojekt der Fontes Iuris Gentium darum bemüht sei, völkerrechtliche Quellen wie Verträge oder Gerichtsentscheidungen der Fachwelt öffentlich zugänglich zu machen. Strebel hebt hervor, die Zeitschrift habe sich „zu einer Art internationalen Forums entwickelt“. Und, was damals noch nicht selbstverständlich ist, die ZaöRV „bringt also Beiträge auch ausländischer Fachgenossen, vielfach in deren Originalsprache“.

Wie weit Anspruch und Realität bei der Rezeption der ZaöRV in Helmut Strebels Beitrag ineinandergreifen, war seinerzeit bereits strittig. Ein großes institutsinternes Thema war der merkliche Verlust des Deutschen als internationale Wissenschaftssprache, was sich auch auf die Rezeption der ZaöRV niederschlug, weshalb man beschloss, vermehrt auf Englisch zu publizieren.[18] Und auch trotz der vielen am Institut abgehaltenen internationalen Kolloquien bilanziert Felix Lange die internationale Strahlkraft des MPIL zurückhaltend: Das MPIL hätte „keine generellen dogmatischen oder theoretischen Konzeptionen [entwickelt], die international rezipiert wurden“.[19] Hierfür war man schlicht zu sehr auf die deutschen Forschungsfragen fokussiert.

Vor allem für Mitarbeiter. Otto Steiner und die Bibliothek (Min. 23:20-26:25)

Otto Steiner im Magazin im „Bücherturm“[20]

Selbstbewusst stellt Bibliotheksdirektor Otto Steiner[21] die umfangreichen Bestände der Bibliothek vor. 1966 umfasste diese knapp 130.000 Bände und 1200 laufende Zeitschriften, womit sie eine der größten völkerrechtlichen Fachbibliotheken der Welt darstellte: „Wir konkurrieren mit der Bibliothek des Friedenspalastes im Haag und der Bibliothek der Vereinten Nationen in Genf.“ Den Hauptbestand der Bibliothek machten laut Steiner Gesetzesblätter, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften, Parlamentsdebatten und die monographische Literatur des Staats- und Verwaltungsrechtes aus. Darüber hinaus würden aber auch „Veröffentlichungen auf dem geschichtlichen, vor allem außenpolitischen Gebiet“ gesammelt. Steiner betont, dass die Institutsbibliothek als Niederlassungsbibliothek der UN und der Europäischen Gemeinschaften sämtliche von diesen Organisationen gedruckte Publikationen sammle, wie auch alle Protokolle der Debatten der UN-Vollversammlung und des Sicherheitsrates.

Steiner unterstreicht, dass die Bibliothek  vordringlich für die Institutsmitarbeiter gedacht sei, „aber jeder, der ein ernsthaftes Interesse nachweisen kann, wird zur Benutzung der Bibliothek in den Räumen des Hauses zugelassen“. Hiermit spricht der Bibliotheksleiter die beginnende Öffnung des Instituts für Gastwissenschaftler an. Im Jahr 1966 wurde die Bibliothek laut Jahresbericht von 187 Gästen aufgesucht, von denen 47 länger als drei Monate am MPIL arbeiteten.[22] Damit kam das Institut seinerzeit an seine Belastungsgrenze. Ursprünglich war das Gebäude an der Berliner Straße ganz ohne Lesesaal gebaut worden, da die Bibliothek als reine Magazin- und Dienstbibliothek konzipiert worden war. 1959 war ein Vortragsraum angebaut worden, der zugleich als „Arbeitssaal“ für Bibliotheks-Gäste verwendet wurde. In den 1970ern wurde ein weiterer Lesesaal außerhalb des Instituts im Max-Planck-Haus mitgenutzt. In den Forschungsalltag integriert waren damals nur wenige Gäste. Im Jahr 1966 forschten zehn „ausländische Gast-Assistenten bzw. Referenten“ und Stipendiaten am Institut.[23]

„Wir haben eigentlich keine Hierarchie“. Karl Doehring über Teamwork (Min. 26:25-30:40)

Karl Doehring (rechts) mit Kay Hailbronner (mitte) und Ernst-Ulrich Petersmann (links), 1972 bei einer Referentenbesprechung.[24]

Karl Doehring wird von Marianne Grewe-Partsch als „stellvertretender Leiter“ des Instituts vorgestellt. Eine seiner Hauptfunktionen am Institut war die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit fünf wissenschaftlichen Mitgliedern, acht Referenten („eine Gruppe von jüngeren Herren“) und sechs Assistenten, also Doktoranden („eine Gruppe von, wenn ich das so sagen darf, ganz jungen Herren“), war die Forschungsabteilung am Institut in der Tat überschaubar.[25] Doehring betont, wie auch Mosler, dass sämtliche Institutsprojekte „in sogenanntem Teamwork“ bearbeitet würden. Hierbei gäbe es „eigentlich keine Hierarchie“. Dass Doehring das Institut als weitgehend „hierarchiefrei“ empfand, mag wohl neben der geringen Mitarbeiterzahl auch an der personellen Homogenität des Instituts gelegen haben. Die Forscher waren allesamt deutsche männliche Prädikatsjuristen, von denen die meisten an der Universität Heidelberg ausgebildet worden waren und in jungem Alter an das Institut kamen. Die geringen Auswirkungen der Studentenbewegung, die nur zwei Jahre später ihren Höhepunkt erreichen sollte, auf das MPIL zeugen ferner davon, dass am Institut die etablierten Strukturen seinerzeit nicht in Frage gestellt wurden.[26]

Doehring betont die Bedeutung des Instituts bei der Nachwuchsausbildung für Wissenschaft und Praxis. Ihm zufolge habe das Institut in den damals 42 Jahren seiner Existenz 30 Universitätsprofessoren hervorgebracht. Und in der Tat war der Einfluss des MPIL als „Kaderschmiede“ kaum zu unterschätzen. Sämtliche zehn Habilitanden Hermann Moslers erhielten Berufungen, sodass es laut Rudolf Bernhardt „nahezu ausgeschlossen [war], bei nationalen oder internationalen wissenschaftlichen Veranstaltungen zum Völkerrecht, zum Europarecht oder zum vergleichenden öffentlichen Recht keinem Schüler Hermann Moslers zu begegnen.“[27] Aber auch in das Auswärtige Amt, internationale Organisationen und Gerichte strahlte der Einfluss des MPIL über Jahrzehnte aus. Auch Karl Doehring selbst war, wie er hervorhebt, ein „Produkt“ des Instituts. 1949 war er als Assistent eingetreten, von 1980 bis 1987 war er als Direktor am MPIL tätig. 1967, ein Jahr nach dem Interview, folgte er als Ordinarius an der Heidelberger Universität Ernst Forsthoff nach.[28]

Der Referent. Herr Dr. Frowein (Min. 30:41 bis 33:01)

Schließlich wendet sich Marianne Grewe-Partsch an einen der, wie Karl Doehring es formulieren würde, „jüngeren Herren“. Vom damals 32-jährigen Jochen Abr. Frowein, der seit vier Jahren am Institut tätig ist, möchte sie wissen, was genau seine Aufgaben seien. Frowein berichtet von seiner Tätigkeit als Landesreferent für Großbritannien und das Commonwealth: „Die Aufgabe des Landesreferenten ist es, die Rechtsprechung und Verfassungsentwicklung in den einzelnen Staaten zu beobachten und insbesondere solche Fälle aufzunehmen, die von völkerrechtlichem Interesse sind.“ Auf Grewe-Partschs Frage, ob dies nicht sehr gute Englischkenntnisse voraussetze, erwidert Frowein, dass es am Institut auch „eine Reihe von Herren“ gebe, die auch „ausgefallenere Sprachen“ beherrschten, etwa Spanisch, Italienisch oder skandinavische Sprachen. Hatte die Beherrschung der englischen Sprache in den 1960er Jahren schon Seltenheitswert, so waren darüberhinausgehende Sprachkenntnisse bereits von exotischer Natur. Seit Anfang der 2000er Jahre kann Englisch im Institut als die Hauptwissenschaftssprache gelten, der Italienisch und Spanisch folgen. Obgleich Deutsch in seiner Bedeutung als Wissenschaftssprache schon in den 1960ern spürbar abgenommen hatte wie, auch das Französische, war es institutsintern bis in die 1990er auch bei internationalen Veranstaltungen dominierend.

Hermann Mosler eröffnet 1964 das Kolloquium zur Staatshaftung. Im Hintergrund Jochen Abr. Frowein[29]

Auch Jochen Abr. Frowein sollte zu jenen Absolventen des Instituts gehören, die eine eindrucksvolle Karriere in Wissenschaft und Rechtspraxis zurücklegten – nicht zuletzt, wie auch Karl Doehring und sein Mit-Referent Helmut Steinberger[30], als späterer Direktor des MPIL (1981-2002). Eine der Grundlagen seines späteren Lebensweges legte Frowein während seiner Tätigkeit als Referent, als er sich am Institut mit seiner 1968 erschienenen Schrift über Das de-facto Regime im Völkerrecht habilitierte.[31] Seine Arbeit war hierbei unmittelbar aus seiner Erfahrung als Landesreferent inspiriert, da seine Untersuchung zur Staatenpraxis im Umgang mit nicht-staatlichen beziehungsweise nicht als Staaten anerkannten „Gebilden“ wie der DDR maßgeblich von der Analyse des Umgangs Großbritanniens mit ehemaligen Commonwealth-Staaten beeinflusst war.[32]

Die Referentenbesprechung. Nachbereitung des internationalen Kolloquiums über die Staatshaftung 1964 (Min. 33:01 bis 47:00)

Papier, Stift und Zigarette. Referentenbesprechung, 1972 mit (v.l.n.r.): Fritz Münch, Helmut Strebel, Alexander N. Makarov, Bernhard Raschauer, Georg Ress, Helmut Steinberger, Albert Bleckmann, Alfred Maier, Meinhard Hilf, unbekannt, Rudolf Dolzer, Torsten Stein und Giorgos Papadimitriou[33]

„Jeden Montag treffen sich die Mitarbeiter zu einer Sitzung, in der über die aus der Arbeit entstandenen Fragen berichtet wird“ – ein besonderes „Schmankerl“, wenn man so will, ist der (bislang einzige bekannte) Tonmitschnitt einer Referentenbesprechung. Seit der Institutsgründung 1924 ist die inzwischen in „Montagsrunde“ umbenannte Besprechung ein Kernbestandteil des Institutslebens. Zu Zeiten des Referatssystems, das vor wenigen Jahren aufgegeben worden ist, berichteten die Referenten im Wochenrhythmus über die wichtigsten Entwicklungen in den von ihnen betreuten Landesgebieten.

Thema der 1966 mitgeschnittenen Besprechung, in der neben Hermann Mosler und Jochen Abr. Frowein (Min: 36:32 bis 39:37) die Referenten Helmut Steinberger (Min. 39:38 bis 41:42), Hermann-Wilfried Bayer (Min. 41:52 bis 43:18) und Werner Morvay (Min. 44:13 bis 46:25) zu Wort kommen, ist die Nachbereitung des internationalen Kolloquiums zur Staatshaftung, dessen Ergebnisse 1967 in einem dreisprachigen Bericht in den Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht erschienen sind.[34] Da der Rundfunk anwesend ist, widmet sich die Besprechung nicht der wissenschaftlichen Fachdiskussion, sondern ist erklärend angelegt und versucht der Hörerschaft den Gegenstand des Kolloquiums und die Arbeitsmethode des Instituts zu erläutern.

Hermann Mosler spricht auf dem Kolloquium zur Staatshaftung, 1964[35]

Die internationalen verfassungsvergleichenden Kolloquien der 1960er Jahre gehörten zu den wichtigsten wissenschaftlichen Formaten des Instituts und hatten eine hohe internationale Strahlkraft. An dem Kolloquium zur Staatshaftung nahmen mehr als 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 verschiedenen Nationen teil.[36] Dies entsprach vor allem Moslers Ansinnen, das Institut breit international zu verankern. Wie auch die anderen Kolloquien diente das Kolloquium zur Staatshaftung dazu, durch Rechtsvergleich empirisch allgemeine Rechtsgrundsätze zu ermitteln und in ihrer Entwicklung nachzuzeichnen.[37] Hierzu wurde im Vorfeld im Institut durch Günther Jaenicke und Jochen Abr. Frowein ein detaillierter Fragenkatalog entwickelt und an Wissenschaftler aus 20 verschiedenen Staaten sowie an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verschickt.[38] Die Ergebnisse der Fragebögen wurden letztlich am 17. und 18. Juli 1964 durch die Bearbeiter in Heidelberg vorgestellt und vom Institut in einem 900-seitigen, dreisprachigen Band veröffentlicht und analysiert. Mit Jochen Abr. Frowein, Helmut Steinberger, Hermann-Wilfried Bayer[39] und Werner Morvay[40] erläutern vier der Institutsreferenten, die an der Planung und Durchführung des Kolloquiums beteiligt waren,[41] in der Referentenbesprechung für das Radio-Publikum ihre Arbeit und legen Methode, Problemstellung und Erkenntnisse des Kolloquiums dar.

Fazit

Das Radio-Feature erlaubt einen neuen Einblick in die Institutswelt der 1960er Jahre. Als älteste bekannte Tonaufnahme aus dem MPIL ist das Tonband eines der frühesten Zeugnisse von „Öffentlichkeitsarbeit“ des Instituts. Das Radio-Feature dokumentiert die Arbeit und Forschung des MPIL erstmals für eine außerfachwissenschaftliche Öffentlichkeit. Somit liefert es hochspannende Impressionen zum Selbstverständnis der Forschenden, zur Forschungsorganisation, aber auch zum Institut als soziale Gemeinschaft. Gleichzeitig lädt das Feature dazu ein, sich mit dem „immateriellen“ Erbe der Institutsgeschichte zu befassen und innerinstitutionelle Institutionen wie die Referentenbesprechung historisch zu reflektieren, sowie sich mit dem Wandel (und Fortleben) eines institutsspezifischen Duktus und Stil in Denken und Auftreten auseinanderzusetzen.

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[1] Der Verfasser dankt Konrad Buschbeck und Marianne von Grünigen für ihr Feedback zu diesem Text und den einsichtsvollen Austausch zur Geschichte des Instituts der 1960er Jahre.

[2] Foto: hr/Kurt Bethke.

[3] Marianne Grewe Partsch ist die Tochter des Zivilrechtlers Joseph Partsch (1882-1925) und Schwester des Völkerrechtlers Karl Josef Partsch (1914-1996). Von 1943 bis 1958 war sie mit dem Völkerrechtler Wilhelm Grewe (1911-2000) verheiratet, deren gemeinsame Tochter Constanze Grewe ebenfalls Völkerrechtlerin wurde.

[4] Jochen Greven, Biographie eines Bildungsprojektes, in: Jochen Greven (Hrsg.), Das Funkkolleg 1966-1998. Ein Modell wissenschaftlicher Weiterbildung im Medienverbund, Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1998, 7-42, 7; Alexandra Kemmerer, Nur weiter im Skript, Herr Professor, FAZ 17. August 2020.

[5] Uli Gleich, Marianne Grewe-Partsch (6.1.1913–22.2.2004), Publizistik 49 (2004), 215–216, 215.

[6] Dies drückt sich vor allem in den Tätigkeitsberichten aus, die die Forschungsleistung des Instituts ausschließlich für Kuratorium, Fachbeirat und Generalverwaltung dokumentieren. Jenseits gelegentlicher Zeitungsartikel von Institutsangehörigen, in denen Völkerrechtsfragen von allgemeiner Relevanz behandelt wurden, kommunizierte das Institut seine Arbeit in gelegentlichen Broschüren und publizierten Berichten ansonsten rein innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft.

[7] Foto: Hermann Mosler, Geschichte des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.1961, Teil II, Göttingen: Hubert & Co., 687-703, 687.

[8] Jahresbericht Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht über die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1966, Ordner „Kuratorium. Sitzungsunterlagen II“, MPIL-Archiv.

[9] Armin von Bogdandy/Anne Peters (Hrsg.), Statusreport 2021-2023, Heidelberg: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, 92-93.

[10] Jahresbericht 1966 (Fn. 8); Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945–2002, in: Thomas Duve/Jasper Kunstreich/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 49-90, 62-64; ferner: Armin von Bogdandy, Moslers europaföderale Sprengung des staatsrechtlichen Denkens, MPIL100.de (im Erscheinen).

[11] Es fanden folgende Kolloquien statt: „Staat und Privateigentum“, 1959; „Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart“, 1962; „Haftung des Staats für rechtswidriges Verhalten seiner Organe“, 1967; „Gerichtsschutz gegen die Exekutive“, 1969.

[12] Lange (Fn. 10), 64.

[13] Siehe hierzu: Anne Peters, Völkerrecht als Rechtsordnung: 1929 ─ 1976 ─ 2024, MPIL100.de.

[14] Mosler (Fn. 7).

[15] Mehr zur wissenschaftlichen Ausrichtung des Instituts siehe: Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Heidelberg: Springer 2017.

[16] Foto: MPIL.

[17] Helmut Strebel (1911-1992) war ab 1937 Referent am KWI in Berlin. Seit 1938 war er für die ZaöRV-Redaktion tätig, von 1949 bis zum Ruhestand 1979 war er Schriftleiter. Zudem war er wissenschaftliches Mitglied des Instituts, vgl.: Hermann Mosler, Helmut Strebel (1911-1992), ZaöRV 53 (1993), 266-269.

[18] Hermann Mosler, Vierzig Jahre Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1-2 (1965), 32-34.

[19] Lange (Fn. 10), 64.

[20] Foto: MPIL.

[21] Otto Steiner (1915-1999) war 1950 in das Institut eingetreten und von 1960 bis 1980 Leiter der Bibliothek.

[22] Jahresbericht 1966 (Fn. 8).

[23] Als Institutsstipendiaten waren je ein Gast aus den USA, Griechenland und Österreich am Institut. Extern finanziert waren drei Gäste aus Italien, und je einer aus Jugoslawien, Griechenland, Schweiz und Spanien: Jahresbericht 1966 (Fn. 8); siehe auch hier: Moritz Vinken, Auf der Suche nach einer *lustvollen* Bibliothek – Vom Aufleuchten und Verglimmen des Raumkonzepts der Institutsbibliothek, MPIL100.de.

[24] Foto: MPIL.

[25] Die Angaben von Karl Doehring weichen jedoch von denen des Jahresberichtes 1966 ab. Dort heißt es, es seien zehn Referenten und drei Assistenten am Institut beschäftigt. Im Vergleich dazu: Heute arbeiten 34 Referenten (davon 14 Frauen) und 25 Doktoranden (davon 16 Frauen) am MPIL.

[26] Vgl. die Schilderungen von Bernhard Schlink über die 68er-Bewegung in Heidelberg: Bernhard Schlink, Sommer 1970, in: Bernhard Schlink, Vergangenheitsschuld. Beiträge zu einem deutschen Thema, Zürich: Diogenes 2007, 142-169. Das Institut war allein schon mit seiner Lage im Neuenheimer Feld, am damaligen Stadtrand Heidelbergs, weit von den Protestkundgebungen und dem Geschehen an der Universität in der Altstadt entfernt.

[27] Rudolf Bernhardt, Die Rückkehr Deutschlands in die internationale Gemeinschaft. Hermann Moslers Beitrag als Wissenschaftler und internationaler Richter, Der Staat 42 (2003), 583-599, 593; ferner: Felix Lange, Wider das “völkerrechtliche Geschwafel” – Hermann Mosler und die praxisorientierte Herangehensweise an das Völkerrecht im Rahmen des Max-Planck-Instituts, ZaöRV 75 (2015), 307-343, 312; Nico Krisch, The Many Fields of (German) International Law, in: Anthea Roberts et al. (Hrsg.), Comparative International Law, Oxford: Oxford University Press 2016, 91-110.

[28] Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, München: wjs Verlag 2008.

[29]  Foto: MPIL.

[30] Helmut Steinberger war von 1961 bis 1971 Referent am Institut. Nach seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und Richter am Bundesverfassungsgericht (1975 bis 1987) war er von 1987 bis 1997 ebenfalls Direktor am MPIL.

[31] Jochen Abr. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Rechtsstellung ‚nichtanerkannter Staaten‘ und ähnlicher Gebilde, Köln: Carl Heymanns Verlag 1968.

[32] Frowein (Fn. 31), 230.

[33] Foto: MPIL.

[34] Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe. Länderberichte und Rechtsvergleichung (Liability of the State for Illegal Conduct of its Organs. National reports and comparative studies – La responsabilité de l’Etat pour le comportement illégal de ses organes. Exposé de la situation dans différents pays et étude comparée). Internationales Kolloquium, Köln: Carl Heymanns Verlag 1967.

[35] Foto: MPIL.

[36] Darunter: Belgien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Italien, Japan, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Schweiz, Spanien, Südafrika, Türkei, USA; ferner mit Beiträgen von Wissenschaftlern aus Kolumbien (Leopoldo Uprimny) und Australien (Geoffrey Sawer).

[37] Hermann Mosler, Das Heidelberger Kolloquium über die Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), IX-XIII, X.

[38] ‘Systematischer Fragebogen‘, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), 1-7.

[39] Bayer war von 1962 bis 1966 Referent am Institut. Nach der Habilitation 1967 in Tübingen war er von 1972 bis 1998 Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Steuerrecht, an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum.

[40] Werner Morvay verbrachte seine wissenschaftliche Karriere am Institut.

[41] Vgl.: die vergleichenden Sachberichte von Helmut Steinberger, Hermann-Wilfried Bayer, Werner Morvay und Jochen Abr. Frowein, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), 753-809.

Der „Geist des wichtigtuerischen Mitdabeiseinwollens“. Ergänzungsstücke zur Bilfinger-Dokumentation

1. Der „falsche“ Bilfinger: Lion Feuchtwangers Lapsus

Lion Feuchtwanger publizierte 1933 im Exilverlag Querido, Amsterdam, den Roman Die Geschwister Oppenheim, eine hellsichtige Geschichte der „legalen Revolution“ und Nazifizierung Deutschlands,[1] die sich wie die realgeschichtliche Weiterführung von Carl Schmitts Schrift Legalität und Legitimität aus dem Sommer 1932 liest, die Schmitt gegenüber seinem Verleger Ludwig Feuchtwanger, dem jüngeren Bruder Lions, als Prognose des Übergangs „von der Legalität zur Legitimität“[2] bezeichnet hatte. Ludwig Feuchtwanger meinte damals, trotz seines Unbehagens gegen Schmitts Radikalisierung, so blauäugig wie eine Figur des Oppenheim-Romans: „Man wird in 10 Jahren die Unwichtigkeit der Verfassungsentwicklung des Jahres 1932 deutlich erkennen und welcher Theaterdonner heute gespielt wird.“[3] Lion Feuchtwangers Roman zeigt die Enteignung und Vertreibung der Berliner Familie Oppenheim seit dem November 1932 insbesondere am Schicksal des Lessing-Forschers Dr. Gustav Oppenheim, der nach dem Judenboykott vom 1. April 1933 und der Verhaftung seines Bruders Martin auf dringenden Rat in die Schweiz flieht. Dort begegnet er unter anderem zwei Vertretern des kommunistischen Widerstands und kehrt nach Deutschland zurück, um gegen die Nazis zu kämpfen. Er wird umgehend verhaftet, in ein Konzentrationslager gebracht und stirbt bald nach seiner Entlassung an den Misshandlungen und an Herzschwäche. Im Nachwort zur Erstauflage von 1933 schreibt Lion Feuchtwanger:

„Kein einziger von den Menschen dieses Buches existierte aktenmäßig innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs in den Jahren 1932/33, wohl aber ihre Gesamtheit. Um die bildnishafte Wahrheit des Typus zu erreichen, mußte der Autor die fotographische Realität des Einzelgesichts tilgen. Der Roman ‚Die Geschwister Oppenheim‘ gibt nicht wirkliche, sondern historische Menschen.“[4]

Aufgrund einer Klage musste Feuchtwanger für die erste Auflage damals den Titel und Familienamen ändern. Heute ist er unter dem ursprünglich geplanten Namen Die Geschwister Oppermann bekannt. Die „bildnishafte Wahrheit des Typus“ lebt vom historischen Wissen und der Abstraktionskraft des Lesers, vom Realitätscheck, neudeutsch zu sagen. Der Leser assoziiert die fiktiven Personen mit realen Vorbildern und realistischen Anspielungen. So wird mancher die Oppermanns mit den Feuchtwangers vergleichen und auch andere Parallelen suchen. Bei einem der „Widerständler“, denen Gustav Oppenheim in der Schweiz begegnet, hat Lion Feuchtwanger sich aber leider sehr vergriffen und falsche Assoziationen geweckt: Er heißt im Roman nämlich Dr. Bilfinger und ist ein Jurist aus Schwaben.

Auf über zehn Seiten erzählt Feuchtwanger ausführlich von ihm, um dem Berliner Schauplatz einen süddeutschen Parallelschauplatz zur Seite zu stellen. Dr. Bilfinger erzählt Oppenheim davon, dass er Zeuge war, wie in Künzlingen die Synagoge verwüstet und Juden misshandelt wurden. Bilfinger sei daraufhin beim „stellvertretenden Polizeiminister“[5] in Stuttgart vorstellig geworden. Der Minister schickte die „Mordkommission nach Künzlingen“, doch die Strafverfolgung blieb aus. „Er sei Jurist, fuhr Bilfinger fort, gelernter, passionierter Jurist, und ihn habe es gekratzt, daß Handlungen, die so offensichtlich gegen klare Paragraphen des Strafgesetzbuches verstoßen, nicht bestraft werden sollten.“[6] Er habe dann weitere Ausschreitungen in Württemberg ermittelt und sei mit seinem Onkel, einem „Senatspräsidenten“, nach Berlin gefahren, „um bei den Maßgebenden des neuen Reiches zu protestieren“.[7] Dabei erfuhr er von der Geheimpolizei von Schutzhaft und Konzentrationslagern. „Das erzählte Doktor Bilfinger, auf einer rasigen Erhöhung am Ufer des Luganersees sitzend. Er berichtete in trockenen beamtenhaften Wendungen, umständlich, er war kein guter Erzähler.“[8] Er sei zwar Mitglied des Stahlhelms, schäme sich aber als Deutscher über das Unrecht, meinte Bilfinger. „Deutschland habe aufgehört, ein Rechtsstaat zu sein.“[9] Bilfinger gibt damals seine Erfahrungen als Zeuge „einem Züricher Notar zu Protokoll“,[10] kündigt „seine aussichtsreiche Stellung in Deutschland“[11] und motiviert Gustav Oppenheim zum Widerstand. Immer wieder denkt Gustav Oppenheim fortan an „Bilfingers Dokumente“.[12]

Lion Feuchtwanger 1933 (Bild: gemeinfrei)

Lion Feuchtwanger zeichnete laut Nachwort „nicht wirkliche, sondern historische Menschen“. Eine mögliche Verwechselung des Widerstandskämpfers mit dem „wirklichen“ Staatsrechtsprofessor Carl Bilfinger (1879-1958), Ordinarius in Halle, hätte er aber unbedingt vermeiden sollen. Zwar arbeitete der im März 1933 noch an einem „Manuskript über den Rechtsstaat“, das „den Gedanken der Gerechtigkeit“[13] nicht aufgeben wollte, wie Bilfinger dem verehrten „Bahnbrecher der Diktatur“,[14] Carl Schmitt, schrieb; an der Seite Schmitts hatte er sich aber im Leipziger Staatsgerichtshofprozess gerade, im Oktober 1932, noch als Anwalt des „Reiches“ wie des Präsidialsystems exponiert und sich auch nach dem 24. März 1933 weiter an der Seite Schmitts für den Nationalsozialismus engagiert. Lion Feuchtwanger muss das gewusst haben, auch von Seiten seines Bruders, der als Lektor Schmitts mit Bilfinger in Korrespondenz stand. Der Leipziger Staatsgerichtshofprozess war ein tagespolitisches Presseereignis ersten Ranges. Die verfassungspolitischen Kontroversen um den „Preußenschlag“, den Diktaturparagraphen Art 48 WRV, die „Reichsreform“, Reichstagsbrand und Ermächtigungsgesetz gehörten damals zu den zentralen Voraussetzungen und verfassungspolitischen Hintergründen von Lions Romans. Die Beschreibung Bilfingers, im schwäbischen Netzwerk, entspricht auch durchaus dessen Habitus. Es ist aber gänzlich abwegig, hier eine intentionale positive Identifikation des „historischen“ mit dem „wirklichen“ Bilfinger anzunehmen, um Feuchtwangers Unterscheidung zu adaptieren. Wer den „wirklichen Legationsrat“ – so Bilfingers Titel als württembergischer Beamter – und Staatsrechtslehrer aus den Quellen studiert und die Dokumentation seiner politischen Biographie zur Kenntnis nimmt, der wird Lion Feuchtwangers Namenswahl als argen Missgriff und echte Fehlleistung betrachten müssen. Der „wirkliche“ Dr. Bilfinger war das glatte Gegenteil eines Gegners des Nationalsozialismus und Widerstandskämpfers; er war ein mediokrer Opportunist und Karrierist im Fahrwasser Carl Schmitts.

2. Der „wirkliche“ Bilfinger

Carl Bilfinger nach seiner Berufung als KWI-Direktor 1944 (Foto: Bundesarchiv)

Das Glück und Leid historischer Quellenforschung ist unabwägbar. Überall ließe sich etwas finden und selten ist es gewiss, dass die Quellen vollständig beisammen sind und die rekonstruktiven Geschichten stimmen. Jeder Quellenfund wirft weitere Fragen auf und jede Veröffentlichung zieht wie ein Stein im Wasser weitere Kreise. So gibt es zur Dokumentation der politischen Biographie Carl Bilfingers (1879-1958), des Nachfolgers von Viktor Bruns in der Institutsleitung, jetzt auch erste Ergänzungsfunde.

Die im Frühjahr 2024 im Vorfeld des Institutsjubiläums erschienene Edition[15] stellte die Herausgeber vor besondere Schwierigkeiten, war Bilfinger als Institutsdirektor wie Völkerrechtler doch weitgehend vergessen. 1943 wurde er als Kompromisskandidat Nachfolger von Viktor Bruns, der seinen Freund und Vetter empfohlen hatte. Erstaunlicher noch war seine Wiederernennung zum ersten Nachkriegsdirektor der Jahre 1949 bis 1954. Als Völkerrechtler war und blieb er wenig profiliert. Lediglich als Sekundant Carl Schmitts bei der extensiven Auslegung des Art. 48 WRV und Anwalt des Reiches im Prozess „Preußen contra Reich“ 1932 vor dem Leipziger Staatsgerichtshof wurde er am Rande rezipiert. Die Dokumentation seiner politischen Biographie wählte deshalb den vierfachen Weg der Edition der erhaltenen Korrespondenz Bilfingers mit Schmitt, des Wiederabdrucks signifikanter Texte und ergänzender Quellen zum Wirken im Institut sowie erster Studien zur Eröffnung einer Bilfinger-Forschung.

“Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt!” Autograph Bilfinger an Schmitt 1925 (Landesarchiv NRW, RW_0265_29516_0031)

Die Quellenlage war schwierig, von den Herausforderungen der Handschrift ganz abgesehen. Neben den Universitätsarchiven in Tübingen, Berlin und Heidelberg war zwar der Duisburger Nachlass Schmitts mit den Briefen Bilfingers ergiebig, ferner Archive der MPG in Heidelberg und Berlin; ein persönlicher Nachlass fehlt aber, vermutlich intentional, da Bilfinger selbst ihn in Heidelberg hätte übergeben können. Seine beiden Söhne hatten keine Kinder, enge Verwandte wurden nicht ermittelt. So fehlen auch die weit über 50 Gegenbriefe Schmitts, was durch dessen edierte Tagebücher allerdings etwas kompensiert wird. Einige Quellenfunde waren überraschend: so 1) die Dokumentation des Tübinger Schnellverfahrens zur Promotion und Habilitation 1922 innerhalb weniger Wochen mit einer einzigen Arbeit von mittlerem Umfang,[16] die Bilfingers einzige erwähnenswürdige Monographie blieb; 2) der Nachweis des engen und kontinuierlichen Schulterschlusses von Bilfinger mit Schmitt seit 1924 bis 1934; 3) Bilfingers starke Rolle als „Prorektor“ an der Universität Heidelberg in den frühen Kriegsjahren sowie 4) der Blick in die Netzwerke, Seilschaften, Kontroversen und vergangenheitspolitischen Strategien im Umgang mit Bilfingers Rolle und Wirken als Institutsdirektor von 1943 bis 1945 und 1949 bis 1954. Bilfinger wurde vom Fach nicht einfach vergessen, sondern bewusst marginalisiert und mit seiner NS-Belastung verdrängt.

So ergiebig die Universitätsarchive auch waren, hatten sich doch nur wenige Briefe Schmitts an Bilfinger gefunden. Ein Kollege aus Japan, Takeshi Gonza (Sapporo), wies jetzt ergänzend auf vier Briefe an Bilfinger aus den Jahren 1930/32 hin, die er vor Jahren von Wolfram Pyta (Stuttgart) in Kopie erhalten hatte. Das Schicksal der Originalbriefe ist unbekannt. Pyta schickte die Kopien und Gonza korrigierte und verbesserte die Transkription in wichtigen Aspekten. Drei der vier Briefe stammen aus den Wochen nach der achten und vorerst letzten Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung in Halle, Ende Oktober 1931,[17] in deren Ablauf Bilfinger als dortiger Ordinarius besonders involviert war. Sie bestätigen die bekannten Linien und Fronten, Polemik und Ressentiment, Schmitts responsives Bemühen um freundliche Referenzen und fachliche Anerkennung Bilfingers, ergänzen Details zur Tagung und zu Schmitts Streit mit dem Allgemeinen Beamtenbund, und anderes mehr. Sie betreffen das Vorfeld des gemeinsamen Wirkens 1932/33 bei der Verteidigung und Deutung des „Preußenschlages“ im Übergang zum Nationalsozialismus. Leider fehlen die einschlägigen späteren Briefe Schmitts. Die Dokumentation hatte jedoch gezeigt, dass Bilfinger auch nach dem Leipziger Prozess bis zum Sommer 1934 noch mit Schmitt im engen Kontakt stand und nationalsozialistisch kooperierte. Zwar brach die Korrespondenz dann für einige Jahre ab und wurde trotz gelegentlicher Kontakte vor und nach 1945 nicht wieder vertraut; Bilfingers fortdauerndes nationalsozialistisches Engagement als „Prorektor“ in Heidelberg und KWG-Institutsdirektor ist aus den Quellen aber eindeutig belegt.

Etwas rätselhaft blieb der Kontaktabbruch im Sommer 1934, den Bilfinger später als Distanzierung vom Nationalsozialismus kommunizierte oder zu „verkaufen“ suchte und der überdies durch die fortdauernde Förderung enger Bonner Schüler gleichsam dementiert wurde: Bilfinger wollte Ernst Rudolf Huber 1936 nach Heidelberg holen und übernahm später Schmitts langjährigen Mitarbeiter Karl Lohmann[18], den er 1943 zur Habilitation führte. Auch die Berufung von Ernst Forsthoff nach Heidelberg dürfte ohne Zustimmung oder Mitwirkung Bilfingers kaum möglich gewesen sein. Die spärlichen Quellen zur Entwicklung der Beziehung 1933/34 und Haltung Bilfingers zum Nationalsozialismus sind nicht definitiv belastbar. Ganz eng und freundschaftlich war die Beziehung aber nie gewesen. Schmitt hat Bilfinger als Mitstreiter im Ordinarienrang geschätzt und gebraucht, ohne das mediokre Ressentiment und die spätwilhelminischen Prägungen und Vorurteile zu übersehen. Nie sah er ihn auf Augenhöhe in einer Liga mit Triepel, Smend oder Thoma, mit denen er sich aber spätestens seit 1930 und seiner Apologie des Präsidialsystems politisch überworfen hatte. Nach dem 24. März 1933 und Aufstieg zum „Kronjuristen“ des Nationalsozialismus erschlossen sich ihm dann ganz neue Kontakte, Netzwerke und Einflussmöglichkeiten, die auch zu einem veränderten Habitus, Stil- und Rollenwechsel führten. Schmitt warf sich nun in den Umgang mit seinen nationalsozialistischen Mentoren Hermann Göring und Hans Frank und verstand sich als rechtspolitischer Akteur bei der Umstellung auf „Führerstaat“ und nationalsozialistischen „Geist“.

Feierliche Eröffnung der Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht1940 in München. Hans Frank siebter von links (Bild: Bundesarchiv)

Schon seit dem Sommer 1933 scheint sich deshalb ein Tonwechsel in der Beziehung anzudeuten. Mit der Rückkehr aus Köln und dem Wechsel an die Berliner Universität zum Wintersemester 1933/34 ist die Rollenasymmetrie dann ganz offenbar. Fast devot dankt Bilfinger Schmitt am 24. September für die „Auszeichnung“[19] der Berufung in die Akademie für Deutsches Recht, die durch Hans Frank förmlich ausgesprochen wurde, und verbindet seinen Dank mit der Bitte um einen Vortrag in Halle. Schmitt wiederholt in Halle, im Rahmen der dortigen, von Bilfinger geleiteten, Verwaltungsakademie, dann am 13. Februar tatsächlich seinen Berliner Vortrag über Heerwesen und staatliche Gesamtstruktur, den er am 24. Januar 1934 auf Einladung Alfred Baeumlers im Rahmen einer „Wehrgeistigen Arbeitsgemeinschaft“ an der Universität gehalten hatte. Der Vortrag hatte den Verfassungshistoriker Fritz Hartung damals als „Spiel mit Begriffen“[20] geradezu entsetzt. Bilfinger dankt am 14. Februar umgehend begeistert „für den ergreifenden und überaus wirkungsvollen Vortrag“.[21] Ins Tagebuch notiert Schmitt: „Großer Erfolg, über die geistige Unterwerfung“[22]; eine Vorfassung publiziert er damals unter dem Titel Die Logik der geistigen Unterwerfung.[23]

In den vorläufig letzten erhaltenen Briefen vom 31. Mai und 2. Juni 1934 äußert Bilfinger sich eingehend zu Schmitts Ausarbeitung des Vortrags zur Broschüre Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten. Seine assoziativen Bemerkungen bekommen die abgründige Schrift aber kaum zu fassen,[24] die im Frühjahr 1934 nicht auf den Triumpf Hitlers oder der Wehrmacht (gegen die „zweite Revolution“ der SA) gestimmt ist, sondern mit dem „Sieg des Bürgers“ schon dessen kommende Niederlage intoniert.[25] Schmitt erörtert die Machtfragen als abschüssige Bahn und „Logik“ des Konstitutionalismus und beschwört selbst Bismarck nicht als großen „Aufhalter“ der Bewegung. Er positioniert sich damals in der verfassungspolitischen Frage einer Normalisierung des Ausnahmezustandes und Übergangs von der „Bewegung“ zum „Staat“ gegen die SA-Forderungen nach einer „zweiten Revolution“. Nach dem 30. Juni 1934 gab er seine anfänglichen Hoffnungen auf die Verfassungsfähigkeit des Nationalsozialismus und den Übergang zu einem neuen Normalzustand (jenseits liberaler Demokratie) auf und markierte die „unmittelbare“ Gerechtigkeit des Nationalsozialismus als Ausnahmezustand und Herrschaft des „Leviathan“. Heute ist die Schrift erneut aktuell, im Kontext von Ukrainekrieg und Israelfrage, da die „militante“ oder „wehrhafte“ Demokratie nicht mehr nur von „inneren Feinden“ spricht, wie Antisemitismus und AfD, die es durch justiziellen Verfassungsschutz zu bekämpfen gälte, sondern auch von einem zweiten „Kalten Krieg“ und außenpolitischen Herausforderungen, die Aufrüstung und militärische Handlungsbereitschaft erforderten. Heute wird erneut gefragt, ob Staat und Gesellschaft, Deutschland und „der Westen“, „kriegstüchtig“ (Boris Pistorius) sind und die militärische Kommandogewalt politisch geführt und effizient organisiert ist.

Bilfinger sieht sich insbesondere durch Schmitts Bismarck-Deutung angesprochen und erinnert an sein organisatorisches „Ideal“ vom „hegemonischen Bund“,[26] dankt für die Widmung der Broschüre und versichert sein Kommen zu einer Gaufachberatung am 10. Juni, für die er zuvor die persönliche Einladung angemahnt (und also erhalten) hatte. Am 14. Juni 1934 notiert Schmitt dann ins Tagebuch: „Reichsfachgruppenleitertagung: Lohmann Frank vorgestellt. Abends im Fürstenhof Bruns und Bilfinger.“[27] Karl Lohmann wird damals ein enger Mitarbeiter und „Schriftleiter“ Hans Franks, Bilfinger übernimmt ihn später nach Heidelberg. Am 18. Juli hält Schmitt in der Akademie für Deutsches Recht dann seinen programmatischen Vortrag Nationalsozialismus und Völkerrecht, bei dem Bilfinger, als Mitglied der Akademie, sehr wahrscheinlich anwesend war, zumal Schmitt ihm am 7. November 1934 noch ein Exemplar der Broschüre „in alter Verehrung und Freundschaft“[28] widmete. Schmitt münzte die „alte“ Verehrung auch auf die „Freundschaft“, die damals endete, finden sich für die nächsten Jahre bis 1942 doch keine weiteren persönlichen Quellen und Briefe.

Es liegt nahe, diesen Bruch oder Abbruch der Beziehung mit den Ereignissen vom 30. Juni 1934 und den Artikel Der Führer schützt das Recht zu verbinden, den Schmitt laut Tagebuch insbesondere am 21./22. Juli schrieb – also wenige Tage nach seinem Vortrag über Nationalsozialismus und Völkerrecht. Vieles deutet aber darauf hin, dass Bilfinger damals seinen Bruch mit Schmitt auch deshalb vollzog, weil er sich auf der Karriereleiter zurückgesetzt und abgehängt fühlte. Dazu fand sich jüngst eine weitere Quelle: Die – vom NSD-Studentenbund herausgegebenen – Hallischen Hochschul-Blätter widmeten Schmitts Staatsgefüge und Zusammenbruch-Broschüre am 9. Juli 1934, zwei Tage vor Schmitts 46. Geburtstag, eine Doppelbesprechung beziehungsweise -kommentierung, zu der Bilfinger einen Artikel Das Heer und der bürgerliche Rechtsstaat beisteuerte. Früher hatte er häufiger Schmitts Schriften rezensiert; am 2. Juni hatte er aber brieflich angekündigt, dass er auf „ein eigenes Elaborat“[29] zur Broschüre verzichten wolle. Der Artikel ist gewiss auch als Geburtstagsgabe gedacht.

In diesen Wochen war Bilfinger Schmitt in Berlin, wie erwähnt, mehrfach begegnet. Mit seinem Artikel beansprucht er nun erneut eigene Bismarck-Kenntnisse und differenziert oder korrigiert Schmitts Blick auf Bismarcks „Kompromiss mit dem Parlament“. Bilfinger meint, dass selbst Bismarck damals dem „Glauben an den liberalen Konstitutionalismus“ ein Stück weit verfallen gewesen sei und erst später seinen „Fehler“ bereute. Sein Artikel ist dann am Ende erneut ein glühender Treueschwur auf Hitler, der das Budgetrecht „begraben“ habe; der „Geist der überwundenen Epoche“ des Konstitutionalismus sei „aus den anderen und aus sich selbst zu verbannen“. Bilfinger verspricht Besserung, gelobt exorzistische Arbeit an den spätwilhelminischen Vorurteilen, beschwört seinen Willen zur Selbstgleichschaltung. Sein Kotau, seine Bitte um „Indemnität“, endet mit den Worten: „Die Verfassungsverhandlungen von 1867 lassen weithin jenen pharisäischen Geist des wichtigtuerischen Mitdabeiseinwollens und, bei nicht genügender Honorierung, die Bereitschaft zur Opposition erkennen. Es wird noch lange nötig sein, gegen diesen Geist zu kämpfen.“ Besser hätte Bilfinger sein eigenes Verhältnis zu Schmitt eigentlich kaum charakterisieren können: Wenn etwas seinen Schulterschluss bezeichnet, war es der „Geist des wichtigtuerischen Mitdabeiseinwollens“. Bilfingers Artikel ist im Tagebuch nicht erwähnt. Für den 11. Juli notiert Schmitt nur: „Krank und verzweifelt, scheußlicher Zustand, Geburtstag.“[30] Vom „Geist des wichtigtuerischen Mitdabeiseinwollens“ wechselte Bilfinger damals in die „Opposition“ zu Schmitt über und verlegte seinen Ehrgeiz bald nach Heidelberg.

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[1] Die Rede von einem „falschen“ Bilfinger nimmt Feuchtwangers Unterscheidung zwischen „wirklichen“ und „historischen“ Menschen, aktenmäßiger Existenz und „bildnishafter Wahrheit“ eines Typus auf und spielt auf die Hitler-Kritik von Lion Feuchtwanger in ‚Der falsche Nero.‘ (Amsterdam: Querido 1936) an.

[2] Brief von Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, datiert 10. Juni 1932, zitiert nach: Rolf Rieß (Hrsg.)‚Carl Schmitt / Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918-1935‘ (Duncker & Humbold 2007), 376.

[3] Ludwig Feuchtwanger am 20. Juli 1932 an Carl Schmitt, in: Rieß (Fn. 2), 384.

[4] Lion Feuchtwanger, Die Geschwister Oppenheim, (Amsterdam: Querido 1933), 434.

[5] Feuchtwanger (Fn. 4), 307.

[6] Feuchtwanger (Fn. 4), 308.

[7] Feuchtwanger (Fn. 4), 310.

[8] Feuchtwanger (Fn. 4), 311.

[9] Feuchtwanger (Fn. 4), 312.

[10] Feuchtwanger (Fn. 4), 314.

[11] Feuchtwanger (Fn. 4), 314.

[12] Feuchtwanger (Fn. 4), 406.

[13] Brief von Carl Bilfinger an Carl Schmitt, datiert 21. März 1933, zitiert nach: Philipp Glahé, Reinhard Mehring und Rolf Rieß (Hrsg.), Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879-1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, (Nomos 2024), 169f.

[14] Carl Bilfinger, Widmung seines Artikels „Notrecht“, vom November 1931, in: Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 113, 377

[15] Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13).

[16] Carl Bilfinger, Der Einfluss der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, univ. Diss., (Druck von: H. Laupp jr., Tübingen: 1923).

[17] Erörtert wurden Reformen des Beamtenrechts und des Wahlrechts; dazu vgl.: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, (München: C.H. Beck 1999), 195-199.

[18] Dazu: Reinhard Mehring, Schüler im Schatten. Der „treue“ Karl Lohmann (1901-1996), in: Reinhard Mehring (Hrsg.),„Dass die Luft die Erde frisst…“ Neue Studien zu Carl Schmitt (Baden-Baden: Nomos 2024), 63-91.

[19] Brief von Carl Bilfinger an Carl Schmitt, datiert 24. September 1933, zitiert nach: Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 179.

[20] Brief von Fritz Hartung an Gustav Aubin, datiert 29. Januar 1934, zitiert nach: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Fritz Hartung. Korrespondenz eines Historikers zwischen Kaiserreich und zweiter Nachkriegszeit (Duncker & Humblot 2019), 263.

[21] Brief von Carl Bilfinger an Carl Schmitt, datiert 14. Februar 1934, zitiert nach: Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 181.

[22] Wolfgang Schuller (Hrsg.), Carl Schmitt. Tagebücher 1930 bis 1934 (Akademie Verlag 2010), 330.

[23] Carl Schmitt, Die Logik der geistigen Unterwerfung, Deutsches Volkstum 16 (1934), 177-182.

[24] Schmitts Handexemplar ist im Duisburger Nachlass (RW 265-29071) erhalten. Schmitt hat es in den 1960er und 1970er Jahren intensiv um Literaturangaben ergänzt und glossiert. Den Untertitel „Der Sieg des Bürgers über den Soldaten“ ergänzte er um die Variationen: „Der Sieg der Ware über die Waffe oder: Bismarcks Erbe in der Reichsverf[assung]!“. In den Einband klebte er eine Rezension: Neue Legalität. Bemerkungen zu einem Buch von Professor Carl Schmitt, Berliner Tageblatt Nr. 264, 7. 6. 1934, deren Deutung er zustimmte, wobei ihm vor allem die Datierung vor den 30. Juni 1934 wichtig war. Günter Maschkes Edition der Schrift (2011) berücksichtigt Schmitts Selbstglossierung und -interpretation nicht angemessen.

[25] Dazu dann Carl Schmitt, Der Mut des Geistes, in: FAZ,30. 12. 1950, 6; Wiederabdruck in: Reinhard Mehring (Hrsg.), „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt / Rudolf Smend 1921-1961 (2. Aufl., Duncker & Humblot 2012) 177-178; vgl. auch: Schmitts Spiegelung des „Zusammenbruchs“ von 1945 durch Heinrich von Kleist in: Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, (Greven-Verlag 1950), 34-45.

[26] Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 186.

[27] Wolfgang Schuller (Hrsg.), Carl Schmitt. Tagebücher (Fn. 22), 347.

[28] Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 188.

[29] Glahé/Mehring/Rieß (Fn. 13), 186.

[30] Wolfgang Schuller (Hrsg.), Carl Schmitt. Tagebücher (Fn. 22), 350.

Ein Grenzgebietler. Der Rechts-Sinologe Karl Bünger

No results found for ‘Rechts-Sinologie’” antwortet die Suchmaschine. Kann es sein, dass dieses Forschungsfeld, das auf produktive Weise Grundlagenforschung, Anwendungsorientierung und – seit weit über 100 Jahren – hohe politische Relevanz miteinander verbindet, nicht einmal versuchsweise als eigene rechtliche Teildisziplin beschrieben wurde? Offenbar. Einerseits ist die interdisziplinäre Rechtsforschung zu China ein hochspezialisiertes Feld. Andererseits bestand, wie dieser Blogbeitrag zeigen wird, bereits in den 1930er Jahren ein großes Interesse an dieser Forschung im Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie auch später im MPIL, wie der Beitrag von Robert Heuser in diesem Blog dokumentiert.

Ein Pionier der interdisziplinären Rechtsforschung zu China

Karl Bünger 1973 [1]

Ein Feld der Rechts-Sinologie steht methodisch für rechtsvergleichende und beziehungsgeschichtliche Ansätze. Beide sind in einem transkulturellen Kontext besonders anspruchsvoll. Die Herausbildung rechtlicher Normativität wird unter Einbeziehung sprachlicher, kultureller, sozialer und politischer Aspekte untersucht. Die angrenzenden Disziplinen werden als Ressource genutzt, um das Verständnis der Genese und die Wirkung von Recht zu vertiefen. Es ist Grundlagenforschung in einer ihrer besten Formen. Bezogen auf aktuelle Literaturen, leistet die interdisziplinäre Rechtsforschung zu China einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit Rechtsübersetzungen und -transfers, Ungleichheit und (Post)Kolonialismus, Rechtspluralismus und Multinormativität. Bezogen auf die Debatten der 1930er bis 1950er Jahre, auf die in diesem Beitrag Bezug genommen wird, stand diese Forschung unter einem hohen Begründungsdruck, als entweder rechtswissenschaftliche oder sinologische Forschung zu gelten.

Ein Pionier einer Rechts-Sinologie in Deutschland war Karl Bünger. Geboren 1903, absolvierte Bünger, nach einer Banklehre von 1924 bis 1927, ein Studium der Rechtswissenschaften und der Sinologie. Die Promotion erfolgte 1931 in Tübingen mit einer rechtsvergleichenden Arbeit mit dem Titel “Das Wirksamwerden der Willenserklärung nach deutschem und ausländischem Recht”. Bünger beschrieb die Erforschung der chinesischen Rechtsgeschichte als eine “Lebensaufgabe […]. Es ist dies ein Grenzgebiet zwischen Sinologie und Rechtswissenschaft.”[2]. Büngers bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet war eine Monographie über die “Quellen zur Rechtsgeschichte der T’ang-Zeit” (von 618 bis 907 CE), die in den 1940er Jahren in Beijing entstand und dort 1946 erstmals erschien.[3] Eine überarbeitete und erweiterte Version wurde 1996[4] publiziert, was die anhaltende Bedeutung des Werks illustriert. Verstärkt wird dies durch eine chinesische Übersetzung im Jahr 2023. Im Vorwort zur Originalausgabe von 1946 werden die besonderen Herausforderungen deutlich, die mit einer solchen Arbeit verbunden sind: “Die Arbeit wendet sich sowohl an Juristen wie an Sinologen. Die Arbeitsmethoden und Gesichtspunkte beider Wissenschaften sind verschieden. Ich habe beiden gerecht zu werden versucht, unausbleiblich ist es aber, dass aus beiden Wissenschaftsgebieten jeweils Beanstandungen erhoben werden können.”[5] Bünger betrat nach eigenem Befinden “Neuland” und bemühte sich, dem sinologischen Bedürfnis nach sprachlicher Gründlichkeit und dem juristischen nach Präzision und “Schärfe” gleichermaßen zu entsprechen.

Zwischen den Disziplinen gefangen

Hauptstraße von Nanjing (1920er/30er). Arbeitsort von Karl Bünger (Foto: Bundesarchiv)

Da Bünger sich konsequent zwischen den beiden Disziplinen bewegte – er sich gewissermaßen bewusst und kunstvoll zwischen alle Stühle setzte – hatte er es schwer, langfristig eine gesicherte Position zu finden. Insbesondere nach seiner Rückkehr nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war dies so. Zunächst ist aber festzustellen, dass Bünger, diesen Schwierigkeiten zum Trotz, als Wissenschaftler in seinem interdisziplinären Feld hoch angesehen war. 1981 erschien anlässlich seines 75. Geburtstags eine Festschrift.[6] In einer Rezension hierzu bilanzierte der amerikanische Sinologe Brian E. McKnight, „[a]mong twentieth-century students of Chinese law, none has been more prolific over a longer span.“[7]

An den Kaiser-Wilhelm-Instituten für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie für ausländisches und internationales Privatrecht war Karl Bünger seit 1934 als Referent tätig. Schon 1937 ließ er sich allerdings für mehrjährige China-Aufenthalte von dieser Position beurlauben. Kurioserweise schrieb Bünger selbst tatsächlich in einem Lebenslauf: „1934 bis heute (mit zwei mehrjährigen Urlaubsreisen nach China) Referent an den Kaiser Wilhelm Instituten für internat. Recht”[8]. „Urlaubsreisen“ waren diese Aufenthalte aber keineswegs. Bünger wirkte als Justiziar (1937-38) und Rechtsberater (bis 1941) für den Otto-Wolff-Konzern in China, einem Unternehmen der Stahl- und Eisenindustrie. Von 1940 bis 1941 war Bünger Sekretär beim Verband für den Fernen Osten, von 1941 bis 1945 Rechtsberater an der Botschaft des Deutschen Reiches in Nanjing. Im akademischen Bereich weisen die Lebensläufe Tätigkeiten als Professor für europäisches Recht an Universitäten in Shanghai von 1942-1944 und von 1946-1947 aus.

Der deutsche Botschafter in Nanjing Heinrich Georg Stahmer (rechts) 1942 mit Wang Jingwei (mitte), Chef der antikommunistischen „Neuorganisierten Regierung der Republik China“, und dem italienischen Botschafter Francesco Maria Taliani de Marchio (links). Bild: gemeinfrei

Dies war die Zeit, in der Bünger sich als „Rechts-Sinologe“ entfalten und wichtige Netzwerke knüpfen konnte. Mit seiner Rückkehr nach Deutschland 1947 begann eine eher schwierige Phase. Bünger war ab 1. Mai 1933 Mitglied in der NSDAP geworden. In späteren Lebensläufen gab er an, darüber hinaus keine Funktionen und Ämter ausgeübt zu haben. Büngers Wikipedia-Eintrag gibt eine SA-Mitgliedschaft von 1933 bis 1934 an, sowie auch, dass Bünger nach dem Krieg 1947 zunächst im Repatriation Center in Ludwigsburg interniert wurde. Noch aus Ludwigsburg bemühte sich Bünger, seine Wiedereingliederung in eine sich im Neuaufbau befindende deutsche akademische Welt zu organisieren. Er stieß dabei auf einige Hindernisse, die zum einen mit stark begrenzten Mitteln, aber zum anderen vor allem mit seiner nicht eindeutigen disziplinären Zuordnung zusammenhingen.

Einen guten Eindruck darüber verschafft ein „sinologischer Briefwechsel”, den Bünger zwischen 1947 und 1951 mit verschiedenen Kollegen führte, die wie er auf der Suche nach einer neuen Anstellung waren oder über eine solche verfügten und daher vielleicht behilflich sein konnten.

Bünger ist in diesen Briefen um kein Urteil verlegen, was die Fähigkeiten und Passgenauigkeiten anderer Sinologen für bestimmte zu besetzende Positionen in Deutschland betrifft. Subtiler agiert er meist in eigener Sache, schildert seine Leistungen und die Schwierigkeit seiner Situation – offenbar in der Selbstgewissheit, dass sich seine besondere Eignung für akademische Aufgaben von selbst erkläre. Aber nicht immer ist das der Fall. In einer Korrespondenz mit Ernst Boerschmann im Juni 1948 zeigt Bünger sich angefasst. Es geht um die Organisation einer „China-Tagung“. In diesem Kontext wurde die „sinologische Qualifikation” Büngers durch den Kollegen Haenisch angezweifelt. Bünger bat daher sehr eindringlich darum, „[w]enn für die Tagung in Hamburg eine ähnliche Liste von Vortragenden oder Teilnehmern aufgestellt wird, wie sie bei der Versendung der Aufforderungen zu Vorträgen erfolgte, so möchte ich nicht unter Juristen, sondern unter Sinologen aufgeführt werden.“ [9]

Unterstützung durch Forschungsaufträge

Auch wenn Bünger danach strebte, in der Sinologie Fuß zu fassen und sich 1951 in Tübingen in diesem Fach habilitierte, blieb das Recht sein Hauptgegenstand. Entsprechend bemühte er sich um eine Anbindung auch an die Rechtswissenschaft. Hiervon zeugen Reste der Personalakte von Bünger, die noch heute im MPIL verfügbar sind. Im Jahr 1950 unterstützte das Institut unter der Leitung von Carl Bilfinger Bünger in dem Bemühen um ein Forschungsstipendium der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Das Stipendium sollte Büngers Arbeit zum „Strukturwandel der asiatischen Staaten nach ihrer Berührung mit dem Abendland“ unterstützen (Brief vom 7. November 1950).[10] Die Notgemeinschaft entschied nach längerer Prüfung, ihm das Stipendium zu gewähren. Da Bünger dafür aber auf seine Tübinger Vergütung als Lehrbeauftragter hätte verzichten müssen, nahm er das Angebot nicht an. Das Interesse des MPIL an Büngers Forschung war davon aber nicht berührt. Wie eine Aktennotiz zu einem Treffen vom 16. Februar 1950[11] vermerkt, erteilte Carl Bilfinger einen vergüteten Forschungsauftrag aus Institutsmitteln. Dies sollte laut der Notiz aus Sicht von Bilfinger zusätzlich zu den üblichen Autorenhonoraren erfolgen, „bis zur Klärung der endgültigen Finanzlage des Instituts“.

Der Hauptgegenstand der Korrespondenzen mit dem Institut aus dieser Zeit sind finanzielle Fragen. Zugleich war es Bünger bisweilen wichtig festzuhalten, dass gerade diese nicht für ihn das Hauptmotiv darstellten. Bünger ging es immer auch um Inhalte, wie „die Einsicht über die Notwendigkeit, diese völkerrechtlichen Vorgänge in Ostasien genauestens zu verfolgen. […] Wir sind in Deutschland (vielleicht allgemein in Kontinental-Europa) noch etwas in den alten Vorstellungen befangen, jene asiatischen Gebiete als Dependenzen Europas zu betrachten.”[12] Bünger entwickelte somit bereits 1950 eine eigene Perspektive auf die europäische Expansion und deren völkerrechtliche Grundlagen, die sich auch schon in seinen Vorträgen und Schriften aus dieser Zeit andeutet. Eine Perspektive, die danach erst in Forschungen der 1980er Jahre, etwa von Jörg Fisch, im deutschen akademischen Diskurs prominent wurde.

Was sowohl in den „sinologischen Briefwechseln” als auch in den Korrespondenzen mit Angehörigen des Instituts beeindruckt, ist, dass Bünger mit großer Hartnäckigkeit um seine akademische Existenz kämpfte, sich dabei aber mit großer Selbstgewissheit die eigene Stimme und Perspektive erhielt. Es blieb in dieser Zeit bei kleineren Forschungsaufträgen und Honoraren, eine Festanstellung, für die Bünger zur Verfügung gestanden hätte, kam nicht zustande. Mehr noch – und für Bünger vermutlich bitter – als er 1966 kurz vor seinem Ruhestand beim Institut nach Nachweisen für seine Tätigkeit an den Kaiser-Wilhelm-Instituten in den 1930er Jahren nachfragte, waren diese nur lückenhaft rekonstruierbar. So bleiben in den Akten nur Fragmente und kurze Ausschnitte aus einer Zeit, die Bünger akribisch forschend und produktiv schreibend verbrachte. Angesichts seiner Publikationen und seines Nachrufs wäre es weit verfehlt, Bünger ein Scheitern zu attestieren. Dennoch bleibt der Eindruck, dass er Zeit seines Lebens nicht die akademische Rolle und Position erhielt, nach der er strebte. Da waren zum einen die Umstände des Kriegs und des Nationalsozialismus, die seinen Lebensweg verkomplizierten. Da war aber vor allem auch das eigenwillige Profil des innovativen Forschers und Pioniers, der engen disziplinären Selbstverständnissen und Konventionen nicht entsprach.

Am Ende doch Diplomat

Nach der Habilitation 1951 folgten für Bünger Tätigkeiten als Professor für Sinologie in Freiburg und im Ruhestand in Bonn und Tübingen. Die reinen Lebensdaten zeugen also insgesamt von einer, in dem besonderen historischen Kontext, erfolgreichen akademischen Laufbahn. Dennoch mündete der berufliche Weg nicht in einer Stellung, die ihm die die enge Verbindung von fachwissenschaftlicher und regionalwissenschaftlicher Expertise in einer Position ermöglicht hätte, wie sie heute die Area Studies durchaus bieten.[13]  Auch das MPIL konnte ihm diese Perspektive nicht bieten, trotz der unzweifelhaften Wertschätzung an seiner Arbeit und dem Willen, ihn nicht „fallen zu lassen“, wie Hans Dölle es 1951 in einem Brief an Carl Bilfinger formulierte.[14] Karl Bünger zog es letztlich wieder in die Welt, er trat in den Auswärtigen Dienst ein und wurde Botschafter in Seoul (1960) und Generalkonsul in Hongkong (1964-1969).

Parallel hierzu und später im Ruhestand publizierte Bünger weiter. Interessant ist eine Beitrag Büngers über „Max Webers Ansichten über Recht und Justiz im kaiserlichen China“ aus dem Jahr 1972.[15] Wie viele China-Expert*innen, hatte auch Bünger das Gefühl, Webers Ansichten an bestimmten Stellen „richtigstellen“ zu müssen. Dennoch, und das erscheint viel wichtiger, lobte Bünger den „Mut und die Geisteskraft“ Webers, „seine Forschungen nicht auf die europäische Staatengesellschaft“ beschränkt zu haben. Bünger forschte zu Normativität und Recht in China zu einer Zeit, als die Hochzeit der Ungleichen Verträge[16] – und damit der Annahme, China verfüge gar nicht über ein Recht, das als solches anzuerkennen sei – noch nicht lange Vergangenheit war. Bünger war interessiert an Multinormativität und verstand den Rechtstransfer nicht als Imitation, sondern als Prozess des Austauschs und der Adaption.[17] Perspektiven also, die aktueller kaum sein könnten.

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[1] Foto: Verzeichnis der Schriften von Prof. Dr. Dr. Karl Bünger, Oriens Extremus, 20(1973), 126–128, 126.

[2] Brief von Karl Bünger an Ernst Boerschmann, datiert 28. November 1947, zitiert nach: Hartmut Walravens, „Haben Sie Ihre Bibliothek retten können?“ Ein sinologischer Briefwechsel aus der Nachkriegszeit, 1946–1950, Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, 179-180 (2006) 281–375, 289.

[3] Karl Bünger, Quellen zur Rechtsgeschichte der T’ang-Zeit, Peiping [Beijing]: Catholic University 1946.

[4] Karl Bünger, Quellen zur Rechtsgeschichte der T’ang-Zeit, Sankt Augustin: Steyler Verlag 1996.

[5] Karl Bünger, Quellen zur Rechtsgeschichte der T’ang-Zeit, Sankt Augustin: Steyler Verlag 1996, XXX.

[6] Dieter Eikemeier/Herbert Franke (Hrsg.): State and law in East Asia: Festschrift Karl Bünger, Wiesbaden: Otto Harrassowitz 1981.

[7] Brian E. McKnight, Review: Dieter Eikemeier and Herbert Franke (ed.): State and law in East Asia: Festschrift Karl Bünger. ix, 318 pp. Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1981. DM 98, Bulletin of the School of Oriental and African Studies, 46 (1983), 386 – 387.

[8] Brief von Karl Bünger an Ernst Boerschmann (Fn. 2), 289.

[9] Brief von Karl Bünger an Ernst Boerschmann, datiert 20. Juni 1948, zitiert nach: Walravens (Fn. 2), 298-300, 299.

[10] Carl Bilfinger an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 7. November 1950, Hausarchiv MPIL.

[11] Hausarchiv MPIL:

[12] Brief von Karl Bünger an Helmut Strebel, datiert 26. April 1950, Hausarchiv MPIL.

[13] Ich danke Alexandra Kemmerer für diesen Hinweis.

[14] Brief von Hans Dölle an Carl Bilfinger, datiert 6. Juni1951, Hausarchiv MPIL.

[15] Karl Bünger, Max Webers Ansichten über Recht und Justiz im kaiserlichen China, Oriens Extremus 19 (1972), 9-22.

[16] Siehe hierzu: Anne Peters, Treaties, Unequal, zuletzt überarbeitet: Februar 2018, in: Anne Peters/Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], Oxford University Press 2008, www.mpepil.com.

[17] Siehe hierzu: Karl Bünger, Die Rezeption des Europäischen Rechts in China, in: Ernst Wolff (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsforschung, Berlin: de Gruyter/ Tübingen: Mohr 1950.

Völkerrecht als Rechtsordnung: 1929 ─ 1976 ─ 2024

1. “Völkerrecht als Rechtsordnung”: Forschungsprogramm des MPIL

Viktor Bruns, Gründungsdirektor des Instituts, lancierte im Jahr 1929, also fünf Jahre nach Institutserrichtung, die Zeitschrift für ausländisches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), die er mit einem langen Artikel über „Völkerrecht als Rechtsordnung“ einleitete. Dieser Aufsatz war als Auftakt einer Reihe geplant,[1] tatsächlich wurde aber nur ein Fortsetzungsaufsatz veröffentlicht.[2]

Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Instituts im Jahre 1974 widmete Direktor Hermann Mosler dem „Völkerrecht als Rechtsordnung“ wiederum einen umfangreichen Beitrag, der 1976 in der ZaöRV erschien. Ausweislich ihres Titels legen beide Beiträge dar, inwieweit das Völkerrecht nicht nur „Recht“ ist, sondern vielmehr eine „Rechtsordnung“ bildet. Wegen des in der Max-Planck-Gesellschaft geltenden Harnack Prinzips, also die Ausrichtung ganzer Institute auf die Visionen ihrer Direktoren, können diese Aufsätze durchaus als Forschungsprogramme nicht nur der Direktoren, sondern des MPIL gelten.

Laut Mosler ließ sich seinerzeit „nicht übersehen, daß die beiden Zeitpunkte – Mitte der zwanziger und Mitte der siebziger Jahre – günstige Ansätze für die Beurteilung für den Vergleich bieten. Zwischen diesen beiden Polen liegen die alsbald enttäuschten Hoffnungen auf die Wirksamkeit einer internationalen Ordnung ….“.[3] Dasselbe kann von der Mitte der 2020er Jahre gesagt werden: Hinter uns liegen die enttäuschten Hoffnungen auf die Wirksamkeit der „neuen Weltordnung“, die nach dem Berliner Mauerfall 1989 ausgerufen worden war.[4]

Der Moment ist also wieder ein günstiger, um anlässlich des 100. Institutsgeburtstages die beiden programmatischen Aufsätze der Direktoren Bruns und Mosler neu zu lesen (Teile 2 und 3) und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten (Teil 4). In Teil 5 würdige ich den bleibenden Ertrag dieser Jubiläumsbeiträge und plädiere im Schlussteil 6 für ein aufgepepptes Programm von Völkerrecht als Rechtsordnung als Vorbedingung der Möglichkeit von wirksamer Völkerrechtskritik in einer Phase der Neu-Ordnung der Welt.

2. Bruns 1929

Hier verfasst? Schreibtisch von Viktor Bruns im Berliner Schloss, undatiert (Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius)

Zum historischen Kontext von Bruns‘ Beiträgen von 1929 und 1933 gehören der verlorene Erste Weltkrieg, der von vielen Deutschen als unfair empfundene Vertrag von Versailles und die Blüte der internationalen und transnationalen Schiedsgerichtsbarkeit, die eine umfangreiche Rechtsprechung zur Bewältigung der Kriegsfolgen hervorbrachte, insbesondere durch Feststellung von Entschädigungs- und sonstigen Ansprüchen gegen den deutschen Staat.

Diese Schiedsgerichte haben den völkerrechtlichen „Rechtsstoff“ – so Bruns – „evident gemacht“.[5] Jedoch seien „die heutigen Systeme [und hiermit meinte Bruns die wissenschaftlichen Systeme] nicht ausreichend, um diesen „Rechtsstoff“ „zu erfassen“ und ein Gewebe daraus zu schaffen. Vor diesem Hintergrund suchte Bruns, „die wichtigste Aufgabe einer Wissenschaft zu erfüllen, nämlich eben jener Tätigkeit der Gerichte vorzuarbeiten und ihr die systematischen Zusammenhänge einer in sich geschlossenen Rechtsordnung aufzuzeigen“.[6] Bruns‘ Erkenntnisziele waren somit primär anwendungsorientiert. Seine zahlreichen Beispiele aus Verträgen und Rechtsprechung, insbesondere im Aufsatz II (1933) stellen diesen Anwendungsbezug auch her.

Bruns eröffnete den ersten Aufsatz mit seiner Kernthese: “Das Völkerrecht ist eine Rechtsordnung für die Gemeinschaft der Staaten, ein System von Rechtssätzen, die untereinander in einem Ordnungszusammenhang stehen.“[7] Eine Rechtsordnung ist durch ihre Systematik gekennzeichnet. Sie ist „nicht eine systemlose Zusammenfassung von einzelnen unter sich beziehungslosen Regeln und Einrichtungen“.[8]

Ausserdem – wichtig –  ist sie „Ordnung in einem doppelten Sinne“: Sie schafft in der sozialen Wirklichkeit Ordnung, und zwar gerade durch ihre eigene (innere) Ordnung.[9] Anders gewendet: (Nur) aufgrund seiner inneren Ordnung kann – laut Bruns – das Recht, insbesondere das Völkerrecht, seine Aufgabe der „Ordnung“ der Welt erfüllen. Als „Wesen der Rechtsordnung“ sah Bruns das „Friedensgebot“ an.[10] Hierfür ist die Streitbelegung durch (schieds-)gerichtliche Instanzen zentral, ohne die es weder Ordnung noch überhaupt Recht geben kann.[11] Aus der Eigenschaft des Völkerrechts als Rechtsordnung folgte für Bruns, dass das Völkerrecht den Staaten positiv Kompetenzen zuweise und dass das staatliche „Persönlichkeits- oder Freiheitsrecht“ „mit Rücksicht auf die gleichgeordneten Genossen der Gemeinschaft“ nur „generell beschränkt“ sein könne, denn anders wäre „eine Rechtsordnung überhaupt nicht denkbar“.[12] Es kann somit, folgerte Bruns, keine allgemeine völkerrechtliche Handlungsfreiheit der Staaten geben.[13] Insgesamt verfolgte Bruns mit seinen Beiträgen kein geringeres Ziel als „für das Völkerrecht ein System und eine Methode zu finden“.[14]

3. Mosler 1976

Schreibtisch von Hermann Mosler im MPI 1972 (Foto: MPIL)

Im Jahr 1976 waren die Dekolonisierung und die damit einhergehende Aufnahme zahlreicher neuer Staaten des Globalen Südens in die Vereinten Nationen in vollem Gange. Vorausgegangen waren in Europa die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1951), zu der Mosler die deutsche Delegation beraten hatte, und dann der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957). Die Ost-West-Blöcke hatten sich verfestigt und es herrschte der Kalte Krieg. In diesem Klima waren zwei getrennte UN-Menschenrechtpakte erarbeitet worden, die 1966 unterzeichnet wurden und die 1977 in Kraft treten sollten. Die Schlussakte von Helsinki (1975) umfasste einen sogenannten „Menschenrechtskorb“ mit humanitären Anliegen. Die UN Generalversammlung verabschiedete in den 1970er Jahren ihre grundlegenden quasi-kodifikatorischen Resolutionen, beginnend mit der Friendly Relations Declaration (1970) bis zur Definition of Aggression (1974).

Diese Ereignisse spiegeln sich in Moslers Charakterisierung der Völkerrechtsordnung. Er benannte und analysierte vier „kennzeichnende Element[e]“ „der internationalen Rechtsordnung“[15] bzw. der „modernen internationalen Gemeinschaft“[16]: Das erste Charakteristikum war „die Explosion der Mitgliederzahl der Vereinten Nationen“.[17] Das „zweite kennzeichnende Merkmal“ war „das organisatorische Element“[18] – im Gegensatz zum „unorganisierten Völkerrecht“[19] der Vergangenheit. Hier sprach Mosler den Bedeutungszuwachs internationaler Organisationen an und brachte viele Beispiele aus der Praxis der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft.

Die internationalen Organisationen dienen, so Mosler, der „Schaffung von Staaten durch Konvention“.[20] Durch die Beitritte zu den Organisationen, durch deren Aufnahmebeschlüsse, werden Territorien „mit ungesicherter eigener Lebensfähigkeit“[21] zu Staaten „befördert“[22]. Diese neuen Staaten des Globalen Südens unterscheiden sich „soziologisch“ von den alten Staaten des Nordens, die „notwendige Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft“ waren. „Man könnte sie [die neuen Staaten] konventionelle, nicht aber soziologische oder originäre oder spontane Staaten nennen“.[23] Deren Entstehung und Aufnahme in die Organisationen „änderte auch den Charakter der internationalen Gesellschaft“.[24]

Drittens bemerkte Mosler die „Wiederauferstehung der alten Unterschiede zwischen großen und anderen Staaten“.[25] Damit spielte er auf die Vormachtstellung der P 5 im UN-Sicherheitsrat an. Das vierte Charakteristikum war eine dem Menschen zugewachsene „völkerrechtlich erhebliche Stellung“, „auch gegenüber der eigenen öffentlichen Gewalt“.[26] Mosler befand, dass „[d]ie Position der menschlichen Person“ die „in ihrem Kernbereich, je enger der Zusammenhang mit der Würde der Person ist, zum ordre public der Völkerrechtsordnung gehört“.[27]

Moslers Zugang zum Völkerrecht war praxisorientiert, und das heißt letztlich rechtsdogmatisch. Mosler lehnte beispielsweise eine „soziologische Rechtsbegründung“ ausdrücklich ab.[28] Die „Befolgung des rechtspraktischen Ansatzes“ war, wie Felix Lange herausgearbeitet hat, ein „bewusstes, politisches Programm“.[29] In einem Rückblick schreibt Mosler: „Weil unser Fach politisch bestimmte Objekte hat und weil es für politische Zwecke gebraucht und missbraucht wird, war nicht nur Leistung zu beweisen, sondern mussten auch Misstrauen und Abwehr überwunden werden“.[30]

Mosler hatte damit insbesondere den Missbrauch der nationalsozialistischen Völkerrechtstheorie im Sinn. Er hielt möglicherweise sämtliche Formen von Völkerrechtstheorie für missbrauchsanfällig. Seine (ganz überwiegend) dogmatisch geprägte und damit vermeintlich „unpolitische“ Methode sollte hiergegen schützen. Auf diesem Wege wollte Mosler Deutschland wieder in die Völkerrechtsgemeinschaft einführen. Seine Bemühungen hatten (in Kombination mit vielen anderen Faktoren) Erfolg: Die Bundesrepublik Deutschland wurde (gleichzeitig mit der DDR) als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen. Sie erhielt das Gütesiegel des „friedliebenden Staates“ (Art. 4 Abs. 1 UN Charta) ─ erst 1973, kurz vor dem 50-jährigen Institutsjubiläum und 24 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und Wiederbegründung des Instituts.

4. Kontinuitätslinien von Bruns zu Mosler

Der politische Kontext, der Entwicklungsstand des Völkerrechts und die Methoden der Völkerrechtswissenschaft waren im Jahr 1976 andere als noch 1929. Dennoch sollten die Unterschiede nicht überbetont werden, da vielfache Kontinuitätslinien bestanden. Das institutionelle Design der Vereinten Nationen von 1945 orientierte sich am Völkerbund, und auch die Politiken der neuen Organisation knüpften an die Völkerbundsarbeit an.[31] Das Gewaltverbot wurde zwar 1945 auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt, war aber bereits vor den 1920er Jahren ausgebildet worden, wobei der Briand-Kellog Pakt von 1928 einen Meilenstein bildete.[32] Auch Wirtschaft, Soziales und Arbeit waren schon zu Bruns‘ Zeiten Anliegen des Völkerrechts, insbesondere des Völkerbundes und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), und sie blieben es in der Ära Mosler.

Betonung der Kontinuität. Jubiläumskolloquium “Völkerrecht als Rechtsordnung” 1975 (Foto: MPIL)

Die wirklich neuen Themen der 1970er Jahre waren die Dekolonisierung und die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen, die auf völkerrechtlicher Ebene mit der Stockholmer Erklärung der UN-Generalversammlung von 1972 aufgegriffen worden war.[33] Das letztgenannte Thema jedoch erwähnte Mosler mit keinem Wort.

Auf den ersten Blick besteht ein starker Gegensatz zwischen der Bruns‘schen strikt zwischenstaatlichen Ordnung[34] und Moslers Einbeziehung von internationalen Organisationen und Individuen. Jedoch weist auch Mosler den neuen Akteuren klar den Status von zweitklassigen Völkerrechtssubjekten zu. Die Organisationen sind nur „jeweils ein Homunkulus der Staaten“,[35] von ersteren erzeugt, getragen, und beseitigbar; sie besitzen keine „Existenz aus sich selbst“ und sind „nicht der Rechtsordnung vorgegeben“[36], sind nicht „primäre oder ursprüngliche oder notwendige Rechtsubjekte“ wie die (europäischen) Staaten.[37] Auch die veränderte Position des Individuums berührte nach Mosler „die spezifische Strukturfrage der Völkerrechtsordnung … nicht“.[38] Diese blieb „eine im wesentlichen auf den Staaten aufbauende Rechtsordnung“.[39]

Mosler schätzte Bruns‘ Darlegung der Lückenlosigkeit des Völkerrechts als eine „in sich geschlossene Rechtsordnung“[40] und folgte ihr. Lückenlosigkeit oder „Geschlossenheit“ bedeutete für Bruns, dass die Regeln und Grundsätze des Völkerrechts „vollständig“ sind und somit die staatliche Handlungsfreiheit konstituieren und damit auch begrenzen.[41] Mosler legte diese Vollständigkeit bzw. Lückenlosigkeit der Völkerrechtsordnung zugrunde.[42] Er nahm – wie Bruns[43] – an, dass „die Grenzen der staatlichen Kompetenz durch das Völkerrecht festegelegt würden.[44] Beide Direktoren lehnten dementsprechend das Lotus-Prinzip des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, die Vermutung einer allgemeinen Handlungsfreiheit der Staaten, ab.[45]

Das Forschungsprogramm beider Direktoren war praxisorientiert. Dem entsprach am besten die rechtsdogmatische Methode. Einige Völkerrechts- und Völkerrechtswissenschaftsverständnisse wurden von den Direktoren entweder nicht thematisiert oder ausdrücklich zurückgewiesen. Beide Direktoren lehnten einen Rechtspositivismus kelsenianischer Prägung ab, wobei Bruns keine erkennbare alternative Rechtstheorie anbot.[46] Bruns argumentierte sehr rechts-logisch und rein rechts-immanent, so dass der jeweilige Gedankengang vollkommen von den juristischen Prämissen abhing. Er wies zahlreiche Überlegungen als sozusagen juristisch unmöglich zurück, da sie nicht „denkbar“ oder nicht „denkmöglich“ seien, wohingegen die von ihm angeführten Argumente „apriorisch“ oder dem „Wesen“ (des Völkerrechts, der Ordnung usw.) gemäß und somit korrekt seien.

Mosler bekannte sich demgegenüber ausdrücklich zu einer naturrechtlichen Grundlegung des Völkerrechts.[47] Mosler suchte also den „Geltungsgrund“ des Völkerrechts[48] und arbeitete die charakteristischen Elemente der Ordnung heraus, insbesondere „Verfassungselemente der Völkerrechtsgemeinschaft“.[49]

Diese Unterschiedlichkeit der Zugänge zum Völkerrecht wird von einer Gemeinsamkeit überwölbt: Beide Direktoren betrachteten das Völkerrecht vorrangig instrumentell. Dieses Recht war ein Werkzeug (oder eine Waffe) und sollte im Interesse Deutschlands optimal auch auf der außenpolitischen Bühne genutzt werden können. Diesem Ziel diente die völkerrechtswissenschaftliche Arbeit am MPIL. Mosler benannte klar den historischen Hintergrund der Institutsgründung: Es ging um den “Kampf gegen den als ungerecht empfundenen Vertrag von Versailles“. „Die rechtlichen Mittel, die das Vertragswerk selbst an die Hand gab, sollten ausgeschöpft werden.“ „Das Institut verdankt seine Entstehung weitgehend dem Bedürfnis, die Auseinandersetzung mit soliden völkerrechtlichen Argumenten auf der Basis einer umfassenden Dokumentation zu führen.“ Dennoch „sei das Institut kein Hilfsinstrument der Reichsregierung, sondern ein Institut der Grundlagenforschung“ gewesen, zunächst mit der Hauptaufgabe des Aufbaus einer Materialsammlung.[50]

In Bruns‘ Aufsatz wird dieser Sammel- und Systematisierungsauftrag explizit gemacht, nicht aber der Einsatz des Völkerrechts als Waffe für Deutschland. Die (rein) deutsche Perspektive wird jedoch überdeutlich im Vorwort der neuen ZaöRV. Hier zählt Bruns zu den “Hauptproblemen der Gegenwart: Das Reparationsproblem, die Auslegung der Friedensverträge, das Minderheitenproblem“.[51] Diese drei Themen waren, global gesehen, nicht unbedingt die wichtigsten zeitgenössischen Völkerrechtsfragen, aber sie waren tatsächlich die wichtigsten Fragen für Deutschland. Dazu passt das dem Aufsatz von 1929 zugrundliegende Vortragsmanuskript „Völkerrecht als Rechtsordnung“.[52] Es endet mit den Worten: „Ich glaube, wir Deutschen haben von einem Sieg des Rechts alles zu hoffen und nichts zu fürchten.“

Mosler vertrat ebenfalls deutsche Interessen. Im seinem bereits erwähnten Rückblick nannte er die “Wiedergewinnung einer Position im internationalen Austausch“ als das „Hauptziel“ des Instituts in der Nachkriegszeit.[53]

Im Ergebnis war das Forschungsprogramm beider Direktoren (und damit auch dasjenige des Instituts) von mehr oder minder intensivem epistemischem Nationalismus geleitet. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass beide Direktoren Deutschland (bzw. die Bundesrepublik) in einer parallelen Situation vorfanden: Nach einem verlorenen Weltkrieg, als geschwächter Staat, ja als Paria-Staat, der seinen Platz in der Gemeinschaft zivilisierter Staaten erst wieder erringen musste, unter anderem mit völkerrechtlichen Argumenten – lawfare für Deutschland.

5. Rückblick auf Erkenntnisse von Bruns und Mosler

a) Viktor Bruns

Während Bruns seinen Aufsatz vorbereitete, wurden anderswo ideengeschichtliche Fundamente gelegt, deren Bedeutung für das heutige Völkerrecht und die Völkerrechtswissenschaft damals kaum zu erahnen war. Die Muslimbrüderschaft, deren Ableger Hamas heute als globale Terrororganisation mit Sanktionen belegt wird,[54] ist 1928 gegründet worden. Im selben Jahr publizierte Margret Mead Coming of Age in Samoa, das zum Kultbuch in späteren Diskursen um Kulturrelativismus und Rechtspluralismus avancieren sollte.

Vortragsmanuskript “Völkerrecht als Rechtsordnung” von Viktor Bruns 1927 (Foto: MPIL)

Viktor Bruns dürfte durch familiäre und gesellschaftliche Kontakte über das ganze Spektrum wissenschaftlicher Innovationen seiner Zeit, auch und gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften informiert gewesen sein.[55] Offenbar entschied er sich bewusst für eine streng rechtsdogmatische Herangehensweise, unter Verzicht auf transdisziplinäre Kontextualisierungen oder Methoden. Als „ein Hauptverdienst der Bruns’schen Arbeit“ würdigte jedenfalls Mosler den von Bruns „durch rationale Argumentation und Staatenpraxis“ begründeten Nachweis der Lückenlosigkeit des Völkerrechtsordnung.[56] Bruns vertrat hier – wieder in den Worten Moslers – einen „für die damalige Zeit fortschrittliche[n] Gedanke[n]“.[57] Mit diesem stellte sich Bruns gegen „die zeitgenössischen Verfechter des staatlichen Souveränitätsdogmas“.[58]

Tatsächlich folgt heute die (deutsche) Literatur tendenziell der von Bruns vehement vertretenen und aus dem Ordnungs-Charakter „abgeleiteten“ Ansicht, dass die Staaten jeweils spezielle Handlungsermächtigungen benötigen.[59] Demgegenüber ging der IGH in seinem Kosovo-Gutachten wieder Lotus-mäßig davon aus, dass alles erlaubt sei, was nicht spezifisch vom Völkerrecht verboten ist.[60]

Bruns erwähnte zahlreiche Völkerrechtsthemen, die im Jahr 1929 angelegt wurden und die bis heute von zentraler Bedeutung sind, gar nicht. Das Gewaltverbot kommt nicht vor, obwohl der Briand-Kellog-Pakt 1929 in Kraft trat. Das humanitäre Völkerrecht wurde nicht genannt, obwohl die Rotkreuzbewegung im Jahr 1929 formalisiert wurde und zwei Genfer Konventionen im selben Jahr unterzeichnet wurden. Menschenrechte waren kein Thema, obwohl Bruns die Vorbereitungen einer “Déclaration des droits internationaux de l‘ homme” kennen musste, die am 12. Oktober 1929 vom Institut de Droit International verabschiedet wurde.[61]

Auch der Völkerbund kam bei Bruns praktisch nicht vor, außer im Kontext langatmiger Erörterungen zur domaine réservé. Dementsprechend fehlt bei Bruns jegliche Reflexion zur möglicherweise neuartigen Qualität dieser Organisation und ihrer Arbeit.[63] Da Bruns also den Genfer Geist[64] gar nicht mit trug, trifft ihn der spätere Vorwurf des naiven Idealismus nicht.[65] Insgesamt dürfte Bruns bleibendes Verdienst die von ihm angeregte und angeleitete Sammeltätigkeit und damit verbundene Rechtssystematisierungsleistung des Instituts sein.

b) Hermann Mosler

Hermann Mosler 1975 (Foto: MPIL)

Mosler war aus meiner Sicht innovativer und visionärer. Er hat die „Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte“ frühzeitig erkannt und rechtsdogmatisch eingeordnet.[66] Mit seiner allgemeinen Haager Vorlesung zu diesem Thema[67] erreichte er auch ein internationales Publikum.

Mosler qualifizierte das Selbstbestimmungsrecht progressiv als „peremptory norm“.[68] Dies könnte damit zusammenhängen, dass dieses Recht in der völkerrechtlichen Diskussion zum Status der der Bundesrepublik Deutschland und für die „Deutsche Frage“ zentral war. Der IGH konnte sich zur Qualifikation des Selbstbestimmungsrechts als Ius cogens (bei Fremdbesetzung) erst 48 Jahre später in seinem Gutachten zu Palästina durchringen.

Demgegenüber sprach Mosler den Resolutionen der UN-Generalversammlung keine völkerrechtserzeugende Kraft zu. Eher sah er „die bisher nicht vermiedene Gefahr, daß durch politisch motivierte Mehrheitskombinationen ein nicht repräsentatives Bild der Rechtsüberzeugung vermittelt wird“.[70] Damit blieb er wesentlich zurückhaltender als (von ihm nicht zitierte) Kollegen, die diesen Resolutionen bereits Jahre zuvor eine erhebliche normative Relevanz beigemessen hatten.[71]

Schliesslich war Mosler meilenweit von einer postkolonialen Weltsicht entfernt, die Kollegen aus dem globalen Süden damals vertraten. Der letztlich gescheiterte Versuch des globalen Südens, eine neue Weltwirtschaftsordnung (NIEO) durchzusetzen, ging an Mosler – jedenfalls ausweislich seiner hier untersuchten Programmschrift – fast völlig vorbei: Mosler erwähnte nicht die einschlägigen Generalversammlungsresolutionen,[72] sondern lediglich die Charta über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten als „das bekannteste Beispiel“ der aktuellen Generalversammlungsresolutionen, welche „Tendenzen zur Weiterentwicklung des Völkerrechts zum Ausdruck (…) bringen“.[73] So überrascht es kaum, dass Mosler jegliche Kritik an einer “neoliberalen“ Völkerrechtsordnung fremd blieb, die bereits von französischen Kollegen formuliert worden war.[74]

Mohammed Bedjaoui und Georg Ress 1972 auf dem Institutskolloquium “Judicial Settlement” (Foto: MPIL)

Mosler äußerte Vorbehalte gegenüber den neuen Staaten des globalen Südens, den „Territorialverbänden mit ungesicherter eigener Lebensfähigkeit“,[75] die „das Bild der überkommenen Staatengemeinschaft“ „stören“.[76] Anti-kolonialistische Völkerrechtler waren zu dieser Zeit als Gastforscher am MPIL präsent. Vielleicht bereitete Mohamed Bedjaoui hier sogar seine Haager Vorlesung vor, in der er die bestehende Völkerrechtsordnung als eurozentrisch, neokolonial, imperialistisch und oligarchisch kritisierte.[77] Diese Kritik hielt Mosler offenbar nicht für erwähnenswert.

Die Befassung der Völkerrechtswissenschaft des neuen Millenniums mit dem Kolonialismus, die These seiner konstitutiven Bedeutung für das Völkerrecht als Rechtsordnung, die Bewältigung und Kritik der kolonialen Kontinuitäten in den Third-World Approaches to International Law (TWAIL), die Renaissance der Ideen der NIEO und das Aufkommen von Reparationsforderungen wegen Sklaverei und Kolonialismus – all dies konnte Mosler nicht vorhersehen. Der Eurozentrismus der Direktoren und der von ihnen geleiteten Institute entsprach dem damals und bis heute herrschenden Wissenschaftsstil.

6. Völkerrecht als Rechtsordnung 2024

Ist – über die eben geschilderten Einzelerträge hinaus – Bruns‘ und Moslers völkerrechtswissenschaftlicher Zugriff heute noch zeitgemäß? Oder ist die Frage nach dem Völkerrecht als Rechtsordnung obsolet?

a) Weltordnung im Umbruch

Seit Moslers Zeiten sind gut fünfzig Staaten und 4 Milliarden Menschen zur Völkerrechtsordnung hinzugestoßen, die den legitimen Anspruch der Mitgestaltung und der stärkeren Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, Interessen und Werte erheben. Hinzukommen tausende internationale Organisationen, zivilgesellschaftliche Akteure und transnationale Unternehmen sowie kriminelle und terroristische Netzwerke. Im Jahr 2024 liegt das politische Programm der von China und Russland angeführten anti-liberalen Allianz einer „Neuen Weltordnung“ offen zutage.[78] Dieses Programm jener Akteure, die vom Völkerrechts-taker zum Völkerrechts-shaper mutierten, zielt auf Ordnung ab, und zwar auf eine neue.

Ist parallel hierzu eine völkerrechtswissenschaftliche Suche nach Ordnung überhaupt sinnvoll? Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Legitimitätsverlustes der geltenden Völkerrechtsordnung, der in veränderten Ideen, Interessen und Machtkonstellationen begründet liegt. Die Schlagworte der „post-westlichen“, „post-liberalen“ und post-Amerikanischen Ordnung kennzeichnen diese ideellen und materiellen Verschiebungen.[79]

b) Bruns und Mosler als praxisbegleitende und praxisermöglichende Völkerrechtswissenschaftler

In diesem Kontext des tiefgreifenden Umbruchs und der Neuorientierung besteht ein großer Bedarf an kritischen (irritierenden) völkerrechtswissenschaftlichen Untersuchungen, vielleicht mehr als an konformistischen (ermöglichenden) Beiträgen.[80] Demgegenüber weisen die Charakteristika der wissenschaftlichen Betrachtung von Bruns und Mosler auf eine Neigung zur zweitgenannten, konformistischen, praxis-begleitenden und -ermöglichenden Form von Völkerrechtswissenschaft hin: Erstens muss nach Bruns und Mosler „systemkonform“ argumentiert werden. Die argumentativen Bemühungen um die Geordnetheit des Völkerrechts sind rechts-„interne“ Betrachtungen. Sie nahmen bei Bruns die Form des „Nachweises“ der Lückenlosigkeit und des Aufzeigens („notwendiger“) allgemeiner Rechtsgrundsätze an.[81] Mosler verfolgte dasselbe Ziel mit Verweisen auf „Verfassungselemente“, auf zwingendes Völkerrecht[82] und mit einer dogmatischen Fundierung der Völkerrechtspersönlichkeit.[83] Bruns und Mosler sahen also als Aufgabe der Völkerrechtswissenschaftler*innen, die juristische innere Ordnung, die Rechtssystematik, durch Auslegung (Erklärung der Bedeutung des Normgehalts), durch Freilegung der den Einzelnormen zugrunde liegenden Rechtsprinzipien, durch das Aufzeigen „logischer“ Widersprüche, durch Lückenfüllung, also mit Hilfe des gesamten dogmatischen Werkzeugkastens, offenzulegen, zu bewahren und zu erhalten und dadurch jedenfalls ansatzweise erst herzustellen. Das zweite Charakteristikum ist Bruns‘ und Moslers‘ deutliche Anwendungsorientiertheit.

Beide Charakteristika, die wissenschaftliche Wahrung bzw. Herstellung von „Ordnung“ und „System“ und die Praxisorientierung scheinen ─ auf den ersten Blick ─ die Formulierung von Kritik (also die erstgenannte Dimension von Völkerrechtswissenschaft) zu erschweren. Zurecht bemängelt Sué González Hauck: „Die Vorstellungen von System, Ordnung und Kohärenz trugen wesentlich dazu bei, die Versuche der Dritten Welt, das Völkerrecht neu zu gestalten, als politisch zu kennzeichnen und ihnen vorgeblich neutrale und juristische Argumente entgegenzusetzen, die zufällig die westliche Dominanz bewahrten“.[84]

Die monierte konservierende und status-quo Privilegien-sichernde Tendenz des völkerrechtswissenschaftlichen Zugriffs im Stil von Bruns und Mosler kann mit einigen methodischen Ergänzungen abgemildert werden. Mit diesen Ergänzungen kann das Programm die aktuellen Bedürfnisse nach einer wirksamen, konstruktiven und sogar transformativen wissenschaftlichen Völkerrechtskritik befriedigen, wie sogleich darzulegen ist.

c) Überwindung und Vermittlung: Ordnung des Rechts als Bedingung der Möglichkeit wirksamer Rechtskritik

Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass jegliche Kritik am Völkerrecht (also etwa eine realistische, die konstitutionalistische, die postkoloniale, die marxistische, die ökologische oder neomaterialistische) zunächst von aussen an dieses Recht herangetragen wird. Die Verantwortung der Völkerrechtswissenschaft liegt darin, das Völkerrecht nicht zum bloßen „Spielball“ von Kritikbewegungen werden zu lassen. Es ist Aufgabe der Wissenschaftler*innen, Kritik so zu formulieren, dass sie „Transformationen aus dem Inneren des Rechts heraus anstößt, um den Widerspruch der rechtlichen Ordnung zu den Erfordernissen [globaler] sozial-ökonomischer Gerechtigkeit zu benennen und die Gewalt des Rechts hierdurch abzumildern“.[85]

An dieser Stelle kann die (von Bruns und Mosler geforderte) wissenschaftliche Herstellung von Rechtsordnung sinnvoll eine externe mit einer internen Kritik verbinden und damit die gegenwärtig notwendige Völkerrechtskritik schlagkräftig machen. Eine solche Verbindung (Vermittlung oder „Dialektik“) ist leistungsstärker als eine rein externe oder eine rein interne Rechtskritik. Eine rein externe Kritik am Völkerecht kann keine rechtsändernde Wirkung entfalten, weil sie das Recht gar nicht erreicht, wenn sie nicht in juristische Argumente überführt wird. Ausserdem sind extern gesetzte Maßstäbe letztlich austauschbar und erscheinen willkürlich. Eine rein interne Kritik wiederum hat keinen Biss, weil sie ihrerseits gesellschaftlich und historisch kontingent ist, innerhalb eines unhinterfragten Wertehorizonts verharrt („blinde Flecken“ hat) und tendenziell konservierende Züge aufweist. Am wirksamsten ist die Rechtskritik also, wenn sie zugleich intern und extern argumentiert.[86]

Ein rechts-interner wissenschaftlicher Zugriff auf das Völkerrecht verbindet mit geordnetem Recht die Erwartung einer tatsächlichen „Ordnung“ der Welt. Zwar ist umstritten, ob und wieviel Völkerrecht überhaupt zur Stabilisierung und Befriedung der internationalen Beziehungen beiträgt. Generationen politikwissenschaftlicher Vertreter einer „realistischen“, also primär machtpolitisch orientierten, Betrachtungsweise der internationalen Beziehungen bezweifeln dies.[87] Dem gegenüber stand und steht die „Frieden durch Recht“-Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts aufkam und die Haager Friedenskonferenzen, die Gründung der Haager Akademie für Völkerrecht und den Völkerbund trug.[88] Die Bemühungen um geordnetes und dadurch ordnendes Recht sind alles andere als passé. Sie kehren wieder in der Fragmentierungsdebatte des frühen Millenniums und in der aktuellen Abarbeitung aller (traditionellen) Rechtsquellen in der International Law Commission (ILC). Insbesondere die Suche nach allgemeinen Prinzipien ist ein Evergreen: Die Draft conclusions der ILC zu general principles (2024) weisen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausdrücklich die Funktion der Erzeugung von Kohärenz des Rechts zu.[89]

Hiergegen ist der extern-kritische Einwand zu erheben: Eine derartige „Ordnung“ des Völkerrechts im Sinne der genannten Kohärenz bietet keine Garantie für die Fairness dieser Ordnung. Im Gegenteil, könnte man sagen: Die Wahrung des status quo dient den privilegierten Mitgliedern der „Rechtsgemeinschaft“– und dies sind aktuell, vereinfachend gesagt, die Staaten des Globalen Nordens und die Großmächte.[90]

Auf diese berechtigte externe Kritik versuche ich mit einer Vermittlung der externen und der internen Betrachtungsweise zu antworten: Erstens nützt Stabilität auch den kleinen, armen und schwachen Staaten (zumindest) insofern, als sie das nach historischer Erfahrung mit Umbrüchen oft einhergehende Chaos, Gewalt und Leid vermeiden. Deshalb stellt beispielsweise der Uti possidetis-Grundsatz eine Rechtsvermutung für die Unverrückbarkeit von Staatsgrenzen auf, egal wie willkürlich und gewaltsam diese zustande gekommen sind.[91]

Zweitens dürfte die Ordnung des Rechts vor allem wichtig sein für eine gewisse Form von Legitimität, die sich aus Schlüssigkeit (Widerspruchsfreiheit, auch in Bezug auf Wertungen) speist. Eine solche, eher formale Fairness kann unter Umständen die Akzeptanz durch die Rechtsadressaten erhöhen, und dies kann dann wiederum zur besseren compliance und damit zur Wirksamkeit des Rechts beitragen. Trotz der ihr innewohnenden konservativen Tendenz ist also der tiefere Grund der Suche nach Rechtsordnung, dass Inkohärenz im Recht einem Grundpostulat der Gerechtigkeit zuwiderläuft, wobei Gerechtigkeit – in Moslers Worten – “mit dem Begriff der Rechtsordnung notwendigerweise verbunden ist“.[92] Genau deshalb muss der aktuelle Vorwurf der „double standards“ ernst genommen werden. Dieser betrifft zwar in erster Linie die Rechtsanwendung, aber auch die Rechtserzeugung und -auslegung, an der die Völkerrechtswissenschaft besonders beteiligt ist. Wenn im Völkerrechtsprozess tatsächlich immer wieder mit zweierlei Maß zulasten der schwachen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft gemessen wird, wird die Völkerrechtsordnung insgesamt unglaubwürdig und ungerecht. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, den von Kritikern erhobenen Vorwurf der selektiven Völkerrechtsdurchsetzung durch westliche Staaten genau zu prüfen, die Situationen zu vergleichen und ggf. zu unterscheiden. Nur so kann ermittelt werden, wann der Vorwurf gerechtfertigt ist und wann er zwar opportunistisch und strategisch erhoben wird, aber letztlich unbegründet ist.[93] Die Suche nach dem „System“ kann hier also eine kritische Funktion erfüllen.

Auch die Praxisorientierung, die Bruns und Mosler (aus jeweils unterschiedlichen Motiven) verfolgten, kann zeitgemäß eingesetzt werden. Denn nicht nur eine genaue Kenntnis des positiven Rechts, sondern weitergehend eine Kenntnis der Rechtspraxis ist eine Vorbedingung von wirksamer Rechtskritik. Mit ähnlichen Erwägungen hat kürzlich Naz Khatoon Modirzadeh die Praxisferne der im Entlarvungs-Gestus verharrenden Third World Approaches kritisiert. Modirzadeh fordert eine konkrete Mitwirkung von TWAIL-Juristen in der internationalen Rechtspraxis, um tatsächlich zum Umbau des Völkerrechts im Interesse der Bevölkerung des globalen Südens beizutragen.[94]

Mit der eben beschriebenen Stärkung einer extern-kritischen Perspektive kann das wissenschaftliche Programm von „Völkerrecht als Rechtsordnung“ fit gemacht werden für 2024, ohne den Anwendungsbezug und die dogmatisch-interne Perspektive aufgeben zu müssen. Und wenn das Leben auf unserem Planeten nicht vorher sein Ende findet, bleibt die Ordnung des Rechts als Beitrag zur Ordnung durch Recht eine Aufgabe des MPIL für die nächsten 100 Jahre.

***

[1] Viktor Bruns, ‘Völkerrecht als Rechtsordnung I’, ZaöRV 1 (1929) 1-56 (8).

[2] Viktor Bruns, ‘Völkerrecht als Rechtsordnung II’, ZaöRV 3 (1933) 445-487.

[3] Hermann Mosler, ‘Völkerrecht als Rechtsordnung’, ZaöRV 36 (1976), 6-49 (7-8).

[4] George H.W. Bush, ‘Address Before a Joint Session of Congress on the Persian Gulf Crisis and the Federal Budget Deficit’, 11 September 1990, in: Public Papers of the Presidents of the United States: George H. W. Bush (1990, Book II), 1218-1222.

[5] Bruns 1929 (Fn. 1), 2.

[6] Bruns 1929 (Fn. 1), 2.

[7] Bruns 1929 (Fn. 1), 1.

[8] Bruns 1929 (Fn. 1), 10.

[9] Bruns 1929 (Fn. 1), 10.

[10] Bruns 1929 (Fn. 1), 26.

[11] Mosler 1976 (Fn. 3), 28.

[12] Bruns 1929 (Fn. 1), 54.

[13] Bruns 1929 (Fn. 1), 11, 22, 33 und passim.

[14] Bruns 1929 (Fn. 1), 8.

[15] Mosler 1976 (Fn. 3), 29.

[16] Mosler 1976 (Fn. 3),  28.

[17] Mosler 1976 (Fn. 3), 17, auch 19 u 23.

[18] Mosler 1976 (Fn. 3), 28.

[19] Mosler 1976 (Fn. 3), 23.

[20] Mosler 1976 (Fn. 3), 18.

[21] Mosler 1976 (Fn. 3), 23.

[22] Mosler 1976 (Fn. 3), 17.

[23] Mosler 1976 (Fn. 3), 19.

[24] Mosler 1976 (Fn. 3), 27.

[25] Mosler 1976 (Fn. 3), 29.

[26] Mosler 1976 (Fn. 3), 31.

[27] Mosler 1976 (Fn. 3), 31.

[28] Mosler 1976 (Fn. 3), 8.

[29] Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption: Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945 (Springer 2017), 204 (Hervorhebung durch die Verf.).

[30] Hermann Mosler, Rückblick und Ausblick anläßlich des Eintritts von Karl Doehring und Jochen A. Frowein in die Institutsleitung und nach der Emeritierung von Hermann Mosler vom 27.2.1981, 36 ff., unveröffentlicht, zitiert in Lange (Fn. 29), 204.

[31] Susan Pedersen, ‘Back to the League of Nations’, The American Historical Review 112 (2007), 1091‑1117.

[32] Agatha Verdebout, Rewriting Histories of the Use of Force: The Narrative of ‘Indifference’ (CUP 2021).

[33] Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment (UN Doc. A/CONF. 48/14/Rev. 1 of 16 Sept. 1972).

[34] Bruns 1929 (Fn. 1), 1 und passim.

[35] Mosler 1976 (Fn. 3), 24.

[36] Mosler 1976 (Fn. 3), 17.

[37] Mosler 1976 (Fn. 3), 23.

[38] Mosler 1976 (Fn. 3), 30.

[39] Mosler 1976 (Fn. 3), 31.

[40] Bruns 1929 (Fn. 1), 2, auch 31.

[41] Das Thema der „Geschlossenheit“ der Völkerrechtsordnung war vor dem Hintergrund der proliferierenden Schiedssrechtsprechung extrem praxisrelevant. Die Frage war u.a., ob die Schiedsgerichte mittels der Anwendung allgemeiner Prinzipien vorhanden „Lücken“ im positiven Recht schließen durften. Das grundlegende Werk hierzu, das vor Bruns‘ Aufsatz erschienen war, war Hersch Lauterpacht, Private Law Analogues (Longmans 1927 (reprint 1970)), 302, 305.

[42] Mosler 1976 (Fn. 3), 40.

[43] Bruns 1929 (Fn. 1), 9-11.

[44] Mosler 1976 (Fn. 3), 38 (Hervorhebung durch die Verf.).

[45] Bruns 1929 (Fn. 1), 12, 13, 22, 33, 54; Mosler 1976 (Fn. 3), 40-41.

[46] Bruns 1929 (Fn. 1), 7.

[47] Mosler 1976 (Fn. 3), 31, 32, 35.

[48] Mosler 1976 (Fn. 3), 47.

[49] Mosler 1976 (Fn. 3), 31.

[50] Mosler 1976 (Fn. 3), 14.

[51] Bruns 1929 (Fn. 1), Vorwort 1929, IV.

[52] Bruns 1927, Archiv MPIL, bei Philipp Glahé.

[53] Mosler, Rückblick und Ausblick (Fn. 30).

[54] Für die EU: Gemeinsamer Standpunkt 2003/651/GASP v. 12. September 2003, ABl. 2003, L 229, S. 42; Beschluss 2003/646/EG v. 12. Sept. 2023, ABl. 2003, L 229, S. 22.

[55] Ich danke Alexandra Kemmerer für diesen Hinweis.

[56] Mosler 1976 (Fn. 3), 12-13.

[57] Mosler 1976 (Fn. 3), 12.

[58] Mosler 1976 (Fn. 3), 13.

[59] Ulrich Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (Duncker und Humblot 1991), 245.

[60] IGH, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, Gutachten v. 22. Juli 2010, ICJ Reports 2010, 403 ff (Rn. 56).

[61] Annuaire IDI 35 (1929), 298-300.

[62] vgl. Art. 15 Abs. 8 Völkerbundsatzung v. 28 Juni 1919 (108 LNTS 188); Bruns 1929 (Fn. 1), 40-50.

[63] vgl. demgegenüber Paul Guggenheim, Der Völkerbund: Systematische Darstellung seiner Gestaltung in der politischen und rechtlichen Wirklichkeit (B. G. Teubner 1932), 273-274 zur neuen „Völkerbundsmethode“.

[64] Joseph Kunz, ‘The Swing of the Pendulum: from Overestimation to Underestimation of International Law’ AJIL 44 (1950), 135-140 (136-37); s. auch Robert de Traz, L’esprit de Genève (Bernard Grasset 1929).

[65] Edward H. Carr, The Twenty Years‘ Crisis, 1919-1939: An Introduction to the Study of International Relations (2. Aufl., MacMillan 2001 (orig. 1946)), 29-31; Wilhelm Grewe, der sein Hauptwerk mit Hilfe der Bibliothek des Kaiser Wilhelm Instituts verfasst hatte, geißelte die „normativistische Hypertrophie dieses Völkerrechts“ der Zwischenkriegszeit, die im Strudel des zweiten Weltkriegs versank (Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (2. Aufl., Nomos 1988), 717.

[66] Hermann Mosler, ‘Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte’, ZaöRV 22 (1962), 1-48.

[67] Hermann Mosler, ‘The international society as a legal community’, in: The Hague Academy of International Law Collected Courses/Recueil des Cours Volume 140 (III/1973), 1-320.

[68] Mosler 1976 (Fn. 3), 37.

[69] IGH, Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem, Gutachten v. 19. Juli 2024, Rn. 233, für den Kontext der Besatzung. https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-adv-01-00-en.pdf

[70] Mosler 1976 (Fn. 3), 36.

[71] Rosalyn Higgins, The Development of International Law through the Political Organs of the United Nations (Oxford University Press 1963); Richard Falk, The Status of Law in International Society (Princeton UP 1970), 177: “from consent to consensus”.

[72] UN, GV Resolution 3201 (S-VI), 1. Mai 1974: Declaration on the Establishment of a New International Economic Order, sowie UN, GV Resolution 3202 (S-VI), 1 Mai 1974: Programme of Action.

[73] Mosler 1976 (Fn. 3), 23 zu UN, GV Resolution 3281, 12. Dezember 1974.

[74] Dominique Carreau et al, ‘Chronique du droit international économique‘, Annuaire Français de droit international 21 (1975), 648-700 (648-50).

[75] Mosler 1976 (Fn. 3), 23.

[76] Mosler 1976 (Fn. 3), 19.

[77] Mohammed Bedjaoui, ‘Non-alignment et droit international‘, Collected Courses of the Hague Academy of International Law 151 (1976), 337-456 (378-384 und passim).

[78] Zheping Huang, ‘Chinese President Xi Jin Ping has vowed to lead the “new world order”’, QUARTZ, 22 February 2017. https://qz.com/916382/chinese-president-xi-jinping-has-vowed-to-lead-the-new-world-order,  zuletzt besucht 16. September 2024. Siehe auch: Joint Statement by the Foreign Ministers of China and Russia on Certain Aspects of Global Governance in Modern Conditions of 23 March 2021, https://www.mid.ru/ru/foreign_policy/news/1418041/?lang=en; Joint Statement of the Russian Federation and the People’s Republic of China on the International Relations Entering a New Era and the Global Sustainable Development of 4 February 2022, http://www.en.kremlin.ru/supplement/5770; Joint statement between the People’s Republic of China and the Russian Federation on deepening the comprehensive strategic partnership of coordination for a new era on the occasion of the 75th anniversary of the establishment of diplomatic relations between the two countries of 16 May 2024, https://www.chinanews.com.cn/gn/2024/05-16/10217948.shtml (auf Chinesisch), http://kremlin.ru/supplement/6132 (auf Russisch).

[79] Oliver Stuenkel, Post-Western World: How Emerging Powers are Remaking Global Order (CUP 2016); G. John Ikenberry, ‘The End of Liberal International Order?’, International Affairs 94 (2018), 7-23; Alexander Cooley and Daniel Nexon, Exit from Hegemony: the Unraveling of the American Global Order (OUP 2020).

[80] Diese Dichotomie ist natürlich eine starke Vereinfachung. Viele rechtswissenschaftliche Beiträge weisen beide Dimensionen auf. Auch besagt meine Zuspitzung keinesfalls, dass aktuell kein Bedarf an praxisbegleitender Wissenschaft besteht.

[81] Bruns 1929 (Fn. 1), 27 und passim.

[82] Mosler 1976 (Fn. 3), 31 und passim.

[83] Mosler 1976 (Fn. 3), 21-23.

[84] Sué Gonzáles Hauck, ‘Systemerhaltung durch Systematisierung: Lehrbücher, allgemeine Kurse und Kodifikationen im Völkerrecht als politische Projekte’, Archiv des Völkerrechts 62 (2024), 3-29 (26). Ich folge dieser Beobachtung darin, dass Völkerrechtswissenschaft nicht vorgeben sollte, „neutral“ oder „unpolitisch“ zu sein, zumal sie es an vielen Stellen gar nicht sein kann.

[85] Andreas Fischer-Lescano, ’Verteilungsfragen im Weltgesundheitssystem’ in: Anne Peters, Eva-Maria Kieninger, Stephan Hobe (Hrsg.), Koloniale Kontinuitäten im internationalen Recht: Berichte der DGIR 52 (CF Müller 2024), 177-213 (209), in Anlehnung an Rahel Jaeggi, Kritik von Lebensformen (Suhrkamp 2014), 60.

[86] Zur Notwendigkeit einer Verbindung von rein interner (immanenter) und externer (transzendenter) Rechtskritik Tatjana Sheplyakova, ‘Prozeduralität des Rechts: Zu den Bedingungen immanenter Rechtskritik’, Kritische Justiz 54 (2021), 155-164 (155-56); Janne Mende, Der Universalismus der Menschenrechte UTB 2021), 186-193.

[87] Jack Goldsmith and Eric A. Posner, The Limits of International Law Fifteen Years Later, Chicago Journal of International Law 22 (2021), 112-127; Carlo Masala, Weltunordnung (3. Aufl., Beck 2022).

[88] Siehe nur aus der Präambel der Satzung des Völkerbundes vom 19. Juni 1922: „In order to (…) achieve international peace (…) by the firm establishment of the understandings of international law as the actual rule of conduct among Governments (…)”. Aus der Literatur Marcus M. Payk, Frieden durch Recht?: Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg (De Gruyter Oldenbourg 2018); Sarah Jäger und Wolfgang S. Heinz (Hrsg.), Frieden durch Recht – Rechtstraditionen und Verortungen (Springer VS 2020).

[89] ILC, ‘General principles of law, Draft conclusions’, ILC 74th Session, UN Doc. A/CN.4/L.982, 12 May 2023 (adopted on first reading); ‘Report on the work of the seventy-fourth session’, ILC 74th Session, UN Doc. A/78/10, 2023, Rn. 30-41, Conclusion 10 Abs. 2: “General principles of law contribute to the coherence of the international legal system.”

[90] Siehe Fn. 84.

[91] Anne Peters, ‘The Principle of “Uti Possidetis Juris”: How Relevant is it for Issues of Secession? ’ in: Christian Walter, Antje von Ungern-Sternberg, und Kavus Abushov (Hrsg.), Self-Determination and Secession in International Law (OUP 2014), 95-137.

[92] Mosler 1976 (Fn. 3), 32.

[93] Anne Peters, ‘The Russian Invasion of Ukraine: An Anti-Constitutional Moment in International Law?’ Posnan Journal of Law, Economics, and Sociology/Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny 86 (2024), 5-36 (23-27).

[94] Naz Khatoon Modirzadeh, ‘“Let Us All Agree to Die a Little”: TWAIL’s Unfulfilled Promise’, Harvard International Law Journal 65 (2023), 79-131 (126, 131).

Auf der Suche nach einer *lustvollen* Bibliothek – Vom Aufleuchten und Verglimmen des Raumkonzepts der Institutsbibliothek

„Wenn also die Bibliothek, wie es Borges will, ein Modell des Universums ist,[1] so sollten wir versuchen, sie in ein dem Menschen gemäßes Universum zu verwandeln, und dem Menschen gemäß, ich wiederhole es, heißt auch fröhlich, auch mit der Möglichkeit, einen Kaffee zu trinken, auch mit der Möglichkeit, daß Studentenpärchen einen Nachmittag lang auf dem Sofa sitzen können, nicht um sich dort abzuknutschen, sondern um einen Teil ihres Flirts zwischen Büchern auszuleben, Büchern von wissenschaftlichem Interesse, die sie sich aus den Regalen holen und wieder zurückstellen. Mit einem Wort: eine lustvolle Bibliothek…“

Umberto Eco, Die Bibliothek (1987)

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte einer Institution lädt auch dazu ein, sich mit den Räumen zu befassen, in denen sie gewirkt hat. [2] Wissenschaftliche Arbeit wird von einem Gebäude schließlich nicht nur beherbergt, sondern auch in sich strukturiert[3] und sozialisiert.

Besonders bei geisteswissenschaftlichen Institutionen nehmen dabei die Bibliotheksräume eine besondere Rolle ein. Die Arbeit mit den Büchern ist Grundvoraussetzung und bezeugt die Verbundenheit in der Sache und die Lust an der Sache über die Zeiten hinweg. Aus diesem Grund widmet sich mein Beitrag eben diesen Räumen des heutigen Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) im Spiegel seiner hundertjährigen Geschichte.

Die zentrale Bedeutung der Bibliothek für die Arbeit des Instituts war schon immer offenkundig. So war eine umfangreiche Bibliothek von Beginn an Kernbestandteil und Kernanliegen des Instituts und Voraussetzung für seine Arbeitsausrichtung und sein wissenschaftliches Selbstverständnis.[4] Heute zählt die Bibliothek über 700.000 Bände und ist seit den 1970ern einer der Hauptgründe für den regen Besuch von Gastwissenschaftlerinnen, die in ihr bis heute einen einzigartigen Quellenreichtum vorfinden.[5] Dieser Bestand sowie die ausgezeichnete Arbeit der Bibliothekarinnen tragen mit Sicherheit großen Anteil an dem wissenschaftlich bedeutenden Output der letzten einhundert Jahre.

Wir wissen inzwischen aber auch, dass Bibliotheken viel mehr sind als Sammlungen.[6] Sie sind soziale Räume. Umberto Eco unterstreicht dies in seinem Essay „Die Bibliothek“, in dem er immer wieder betont, dass Bibliotheken zum Hauptziel haben sollten, wissenschaftliches Leben[7] zu ermöglichen. Und das ist nicht bloß in einem romantisierenden Sinne zu verstehen. Die Raumsoziologie hat deutlich gemacht, dass materielle Räume und soziale Praktiken sich gegenseitig konstituieren.[8] Dies bedeutet, dass die Arbeitsweise und inhaltliche Ausrichtung der bibliotheksnutzenden Wissenschaftlerinnen im wechselseitigen Verhältnis zur Struktur und Architektur der Bibliothek stehen. Die architektonische Konzeption der Bibliothek und ihre Strukturierung übt so einen Einfluss auf die Arbeit der Wissenschaftlerinnen aus und konditioniert diese sozial. Dieses letzte Element ist, was Eco mit „leben“ in der Bibliothek meint.

Bibliotheken schaffen soziale Räume gemeinsamen Forschens. In ihnen wird der Austausch neben und schon vor der Arbeit grundgelegt. Der Gewinn solcher Räume zeigt sich auch in den Rechtswissenschaften, denn in der Aktualität der andauernden Entwicklungen wächst die Notwendigkeit des in den Räumen der Bibliothek ermöglichten Austauschs. Daran ändert auch der uralte Widerstreit der wissenschaftlichen Temperamente nichts: des einsamen Glücks der einen im ungestörten Büro und der Lust der anderen an der gemeinsamen Arbeit zwischen Büchern, der second thoughts beim Kaffee, dem Gang durch die Bücherkorridore, des Schmökerns durch relevante (oder weniger relevante) Regalabschnitte. In einer perfekten Bibliothek braucht er nicht entschieden zu werden, denn der Profit des einen am anderen liegt auf der Hand.

Kurzum, kaum andere Räume sind so konstitutiv und indikativ für eine wissenschaftliche Kultur, für ihre rituellen Gewohnheiten, wie Bibliotheksräume.[9] Ich meine nicht nur das Phänomen, welches in den Bibliothekswissenschaften unter dem Header „Dritter Ort“ etabliert ist und Bibliotheken als gesellschaftliche Orte begreift.[10]  Grundlegender ist die Bibliothek als Ort der gemeinsamen wissenschaftlichen Praxis. Die geradezu rituelle Bedeutung dieser sozialen Räume für wissenschaftliche Einrichtungen springt ins Auge, wenn man sich Top-Universitäten (Yale, Harvard, Cambridge, Oxford, etc.) und Forschungsreinrichtungen (beispielsweise EUI, Geneva Graduate Institute, Haque Academy of International Law) in ihrem Stolz auf ihre Bibliotheksräume vergegenwärtigt. Sie fungieren nicht nur als Repräsentationsräume des kulturellen und symbolischen Kapitals sondern auch als intellektuelle Lebensräume, als Räume eines wissenschaftlichen Arbeitsethos.[11] Natürlich gibt es beachtliche konzeptionelle Unterschiede und divergierende Bedürfnisse zwischen Universitäts- und Instituts-Bibliotheken. Aber beiden kommt, trotz aller Unterschiede eine soziale Funktion zu.[12]

Die Wahrnehmung der MPIL-Bibliothek vor dem Hintergrund eigener Bibliothekserfahrung(en)

Aus der eigenen Erfahrung kennen wir die Bedeutung dieser sozialen Funktion: Das Arbeiten in Bibliotheken sozialisiert und integriert jede Erstsemesterstudentin nicht weniger in den wissenschaftlichen Betrieb als das Besuchen der ersten Vorlesung/des ersten Seminars. Meine Erfahrungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Kontexte sind maßgeblich von Bibliotheken, ihren Räumen und ihren Riten geprägt. Meine intensivsten Studienerinnerungen sind mit den Räumen verbunden, in denen ich mit anderen zwischen Bücherreihen las, lernte und schrieb: Die Bibliothek der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität, die winzige aber magische Bibliothek der Maison Heinrich Heine in der Cité Universitaire in Paris, die brutalistische Bibliothek des Institute of Advanced Legal Studies am Russel Square in London und die Bobst Library in New York mit ihrer spektakulären Aussicht nach außen und innen. Die Individualität der Orte begleitet und prägt das wissenschaftliche Leben, und zwar jeweils anders, weshalb das Profil dieser Orte unverzichtbar ist. Im Lichte dieser (meiner) Erfahrungen und Eindrücke, darf dieser Beitrag durchaus als Plädoyer für die räumlich gefasste Lust des lesenden Austauschs am MPIL verstanden sein. Diese ist keine Selbstverständlichkeit, sondern etwas wofür man sich einsetzen muss.

Der library desk heute (2024) mit Sandra Berg[13]

Betritt man das Institut heute, so trifft man nach der Rezeption auf den library desk, der, sehr elegant designed die Kurve der dahinter liegenden Rotunde (hierzu gleich mehr) zitiert und die zentrale Anlaufstelle der Bibliothek darstellt.

Das Magazin[14]

 

Die Bibliothek an sich bleibt dem Besucher von dort aus unsichtbar. Der Großteil der Bücher befindet sich in einem eindrucksvollen unterirdischen Magazin.

 

Lesesaal 1. OG[15]

Nur ein kleiner Teil des Buchbestandes ist oberirdisch untergebracht, wo er um den, im Herzen des Gebäudes befindlichen, Lesesaal herum angeordnet ist. Dieser wiederum ist durch eine Glaswand von den Büchern getrennt.  Im fensterlosen, nur mit Oberlichten und Deckenbeleuchtung erhellten, Lesesaal befinden sich die Arbeitsplätze der Gastwissenschaftlerinnen.

In Anbetracht dieser Fensterlosigkeit, wurde 2019 ein weiterer Lesesaal an der Vorderseite des Instituts, nach Süden heraus, eingerichtet. Zusätzlich zum Anliegen der Schaffung eines lichtdurchfluteten Arbeitsraums für Gastwissenschaftlerinnen war zentrale Idee, zur Straße hin transparent zu machen, was am Institut geschieht und wie dort gearbeitet wird. Interessant ist jedoch, dass diesem Blick von außen die Arbeit mit der primären Ressource, nämlich der Bibliothek, unsichtbar bleibt. Der Lesesaal ist nämlich räumlich von der Bibliothek getrennt und enthält nur eine kleine Anzahl von Büchern.

Der Lesesaal Süd, so wie er von außen wahrgenommen werden kann.[16]

Die institutsangehörigen Wissenschaftlerinnen selber haben keine Arbeitsplätze in den Bibliotheksräumen. Sie genießen den Luxus, in separaten Büros arbeiten zu können und verbuchen die für sie relevanten Bücher aus dem Magazin an ihre Arbeitsplätze. Der Zugang zu dem Magazin, ob über- oder unterirdisch, ist den Angehörigen des Instituts und den Bibliothekarinnen vorbehalten. Seit jüngstem ist allerdings aus Gründen der Arbeitssicherheit die Bibliothek am Wochenende auch für Wissenschaftlerinnen des Instituts geschlossen, sowie unter der Woche nach 19:00 Uhr.[17] Gastwissenschaftlerinnen haben hingegen keinen direkten Zugang zu den Büchern, sondern können sich die gewünschten Bände bestellen und heraussuchen lassen.[18]

Das Resultat ist die räumliche Reduzierung der Bibliothek auf ein einfaches Magazin. Als solches bietet sie keine Möglichkeit, zwischen den Büchern an einem Arbeitsplatz zu lesen. Der Bibliotheksraum selbst kann somit keine soziale Funktion erfüllen, ebenso wenig wie der Lesesaal in ihrer Mitte. Sitzt und arbeitet man dort, fühlt man sich nicht nur von den Büchern ferngehalten, sondern auch eher vom Rest des Instituts abgegrenzt als in seinem Herzstück. Unabhängig von den Schätzen, die die Bibliothek bietet, stellt der Lesesaal deswegen für viele Gastwissenschaftlerinnen einen relativ unattraktiven, da wenig einladenden, Arbeitsplatz dar. Für die Wissenschaftlerinnen des Instituts bedeutet dies zugleich den „Rückzug“ in das eigene, ruhige, vertraute, aber eben auch isolierte, behördenähnliche Büro (oder im Sommer in die klimatisierten Seminarräume). Diese Konzeption der Bibliothek als ausschließliche Magazinbibliothek ist keine neue, sondern zieht sich durch die Geschichte des MPIL und seiner Vorgängerinstitution.

Die Bibliotheksräume des Instituts der letzten einhundert Jahre

Die Bibliothek des KWI 1931[20]

Leider wissen wir nur wenig über die Bibliotheksräume des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) im Berliner Schloss. Das wenige Bildmaterial, welches wir auftreiben konnten[19], deutet darauf hin, dass die Anfänge der Bibliothek in den Institutsfluren im Berliner Schloss, von denen die Büros abgingen, untergebracht wurde. Es scheint, als wären die Räume, welche dem Institut nach seiner relativ plötzlichen Gründung zur Verfügung gestellt wurden, nicht für den rasch anwachsenden Bibliotheksbestand ausgelegt gewesen. Es soll zwar auch einen Leseraum im Schloss gegeben haben, den man sich mit dem privatrechtlichen KWI geteilt hat, jedoch konnte kein kohärentes räumliches Bibliotheksgefüge entstehen, welches dem sehr anspruchsvollen Bibliotheksprojekt gerecht werden konnte.[21] Andererseits war die Bibliothek damals durchaus wichtiger Bestandteil des größeren schlossübergreifenden Gefüges, welches zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen mit einem breiten Spektrum an Gemeinschaftsräumen und -einrichtungen umspannte. Damit war die Bibliothek zwar nicht-öffentlich, stand jedoch einem weitgespannten Netzwerk von Juristen zur Verfügung.[22]

Nach der kriegsbedingten Auslagerung der Bibliothek im Herbst 1944, der Zerstörung der Institutsräumlichkeiten im Schloss im Januar 1945 sowie der Vernichtung großer Buchbestände infolge der Kriegshandlungen war die Bibliothek vorübergehend „obdachlos“ geworden.  Ein festes Heim erhielt sie erst wieder 1954 im neuen Institutsgebäude in der Berliner Straße in Heidelberg, nach neun Jahren verschiedener Provisorien. Die Buchbestände waren davor zum Teil weit verstreut. In Heidelberg selbst war ein Teil der Bücher bis 1954 in verschiedenen Gebäuden untergebracht, unter anderem im seinerzeit angemieteten Verbindungshaus der Saxoborussen sowie in Räumlichkeiten am Friedrich-Ebert-Platz, aber auch im Privathaus des Institutsdirektors Carl Bilfinger am Philosophenweg. Ein großer Teil der Bibliothek verblieb noch bis 1960 in der in Dahlem geführten Außenstelle in Berlin.

Das Institutsgebäude 1954. Links der Bücherturm[23]

Das Gebäude in der Berliner Straße war das erste, das eigens für das Institut errichtet wurde und das somit, soweit es die angespannten finanziellen Verhältnisse der Nachkriegszeit erlaubten, auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war.

Ludwig Hasslinger, Fräulein Heckmann und Christine Wickenhäuser 1972 im Bücherturm[24]

Das besondere architektonische Merkmal des Instituts war der „Bücherturm“, der die Institutsbibliothek beherbergte. Mit seiner Errichtung wurde nun endgültig die Idee einer Magazinbibliothek festgeschrieben. Auf den Bau eines Lesesaals verzichtete man. Er schien der Arbeitsweise des Instituts nicht zu entsprechen, arbeiteten die Wissenschaftler des Instituts doch weiterhin, wie schon im Berliner Schloss und entsprechend der konzeptionellen Anlehnung des Instituts an die Länderreferatsstruktur des Auswärtigen Amtes, in Büros. Publikumsverkehr gab es seinerzeit keinen am Institut, der Zuschnitt der, einer zweckorientierter Politikberatung ähnelnden, Forschung und die internen Arbeitsabläufe waren behördenhaft strukturiert.

Das Institutsgebäude in den 1970ern. Rechts im Vordergrund der Bücherturm, links im Hintergrund der 1959 angefügte Gebäudeflügel mit Vortragsraum, der ab den 1970ern auch als Lesesaal für Gäste genutzt wurde[25]

Das Institutsgebäude erwies sich schon früh als zu klein. 1959 wurde ein Veranstaltungsraum errichtet, 1970 wurde das gesamte Gebäude um ein zweites Stockwerk mit Büros erweitert. Erst in den 1970er Jahren scheint das Konzept der strikten Magazinbibliothek des Institutsbaus der Berliner Straße zum ersten Mal mit der Notwendigkeit der Erweiterung ihrer sozialen Funktion konfrontiert geworden zu sein, gab es doch in dem „Bücherturm“, und auch sonst im Institut, keine Arbeitsplätze für Gastwissenschaftler, die nun vermehrt das MPIL besuchten.

Vortragssaal 1964, Kolloquium Staatshaftung[26]

Um diesem Problem zu begegnen, wurde der Veranstaltungsraum notgedrungen auch zum Lesesaal konvertiert, wenn auch auf minimalistische Weise, indem lediglich ein paar Tische hineingestellt wurden. Dieser improvisierte „Lesesaal“ enthielt jedoch selbst keinerlei Bücher und befand sich weit von der Magazinbibliothek entfernt, am anderen Ende des Gebäudes.

Eine Bibliothek als Ort des gemeinsamen Forschens gab es somit im Institut der Berliner Straße nicht, was natürlich nicht heißt, dass die Forschung nicht trotzdem intensiv diskutiert wurde. Der eigentliche Begegnungsraum in dieser Hinsicht war die Referentenbesprechung, welche jedoch ein kuratiertes, exklusives, effizientes Veranstaltungsformat darstellte.

Nur das unweit des Instituts gelegene, in den 1970ern erbaute Max-Planck-Haus bot damals einen Lesesaal als Teil einer Bibliothek, inmitten von Büchern. Nur dort konnte die Bibliothek einen tatsächlich sozialen wissenschaftlichen Raum einnehmen, der über die bloße Bücherbereitstellung hinausging. Ursprünglich wurde dieser Lesesaal von dem MPI für medizinische Forschung genutzt, jedoch nach und nach vom MPIL übernommen und zur Unterbringung von langfristigen Gästen genutzt. Zu beachten ist hierbei, dass das Max-Planck-Haus gute 10 Minuten Fußweg vom Institutsgebäude entfernt war, also räumlich komplett von der Institutsbibliothek getrennt war.

Mit dem Neubau von 1996 im Neuenheimer Feld ist ein grundlegender Paradigmenwechsel versucht worden. Erste Anzeichen hierfür finden sich im frühen Stadium der Planungen des Neubaus in den 1980ern. Im Institut aufgefundene Aktenordner sowie Gespräche mit dem ehemaligen Bibliotheksleiter Joachim Schwietzke (1980-2002) belegen, dass man sich bei der Planung des Neubaus intensiv mit der architektonischen Konzipierung der Institutsbibliothek beschäftigte, sowohl auf Seiten der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen als auch auf Seiten der Bibliothek. Insbesondere wurde hierzu Literatur zu vergleichbaren Bibliotheksprojekten von der Bibliotheksleitung zusammengetragen, beispielsweise zur Zentralbibliothek der Universität Bayreuth, zum Bibliotheksneubau der FU und TU in Berlin, der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, zur Landtagsbibliothek in Hannover, zur Universitätsbibliothek Mannheim oder zum Staatsarchiv Augsburg. Die kurz zuvor entstandenen Bibliotheksneubauten und -konzepte der Schwesterinstitute, dem MPI für Strafrecht in Freiburg und für Rechtsgeschichte in Frankfurt, scheinen hingegen überraschenderweise keine große Rolle gespielt zu haben.

Aus den Unterlagen wird ersichtlich, dass die Bibliotheksräume von den Bibliotheksangestellten auch als Räume mit sozialen Anforderungen begriffen wurden. So finden sich Abhandlungen zu Lesesaalbedürfnissen (wenn auch hauptsächlich in Bezug auf Gäste), Kaffeeküche und sonstigen Aufenthaltsräumen. Dabei wurde nicht nur Wert auf die Beschaffenheit des Magazins gelegt, sondern auch auf die Raumaufteilung insgesamt. So wird schon 1982 festgehalten: „Die Räume der Bibliothek sollten so angeordnet sein, dass die Benutzer und Mitarbeiter der Bibliothek möglichst kurze Wege zurückzulegen haben und die Bücher und die Zeitschriften möglichst wenig bewegt werden.“[27] Aus diesem Zitat wird aber auch klar, dass die Bibliothek weiterhin hauptsächlich als funktionale Magazinbibliothek gedacht wurde und weniger als Ort des gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitens.

1991 wurde erstmals eine fundamental neue Konzeption der Bibliothek an das Institut herangetragen.  Anfang des Jahres hatte das Architekturbüro AS Plan aus Kaiserslautern den Bauwettbewerb um den Neubau des Institutsgebäudes gewonnen, mit einem dezidiert offenen, hellen, Bibliothekskonzept. Auch das Direktorium scheint zu diesem Zeitpunkt von der Bibliothek als „lichtdurchflutetem Kontinuum“ überzeugt gewesen zu sein.

Das Raumkonzept sah vor, dass im Erdgeschoss und im ersten Stock Buchbestände der Bibliothek jeweils in Großräumen aufgestellt werden sollten, in denen auch der Lesesaal und Arbeitsplätze für Wissenschaftlerinnen zwischen den Büchern vorgesehen waren. Weiterhin sahen die Pläne vor, zwei kleine Atrien zwischen erstem und Erdgeschoss, inklusive Deckenlicht für diese Arbeitsplätze, zu schaffen.

Nach außen sollten diese Großräume mit Glaswänden verkleidet werden. Die Büros der Bibliotheksmitarbeiterinnen waren von zwei Seiten um den Glaskubus angeordnet. Die Idee war also, Bibliothek und Wissenschaft architektonisch gegenüberzustellen: Auf der einen Seite der Flügel der Wissenschaft, der sich auf Wunsch des Instituts durch kleinere, introvertierte Büroräume auszeichnen sollte, auf der anderen die Bibliothek als offener Glasbau. Dieser sollte einen lichtdurchfluteten, akademisch-sozialen Raum verkörpern, der durch Regale und Bücher hindurch den Blick ins Grüne freigab und durch Durchbrüche zwischen Erdgeschoß und erstem Stock auch innerhalb des Gebäudes neue vielfältige Perspektiven eröffnete. Rückblickend erscheint dieses Raumkonzept durchaus überzeugend und raffiniert, sah es doch einen großen und hellen, zweistöckigen und durchlässigen Bibliotheksraum mit Arbeitsplätzen zwischen den Bücherregalen vor.

Diese beiden gegenüberliegenden Gebäudeteile waren durch die Rotunde verbunden. Sie stellte das Herz des Instituts dar, zugleich Eingangsbereich, sozialer Kommunikationsraum und Bibliotheksentree. So heißt es in dem Raumkonzept des Architektenbüros: „Die zwischengeschaltete Rotunde ist einerseits Kontrolle (im Erdgeschoss), andererseits Gesamtinformation über die Bibliothek und Drehscheibe im funktionalen Verkehr zwischen beiden Gebäudeteilen.“[30] Hier standen vor allem allgemeine Nachschlagewerke und auch Computer zur Katalogrecherche, was also auch einen inhaltlichen Knotenpunkt und Kommunikationspunkt zwischen Institutsangehörigen, Gästen und Bibliotheksmitarbeiterinnen markierte.

Eingangshalle mit Bibliotheksempfang und Rotunde ca. 2008[31]

Indessen wurde auch schon gegenläufig früh angemerkt:

„Da das Institut erheblichen Publikumsverkehr von Gästen ohne nähere Beziehung zum Institut (und damit ohne Vertrauensbeziehung) aufweist, den auswärtigen Benutzern zuliebe der Lesesaal bis in den Abend hinein geöffnet bleiben sollte, die Bibliothek aber nach 16:00 kaum noch mit Personal besetzt ist, sollten die auswärtigen Gäste im Regelfall von den internen Bibliotheksbereichen ferngehalten werden…. Die im Raumbedarfsplan als „Präsenzbibliothek“ bezeichneten Bereiche sind nicht als echte Benutzerbibliothek mit offenem Zugang der Benutzer zu den Büchern gedacht (wie in modernen Universitätsbibliotheken immer üblicher), sondern als Magazinbereiche mit weniger intensiver Nutzung …“[32]

Gerade auch mit Verweis auf die Bibliothekspraxis in den MPIs in Freiburg und Frankfurt wurde begründet, dass Gästen kein freier Zugang zum Magazin gewährt werden solle und dass die Magazine nach außen hin – aufgrund der Notwendigkeit gleichbleibender Temperatur – abgeschlossen sein sollten.[33] Weiter heißt es an anderer Stelle:

„Leider sind Unehrlichkeit und Diebstahl nicht auszuschließen… Wenn, wie in der jetzt vorliegenden Konzeption aus der Bibliothek ein ‚12-Stunden-Selbstbedienungsladen‘ gemacht wird, werden auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts unter den Folgen zu leiden haben.“ [34]

Aus diesem unglücklich generalisierenden Verdacht heraus entschied man sich, den Lesesaal der Gäste von der übrigen Bibliothek abzugrenzen, tat dies aber auf eine Weise, die der Raumkonzeption an sich noch nicht völlig zuwiderlief, nämlich indem man eine Glaswand zwischen Bibliotheksbestand und Lesesaal errichtete. Der Raum insgesamt wirkte noch in seiner lichtdurchdrungenen Leichtigkeit und Durchlässigkeit (Man entschied sich später gegen die Wendeltreppe, was leider die Verspieltheit des Raumes reduzierte.).

Lesesaal mit Wendeltreppe[35]

Auch wurde an der Rolle der Rotunde nichts geändert. Die Bibliotheksräume empfingen einen somit bereits beim Betreten des Instituts und besaßen so neben ruhigen gemeinsamen Arbeitsplätzen zwischen den Büchern auch einen losgelösteren Vorraum. Kurzum, das Raumkonzept der Bibliothek berücksichtigte eindeutig ihre soziale Funktion über die einer einfachen Magazinbibliothek hinaus.

Die Rotunde ca. 2010[36]

Jedoch regte sich nach und nach Widerstand gegen dieses Bibliothekskonzept, mit der Folge, dass die Bibliotheksräume immer weiter zurückgedrängt wurden. Hierfür wurden insbesondere zwei Argumente angeführt: Zum einen der steigende Bedarf an Büroflächen und zum anderen die Notwendigkeit effizienterer Lüftungssysteme für den Bücherbestand. Das führte zu einer de facto Aufgabe der Bibliotheksräume über ein reines Magazin hinaus. Diese Entwicklung geschah jedoch etappenweise.

Nach und nach wurde so die Fensterfront der Bibliothek mit Büroräumen belegt. Dies erfolgte zu Beginn nur durch durchsichtige Glaswände, später dann mit Milchglaswänden. Auch blieben zunächst Arbeitsplätze der Bibliothek ganz am Eck des gläsernen Bibliothekskubus erhalten. Sie behielten zudem ihr besonders offenes Raumgefühl durch ihren Atriums-Charakter.

Die endgültige Aufgabe dieses Raumkonzepts der Bibliothek erfolgte jedoch im Zuge der großangelegten Umbauten von 2012 bis 2019, deren größtes Ziel die Erweiterung des Instituts um ein Verwaltungsgebäude, sowie die Errichtung zweier neuer, repräsentativer Seminarräume war. Im Zuge dieses Umbaus wurde auch der Eingang des Instituts verlegt, was unweigerlich eine Veränderung der Rolle der Rotunde bedeutete. Früher zugleich Entrée und lebendige Schaltzentrale zwischen Wissenschaft und Bibliothek, verformte der Umbau ihre soziale Funktion erheblich. Das letztendlich umgesetzte Konzept nahm der Rotunde nicht nur ihre Funktion als Eingangsbereich, sondern auch – gewollt oder nicht – einen Großteil ihrer Bibliotheksfunktionen und damit der Bibliothek einen zentralen Raum des sozialen Austauschs. Die verbliebenen Arbeitsflächen und vereinzelten Sitzmöglichkeiten verlieren sich in der leeren Weite des Raums.

Diskursive Intimität. Schaffung sozialer Räume abseits der Bibliothek

Wie im Institutsgebäude in der Berliner Straße wurden also Seminarräume als hauptsächliche Orte des wissenschaftlichen Austauschs begriffen und als geistige Gemeinschaftsräume konzipiert – nicht auch die Bibliothek.

Im Zuge dieser Umbauten wurde auch die innovative Konzeption der Bibliothek selbst endgültig aufgegeben. Zur besseren Temperaturkontrolle und mit Rücksicht auf die Energiekosten wurde schließlich eine massive Wand zwischen Bibliotheksräumen und den Büros an der Fensterfront im Erdgeschoss und im ersten Stock eingezogen. Damit war die Idee des lichtdurchfluteten, offenen Bibliothekraums endgültig dahin. Die Bibliothek und der Lesesaal erhalten nunmehr natürliches Licht nur über Deckenfenster. Auch die Glaswand zwischen Bibliothek und Lesesaal wird dadurch spürbarer, lauert die Bibliothek doch oft in unangenehmer Dunkelheit hinter der Glaswand.

Führt man sich diese Entwicklung vor Augen, wird klar, dass, so zentral die Bibliothek als Sammlung und als Ressource für das Selbstverständnis des Instituts war und ist, ihre räumliche Einbeziehung in den wissenschaftlichen Habitus trotz eines entsprechenden Neubaus immer prekär war. So unausgegoren das Bibliothekskonzept des neuen Gebäudes hinsichtlich der Berücksichtigung des Bürobedarfs und der Energieeffizienz gewesen sein mag, so innovativ und produktiv war es in der Sache, und so überraschend ist deshalb, dass der ursprünglich innovativste Teil des Neubaus im Neuenheimer Feld nach kaum 20 Jahren als verlorene Hoffnung erscheint.

Das ideelle Raumkonzept der umwelt-offenen, lichtdurchfluteten, sozialen Bibliothek mit Arbeitsplätzen wurde aber nicht alternativlos aufgegeben. Unter der Überschrift der diskursiven Intimität wurde versucht, das verlorengegangene soziale Raumgefüge der Bibliothek durch im Institut verteilte Räume der sozialen Interaktion aufzufangen. So fungieren beispielsweise die gemeinsamen Küchen als Orte sozialen Austauschs oder auch die unlängst wieder eingeführte Kaffee-Lounge, welche an die Rotunde anschließt.

Wie die Bilder unterstreichen, wird in diesen Räumen ihrerseits auf die Bibliothek angespielt. Die Konzeption sozialer Räume kommt nämlich an einem geisteswissenschaftlichen Institut wie dem MPIL nicht aus, ohne die Bibliothek zumindest indirekt zu zitieren. So finden sich in diesen Räumen vereinzelte Teile der Bibliothek ausgestellt, mal glücklicher und anregender wie die schwarze Reihe in der Kaffee-Lounge, mal verlorener und rein dekorativ wie die Primärquellen der UN Treaty Series und der Italienischen Gazzetta Ufficiale des Corte Costituzionale in der Küche im ersten Stock.

So begrüßenswert und willkommen diese Versuche an die soziale Funktion von Bibliotheksräumen anzuknüpfen sind, so können sie doch nur bedingt gelingen, leiden sie doch an der grundlegend fehlenden räumlichen Einbindung der Bibliothek. Unter dem Verschwinden des sozialen Bibliothekraums leiden architektonisch also nicht nur die Bibliothek selbst und die Rotunde, die nun, ihrer sozialen Funktion beraubt, wie verloren wirkt, sondern eben auch die neueren Versuche, die so wichtigen sozialen Räume wiederzubeleben.

Alles in allem bleibt die Idee der diskursiven Intimität deshalb noch immer eine Hoffnung in statu nascendi. Vielmehr lastet auf ihr das historische Erbe der räumlichen Konzeption des Instituts:

„Das gegenwärtige Gebäude begünstigt folglich eher kommunikationslose Arbeit oder ausschließlich ‚ritualisierte Kommunikation‘ in entfernten Gruppenräumen“.[42] Diese Einschätzung, ursprünglich in Bezug auf die Bielefelder Universitätsarchitektur formuliert, scheint im Ergebnis sowohl auf vorherigen Wirkungsstätten des Instituts als auch (noch) auf das jetzige MPIL-Gebäude übertragbar zu sein. Die Form der wertvollen und höchst produktiv organisierten Kommunikation, als wiederkehrender fester Bestandteil des Institutskalenders eingebunden, ist in der Geschichte des Instituts tief verankert, nicht zuletzt in Form der legendären Referentenbesprechung (jetzt Montagsrunde) und später der Dienstagsrunden (Forschungsseminare des Direktoriums). Architektonisch ist diese kommunikative Form in den repräsentativen Seminarräumen des Instituts auffindbar. Sie gründet in der Berliner Zeit des KWI, geprägt von einer funktionalen und personellen Nähe des KWI zum Auswärtigen Amt, welche nicht nur eine behördenähnliche Personal- und Bürostruktur, sondern eben auch eine praxisnahe Forschungskultur zur Folge hatte. Wie oben angedeutet, scheint auch das institutionell tief verankerte Verständnis der Bibliothek als Magazinbibliothek dort seinen Ursprung zu haben.

Interessant ist, Stand jetzt, dass die veränderte Arbeitsweise des Instituts hin zu einer eher universitären und geisteswissenschaftlich orientierten Grundlagenforschung sich zwar in bedeutsamen Veränderungen in den Diskussionsformaten sowie in der Forschungskultur (unter anderem mit Aufgabe der Länderreferate) niedergeschlagen hat, nicht jedoch in seiner Bibliothekskonzeption.

Gleichzeitig wurde jedoch mit der Idee der diskursiven Intimität als Teil des Um- und Neubaukonzepts begonnen, die Absenz der sozialen Funktion der Bibliothek aufzufangen. Und ein noch gelungenerer diskurs-offener Raum – wie Ihn das MPIL verdient – scheint greifbar, sollte sich die Idee der diskursiven Intimität für ein Verständnis der sozialen Funktion der Bibliothek weiter öffnen.

Ein schillernder Lichtblick bleibt zudem jetzt schon: Allen widrigen räumlichen Umständen zum Trotz unterstützen die Bibliothekarinnen an der Ausleihe nicht nur die Wissenschaftlerinnen des Instituts, sondern vor allem auch die Gastwissenschaftlerinnen auf unglaublich fachkundige und herzliche Art und Weise. Dazu kommen die übrigen Mitarbeiterinnen der Bibliothek, die unermüdlich den Wissenschaftlerinnen bei Ihrer Forschung zur Seite stehen. Man wagt kaum zu erträumen, was sie erst mit einem sozialen Bibliotheksraum anzufangen wüssten.

***

[1] Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel, 1941.

[2] Dieser Beitrag ist das Ergebnis langer Gespräche mit Philipp Glahé und das Produkt einer langen gemeinsamen Faszination. Neben ihm möchte ich vor allem Sandra Berg für Ihre Eindrücke und die Bildersuche, Joachim Schwietzke für seine Einblicke in die Bibliothekswelt des Instituts an der Berliner Straße und Herrn Mikuteit für seine Anmerkungen danken.

[3] Karl Peter Grotemeyer, Grußwort zur Ausstellung, in: Klaus Köpke et al (Hrsg.), Bauen in der industriellen Welt. Eine Dokumentation zur Architektur des Universität Bielefeld, Bielefeld: Kunsthalle Bielefeld 1975, 7; Umfassender: Heidrun Friese/Peter Wagner, Der Raum des Gelehrten. Eine Topographie akademischer Praxis, Berlin: Edition Sigma 1993.

[4] Ferner: Joachim Schwietzke, Die Bibliothek, in: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm (Hrsg.), Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung von 1949 bis 2013, Heidelberg: Springer 2018, 125-142.

[5] Über die Begeisterung der Gastwissenschaftlerinnen über den Bibliotheksbestand, der bis heute andauert: Erika de Wet, Mein Aufenthalt am MPIL: Der Beginn einer Weltreise, MPIL100.de: „Ein weiterer einzigartiger Aspekt des Instituts war und ist der legendäre Bibliotheksbestand, sowohl in Bezug auf das vergleichende öffentliche Recht als auch auf das Völkerrecht. Wissenschaftler (sowohl junge als auch etablierte) aus ganz Europa und darüber hinaus besuchten die Bibliothek vor allem in den Sommermonaten, was zu einer sehr lebendigen Gemeinschaft von Wissenschaftlern des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts führte, die zu dieser Zeit wahrscheinlich einzigartig in Europa war.“

[6] Für eine Andeutung dessen in der Geschichte des MPIL, siehe: Joachim Schwietzke, Bibliothekar der ersten Stunde: Curt Blass, MPIL100.de: „Wenn das Forschungsgebiet des Instituts die Systematik der Bibliothek bestimmt hatte, so hat umgekehrt die den Wissenschaftlern zugängliche Präsenzbibliothek die dokumentarischen Veröffentlichungen des Instituts ermöglicht, die Eigenart seiner Forschungen mitbestimmt und wohl die juristische Denkweise manches Mitarbeiters geformt.“

[7] Eco spricht an verschiedenen Stellen von leben in der Bibliothek (als Wissenschaftler), unter anderem von einer „dem Menschen gemäßen Bibliothek, in der ich […] froh bin zu leben“: Umberto Eco, Die Bibliothek (1987), 34.

[8] Grundlegend: Martina Löw, Raumsoziologie, Berlin: Suhrkamp 2000.

[9] Zur rituellen Nutzung von Bibliotheken: Terry Plum, Academic Libraries and the Rituals of Knowledge, RQ 33 (1994), 496–508. Dementsprechend verwundert es nicht, dass zahlreiche Bibliotheken architektonisch Kirchenbauen zitieren (besonders einleuchtend, die Sterling Memorial Library in Yale).

[10] Hierzu überblicksartig: Jonas Fansa, Die Bibliothek als physischer Raum, in: Konrad Umlauf/Stefan Gradmann (Hrsg.), Handbuch Bibliothek, Heidelberg: J.B. Metzler 2012, 59.

[11] Bildlich greifbar wird diese soziale Funktion des Bibliothekraums beispielhaft in den umwerfenden Photographien von Candida Höfer, die es schaffen eben diese soziale Dimension des Bibliotheksraumes mancher Bibliotheken einzufangen: Candida Höfer/Umberto Eco, Bibliotheken, München: Schirmer/Mosel, 2005.

[12] An dieser Funktion ändert auch der Wandel der Rolle von Bibliotheken im Zeitalter der Digitalisierung nichts. Im Gegenteil, Bibliotheken sind beliebt wie nie, wenn vielleicht nicht mehr primär als Sammlung und physische Ressource, dann jedoch umso mehr als sozialer Raum des gemeinschaftlichen Forschens und Lernens. Für einen lohnenden Überblick der Entwicklung des Bibliothekraums, siehe Fansa (Fn. 10); Für eine praxisorientiertere Auseinandersetzung, siehe: Eva-Christina Edinger, Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort: Die Universitätsbibliothek als Sinnbild der Wissenschaft, univ. Diss., Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2015.

[13] Foto: MPIL.

[14] Foto: MPIL.

[15] Foto: MPIL.

[16] Foto: MPIL.

[17] In dem oben erwähnten Essay zählt Eco übrigens auch eine Reihe von Charakteristika auf, die für Ihn eine schlechte Bibliothek ausmachen. Hierzu zählt auch: „14) Die Öffnungszeiten müssen genau mit den Arbeitszeiten zusammenfallen, also vorsorglich mit den Gewerkschaften abgestimmt werden: totale Schließung an allen Samstagen, Sonntagen, abends und während der Mittagspausen.“, Umberto Eco, Die Bibliothek (1987), 18.

[18] Wieder ganz nach Umberto Eco: „Allein der Bibliothekar hat das Recht, sich im Labyrinth der Bücher zu bewegen, er allein weiß, wo die einzelnen Bände zu finden sind“: Umberto Eco, Der Name der Rose, München: Deutscher Taschenbuchverlag, 52; Dabei sei natürlich angemerkt, dass das MPIL hierbei nicht alleine ist. Viele andere Forschungseinrichtungen haben ähnliche, wenn nicht sogar noch restriktivere Zugangsbeschränkungen.

[19] Und mit wir meine ich hier hauptsächlich den schier unermüdlichen Phillipp Glahé sowie Alexandra Kemmerer und die Kolleginnen aus der Bibliothek.

[20] Foto: Ullstein Bild.

[21] Zudem war die Bibliothek nicht öffentlich zugänglich. In diesem Kontext ist besonders interessant, dass die allgemeine Abteilung der Bibliothek, die in dieser Zeit angelegt wurde, nichtsdestotrotz sehr breit und sehr repräsentativ angelegt wurde.

[22] Ich danke Alexandra Kemmerer für diesen Hinweis.

[23] Foto: AMPG.

[24] Foto: MPIL.

[25] Foto: AMPG.

[26] Foto: MPIL.

[27] Joachim Schwietzke, Raumbedarf der Bibliothek: Übersicht (Stand 1.2.1982), 11.

[28] Abbildungen: Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft, Bauten der Max-Planck-Gesellschaft. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg, o.D., 4-5.

[29] Fotos: MPIL.

[30] Erläuterungsbericht zum Realisierungswettbewerb der Gewinner Ermel/Horinek/Weber, AS-Plan.

[31] Foto: MPIL.

[32] Stefan Oeter, Vermerk: Neubau – Zusammenfassung der Anregungen aus der Bibliothek, 6.6.1991, 2 (Hervorhebung durch den Autor des Beitrags).

[33] Schreiben von Joachim Schwietzke an Jochen Frohwein, Zweite Stellungnahme zum Entwurf für den Neubau, datiert 5.4.1991.

[34]  Schreiben von Mitarbeiterinnen der Bibliothek an Joachim Schwietzke, Betreff: Bibliotheksbereich – öffentlicher Bereich im Neubau, datiert 6.3.1991.

[35] Foto: Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft, Bauten der Max-Planck-Gesellschaft. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg, o.D., 8-9.

[36] Fotos: MPIL.

[37] Fotos: MPIL.

[38] Fotos: MPIL.

[39] Fotos: MPIL.

[41] Foto: MPIL.

[41] Foto: MPIL.

[42]Friese/Wagner (Fn. 3), 80.

Zwei Welten. Von der Gärtnerstochter zur Verwaltungsleiterin

Between Two Worlds. From a Gardener’s Daughter to Head of Administration

Deutsch

Margarete Noll, geborene Vogel, (1931-2023) war von 1953 bis 1964 am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) beschäftigt. Von 1953 bis 1955 war sie als Fremdsprachensekretärin tätig, von 1955 bis 1959 als Verwaltungssekretärin und von 1959 bis 1964 als Verwaltungsleiterin. Ihre Tätigkeit am Institut beendete sie nach der Familiengründung. Ihre Zeit am MPIL empfand Margarete Noll zeitlebens als prägend, wie sie in einem undatierten, von ihr selbst redigierten autobiographischen Bericht festhielt.[1]

Aufgewachsen bin ich in einer Gärtnerei weit draußen im Handschuhsheimer Feld. Wir lebten dort in völliger Einsamkeit und in sehr einfachen Verhältnissen. Der einzige Luxus, der uns zur Verfügung stand, war fließendes Wasser. Die Leitung war von unserem Vater in Eigenarbeit über eine Entfernung von 500 bis 600 Meter frostfrei, das heißt mindestens 80cm tief, gelegt worden. Trotzdem haben wir am Wasser gespart. Es gab nämlich keine Kanalisation, und das Entleeren des betonierten „Sickerloches“ war mühsam. Gas und Strom waren nicht vorhanden. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Petroleumlampe – wir nannten sie Petroleumfunzel – angezündet. Später gab es dann eine etwas hellere Spirituslampe. Telefon wurde im Zweiten Weltkrieg über eine Hochleitung (hohe Masten) installiert. Eine elektrische Hochleitung versorgte uns ab Ende 1946 mit Strom. Gas gab es nie.

Nach der Grundschule, damals hieß das: nach den ersten vier Klassen der Volksschule – durfte ich ins Gymnasium. Das war nicht selbstverständlich, denn die „Hendsemer“ Gärtnerskinder gingen da nicht hin, die arbeiteten im elterlichen Betrieb mit. Das taten meine Schwester, die später auch ins Gymnasium durfte, und ich trotz Schule auch. Einmal stand in meinem Zeugnis: „Gute Leistungen, obwohl der häusliche Fleiß zu wünschen übrig lässt“. Der „häusliche Fleiß“ erstreckte sich halt nicht unbedingt auf die Schularbeiten. Vor allem im Frühjahr hieß es bei uns morgens um vier/fünf: Raus aus den Federn und Erdbeeren pflücken oder Salat ernten. Um 7.00 Uhr wurden wir dann zum „Frischmachen“ und Frühstücken ins Haus geschickt und dann ging es in die Schule. In der Zeit, in der unser Vater wegen seiner [kriegsbedingten] Gehirnverletzung wochenlang im Krankenhaus lag und wir mehr noch als gewöhnlich „Einsatz leisteten“, kam es schon vor, dass uns in der Schule die Augen zufielen. Trotzdem hatten wir auch viel Spaß. Wenn Freunde mit uns ins Schwimmbad oder sonst wohin wollten, stellten wir sie erst einmal zur Mithilfe bei der Blumenkohl-, Weißkraut- oder Tomatenernte an, wozu sie immer gern bereit waren.

Chancenungleichheit der 1950er Jahre. Verhindertes Studium und Dolmetscher-Ausbildung

Nach dem Abitur hätte ich gern Physik und Mathematik studiert, aber Professor Bothe (Nobelpreisträger)[2], der oft zu uns in die Gärtnerei kam, meinte: „Haben die Schülerinnen gute Noten in Mathematik, meinen sie, sie seien begabt. Aber diese Noten in einer Mädchenschule besagen gar nichts. Lassen Sie das bleiben.“ Ich war nicht selbstbewusst genug, mich gegen seine Meinung zu stellen. Damals ging es auch meinem Vater sehr schlecht, so dass ich unsere Mutter in der Gärtnerei unterstützen wollte. Ich wusste ganz genau, dass ich, wenn ich mit der Lösung eines mathematischen Problems beschäftigt gewesen wäre, für sonst nichts Zeit gehabt hätte. Also besuchte ich am Englischen Institut die Dolmetscherkurse für Englisch. Die Kurse fanden nur nachmittags statt. Am Vormittag konnte ich mich in der Gärtnerei nützlich machen.

Nach dem zweiten Trimester war mein Aufenthalt in Cheltenham/England ein Ausflug in die große weite Welt. Meine Mutter hatte ihn über eine jüdische Familie organisiert. Sie meinte: „Die Sprache lernt man am besten vor Ort.“ Ein halbes Jahr lang hörte ich dort kein einziges deutsches Wort. Die englische Familie ermöglichte mir, nicht nur die Sprache, sondern auch Land und Leute kennenzulernen, so sorgten sie dafür, dass ich, relativ kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Deutsche auch die Houses of Parliament – Unter- und Oberhaus – besichtigen durfte.

Nach der Dolmetscherprüfung bewarb ich mich als Fremdsprachensekretärin bei einem Verlag. Der mich interviewende Mensch war mir so unsympathisch, dass ich schon während des Gesprächs beschloss: Da arbeite ich nicht. Man hat mich auch nicht genommen mit der Begründung: Man könne keine Anfängerin einstellen. Weshalb man mich dann aufgefordert hatte, mich vorzustellen, war nicht logisch, denn aus meinen Bewerbungsunterlagen ging ganz klar hervor, dass ich keine Berufserfahrung hatte.

Onkel Hermann sei Dank. Beginn am Institut 1953

Danach war ich drauf und dran, es vielleicht doch mit der Mathematik und der Physik zu versuchen. Aber ehe es dazu kam, teilte mir ein Bruder meiner Mutter mit, auf den sie große Stücke hielt, am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sei die Stelle einer Fremdsprachensekretärin zu besetzen. Ich solle mich da melden. Ich hatte keine große Lust, aber meine Mutter meinte: „Wenn der Onkel Hermann sich die Mühe gemacht hat, an dich zu denken, solltest du immerhin mal hingehen. Du brauchst die Stelle ja nicht anzunehmen.“

Der Philosophenweg 13. Privatvilla Carl Bilfingers und von 1949 bis 1954 Hauptsitz des Instituts[3]

Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg zum Philosophenweg 13. Dort im Privathaus des Direktors [Carl Bilfinger][4] war damals die Institutsleitung untergebracht. Auf mein Läuten öffnete eine ältere Dame. Sie bat mich in ein großes Zimmer und hieß mich, hinter einem großen Schreibtisch Platz zu nehmen. Sie selbst nahm hinter einem anderen Schreibtisch Platz. In den Raum gab es außerdem einen Flügel und eine geräumige Sesselecke und an den Wänden unglaublich beeindruckende Bilder. Wie ich später erfuhr, handelte es sich durchweg um Originale Alter Meister. Das Bild über dem Flügel war ein großer Caravaggio [sic].[5] Die Dame erklärte mir, ich müsse warten, die Herren seien noch in einer Besprechung. Aber sie stellte mir doch einige Fragen, und dann wollte sie wissen, ob ich die hiesige Sprache verstünde. Ich war zunächst ratlos. Was meinte sie denn? Natürlich verstehe ich Deutsch, dachte ich, aber das musste sie doch gemerkt haben. Es stellte sich heraus, dass sie den Heidelberger Dialekt meinte. Sie erklärte mir, sie habe oft mit Handwerkern zu telefonieren und verstünde da kein Wort. Als ich ihr versicherte, dass mir der Dialekt keine Schwierigkeiten bereiten würde, hatte ich den Eindruck, sie hätte mich deswegen am liebsten gleich eingestellt. Fräulein Greinert, so hieß die Dame, kam von der Insel Ösel[6] und sprach mit einem ostpreußischen Akzent.

Verwaltungsleiter Hans Ballreich (rechts) anlässlich der Eröffnung des Institutsneubaus 1954[7]

Und dann flogen die Flügeltüren zum Nebenzimmer auf und herein stürmte ein Herr, an den sich die Dame wandte: „Diese junge Dame bewirbt sich um die Stelle.“ – „Na, dann kommen Sie mal mit.“ Und schon war er verschwunden durch die Tür, durch die ich anfangs hereingekommen war. Ich musste erst um den Schreibtisch herumgehen, und als ich dann draußen vor der Tür stand, war guter Rat teuer. Der Herr war nicht mehr zu sehen. Wo sollte ich hin? Ich entdeckte eine weitere Tür, aber die musste eigentlich zu dem Raum führen, in dem gerade die Besprechung stattgefunden hatte. Da sollte ich doch sicher nicht hin. Ich probierte es an einer anderen Tür, aber dahinter befand sich eine Küche. Dann hörte ich ein Geräusch, das von weiter oben kam. Ich stieg die Treppe hinauf. In der nächsten Etage waren alle Türen geschlossen. Dann vernahm ich ein Rascheln von noch weiter oben. Ich stieg also weiter. Im Dachgeschoss stand tatsächlich eine Tür offen, und in dem Raum dahinter sah ich den Herrn, der unten an mir vorbeigerauscht war. Er bat mich hinein und unterhielt sich eine Weile mit mir. Nach meinem Erlebnis mit den nicht vorhandenen Berufserfahrungen wies ich mehrmals daraufhin, dass meine Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse bescheiden seien. Trotzdem fragte der Herr Dr. Ballreich[8] nach relativ kurzer Zeit: „Können Sie am Montag anfangen?“ Ich stotterte: „Aber wollen Sie denn nicht meine Zeugnisse sehen?“ Er: „Die interessieren mich nicht. Wenn Professor Bilfinger, der Direktor, einverstanden ist, dann fangen Sie am Montag an.“ Professor Bilfinger war einverstanden. Ich fing am drauffolgenden Montag an und blieb im Institut, bis ich nach fast 12 Jahren aus familiären Gründen jegliche Berufsarbeit aufgab. Ich bewegte mich fortan in zwei Welten: Das Zuhause war geprägt von praktischer Arbeit, im Institut atmete ich Wissenschaft und hatte das große Glück, sehr viele bedeutende Menschen hautnah zu erleben.

„Machen Sie sich kundig“. Eine Verwaltungskarriere ohne Vorkenntnisse

Am Montagmorgen, an meinem ersten Arbeitstag, sagte die Dame, deren Stelle ich einnehmen sollte, ich hätte neben anderen Aufgaben auch die Buchhaltung zu führen. Von Buchhaltung hatte ich nun überhaupt keine Ahnung. Sie erklärte mir: Einnahmen auf weiße Blätter, Ausgaben auf rote Blätter und Durchgangsposten auf blaue Blätter und alles auf das große Journalblatt durchschreiben. Das kann ja nicht allzu schwierig sein, dachte ich. Als ich aber in der folgenden Woche alleine vor all den Blättern saß und auch alles fein säuberlich verbucht hatte, erklärte mir Fräulein Greinert, nun müsse ich die Journalseite „abstimmen“, die rechten und linken Seiten müssten übereinstimmen. Ich addierte munter darauf los. Aber dann: Von wo aus gesehen galt rechts und links? Es gab da so viele Spalten, dass ich ganz verwirrt war. Ich rechnete und rechnete, und siehe da: Irgendwann hatte ich zwei gleich hohe Beträge.

Später, als ich für die gesamte Buchhaltung alleine verantwortlich war, sah ich den Prüfungen durch die Revisoren der Max-Planck-Gesellschaft und den Steuerprüfungen durch das Finanzamt mit einigermaßen gemischten Gefühlen entgegen. Nicht dass ich fürchtete, Fehler begangen zu haben. Ich war unsicher, weil ich die buchhalterischen Fachausdrücke nicht beherrschte. Ich half mir dann mit einem Trick, indem ich immer auf die fraglichen Zahlen mit dem Finger deutete, wenn die Herren eine Auskunft haben wollten. Später allerdings hatte ich dann ein Problem, als ich die Kosten für den Institutsanbau „nach den geltenden Richtlinien“ abrechnen sollte. Ich hatte von diesen Richtlinien keine Ahnung. Dr. Ballreich legte mir eine Loseblattsammlung auf den Tisch mit den Worten: „Da steht alles drin. Machen Sie sich kundig.“ Ich machte mich kundig und erstellte eine Kostenrechnung. Es handelte sich immerhin um 300.000 DM, in der damaligen Zeit eine beachtliche Summe. Beanstandungen hat es von keiner Seite gegeben.

Margarete Noll (rechts) mit Fräulein Peukert und Hilde Kahlich, 1959 vor dem Institut[9]

Später plante die Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft in der Buchhaltung das Hollerith-System einzuführen. Es wurde ein Institut gesucht, das bereit war, in der Versuchsphase ein ganzes Jahr sowohl mit Journal als auch mit Hollerith zu arbeiten. Ich war bereit, mich darauf einzulassen. Die Hollerith-Karten mussten nach bestimmten Vorgaben mit einem Graphitstift markiert werden. Dann wurden die Karten nach Göttingen geschickt, wo sich die Hollerith-Abteilung befand. Dort wurden die Karten maschinell gestanzt, in einer weiteren Maschine wurden die Löcher gelesen und die Buchungen auf große Blätter gedruckt. Diese Blätter wurden dann nach Heidelberg geschickt. Es war natürlich herrlich, dass die Maschine nach Bedarf verschiedene Auswertungen „ausspuckte“. Aber das ständige Hin- und Herschicken und das Warten, bis man das Monatsergebnis wieder auf dem Schreibtisch hatte, war lästig. Das Hollerith-System wurde von der Gesellschaft (für die Buchhaltung) nicht übernommen.

Ich war vielleicht gerade einmal zehn Tage im Institut, da bat mich Fräulein Greinert: „Bitte, gehen Sie jetzt zur Bank und holen 10.000 DM.“ Ich bekam einen Riesenschreck: „Wo soll ich das Geld denn hintun?“ – „Ach, das stecken Sie einfach in Ihre Tasche.“ Ich fuhr also los, meine Tasche – eine Beuteltasche, die man oben zuziehen konnte – hängte ich an die Lenkstange meines Fahrrades. Der Hinweg über die Brücke war schnell zurückgelegt. Ich bekam das Geld in der gewünschten Aufteilung und steckte es in den Beutel. Dann machte ich mich auf den Rückweg. Ängstlich schaute ich ständig nach rechts und links und gelegentlich auch hinter mich, um zu sehen, ob mich jemand beobachtete. Ich hatte den Eindruck, jedermann könne dem Beutel ansehen, was er beinhalte. Ich kam aber ganz unbehelligt wieder am Philosophenweg an. Fräulein Greinert verteilte dann das Geld auf verschiedene Umschläge: Es handelte sich um die monatliche Gehaltszahlung, die sie persönlich allen Mitarbeitern des Instituts aushändigte. Einige Wissenschaftler des Instituts arbeiteten am Philosophenweg. Da brauchte sie nur in die verschiedenen Stockwerke zu gehen. Die Institutsbibliothek mit allen ihren Mitarbeitern aber war in der Friedrich-Ebert-Anlage im Saxo-Borussen-Haus untergebracht. Dorthin begab sich Fräulein Greinert mit den restlichen Umschlägen. Diese Prozedur wiederholte sich an jedem Monatsende, bis das Institut in den Neubau an der Frankfurter- (später Berliner) Straße umzog. Erst dann wurden die Gehälter überwiesen.

Unter „älteren Herrschaften“. Arbeiten als junge Frau am Institut

Bis Fräulein Greinert zwei Jahre später aus Altersgründen aus dem Institut ausschied, arbeiteten wir im selben Raum, erst oben am Philosophenweg 13 und später im Institutsneubau. Immer wieder erzählte sie mir Begebenheiten aus der Berliner Zeit, von den Ereignissen im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 (der Bruder des Attentäters war Institutsmitglied[10]) und dem tragischen Tod eines „Halbjuden“, den das Institut bis Kriegsende „geschützt“ hatte und der dann von den Russen erschossen wurde, als er den „Befreiern“ freudestrahlend entgegenlief.[11] Sie hat mich aber auch beeindruckt durch ihre Haltung. Sie ermahnte uns junge Mädchen, als wir bei einer Einladung des Direktors emsig helfen wollten: „Bitte, meine Damen, zu einer Zeit bitte nur eine Dame aufstehen. Sonst entsteht zu viel Unruhe.“ Als Professor Bilfinger vor der Feier seines 75. Geburtstages fragte: „Was werden die Damen tragen?“, gab sie zur Antwort: „Herr Professor, wir werden Sie durch unsere Kleidung zu ehren wissen.“

Einige Monate nach meinem Eintritt schied eine Sekretärin aus. Auf die Stellenanzeige meldeten sich etwas 20 bis 30 Bewerberinnen verschiedenen Alters. Dr. Ballreich warf mir alle Bewerbungsschreiben auf den Tisch mit der Bemerkung: „Suchen Sie sich eine aus.“ Ich las alle Papiere aufmerksam durch und entschied mich dann für eine junge Dame, die nur wenig älter war als ich. Als ich ihm meine „Entscheidung“ mitteilte, meinte er: „Die können wir nicht einstellen. Sie arbeitet im Klinikbaubüro, das brauchen wir nötig für den Neubau, da können wir niemanden abwerben.“ Aber gegen alle anderen Bewerberinnen hatte ich Einwände. Schließlich erhielt ich die Erlaubnis, die Dame zu einem Vorstellungsgespräch zu bitten, falls es mir gelänge, sie persönlich zu erreichen (sie hatte nur die Telefonnummer des Klinikbaubüros angegeben). Es gelang, sie wurde eingestellt, und wir sind noch nach mehr als 50 Jahren miteinander befreundet.

Carl Bilfinger in seinem Haus,1950er[12]

Hilde Kahlich, so hieß die Neue damals, und ich waren unter den „älteren Herrschaften“ die einzigen jungen Menschen im Haus Philosophenweg 13. Professor Bilfinger, der erst einige Monate zuvor seine Frau[13] verloren hatte, lud uns öfter ein, mit ihm das Mittagessen einzunehmen. Es machte ihm sichtlich Spaß, mit uns danach auch Kunstbetrachtungen vorzunehmen. Er war ein großer Kunstliebhaber und Sammler Alter Meister.[14] Bei einer dieser Betrachtungen war er fassungslos, weil wir beide nicht wussten, wer die Hexe von Endor[15] war. Damals haben wir begriffen, dass man ohne Bibelkenntnisse viele Alte Meister nicht verstehen kann. Professor Bilfinger hat uns aber auch viele Geschichten „von früher“ erzählt, zum Beispiel dass sein Vater, Pfarrer am Ulmer Münster,[16] ihn und seinen Bruder aufforderte, vor dem Generalfeldmarschall von Moltke stramm zu stehen, als dieser das Münster besuchte.

Gelegentlich kam Prälat Schreiber in das Institut[17]. Er war Senator der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. und Päpstlicher Hausprälat – zu erkennen an einem violetten Rand an seinem weißen Kragen. Vor Abschluss des Konkordats mit dem Vatikan war er Zentrumspolitiker gewesen, danach durfte er politisch nicht mehr tätig sein. Wenn er erschien, fegte ein Tornado durch die Räume. Meist wollte er dann auch eine Schreibkraft zur Verfügung haben. Hilde Kahlich und ich wechselten uns [mit]einander ab, aber am liebsten hätten wir immer beide „gekniffen“. Einmal diktierte er mir (ins Stenogramm) einen ganzen Festschriftaufsatz. Es ging alles ganz gut, bis er plötzlich „Habakuk“ diktierte. Ich kannte den Namen nicht. Er war sehr ungehalten über so viel Bibelunkenntnis. Nach einer Weile ging der Text lateinisch weiter. Da hob er an, mir jedes Wort einzeln zu buchstabieren. Als ich schüchtern vorbrachte, ich könne lateinische Wörter nach Diktat schreiben, war er plötzlich die Liebenswürdigkeit in Person. Ein anderes Mal, als ich wieder einmal „dran“ war, bestellte er mich in das Hotel Ritter, wo er immer zu übernachten pflegte. Ich wurde in sein Zimmer gebeten, musste mich an einen Schreibtisch setzen und dann schloss er die Tür ab. Es war mir schon unheimlich, mit einem hohen katholischen Geistlichen in einem Hotelzimmer eingeschlossen zu werden. Aber er wollte bloß beim Diktieren nicht gestört werden. Einmal allerdings hat er mich doch ziemlich in Verlegenheit gebracht. Im Hause Bilfinger wollte er sich im Nebenzimmer etwas ausruhen. Er bat mich, seinen Kragen zu lösen. Irgendwie habe ich das dann auch geschafft.

„‘Normale‘ Menschen kommen da nicht hin“. Einblicke in die höhere Gesellschaft

Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht im Institut, 1965[18]

Nach einer Sitzung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht in Heidelberg, wo ich Protokoll führen musste, brachte mich einer der illustren Herren in Verlegenheit. Er wollte wissen, was ich verdiente. Musste ich ihm das sagen? Eigentlich fand ich die Frage ziemlich indiskret. Ich bedauerte, ich sei nicht nur Sekretärin, sondern auch in der Verwaltung beschäftigt und deshalb zur Geheimhaltung verpflichtet. Mit einem Lächeln meinte er: „Ich sehe schon, mit wem ich es zu tun habe.“ Er bohrte nicht weiter.

Sehr aufregend waren alljährlich die Kuratoriumssitzungen, bei denen ich einmal wegen der Finanzen dabei war, vor allem aber, weil ich jeweils das Protokoll zu schreiben hatte. Alle anwesenden Herren – ich war immer das einzige weibliche Wesen – waren mehr als doppelt oder dreimal so alt wie ich, und alle waren angesehene Wissenschaftler oder bedeutende Männer aus der Wirtschaft. Einmal fand die Sitzung im Sitzungsraum der Karlsruher Lebensversicherung statt, den ihr Vorsitzender Alex Möller[19] – später Bundesfinanzminister – dem Institut zur Verfügung gestellt hatte. Während der Sitzung fiel mir auf, dass er eine geradezu gewaltige Armbanduhr trug. Ich dachte, dass er Geld hat, müsste er eigentlich nicht auf diese Weise zur Schau tragen. Aber dann beobachtete ich, wie weit er sich mit seinem Kopf über sein Handgelenk beugte, als er einmal auf die Uhr sehen wollte. Da wurde mir klar, dass er mit seinen Augen vermutlich nur ein überdimensionales Ziffernblatt lesen konnte. Es war mir eine Lehre, nicht vorschnell zu urteilen.

Einmal fand die Kuratoriumssitzung im Sitzungszimmer des BASF-Vorstandes[20] in der höchsten Etage des BASF-Hochhauses statt. „Normale“ Menschen kommen da nicht hin. Der Ausblick über die gesamte BASF und die weitere Umgebung war fantastisch. Das Essen im Anschluss an die Sitzung fand dann im Feierabendhaus statt. Dort hatte ich ein großes Problem. Alle Herren warteten, bis ich mit dem Essen begann. Ich aber war mir nicht sicher, wie ich auf die mir völlig unbekannte Vorspeise „losgehen“ sollte. Ich habe mich dann sehr vorsichtig mit dem Besteck beschäftigt, bis ich beobachten konnte, wie ich vorzugehen hatte. Ein anderes Mal hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts[21] im Anschluss an die Sitzung zum Essen eingeladen. Durch Flüsterpropaganda wurde darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Bestellung à la carte Zurückhaltung angebracht sei, der Präsident liebe die Sparsamkeit. Beim Essen wies man mir den Platz neben ihm an. Ich konnte beobachten, dass er sich sehr zurückhielt. Unangenehm in Erinnerung geblieben ist mir das Essen nach einer Kuratoriumssitzung, die auf dem Privatsitz des Vorstandsvorsitzenden der Goldschmidt-AG[22] in Seeheim stattfand. Ich saß neben dem Prälaten, wir waren gerade beim Hauptgericht, da wurde ich ins Bein gestochen. Ich verspürte einen sehr heftigen Schmerz, traute mich aber nicht, unter den Tisch zu kriechen und nachzuschauen, was für ein Untier mich attackiert hatte. Am nächsten Morgen war mein Bein dick geschwollen, vom Knöchel bis zur Leiste war es steinhart, so dass ich mich schleunigst in ärztliche Behandlung begab. Eine sehr schmerzhafte Calciumspritze und absolute Bettruhe versetzten mein Bein allmählich wieder in den Normalzustand.

Es gab natürlich nicht nur Sitzungen, gelegentlich wurden auch Feste mit großen Empfängen gefeiert. Dabei habe ich auch den gewaltigen Banker [Hermann Josef] Abs[23] erlebt, der in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit als Bundesbankpräsident das Bankwesen bestimmte. Im Kreise der zahlreichen Akademiker war es ihm offenbar ein Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass man es auch ohne Abitur zu etwas bringen könne; denn er begann seine Rede mit den Worten: „Jetzt redet einer, der in diesem Kreise eigentlich keine Berechtigung hat zu sprechen, ich habe nämlich nicht studiert.“

In der Biografie von Otto Hahn[24] habe ich einmal gelesen, dass er ein Leben lang es als Manko empfunden hat, keine „humanistische Bildung“ genossen zu haben. Auch er hat es auch „trotzdem“ zu etwas gebracht und ist dabei ein bescheidener Mensch geblieben. Als ich einmal dienstlich in der Generalverwaltung in Göttingen war, hat man mir auch das Dienstzimmer des Präsidenten gezeigt. Ich war verwundert, wie bescheiden es eingerichtet war. Man erklärte mir, Otto Hahn habe sich bei seinem Dienstantritt als Präsident der Max- Planck-Gesellschaft jede Änderung der Möblierung verbeten. Er brauche einen Raum zum Arbeiten und kein Repräsentationszimmer.

Manchmal habe ich noch der Mathematik und der Physik nachgetrauert. Aber täglich im Schatten großer Persönlichkeiten zu arbeiten, ständig menschliche Größe hautnah zu erleben und die gelegentliche Möglichkeit, mehreren Nobelpreisträgern und anderen großen Geistern die Hand zu schütteln, war ein Leben, das mich reichlich entschädigte.

***

[1] Wir danken Familie Noll für die freundliche Überlassung des Textes für den Blog. Zur besseren Lesbarkeit wurden Zwischenüberschriften und Fußnoten, sowie die Fotos, nachträglich eingefügt.

[2] Walther Bothe (1891-1957) erhielt 1954 den Nobelpreis für Physik.

[3] Fotos: AMPG.

[4] Carl Bilfinger (1879-1958), von 1944 bis 1946 und von 1949 bis 1954 Direktor des Instituts. Zu Bilfinger siehe: Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (Hrsg.), Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879–1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, Baden-Baden: Nomos 2024; ferner auf diesem Blog erschienen: Reinhard Mehring, Vom Berliner Schloss zur Heidelberger „Zweigstelle“. Carl Bilfingers politische Biographie und seine strategischen Entscheidungen von 1944, MPIL100.de; Johannes Mikuteit, “Einfach eine sachlich politische Unmöglichkeit“. Die Protestation von Gerhard Leibholz gegen die Ernennung von Carl Bilfinger zum Gründungsdirektor des MPI, MPIL100.de.

[5] Vermutlich handelte es sich um einen Canaletto, siehe: Philipp Glahé, Kunst und Distinktion. Carl Bilfinger als Sammler, in: Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (Fn. 4), 445-470.

[6] Heute Saaremaa, Estland. Ellinor Greinert Ellinor Greinert (1894-66) war gebürtige Baltendeutsche und von 1928 bis 1955 am Institut tätig, zunächst als Fremdsprachensekretärin, schließlich als Direktionssekretärin.

[7] Foto: MPIL.

[8] Hans Ballreich (1913-1998), von 1949 bis 1955 Referent, schließlich Verwaltungsleiter des Instituts. Von 1962 bis 1966 Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft (MPG).

[9] Foto: Familie Noll.

[10] Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944) war von 1929 bis zu seiner Hinrichtung 1944 als Referent am Institut tätig. Als Bruder von Claus von Stauffenberg, welcher am 20. Juli 1944 das gescheiterte Bombenattentat gegen Hitler ausführte, war er enger Mitwisser und Förderer der Widerstandsbewegung.

[11] Joachim-Dieter Bloch (1906-1945) war von 1927 bis 1945 Referent am KWI. Laut NS-Rasseideologie galt er als „Vierteljude“, wurde aber anders als die als „Volljuden“ verfolgten Institutsmitglieder Erich Kaufmann (1880-1972) und Marguerite Wolff (1883-1964) nicht aus dem Institut entlassen und in die Emigration gedrängt.

[12] Foto: Magarete Noll.

[13] Margarethe Bilfinger, geborene Schuler (1887-1951).

[14] Siehe hierzu: Glahé (Fn. 5).

[15] Biblische Figur aus dem Alten Testament (1 Sam 28).

[16] Adolf von Bilfinger (1846-1902).

[17] Prälat Georg Schreiber (1882-1963), Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) von 1926 bis 1933 und der MPG ab 1946, ab 1960 Ehrensenator. Mitbegründer der „Trierer Außenstelle“ des KWI (1925-1933), sowie wissenschaftliches Mitglied des MPIL, siehe hierzu: Martin Otto, Das KWI und die Katholische Kirche. Eine „special relationship“?, MPIL100.de.

[18] Foto: MPIL.

[19] Alex Möller (1903-1985), war von 1962 bis 1966 Vorsitzender der SPD Baden-Württemberg, von 1969 bis 1971 Bundesfinanzminister.

[20] Wolfgang Heintzeler (1908-1990), Stellvertretender Vorstand der BASF, Mitglied des Kuratoriums des Instituts.

[21] Gebhard Müller (1900-1990), von 1959 bis 1971 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

[22] Theo Goldschmidt (1883-1965), Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender des Chemie-Unternehmens Goldschmidt AG.

[23] Hermann Josef Abs (1901-1994), Bankier und Vorstandsmitglied der Deutschen Bank.

[24] Otto Hahn (1879-1968), Chemiker und ab 1946 der letzte Präsident der KWG sowie von 1948 bis 1960 der erste Präsident der aus der KWG hervorgegangenen MPG.

English

Margarete Noll, born as Margarete Vogel, (1931-2023) was an employee of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) from 1953 to 1964. From 1953 to 1955 she worked as a foreign language secretary. From 1955 to 1959 she then occupied a position as an administrative secretary, before in 1959 becoming head of administration, a role in which she remained until 1964, when she left the Institute to start a family. Throughout her life, Margarete Noll considered her time at the Institute as formative, as she described in this undated autobiographical report that she edited herself.[1]

I grew up in a market garden on the outskirts of Handschuhsheimer Feld. We lived there in complete isolation and very modestly. The sole luxury available to us was running water. Our father had laid the pipe himself over a distance of about 500‑600 metres and made sure it was protected against frost by burying it at least 80 cm deep in the ground. Nevertheless, we stinted on water, as the house was not connected to a sewer and emptying the concrete cess pit was a strenuous task. We did not have gas or electricity. At nightfall, the paraffin lamp – which we referred to as the “paraffin dimmer”– was lit. At some point, we upgraded to a somewhat brighter spirit lamp. During the Second World War a telephone was installed via an overhead line. An overhead electric line supplied us with electricity from the end of 1946. We never had gas.

After finishing primary school, which in those days meant four years of basic education, I was allowed to attend grammar school. This was not to be taken for granted: Children of “Hendsemer” gardeners did not usually attend secondary school; they helped in their parents’ business. My sister, who was also later allowed to go to grammar school, did so, and, in spite of school, so did I. On one occasion, my report card read: “Good achievements, although her at‑home diligence leaves much to be desired”. Well, my “at‑home diligence” did not necessarily extend to schoolwork. Especially in spring, the order of business was to get up at four or five in the morning to pick strawberries or harvest lettuce. At 7 a.m. we would then be sent into the house to “freshen up” and to have breakfast before setting off to school. When our father had to stay in hospital for weeks because of a brain injury [he had sustained in the war] and we were put to work even more than usual, we did sometimes struggle to keep our eyes open at school. Yet, we also had a lot of fun. When our friends wanted to go to the swimming pool or the like with us, we would first employ their help in picking cauliflower, white cabbage or tomatoes, and they always happily obliged.

Unequal Opportunities in the 1950s: Prevented from Studying at University and Training as an Interpreter

After graduating from school, I would have liked to study physics and maths, however, Professor Bothe (a Nobel Prize winner)[2], who often visited our market garden, warned me against this: “When girls get good grades in maths, it leads them to believe that they’re gifted. But achieving these grades in a girls’ school doesn’t mean anything. You’d do best to just forget it.” I didn’t have the self‑confidence to go against his opinion. Additionally, my father was in a very bad condition at the time, so I wanted to help support my mother with the business. I was very aware that if I had been busy solving a maths problem, I would have had little time for anything else. So instead, I chose to attend English interpreting courses at the English Institute. The courses only took place in the afternoons, leaving the mornings free to make myself useful at home.

After the second trimester, my stay in Cheltenham, England was a venture into the big wide world. My mother had organised the trip through a Jewish family. “Languages are best studied in the place where they are spoken”, she said. For the entire six months I was there, I didn’t hear a single word of German. The English family not only enabled me to study the language, but also the country and its people: For instance, they made sure that, not long after the end of the Second World War, I, as a German, could visit the Houses of Parliament – the House of Commons and House of Lords.

After my final exam, I applied for a job as a foreign language secretary at a publishing house. However, the person interviewing me was so unpleasant that, while the interview was still going on, I had already decided: I wouldn’t work there. In any case, they didn’t offer me the job; a decision which they justified on the grounds that they couldn’t employ a beginner. This made little sense to me, though, as it seemed illogical to have even asked me to interview in the first place when my application documents very clearly showed that I had no professional experience.

Thanks to Uncle Hermann. Starting Off at the Institute in 1953

After all that, I was about to pursue maths and physics after all. Before it ever came to this, though, one of my mother’s brothers, who she thought very highly of, told me that there was a vacancy for a foreign language secretary at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, and that I should apply for the position. Personally, I wasn’t very enthusiastic about the opportunity, but my mother was adamant: “If uncle Hermann has taken the trouble to think of you, you should at least give it a go. Nobody is saying you have to accept the job.”

Philosophenweg 13. Private Residence of Carl Bilfinger and the Institute’s headquarters from 1949 to 1954[3]

With mixed feelings, I made my way to number 13 Philosophenweg. At the time, the Institute’s administration was housed there, in the private home of the Institute Director [Carl Bilfinger][4]. When I rang the bell, an elderly lady answered the door. She invited me into a large room and instructed me to take a seat behind a large desk. She then took a seat herself behind another desk. The room was furnished with a grand piano and a spacious seating area as well as some unbelievably impressive paintings on the walls. I learnt later that they were all originals by the Old Masters. The painting above the grand piano, for instance, was a large Caravaggio [sic].[5] The lady explained to me that I would have to wait, as the gentlemen were still in a meeting. She did, however, ask me a few questions and in particular wanted to know if I could understand the local language. I was at a loss at first. What did she mean by that? Of course, I speak German, I thought, but surely, she had noticed that already. As it turned out, she was actually referring to the Heidelberg dialect. She explained to me that she often had to speak to craftsmen on the phone but couldn’t understand a word of what they were saying. When I assured her that the local dialect wouldn’t cause me any problems, I got the impression that she would have liked to hire me on the spot. Miss Greinert, as the lady was called, came from the island of Oesel[6] and spoke with an East Prussian accent.

Head of Administration Hans Ballreich (right) on the occasion of the new Institute building’s inauguration in 1954[7]

Shortly thereafter, the double doors from the adjoining room flew open and a man rushed in, to whom the lady turned and said: “This young lady is applying for the job.” “Well, come along then” he said, before disappearing out the door through which I had previously entered. I had to navigate getting around the desk first, and by the time I was standing outside the door, I was up the creek. The man was nowhere to be seen. Where was I supposed to go? I found another door, but it led to the room where the meeting had just taken place. Surely, I wasn’t meant to go in there. I tried a different door, but behind it lay a kitchen. At this point I heard a noise coming from further up in the house. So, I climbed the stairs. On the next floor, all the doors were closed. Then, I heard a rustling noise from even higher up, so I climbed further. On the top floor I finally found an open door, and in the room behind it, I saw the gentleman who had rushed past me downstairs. He invited me in, and we talked for a while. After what had gone down before concerning my lack of professional experience, I pointed out several times that I was only modestly proficient in stenography and typewriting. Nevertheless, not long into our discussion, Dr Ballreich[8] asked: “Can you start on Monday?” I stuttered: “But don’t you want to see my certificates?” Ballreich: “I’m not interested in them. If Professor Bilfinger, the director, agrees, you can start on Monday.” Professor Bilfinger did agree. I started the following Monday and remained at the institute for almost 12 years until I gave up all professional work for family reasons. From then on, I moved in two worlds: My home was characterized by practical work, while at the institute I lived and breathed science and had the great privilege of meeting many important people in person.

“Make Yourself Familiar with It”. A Self-Made Career in Administration

On Monday morning, on my first day at work, the lady whose job I was to take over told me that along with my other tasks, I would also be responsible for keeping the institute’s accounts. I had absolutely no experience of bookkeeping. She explained: Income was to be put on white sheets, expenses on red sheets and pass‑through items on blue sheets, with everything being copied onto the large journal sheet. That can’t be so difficult, I thought to myself. Yet, the following week when I found myself sitting alone in front of all the sheets and had entered everything nice and neatly, Miss Greinert explained to me that I now had to “reconcile” the journal page: The right and left pages had to match. And so, blithely, I totted up the figures. Yet: Left and right, from where exactly? There were so many columns that I was utterly lost. I calculated and calculated, and lo and behold, at some point I ended up with two equal amounts.

Later, when I became solely responsible for all the bookkeeping, I had somewhat mixed feelings about the internal audits by the Max Planck Society and the tax audits by the tax office. It was not that I was afraid of having made mistakes, but rather that I wasn’t confident in my knowledge of a lot of the technical accounting terms. To make it easier for myself, I had a little trick where I would just use a finger to point out the figures the auditors asked about. However, I later encountered a problem when I was tasked with handling the billing for the institute’s extension “in accordance with the applicable guidelines” – I had no idea what these guidelines were. Dr Ballreich simply placed a loose‑leaf binder on my desk and said: “It’s all in there. Make yourself familiar with it.” I did my research and drew up a cost calculation. It amounted to 300,000 DM, which was a considerable sum at the time. Nobody voiced any objections.

Margarete Noll (on the right) with Miss Peukert and Hilde Kahlich, in front of the institute in 1959[9]

Later, the General Administration of the Max Planck Society made plans to introduce the Hollerith system into their standard accounting procedure. They were looking for an institute that was prepared to work with both Journal and Hollerith for an entire year during the trial phase. I was prepared to get involved. The Hollerith cards had to be marked with a graphite pencil according to certain specifications. The cards were then sent to Göttingen, where the Hollerith department was located. There, the cards were punched by machine, the resulting holes were read in another machine and the bookings were printed on large sheets of paper. These sheets were then sent to Heidelberg. Of course, it was superb that the machine could “spit out” different analyses as required. But the constant sending back and forth and waiting to have the monthly result back on one’s desk was tiresome. The association didn’t end up adopting the Hollerith system (for accounting).

I had been at the institute for perhaps just ten days when Miss Greinert asked me: “Please, go to the bank now and withdraw DM 10,000.” I was stunned: “Where am I supposed to put the money?” – “Oh, just put it in your bag.” And so, I set off, hanging my bag – a bucket bag that could be closed with drawstrings at the top – on the handlebars of my bike. It didn’t take me long to complete the short journey across the bridge. I collected the desired amount and stashed it in my bag. Then I made my way back. Anxiously, I was constantly checking both sides and occasionally behind me to see if anyone was watching. I couldn’t help feeling like everyone could tell what was in the bag. Yet, I arrived back at Philosophenweg completely unscathed. Miss Greinert distributed the money – which was for the monthly salary payments – into various envelopes, which she would then personally hand to all the employees of the institute. Some of the institute’s researchers worked at the house on Philosophenweg; so, in their case, it was simply a matter of going to a different floor. The Institute library with all its staff, however, was located in the house of Corps Saxo-Borussia in Friedrich-Ebert-Anlage. Miss Greinert would make the journey over there with the remaining envelopes. This procedure was repeated at the end of each month until the institute moved into the new building on Frankfurter Straße (later called Berliner Straße). Only then salaries started to be paid via bank transfer.

Among “Older Gentlemen”. Working at the Institute as a Young Woman.

Until her departure from the institute two years later (for reasons of age), Miss Greinert and I worked in the same room; first upstairs at 13. Philosophenweg and later in the new institute building as well. She would often tell me stories from Berlin times, for instance, about the events surrounding July 20, 1944 (the brother of the assassin was a member of the institute[10]) or the tragic death of a “half‑jew”, who had been “protected” by the institute until the end of the war, and then been shot by the Russians as he ran beaming towards the “liberators”.[11] But she also impressed me with her attitude. She admonished us young girls when we were eager to help at a dinner at the director’s house: “Please, ladies, only one lady should get up at a time. There will be too much commotion otherwise.” When, before the celebration of his 75th birthday, Professor Bilfinger asked: “What will the ladies be wearing?”, she replied: “Professor, we will know what to wear to honour you on the occasion.”

A few months after I joined, one of the secretaries left the institute. Some 20‑30 applicants of various ages responded to the job advertisement. Dr Ballreich dumped all the letters of application on my desk and said: “Take your pick.” I read through all the applications carefully and then decided on a young lady who was only slightly older than me. But upon telling him my “decision”, he said: “We can’t hire her. She works in the hospital construction office, the support of which we need for the new building – we can’t poach anyone from there.” However, I had objections to all the other applicants. Eventually, I was given permission to ask the lady for an interview – if I could reach her in person, that was (she had only given the telephone number of the hospital construction office). I succeeded; she was hired, and we are still friends more than 50 years later.

Carl Bilfinger at his home, 1950s[12]

Hilde Kahlich, as the new secretary was called, and I were the only young people among the “older gentlemen” in the house at 13. Philosophenweg. Professor Bilfinger, who had lost his wife[13] just a few months earlier, often invited us to have lunch with him. He clearly enjoyed showing us his paintings afterwards and discussing them. He was a great art lover and collector of the Old Masters.[14] During one of these discussions, he was stunned because none of us knew who the Witch of Endor[15] was. It was then that we realized that one cannot understand many of the Old Masters without knowledge of the Bible. Professor Bilfinger also told us many stories “from back then”; for instance, that his father, a priest at Ulm Minster,[16] had ordered him and his brother to stand at attention before Field Marshal von Moltke when he visited the minster.

Occasionally, prelate Schreiber[17] would visit the institute. He was a senator of the Max Planck Society for the Advancement of Science and a papal house prelate – recognizable by the purple trim on his white collar. Before the Concordat with the Vatican was signed, he had been a Centre Party politician, afterwards he was no longer allowed to be politically active. Each time he appeared, it was as though a tornado had struck the institute. He usually wanted to have a typist at his disposal as well. Hilde Kahlich and I took turns, but we’d both have always preferred to duck out. On one occasion, he dictated an entire commemorative essay to me (into shorthand). Everything was going quite well until he suddenly dictated “Habakkuk”. I was not familiar with the name. My biblical ignorance irritated him greatly. After a while, the text continued in Latin. He then began to individually spell out each word for me. When I shyly suggested that I could indeed spell Latin words from dictation, he was suddenly kindness personified. Another time, when it was my “turn” again, he summoned me to the Hotel Ritter, where he always stayed. I was asked into his room, made to sit down at a desk, and then he locked the door. It felt quite unsettling to be locked in a hotel room with a high‑ranking catholic priest. But he simply didn’t want to be disturbed while dictating. One time, however, he did put me in quite an uncomfortable situation. He wanted to get some rest in an adjoining room at the Bilfinger house and asked me to loosen his collar for him. Somehow, I eventually found it in myself to do that.

“’Normal’ People Don’t Get to Be There.” A Sneak Peek into High Society

Meeting of the German Society for International Law at the Institute, 1965[18]

After a meeting of the German Society for International Law in Heidelberg, where I had to take the minutes, one of the illustrious gentlemen embarrassed me. He wanted to know how much I earned. Did I have to tell him? Actually, I found the question rather indiscreet. I told him that unfortunately, as I was not just a secretary but also employed in the administration, I was obliged to maintain secrecy. With a smile, he said: “I can see who I’m dealing with” and probed no further.

The annual Board of Trustees meetings were very exciting. I attended partly because of the finances, but mainly because I had to write the minutes. All the gentlemen present – I was always the only female entity there- were more than twice or even three times my age, and all were respected scholars or important businessmen. On one occasion, the meeting took place in the board room of the Karlsruher Lebensversicherung, which its chairman Alex Möller[19] – later to become the Federal Minister of Finance – had made available to the Institute. During the meeting, I noticed that he was wearing a huge wristwatch. He really doesn’t have to show off his wealth like that, I thought to myself. However, I then noticed how far he would bend his head over his wrist when he tried to look at his watch. It was then I realized that, with the state of his vision, he was probably only able read an oversized watch face. It was a lesson to me not to be too quick to judge.

Another time, the Board of Trustees meeting took place in the BASF Board of Executive Directors’[20] meeting room on the top floor of the BASF building. “Normal” people don’t get to be there, usually. The view over the whole of BASF and the surrounding area was fantastic. The meal following the meeting took place in the BASF’s Feierabendhaus, where I found myself facing a big problem. All the gentlemen were waiting for me to start eating; however, I wasn’t quite sure how to “go about” the first course, which was completely foreign to me. I handled the cutlery very hesitantly until I could observe how to proceed. Another time, the President of the Federal Constitutional Court[21] invited everybody to dinner after the meeting. Whispered cautions were issued around the room to alert people that restraint was advisable when ordering à la carte, as the President was fond of parsimony. During the meal, I was seated next to him and noticed that he was indeed very parsimonious. I do, however, have one unpleasant memory of a meal after a meeting of the Board of Trustees, which took place at the private residence of the Chairman of the Board of Goldschmidt-AG[22] in Secheim. I was sitting next to the prelate, and we were just finishing the main course when something bit my leg. I felt a very sharp pain, but didn’t dare to crawl under the table to see what kind of beast had attacked me. The next morning, my leg was swollen and rock‑hard from my ankle to my groin, so I immediately sought medical treatment. A very painful calcium injection and absolute bed rest gradually brought my leg back to normal.

Of course, there were not only meetings; occasionally we also had celebrations with large receptions. During one such event, I got to meet the prodigious banker [Hermann Josef] Abs[23], who, as president of the German Federal Bank, ruled over the banking system of post‑war Germany. In the company of so many academics, he seemed to feel the need to point out that it was indeed possible to succeed even without higher education, as he began his speech with the words: “Now, somebody is going to speak, who, by rights, is not allowed to do so, in this circle. After all, I did not attend university.”

I once read in Otto Hahn’s[24] biography that throughout his life he considered it a deficiency not to have enjoyed a “humanistic education”. Yet, he achieved success “in spite of this” and has always remained a modest person. When I once visited the General Administration in Göttingen on business, I was shown around the president’s office. I was amazed at how modestly it was furnished and learned that Otto Hahn had forbidden any changes to the furnishings when he took up his post as President of the Max Planck Society. He needed a room to work in, not a representation room.

Now and then I had regrets about not pursuing maths and physics. But, working in the midst of eminent personalities on a daily basis, constantly experiencing human greatness up close as well as having the occasional opportunity to shake hands with Nobel Prize winners and other great minds was a life that thoroughly compensated for this.

Translation from the German original: Sarah Gebel/Callum Hanks

***

[1] We would like to thank the Noll family for kindly allowing the publication of this text on the blog. To improve legibility, subheadings and footnotes, as well as the photos, have been added by the editor.

[2] Walther Bothe (1891-1957) received the Nobel Prize for Physics in 1954.

[3] Photos: AMPG.

[4] Carl Bilfinger (1879-1958), Director of the Institute from 1944 to 1946 and from 1949 to 1954. On Bilfinger, see: Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (eds), Der Staats- und Völkerrechtler Carl Bilfinger (1879–1958). Dokumentation seiner politischen Biographie. Korrespondenz mit Carl Schmitt, Texte und Kontroversen, Baden-Baden: Nomos 2024; also, published on this blog: Reinhard Mehring, Vom Berliner Schloss zur Heidelberger „Zweigstelle“. Carl Bilfingers politische Biographie und seine strategischen Entscheidungen von 1944, MPIL100.de; Johannes Mikuteit, Gerhard Leibholz’s Protest Against the Appointment of Carl Bilfinger as Founding Director of the MPIL, MPIL100.de.

[5] Presumably it was a Canaletto, see: Philipp Glahé, Kunst und Distinktion. Carl Bilfinger als Sammler, in: Philipp Glahé/Reinhard Mehring/Rolf Rieß (fn. 4), 445-470.

[6] Today Saaremaa, Estonia. Ellinor Greinert Ellinor Greinert (1894-1966) was a native Baltic German and worked at the institute from 1928 to 1955, first as a foreign language secretary and then as a secretary to the directorate.

[7] Photo: MPIL.

[8] Hans Ballreich (1913-1998), from 1949 to 1955 a research fellow, then head of administration at the Institute. From 1962 to 1966 Secretary General of the Max Planck Society (MPG).

[9] Photo: Noll family.

[10] Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944) was a research fellow at the institute from 1929 until his execution in 1944. As the brother of Claus von Stauffenberg, who carried out the failed bomb attack against Hitler on 20 July 1944, he was a close confidant and supporter of the resistance movement.

[11] Joachim-Dieter Bloch (1906-1945) was a research fellow at the KWI from 1927 to 1945. According to Nazi racial ideology, he was considered a ‘quarter Jew’, but unlike the institute members Erich Kaufmann (1880-1972) and Marguerite Wolff (1883-1964), who were persecuted as ‘full Jews’, he was not dismissed from the institute and forced to emigrate.

[12] Photo: Magarete Noll.

[13] Margarethe Bilfinger, born as Margarethe Schuler, (1887-1951).

[14] See on this: Glahé (fn. 5)

[15] A biblical figure from the Old Testament (1 Sam 28).

[16] Adolf von Bilfinger (1846-1902).

[17] Prelate Georg Schreiber (1882-1963), senator of the Kaiser Wilhelm Society (KWG) from 1926 to 1933 and of the MPG from 1946, honorary senator from 1960. Co-founder of the ‘Trier branch’ of the KWI (1925-1933), as well as scientific member of the MPIL, see: Martin Otto, The KWI and the Catholic Church. A “Special Relationship”?, MPIL100.de.

[18] Photo: MPIL.

[19] Alex Möller (1903-1985), was Chairman of the Social Democratic Party of Germany in Baden-Württemberg from 1962 to 1966 and Federal Minister of Finance from 1969 to 1971.

[20] Wolfgang Heintzeler (1908-1990), Deputy Chairman of BASF, member of the Institute’s Board of Trustees.

[21] Gebhard Müller (1900-1990), President of the Federal Constitutional Court from 1959 to 1971.

[22] Theo Goldschmidt (1883-1965), entrepreneur and Chairman of the Supervisory Board of the chemical company Goldschmidt AG.

[23] Hermann Josef Abs (1901-1994), banker and member of the Management Board of Deutsche Bank.

[24] Otto Hahn (1879-1968), chemist and from 1946 the last President of the KWG as well as from 1948 to 1960 the first President of the MPG, which emerged from the KWG.

Eine (un)sichtbare Geschichte? Die Max-Planck-Büste Walther Wolffs

History Hidden in Plain Sight. The Max Planck Bust by Walther Wolff

Deutsch

Betritt man das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL), so fallen im Eingangsbereich drei Kunstwerke auf. Linker Hand hängt das großformatige, 6,3 x 2,3 Meter messende Triptychon von H. D. Tylle Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach. Rechter Hand stehen zwei Bronze-Büsten. Die erste zeigt den Namensgeber des Instituts und der gleichnamigen Forschungsgesellschaft, den Physiker und Nobelpreisträger Max Planck (1858-1947), die zweite stellt den Widerstandskämpfer und ehemaligen Institutsangehörigen Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944) dar. Thematisiert das Gemälde von Tylle den Fall der Mauer und die deutsche Einheit – die „deutsche Frage“ war über 40 Jahre lang eines der dominierenden Themen am Institut –, stehen die Büsten für zwei Männer, die für die institutionelle Erinnerungskultur beziehungsweise das Selbstverständnis der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) von Bedeutung sind. Alle drei Kunstobjekte stehen der Form ihrer Anordnung nach in einer Sichtachse und sind, gleich einem Schaufenster, über die bodentiefen Fensterfronten auch von außerhalb des Instituts sichtbar.

Der Eingangsbereich des MPIL. Links das Gemälde von H.D. Tylle, rechts die Büsten von Max Planck und Berthold von Stauffenberg[1]

Wenngleich die Geschichte ihrer Aufstellung im Foyer auf den ersten Blick eher zufällig erscheinen mag, korrespondieren die Büsten und das Gemälde inhaltlich und formell miteinander und zitieren sich auch als Kunstform gegenseitig:  So zeigt auch der linke Flügel von Tylles Triptychon eine Büste. Es ist die mannshohe Büste Wladimir Iljitsch Lenins, demontiert und als Altmetall auf dem Hinterhof eines Immobilienunternehmens vor sich hin rostend, vom Unkraut des Vergessens überwuchert.

Somit stellt sich im Eingangsbereich des Instituts ein Schnellabriss der deutschen Geschichte dar, zumindest wie sie sich aus Sicht des Instituts bzw. der MPG präsentiert. Die Spannbreite zwischen den Werken ist breit, changiert sie zwischen abgesetzten Helden der Verlierer-Ideologie des Sozialismus und historischen Bekenntnisfiguren von Institut und MPG.[2] Zwischen den beiden Extremen der deutschen Geschichte steht politisch wie ideologisch unverdächtig Max Planck, ein Physiker, der nicht viel, um nicht zu sagen nichts, mit den Forschungsthemen des Instituts gemein hat. Zwischen 1930 und 1937, sowie von 1945 bis 1946 war Planck Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), innerhalb derer das Institut 1924 ins Leben gerufen worden war. Nach ihrer Neugründung 1948 wurde Planck zum Namensgeber der Forschungsorganisation. Fast jedes der 84 Institute besitzt eine Büste Plancks, viele von ihnen sind, wie diejenige des MPIL, Abgüsse der Büste Walther Wolffs.[3] Max Planck zählt nicht nur zu den bedeutendsten deutschen Naturwissenschaftlern, er war auch ein einflussreicher Wissenschaftsmanager. Seine kommissarische Übernahme des Präsidentenamtes 1945 bedeutete eine personelle wie ideelle Anknüpfung an die Vorkriegsforschung der KWG. Zugleich machte die Umbenennung der Forschungsgesellschaft, die die Briten zur Grundbedingung ihrer Fortführung gemacht hatten, deutlich, dass man sich vom preußischen Militarismus, für den Kaiser Wilhelm II. stand, distanzieren wollte. Die Max-Planck-Büste steht somit für das Ideal der „reinen Forschung“, für Integrität und Spitzenwissenschaft.

Die Büsten von Max Planck und Berthold von Stauffenberg am MPIL, fotografiert 2024 mit starkem Blitz. Kein ästhetisierender Schattenwurf, sondern dokumentarischer Darstellungsmodus. Links Lenin-Büste, Bilddetail H.D. Tylle[4]

Doch stehen die Büste, der Künstler, der sie angefertigt hat, sowie der Portraitierte in einer komplexen historischen Beziehung zueinander, die inzwischen in Vergessenheit geraten ist. Dieser Beitrag möchte einen neuen Blick auf ein altes und viel zu oft übersehenes Objekt werfen: die Max-Planck-Büste. Hierbei möchte er am Beispiel der Büste als Kunstform Schlaglichter werfen auf das historische Selbstverständnis des Instituts und der MPG und auf die Kontinuität von Wissenschaftsnetzwerken über die Systembrüche der neueren deutschen Geschichte.

„Thinking through things“. Objektbiographie und “material turn”

Objekte, insbesondere Kunstgegenstände, haben eine soziale und symbolische Funktion. In den sogenannten „materialbezogenen Wissenschaften“ wie der Archäologie, Volkskunde oder Kunstgeschichte wird das Objekt, im Sinne eines Artefaktes, als ein dem Text gleichrangiges historisches Dokument betrachtet.[5] In Fortführung des „linguistic turn“ erfolgte in den 1980er Jahren der „material turn“, der „Objekte zu unverzichtbaren Instrumenten der Erkenntnis“ erhebt.[6] In der Geschichts- und Literaturwissenschaft wird das „thinking through things“ zwar bis heute kontrovers diskutiert, ist jedoch kaum mehr wegzudenken.[7] Auch die Völkerrechtswissenschaft versucht seit geraumer Zeit, diesen Ansatz für sich nutzbar zu machen.[8]

Was der „material turn“ deutlich in den Fokus gerückt hat, ist die Zentralität des (kulturkonstituierenden) Verhältnisses von Mensch und Objekt.[9] Da Objekte in unauflösbarer Wechselwirkung mit den Menschen stehen, die sich mit ihnen umgeben, können sie auch als Spiegel beziehungsweise Projektionsfläche von Wertvorstellungen, Geschichtsbildern und Selbstverständnissen betrachtet werden. Judy Attfield zufolge haben sie auch eine eigene Biographie, die sich aus der materiellen Geschichte des Gegenstandes, seiner Herstellung und Nutzung und der sich im Laufe der Zeit wechselnden Bedeutungszuschreibung erschließt.[10] Möchte man beim Beispiel der Büste bleiben, so ergibt sich ihre Interpretation und Bedeutungszuschreibung aus dem Zusammenspiel der Betrachtung des Dargestellten, des Darstellungsmodus, der Wahl des Materials und des ästhetischen Zuschnitts. Hinzu kommen externe Faktoren wie die „Genealogie“ der Besitzer oder der Zustand des Materials, die Aufschluss geben über die Nutzung, Aufstellung und Behandlung des Kunstobjektes.

Dies gilt auch für die Max-Planck-Büste, die man als Objekt der Instituts- beziehungsweise der deutschen Wissenschaftsgeschichte begreifen kann. Der Ort ihrer Aufstellung und ihre (Nicht-) Einbindung in den Institutsalltag können einen Aufschluss über den Wandel des historischen Selbstverständnisses der Institution wie der Forschungsgesellschaft, der sie angehört, geben. Doch was genau sagt die Max-Planck-Büste aus, über sich selbst und mehr noch über diejenigen, die sie aufgestellt haben?

„Arbeiten par coeur“. Walther Wolff zwischen Impressionismus und Klassizismus

Nahezu in Vergessenheit geraten ist der Erschaffer der Max-Planck-Büste, der Bildhauer Walther Wolff (1887-1966). Sein Werk weist eine große Spannbreite im Stil, jedoch auch in seiner politisch-ideologischen Anpassung an die Erwartungen seiner Zeit auf. Geboren wurde Wolff in eine wohlhabende Elberfelder Fabrikantenfamilie.[11] Nach dem Studium der Malerei und Bildhauerei in München ging er von 1910 bis 1912 nach Paris. Dort lernte er Auguste Rodin kennen, mit welchem sich eine enge Freundschaft entwickelte, wie auch mit Aristide Maillol und Henry Matisse.[12] Weitere wichtige Prägungen erfuhr Wolff durch Cézanne, van Gogh, Gauguin, Munch, Picasso und Braque, deren Werke er in Paris intensiv rezipierte. Als Wolff 1912 die Einladung des neoklassizistischen Bildhauers Louis Tuaillon zur Meisterschüler-Ausbildung erhielt, ging er zu diesem nach Berlin. In der Folge zeigte sich in Wolff eine lebenslang andauernde Zerrissenheit zwischen der „Lust des spontanen Zupackens und Hinsetzens der Form ohne Glattmacherei“, wie er es bei Rodin gelernt hatte, und der akademischen Strenge wie „formalen Vollendung“, wie er sie bei Tuaillon und Georg Kolbe an der Kunstakademie in Berlin vermittelt bekam.[13]

Wolffs künstlerische Karriere erlebte nach dem Ersten Weltkrieg ihren Aufschwung. Einen Namen machte er sich mit Portraitköpfen von Künstlern und Industriellen. Ebenfalls große Aufmerksamkeit brachten Wolff seine großformatigen Kriegerehrenmale ein, die auf verschiedenen Soldatenfriedhöfen aufgestellt wurden. Während Wolffs Denkmäler im neoklassizistischen Stil gehalten sind und zwischen antikisierender Ästhetisierung des Kriegshelden sowie der unüberhöhten Darstellung von Sterben, Tod, Trauer und Leid schwanken, sind seine Büsten impressionistische Werke.[14]

Wolffs Schaffensweise, die er selbst als „arbeiten par coeur“ bezeichnete, charakterisiert sich durch Spontaneität und Schnelligkeit.[15] Für seine Büsten fertigte er, entweder nach Modell oder aus dem Gedächtnis heraus, vorbereitende Skizzen, nach denen er seine Tonköpfe formte, nach denen wiederum seine Bronzen gegossen wurden.[16] Misslang ein Tonkopf im ersten Versuch, arbeitete Wolff ihn nicht nach, sondern formte ihn komplett neu. „Es ist eine Absage an alles Geglättete und Gefeilte, an eine vordergründige Harmonie“, die Wolffs Werk laut dem Kunsthistoriker Hans Wille charakterisiere und welche die Individualität der Dargestellten und ihre „psychologische Durchdringung“ durch den Bildhauer ganz besonders gut zum Ausdruck bringe.[17]

„Vertreter der botmäßigen Kunst“. Walter Wolff im Nationalsozialismus

Die Max-Planck-Büste auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ 1939 (rot umrandet)[18]

Doch nicht nur die Nachkriegskunstkritik lobte Wolffs Gabe zur Erfassung der von ihm Dargestellten – das NS-Regime tat es auch.[19] Denn: Walther Wolff portraitierte ab 1933 mit Vorliebe und Erfolg Protagonisten der völkisch-künstlerischen Avantgarde des „Dritten Reiches“, so Alfred Cortot, Walter Gieseking, Wilhelm Furtwängler und Paul Graener. Der Dirigent Furtwängler und der Pianist Graener gehörten zu jenen 1000 Kulturschaffenden, die 1944 als unverzichtbar für die NS-Ideologie in die „Gottbegnadeten-Liste“ Josef Goebbels‘ aufgenommen worden waren.[20] Doch Walter Wolff begnügte sich nicht mit Darstellungen von Künstlern. Auch nationalsozialistische Politiker wurden von ihm portraitiert, wie der Reichsführer der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley und der SA-Führer Viktor Lutze.[21] 1933 schuf Wolff die zu Propagandazwecken verbreitete „Ehrenplakette des Führers“, welche das Konterfei Hitlers zeigte.[22] Überdies fertigte Wolff Büsten Adolf Hitlers und Hermann Görings an.[23] Wolffs Hitler-Büsten fanden Eingang in die offizielle NS-Propaganda und wurden in Schulbüchern zur Indoktrinierung der Jugend verwendet. Das Allgemeine Künstlerlexikon sieht in Wolff einen der führenden Künstler des „Dritten Reichs“, denn seine Arbeiten „zählten neben Arno Brekers Hitlerbüsten zu den bekanntesten ‚Führer‘-Köpfen und prägten das öff[entliche] Bild Hitlers ikonografisch.“[24] Auch der Soziologe Joachim S. Hohmann scheut den Vergleich mit „Hitlers Hofkünstler“ Arno Breker nicht:

 „Breker wie Wolff unterfangen sich, den Ausdruck von seherischem Ernst und übernatürlicher Entscheidungskraft zu treffen – allein der verfinsterte Blick bei Breker und die überbetonte Augenpartie bei Wolff zeigen, daß es den Vertretern der botmäßigen Kunst nicht um die bloß naturalistische Darstellung Hitlers getan war, sondern sich beide bestrebt zeigen wollten, die ‚Führerpersönlichkeit‘ hervorzuheben.“[25]

Anders als Wolff wendet sich Breker jedoch dem klassizistischen Schönheitsideal zu. Mit seinen monumentalen Plastiken und Figuren, die das „arische“ Menschenbild verkörperten und propagierten, gelang Breker ein beispielloser Aufstieg auf dem nationalsozialistischen Kunstmarkt.[26] Wolff konnte damit nicht mithalten. Wenngleich seine Büsten belegen, dass auch er mit seiner Kunst das Regime unterstützte, diente er sich nicht der völkischen Ästhetik an. Stattdessen behielt er seinen, teils jedoch abgeschwächten, impressionistischen Stil bei, der ihm auch im „Dritten Reich“ große Anerkennung, jedoch keine führende Rolle im Kunstbetrieb brachte.

Detail-Ansicht der Büste[27]

Die von Wolff angefertigte Büste Max Plancks kann als sinnbildlich für die komplexe Stellung des Bildhauers im NS-Kunstbetrieb gelten. Entstanden ist die Bronze-Büste im Jahre 1939. Nähere Hintergründe hierzu haben sich nicht finden lassen. Es ist nicht bekannt, ob die Büste eine Auftragsarbeit ist, und auch nicht, ob Wolff sie, wie viele seiner Werke, aus dem Gedächtnis formte oder ob Max Planck ihm Portrait saß. Auch die Darstellung Plancks ist impressionistischer Machart: Die Oberfläche der Büste ist rau, das Alter des damals schon über 80-jährigen Planck tritt deutlich hervor. Wolffs Planck-Büste fand in der NS-Kunstkritik hohes Lob, zeige sie doch „die starke Einfühlungskraft des Künstlers, der das seelisch-geistige Moment im Dargestellten mit seiner Innerlichkeit sichtbar werden läßt.“[28] Dass die Büste 1939 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ ausgestellt wurde –  zusammen mit der Büste Robert Leys – belegt, für wie bedeutsam sie gehalten wurde.[29] Die „Große Deutsche Kunstausstellung“ fand zwischen 1937 und 1944 jährlich in München statt und kann als wichtigste nationalsozialistische Kunstveranstaltung gelten. Wolff war 1937, 1939, 1942 und 1943 auf ihr vertreten.[30]

Max Planck ist kein Vertreter der NS-Ideologie gewesen. Dennoch stand der Nobelpreisträger von 1918 dem Regime lange Zeit loyal gegenüber und wurde von diesem als Aushängeschild deutscher Spitzenforschung wahrgenommen. Als Präsident der KWG trug Planck nach 1933 fast alle antisemitischen und antidemokratischen Säuberungsmaßnahmen der Nationalsozialisten in der KWG mit, wenngleich ohne große innere Überzeugung.[31] Gegen Ende der 1930er wurde er, wie viele Intellektuelle, dem „Dritten Reich“ gegenüber kritischer, suchte aber keinen Bruch. Im Gegenteil blieb Planck auch nach dem Ende seiner Amtszeit 1938 dem Regime gegenüber loyal.[32]

„Für die Ehre der deutschen Wissenschaft“. Der Schenker Heinrich Hörlein

Heinrich Hörlein als Angeklagter im I.G.-Farben-Prozess ca. 1948[33]

Die Planck-Büste wurde, vermutlich im Nachgang der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ 1939 vom Chemiker Heinrich Hörlein (1882-1954) erworben.[34] Hörlein war im „Dritten Reich“ kein unbeschriebenes Blatt. Das Vorstandsmitglied der I.G. Farben war 1933 der NSDAP beigetreten und wurde 1941 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt.[35] Von 1933 bis 1941 Leiter des I.G.-Farben-Werkes in Elberfeld, fiel die Entwicklung von Kampfstoffen, insbesondere der Nervengase Tabun und Sarin, unter seine Verantwortung. Darüber hinaus war er Mitglied des Aufsichtsrates der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung („Degesch“), die das Giftgas Zyklon B herstellte.[36] Als Senator (ab 1937) bekleidete er in der KWG hohe Ehrenämter: Von 1937 bis 1941 war er stellvertretender beziehungsweise erster Schatzmeister der KWG und Mitglied des Verwaltungsausschusses des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie.[37] 1945 wurde er von den Amerikanern verhaftet und zwei Jahre später im I.G.-Farben-Prozess wegen Planung und Vorbereitung eines Angriffskrieges, Raub und Plünderung von öffentlichem und privatem Eigentum, Sklaverei und Massenmord sowie Teilnahme an verbrecherischen medizinischen Versuchen und Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden angeklagt, jedoch freigesprochen.[38] Es konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er von der vom Zweck der Verwendung des Zyklon B und von medizinischen Versuchen in den Konzentrationslagern gewusst hatte.[39] Hörlein selbst sah sich als zu Unrecht verfolgt an und bekannte in seinem Schlussplädoyer vor Gericht, er habe stets „für die Menschheit, für die Ehre der deutschen Wissenschaft“ gearbeitet.[40] Prominente Unterstützung im Prozess erhielt Hörlein vom damaligen Präsidenten der KWG Otto Hahn und dem Nobelpreisträger und späteren MPG-Präsidenten Adolf Butenandt, die dem KWG-Senator und Chemiker unpolitische Grundlagenforschung bescheinigten.[41] Nach 1948 wieder Senator in der neu gegründeten Max-Planck-Gesellschaft, vermachte Hörlein 1952 der MPG anlässlich seines 70. Geburtstages die Büste Plancks als Geschenk.

Ein Kultobjekt? Die Max-Planck-Büste in MPG und MPIL

In der Wahrnehmung der Büste standen jedoch weder ihr Erschaffer noch ihr Schenker im Vordergrund, sondern der Dargestellte. Er hatte sich im „Dritten Reich“ nicht kompromittiert, genoss auch im Ausland hohes Ansehen und stellte eine wichtige personelle und intellektuelle Kontinuität in die Vorkriegszeit dar.[42] Dies sahen auch die britischen Besatzungsbehörden so, die wie Otto Hahn 1946 notierte, „sehr glücklich“ über die Wahl Plancks waren. „Auch empfehlen sie das Anbringen einer Planck-Büste, sofern eine solche vorhanden ist.“[43]

An Büsten sollte es der MPG im Folgenden nicht mangeln. Max Planck hatte schon zu Lebzeiten einen nahezu popkulturellen Status und wurde von zahllosen Künstlern in Gemälden aber auch in Bronze- und Marmorbüsten festgehalten, die vielfach der MPG gestiftet worden waren.[44] Insbesondere jedoch die Büste Walther Wolffs avancierte zu einem der „Kultobjekte“ innerhalb der Forschungsgemeinschaft. Das Original wurde im Büro des MPG-Präsidenten in Göttingen platziert, zudem war es bis in die 2000er Jahre Brauch, die Büste Walther Wolffs bei den Generalversammlungen der MPG aufzustellen.[45]

Hubert Markl, Präsident der MPG von 1996 bis 2002, anlässlich der Hauptversammlung der MPG mit Max-Planck-Büste von Walther Wolff (Foto undatiert)[46]

Abgüsse wurden bis Mitte der 1960er Jahre im Rahmen von Festakten von der Generalverwaltung an die neu- beziehungsweise wiedergegründeten Institute überreicht.[47] Das Heidelberger Institut erhielt seine Büste (einen Abguss von 1951) 1954 anlässlich der Einweihung des neuen Institutsgebäudes von MPG-Präsidenten Otto Hahn. Hahn überreichte Institutsdirektor Carl Bilfinger die Büste mit den Worten:

„Die Max-Planck-Gesellschaft schenkt dem Institut zur Einweihung die Büste unseres hochverehrten Max Planck, geschaffen von der Meisterhand des Bildhauers Walther Wolff, des grossen Gelehrten und Menschen Max Planck, der unser Präsident war und dessen Namen zu tragen wir die Ehre haben.“[48]

Die Büste im alten Institutsgebäude: Otto Hahn und Carl Bilfinger bei der Einweihung des Institutsneubaus, 25.06.1954; die Büste im Instituts-Treppenhaus 1954 und 1971[49]

Aufgestellt wurde der Kopf im damaligen Institutsgebäude in der Berliner Straße an zentraler Stelle direkt im Treppenhaus beim Haupteingang, anders als die Büste Berthold von Stauffenbergs, die Institutsdirektor Hermann Mosler aufgrund Stauffenbergs damaliger politischer Umstrittenheit zunächst gar nicht im Institut aufstellen wollte und dies erst 1975, weitab im zweiten Stock, tat.[50] Max Planck indes wurde unpolitisch gelesen. Und dies war natürlich nicht nur im Institut der Fall. Die Bedeutung Plancks als intellektuelle Referenzfigur und Vorbild politischer und menschlicher Integrität ist in der MPG vielfach bis heute ungebrochen, wobei auch kritische, historisch kontextualisierende Töne zur Rolle Plancks als Wissenschaftsakteur spätestens seit der von 1999 bis 2005 eingesetzten Präsidentenkommission zur Geschichte der KWG im Nationalsozialismus hörbar sind.[51]

Für das MPIL selbst ist Planck als Physiker von indirekter Bedeutung, verkörpert er vor allem den auch für dieses Institut geltenden Anspruch wissenschaftlicher Exzellenz und Neutralität. Doch die räumliche Zentralität blieb Planck auch beim Umzug in das aktuelle Institutsgebäude im Neuenheimer Feld 1996 erhalten, auch nach dem Umbau des Eingangsbereiches. Dennoch wandelte sich die Einbeziehung der Büste in den Institutsalltag. Zeitzeugenaussagen zufolge klangen Institutsfeierlichkeiten im alten Gebäude in der Berliner Straße vielfach zu fortgeschrittener Stunde beim Zusammensitzen und gemeinschaftlichen Singen im Treppenhaus aus, wobei man sich gerne um die Planck-Büste gruppierte.[52] Im Neubau war die Büste, die im Ausleihbereich am Haupteingang aufgestellt wurde, bis zum Umbau stark in den Alltag der Bibliothek integriert, „wachte“ sie doch über Bibliotheksmitarbeitende, Gäste und Bücher.

Die Max-Planck-Büste im Ausleih-Bereich des früheren Haupteinganges (ca. 2010) mit den Bibliothekarinnen Dana Zatopkowa und Anna Lamparter[53]

Auch heute hat die Büste einen zentralen Platz im Institut, ihre Wahrnehmbarkeit scheint indes gesunken zu sein. Die räumlichen Gegebenheiten laden weniger zum geselligen wie informellen Beisammensein um die Büste herum ein, zudem wird der Bronzekopf von vielen (internationalen) Gästen kaum erkannt oder an einem juristischen Forschungsinstitut dem Physiker Planck zugeordnet. Gegenüber dem monumentalen Triptychon H.D. Tylles nimmt sich die Büste recht bescheiden aus. Nicht selten stiehlt ihr der deutlich jüngere (und ins Attraktivere idealisierte) Stauffenberg die Show, der im Gegensatz zur Planck-Büste namentlich beschriftet ist und gerne mit dem weitaus populäreren Claus von Stauffenberg verwechselt wird. Durch die neue Anordnung der beiden Büsten erhält diejenige Max Plancks (zumindest für historisch Kundige) einen neuen interpretativen Bezug: Plancks Sohn Erwin(1893-1945) hatte, wie auch Berthold von Stauffenberg, der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 angehört und war im Januar 1945 von den Nationalsozialisten ermordet worden.

Dennoch: Trotz ihrer gesunkenen Wahrnehmung bleibt die Planck-Büste zentral. Jeder Gast, jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter passiert Max Planck tagtäglich mehrfach, sei es beim morgendlichen Betreten oder abendlichen Verlassen des Instituts oder auf dem Weg zu den Montags- oder Dienstagsrunden in den Konferenzräumen 037/038. Üblicher Treffpunkt für gemeinsame Mittagessen in der Uni-Mensa im Neuenheimer Feld unter Institutsangehörigen und Gastforschenden ist zudem der Eingangsbereich des MPIL. Während man auf seine Kolleginnen und Kollegen wartet, wartet man also auch immer mit Max Planck zusammen. Früher oder später bemerkt man den Bronzekopf dann doch und mag sich fragen: Wer ist das eigentlich?

Fazit

Die Büste Walther Wolffs bewegt sich in einem komplexen historischen Spannungsfeld. In ihrer Form am Impressionismus des späten 19. Jahrhunderts orientiert, stellt sie mit dem theoretischen Physiker Max Planck einen vermeintlich unpolitischen Wissenschaftler dar, der als moralische Vorbildfigur und Vertreter deutscher Spitzenforschung wahrgenommen wird. Die Büste selbst gibt wenig Aufschluss über den historisch belasteten Kontext ihrer Entstehung im „Dritten Reich“, ihrer Rezeption durch die NS-Kunstkritik und der Begleitumstände ihrer Schenkung an die MPG. Der Umstand, dass der Nobelpreisträger Planck im Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem „Dritten Reich“ und der Bundesrepublik als gleichermaßen anknüpfungsfähiger Referenzpunkt für Wissenschaftlichkeit, Objektivität und Spitzenforschung gilt, ist eine Erkenntnis, die die Büste übermittelt. Dass die MPG in den 1950ern in ihren Instituten Abgüsse eines NS-belasteten Künstlers fertigen und verteilen ließ, ist Ausdruck der gesellschaftlichen Ambivalenzen und Selbstwahrnehmung der frühen Nachkriegszeit. Seine Andienung an das Regime wurde als gleichermaßen vernachlässigbar angesehen, wie die eines Großteils der Forscherinnen und Forscher der KWG, die wenige Jahre zuvor selbiges getan hatten. Die Geschichte der Büste gibt somit Einblicke (wissenschaftliche) Netzwerke, ästhetische Geschmackspräferenzen und Selbstbilder innerhalb der deutschen Elite und vor allem in der MPG.

[1] Fotos: MPIL.

[2] Die komplexe und wechselhafte Geschichte der Wahrnehmung Berthold von Stauffenbergs und der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 von „Vaterlandsverrätern“ in den 1950ern zu verklärter Heldenverehrung kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Hierzu ist ein separater Blogbeitrag des Verfassers in Vorbereitung. Zur Verortung der juristischen KWI in der deutschen Widerstandsgeschichte: Rolf-Ulrich Kunze, Nische oder Relais? Das Schwester-KWI für ausländisches und internationales Privatrecht, 1933 bis 1939, mit Blick auf das KWI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, MPIL100.de.

[3] Nicht alle im Besitz der MPG und ihrer Institute befindlichen Büsten stammen jedoch von Walther Wolff: Lorenz Friedrich Beck (Hrsg.), Max Planck und die Max-Planck-Gesellschaft. Zum 150. Geburtstag am 23. April 2008 aus den Quellen, Berlin: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft 2008, 219, 287-289. Nachweislich überreicht wurde die Max-Planck-Büste Walther Wolffs an das MPI für Physik der Stratosphäre und der Ionosphäre, das MPI für Biochemie, das MPI für medizinische Forschung, das MPI für Eiweiß- und Lederforschung, das MPI für ausländisches und internationales Privatrecht und das MPI für Spektroskopie, siehe: Schreiben von Otto Benecke an Walter Dieminger, datiert 19.August 1957, AMPG, II 066 0042 0146; Schreiben von Hans Seeliger an Adolf Butenandt, datiert 18. Juni 1957, AMPG, II 066 0619 m2 0201; Beschreibung des Instituts für medizinische Forschung, AMPG, II 066 1066 m1 0157; Schreiben von Hans Seeliger an das MPI für Eiweiß- und Lederforschung, datiert 27. April 1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240; Schreiben von Otto Benecke an Kurt Glässing, datiert 16. Oktober 1956, AMPG, II 066 3659 m1 0088; Aktennotiz von Adolf Butenandt, datiert 02. Mai 1966, AMPG, II 066 4100 0016. Ein Schreiben Kurt Pfuhls legt nahe, dass bis Mitte der 1960er noch mehr MPIs mit Büsten Walther Wolffs ausgestattet worden sein könnten: Schreiben von Kurt Pfuhl an Reinhold von Sengbusch, datiert 17. Dezember 1965, AMPG, II 066 2121 m1 0158.

[4] Fotos: Maurice Weiss.

[5] Peter J. Bräunlein, Material Turn, in: Georg-August-Universität Göttingen (Hrsg.), Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen: Wallstein Verlag 2012, 30-44, 31.

[6] Bräunlein, (Fn. 5), 31.

[7] Andreas Ludwig, Materielle Kultur, Version: 2.0, Docupedia-Zeitgeschichte, 01.10.2020.

[8] Daniel Ricardo Quiroga-Villamarìn, Beyond Texts? Towards a Material Turn in the Theory and History of International Law, JHIL 23 (2021), 466-500, 467, 470; Jessie Hohmann, The Lives of Objects, in: Jessie Hohmann, Daniel Joyce (Hrsg.), International Law’s Objects, Oxford: Oxford University Press 2018, 30-46, 34; Carl Landauer, The Stuff of International Law, EJIL 32 (2021), 1049-1077, 1052.

[9] Ludwig, (Fn. 7).

[10] Judy Attfield, Wild Things. The Material Culture of Everyday Life, Oxford: Bloombury 2000, 3.

[11] Marie-Luise Baum, Walther Wolff (1887-1966), in: Marie-Luise Baum (Hrsg.): Wuppertaler Biographien, Folge 6 (= Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Bd. 14), Wuppertal: Polyphen 1966, 123-131, 124-125; Hertha Schwarz, Eintrag „Wolff, Walther“, in: Andreas Beyer/Bénédicte Savoy/Wolf Tegethoff (Hrsg.), Allgemeines Künstlerlexikon, Berlin: K. G. Saur 2022.

[12] Baum (Fn. 11), 127; Marie-Luise Baum, Blick auf ein erfülltes Werk. Der Bildhauer Walther Wolff-Ossiach wird 75 Jahre alt, Unsere Bergische Heimat 11 (1962), o. S.

[13] Baum, (Fn. 11), 128.

[14] Hans Wille, Der Bildhauer Walther Wolff, Romerike Berge 11 (1962), 129-135, 130.

[15] Baum, (Fn. 11), 130.

[16] Baum, (Fn. 11), 130.

[17] Wille (Fn. 14), 133.

[18] Foto: GDK 1939 35 02, Jaeger und Goergen, 1939, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek.

[19] Werner Rittich, Monumentale Bildplastik, Die Kunst im Dritten Reich 2 (1938), 16-23, 21-22.

[20] Andreas Domann, „Führer aller schaffenden Musiker“. Paul Graener als nationalsozialistischer Kulturpolitiker, in: Albrecht Riethmüller/Michael Custodis (Hrsg.), Die Reichsmusikkammer. Kunst im Bann der Nazi-Diktatur, Köln: Böhlau 2015, 69-86; Ernst Waeltner, Gieseking, Walter Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, Berlin: Dunker und Humblot 1964, 384-385; Jörg Osterloh, „Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes“. Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920-1945, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2020, 553.

[21] Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1939. Im Haus der Deutschen Kunst zu München, München: Knorr & Hirth 1939, 93; Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1942 im Haus der Deutschen Kunst zu München, München: Bruckmann Verlag 1942, 80.

[22] Schwarz (Fn. 11); Sammlung Deutsches Historisches Museum Berlin, Metallplatte: Porträt Adolf Hitler.

[23] Claudia Schmölders, Hitlers Gesicht. Eine physiognomische Biographie, München: C. H. Beck 2000, 129; Patrick Rößler, Exil daheim. Die neue Linie und der braune Geist – Beobachtungen zur Avantgarde im Nazi-Deutschland, in: Markus Behmer (Hrsg.), Deutsche Publizistik im Exil 1933 bis 1945. Personen – Positionen – Perspektiven, Münster: LIT Verlag 2000, 261-281.

[24] Schwarz (Fn. 11).

[25] Joachim Stephan Hohmann, Bauern-, Krieger-, Führertum – Abbildungen im faschistischen Deutschlesebuch, in: Joachim Stephan Hohmann (Hrsg.), Erster Weltkrieg und nationalsozialistische „Bewegung“ im deutschen Lesebuch 1933–1945, Frankfurt am Main: Peter Lang 1988, 161-165, 165

[26] Björn Thomann, Arno Breker, Internetportal Rheinische Geschichte.

[27] Foto: MPIL.

[28] Bruno E. Werner, Die Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin: Rembrandt-Verlag 1940, 65.

[29] Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1939 (Fn. 21), 93.

[30] Robert Thoms, Die Künstler der Großen Deutschen Kunstausstellung München 1937-1944. Gesamtverzeichnis, Berlin: Neuhaus Verlag 2018, 252. Leider ist der Aufstellung nicht zu entnehmen, mit welchen Werken Wolff vertreten war.

[31] Dieter Hoffmann, Max Planck. Die Entstehung der modernen Physik, München: C. H. Beck 2008, 87.

[32] Diese Einstellung Plancks zum „Dritten Reich“ gilt für viele führende Akteure der Wissenschaft, vgl. Rüdiger Hachtmann, Das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1924 bis 1945, MPIL100.de.

[33] Bild: gemeinfrei.

[34] Schreiben von Hans Seeliger an das MPI für Eiweiß- und Lederforschung, datiert 27.04.1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240.

[35] Eintrag „Philipp Heinrich Hörlein“, Wollheim-Memorial.de.

[36] Helmut Maier, Chemiker im „Dritten Reich“. Die Deutsche Chemische Gesellschaft und der Verein Deutscher Chemiker im NS-Herrschaftsapparat, Weinheim: Wiley VCH-Verlag 2015, 79.

[37] Eintrag „Philipp Heinrich Hörlein“ (Fn. 35); Helmut Maier, Forschung als Waffe. Rüstungsforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung 1900-1945/48, Göttingen: Wallstein 2007, 448; Florian Schmaltz, Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen: Wallstein, 437-447.

[38] Maren Zummersch, Heinrich Hörlein (1882-1954). Wissenschaftler, Manager und Netzwerker in der pharmazeutischen Industrie. Eine Schlüsselfigur der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung bei Bayer, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2019, 285.

[39] Eintrag „Philipp Heinrich Hörlein“, (Fn. 35).

[40] Plädoyer Hörlein, zitiert nach: Zummersch (Fn. 38), 302.

[41] Wolfgang Schieder, Spitzenforschung und Politik. Adolf Butenandt in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, in: Wolfgang Schieder/Achim Tunk (Hrsg.), Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wissenschaft, Industrie und Politik im „Dritten Reich“, Göttingen: Wallstein 2004, 23-77, 73; Michael Schüring, Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft, Göttingen: Wallstein 2006, 271.

[42] Zugleich sollte die Umbenennung auch eine Abkehr vom deutschen Militarismus und Nationalismus darstellen, wie ihn Wilhelm II. verkörperte und der auch die KWG in die aktive Unterstützung zweier Weltkriege und des „Dritten Reiches“ geführt hatte.

[43] Zitiert nach: Hubert Markl, Zum Geleit, in: Eckhart Henning (Hrsg.), Max Planck (1858-1947). Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 4. Oktober 1997, München: Max-Planck-Gesellschaft 1997, 7-9, 8.

[44] Einen Einblick in die umfangreiche Büsten-Sammlung, die neben Walther Wolff auch Büsten weiterer politisch belasteter, wie unbelasteter Künstler enthält, findet sich bei Beck, (Fn. 3), 284-289.

[45] Schreiben von Otto Benecke an Kurt Glässing, datiert 16.10.1956, AMPG, II 066 3659 m1 0088.

[46] Foto: AMPG, VI. Abt., Rep. 1, Nr. Markl, Hubert I/76.B

[47] Neben dem MPIL haben mindestens weitere fünf MPIs einen Abguss der Max-Planck-Büste Walther Wolffs von 1939 erhalten: Schreiben von Hans Seeliger an das MPI für Eiweiß- und Lederforschung, datiert 27.04.1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240.

[48] Entwurf Rede Otto Hahn zur Einweihung des Neubaus in Heidelberg am 25.06.1954, AMPG, II 066 4510 m2 0060.

[49] Fotos 1 und 2: Fotosammlung Hausarchiv MPIL; Foto 3: Susanne Uebele, Institute im Bild, Teil II. Bauten der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 1998, 255.

[50] Hierzu sei auf den noch erscheinenden Beitrag zur Stauffenberg-Büste verwiesen.

[51] Das Bild Max Plancks im „Dritten Reich“ wurde von Seiten der MPG jedoch zugleich immer wieder gegen kritische Wertungen energisch verteidigt und weiterhin stilisiert, vgl: Beck, (Fn. 3); Eckhart Henning (Hrsg.), Max Planck (1858-1947). Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 4. Oktober 1997, München: Max-Planck-Gesellschaft 1997.

[52] Persönliche Mitteilung Gerda Wallenwein, langjährige Mitarbeiterin und Verwaltungsleiterin, an den Verfasser.

[53] Foto: MPIL.

English

Upon entering the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL), one is immediately confronted by three artworks in the foyer. To the left: a large triptych by H. D. Tylle, measuring 6.3 x 2.3 metres, titled Der 9. November 1989 in Deuna, am Morgen danach(the title translates to: “9 November 1989 in Deuna, the Morning After”); to the right: two bronze busts. The first depicts the namesake of both the institute and the wider research association, renowned physicist and Nobel laureate Max Planck (1858-1947), the second portrays the resistance fighter and former institute member Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944). While Tylle’s painting addresses the fall of the Berlin Wall and German reunification – a subject that dominated the Institute’s agenda for over 40 years – the busts pay homage to two figures integral to the institutional memory and identity of the Max Planck Society (MPG). All three artworks are aligned along a visual axis, visible, much like in a showcase, even from outside the institute through the floor-to-ceiling windows. Although the history of the placement of these works in the foyer may initially seem rather coincidental, they are interrelated both thematically and formally, quoting each other, not least in terms of genre: The left panel of Tylle’s triptych features a bust. It is a larger-than-life bust of Vladimir Ilyich Lenin, displaced and turned into scrap metal in the backyard of a real estate company, overgrown by the weeds of disregard.

The MPIL Foyer. Left: The painting by H.D. Tylle; right: the busts of Max Planck and Berthold von Stauffenberg[1]

Thus, the entrance area of the MPIL serves as a snapshot of German history, at least as conceived of by the Institute and the MPG. The works span a wide range – from a deposed hero of the defeated socialist ideology to historical figures emblematic of the Institute and the MPG.[2] Situated between these two extremes of German history is the politically and ideologically uncontroversial figure of Max Planck – a physicist who had little, if anything, to do with the MPIL’s field of activity. Between 1930 and 1937, and again from 1945 to 1946, Planck served as President of the Kaiser Wilhelm Society (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, KWG), within which the Institute was established in 1924. Following its re-establishment in 1948, Planck became the namesake of the research organisation. Nearly all of the 84 institutes possess a bust of Planck, many of which, including the one at the MPIL, are casts of the original bust by Walther Wolff.[3] Max Planck is not only known as one of Germany’s most distinguished scientists; he was also a highly influential scientific manager. His provisional re‑assumption of the presidency in 1945 signalled personnel and ideological continuity with the KWG’s pre-war activities. At the same time, the renaming of the research association , which the British had made a basic condition for its continuation, made it clear that the association wanted to distance itself from the Prussian militarism that Kaiser Wilhelm II had stood for. The Max Planck bust thus represents the ideal of “pure research”, integrity and scientific excellence.

The busts of Max Planck and Berthold von Stauffenberg at the MPIL, photographed in 2024 with heavy flash: no aestheticizing shadowing, but a documentary mode of representation; right: bust of Lenin, detail of the picture by H.D. Tylle[4]

However, the bust, its creator, and the subject it portrays exist within a complex historical context that has largely faded from collective memory. This contribution aims to cast new light on an old and far too frequently overlooked object: the Max Planck bust. Using the bust as an art piece as an example, it seeks to illuminate some aspects of the historical self-conception of the institute and the MPG, as well as the continuity of scientific networks across the ruptures of recent German history.

“Thinking through Things” Object Biography and the “Material Turn” 

Objects, especially works of art, serve a social and symbolic function. In the so-called “material‑focused sciences” like archaeology, ethnology, and art history, objects, in the sense of artefacts, are considered historical documents on par with texts.[5] Following the “linguistic turn”, the “material turn” of the 1980s elevated “objects to indispensable tools of knowledge”[6]. In history and literary studies, the concept of “thinking through things” remains controversial but has become nearly indispensable.[7] International law, too, has since sought to harness this approach.[8]

The “material turn” has highlighted the centrality of the relationship between humans and objects, which constitutes culture.[9] Since objects are inextricably linked with the people who surround themselves with them, they can act as mirrors or projections of values, historical narratives, and self‑perceptions. According to Judy Attfield, objects also have their own biography, which emerges from their material history, production, and usage, as well as the changing meanings attributed to them over time.[10] In the case of a bust as an artwork, its interpretation and the meaning attributed to it is shaped by the interplay of the subject depicted, the mode of representation, the choice of material, and the aesthetic choices that have been made. Additionally, external factors, such as the “genealogy” of owners or the condition of the material, provide insights into the use, placement, and treatment of the art piece.

All of this can be applied to the Max Planck bust, which can be understood as an object of the history of the Institute and the German scientific landscape more broadly. Its placement, presentation, and integration (or lack thereof) into the daily life of the Institute offer insights into the evolution of the institution’s historical self-perception and that of the research association to which it belongs. But what exactly does the Max Planck bust reveal about itself and, more importantly, about those who installed it?

“Working Par Coeur”. Walther Wolff Between Impressionism and Classicism 

The sculptor who created the Max Planck bust, Walther Wolff (1887-1966), has largely faded into obscurity. Wolff’s work is characterised by a wide range in style but also by its political and ideological adaption to the expectations of the time. Born into a wealthy industrialist family in Elberfeld,[11] Wolff studied painting and sculpture in Munich before living in Paris from 1910 to 1912, where he met Auguste Rodin, with whom he developed a close friendship, as well as with Aristide Maillol and Henri Matisse.[12] Wolff was also deeply influenced by Cézanne, van Gogh, Gauguin, Munch, Picasso, and Braque, whose works he avidly absorbed in Paris. In 1912, Wolff accepted an invitation from the neo-classical sculptor Louis Tuaillon to study as a master pupil in Berlin. This marked the beginning of Wolff’s lifelong struggle between the “pleasure of spontaneously seizing and setting the form without smoothing it out,” as he had learned from Rodin, and the academic rigour and “formal perfection” imparted by Tuaillon and Georg Kolbe at the Berlin Academy of Fine Arts.[13]

Wolff’s artistic career took off after the First World War, when he gained recognition for his portrait heads of artists and industrialists. His large-scale war memorials, which were installed in various soldiers’ cemeteries, also garnered significant attention. Wolff’s monuments adhere to a neo‑classical style, oscillating between an aestheticization of the war hero, akin to motives of classical antiquity, and an unadorned portrayal of death, mourning, and suffering. His busts, on the other hand, are impressionistic works.[14]

Wolff’s creative process, which he described as “working par coeur”, was characterised by spontaneity and speed.[15] For his busts, he prepared sketches, either from models or from memory, after which he shaped his clay heads, which were then cast in bronze.[16] If a clay head did not turn out as imagined on the first attempt, Wolff would not rework it but start afresh. According to art historian Hans Wille, Wolff’s work was defined by a “rejection of anything smoothed or polished, of a superficial harmony” which remarkably expressed the individuality of the subjects and the sculptor’s “psychological penetration” of them.[17]

“Proponent of Dutiful Art”: Walther Wolff Under National Socialism 

>Die Max-Planck-Büste auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ 1939 (rot umrandet)[18]

Yet, Wolff’s ability to capture the essence of his subjects was not only praised by post-war art critics but also by the Nazi regime.[19] After all, from 1933 onwards, Wolff enthusiastically and successfully portrayed leading figures of the völkisch-artistic avant-garde of the so-called “Third Reich”, including Alfred Cortot, Walter Gieseking, Wilhelm Furtwängler, and Paul Graener. Both Furtwängler, a conductor, and Graener, a pianist, were among the 1,000 cultural figures deemed indispensable to the Nazi ideology and listed in Joseph Goebbels’ 1944 “God-gifted list” (Gottbegnadeten-Liste, also known as “Important Artist Exempt List”).[20] However, Wolff did not limit himself to portraying artists; he also created portraits of Nazi politicians such as the leader of the German Labour Front (Deutsche Arbeitsfront) Robert Ley and the leader of the Sturmabteilung (SA) Viktor Lutze.[21] In 1933, Wolff produced the “Honor Plaque of the Führer” (Ehrenplakette des Führers) which featured Hitler’s likeness and was circulated for propaganda purposes.[22] Additionally, Wolff sculpted busts of Adolf Hitler and Hermann Göring,[23] with the former being used in official Nazi propaganda and included in school textbooks for youth indoctrination. The Allgemeines Künstlerlexikon (title translates to: “General Encyclopaedia of Artists”) identifies Wolff as one of the leading artists of the “Third Reich”, noting that his works “were among the most famous Führer busts, alongside those of Arno Breker, and helped shape Hitler’s public image iconographically.”[24] Similarly, sociologist Joachim S. Hohmann does not shy away either from comparing Wolff to “Hitler’s court artist” Arno Breker:

“Breker and Wolff both sought to capture an expression of prophetic seriousness and supernatural decisiveness – only the darkened gaze in Breker’s work and the exaggerated eye area in Wolff’s piece show that both exponents of dutiful art aimed for not merely a naturalistic depiction of Hitler, but sought to show their commitment to highlighting the Führer-personality.”[25]

However, unlike Wolff, Breker adhered to a classical ideal of beauty. With his monumental sculptures and figures embodying and propagating the “Aryan” ideal, Breker achieved an unprecedented success on the National Socialist art market.[26] Wolff could not compete with this: Although his busts demonstrated his support of the regime through his art, he did not embrace völkisch aesthetics. Instead, he retained his impressionistic style, albeit at times in in a diluted form, which secured him great recognition in the “Third Reich”, but not a leading role in the art world.

Detail view of the bust[27]

The bronze bust of Max Planck created by Wolff can be seen as emblematic of the sculptor’s complex position in the Nazi art scene. It was produced in 1939. Little is known about the circumstances of its creation; it remains unclear whether the bust was commissioned and whether Wolff, as with many of his works, crafted it from memory or whether Max Planck sat for the portrait. In any case, the portrayal of Planck, too, is impressionistic: Its surface is rough, clearly emphasising the advanced age of the subject, who was already an octogenarian at the time. The bust received high praise from National Socialist art critics for showcasing “the strong empathetic ability of the artist, who makes the spiritual and mental momentum of the subject visible through his inwardness [Innerlichkeit].”[28] The bust’s inclusion in the 1939 Great German Art Exhibition (Große Deutsche Kunstausstellung), alongside the bust of Robert Ley, attests to its perceived significance.[29] The Great German Art Exhibition, held annually in Munich from 1937 to 1944, can be considered the most important National Socialist art event. Wolff’s work was featured in the exhibition in 1937, 1939, 1942, and 1943.[30]

Max Planck was not a devotee of Nazi ideology. However, the 1918 Nobel laureate did remain loyal to the regime for a long time and was viewed by it as a figurehead of German scientific excellence. As President of the KWG, Planck went along with almost all of the Nazi regime’s anti-Semitic and anti‑democratic purges within the KWG after 1933, albeit without great personal conviction.[31] By the late 1930s, like many intellectuals, he grew more critical of the “Third Reich”, but did not seek to distance himself from it. On the contrary, Planck remained loyal to the regime, even after the end of his term in 1938.[32]

“For the Honour of German Science”. The Donor Heinrich Hörlein

Heinrich Hörlein as a defendant in the IG Farben Trial, ca. 1948[33]

The Planck bust was acquired, likely following the 1939 Great German Art Exhibition, by the chemist Heinrich Hörlein (1882-1954).[34] Hörlein was far from an unknown figure in the “Third Reich”. A member of the management board of German chemical and pharmaceutical conglomerate IG Farben, he joined the National Socialist Party in 1933 and was appointed Wehrwirtschaftsführer (a title given to business executives of companies central to the war effort, giving them quasi-military status) in 1941.[35] As head of the IG Farben plant in Elberfeld from 1933 to 1941, Hörlein was responsible for the development of chemical weapons, particularly the nerve gases tabun and sarin. He was also a member of the supervisory board of the Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (roughly: “German Corporation for Pest Control”, also known as “Degesch”), which produced the infamous pesticide Zyklon B.[36] As a senator (from 1937), he held high honorary positions within the KWG: From 1937 to 1941, he served as its deputy- and first treasurer and as a member of the administrative committee of the Kaiser Wilhelm Institute for Chemistry.[37] In 1945, he was arrested by the Americans and, two years later, charged in the IG Farben Trial with the planning and preparation of a war of aggression, plundering and spoliation of public and private property, slavery and mass murder, as well as participating in the conduction of criminal medical experiments, and conspiracy to commit crimes against peace. However, he was acquitted,[38] as it could not be proven that he was aware of the use of Zyklon B for the purpose of mass murder in the Shoah or the medical experiments in concentration camps.[39] Hörlein himself saw his prosecution as unjust, declaring in his closing statement that he had always worked “for humanity, for the honour of German science”.[40] He received prominent support during the trial from the then-president of the KWG Otto Hahn and Nobel laureate Adolf Butenandt, who would later go on to become KWG President himself. They attested to Hörlein’s commitment to apolitical basic research.[41] After 1948, Hörlein once again became a senator of the association, which had since been re-established as MPG and, on the occasion of his 70th birthday in 1952, gifted it with the Planck bust.

A Cult Object? The Max Planck Bust in the MPG and the MPIL 

However, neither the creator, nor the donor of the bust, but rather its subject, has been the focal point of its perception. Max Planck had not compromised himself during the “Third Reich”, enjoyed high esteem in Germany and abroad, and represented an important personnel and intellectual continuity with the pre-war period.[42] This was also the view of the British occupation authorities, which, as Otto Hahn noted in 1946, were “very happy” with the choice of Planck: “They also recommend the instalment of a bust of Planck, should one be available.”[43]

Busts of Max Planck would soon abound in the MPG. Already during his lifetime, Planck had achieved a somewhat pop cultural status and was immortalised by numerous artists in paintings, as well as bronze and marble busts, many of which were donated to the MPG.[44] However, it was Walther Wolff’s bust in particular that became one of the “cult objects” within the research association. The original was placed in the MPG President’s office in Göttingen, and, until the 2000s, it was customarily displayed at the MPG’s General Assemblies.[45]

Hubert Markl, President of the MPG from 1996 to 2002, at the MPG General Assembly with the Max Planck Bust by Walther Wolff, undated photograph[46] 

Until the mid-1960s, casts of Wolff’s bust were presented by the General Administration to newly and re-established institutes at ceremonial events.[47] The Heidelberg Institute received its bust (a 1951 cast) in 1954, during the official opening of its new building. Then-president of the MPG Otto Hahn handed the bust to the then-director of the institute Carl Bilfinger with the following words:

“The Max Planck Society presents the Institute, on the occasion of its inauguration, with the bust of our highly esteemed Max Planck – created by the master hand of sculptor Walther Wolff – of the great scholar and man Max Planck, who was our president and whose name we are honoured to bear.”[48]

The bust in the old institute building: Otto Hahn and Carl Bilfinger at the inauguration of the new institute building, 25 June 1954; the bust in the institute’s staircase, 1954 and 1971[49] 

The bust was given a prime position in the stairway near the main entrance of the old institute building on Berliner Straße, in contrast to the bust of Berthold von Stauffenberg, which then-director Hermann Mosler initially, due to the political controversy surrounding Stauffenberg at the time, did not want to place in the Institute at all, and only eventually placed in a far-off spot on the second floor in 1975.[50] Max Planck, however, was seen as an apolitical figure – a perception that was not limited to the Institute, of course. Planck’s significance as an intellectual reference figure and as a model of political and moral integrity remains largely unchallenged within the MPG until today, although critical, historically contextualising perspectives on Planck’s role have become more prominent, especially since the Presidential Commission on the History of the KWG in the National Socialist Era, which was active from 1999 to 2005.[51]

For the MPIL itself, Planck, as a physicist, is of indirect significance, embodying first and foremost the commitment to scientific excellence and neutrality upheld by the Institute. Yet, Planck’s spatial centrality was preserved during the move to the current institute building on the Neuenheimer Feld campus in 1996 and even after the remodelling of the entrance area. Nevertheless, the bust’s integration into the institute’s daily life has changed. According to contemporary witnesses, Institute celebrations in the old building on Berliner Straße often concluded late at night, with staff and guests singing together, gathered around the Planck bust in the staircase.[52] In the new building as well, the bust, located, until the renovation, in the library loan area near the main entrance, was deeply integrated into the daily life of the library, “watching over” the library staff, visitors, and books.

The Max Planck Bust in the library loan area of the former main entrance, with librarians Dana Zatopkowa and Anna Lamparter, ca. 2010[53]

Today, the bust still holds a central place in the Institute, but its visibility seems to have diminished. The spatial conditions are less conducive to informal gatherings around the bust, and many international guests do not recognise the bronze head or make the connection to the physicist Planck and at Institute conducting legal research. Compared to the monumental triptych by H.D. Tylle, the bust appears quite modest. It is often overshadowed by the much younger (and more attractively idealised) Stauffenberg, who’s bust is, unlike that of Planck, labelled by name, but is nevertheless often mistaken for a depiction of the much more famous Claus von Stauffenberg. The new arrangement of the two busts gives that of Max Planck a new interpretative context (at least for those familiar with history): Planck’s son Erwin (1893-1945), like Berthold von Stauffenberg, was involved in the 20 July 1944 resistance movement and was murdered by the Nazis in January 1945.

Nevertheless, despite its diminished visibility, the Planck bust remains central. Every guest, every staff member, passes by Max Planck multiple times a day, when entering the institute in the morning, leaving in the evening, or attending the Monday and Tuesday meetings in conference rooms 037/038. Furthermore, the foyer is also a common meeting point for going to lunch in the university canteen among institute members and visiting researchers. While waiting for colleagues, one inevitably finds oneself standing alongside Max Planck. Eventually, one notices the bronze head and cannot help but wonder: Who is that?

Final Thoughts

Walther Wolff’s bust is situated in a complex historical field of tension. Formally tied in with late 19th century impressionism, it depicts the theoretical physicist Max Planck, a supposedly apolitical scientist who is perceived as a moral role model and representative of German top-level research. The bust itself provides little information about the historically charged conditions of its creation during the “Third Reich”, its reception by National Socialist art critics, and the circumstances surrounding its donation to the MPG. One finding that can be derived from reflecting on the artwork, is that the Nobel laureate Planck was widely accepted as a reference point for scientific rigor, excellence, and objectivity in the German Empire, the Weimar Republic, the “Third Reich”, and the Federal Republic of Germany, despite all ruptures of recent German history. The fact that the MPG commissioned casts of the busts and distributed them in its institutes in the 1950s, despite the artist’s entanglement with National Socialism, is an expression of the social ambivalences and the mode of self-perception of the early post-war period. Wolff’s service to the regime was seen as equally negligible as that of the majority of KWG researchers who had acted in a similar way a few years before. The history of the bust thus provides insights into (scientific) networks, as well as aesthetic preferences and self-images within the German elite, especially within the MPG.

Translation from the German original: Sarah Gebel

[1] Photos: MPIL.

[2] The complex and changing history of the perception of Berthold von Stauffenberg and the resistance movement of 20 July 1944 from ‘traitors to the fatherland’ in the 1950s to glorified heroes cannot be detailed here. A separate blog post on this by the author is in preparation. On the relationship of the legal research KWI with German resistance: Rolf-Ulrich Kunze, Niche or Relay? The “Sister” KWI for Comparative and International Private Law, 1933 to 1939, with a View to the KWI for Comparative Public Law and International Law, MPIL100.de.

[3] However, not all busts in the possession of the MPG and its institutes are by Walther Wolff: Lorenz Friedrich Beck (ed.), Max Planck und die Max-Planck-Gesellschaft. Zum 150. Geburtstag am 23. April 2008 aus den Quellen, Berlin: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft 2008, 219, 287-289. The Max Planck bust of Walther Wolff was verifiably presented to the MPI for Stratosphere and Ionosphere Physics, the MPI of Biochemistry, the MPI for Medical Research, the MPI for Protein and Leather Research, the MPI for Comparative and International Private Law and the MPI for Spectroscopy, see: letter from Otto Benecke to Walter Dieminger, dated 19 August 1957, AMPG, II 066 0042 0146; letter from Hans Seeliger to Adolf Butenandt, dated 18 June 1957, AMPG, II 066 0619 m2 0201; description of the Institute for Medical Research, AMPG, II 066 1066 m1 0157; letter from Hans Seeliger to the MPI for Protein and Leather Research, dated 27 April 1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240; letter from Otto Benecke to Kurt Glässing, dated 16 October 1956, AMPG, II 066 3659 m1 0088; file note from Adolf Butenandt, dated 02 May 1966, AMPG, II 066 4100 0016. A letter from Kurt Pfuhl suggests that even more MPIs have been furnished with busts by Walther Wolff by the mid-1960s: Letter from Kurt Pfuhl to Reinhold von Sengbusch, dated 17 December 1965, AMPG, II 066 2121 m1 0158.

[4] Photos: Maurice Weiss.

[5] Peter J. Bräunlein, Material Turn, in: Georg-August-Universität Göttingen (ed.), Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen: Wallstein Verlag 2012, 30-44, 31.

[6] Bräunlein, (fn. 5), 31. This and all following direct quotes from German sources have been translated by the editor.

[7] Andreas Ludwig, Materielle Kultur, Version: 2.0, Docupedia-Zeitgeschichte, 01.10.2020.

[8] Daniel Ricardo Quiroga-Villamarìn, Beyond Texts? Towards a Material Turn in the Theory and History of International Law, JHIL 23 (2021), 466-500, 467, 470; Jessie Hohmann, The Lives of Objects, in: Jessie Hohmann, Daniel Joyce (eds.), International Law’s Objects, Oxford: Oxford University Press 2018, 30-46, 34; Carl Landauer, The Stuff of International Law, EJIL 32 (2021), 1049-1077, 1052.

[9] Ludwig, (fn. 7).

[10] Judy Attfield, Wild Things. The Material Culture of Everyday Life, Oxford: Bloombury 2000, 3.

[11] Marie-Luise Baum, Walther Wolff (1887-1966), in: Marie-Luise Baum (ed.): Wuppertaler Biographien, Folge [Volume] 6 (= Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Vol. 14), Wuppertal: Polyphen 1966, 123-131, 124-125; Hertha Schwarz, Entry „Wolff, Walther“, in: Andreas Beyer/Bénédicte Savoy/Wolf Tegethoff (eds.), Allgemeines Künstlerlexikon, Berlin: K. G. Saur 2022.

[12] Baum (fn. 11), 127; Marie-Luise Baum, Blick auf ein erfülltes Werk. Der Bildhauer Walther Wolff-Ossiach wird 75 Jahre alt, Unsere Bergische Heimat 11 (1962), o. S.

[13] Baum (fn. 11), 128.

[14] Hans Wille, Der Bildhauer Walther Wolff, Romerike Berge 11 (1962), 129-135, 130.

[15] Baum (fn. 11), 130.

[16] Baum (fn. 11), 130.

[17] Baum (fn. 11), 133.

[18] Photo: GDK 1939 35 02, Jaeger und Goergen, 1939, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek.

[19] Werner Rittich, Monumentale Bildplastik, Die Kunst im Dritten Reich 2 (1938), 16-23, 21-22.

[20] Andreas Domann, „Führer aller schaffenden Musiker“. Paul Graener als nationalsozialistischer Kulturpolitiker, in: Albrecht Riethmüller/Michael Custodis (eds.), Die Reichsmusikkammer. Kunst im Bann der Nazi-Diktatur, Cologne: Böhlau 2015, 69-86; Ernst Waeltner, Gieseking, Walter Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie, Vol. 6, Berlin: Dunker und Humblot 1964, 384-385; Jörg Osterloh, „Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes“. Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920-1945, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2020, 553.

[21] Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1939. Im Haus der Deutschen Kunst zu München, Munich: Knorr & Hirth 1939, 93; Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1942 im Haus der Deutschen Kunst zu München, Munich: Bruckmann Verlag 1942, 80.

[22] Schwarz (fn. 11); Sammlung Deutsches Historisches Museum Berlin, Metallplatte: Porträt Adolf Hitler.

[23] Claudia Schmölders, Hitlers Gesicht. Eine physiognomische Biographie, Munich: C. H. Beck 2000, 129; Patrick Rößler, Exil daheim. Die neue Linie und der braune Geist – Beobachtungen zur Avantgarde im Nazi-Deutschland, in: Markus Behmer (ed.), Deutsche Publizistik im Exil 1933 bis 1945. Personen – Positionen – Perspektiven, Münster: LIT Verlag 2000, 261-281.

[24] Schwarz (fn. 11); translation and italics added by the editor.

[25] Joachim Stephan Hohmann, Bauern-, Krieger-, Führertum – Abbildungen im faschistischen Deutschlesebuch, in: Joachim Stephan Hohmann (ed.), Erster Weltkrieg und nationalsozialistische „Bewegung“ im deutschen Lesebuch 1933–1945, Frankfurt am Main: Peter Lang 1988, 161-165, 165

[26] Björn Thomann, Arno Breker, Internetportal Rheinische Geschichte.

[27] Photo: MPIL.

[28] Bruno E. Werner, Die Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin: Rembrandt-Verlag 1940, 65.

[29] Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1939 (fn. 21), 93.

[30] Robert Thoms, Die Künstler der Großen Deutschen Kunstausstellung München 1937-1944. Gesamtverzeichnis, Berlin: Neuhaus Verlag 2018, 252. Unfortunately, it is not clear from the list which works Wolff was represented with.

[31] Dieter Hoffmann, Max Planck. Die Entstehung der modernen Physik, Munich: C. H. Beck 2008, 87.

[32] Planck’s attitude towards the “Third Reich” applies to many leading figures in science, see: Rüdiger Hachtmann, The Kaiser Wilhelm Institute for Comparative Public Law and International Law 1924 to 1945, MPIL100.de.

[33] Photo: Public Domain.

[34] Letter by Hans Seeliger to the MPI for Protein and Leather Research, dated 27.04.1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240.

[35] Entry „Philipp Heinrich Hörlein“, Wollheim-Memorial.de.

[36] Helmut Maier, Chemiker im „Dritten Reich“. Die Deutsche Chemische Gesellschaft und der Verein Deutscher Chemiker im NS-Herrschaftsapparat, Weinheim: Wiley VCH-Verlag 2015, 79.

[37] Entry „Philipp Heinrich Hörlein“ (fn. 35); Helmut Maier, Forschung als Waffe. Rüstungsforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung 1900-1945/48, Göttingen: Wallstein 2007, 448; Florian Schmaltz, Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen: Wallstein, 437-447.

[38] Maren Zummersch, Heinrich Hörlein (1882-1954). Wissenschaftler, Manager und Netzwerker in der pharmazeutischen Industrie. Eine Schlüsselfigur der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung bei Bayer, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2019, 285.

[39] Entry „Philipp Heinrich Hörlein“ (fn. 35).

[40] Pleading by Hörlein, cited after: Zummersch (fn. 38), 302.

[41] Wolfgang Schieder, Spitzenforschung und Politik. Adolf Butenandt in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, in: Wolfgang Schieder/Achim Tunk (eds), Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wissenschaft, Industrie und Politik im „Dritten Reich“, Göttingen: Wallstein 2004, 23-77, 73; Michael Schüring, Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft, Göttingen: Wallstein 2006, 271.

[42] At the same time, the renaming was also intended to represent a renunciation of German militarism and nationalism, as embodied by Wilhelm II, which had led the KWG to actively support two world wars and the “Third Reich”.

[43] Cited after: Hubert Markl, Zum Geleit, in: Eckhart Henning (ed.), Max Planck (1858-1947). Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 4. Oktober 1997, Munich: Max-Planck-Gesellschaft 1997, 7-9, 8.

[44] For an insight into the extensive collection of busts, which in addition to Walther Wolff also includes busts of other politically charged as well as uncharged artists, see Beck (fn. 3), 284-289.

[45] Letter from Otto Benecke to Kurt Glässing, dated 16.10.1956, AMPG, II 066 3659 m1 0088.

[46] Photo: AMPG, VI. Abt., Rep. 1, Nr. Markl, Hubert I/76.B.

[47] In addition to the MPIL, at least five other MPIs have received a cast of Walther Wolff’s Max Planck bust from 1939: Letter from Hans Seeliger to the MPI Protein and Leather Research, dated 27.04.1957, AMPG, II 066 1066 m1 0240.

[48] Draft speech by Otto Hahn on the occasion of the inauguration of the new institute building in Heidelberg on 25.06.1954, AMPG, II 066 4510 m2 0060.

[49] Photos 1 and 2: Photo collection, MPIL Archive; Photo 3: Susanne Uebele, Institute im Bild, Teil II. Bauten der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft 1998, 255.

[50] On this, please refer to the forthcoming article on the Stauffenberg bust.

[51] At the same time, the MPG vigorously defended Max Planck’s image in the ‘Third Reich’ against critical assessments and continued to idealise it, see: Beck (fn. 3); Eckhart Henning (ed.), Max Planck (1858-1947). Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 4. Oktober 1997, Munich: Max-Planck-Gesellschaft 1997.

[52] Personal communication from Gerda Wallenwein, long-time employee and head of administration to the author.

[53] Photo: MPIL.