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Humanität als Nicht-Prinzip. Anmerkungen zur Kriegsrechtsvorlesung von Ernst Martin Schmitz aus dem Jahre 1938

In der schier unerschöpflichen Sammlung der Bibliothek des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht findet sich unter der Signatur „VR: XVII H: 40“ ein unscheinbares Büchlein von etwa 200 getippten Seiten, teilweise mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen. „Sollte man nicht das Manuskript wegen seines historischen Interesses einbinden und in die Bibliothek geben?“ hat Institutsdirektor Jochen Frowein in einem Begleitschreiben aus dem Jahre 1987 angemerkt und somit der Nachwelt ein einmaliges Zeitdokument erhalten.

Hinter „VR: XVII H: 40“ verbirgt sich das Manuskript einer einstündigen Vorlesung zum Kriegsrecht, die Ernst Schmitz, (1895-1942) im Sommersemester 1938 in zehn Terminen an der Universität zu Berlin gehalten hat. Schmitz, selbst vielfach verwundeter Weltkriegs-Veteran, war 1926 in das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eingetreten und wurde 1934 dessen stellvertretender Direktor. „Es handelt sich um eine sehr klare Darstellung der Materie am Vorabend des 2. Weltkrieges“ schrieb Hermann Mosler, der das Manuskript 1987 in seinem Heidelberger Büroschrank entdeckte. Nachfolgend möchte ich insbesondere drei Punkte hervorheben: die methodischen Herausforderungen der Analyse einer Kriegsrechtsvorlesung aus dem Jahre 1938 (I.), das darin enthaltene Völkerrechtsverständnis (II.) und schließlich Aussagen zum kriegsrechtlichen Humanitätsprinzip (III.).

I. Der blinde Fleck

Bei der Bewertung geschichtlicher Entwicklungen ist der menschliche Verstand aufgrund seiner kognitiven Strukturiertheit besonders anfällig für den hindsight bias bzw. Rückschaufehler.[1] Insbesondere die sog. Cambridge School mahnt stattdessen zur Kontextualisierung und zeitlichen Verortung der Dokumente, zur Vergegenwärtigung der Kontingenz geschichtlicher Entwicklung.[2] Und doch: Es fällt schwer, bei der Lektüre des Vorlesungsskripts nicht an den 1. September 1939 zu denken – auszublenden, dass Friedrich Hoßbach bereits am 10. November 1937 sein berühmtes „Protokoll“ niedergeschrieben hatte, das als zentrales Beweismittel für Verbrechen gegen den Frieden (Planen, Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge) nach Artikel 6 a des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 diente. „Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben“ heißt es dort. Es bleibe einzig „die Beantwortung der Fragen ‚wann‘ und ‚wie‘.“[3] Völkerrechtler*innen denken zwangsläufig an die griechische Ortschaft Distomo und den sogenannten „Sühnebefehl“ des Oberkommandos der Wehrmacht vom Herbst 1941: „Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muß in diesen Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhöhen.“[4] Schmitz’ „Gedanke an den möglichen Ausbruch eines Krieges in nicht allzuferner Zukunft“ (S. 53b) erscheint hierbei – in Anerkennung des Rückschaufehlers – wie ein Menetekel.

Ernst Martin Schmitz, undatiert[5]

Vor diesem Hintergrund wirkt das Manuskript überraschend sachlich, jedenfalls im Vergleich mit anderen Publikationen aus dieser Zeit, etwa solchen der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“, in welcher Schmitz sich ebenfalls engagierte. Freilich, man merkt dem Manuskript sein Entstehungsjahr an: Auf Seite 12 etwa wird von der „nationalsozialistischen Auffassung von Staat und Volk“ gesprochen. Diese habe zur Folge, dass – entgegen des Rousseau’schen Diktums – „der Krieg nicht nur die Staaten zu Feinden macht, sondern auch alle Personen, aus denen sie sich zusammensetzen“ (S. 10). Nach Schmitz ergebe sich daraus allerdings „nicht, dass alle diese Feinde rechtmässig in der gleichen Weise behandelt werden dürfen“ (S. 13). Ein ähnliches Muster findet sich an anderer Stelle, wo Schmitz von den Kriegen der Zukunft und neuen Waffen, insbesondere der Luftwaffe spricht: „Die Wirkungen des Luftkrieges, das ist richtig, können nicht auf die Angehörigen der Armee beschränkt werden; sie müssen auch die Zivilbevölkerung treffen“ (S. 35). Dennoch ist er kein Anhänger der Lehre des totalen Luftkrieges, wie sie der italienische General Giulio Douhet entwickelt hat (Il domino dell’aria, 1921).[6] Die Kritik wird freilich nur angedeutet: „Gegen diese in ihrer Ausdehnung fast unübersehbaren Möglichkeiten sind auch von militärischer Seite Bedenken erhoben worden wie denn überhaupt die Lehre von Douhet zum Teil sehr scharfe Kritik in Fachkreisen gefunden hat“ (S. 35). Man dürfe daher „nicht den Schluss ziehen, dass […] der Unterschied zwischen den Angehörigen der bewaffneten Macht und der Zivilbevölkerung in jeder Beziehung verschwinden müsse“ (S. 35). Dem Einsatz der Luftwaffe zur Brechung der „moralische[n] Widerstandskraft der Bevölkerung […], wenn diese nämlich planmäßig durch Luftangriffe terrorisiert werde“ (S. 35), erteilt er keine klare Absage. Er weist lediglich in utilitaristisch anmutender Weise darauf hin, dass die „Luftwaffe […] zu kostbar [ist], als dass man sie gegen andere als militärisch wichtige Objekte einsetzen könnte.“ Außerdem sei die „Terrorwirkung von Angriffen auf die Zivilbevölkerung … örtlich beschränkbar, da eine scharfe Pressezensur die Verbreitung der Nachrichten von erfolgreichen Luftbombardements bis zu einem gewissen Grade verhindern kann“ (S. 35). Die Terrorisierung der Zivilbevölkerung aus der Luft erscheint hierdurch militärisch schlicht nicht notwendig. Von humanitären Erwägungen oder kriegsrechtlicher Unzulässigkeit dagegen findet sich kein Wort, doch dazu später mehr.

Der „aggressiv-imperiale Kurs“ des NS-Regimes, auf den das Institut und führende Exponenten desselben sich begeben hatten, ist auffällig abwesend. Es gibt keinerlei Anklänge einer „rassentheoretisch begründete[n] … Verwandlung des Völkerrechts“ und seiner biologistischen Rekonstruktion.[7] Es fehlt überhaupt an der dem Denken der geistig-politischen Epoche gemäßen Sprache.[8] Schmitz’ Vorlesung ist weiterhin in der Sprache des traditionellen Völkerrechts abgefasst. Auch der verschiedentlich verwendete Begriff der (Staaten-)Gemeinschaft erscheint nicht nationalsozialistisch aufgeladen,[9] wie es etwa in Günther Küchenhoffs Abhandlung „Nationaler Gemeinschaftsstaat, Volksrecht und Volksrechtsprechung“ bereits 1934 der Fall war. Schmitz spricht auch an keiner Stelle von einer „Großraumordnung“, die bereits denknotwendig nicht ohne Krieg erschaffen werden kann. Im Gegenteil scheint er am ius ad bellum weiterhin festzuhalten, das Küchenhoff – freilich 1944 – durch ein „völkische[s] Führungsverhältnis[] …bei der Neuordnung Europas“ ersetzen wollte.[10]

Abwesend sind aber nicht nur nationalsozialistische Topoi, sondern Polemisierungen generell. An keiner Stelle wird der Versailler Vertrag mit den, damals auch im akademischen Sprachgebrauch üblichen, Verunglimpfungen versehen, gegen den Völkerbund gehetzt, andere Staaten diskreditiert oder die „Deutschlandfeindlichkeit“ des Völkerrechts seit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches gerügt.[11] Ebenfalls abwesend ist Carl Schmitts in „Der Begriff des Politischen“ (1927/1932) entwickelte Freund-Feind-Unterscheidung. An Möglichkeiten hierzu hätte es nicht gemangelt, etwa bei den Ausführungen zur Frage „Was ist Krieg?“ (S. 7 ff.). Hier stützt sich Schmitz, wie auch noch verschiedentlich später in der Vorlesung, auf Carl von Clausewitz’ „vielzitierte[…]und wenig gelesene[…]“ Schrift „Vom Kriege“, die wie Ciceros „inter arma enim silent leges“ bis heute in jeder kriegsrechtlichen Abhandlung wohl mindestens einmal Erwähnung findet. Schmitz ist sich der Stimmen bewusst, die den totalen Krieg als den Krieg der Zukunft erwarten: „total, was die Kräfte anlangt, die eingesetzt werden, um das Kriegsziel zu erreichen, total, was die Objekte angeht, gegen die sich die Kriegshandlungen richten und total, was die Mittel der Kriegführung betrifft“ (S. 33 f.). Möglicherweise findet sich hier sogar eine wohlverborgene Kritik: Clausewitz’ Diktum vom Krieg „als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“ sollte man sich nach Schmitz „gerade heute vor Augen halten, wo allgemein die Neigung besteht, den Krieg der Zukunft als reinen Ausrottungskrieg aufzufassen und die restlose Vernichtung des Gegners als das eigentliche Ziel des Krieges anzusehen, als einen Zustand, der sämtliche Beziehungen zerreisst und zwischen den Kriegführenden einen Zustand absoluter Rechtlosigkeit herbeiführt“ (S. 33). Vor diesem Hintergrund ist Schmitz’ Definition des Krieges als „nur eine vorübergehende Störung der internationalen Ordnung“, nicht deren Aufhebung (S. 32), umso beachtlicher. Denn „[f]ür keinen wäre es möglich, sich durch das Chaos eines solchen Krieges als geordnetes Staatswesen hindurchzuretten“ (S. 33). Hieraus ergibt sich auch die Aufgabe des Kriegsrechts:

die Ausübung der Gewalt in solchen Formen zu verhindern, die zur Erreichung des Kriegszwecks nicht notwendig sind, sondern nur geeignet, die Kluft zwischen den Kriegführenden zu verbreitern und Hass und Rachegefühle zu wecken und zu erhalten, die auch nach dem Kriegsende fortwirken, ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den Völkern nicht aufkommen lassen und so einen wirklichen Friedenszustand verhindern, der den Krieg ablöst“ (S. 31 f.).

Dies zeigt die jedenfalls indirekte Verschränkung des ius in bello mit dem ius ad bellum. Zu letzterem schreibt Schmitz leider bedauerlich wenig, woraus für die Positionierung seines Kriegsrechtsverständnis wichtige Rückschlüsse hätten gezogen werden können. Fußnoten setzt Schmitz ebenfalls nur spärlich. So aber bleibt ungesagt, was der Rheinländer Schmitz, der von Maria Bruns für sein „Herz und Charakter“ sowie „joviales Wesen“ sehr geschätzt wurde, unter einem „wirklichen Friedenszustand“ versteht. Sicherlich: Ein „Pazifist“, wie etwa die Mitglieder der Gruppe um Walter Schücking und Hans Wehberg, war Schmitz nicht, dafür nimmt er den Krieg zu selbstverständlich als unvermeidbar hin. Aus dem Vorlesungsmanuskript geht aber nicht hervor, dass er den Krieg als „Fundamentalinstitution des Staates“ verherrlicht.[12]

Überhaupt enthält Schmitz‘ Vorlesung keinen theoretischen Unterbau. Nach der maßgeblich unter dem Einfluss von Karl August Eckhardt im Sinne der „nationalsozialistischen Rechtserneuerung“[13] umgestalteten juristischen Studienordnung von 1935 wäre dies eigentlich erforderlich gewesen.[14] Denn in den vorangestellten „Grundgedanken“ der Studienordnung heißt es: „Die deutsche Rechtswissenschaft muß nationalsozialistisch werden. Nationalsozialismus ist kein Lippenbekenntnis, sondern eine Weltanschauung. […] Im geistigen Ringen um neue Werte gibt es keinen besseren Kampfplatz als die Universität.“[15] Sozialdarwinistische Deutungen des Krieges, die sich vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen „rassegesetzlichen Rechtslehre“ angeboten hätten, bleiben aus.[16] Dass Schmitz aus dem Kriegsrecht keinen „nationalsozialistischen Kampfplatz“ macht und nicht von „völkischen Grundlagen der [Völkerrechts]Wissenschaft“ sprach,[17] ist vor diesem Hintergrund durchaus eine Botschaft.

II. Kriegsrecht und Völkerrechtsordnung

Krieg sei „nur ein Teil des politischen Verkehrs“, wie Schmitz unter Bezugnahme auf Clausewitz’ berühmte Beschreibung des Kriegs „als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“ betont (S. 32). Andernfalls bedeutete Krieg Chaos. Ein Chaos, „das herbeizuführen aber eben nicht das Ziel der Politik sein kann; denn es liegt im wohlverstandenen eigenen Interesse eines jeden Staates, der sich nicht selbst aufgeben will, seine Politik auf die Wiederherstellung der internationalen Ordnung zu richten“ (S. 33). Das Kriegsrecht erscheint damit nicht nur als Teil des Völkerrechts – „wenn dies überhaupt gesagt werden muss“ (S. 1) –, sondern gewissermaßen als dessen Notordnung. Diese Selbstverständlichkeit wäre nicht weiter zu erwähnen, ließe sie nicht wertvolle Rückschlüsse auf das allgemeine Völkerrechtsverständnis zu. „Man darf nicht vergessen“, schreibt er auf Seite 41, „dass ja im wesentlichen die Grossmächte die Einhaltung des Völkerrechts garantieren, d.h. durch ihr Zusammenwirken für seine Beobachtung sorgen.“ Dieses „Großmächtevölkerrecht“ mit all seiner Dysfunktionalität entspringt der Tradition des europäischen Mächtekonzerts des 19. Jahrhunderts. Ist dieses aber gespalten, wie etwa politisch-sachlich im Krimkrieg oder politisch-emotional im Ersten Weltkrieg, bedeute dies „eine Erschütterung der Wirksamkeit der Völkerrechtsordnung“ (S. 41). Erst dann erscheine Krieg als bedrohlicher Ausnahmezustand. Ähnlich der Denkweise Otto von Bismarcks sieht Schmitz das größte Übel in der Verallgemeinerung des Krieges, bedeute dies doch „eine gewisse Gefahr für die Einhaltung der Normen des Kriegsrechts“ (S. 41). Diese Verallgemeinerung sei aber „notwendige Folge der Durchführung der kollektiven Sicherheit“, wie sie etwa die Völkerbundsatzung vorsehe. Schmitz steht diesem Mechanismus der Friedenssicherung ablehnend gegenüber: Die „Sanktionskriege“ des Völkerbunds zielten „letzten Endes auf Ausrottung des wirklichen oder angeblichen Rechtsbrechers ab“ (S. 42). Eine argumentative Begründung dieser Behauptung bleibt Schmitz allerdings schuldig. Gleichzeitig unterlässt er aber einen politischen Angriff auf das System kollektiver Sicherheit des Völkerbunds (etwa auf S. 53b), worin Erich Kaufmann bspw. eine „Zementierung der Friedensverträge und des unerwünschten politischen wie territorialen status quo“ sah.[18]

Verbunden mit der Großmächtedeutung des Völkerrechts ist eine realistisch-pragmatische Betrachtungsweise des Kriegsrechts. In Schmitz’ nüchterner Erklärung der Normen, ihres Hintergrunds und ihrer praktischen Relevanz liegt sicherlich die Stärke der Vorlesung, wenngleich aus ihr oft ein gewisses Misstrauen spricht. Kriegsrechtliche Normen reflektieren für ihn staatliches Eigeninteresse. So heißt es etwa zu einem russischen Antrag im Vorfeld des III. Haager Abkommen betreffend den Beginn der Feindseligkeiten (1907), der „eine gewisse Frist zwischen dem Abbruch der Beziehungen und dem Beginn der Feindseligkeiten“ vorsah, wodurch der Friedenszustand der Armee möglichst lange aufrechterhalten und Rüstungsausgaben verringert werden würden: „Es ist deutlich ersichtlich, dass im Hintergrunde dieser Ausführungen die ungünstige Lage Russlands stand, seine Schwierigkeiten geographischer, technischer und finanzieller Natur. Es ist kein Wunder, dass dieser Antrag der Ablehnung verfiel. Denn er bedeutete praktisch, dass man dem besser gerüsteten, technisch fortgeschritteneren Staate untersagen wollte, die Vorteile schnellerer Mobilisierung auszunutzen“ (S. 16).

Eine ähnliche Analyse findet sich bei der Antwort auf die Frage, „ob die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe auf hoher See […] oder […] nur in einem Hoheitsgebiet des Heimatstaates zulässig sei“ (S. 93). Großbritannien trat gegen Deutschland für Letzteres ein, weil es so andere Staaten schwächte, in Anbetracht seiner zahlreichen Stützpunkte auf der ganzen Welt jedoch „sehr wohl eine solche Forderung aufstellen konnte, ohne seine Interessen zu beeinträchtigen“ (S. 94). Ähnliches gelte für die Abschaffung der Kaperei. Die Ausstellung von Kaperbriefen ermögliche es einem Staat „mit schwacher Flotte […] die Zahl der Schiffe, die ihm zur wirksamen Durchführung des Seekrieges zur Verfügung standen […] erheblich und schnell zu vermehren“ (S. 95). Großbritannien als damals stärkste Seemacht wurde dieses Instrument, von dem es ursprünglich selbst profitiert hatte, zunehmend ein Dorn im Auge.

Wenn diese Beispiele „verschiedenste[…] Abkommen über alle möglichen Einzelfragen des Kriegsrechts“ betreffen und sich nicht auf eine einheitliche Kodifikation beziehen – heute würden wir von Fragmentierung sprechen –, ist dies nach Schmitz kein Zufall (S. 54a). Denn die für Verhandlungen über generelle Fragen des Kriegsrechts erforderlichen allgemeinen Konferenzen würden nur selten zustande kommen. Zu riskant sei den Staaten der dort eröffnete „Einblick in die operativen Absichten […] im Ernstfalle“. Einmal teilgenommen, sei es nur erschwert möglich, „den Konferenztisch zu verlassen, wenn ihnen die Entwicklung der Verhandlungen mit ihren eigenen Interessen in Widerspruch zu geraten scheint. Sie werden unter Umständen in ihren Zugeständnissen weitergehen müssen als ihre Interessenlage eigentlich zulässt, um nicht das Odium auf sich zu nehmen, dass sie eine ‚Friedenskonferenz‘ zum Scheitern gebracht hätten“ (S. 54b).

Gleichzeitig sei der vertragliche Verzicht „[a]uf ein wirksames Kriegsmittel […] unter Umständen ein Verbrechen am eigenen Volk“ (S. 106). Nur deshalb konnte auf der Haager Konferenz 1899 eine Deklaration angenommen werden, die es für die Dauer von fünf Jahren verbot, „Bomben oder Explosivstoffe aus Ballons oder durch andere ähnliche neue Verfahren abzuwerfen“: innerhalb der Geltungsdauer bestand keine Aussicht, „dass die Luftschiffe und Flugzeuge in dieser Zeitspanne so erhebliche Fortschritte machen würden, dass sie zur Vornahme von Kampfhandlungen in grösserem Umfange verwendbar sein würden“ (S. 111). Neben Befristungen treten uneinheitliche Vertragsparteien, eingeschränkte Geltungsbereiche, Rückausnahmen wie die Allbeteiligungsklausel und Vorbehalte, was die Fragmentierung weiter vorantreibt und „das Kriegsrecht zu den am wenigsten übersichtlichen Materien“ mache (S. 54a). Diese „einzelnen Teile des Kriegsrechts“ dürfen aber „nicht zusammenhanglos nebeneinander gestellt werden“ (S. 4), vielmehr finden sie „ihre Einheit und ihren letzten Sinn im Wesen des Krieges“ (S. 5). Dies ist vor allem der Spielraum, den die „Normen des Kriegsrechts […] jedem einzelnen Staat […] lassen“ müssen, „um seine Kräfte in einer Weise zu entfalten, die ihm ermöglicht, das Endziel des Krieges, die Brechung des feindlichen Willens, zu erreichen“ (S. 54b). Das Kriegsrecht „steht gewissermassen am Rande der militärischen Aktionen, nicht ihre Wirksamkeit störend, sondern nur Auswüchse verbietend“ (S. 189). Als „Schöpfung der Soldaten“ stünden die „lois et coutumes de la guerre” notwendigerweise

„im Einklang mit den militärischen Notwendigkeiten und hinderten nur unwesentlich die Anwendung der Gewalt in dem militärisch als notwendig erkannten Umfang. Weil das Kriegsgewohnheitsrecht aus der Praxis des Krieges heraus wuchs, und ein Bruch dann nicht beachtet zu werden pflegte, wenn militärische Bedenken entgegenstanden, entwickelte sich das Gewohnheitsrecht als ein rein elastisches Recht […] als ein Recht unter Vorbehalt der militärischen Notwendigkeit“ (S. 45)

– unterstrichen durch den Verweis auf Max Hubers Aufsatz „Die kriegsrechtlichen Verträge und die Kriegsraison“ in der Zeitschrift für Völkerrecht aus dem Jahre 1913 – eine der nur sehr spärlich gesetzten Fußnoten. Einem vertraglichen Eingriff seien daher „nur verhältnismässig wenige Punkte“ zugänglich, „bezüglich derer die Interessen aller Staaten gleichliegen“ (S. 54c). Und auch hier sei Wachsamkeit geboten: „Ein Zugeständnis auf dem Gebiete des Kriegsrechts aber, das nur gebracht wird, um einen augenblicklichen politischen Vorteil auf einem anderen Gebiet zu erlangen, ist ausserordentlich bedenklich, weil es fast notwendig zur Verletzung der Vereinbarung im Ernstfalle führen muss“ (S. 106 f.). Kann für „neue Kriegsmittel wie das Unterseeboot und die Luftwaffe“ aber „eine einheitliche Lösung nicht gefunden werden“ lasse dies „für künftige Kriege das Schlimmste befürchten“ (S. 53 f.). Eine beachtliche Conclusio, nicht nur in ihrer Emotionalität. Sie hinterfragt Schmitz’ eigene generalklauselartige Zusammenfassung, „dass geboten und verboten war, was der anständige und ehrliebende und vernünftig handelnde Soldat schon von sich aus tun oder unterlassen würde“ (S. 45) und relativiert sein Bekenntnis zu neuen Kriegsmitteln und Methoden der Kriegsführung als „grundsätzlich zulässig[…], wenn sie allgemein als brauchbare Mittel zur Erreichung des Endzweckes jeden Krieges erkannt worden sind“ (S. 107). Unweigerlich denkt man an den 6. Und 9. August 1945 und begeht damit einen weiteren Rückschaufehler.

III. Der Kampf um die Neutralen und Humanität als Nicht-Prinzip

Der moderne Krieg sei „eine[…] Angelegenheit, die die Interessen aller Staaten berührt“ (S. 2), weshalb der Kampf nicht nur gegen den Feind sondern auch um die „Weltmeinung“ geführt wird, „die im wesentlichen in den neutralen Staaten sich bildet“ (S. 39). Schmitz lehnt deswegen den Totalen Krieg ab, wonach „der Kriegszweck überhaupt nicht mehr zu erreichen sei, wenn irgendwelche rechtlichen Bindungen beständen [sic], die die freie Aktion der militärischen Streitkräfte einschränken“ (S. 33). In der im Kriegsrecht strukturell angelegten Schwäche, dass das Repressalienregime „bis zur völligen Negierung jeder kriegsrechtlichen Regel getrieben werden“ könne (S. 38) sieht er nur eine theoretische Möglichkeit. Die Schranke bestehe nicht in den „Grundsätze[n] der Humanität“ (S. 37). Es sei bereits

nicht einfach zu bestimmen, was nach allgemeiner Auffassung im Kriege inhuman ist. Vielfach stehen die Auffassungen von Humanität in den einzelnen Staaten in auffallender Parallele zu ihren politischen, militärischen und wehrwirtschaftlichen Gegebenheiten. Ein Staat, dessen Wehrwirtschaft eine längere Kriegsdauer nicht zulässt, wird alle, auch die schärfsten Mittel, für human erklären, die geeignet sind, den Krieg abzukürzen und eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. In anderen Ländern passen sich die Auffassungen darüber, was human und was humanitätswidrig ist, bemerkenswert schnell der jeweiligen politischen Situation an“ (S. 37 f.).

Die Begrenzung finde sich vielmehr in zwei praktischen Erwägungen: zum einen entspreche „ein grosser Teil dieser Normen den Interessen beider Teile in gleicher Weise“, zum anderen müssten „die Repressalien mit ihrer zunehmenden Schärfe notwendigerweise auch die Interessen der Neutralen berühren“ (S. 38). Die Einhaltung des Kriegsrechts beruhe damit „weniger auf irgendwelchen humanitären Erwägungen der Kriegführenden, sondern in erster Linie auf ihren wohlverstandenen eigenen Interessen“ (S. 39). Man kann hier etwa an die Debatte um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg denken, auch wenn Schmitz sie nicht erwähnt. Die Versenkung der Lusitania durch ein deutsches U-Boot war neben dem deutschen Einmarsch ins neutrale Belgien einer der zentralen Faktoren für den Kriegseintritt der USA.

In jedem Konflikt seien die Kriegführenden abhängig von der „Haltung der Neutralen“. Der Grad der Abhängigkeit ließe sich an der Befolgung des Kriegsrechts ablesen: „Je grösser diese Abhängigkeit ist, desto mehr müssen sie bemüht sein, die öffentliche Meinung der neutralen Staaten nicht gegen sich aufzubringen. Je stärker die politische Macht der Neutralen ist, desto genauer wird das Kriegsrecht auch zwischen Kriegführenden beobachtet werden“ (S. 39). Auch hier wäre der uneingeschränkte U-Boot-Krieg ein passendes Beispiel, hatte das Deutsche Reich doch die Furcht vor einem Kriegseintritt der USA verloren: „In militärischer Hinsicht erachte ich die Stärkung durch den Eintritt der USA in den Krieg auf Seiten unserer Gegner für Null“, hatte Marinestaatssekretär Eduard von Capelle im Reichstag erklärt.[19]

Die Kathedrale von Reims nach deutschem Beschuss 1914[20]

Von der Propaganda inszenierte gegenseitige Rekriminationen seien üblicher Teil dieses Kampfes um die Neutralen und die emotionalisierte Weltmeinung: So habe es seit der Haager Erklärung über das Verbot von Dum-Dum-Geschossen „keinen Krieg gegeben, indem nicht die Gegner sich gegenseitig der Verletzung dieses Verbots beschuldigt hätten“ (S. 109). Zwar „braucht dies nicht immer böswillig gewesen zu sein,“ fährt er reflektiert fort, „da es unter Umständen schwierig ist, aus der Art der Verwundung festzustellen, ob sie von einem Dum-Dumgeschoss herrührt“ oder etwa durch einen Querschläger verursacht wurde (S. 109). Gleichwohl seien insbesondere im Ersten Weltkrieg „die Verletzungen des Kriegsrechts erheblich übertrieben worden und zwar von beiden Seiten, sowohl was die Häufigkeit wie auch was die Schwere der einzelnen Fälle anlangt“ (S. 40). Interessant wäre gewesen, zu wissen, welche „einzelnen Fälle“ Schmitz im Kopf gehabt haben muss und wie er sie bewertet. Die Instrumentalisierung der deutschen Beschießung der Kathedrale von Reims im September 1914 durch die Propaganda beider Seiten hätte sicherlich ein gutes Beispiel geboten.

Zuletzt möchte ich mich dem kriegsrechtlichen Humanitätsgedanken widmen, den Schmitz insbesondere im Abschnitt über verbotene Kriegsmittel behandelt. „Man hat sich seit langem daran gewöhnt, die Regeln der Humanität in Gegensatz zu den militärischen Erfordernissen zu stellen und führt nachgerade alle Verbote der Verwendung gewisser Kampfmittel auf humanitäre Gründe zurück“, schreibt er auf Seite 103. „Ja man geht so weit zu behaupten, das Kriegsrecht sei ein Kompromiss zwischen dem Grundsatz der Effektivität der Kriegführung und dem Prinzip der Humanität. Mir scheint darin eine Uebertreibung zu liegen. Vielfach ist dieser angebliche Gegensatz nur ein scheinbarer, jedenfalls bei den gewohnheitsrechtlich verbotenen Kriegsmitteln“ (S. 105).[21] Denn sei eine Waffe gewohnheitsrechtlich verboten, „dann ist sie auch militärisch wertlos und daher für die Erreichung des Kriegszwecks nicht notwendig“ (S. 104). Nichts anderes gelte aber für das Völkervertragsrecht: „Hier wäre es denkbar, dass ein militärisch wirksames Mittel verboten ist, weil es letzten Endes für die Erreichung des Kriegszwecks sich doch schädlich auswirkt, weil nämlich die Art seines Gebrauches gegen die allgemein anerkannten und unbestrittenen Grundsätze der Menschlichkeit verstösst“ (S. 104). Die schlussendliche militärische Schädlichkeit des Mittels liegt in dem Umstand begründet, dass es „die Neutralen und überhaupt die Weltmeinung gegen den Kriegführenden mobilisiert […] und es so in seinen politischen Auswirkungen den militärischen Erfolg paralysiert“ (S. 104). Mit dieser Auffassung steht Schmitz in der traditionellen preußisch-deutschen Schule des Kriegsrechts.[22]

Als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gebiete der Krieg demnach, „die Wirksamkeit eines Kriegsmittels nicht nach dem unmittelbaren militärischen Erfolg allein [zu] beurteilen“. Vertragliche Verbote erschienen also nur dem als Beschränkung, „dem die Uebersicht über das Ganze des Kriegsgeschehens fehlt“ (S. 104). In Anwendung dieser Grundsätze entnimmt Schmitz Artikel 23 e HLKO den von ihm positiv umformulierten Grundsatz, „dass alle die Kriegsmittel erlaubt sind, die notwendig erscheinen zur Erreichung des Kriegszwecks“ (S. 103). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch Schmitz’ Bezugnahme auf die – von ihm nicht so bezeichnete – Martens’sche Klausel. Im modernen Verständnis wird ihr eine lückenschließende Auffangfunktion nach den Grundsätzen der Humanität zugeschrieben.[23] Die „Präambel zum 4. Haager Abkommen“, die die Klausel enthält, stelle nur klar, dass die „gewohnheitsrechtlichen Verbote […], soweit sie nicht noch einmal vertraglich […] festgelegt worden sind, neben dem Vertragsrecht weiter[gelten]“ (S. 102). Die bis heute diskutierten Punkte „Gesetze der Menschlichkeit“ und „Forderungen des öffentlichen Gewissens“ würdigt er mit keinem Wort. Folgerichtig stellt er das Verbot vergifteter Waffen in Artikel 23 a HLKO nicht als durch den Humanitätsgedankens bedingt dar, sondern als Konsequenz ihrer militärischen Wertlosigkeit. Da diese somit nur überflüssige, also militärisch nicht notwendige Leiden hervorriefen, handele es sich „nur um einen Unterfall des allgemeinen Verbots in Art. 23 e“ (S. 109 f.). Selbst Gift, als vermeintlich klarstes Beispiel eines inhumanen Mittels, sei wegen seines militärischen Risikos verboten:

„Man kann natürlich sehr wohl sagen, dass der Gebrauch von Gift unmoralisch sei, eine Perfidie darstelle und deswegen auch rechtlich nicht gestattet sei. Wenn man aber einmal fragt, an welche Art der Verwendung von Gift gedacht ist, nämlich an Vergiftung von Nahrungsmitteln, Wasserquellen, Brunnen usw., so kommt man zu einem anderen Ergebnis. Derartige Vergiftungen wirken sich unter Umständen gegen die eigenen Truppen aus, die die Wechselfälle des Krieges vielleicht gerade wieder auf die Benutzung z.B. vergifteter Quellen anweisen. Es besteht ausserdem die Gefahr, dass andere eigene Truppenteile diese Quellen benutzen, Truppen, denen die Vergiftung nicht bekannt ist und im Durcheinander eines Bewegungskrieges auch nicht bekanntgemacht werden konnte, zumal aufgestellte Warnungstafeln nicht davor sicher sind, entfernt zu werden.“ (S. 105 f.)

Ähnliche Überlegungen finden sich zum Verbot bakterieller Waffen, die offensichtlich „ein zweischneidiges Schwert“ darstellten (S. 112). Für verbotene Methoden der Kriegsführung gelte derselbe Maßstab. Die Beschießung unverteidigter Städte sei offensichtlich militärisch nicht notwendig und daher nachvollziehbarerweise zu verbieten. Das Plünderungsverbot, um eine weitere verbotene Methode zu nennen, beruhe darüber hinaus „vor allem auf der Erfahrung, dass nichts die Disziplin einer Truppe mehr untergräbt als die Erlaubnis zum Plündern nach gewonnener Schlacht, gerade in einem Augenblick, wo es darauf ankommt, die durcheinandergekommenen Verbände wieder zu ordnen und die Vorbereitungen zur Abwehr von Gegenangriffen zu treffen“ (S. 127).

Luftaufnahme eines deutschen Gasangriffs an der Ostfront 1916. Soldaten öffnen Gasbehälter[24]

Das Humanitätsargument sei vor allem ein Instrument der Schwachen. So habe Frankreich beispielsweise den deutschen Einsatz von Flammenwerfern als humanitätswidrig bezeichnet, „was sie und ihre Verbündeten allerdings nicht gehindert hat, die Konstruktion ähnlicher Apparate wenigstens zu versuchen“ (S. 110). Auch den Einsatz von Kampfgasen im Ersten Weltkrieg – der wohl stärkste Kandidat für das Prädikat eines inhumanen Kriegsmittels – hält Schmitz für unproblematisch. Denn Haager Erklärung, betreffend das Verbot der Verwendung von Geschossen mit erstickenden oder giftigen Gasen von 1899 beziehe sich ihrem Wortlaut nach nur auf „Geschosse … deren einziger Zweck ist, erstickende oder giftige Gase zu verbreiten.“ Zum Einsatz kam aber das sogenannte „Blasverfahren …, mittels dessen aus feststehenden Behältern die gaserzeugenden Stoffe abgeblasen wurden“ (S. 113). Im Übrigen wäre der Einsatz von Geschossen, die neben der Verbreitung erstickender oder vergiftender Gase auch eine Splitterwirkung hatten, nicht verboten war“ (S. 113) ebenfalls nicht verboten gewesen. Der sich aufdrängende Gedanke der Humanitätswidrigkeit wird nicht erwähnt: es handle sich um ein wirksames Kriegsmittel weshalb „die Schäden, die dadurch herbeigeführt werden, […] nicht als überflüssig im Sinne dieser Bestimmung [Art. 23 e HLKO] zu betrachten sind“ (S. 113). Dies zeige insbesondere die Anwendung des Repressalienregimes im Falle des Gaskrieges:

„Während aber bei einer Verletzung der sonstigen Verbote von Kriegsmitteln der zuerst von ihnen Betroffene wegen ihrer mangelnden militärischen Wirksamkeit davon absehen wird, seinerseits nunmehr diese Kampfmittel auch zu benutzen und es vorziehen wird, das Verhalten des Gegners propagandistisch zu seinen Gunsten auszuwerten, im übrigen aber wirksamere Repressalien ergreifen wird, wird dies bei der Verwendung von Gas nicht der Fall sein, falls der zunächst Geschädigte seinerseits die nötigen Vorbereitungen für den Gaskrieg getroffen hat“ (S. 117).

Für die Fortgeltung dieses Gedankens nach Inkrafttreten des Genfer Protokolls über den Gaskrieg zieht Schmitz die Vorbehalte Frankreichs heran, die ein Gegenseitigkeitsprinzip sowie eine Allbeteiligungsklausel enthalten (S. 58).

Wendungen wie Lassa Oppenheim’s Feststellungen, „the influence of the principle of humanity has been and is still enormous upon the practice of warfare” oder “the methods of warfare … become less cruel and more humane every day”, sucht man bei Schmitz vergebens.[25] Die Konstruktion des Humanitätsbegriffs als Nicht-Prinzip entspricht der deutschen Tradition.[26] Diese fand darüber hinaus auch Eingang in das positive Völkerrecht der europäischen Großmächte. Sie bestimmt etwa die Präambel der Petersburger Erklärung von 1868, dass der Gebrauch von Explosivgeschossen unter 400 Gramm nur deswegen der „den Gesetzen der Humanität zuwiderliefe“, weil sie „unnötigerweise die Leiden der außer Kampf Gesetzten erhöhen oder ihren Tod unvermeidlich machen würden“ und damit schon militärisch unnötig sind. Indem Schmitz zwischen den beiden Prinzipien bereits keinen Kompromiss erblickt, bleiben ihm argumentative Umwege, wie sie etwa JM Spaight 1911 gehen musste, erspart. Der britische Beamte im Air Ministry ging von einem Kompromiss aus, stellte aber sofort klar, dass die militärische Notwendigkeit – „for war is war“ – „the more powerful interest of the two“ sei.[27]

Schluss

Was ist nun von dieser Vorlesung zu halten? Das Manuskript ist Dank der Fachkunde und des didaktischen Talents seines Verfassers gut lesbar und leicht verständlich. Auf der einen Seite liest man seltsam Vertrautes, sowohl was Grundprinzipien als auch strukturelle Schwächen des heute als humanitäres Völkerrecht bezeichneten Rechtsgebiets angeht. Beachtlich ist, dass die Vorlesung auch im Jahre 1938, als der Umbau der Universitäten längst abgeschlossen war, weiterhin in der Sprache des traditionellen Völkerrechts abgefasst ist. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung des Krieges als „Erschütterung der internationalen Beziehungen“ (S. 2), also als durchaus pathologischen Zustand, bemerkenswert. Die Einhaltung des Kriegsrechts dient nicht nur der Rückkehr zum Frieden, sondern der „Wiederherstellung der internationalen Ordnung“ (S. 33). „Recht“ im Sinne der voll verwirklichten NS-Ideologie dagegen ist nichts anderes als ein „Instrumentarium selbsterzeugter Notwendigkeiten, … Ausdruck einer Geisteshaltung, der die rücksichtslose Selbstentfaltung des deutschen Volkes im Sinne Hitlers oberstes Gebot war.“[28] Keinem Staat wäre es möglich, warnt Schmitz zurückhaltend, „sich durch das Chaos eines [totalen] Krieges als geordnetes Staatswesen hindurchzuretten“ (S. 33).

Auf der anderen Seite stellen sich bei der Lektüre doch gewisse Störgefühle ein, so anachronistisch sie auch sein mögen. Sie ruft uns unbewusst in Erinnerung, dass das dem Denken des 19. Jahrhunderts verhaftete Kriegsrecht und das moderne humanitäre Völkerrecht mehr trennt als die Bezeichnung. Kriegsrecht schützt wohlverstandene Staatsinteressen – Lasson verwendet hier die Figur des „klugen Egoismus“ –[29] und in einer gewissen Weise die staatszentrierte Völkerrechtsordnung selbst. Dem Individuum dagegen weist es kaum einen eigenen Platz zu. Es ist nicht nur das von Schmitz negierte Humanitätsprinzip, es ist die „Human Dimension of International Law“ (Cassesse) generell, die fehlt. Ohne sie klingen Aufgabenzuweisungen an den Krieg als Diener „der Neuordnung der Staatengemeinschaft in rechtlichen Formen, die allein das erneute friedliche Zusammenleben der Völker möglich machen“ (S. 189) seltsam hohl. Die Vorlesung zeigt aber auch, wie berechtigt das Anliegen einer „Humanization of International Law“ (Meron) ist.

[1] Aroop Mukharji/Richard Zeckhauser, Bound to Happen: Explanation Bias in Historical Analysis, Journal of Applied History 1 (2019), 5–27.

[2] James Tully (Hrsg.), Meaning and Context: Quentin Skinner and His Critics, Princeton: Princeton University Press 1989.

[3] Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November 1937 von 16.15-20.30 Uhr, “Hoßbach-Protokoll”, in: 100(0) Schlüsseldokumente.

[4] Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Band 2, Nürnberg: Delphin Verlag 1946, 487-488.

[5] Foto: MPIL.

[6] Siehe hierzu, im Detail: Enno Mensching, Luftkrieg und Recht, Baden-Baden: Nomos 2022.

[7] Dan Diner, Rassistisches Völkerrecht. Elemente einer nationalsozialistischen Weltordnung, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), 23–56.

[8] Entnommen aus: Ernst Forsthoff, Besprechung von: Otto Koellreutter, Der deutsche Führerstaat, Juristische Wochenschrift 63 (1934), 538.

[9] Siehe hierzu: Michael Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft. Zur juristischen Terminologie im Nationalsozialismus, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 20 (1972), 16–38.

[10] Günther Küchenhoff, Großraumgedanke und völkische Idee im Recht, ZaöRV12 (1944), 34–82, 48.

[11] Diner (Fn. 7), 28; Manfred Messerschmidt, Revision, Neue Ordnung, Krieg. Akzente der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland 1933–1945, Militärgeschichtliche Zeitschrift 9 (2014), 61–95, 68; Für ein historisches Beispiel siehe: Carl Bilfinger, Streit um das Völkerrecht, ZaöRV 12 (1944), 1–33.

[12] Adolf Lasson, Das Culturideal und der Krieg, Berlin: W. Moeser 1868, 18.

[13] Ralf Frassek, Juristenausbildung im Nationalsozialismus, Kritische Justiz 37 (2004), 85-96, 87.

[14] Siehe hierzu auch: Diner (Fn. 7), 27.

[15] Zitiert bei: Frassek (Fn. 13), 89.

[16] Messerschmidt (Fn. 11), 65.

[17] Zitiert bei: Karl Kaltenborn, Der Kampf gegen das alte Recht: Die juristische Ausbildung im Nationalsozialismus, Göttinger Rechtszeitschrift (Sonderausgabe 2023) 30–35, 31.

[18] Frank Degenhardt, Zwischen Machtstaat und Völkerbund. Erich Kaufmann (1880-1972), Baden-Baden: Nomos 2008, 80.

[19] Dirk Hempel, Als deutsche U-Boote Handelsschiffe versenkten, NDR.de, 30.1.2017.

[20] Foto: Wikimedia Commons.

[21] Siehe zu diesem Kompromiss, statt vieler: Geoffrey Best, World War Two and the Law of War, Review of International Studies 7 (1981), 67-78, 67: „[The law of war] offers mediation between the demands of on the one hand Humanity, on the other Military Necessity”.

[22] Siehe hierzu, umfassend: Raphael Schäfer, Humanität als Vehikel. Der Diskurs um die Kodifikation des Kriegsrechts im Gleichgewichtssystem des europäischen Völkerrechts in den formgebenden Jahren von 1856 bis 1874, Baden-Baden: Nomos 2025.

[23] Theodor Meron, The Martens Clause, Principles of Humanity, and Dictates of Public Conscience, AJIL94 (2000), 78-89, 88.

[24] Foto: BArch, Bild 183-F0313-0208-007/CC-BY-SA 3.0.

[25] Lassa Oppenheim, International Law. A Treatise, Bd. II: War and Neutrality, 2. Aufl., London: Longmans, Green & Co. 1912, 79.

[26] Siehe hierzu: Mathias Schmoeckel/Christophe Wampach, L’humanisation du droit de la guerre: Une utopie combattue par la doctrine allemande?, Clio@Themis Revue électronique d’histoire du droit, November 2016.

[27] James Molony Spaight, War Rights on Land, London: Macmillan 1911, 75.

[28] Messerschmidt (Fn. 11), 95.

[29] Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin: Wilhelm Hertz 1871, 42.

Reflecting on 1989 in Heidelberg. Impressions, Thirty-Five Years Later

I. Heidelberg, Summer of ‘89

With the exception of a brief three-day visit at the MPIL in 1983, my first ‘real’ research stay (of three months) took place in the summer of 1989, following my PhD in Frankfurt/Main and the completion of my twenty-three months-long military service in Greece. It was a great opportunity to be among ‘the best and the brightest’ junior scholars of my generation, ‘weltoffen’ and with a real passion for geopolitics and international law. The summer of ’89 offered me the unique possibility of discussing the things to come and of reflecting on the big picture of events and their interconnection; since then, I have become a regular guest at the Institute in summer times. My MPIL ‘career’ concluded with five years of stay in the period 2018-2023. This blogpost is about ‘impressions’ and ‘reflections’ linking thirty-five years of legal policy discourses with friends and colleagues at the Institute, 1989 to 2024, and has been conceptualized as contribution to the ongoing debates of the Institute.

For junior law scholars from Greece, Germany offered the natural space for their PhD research back then. There has been a foundational impact of German legislation and legal thinking in Greece, since the era of the first King of the new independent Greek State, Otto von Wittelsbach (1832-1862). This included the major contribution to the collection and codification of the Greek customary law by Georg Ludwig von Maurer, Professor of Law at the University of Munich, in his capacity as a member of Otto’s three-member Regency during the King’s minority.[1] Otto’s era was one of the first experiments in nation-building in European history. Despite its shortcomings, Otto’s reign succeeded in creating ‘Western-like’ political and legal institutions that prevented the country’s drift towards the Russian sphere of influence, as powerful domestic constituencies intended for.

In the 20th century, Ernst Forsthoff was appointed as President of the Constitutional Court of Cyprus and remained in office for three years (1960-1963). Despite critique from the German media, he resigned when he had to choose between loyalty to his function and submission to the politics of the Cypriot government. Another example of the economic-cultural impact of the German legislation in the Greek legal order: Greece incorporated and applied the Bierreinheitsgebot until the end of the 1980s, when the European Court of Justice decided that it contravened the principle of the free movement of goods.[2]

I did my PhD research at the University of Frankfurt/Main with the support of the DAAD in the first half of the 1980s and was awarded the Dr. jur. degree by said University. During that time and despite the prominence of the Habermas school of thought in Frankfurt, I was attracted to Luhmann’s systems theory and to the thinking of Carl Schmitt. These two intellectual traditions appear prima facie as incompatible, but they are not; in combination, they build the theoretical background for understanding the Neo-Hobbesian world society of the 21st century. Later, I had the opportunity to engage with Gunther Teubner’s grand theory and I am grateful to him for the long discussions we had, for his guidance and for his kindness.

Returning to the Institute: Like most of the guests, I regularly attended the Referentenbesprechung in the summer of 1989, but preferred to keep my thoughts private during the official meetings. The particularly German legal discourse, the impressive knowledge of the technical minutiae of international law and comparative law exhibited by the researchers of the Institute and the strict discipline of the events were clear deterrents for an active participation of outsiders.

The picture changed in the informal discussions, which offered us the opportunity to engage with the broader geopolitical and philosophical dimensions of a disintegrating international system. The internal dynamics of our private exchanges during common lunches, and at evening meetings in our cultural centre – the always welcoming home of Matthias Hartwig – proved to be the best pathway for exploring the ongoing developments and for re-imagining a world that we had not expected to be able to change so suddenly and so dramatically.

These discussions, tough and adversarial, were a fascinating demonstration of rational discourse, clash of ideas, and deep friendship and respect for each other. During my stays in Heidelberg in 1989 and later, I cannot recall any meeting that ended in consensus. Disagreement was the motor of learning. Friendships built at that time are still alive and strong, supported by the feeling that we have lived through these extraordinary times, among the most important of European modernity. The hopes and visions of that time were soon replaced, however, by gloom, as the war in Yugoslavia raged through the 1990s.

Here, I will briefly assess the events of 1989 from a contemporary vantage point and draw some lessons for the future of research. I will discuss two themes of interest to the Institute, namely, the spatial restructuring in Eurasia and in world society after the collapse of communism (II.) and the capacity of the ‘South’ to substantially challenge the shape of international law and international relations after the end of the Cold War (III.), before making some research policy suggestions (IV.).

II. The Eurasian Space. Grossraum and the Totality of Space

 1989 was not a moment of a social or a political revolution leading to a ‘common European home’,[3] as I believed back then, but foremost a Raumrevolution, a spatial revolution, establishing the conditions for a novel Raumordnung, an ‘order of the space’. We should distinguish here between the regional Eurasian Raumordnung and the Raumordnung of world society.[4] These concepts should obviously be disconnected from their original context in the system of Carl Schmitt, in order to become functional for the analysis of international law and geopolitics in our time.

1. The territorial rearrangements in Europe and Eurasia, symbolically and spatially best represented by the Fall of the Berlin Wall, turned out to be more complex than we imagined in 1989. The Soviet Union disappeared, but was followed by the emergence of Russia’s Grossraum, built on questionable legal bases. In the Minsk and Alma Ata agreements of December 1991, the right of self-determination of the successor States was undercut by the creation of a so-called ‘common security space’. No State can withdraw from the Grossraum unpunished, as Georgia (2008) and Ukraine (2014, 2022) have experienced. More recently, signals by Armenia for closer ties with the West were met with intimidating noises from Russia. Furthermore, Russia’s long-term objective has been to subvert the European and possibly the global geopolitical order by compulsion and force, if necessary, as can be inferred from the two draft treaties with the United States and NATO, proposed on 17 December 2021 and confirmed by Russia before the ICJ during the oral proceedings on the preliminary objections of the Allegations of Genocide case (Ukraine v Russian Federation).

2. The dissolution of the USSR brought not only the Eurasian Grossraum into life, but it completed the formation of world society.[5] The Raumrevolution of 1989 created what I call ‘the totality of space’. One Earth, a totality of one space with territorial, social and virtual dimensions and with limitless possibilities for expansion, fragmentation, and domination: this is a relatively realistic description of world society. At the Institute, this reality has signalled a shift from the German-centric towards a more globalised approach. In world society, this is the expected normality and does not need to become a political project. In research, merit should be the most important criterion, enabling selections from the broadest possible pool of qualified candidates from all over the world. Diversity of opinion is at the core of the constitution of science.

III. On the North/South Distinction

The author (left) with Konrad Buschbeck and Matthias Hartwig, during the seminar series “100 Years of Public Law” at the Institute, 2024[6]

The epoché of ’89 has created, over time, a shift of scholarship towards multiple directions. As research depends on the form of world society, it became imperative to think about the alleged North/South distinction.

Ideas and projects that describe the world in terms of a segmentary differentiation are necessarily overly simplistic. I argue that what is called ‘the South’ is not founded on a deeper community of values and has not reached, as a whole, any meaningful degree of economic or sociological integration. The East-West distinction is still prevalent, but in a very different form compared to the Cold War.

The process of decolonisation was legally cemented via normative UN Resolutions and jurisprudence before the end of the Cold War. Common political strategies were originally devised by the Newly Independent States and the Eastern Block. However, the Non-Aligned Movement was weak, as the appeal of Indian Prime Minister Pandit Nehru to President Kennedy for a US intervention during the 1962 war with China shows.[7] The old historical antagonism between the two most populous countries of the world, India and China, still obstructs the effectiveness of what is called ‘the South’ and its institutional expressions, such as the BRICS and the Shanghai Cooperation Organization. The divergence of the geopolitical orientations of the two counties has a long pedigree. In the area of law this was also expressed during the early post-World War II period in the opposite sides taken during the Tokyo trial of Japanese war criminals by the Indian judge Radhabinod Pal and the Chinese judge Mei Ruao.[8] In our summer discussions of 1989, China’s role had escaped our attention, despite Tienanmen. The rise of an authoritarian nationalist great power in Asia was not within our conceptual horizon.

The disappearance of the Soviet Block and the USSR restricted the influence of the Non-Aligned Movement in international affairs. In the current new ‘great game’ in Africa, democracy is the first victim of Russian expansionism.[9] The debates on ‘decolonisation’ are Western-centric in the sense that they mirror the increasing identity splits and conflicts in the West (‘decolonize the curriculum’). These debates and narratives have only limited significance for international law and the sociological basis of international relations.

For instance, despite the ongoing debates, international law has not yet recognised an obligation of reparations for slavery. Should that happen, unsettling questions would emerge. What about Dahomey (now: Benin), a powerful African military monarchy, whose wealth and power in the 18th and 19th centuries relied on slave trade with European powers, as accurately described by Karl Polanyi?[10] Should Benin pay reparations for slavery under the principle enunciated in Art. 16 of the ILC Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts?[11] And who else would be called upon to pay reparations, considering the global dimensions of slavery?[12]

Perhaps the most important jurisprudential act relating to decolonisation has been the ICJ judgment in the case Burkina Faso v Mali. This judgment was rendered in 1986, the same year as the Nicaragua judgment, and these judgments constitute the culmination of the Court’s activity during the Cold War. The Burkina Faso v Mali judgment clarified the most important question relating to the principles of self-determination, namely whether ‘the people’ in the national and ethnic sense determine the territory, or vice-versa. The ICJ decided that the territory constitutes a self-determination unit via the principle of uti possidetis and therefore territorial space determines the people in the legal sense. Thus, it recognized the primacy of the territory over population and ethnicity for the sake of effective governance.

This judgment rejected parochialism, tribalism and clan politics and established the link between self-determination and the idea of cosmopolitan territorial governance. The Chagos and the Palestine advisory opinions followed a similar rationale. In Chagos, the removal of the entire population half a century ago did not prevent the Court from recognizing the right of self-determination based on the territory; in the Palestine advisory opinion the ICJ stressed that the Occupied Palestinian Territory (OPT) is a single territorial unit, despite the existence of two separate segments, hostile to each other (Gaza, West Bank).

It is difficult to discover major legal/institutional innovations in the post-Cold War era relating to ‘postcolonialism’, whatever the concept might mean. The ‘South’ is not a ‘community of values and interests’, the main reason being that developing States usually follow transactional policies among themselves and with great powers, even at the expense of their own institutions. For instance, the dictatorships in Burkina Faso, Mali and Niger, that enjoy the support of Russia, withdrew from ECOWAS, which has been one of the most important regional agencies for the preservation of peace in Western Africa with immediate effect on 28. January 2024. These dictatorships did not hesitate to impair an organisation that has represented the common bonds among West African States.[13]

I cannot discuss the question of Palestine in detail here. Anyway, if we accept the ‘colonial’ character of the Israeli occupation, we may also better understand the position of East European and Ukrainian scholars regarding the colonial nature of the Russian State.[14] This approach suggests that the Russian aggression is a war of (re-)colonisation. One may wonder whether the West, by supporting Ukraine, is fighting an anticolonial war against Russia which would then, in such an understanding, occupy the notional place of the North.

There are two ‘postcolonial’ ICJ cases of significance. The case Equatorial Guinea v France deconstructs the North/South distinction. Criminal proceedings against Equatorial Guinea’s Vice President and the son of the country’s President, initiated by Transparency International in France, and the ICJ judgments that followed, exposed the deep corruption of the Southern elites that cause massive poverty and misery in the population, and showed how France attempts to secure and preserve the public property of the Guinean people. The question arises whether the abusive elite of Equatorial Guinea has any legitimacy to claim itself as a victim, and to complain about alleged injustices. Are other countries, such as authoritarian Zimbabwe and oil-rich Angola, also ‘victims’ of the structures of the international system, of their own rulers, or of both?

In the Guyana v Venezuela case on the sovereignty over the Esequibo region, Venezuela uses a postcolonial argument, namely that its claimed loss of the area to Guyana, a former British colony, was due to an allegedly corrupt arbitration award of 1899, engineered by the British. The case is still pending and the Court’s judgment on the merits could constitute an important moment for Latin American States and for the assumptions of postcolonial approaches.

IV. The Path to the 21st Century 

The Institute in 2019[15]

Having been in West Germany for my PhD in the first half of the 80s, I have a very good recollection of the worries and anxieties of nuclear war that dominated in the West at that time, as the impact of the 1983 ABC movie  ‘The Day After’ in the United States also shows.[16] In retrospect, the peaceful disintegration of the USSR and the German unification have been nothing short of miraculous. This was the great achievement of the then leadership of the West and of the Soviet Union. I stayed in Warsaw for two months in the period 1980/1981 and I observed the birth and rise of Solidarnosc. In a unique historical moment that triggered the changes of 1989, a group of workers from Gdansk, the proletarians of the communist experiment, were able to reimagine the world in a way that the academics and intellectuals in the West had arrogantly rejected, trapped in the group thinking of the various strands of Marxist thought.

During the Cold War, Western intellectuals devoted a huge amount of societal resources to conducting ideologically prejudiced research on the transition from capitalism to socialism, but failed to think about the real issue, namely the transition from socialism to capitalism. It would be highly instructive to compare the number of books and monographs written on each of the two themes.

In stark contrast, the Institute showed its sense of historical responsibility during the Cold War and later during the 1990s and fulfilled its mission by being aware of the geopolitical context and by conceptualizing international law accordingly. Jochen Frowein’s habilitation on the ‘de facto’ regime in international law is a great example of this research tradition.[17]

We live in an era in which the capacity of the West to safeguard international peace and security has significantly diminished. The 21st century is now in full swing and a radical transformation of national and international institutions of governance will be necessary in the next decades. This will not happen through wishful thinking and civil society activism, but through a revolution in systems governance. Natural law thinking generally offers no meaningful solutions to contemporary society. Instead, it is preferable to optimize the technological and scientific capabilities of the new era for the purposes of global and systems governance. Moreover, international law should be taught and studied together with geopolitics and international relations theory. Research should shed more light on the ‘blind spots’ of the mainstream and be critical of what is considered to be ‘obvious’.

The preservation of peace in our time requires consideration of six principles as guidelines for action and research, not only in the Institute, but more broadly in the academic communities of democratic States:

i. Security First: Awareness of the real and concrete security risks facing the world and the will to confront them;

ii. Consideration of ‘good science’ through rigorous methodology as the basis for rational decision-making;

iii. Acceleration of technological development instead of its blocking;

iv. Fight against poverty in developed and developing States and societies;

v. Orientation of jurisprudence to the international common interest/common good and distancing from the ‘society of singularities’ and lifestyles; and

vi. Good, effective and progressive systems governance in ordered liberty

Thus, instead of thinking in terms of segmentary differentiations of all sorts, we should think in the broader context of a single global space being in the process of continuous fragmentation, reintegration and rearrangement. This would enable policymakers to make informed decisions and select among alternatives, but requires unconventional thinking, detection of ‘blind spots’ and critique of routines.

Heidelberg and the MPIL offer scholars from all over the world great opportunities for research and reflection. As a lucky guest of the late 1980s, I would propose Streitgespräche about the antagonistic normative projects and alternative futures of the Neo-Hobbesian 21st century: Gaia (Mother-Earth) or Cosmos, back to nature or forward to the stars.

***

[1] See: Georg Ludwig von Maurer, Das Griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung vor und nach dem Freiheitskampf bis zum 31. Juli 1834, Heidelberg: Mohr 1835.

[2] ECJ, Judgement of 12 March 1987, case no. 176/84, ECLI:EU:C:1987:126 – Commission of the European Communities v Hellenic Republic; Judgement of 12 March 1987, case no. 178/84, ECLI: ECLI:EU:C:1987:126 – Commission v Federal Republic of Germany; Achilles Skordas, Das griechische Bierreinheitsgebot und die erforderliche Reform des Lebensmittelrechts, Recht der Internationalen Wirtschaft 1992, 977-982.

[3] The concept was coined by Michail Gorbatschow, Erinnerungen, Siedler Verlag, Berlin, 1995, at pp. 631 ff.

[4] For these concepts and their operationalisation, see: Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin: Duncker und Humblot 1988 [1950]; Carl Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer – Über den Gegensatz von Land und See im Völkerrecht der Neuzeit (1941), in: Günter Maschke (ed.), Carl Schmitt. Staat, Großraum, Nomos – Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, Berlin: Duncker und Humblot 1995, 401-430 (405); Carl Schmitt, Die Raumrevolution – Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden (1940), in: Maschke, Carl Schmitt. Staat, Großraum, Nomos, 388-394.

[5] On world society, see: Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 57 (1971), 1-35.

[6] Photo: MPIL

[7] Odd Arne Westad, The Cold War – A World History, New York: Basic Books 2017, 436-437.

[8] Gary Bass, Judgment at Tokyo – World War II on Trial and the Making of Modern Asia, London: Pan Macmillan 2023.

[9] See: UN, Report of the Secretary-General, Activities of the United Nations Office for West Africa and the Sahel, 1 July 2024, S/2024/521.

[10] Karl Polanyi, Dahomey and the Slave Trade – An Analysis of an Archaic Economy, Seattle: University of Washington Press 1966, in particular: 99 ff.

[11] UN, GA Resolution 56/83, 28 January 2002, A/RES/56/83, Annex.

[12] See: Egon Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, 2. ed., Munich: C.H. Beck 2011; see also: Y Hakan Erdem, Slavery in the Ottoman Empire and its Demise, 1800-1909, New York: St. Martin’s Press INC. 1996.

[13] UN, Report of the Secretary-General (Fn. 9).

[14] See, already: Włodzimierz Baczkowski, Russian Colonialism: the Czarist and Soviet Empires, in: Robert Strausz- Hupé/Harry Hazard (eds), The Idea of Colonialism, New York: Frederick A. Praeger 1958, 70-113.

[15] Photo: MPIL.

[16] Stanley Feldman/Lee Sigelman, The Political Impact of Prime-Time Television: ‘The Day After’, The Journal of Politics 47 (1985), 556-578.

[17] Jochen Abr. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht: Eine Untersuchung zur Rechtsstellung “nichtanerkannter Staaten” und ähnlicher Gebilde, Köln: Carl Heymanns Verlag  1968.

Von Moskau über Heidelberg nach Straßburg. Verbindungslinien im Leben und Werk Rudolf Bernhardts?

Jede Biographie ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von Plan, Kontingenz und Zufall. Wie verhält es sich im Fall des Lebens und Werks von Rudolf Bernhardt? Lassen sich Verbindungslinien zwischen seinen Erfahrungen aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft und seinem späteren Einsatz für das Völkerrecht und den europäischen Menschenrechtsschutz ziehen? Durch die Veröffentlichung der Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Gefangenschaft besteht Anlass dazu, diesen Fragen näher nachzugehen. Christoph Bernhardt, der Sohn Rudolf Bernhardts und Herausgeber der Tagebuchedition, wirft im Nachwort zu den Aufzeichnungen diese Frage ebenfalls auf und ist im Ergebnis zurückhaltend: Er konstatiert, dass „eine unmittelbare Wirkung der Erlebnisse in der Kriegsgefangenschaft auf die ersten beruflichen Richtungsentscheidungen nicht erkennbar ist.“[1] Auch in seiner späteren beruflichen Laufbahn habe sein Vater jedenfalls keine expliziten Bezüge zwischen der Gefangenschaft und seiner Tätigkeit im Bereich des Menschenrechtsschutzes hergestellt.[2]

„Vom Nationalsozialismus restlos geheilt“. Kriegsgefangenschaft in der UdSSR

Es verbietet sich, in spekulativer Manier eine dieser abgewogenen Position entgegengesetzte These der These halber zu entwickeln. Gleichwohl lädt die Veröffentlichung der Tagebuchaufzeichnungen dazu ein, das Denken des Völkerrechtlers Rudolf Bernhardt daraufhin zu reflektieren, inwiefern sich vielleicht doch Verbindungslinien ziehen lassen, sich gewissermaßen durch die Veröffentlichung der Tagebuchaufzeichnungen das Werk Rudolf Bernhardts jedenfalls auch in einem anderen Licht lesen lässt.

Ausgehen möchte ich von meinen Eindrücken der Lektüre des Tagebuchs. Es handelt sich bei den Aufzeichnungen um ein Dokument von ebenso großer Nüchternheit wie Einprägsamkeit. Die Schilderungen der Entbehrungen, der lebensbedrohlichen Erkrankungen, der unfassbar beschwerlichen Arbeitseinsätze im Wald und des alles durchziehenden Hungers werden keinen Leser kalt lassen. Eindrücklich ist die wiederholte Schilderung der besonderen Brutalität gerade der deutschen Offiziere und ihrer deutschen Hilfskräfte, die die deutschen Kriegsgefangenen nach den Schilderungen Bernhardts ärger behandelt und schikaniert haben als die sowjetischen Soldaten.[3] Vom Nationalsozialismus ist Bernhardt ebenso entfremdet wie von der sowjetischen Propaganda, auf deren Verheißungen einer besseren Gesellschaft er nichts geben mag:

„All das, woran ich geglaubt hatte, mußte ich als verbrecherische Propaganda erkennen. Nach dieser großen Enttäuschung bin ich vom Nationalsozialismus restlos geheilt, aber ich bin auch allen noch so laut als Idealen angepriesenen Dingen gegenüber skeptisch.“[4]

Eine quellenkritische Frage könnte hier sein, was Rudolf Bernhardt genau wann erkannt hat und wie dieses Erkennen auch durch Erfahrungen vor seiner Kriegsgefangenschaft, das heißt in seiner Zeit als Soldat der Wehrmacht 1943 bis 1945 befördert wurde.[5] Dazu finden sich, wenn ich das richtig sehe, in den Tagebuchaufzeichnungen keine Hinweise. Durch die Aufzeichnungen zieht sich jedenfalls eine tiefe Skepsis gegenüber der conditio humana, wie sie sich in der extremen Notlage der Kriegsgefangenschaft im Arbeitslager offenbarte. Den ständig andauernden Kampf um die knappen Nahrungsmittel beschreibt Bernhardt so:

„Die Angehörigen des ‚Herrenvolks‘ sind in der Not zu Sklaven ihres tierischen Instinkts geworden. Anständigkeit, Ehrlichkeit, Kameradschaftlichkeit, Stolz – alle diese Begriffe sind über Bord geworfen, um krassestem Egoismus, unwürdiger Heuchelei und Sadismus Platz zu machen. So sieht der Durchschnittsmensch wohl jeden Volkes aus, wenn er aus einer gewohnten Lebensbahn in Not und Schrecken geworfen wird.“[6]

„Balanced pragmatism“. Als Richter am EGMR

Das Gebäude des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg[7]

Wie können wir uns aber überhaupt der Persönlichkeit und dem Denken Rudolf Bernhardts als Völkerrechtler und insbesondere als Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte annähern, wenn wir nach Verbindungslinien zwischen diesen Erfahrungen aus einer noch frühen Lebensphase und der späteren beruflichen Tätigkeit suchen? Einen Fingerzeig dazu können wir einem Beitrag der 1995 veröffentlichten Festschrift für Rudolf Bernhardt entnehmen. Bernhardt, zu dem Zeitpunkt Vizepräsident des Gerichtshofs, wird eingangs des Bandes in einem Beitrag von Rolf Ryssdal gewürdigt, dem damaligen Präsidenten des Gerichtshofs. Der Beitrag mit dem Titel „Rudolf Bernhardt at the European Court of Human Rights” ist von einer großen Nüchternheit geprägt, die zugleich warmherzige Zuneigung und ehrliche Anerkennung des Wirkens von Bernhardt am Straßburger Gerichtshof erkennen lässt. Ryssdal charakterisiert Bernhardts Einfluss auf die Arbeit des Gerichtshofs wie folgt:

„Coming from the ‚scientific‘ branch of the law has not moulded Judge Bernhardt into a human rights theoretician divorced from the many-layered realities of the modern-day relationship between the State and its subjects. Nor has it made him blind to the need for a certain kind of balanced pragmatism in applying the standards of the European Convention on Human Rights to the complex situations of life in a democratic society.”[8]

Ryssdal wendet sich sodann einigen Sondervoten zu, die Rudolf Bernhardt bis dato am Gerichtshof verfasst hatte. Geht man diesen Spuren weiter nach und bezieht auch spätere Sondervoten Bernhardts mit ein, die in der Würdigung durch Ryssdal noch nicht berücksichtigt werden konnten, erscheint mir im Lichte der uns hier interessierenden Frage nach den Verbindungslinien zwischen der Erfahrung der Gefangenschaft und seiner späteren Tätigkeit eine abweichende Meinung besonders bemerkenswert, die Rudolf Bernhardt gemeinsam mit einer Reihe von anderen Richtern zum Urteil der Großen Kammer vom 26. September 1995 im Fall Vogt v. Germany verfasst hat.[9]

Im Fall Vogt ging es um die Entlassung einer verbeamteten Lehrerin aus dem Schuldienst in Niedersachen im Jahr 1986. Dorothea Vogt war nicht nur DKP-Mitglied, sondern auch Mitglied des regionalen Exekutivkomitees der DKP. Anders als die sehr knappe Mehrheit der Großen Kammer (10:9 Stimmen) konnten Rudolf Bernhardt und die übrigen Richter der Minderheit keinen Verstoß gegen Art. 10 und Art. 11 EMRK feststellen. Sie hielten die Entlassung von Frau Vogt nicht nur für gerechtfertigt, sondern geradezu für geboten. Nachdem Rudolf Bernhardt und die anderen dissentierenden Richter einen unauflöslichen Widerspruch zwischen DKP-Programmatik und freiheitlich demokratischer Grundordnung des Grundgesetzes festgestellt hatten, hielten sie resümierend fest:

„In such a situation and bearing in mind Germany’s special history, in particular the destruction of the democratic Constitution of Weimar, the State must be entitled to dismiss civil servants, including school teachers, who are actively engaged in activities on behalf of anti-democratic parties. This must be valid for all extremist parties whether they belong to the left or the right of the political system.”[10]

Hier scheint die tiefe Ablehnung gegenüber totalitären Ideologien, die Rudolf Bernhardt in seinen von mir eingangs zitierten Tagebuchaufzeichnungen zum Ausdruck gebracht hat, besonders deutlich durch. Aus der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zieht Bernhardt hier Rückschlüsse für den Umfang menschenrechtlicher Garantien und für die Beurteilung der Frage, inwiefern der Staat den Gebrauch von individuellen Freiheiten dulden muss, die sich in den Dienst der Abbau freiheitlicher Garantien stellen, eine Sorge, die ihn auch schon vor seiner Richterzeit etwa im Zusammenhang mit Studentenprotesten an der Frankfurter Universität umgetrieben hatte.[11] In diesem wie in anderen Sondervoten lässt sich jedenfalls erkennen, dass für Rudolf Bernhardt eine progressive Weiterentwicklung menschenrechtlicher Garantien nicht zulasten der demokratischen Gemeinschaft gehen darf[12], sondern es vielmehr, wie es Präsident Ryssdal formulierte, eines „balanced pragmatism“ bedurfte.[13]

Von der „legal diplomacy“ zum „living instrument“. Bernhardt und die EMRK

Rudolf Bernhardt als Richter am EGMR [14]

Das Sondervotum im Fall Vogt ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil es implizit die größere Frage verhandelt, welche Zielrichtung das System des europäischen Menschenrechtsschutzes verfolgt. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Konvention wird oft betont, dass die Konvention einen „alarm bell“-Mechanismus gegen ein Wiederabgleiten in totalitäre Zustände schaffen sollte.[15] In diese Lesart fügt sich das von Rudolf Bernhardt mitverfasste Sondervotum durchaus ein. Der knappe Ausgang der Entscheidung kann auch so gelesen werden, dass sich hier zwei Philosophien des europäischen Menschenrechtsschutzes gegenüberstanden: auf der einen Seite eine Sichtweise, die Vertrauen in die Stabilität der demokratischen Gemeinwesen in Europa hat, auf der anderen Seite eine verbleibende Skepsis, ob die erreichten demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften wirklich unerschütterlich sind. Dieses Spannungsverhältnis passt zum Entwicklungsstand des Konventionssystems Mitte der 1990er Jahre: Seit Ende der 1970er Jahre und damit nur kurz vor dem Eintritt von Rudolf Bernhardt in den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich das Konventionssystem erheblich verändert[16], wobei der Ansatz der dynamischen Vertragsauslegung der Konvention als „living instrument“ sich bereits vor der Wahl von Rudolf Bernhardt an den Gerichtshof entwickelt hatte und von diesem als richtiger Ansatz der Auslegung unterstützt wurde.[17] Konnte der europäische Menschenrechtsschutz bis in die 1970er Jahre in den Worten von Mikael Rask Madsen aber noch als ein System von „legal diplomacy“ verstanden werden[18], in dem vor allem auf die Staateninteressen Rücksicht genommen wurde, habe es sich danach Schritt für Schritt in eine ambitionierte Ordnung entwickelt, die nicht nur Mindeststandards europäischen Grundrechtsschutzes absichern sollte, sondern sich zu einer Art Verfassungsdokument Europas avant la lettre entwickelt habe.[19]

„Nachsicht mit Russland wäre falsch“. Der europäische Menschenrechtsschutz nach dem Kalten Krieg

Die Amtszeit von Rudolf Bernhardt hat ziemlich genau diese Phase abgedeckt, die zudem durch die Herausforderungen der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten nach Ende des Kalten Krieges geprägt wurde. An dem Aufnahmeprozess dieser Staaten war Rudolf Bernhardt in maßgeblicher Weise und diese Entwicklung befürwortend beteiligt.[20] Gleichwohl sah Bernhardt diesen Prozess auch mit Sorge. Zu offenkundig sei es, wie er 2000 und damit nach dem Ende seiner Amtszeit in Straßburg in einem Beitrag für die F.A.Z. mit Blick auf Russland formulierte, dass „der größte europäische Staat eine Sonderbehandlung erwartet, die ihn von der Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention dispensiert.“ [21] Noch pointierter hatte er dies kurz vorher bereits in einem Leserbrief an die F.A.Z. auf den Punkt gebracht und folgende Frage gestellt:

„Kann man […] tausendfache Verstöße in einem anderen Staat – nur weil es Russland ist – aus politischer Rücksichtnahme ungeahndet lassen? Mit großer Sorge muss man die Gefahr sehen, dass das europäische System zum Schutz der Menschenrechte insgesamt beschädigt wird.“ [22]

Ich möchte mir kein Urteil anmaßen, ob diese Position in einem Zusammenhang mit den biographischen Erfahrungen aus der Kriegsgefangenschaft Rudolf Bernhardts steht. Wie Christoph Bernhardt in seinem Nachwort zur Tagebuchedition unterstreicht, scheute Rudolf Bernhardt in seiner wissenschaftlichen Karriere den Austausch mit der sowjetischen und russischen Völkerrechtswissenschaft nicht.[23] Ganz im Gegenteil organisierte er eine Reihe von deutsch-sowjetischen Kolloquien zum Völkerrecht maßgeblich mit. [24] Aber im Vergleich zum fahrlässigen, heute würde man sagen sträflich naiven Umgang mit Russlands Menschenrechtsverletzungen der 1990er und frühen 2000er Jahre kann sein mit der Überschrift „Nachsicht mit Russland wäre falsch“ überschriebener F.A.Z.-Leserbrief nur als äußerst hellsichtig bezeichnet werden. Nicht nur das EMRK-System, sondern ganz Europa bezahlt heute den Preis dafür, dass Stimmen wie der von Rudolf Bernhardt nicht noch mehr Gehör geschenkt wurde.

[1] Christoph Bernhardt, Die Tagebuchaufzeichnungen Rudolf Bernhardts aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft. 1945–1947, in: Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft. 1945–1947, hrsg. von Christoph Bernhardt, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024, 128 –145, 142.

[2] Christoph Bernhardt (Fn. 1), 143.

[3] In einem Vortrag 2015 formulierte Rudolf Bernhardt: „Am 1. Mai 1945, 2 Tage nach meinem 20. Geburtstag, geriet ich in Potsdam bei Berlin in russische Kriegsgefangenschaft. Damals und in den folgenden zwei Jahren, die ich zunächst in Polen, überwiegend aber in Russland verbracht habe, hatte ich noch keine Ahnung vom humanitären Völkerrecht und den völkerrechtlichen Geboten zum Schutz von Kriegsgefangenen. Und wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, hätte sie mir nicht geholfen. Übrigens wurden wir in der Gefangenschaft nicht gut, aber auch nicht so übel und grausam behandelt, wie russische Kriegsgefangene, die während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Gefangenschaft gerieten.“: Rudolf Bernhardt, Sechs Jahrzehnte Beschäftigung mit dem Völkerrecht, in: Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm (Hrsg.), Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Berlin: Springer 2018, 145–159, 145–146.

[4] Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 1), 102–103.

[5] Vgl. zum Umgang mit autobiographischen Aufzeichnungen etwa: Volker Depkat, Doing Identity: Auto/Biographien als Akte sozialer Kommunikation, in: Martin Aust/Frithjof Benjamin Schenk (Hrsg.), Imperial Subjects. Autobiographische Praxis in den Vielvölkerreichen der Romanovs, Habsburger und Osmanen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Köln:  Böhlau 2015, 39–58; auch in einem anderen bilanzierenden Text erwähnt Bernhardt nur, dass die zwei Kriegsjahre Teil von fünf insgesamt mühsamen Jahren waren: Rudolf Bernhardt, Staatsrecht im internationalen Verbund, JöR N.F. 58 (2010), 337–351, 337.

[6] Rudolf Bernhardt, Tagebuchaufzeichnungen (Fn. 1),  107.

[7] Foto: Wikimedia Commons.

[8] Rolv Ryssdal, Rudolf Bernhardt at the European Court of Human Rights, in: Ulrich Beyerlin/Michael Bothe/Rainer Hofmann/Ernst-Ulrich Petersmann (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, Heidelberg: Springer 1995, 1–5,2, Hervorhebung im Original.

[9] EGMR (Große Kammer), Vogt v. Germany, App. No. 17851/91, Urteil v. 26. 9. 1995.

[10] EGMR (Große Kammer), Vogt v. Germany, App. No. 17851/91, Urteil v. 26. 9. 1995, Joint Dissenting Opinion of Judges Bernhardt, Gölcüklü, Matscher, Loizou, Mifsud, Bonnici, Gotchev, Jungwiert and Kuris, Rn. 2.

[11] Rudolf Bernhardt, Unfähigkeit zu Maß und Mitte – Betrachtungen zum Niedergang der deutschen Universität, FAZ vom 18. August 1970, 10.

[12] Vgl. etwa: EGMR, Sporrong and Lönnroth v. Sweden, App. No. 7151/75; 7152/75, Urteil v. 23.9.1982, Joint Dissenting Opinion of Judges Zekia, Cremona, Thór, Vilhjálmsson, Lagergren, Sir Vincent Evans, Macdonald, Bernhardt and Gersing with Regard to Article 1 of Protocol No. 1 (P1-1); EGMR (Große Kammer), McCann and others v. The United Kingdom, App. No. 18984/91, Urteil v. 27.9.1995, Joint Dissenting Opinion of Judges Ryssdal, Bernhardt, Thór, Vilhjálmsson, Gölcüklü, Palm, Pekkanen, Sir John Freeland, Baka and Jambrek.

[13] Ryssdal (Fn. 8), 2.

[14] Foto: EGMR.

[15] Siehe: Ed Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights: From its Inception to the Creation of a Permanent Court of Human Rights, Oxford: Oxford University Press 2010, 6; vgl. außerdem: Helmut Philipp Aust, Introduction: The European Court of Human Rigths – the past in the present, in: Helmut Philipp Aust/Esra Demir-Gürsel (Hrsg.), The European Court of Human Rights – Current Challenges in Historical Perspective, Cheltenham: Edward Elgar 2021, 1-19, 4 ff.

[16] Für eine Periodisierung siehe Angelika Nußberger, The European Court of Human Rights, Oxford: Oxford University Press 2020, 19 ff.

[17] Rudolf Bernhardt, Sechs Jahrzehnte (Fn. 3), 154, dazu: „Diese Ansicht hat sich schon vor meiner Wahl zum Richter durchgesetzt, ich halte sie für eindeutig richtig.“

[18] Mikael Rask Madsen, The Protracted Institutionalization of the Strasbourg Court: From Legal Diplomacy to Integrationist Jurisprudence, in: Jonas Christoffersen/Mikael Rask Madsen (Hrsg.), The European Court of Human Rights between Law and Politics, Oxford: Oxford University Press 2011, 43–60, 48 ff.

[19] In diese Richtung früh: Jochen Abr. Frowein, The European Convention on Human Rights as the Public Order of Europe, Collected Courses of the Academy of European Law, Vol. I, Book 2, Oxford: Oxford University Press 1990, 267–358, 278; dazu: Christian Walter, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Konstitutionalisierungsprozess, ZaöRV 59 (1999), 961-984.

[20] Siehe etwa: Rudolf Bernhardt, General considerations on the human rights situation in Russia, Human Rights Law Journal 15 (1994), 250–252; retrospektiv dazu: Rudolf Bernhardt, Staatsrecht (Fn. 5), 349–350.

[21] Rudolf Bernhardt, Eine Beschwerdeinstanz für 800 Millionen Menschen, FAZ. vom 27.09.2000, 10.

[22] Rudolf Bernhardt, Leserbrief: Nachsicht mit Russland wäre falsch, FAZ vom 22.04.2000, 49.

[23] Christoph Bernhardt (Fn. 1), 143.

[24] Rudolf Bernhardt, Sechs Jahrzehnte (Fn. 3), 149; vgl. dazu: Lauri Mälksoo, „Aus dem sozialistischen Paradies verstoßen“. Das Institut und die Sowjetunion, MPIL100.de.

Das Institut als Idyll. Karl Doehrings Weihnachtsansprache 1995

„Ich kann Ihnen erzählen, was ich will. Sie können mich gar nicht korrigieren, denn Sie waren nicht dabei“, so heißt es gleich zu Anfang von Karl Doehrings launiger Weihnachtsansprache aus dem Jahr 1995. Von einem umsichtigen Mitarbeiter oder einer umsichtigen Mitarbeiterin auf Tonband aufgenommen und von der langjährigen Verwaltungsleiterin und Instituts-Chronistin Gerda Wallenwein knapp 30 Jahre aufbewahrt, ist mit Doehrings Rede ein Dokument überliefert, welches einen humorvollen und sehr persönlichen Einblick in die Geschichte des Instituts und seiner Festkultur erlaubt. Auch wenn der Verfasser dieses Beitrags weder bei der Rede und noch viel weniger bei den vom Redner wiedergegebenen Episoden aus der Institutsgeschichte „dabei war“ und Doehring auch gar nicht „korrigieren“ will, möchte er doch ein paar Kontextualisierungen der Ansprache vornehmen.

Den Text zum Nachlesen finden sie hier.

„Bei uns ist nichts mit Förmlichkeiten“. Karl Doehring und das Institut

Karl Doehring, 1960er (Foto: MPIL).

1995 fand das letzte Weihnachtsfest vor dem Umzug in das heutige Gebäude im Neuenheimer Feld statt, was – wie Doehring andeutet – vielleicht der Anlass für seinen nostalgisch-anekdotenhaften Rückblick auf die Geschichte des Instituts gewesen sein mag. Karl Doehrings (1919-2011) wissenschaftliche Karriere war untrennbar mit dem Institut verknüpft. 1949 trat er, auf Vermittlung seines späteren Doktorvaters Ernst Forsthoff, parallel zum Referendariat als erster Assistent dem gerade wiedergegründeten Institut bei.[1] Das Institut durchlief Doehring nicht nur als Doktorand und Habilitand, er übte über Jahrzehnte auch die Funktion eines Verwaltungsleiters und stellvertretenden Direktors aus, von 1980 bis 1987 war er überdies selbst einer der Direktoren des MPIL. Bis zu seinem Tod 2011 arbeitete Doehring täglich im Institut.[2]

Seine Schilderungen sind von anekdotenhafter Nostalgie, was dem Genre der Weihnachtsansprache aber auch der Erzählfreude Doehrings zuzuschreiben ist. Er beschreibt verschiedene Akteurinnen und Akteure sowie Begebenheiten, die er in den zurückliegenden 46 Jahren am Institut erlebt hat. Deutlich wird hierbei die starke Verbundenheit Doehrings mit dem MPIL und seinen Mitarbeitenden, insbesondere mit dem nicht-wissenschaftlichen Personal. So beschränkt sich Doehrings Ansprache keineswegs nur auf die „großen Namen“, die das Institut im Laufe der Jahrzehnte hervorgebracht hat, es überwiegen die Erinnerungen an den Hausmeister Hermann Blum, die frühere Verwaltungssekretärin Ellinor Greinert oder die „Hausbesorgerin“ Mina Wernz. In Doehrings Rückblick erscheint das Institut vor allem als ein geistig wie sozial freier Ort, der von gewisser Kameradschaftlichkeit und Familiarität getragen war.

War früher alles besser? Dem Idyll auf der Spur

„Und wenn ich Ihnen sage Idylle, dann ist das nicht nur besonnte Vergangenheit, sondern es war wirklich eine, sowas gibt es ja auch in der Realität.“

Unter Nostalgie versteht man gemeinhin das Heimweh nach der Vergangenheit – einer Vergangenheit, die meist so nie existiert hat. Gerade Weihnachtsfeiern laden traditionell zur Reflexion des zu Ende gehenden Jahres ein. Mit dem lange überfälligen Umzug in das neue Institutsgebäude endete für das MPIL zudem eine jahrzehntelange Ära. So fragt sich: Wer und was gilt dem damals 76-Jährigen als Ausdruck und Repräsentant jener „Idylle“, an die er auf der Weihnachtsfeier erinnert?

Einladungsschreiben zur Weihnachtsfeier 1995

Als Doehring 1948 nach Heidelberg kam, um sein Studium der Rechtswissenschaften aufzunehmen, hatte er nicht nur vier Jahre Krieg als Soldat, sondern auch fünf lange Jahre britische Kriegsgefangenschaft in Nordafrika hinter sich. Auch sein Studium in Heidelberg war durch äußerste Bescheidenheit geprägt. Wie er in seiner Autobiographie schildert, hing das Trauma des Krieges den Studenten, die zumeist selbst Soldaten gewesen waren, spürbar nach: „Neben einem Studenten, der einen Arm verloren hatte, saß manchmal ein Beinamputierter oder auch ein Rollstuhlfahrer. (…) Die Vorlesungen waren immer voll, denn Bücher gab es wenig. Der Studieneifer war enorm, da alle sobald wie möglich ins Berufsleben wollten. Alle waren wissbegierig, diskussionsfreudig und kritisch denkend.“[3] Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass die Arbeitsstelle am MPIL für Doehring nicht nur ein besonderes Privileg war, sondern ihm rückblickend geradezu als Idyll erschien. Da störte auch die  schwierige räumliche Situation des Instituts nicht, das sich nach der Zerstörung seines ursprünglichen Sitzes im Berliner Schloss 1945 bis 1954 auf zwei mehr oder minder improvisierte Standorte in Heidelberg und eine Rest-Abteilung in Berlin verteilte.[4] Doehrings Zeit in Heidelberg und insbesondere am Institut war für ihn vor allem eine Phase des Friedens und eines beginnenden (bescheidenen) Wohlstands.

Ein weiterer Aspekt, der in Doehrings Rede aufscheint, ist seine Wahrnehmung des Instituts als hierarchiefreien, nahezu egalitären Ort, an dem man sich weniger um gesellschaftliche Konventionen, Rangordnungen und Etikette scherte, als an vielen anderen Orten seinerzeit. Auch diese Wahrnehmung erklärt sich vor allem aus Doehrings Zeit beim Militär. Die von ihm dort erlebte Kameradschaftlichkeit, wie er sie zwischen Soldaten, auch über Dienstränge hinweg, erinnerte, habe es an der Universität nicht gegeben: „Als Student machte ich nun die Erfahrung, dass ich im Krieg als Offizier die Last der Verantwortung getragen hatte und inzwischen das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte, mich als Fahnenjunker mit meinem Regimentskommandeur ungezwungener hatte unterhalten können als jetzt mit vielen Professoren.“[5] Das war am Institut aufgrund seiner geringen Größe und Familiarität anders. Eine leichte, teils ironische, Reserviertheit wird in diesem Punkt jedoch gegenüber Hermann Mosler spürbar, der laut Doehring einige der früheren Freiheiten durch feste Arbeitszeiten, Betriebsrat und neue Hierarchien eingeschränkt habe.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts 1985 (Foto: MPIL)

Der meinungsstarke und streitfreudige Doehring, der 1967 den Lehrstuhl seines Lehrers Forsthoff übernommen hatte, wurde von den Aktivistinnen und Aktivisten Studentenbewegung indes als alles andere als „unhierarchisch“ wahrgenommen und geriet aufgrund seiner konservativen Positionen ins Fadenkreuz des studentischen Protestes. Die Erlebnisse jener Zeit und die verbalen wie auch tätlichen Angriffe einiger besonders radikaler Studierender, die Doehring „an Bürgerkrieg erinnerten“, hinterließen bei ihm deutliche und nachhaltige Spuren.[6] Das Institut, das in der Berliner Straße weitab von den oft heftigen Ausschreitungen und Protesten in der Altstadt lag, blieb aufgrund seiner gewissen sozialen und politischen Homogenität indes von „1968“ unberührt, was das Bild von den politischen Stürmen der Zeit verschonten Idylls gestärkt haben mag.

Dem Genre der Weihnachtsansprache eigen ist natürlich, dass Themen und Persönlichkeiten, die für Kontroversen oder Dissonanzen sorgen könnten, ausgespart werden. So meidet Doehring fast zwangsläufig auch Politisches. Deutlich wird dies bei seiner Darstellung des Institutsdirektors Carl Bilfinger (1879-1958). Dieser hatte nach dem Tod des Gründungsdirektors Viktor Bruns, dessen Cousin er war, 1944 die Institutsleitung übernommen und Teile der Forschungseinrichtung nach Heidelberg transferiert. 1946 war er aufgrund seiner starken politischen Belastung von seinem Amt zurückgetreten. Nach seiner überraschenden Entnazifizierung wurde er abermals von 1949 bis 1954 zum Direktor ernannt – eine Entscheidung, die inner- und außerhalb des Instituts und der MPG umstritten war. Als Schwierigkeit für die Wiedergründung stellte sich nicht nur Bilfingers NS-Belastung heraus, sondern auch seine durch Alter und schlechten Gesundheitszustand bedingte Überforderung bei der Leitung und beim Wiederaufbau. Bei Doehring klingen diese Probleme in seiner wohlwollend-anekdotenhaften Schilderung Bilfingers als eines etwas wunderlichen, um nicht zu sagen schrulligen älteren Herrn allenfalls im Subtext an. Bilfinger als zeithistorische Figur tangiert Doehring aber dennoch, indem er darauf hinweist, dass er 1932 mit Carl Schmitt vor dem Staatsgerichtshof im Prozess „Preußen contra Reich“ aufgetreten war, jedoch ohne die politischen Implikationen näher auszuführen. So hielt er es auch bei Bilfingers Darstellung in seiner Autobiographie, anders als bei seinem Lehrer und späteren Freund Forsthoff, dessen „Verstrickungen“ in das „Dritte Reich“ Doehring einzuordnen versuchte.[7]

„Es war dann immer wieder alles gut geworden, was im Jahr falsch war.“

Weihnachtsansprachen haben eine wichtige soziale Funktion: Sie stiften Gemeinschaft. Die in sie eingewobenen Narrative verfolgen nicht den Anspruch wissenschaftlich-historischer Exaktheit, sie sind integrativ, wollen versöhnen und im Sinne des Gemeinschaftsgeistes idealisieren. Und so ist es auch bei Doehrings Ansprache im Jahre 1995. Ihre historische Bedeutung liegt weniger in ihrem faktischen Gehalt als in ihrer Perspektive und der Atmosphäre, die Doehring mit ihr kreiert. Ebenso spricht der Umstand, dass die Ansprache von einem oder einer Mitarbeitenden aufgenommen und für die Nachwelt überliefert wurde, für sich. Doehring traf mit seiner Rede einen Ton, der – wenn man so will – noch heute nachhallt. Auch wer damals nicht dabei war, wer weder die „Schildwacht“ kennt, noch Harry Belafonte auf den Lippen hat, fühlt sich beim Hören dieser Rede Doehring förmlich gegenübersitzen, als wäre man dabei gewesen, im Dezember 1995.

[1] Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin: WJS Verlag 2008, 122.

[2] Vgl.: Juliane Kokott, Nachruf Professor Dr. iur. Dr. h.c. mult. Karl Doehring, ZaöRV 71 (2011), 435-439.

[3] Doehring (Fn. 1), 117.

[4] Dass es seinerzeit durchaus andere Wahrnehmungen der Lage durch die Institutsbeschäftigen gab, mag der bislang unveröffentlichte Bericht der Bibliothekarin Annelore Schulz aus dem Jahr 1946 über das zerstörte Institut in Berlin veranschaulichen: Annelore Schulz, Die Rückführung unserer Institutsbibliothek aus der Uckermark nach Berlin-Dahlem, 1946. Ferner: Felix Lange, Carl Bilfingers Entnazifizierung und die Entscheidung für Heidelberg. Die Gründungsgeschichte des völkerrechtlichen Max-Planck-Instituts nach dem Zweiten Weltkrieg, ZaöRV 74 (2014), 697-731.

[5] Doehring (Fn. 1), 119

[6] Doehring (Fn. 1), 142

[7] Doehring (Fn. 1), 119.

Das wissenschaftliche Hochamt. Die Referentenbesprechung (vulgo Montagsrunde) am Institut

Academic High Mass. The Referentenbesprechung (or Monday Meeting) at the Institute

Deutsch

Die ministerialbürokratische Begrifflichkeit

Wenn das Institut mit drei zeitübergreifenden Charakteristika beschrieben werden sollte, so wären dies erstens seine Publikationen – insbesondere die Schwarze Reihe, die trotz des sinistren Namens seit Jahrzehnten einen Leuchtpunkt im Völkerrecht setzt – und die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht – ein Beispiel für die Unaussprechlichkeit des Deutschen in fremden Zungen; zweitens die Bibliothek, welche dieser Blog zu Recht immer wieder lobend erwähnt; und drittens die Referentenbesprechung, welche es so lange gibt wie das Institut – und die, möchte man sagen, seine conditio sine qua non bildet – eine Bedingung, welche nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch das Institut entfällt. Bemerkenswert ist schon der – inzwischen muss man sagen – ursprüngliche Name: Referentenbesprechung. Denn dieser stammt nicht aus einer akademischen Nomenklatur, sondern aus dem Vokabular der Ministerialbürokratie. An der Universität gibt es Assistenten, wissenschaftliche Hilfskräfte. Referent hingegen ist ein Vortragender mit der Pflicht, sein besonderes Wissen auf einem besonderen Gebiet in die allgemeine Diskussion einzubringen, welche zu einer Entscheidungsfindung führt. Tatsächlich spricht aus dem gewählten Begriff der Geist, aus welchem das Institut entsprang: Es sollte durchaus nicht nur der „reinen Lehre“, sprich der wissenschaftlichen Forschung dienen, sondern durchaus auch in der Praxis beraten. In diesem Sinne äußerte sich schon der Gründungsdirektor Viktor Bruns. Der dritte Direktor Hermann Mosler hatte nach seiner Referentenzeit am Institut lange auch im Auswärtigen Amt gearbeitet und sah im Referentensystem des Instituts eine Spiegelung des ministerialen Organigramms.

Zum Referenten gehört natürlich ein Referat, und so wurde das Völkerrecht in Gebiete unterteilt und die Welt in Länder oder Ländergruppen, und jedes Gebiet beziehungsweise Land wurde einem Referenten zugeteilt, das dieser – manchmal nolens volens – fortlaufend beobachtete, so dass kein rechtlich relevantes Weltgeschehen sich der Aufmerksamkeit des Instituts entzog. Es gab Experten auch für entlegenere Länder oder solche mit einem schwierigeren sprachlichen Zugang – für Japan und China (in den siebziger und achtziger Jahren Robert Heuser), für die Sowjetunion (in den siebziger und achtziger Jahren Theodor Schweisfurth) oder Indien (Dieter Conrad).

Die Referentenbesprechung als Institutsinstitution

Zu den Beobachtungspflichten der Referenten traten die Berichtspflichten, das heißt es musste regelmäßig über alles Relevante berichtet werden, was sich im Bereich des jeweiligen Referates ereignete, und zwar zeitnah; die Bühne dafür bildete die wöchentliche Referentenbesprechung. Sie fand in den Anfängen des Instituts zweimal wöchentlich, nämlich dienstags und samstags, seit den fünfziger Jahren immer montags zwischen 16 und 18 Uhr statt, ein Hochamt, an dem teilzunehmen für alle wissenschaftlichen Mitarbeiter heilige Pflicht war. Ein Dispens wurde nur bei schwerwiegendsten Gründen erteilt, selbst die Direktoren teilten ihre außerinstitutionellen Aktivitäten, etwa Dienstreisen oder Sitzungen bei Organen des Europarates so ein, dass sie die Referentenbesprechung nie versäumten. Sie fiel nie aus, nur an Feiertagen und zwischen Weihnachten und Neujahr wurde einmal ausgesetzt, aber schon am 2. Januar konnte es weitergehen. Die Welt, auch die rechtliche, stand ja auch nicht still.

Kein Stillstand in der Welt. Fritz Münch, Günther Jaenicke und Rudolf Bernhardt (v.l.n.r.) bei der Referentenbesprechung 1972[1]

Der regelmäßige Vortrag aus dem eigenen Referat wurde erwartet, und diese Erwartung war von den Referenten so weit internalisiert, dass nur selten gesonderte Aufforderungen von Seiten der Direktoren erforderlich waren, die mit der Frage begannen: „Warum haben wir eigentlich noch nicht von diesem oder jenem Vorgang gehört?“ Dass ein jeder aus eigenem Antrieb regelmäßig berichtete, wurde als ein gebotenes Selbstverständnis vorausgesetzt. Man brauchte die Anmeldung eines Vortrags nicht Wochen vorher in einen Kalender einzutragen, ein kleiner Zettel mit Thema und Dauer konnte auch noch fünf Minuten vor Sitzungsbeginn bei der Sekretärin des sitzungsleitenden Direktors abgegeben werden.

Natürlich war der Eifer unter den Referenten nicht ganz gleichmäßig verteilt. Manche berichteten aus Liebe zum Fach oder zu sich selbst sehr häufig über das jeweilige Gebiet oder Land, auch wenn ihm in der Weltordnung nur eine geringere Bedeutung zukam. So gab es etwa den exzellenten Kenner der Türkei Christian Rumpf, der in den siebziger und achtziger Jahren so häufig zur Türkei vortrug, dass ein unbefangener Zuhörer hätte meinen können, die Türken stünden immer noch vor Wien. Besonderer Beobachtung erfreuten sich immer der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und die Europäische Menschenrechtskommission, weil das Institut mit den europäischen Organen verquickt war – durch Rudolf Bernhardt als Richter, später als Präsidenten des EGMR, und durch Jochen Abr. Frowein als Vizepräsidenten der Europäischen Menschenrechtskommission. Was in Straßburg geschah, fand in der Referentenbesprechung ein Echo.

More germanico. Ein deutscher Blick auf die Welt

Referentenbesprechung 1985. Mit: Peter Malanczuk (zweiter von links), Rainer Hofmann, Willy Wirantaprawira, Werner Meng, Torsten Stein, Karl Doehring, Otto Steiner (verdeckt), Juliane Kokott (davor), Lothar Gündling (an der Tür), Fritz Münch (vor Juliane Kokott), Matthias Herdegen (auf dem Stuhl schlafend)[2]

Die Referenten bildeten seinerzeit einen homogenen Stamm: weiß, männlich, deutsch und Volljurist. Frauen gab es wenige, Ausländer auch, die meisten von diesen arbeiteten an der Encyclopedia of Public International Law. Die Homogenität in der Zusammensetzung garantierte, dass die rechtlichen Phänomene in der Welt (nur) more germanico – nach „deutscher Methodik und Dogmatik” – untersucht und dementsprechend „fremdländische Perspektiven“ nicht eingenommen wurden. Gleichzeitig war gesichert, dass alle Referenten denselben juristischen Bildungskanon durchlaufen hatten und also auch über dasselbe solide Grundwissen, insbesondere auch im deutschen Recht verfügten. Dies machte die Verständigung einfacher, nicht alle diskutierten Fragen mussten ab ovo erklärt werden. „Amtssprache“ war Deutsch, über viele Jahre unhinterfragt; von den ausländischen Gästen, welche an der Referentenbesprechung teilnehmen und gelegentlich auch vortragen durften, wurde erwartet, dass sie des Deutschen mächtig waren oder es jedenfalls erlernten, wie dies beispielsweise bei dem späteren Präsidenten des Europäischen Gerichtshof Carlos Rodríguez Iglesias, dem späteren Präsidenten des spanischen Verfassungsgerichts Pedro Cruz Villalón oder dem ehemaligen Präsidenten des russischen Verfassungsgerichts Vladimir Tumanov der Fall war. Erst um die Jahrtausendwende wurde auf Anregung des israelischen Professors Yoram Dinstein in zwei Referentenbesprechungen im Monat auf Englisch kommuniziert.

Von der Wissensvermittlung zur Forschungsdebatte. Entwicklungslinien der Referentenbesprechung

Akribisch dokumentiert. Die Protokolle der Referentenbesprechungen[3]

Anfangs, so heißt es – der Autor dieser Zeilen übersieht aus eigener Anschauung nur 40 Jahre Referentenbesprechung – war der Stil der Veranstaltung vornehmlich „ministerial“, das heißt es ging mehr um die Vermittlung von Wissen als um die Diskussion des Vermittelten. Im Wesentlichen blieb es bei den Berichten. Erst in späteren Jahren, insbesondere unter der Ägide von Professor Frowein in den achtziger Jahren, wurden die Berichte dann auch einer kritischen Diskussion durch die anderen Teilnehmer der Referentenbesprechung unterzogen. Diese Diskussion war immer zeitlich begrenzt – wie auch die Berichte selbst; es war mehr als eine lässliche Sünde, wenn die angemeldeten Zeiten für einen Bericht überschritten wurden. Spätestens wenn Professor Frowein begann, mit dem Siegelring unruhig auf den Tisch zu schlagen, war der Zeitpunkt gekommen, aus dem kunstvoll aufgebauten eigenen Gedankengebäude mit seinem überreichen intellektuellen Zierrat – bisweilen vor seiner Fertigstellung – den Notausgang zu wählen. Hier erlebte man Wittgenstein in seiner praktischen Anwendung: Was (und sei es aus Zeitgründen) nicht gesagt werden konnte, darüber musste man schweigen. Die Zeitnot in den Besprechungen rührte von dem Anspruch des Instituts, dass nichts in der Welt geschah, was der Beobachtung, Analyse und Berichterstattung im Institut entging. Das verlangte nach vielen Berichten, die bisweilen nur über jeweils fünf Minuten gingen, so dass Referentenbesprechungen mit bis zu acht Berichten durchaus keine Seltenheit waren. Das erforderte eine gewisse Flexibilität im Geist des Zuhörers beim Sprung von dem Einmarsch in Grenada über einen Schnelldurchlauf durch das deutsche Asylrecht, mit einem kleinen Zwischenstopp beim Kriegsrecht in Polen und einem Halt bei einer Entscheidung des US Supreme Court, dazu ein Blick auf ein französisches décret-loi, ein Vaterunser lang eine Bemerkungen zum neuen Codex Iuris Canonici, um schließlich, wie regelmäßig, bei der neuesten Entscheidung des EGMR zu enden. Unter der Kürze der Vorträge musste übrigens deren Qualität nicht leiden, die Begrenzung der Zeit zwang zur Präzision von Gedanken und Ausdruck. Die Anstrengung des Zuhörers bei der Vorstellung dieses Universums wurde mit dem Gefühl belohnt, zumindest einen Überblick über das juristische Weltwissen zu haben.

Politik spielte bei den Vorträgen keine Rolle, Aktivismus in juristischem Kleide war unstatthaft, nur das kühle juristische Argument zählte. Das hieß natürlich nicht, dass die meisten keine politische Überzeugungen besaßen, nur durften diese keine Grundlage für die eigenen Darlegungen bieten. Die Gegenstände waren gewissermaßen „gerichtsfest“ aufzuarbeiten, das heißt so dass man in einem streitigen Verfahren vor einem Tribunal hätte bestehen können. Wissenschaftlich wurde in der Referentenbesprechung ein Rechtspositivismus gepflegt, ohne dass die Methodik der wissenschaftlichen Untersuchung selbst Gegenstand von Betrachtungen in der Referentenbesprechung wurde. Rechtsphilosophie gehörte nicht zu den Interessenschwerpunkten, gepflegt wurde eine Dogmatik im Sinne von Kant als „das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens.“[4]

Nicht frei von inneren Ängsten. Diskussionskultur in der Referentenbesprechung

Karl Doehring (rechts) mit Kay Hailbronner (mitte) und Ernst-Ulrich Petersmann (links), 1972 bei einer Referentenbesprechung[5]

Der äußere Eindruck von der Referentenbesprechung in dem engen Besprechungszimmer im alten Institut an der Berliner Straße 48 – wo es keine feste Sitzordnung gab, aber einige Plätze inoffiziell für die Direktoren reserviert waren und frei blieben, auch wenn ein Direktor ausnahmsweise einmal abwesend war –erinnerte an ein Tabakskollegium – Professor Doehring, PD Schweisfurth und PD Stein erfüllten den Raum mit Tabakqualm (noch heute hängt er in den Büchern, die in diesem Raum vor dreißig Jahren standen). Dieser Anschein von Gemütlichkeit kontrastierte mit dem Stil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Diskussion konnte durchaus scharfe Züge annehmen, insbesondere wenn argumentative Schwächen in der Darlegung oder eine unzureichende rechtliche oder tatbestandliche Aufklärung des Sachverhalts gewittert wurden. Mancher Vortragende sah sich unversehens in der Rolle des Angeklagten. Daher ging nicht jeder frei von inneren Ängsten in die Besprechung; sie war der „Mut-Court“ des kleinen Mannes. In der Referentenbesprechung galt wie in der Bibel: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.“  Rücksicht auf etwaige Sensibilitäten wurde nicht genommen. Und wenn sich ein Referent in der rechtlichen Analyse um eine Oktave vergriffen hatte oder von Fehlvorstellungen ausging, wie ein fundierter Bericht auszusehen hat, konnte er durchaus zu einem Privatissimum – gewissermaßen einer wissenschaftlichen Nachbereitung – im Anschluss an die Referentenbesprechung in ein Direktorenzimmer gebeten werden, und das zählte zu den weniger angenehmen Erfahrungen im jungen Leben eines Referenten.

Die Anrede zwischen den Teilnehmern lautete förmlich „Herr“ bzw. „Frau” – und bei unverheirateten weiblichen Personen wie etwa bei den Referendarinnen Christine Haverland, Gerlinde Raub und Sabine Thomsen bis Anfang der achtziger Jahre auch noch – horribile dictu – „Fräulein“, durchaus ohne falschen Unterton ausgesprochen, gewissermaßen als Bezeichnung für das dritte Geschlecht, wie man es damals verstand (Dieser Anrede durften sich auch ältere unverheiratete Verwaltungs- und Biblikotheksmitarbeiterinnen, zumeist mit ihrem stillen Einverständnis, erfreuen). Die Schwingungen des neuen Zeitalters nach 1968 waren 15 Jahre später vom Institut noch nicht aufgenommen. Die Referenten duzten sich untereinander, soweit sie in derselben Alterskohorte waren, gegenüber den älteren blieb man in der Regel beim Sie. Nach Wissen des Verfassers hat Professor Mosler niemanden am Institut, auch nicht die Nachfolger im Direktorenamt geduzt, auch Professor Münch sprach alle Personen mit Sie an, und Professor Bernhardt hat sich noch bis zum Schluss, d.h. nach z.T. mehr als vierzig Jahren Zusammenarbeit auch mit seinen Co-Direktoren gesiezt.

Die Referentenbesprechungen wurden protokolliert, zumeist von den jungen Hiwis, die neben dem Referendardienst einen kleinen Arbeitsvertrag am Institut hatten; dies erforderte höchste Aufmerksamkeit – gerade wegen der Diversität der Themen und wegen der Menge des zu protokollierenden Stoffes. Über die Protokolle wurde ein wesentlicher Teil der Tätigkeit des Instituts archiviert.

In der Höhle des „Löwen“: Der Institutststammtisch 1985 mit: Werner Meng, Werner Morvay, unbekannt, Dieter Conrad, Jörg Polakiewicz und Rainer Hofmann[6]

An die Referentenbesprechung schloss sich der Stammtisch an, in den achtziger Jahren im „Löwen“ in Handschuhsheim, an dem Referenten und Direktoren teilnahmen. Die Gespräche flossen freier, es wurden oft weiter juristische Themen umkreist, allerdings mit größerem Abstand, und wie es zu einem guten Stammtisch gehört, waren nun auch politische Wertungen zugelassen. Besonders ausgelassen war die Stimmung dann zu vorgerückterer Stunde, wenn nur noch die späten – und zumeist trinkfesteren – Vögel aus der Familie der Schluckspechte um den Tisch hockten; dann wurde auch das zuvor Unsagbare beim Namen genannt. In den neunziger Jahren fand diese Form der Geselligkeit immer weniger Zuspruch und kam schließlich wegen Mangel an Teilnehmern ganz zum Erliegen. Heute, wo die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten die Uhrzeiten der Referentenbesprechung bestimmen, ist ein Stammtisch im unmittelbaren Anschluss an diese Veranstaltung undenkbar geworden. Diese Gesellschaftsform hat sich überlebt.

Internationaler und interdisziplinärer. Von der Referentenbesprechung zur Montagsrunde

Ganz langsam änderten sich mit den Zeiten auch die Gebräuche und Gepflogenheiten in der Referentenbesprechung; mit dem Beginn der neuen Ära seit der Jahrtausendwende und bedingt durch die allgemeinen Änderungen am Institut. Das neue Institutsgebäude bietet auch für die Referentenbesprechung sehr viel mehr Platz, zuerst in Raum 014, mit seinen abstrakten großflächigen Gemälden, dann im vornehmen Raum 038, der von großen Bildschirmen für hybride Veranstaltungen dominiert wird und durch dessen Fenster man dem munteren Treiben der Hasen und Kaninchen auf der Institutswiese zuschauen kann; er lässt aufgrund seiner Deckenhöhe auch für hochfliegende Gedanken genügend Raum und jedem genug Luft zum Atmen.

Die Zusammensetzung der wissenschaftlichen Mitarbeiterschaft ist bunter geworden. Der Anteil der Frauen ist erheblich gestiegen in Richtung Parität, es werden mehr Ausländer aus aller Herren Länder eingestellt, Deutsch als Kommunikationsmittel wird in der Referentenbesprechung vom Englischen verdrängt, höchstens noch eine Besprechung im Monat findet auf Deutsch statt. Die Mitarbeiter beherrschen nicht mehr alle Deutsch. Auch haben nicht mehr alle Mitarbeiter eine deutsche Juristenausbildung, manche Mitarbeiter kommen aus der Politologie, andere aus der Philosophie, Soziologie oder Geschichtswissenschaft. Damit ändern sich die Gegenstände und das Verfahren der Untersuchungen. Methoden- und Perspektivenvielfalt, die sich in den Vorträgen in der Referentenbesprechung spiegeln, führen zu neuen Erkenntnissen und Verständnissen der rechtlichen Vorgänge in der Welt, bisweilen unter Opferung der guten alten deutschen Dogmatik und einem Anwachsen dessen, was in einem Vortrag erklärt werden muss.

Die Referatszuteilung ist klammheimlich verschwunden, jeder darf nunmehr frei das Vortragsthema in der Referentenbesprechung wählen. Das garantiert eine Liebe des Vortragenden zum – oder jedenfalls ein originäres Interesse am – Thema. Allerdings entfällt damit auch der Anspruch des Instituts, in seiner Forschung die ganze Welt abzudecken. Manche Weltgegenden, in denen große Veränderungen vonstattengehen – wie in der arabischen Welt oder in China – sind aus dem Fokus des Interesses verschwunden und wurden wissenschaftlich gesehen zu terrae incognitae –, andere hingegen, insbesondere Südamerika haben eine zuvor nicht bestehende Aufmerksamkeit gewonnen und zahlreiche Vorträge, bisweilen sogar in spanischer Sprache, führen zu einer besonderen Expertise in dieser Region. Europa und den europäischen Ländern blieb das Institut immer treu.

Nur 40 Jahre Referentenbesprechung. Der Verfasser in seinem Büro 1985[7]

Nur noch zwei Vorträge werden in einer Sitzung angeboten. Sie dauern jeweils bis zu einer halben Stunde, woran sich eine ebenso lange Diskussion anschließt. Dies erlaubt eine Vertiefung der Thematik und eine erschöpfende Erörterung der behandelten Frage. Auch die Darstellungsform hat sich mit der Technik gewandelt. Während in früherer Zeit allein das gesprochene Wort die Information übermittelte, finden heute Vorträge multimedial statt; in der Regel wird jeder Beitrag von einer Präsentation begleitet. Es scheint, dass mit der technischen Revolution die Kapazitäten bei der optischen Verarbeitung von Information erheblich gestiegen sind, während sie bei der akustischen entsprechend abnahmen. Protokolliert wird seit ca. 2005 nicht mehr, die Arbeit schien zu viel; stattdessen gibt es seit 2020 die Möglichkeit, den Vortrag per Video aufzeichnen zu lassen und auf Wunsch des Vortragenden ins Netz zu stellen. Damit bietet sich die Öffnung des Arcanums der Referentenbesprechung für die Welt. Es geht weniger um die Archivierung als um die Verbreitung.

Es traten äußere Lockerungen im strikten Rahmen der Referentenbesprechung ein. Früher undenkbar, ist es nun zu einer Zeitverschiebung des heiligen Termins gekommen: mit Rücksicht auf Familienpflichten und Kinderbetreuungszeiten in Kindergärten wurde die Referentenbesprechung auf 15.30 Uhr vorgezogen, dann sogar auf 14.30 Uhr. Zudem wird jetzt die Referentenbesprechung im August wegen der Urlaubszeiten ausgesetzt und schließlich wird sie nunmehr durch eine, mehr oder weniger, 15-minütige Pause in zwei Einheiten zerlegt. In den Coronazeiten Anfang der zwanziger Jahre entdeckte man das hybride Format, das die Krankheit überlebte. Jetzt weiß man vorab nicht, welchem Mitarbeiter man in Leibhaftigkeit und wem nur in virtueller Form begegnet. Damit eröffnet sich für Kollegen mit einem höheren Spezialisierungsgrad und geringerem Interesse an dem ganzen Panoptikum völker- und verfassungsrechtlicher Themen die Möglichkeit, anwesend zu wirken, aber bei Fragestellungen außerhalb des eigenen Fachgebietes unbemerkt und ungestört die eigene Spezialisierung weiter voranzutreiben.

Inzwischen rauchfrei. Die Montagsrunde 2024[8]

Insgesamt ist die Stimmung in der Besprechung lockerer und freier geworden; niemand muss mehr die Sorge hegen, in ein Kreuzverhör genommen zu werden, auch der Irrtum hat seinen Raum – jetzt im Sinne von Hegel: „Die Angst vor dem Irrtum ist der Irrtum selbst.“ Die Stimmung ist von Wohlwollen geprägt.

Die Anrede änderte sich überwiegend in die vertraulichere Nennung mit dem bloßen Vornamen, was auch den Usancen im Englischen geschuldet ist; man kann nicht in der eigenen Sprache Distanz pflegen und gleichzeitig in der Fremdsprache die Nähe suchen. Auch der Übergang zum Du über alle Generationen und Hierarchien hinweg ist keine Ausnahme mehr.

Am Ende eines Vortrags gibt es jetzt, gewissermaßen als Ausdruck des Dankes, regelmäßig Beifall. Bis weit in die erste Dekade des 21. Jahrhunderts galt es als unschicklich, auch gelungene Vorträge mit Applaus zu bedenken. Denn der Vortrag in der Referentenbesprechung war eine Dienstpflicht, und für die reine Pflichterfüllung wurde seinerzeit kein Beifall gezollt.

Summa summarum

In der Referentenbesprechung wurde über Jahrzehnte von kenntnisreichen Personen neuestes Wissen über die völker- und verfassungsrechtlichen Ereignisse in der Welt vermittelt. An keiner anderen wissenschaftlichen Einrichtung in Deutschland und wahrscheinlich in Europa erhält der interessierte Zuhörer einen solch komprimierten Überblick über die rechtlichen Vorgänge in der Welt. Sie ist das Aushängeschild für den Gegenstand und die Qualität der Arbeit am Institut, auf das gerade auch die ausländischen Gäste aufmerksam schauen.

Die Referentenbesprechung bietet zudem die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten in der Vermittlung eigener Kenntnisse auszuprobieren und zu üben und dabei die eigenen Überlegungen zur Diskussion zu stellen und zu verteidigen, was zu weiteren Einsichten führen kann. In diesem Sinne ist – und war sie immer – auch eine Schule für das Leben.

Schließlich – und nicht zum Geringsten – hat die Referentenbesprechung über all die Jahrzehnte durch die regelmäßigen Treffen der Mitarbeiter für die Identitätsstiftung des Instituts eine zentrale Rolle gespielt; in dem intensiven Austausch über völker- und verfassungsrechtliche Themen bildete sich ein Esprit de Corps, der die Mitarbeiter zusammenhält und auch die Gäste mit einbezieht und zu Verbindungen führt, die auch nach der gemeinsamen Zeit am Institut fortbestehen. Dies ist ein Erfolg, der weit über die rein wissenschaftliche Erkenntnis hinausreicht.

***

[1] Foto: MPIL.

[2] Foto: MPIL, andere Personen waren nicht identifizierbar.

[3] Foto: MPIL.

[4] Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Zweite hin und wieder verbesserte Auflage, Königsberg 1787.

[5] Foto: MPIL.

[6] Foto: MPIL; andere Personen waren nicht identifizierbar.

[7] Foto: MPIL.

[8] Foto: Maurice Weiss.

English

Reminescience of Ministerial Bureaucracy

If the Institute were to be described by three characteristics that have been common throughout its history, these would be, firstly, its publications – in particular the Schwarze Reihe, which, despite its sinister name, has been a lighthouse in international law for decades – and the Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (English title: Heidelberg Journal of International Law) – an example of the unpronounceability of German to foreign tongues; secondly, the library, which this blog rightly mentions frequently in laudatory terms; and thirdly, the Referentenbesprechung, which has been around as long as the Institute and which, one might say, forms its conditio sine qua non – a condition that cannot be dispensed with without the Institute also ceasing to exist. Its name, or, as one must put it today, its original name, alone is remarkable, for it does not come from an academic nomenclature, but from the vocabulary of ministerial bureaucracy. At university, there are research assistants and junior researchers. A Referent, on the other hand, is a speaker with the duty to contribute his or her special knowledge in a particular field to the general discussion that leads to a decision. This choice of terminology reflects the spirit from which the institute arose: it was intended to serve not just ‘pure science’, i.e. scientific research, but also to provide practical advisory. The founding director Viktor Bruns already expressed himself in this spirit. After his time as a Referent (or research fellow, as the position is called today) at the Institute, its third director Hermann Mosler had worked at the Federal Foreign Office for a long time and saw the Institute’s organisation as a reflection of the ministerial organisation chart.

Of course, each Referent needs a Referat (department), and so international law was divided up into fields and the world into countries or groups of countries, and each field and country were assigned to a research fellow who – for better or worse – continuously monitored it, so that no world event of jurisprudential relevance could escape the Institute’s attention. There were also experts for more remote countries and those access to was challenging linguistically –  for Japan and China (Robert Heuser in the 1970s and 1980s), for the Soviet Union (Theodor Schweisfurth in the 1970s and 1980s), and for India (Dieter Conrad).

The Referentenbesprechung as an Institute-Institution

In addition to the Referent’s duty to observe, there was also a duty to report regularly on all relevant events in the field of the respective department, and promptly at that. The weekly Referentenbesprechung was the forum for this. In the early days of the institute, it took place twice a week, on Tuesdays and Saturdays, and since the 1950s on Mondays between 4 and 6 p.m., a High Mass that was a sacred duty for all academic staff to attend. Dispensation was only granted for the most serious reasons, and even the directors organised their non-institutional activities, such as travel or meetings with Council of Europe bodies, in such a way that they never missed the Monday Meeting. It was never cancelled, and its weekly rhythm was only disturbed by public holidays and a one-week break between Christmas and New Year but resumed on 2 January. After all, the world, including the legal world, never stood still.

The world never stands still. Fritz Münch, Günther Jaenicke, and Rudolf Bernhardt (from left to right) at a Referentenbesprechung in 1972[1]

Regular reporting from one’s own department was expected, and this expectation was internalised by researcher fellows to such an extent that explicit requests from the directors, usually in the form of the question ‘Why haven’t we heard about this or that event?’, were rarely necessary. Regular reports by each Referent on their own initiative were seen as a matter of course. One did not have to reserve time for a presentation in a calendar weeks in advance; handing a small slip of paper with the topic and duration to the secretary of the director chairing the meeting five minutes before it began sufficed. Naturally, eagerness was not distributed perfectly evenly among the researchers. Out of love for the subject or for themselves, some reported very frequently on their respective area or country, even if it was only of minor importance in the world order. There was, for example, the excellent expert on Turkey, Christian Rumpf, who spoke so frequently on Turkey in the 1970s and 1980s that an unbiased listener might have thought that the Turks were still standing at the walls of Vienna. The European Court of Human Rights (ECtHR) and the European Commission of Human Rights always enjoyed special attention because the Institute was intertwined with the European institutions – through Rudolf Bernhardt as a judge, later as President of the ECtHR, and through Jochen Abr. Frowein as Vice-President of the European Commission of Human Rights. What happened in Strasbourg was echoed in the Referentenbesprechung.

More germanico. A German Outlook at the World

Referentenbesprechung 1985, with (from left to right): unidentified, Peter Malanczuk, Rainer Hofmann, Willy Wirantaprawira, Werner Meng, Torsten Stein, Karl Doehring, Otto Steiner (covered), Juliane Kokott (in front of Steiner), Lothar Gündling (next to the door), Fritz Münch (in front of Kokott), Matthias Herdegen (sleeping on his chair)[2]

The researchers formed a homogeneous tribe at the time: white, male, German and fully qualified lawyers. There were few women, and few foreigners, most of whom worked on the Encyclopedia of Public International Law. The homogeneity of the composition guaranteed that the legal phenomena in the world were analysed (only) more germanico – according to ‘German methodology and dogmatics’ – and that, accordingly, ‘foreign perspectives’ were not adopted. At the same time, it was ensured that all speakers had gone through the same legal education and therefore had the same solid basic knowledge, especially in German law. This made communication easier; not all questions had to be discussed ab ovo.

The ‘official language’ was German, unquestioned for many years; the foreign guests, who were allowed to take part in the speakers’ meeting and occasionally give presentations, were expected to speak German or at least to learn it, as was the case, for example, with the later President of the European Court of Justice Carlos Rodríguez Iglesias, or the later President of the Spanish Constitutional Court Pedro Cruz Villalón, or the former President of the Russian Constitutional Court Vladimir Tumanov. It was only at the turn of the millennium, at the suggestion of the Israeli professor Yoram Dinstein, that the Monday Meeting began to be held in English two times a month.

From the Transfer of Knowledge to a Debate of Researchers. The Development of the Referentenbesprechung

Meticulously documented. Protocols of Monday Meetings[3]

Initially, I’ve been told – the author of this contribution overlooks only 40 years of meetings from his own experience – the style of the event was primarily “ministerial”, i.e. it was more about imparting knowledge than discussing what had been imparted. The reports were at the centre. It was only in later years, particularly under the aegis of Professor Frowein in the 1980s, that the contributions were subjected to critical discussion by the other participants of the meeting. This discussion was always confined to a limited in time – as were the reports themselves; it was more than a venial sin if the time allotted for a report was exceeded. When Professor Frowein began to fretfully tap the table with his signet ring, it was high time to take the nearest exit from one’s own skilfully constructed body of thought with its abundant intellectual ornamentation – sometimes before it was completed. Here, one could experience Wittgenstein’s thought in practical application: Whereof one cannot speak (for lack of time), thereof one must be silent. The lack of time in the meetings stemmed from the Institute’s aspiration that nothing happening in the world would escape its observation, analysis and reporting. This demanded numerous reports, some of which only five minutes long, so that Monday Meetings with up to eight reports were not uncommon. Following them required a certain flexibility in the listener’s mind: The subjects went from the invasion of Grenada to a quick overview of German asylum law, with a short layover at martial law in Poland and a stop at a decision of the US Supreme Court, plus a look at a French décret-loi, a comment on the new Codex Iuris Canonici, itself taking no longer than the saying of a prayer, before the meeting concluded, as was regularly the case, with the latest decision of the ECHR. However, the brevity of the speeches did not affect their quality; the time constraints forced precision of thought and expression. The listener’s effort in following this cornucopia was rewarded with the feeling of having at least an overview of the world’s legal knowledge.

Politics played no role in the presentations, activism in legal garb was inadmissible, only the pure legal argument counted. Of course, this did not mean that most of the researchers did not have political convictions, only that presentations were not allowed to be based on them. Arguments had to be “court-proof”, i.e. presented in such a way that they could have stood up in a contentious procedure before a tribunal. Academic legal positivism was cultivated in the meetings, without the methodology of the academic enquiry itself being the subject of consideration in the Referentenbesprechung. Philosophy of Law was not an area of interest, and the dogmatic approach cultivated was in Kant’s sense “dogmatic procedure of pure reason without previous criticism of its own powers”[4].

Not Free Trepidation. Debate Culture at the Referentenbesprechung

Karl Doehring (right) with Kay Hailbronner (in the middle) and Ernst-Ulrich Petersman (left), during a Referentenbesprechung 1972[5]

There was no official seating plan for the Referentenbesprechung in the cramped conference room of the old institute building in Berliner Strasse 48, but some seats were unofficially reserved for the directors and remained empty if one of them, by exception, could not make it that day. The atmosphere  was reminiscent of a gentlemen’s club – Professor Doehring, PD Schweisfurth and PD Stein filled the room with tobacco smoke (it still lingering in the books stored in this room thirty years ago). This appearance of coziness contrasted with the style of the scientific debate. The discussion could take on a sharp edge, especially when argumentative weaknesses in the presentation or insufficient legal or factual clarification of the facts were suspected. Some speakers suddenly found themselves in the role of the accused. Therefore, not everyone went into the meeting free of trepidation; they could be a proper test of courage. The Referentenbesprechung was guided by the Biblical principle: ‘The fear of the Lord is the beginning of wisdom’. No consideration was given to any personal sensitivities. And if a speaker had gone an octave wrong in their legal analysis or had misconceptions about what constitutes a well-founded report, they could well be asked to attend a privatissimum – a kind of academic follow-up – in one of the directors’ rooms after the meeting, which was typically an unpleasant experience for the young researcher in question.

It was customary to address colleagues formally, with Herr (Mister) or Frau (Misses) – or, up until the early 1980s, in the case of unmarried women, such as legal clerks Gerlinde Raub and Sabine Thomsen, with – horribile dictuFräulein (Miss), which was used without questionable intentions and simply referred to a “third gender” as it was understood at the time. (This form of address was also used for older unmarried women working in the administration and the library, who rarely protested it.) The signs of a new time that had begun in 1968 could not be felt at the Institute, even 15 years later. The research fellows were on a first-name basis and used the casual Du with each other if they were in the same age cohort, but they generally kept to the formal Sie with anyone who was older. To the author’s knowledge, Professor Mosler did not address anyone at the Institute with Du, not even his successors in the directorship. Professor Münch also addressed everyone as Sie, and Professor Bernhardt, too, has always stuck to the formal ‘Sie’, even with his co-directors, and in some cases after more than forty years of collaboration.

There were protocols of the meetings, mostly written by research assistants who worked at the Institute for a couple of hours each week during their legal clerkship. Keeping track required the utmost attention, mostly because of the diversity of the topics and the amount of material to be protocoled. A significant part of the Institute’s activities was archived via these protocols.

A smoke-filled room: The Stammtisch, 1985, with: Werner Meng, Werner Morvay, unknown, Dieter Conrad, Jörg Polakiewicz, and Rainer Hofman.[6]

The Referentenbesprechung was followed by an informal get-together of research fellows and directors over drinks, a so-called Stammtisch. In the 1980s, it took place at the ‘Löwe’, not far from the Institute. Conversations flowed more freely, legal topics were often discussed further, albeit with greater distance, and, as befits a good Stammtisch, political judgements were now admissible. The atmosphere was particularly exuberant at an advanced hour, when only the those who did not mind having an extra drink or two were left at the table – then, even the previously unspeakable was called by name. In the 1990s, this form of socialising became less and less popular and eventually came to a complete standstill due to a lack of participants. Now, that the opening hours of kindergartens determine the date of the Monday Meeting, a Stammtisch immediately following this event has become unthinkable. This form of socialising has died out as times have changed.

Increasingly International and Interdisciplinary. From Referentenbesprechung to Monday Meeting

Ever so slowly, the customs and practices of the Referentenbesprechung changed, along with the times, with the beginning of a new era since the turn of the millennium and due to the general changes at the Institute. The new institute building provides much more space, including for the Monday Meetings, first in room 014, with its large abstract paintings, then in the elegant room 038, dominated by large screens for hybrid events and featuring large windows, through which one can observe the hares and rabbits in the Institute’s garden; it also leaves enough room for high-flying thoughts due to its ceiling height, and there’s plenty of air to breath for everyone.

The composition of the scientific staff has become more diverse: The proportion of women has risen considerably towards parity, more foreigners from all over the world are being recruited. German is being replaced by English in the Referentenbesprechung; today, one meeting a month is held in German, at most. Not all employees speak German anymore. Additionally, not all research fellows have a German law degree; some researchers have backgrounds in political science, others in philosophy, sociology, or history. As a result, the subject matters of their research, as well as the way they conduct it, is changing. A diversity of methods and perspectives, which is reflected in the presentations given at the Referentenbesprechung, leads to new insights and understandings of legal processes in the world, sometimes at the expense of good old German dogmatics and an increase in necessary preliminary explanations in a presentation.

The department structure has quietly disappeared; everyone is now free to choose the topic of their presentation in the Monday Meeting. This ensures that the speaker has a love for – or at least a genuine interest in – the topic. However, this also means that the Institute can no longer aspire to cover the whole world in its research. Some parts of the world where major transformations are taking place – such as in the Arab world or China – have disappeared from the focus of interest and have become academic terrae incognitae, while others, in particular South America, have gained a previously non-existent level of attention and numerous presentations, some even in Spanish, have led to particular expertise in this region. Europe and European countries have always had the Institute’s interest.

Only 40 years of Referentenbesprechung. The author in his office in 1985[7]

Now, at each session, there are only two presentations, each lasting up to half an hour, followed by an equally long discussion. This allows the subject matter to be explored in greater depth and the question at hand to be discussed exhaustingly. Furthermore, the form of presentations has changed with technology. Whereas in earlier times, researchers had to rely on the spoken word alone to convey information, a multimedia format is used today; typically, each contribution is accompanied by slides. It seems that with the technological revolution, the capacity for processing information visually has increased considerably, while the capacity for processing information acoustically has decreased accordingly. Protocols have no longer been written since around 2005, as it seemed like too much work; instead, since 2020 it has been possible to have the presentation recorded on video and, at the request of the speaker, post it online. This opens up the arcanum of the Referentenbesprechung to the world. It is less about archiving and more about dissemination.

There has been a loosening of the strict framework of the speakers’ meeting. Previously unthinkable, the sacred date of the meetings has recently changed: in consideration of family commitments and the opening hours of kindergartens, the speakers’ meeting has been preponed to 3.30 pm, later to 2.30 pm.

In addition, there are no longer any meetings during the month of August, due to holiday periods, and finally, the Monday Meeting is now divided up into two units by a, more or less, 15-minute-long break. During the Covid-19 Pandemic at the beginning of the 2020s, the hybrid format was introduced and survived the pandemic. Now, one cannot know in advance which colleagues one will meet in person and which only virtually. This opens up the possibility for colleagues with a higher degree of specialisation and less interest in the whole panopticon of international and constitutional law topics to appear to be present, but, when discussions concern questions outside their own area of expertise, quietly retreat to further advance their own specialisation, unnoticed and undisturbed.

No more smoking in the conference room. The Monday Meeting 2024[8]

Overall, the atmosphere in the meetings has become more relaxed; no one has to worry about being cross-examined, and there is room for error – now, in the sense of Hegel, “fear of erring is really the error itself”. The atmosphere is characterised by benevolence. Now, the more casual use of first names has become predominant, which is also due to the customs of the English language; one cannot maintain distance in one’s own language while establishing familiarity in a foreign language. The transition to the German ‘Du’, across all ages and hierarchies, is also no longer an exception.

Now, at the end of a presentation, there is applause – as an expression of thanks, so to speak. Until well into the first decade of the 21st century, it was considered unseemly to applaud even the most insightful presentations. After all, reporting at the Referentenbesprechung was a duty, and in those days the mere fulfilment of a duty was not considered worthy of applause.

Summa Summarum

For decades, in the Referentenbesprechung, or Monday Meeting, knowledgeable people have been imparting the latest insight into international and constitutional law in the world. No other academic institution in Germany and probably in Europe provides the interested listener with such a concise overview of legal processes worldwide. It serves to showcase the subject matters, and the quality of work conducted at the Institute, especially to foreign guests.

Furthermore, the Referentenbesprechung offers the opportunity to try out and practise one’s skills in communicating one’s knowledge and to put one’s ideas up for discussion and defend them, which can lead to further insights. In this sense, it is – and always has been – a school for life.

Last but not least, the Referentenbesprechung has played a significant role in establishing the Institute’s collective identity over the decades through the regular meetings. The intensive exchange on topics of international and constitutional law has fostered an esprit de corps that connects researchers with each other and also involves the guests, leading to connections that continue to exist even after their time together at the Institute. This is a success that goes far beyond the pursuit of purely academic knowledge.

Translation from the German original: Sarah Gebel

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[1] Photo: MPIL.

[2] Photo: MPIL; the other persons could not be identified.

[3] Photo: MPIL.

[4] Immanuel Kant, The Critique of Pure Reason, transl. by J. M. D. Meiklejohn, 2nd ed. 1787.

[5] Photo: MPIL.

[6] Photo: MPIL.

[7] Photo: MPIL.

[8] Photo: Maurice Weiss.

The Max Planck Institute, Israel and Me. Personal Reflections on a Special Relationship

The close ties between the Max Planck Society and the Israeli scientific community, especially the Weizmann Institute of Science, go back to the 1950s, not long after the Holocaust.[1] They include the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL), as I discovered as a law student at Tel Aviv University (TAU).

In the mid-1980s, a small announcement appeared on the TAU “blackboard” stating that the law faculty was looking for students for a course on “European Community Law” to be taught by Professor Joseph Weiler (then of the University of Michigan Law School). A curious “trophy” was promised: of the students who successfully completed the course, a few would be selected to participate in a delegation to the Max Planck Institutes. None of the students really knew what these were. In the summer of 1987, the first delegation of about a dozen Israeli students and two professors came for a two-week visit, first to the Max Planck Institute for Comparative and International Private Law in Hamburg, followed by a one-week visit to the MPIL in Heidelberg. A year later, I was part of the second delegation, which was the only one to also visit the Max Planck Institute for International and Comparative Criminal Law in Freiburg.

Long associated with the Institute. Joseph Weiler at the Masterclass “How to Read Decisions of the European Court of Justice?“ in Heidelberg, 2017[2]

The seminars were structured as a series of lectures on German private law and European and German public law. Each lecture consisted of a lengthy introductory presentation by a German scholar to familiarise the Israeli students with German law, followed by a comparative section in which the Israeli students provided input. It was an important learning experience for the Israeli students to encounter the civil law approach. Comparisons between Israel’s predominantly common law system (which was in the process of transforming into a mixed system) and the continental civil law tradition, as well as debates on certain aspects of legal theory and interdisciplinarity, unfolded. The importance of these links was reflected by the fact that the Directors (Ernst-Joachim Mestmäcker in Hamburg and Jochen Abr. Frowein in Heidelberg) opened with keynote speeches and a welcome reception in their private homes. A telling anecdote can be mentioned: One of the things the Israeli delegation did in Heidelberg was to listen to the famous Referentenbesprechung (now known as the Monday Meeting today). The Institute made an exception by holding the meeting in English rather than the usual German. Years later, in light of the increasing number of international visiting scholars, this exception was extended so that the Monday meetings alternated between English and German. In retrospect, the exception I described could hence be seen as the Israeli delegation’s contribution to the internationalisation of the MPIL.

Close ties between the Max Planck Society and Israel. Otto Hahn, the President of the MPG, on his way to the Weizmann Institute in Rehovot in 1959 (with Feodor Lynen, Wolfgang Gentner, Alice Gentner, and Josef Cohn)[3]

It became a tradition for delegations from both Max Planck institutes to come to the TAU Law Faculty in the following winter semester to participate in seminars with their counterparts. This tradition of reciprocal visits continued for several years, with some variations, first annually and then every two years. At a certain point, the visits of the German academics stopped. Eventually, the Israeli student delegations also came to an end, mainly because the funding was cut.

These academic trips provided an important link between scholars from the two legal systems. Many Israeli scholars came for research stays at the Max Planck Institutes, and many German scholars participated in conferences at the TAU Law Faculty or came as visiting professors. Moreover, it was one of the rare instances in which research institutes made direct contact with students, and not just with academics. For us students, it was an eye-opener to realise that law is not only a profession, but also an academic field where researchers carry out in-depth analytical studies of abstract legal issues, for which the library is the laboratory. It also showed us the importance of comparative law. Moreover, for many Israeli students it was the first time (similar to the idea behind the EU’s Erasmus programme) that we left Israel professionally, talked about legal issues in English, realised that legal problems cross borders, met foreign (German) researchers and got to know their interests, culture, and hobbies. Many made lasting personal connections (long before social media) and continued to write letters and to visit each other on private trips. At a time when many Holocaust survivors were ambivalent about even visiting Germany, this was an important bridging experience.

The Trubowicz Building of Law, which houses the Tel Aviv University Faculty of Law[4]

Indeed, cooperation between the MPIL and Israeli law faculties has flourished. A director of the MPIL – Professor Frowein – and researchers were involved in the Hukah Le’Israel (A Constitution for Israel) project, a movement to draft a constitution for Israel based on the experience of comparative law. The project ultimately failed, but it was successful intellectually. In addition, the strong German influence left its mark on a parallel attempt to change the Israeli electoral system and introduce direct election of the prime minister (which was introduced into the Israeli legal system for three electoral terms but was subsequently abolished). Cooperation has deepened with the establishment of two Minerva Centres for the Protection of Human Rights at the Hebrew University and TAU, supervised by the directors of the MPIL.

At the MPIL, there has always been a deep interest in the Israeli legal system. Over the years, there was always a researcher responsible for reporting on Israeli legal developments. Israel was often discussed either from the perspective of international law (for example, the Oslo Accords and later the Second Lebanon War) or from the perspective of constitutional law (the 1990s was the time when Israel underwent its “constitutional revolution”, enacting basic laws dealing with human rights and entrenching them by borrowing the German principle of proportionality and the possibility of judicial review).

Jochen Abr. Frowein in his office at the Institute, 1985[5]

Personally, being part of the student delegation to MPIL was a life-changing experience. Unlike many of my friends from university who chose to continue their studies at the best universities in the US, I was one of the very few Israeli students to complete my PhD in Germany while on a scholarship from the MPIL. After completing my LL.B. at TAU and my military service in the Legal Department of the Israel Defence Forces, I studied for an LL.M. at the College of Europe in Bruges, Belgium. The supervisor of my master’s thesis, Professor Jörn Pipkorn of the Legal Service of the European Commission recommended that I contact his friend Jochen Frowein for a PhD. The name sounded familiar. Professor Frowein not only agreed that I could work on my dissertation at the Institute but also helped me to obtain a Minerva scholarship (the first to be awarded to a law student), which made my stay financially easier. Choosing Europe, I decided to become a scholar of European Union law. I received my PhD from the Europa-Institut at the University of Saarland, Germany (my PhD supervisors were Professor Stein and Professor Ress, both MPIL alumni).

Although I returned to Israel and joined the academic world, I never really left the MPIL. I returned on almost every academic leave to continue my research in European law, benefiting from the invaluable brainstorming with the brilliant scholars and from the amazing library. I climbed the academic ladder in Israel and also became an honorary professor at the Europa-Institut in Saarbrücken and a senior research affiliate at the MPIL. Most importantly, I made friends with academics in Germany and around the world who have at some point passed through the MPIL. I feel deeply indebted to the MPIL, which became my academic home.

[1] On the development on relations with the Weizmann Institute see: Carola Sachse (ed.), Wissenschaft und Diplomatie: die Max-Planck-Gesellschaft im Feld der internationalen Politik (1945–2000), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 70 – 107; English edition forthcoming.

[2] Photo: MPIL.

[3] Photo: APMG.

[4] Photo: Wikimedia Commons.

[5] Photo: MPIL.

Praxisnähe und wissenschaftliche Reflexion

Practice Orientation and Scholarly Reflection

Deutsch

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht –  ein „state agent“?

I. Einleitung

Ist das Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) ein „state agent“, wie ein Panel des vierten Seminars der Veranstaltungsreihe zum 100. Geburtstag des Instituts überschrieben war? Die Frage, was ein „state agent“ eigentlich ist, ist dabei alles andere als trivial. Woher stammt der Begriff? Was sagt er uns? Und passt er auf die Beschreibung des Verhältnisses zwischen dem MPIL und den diversen in der Panelbeschreibung auftauchenden Praxisakteuren? (II.). Nach diesen begrifflichen und konzeptionellen Vorklärungen möchte ich einige Schlaglichter auf die Begleitung der bundesrepublikanischen Außenpolitik in den dieses Seminar interessierenden Jahren 1989 bis 2002 durch das Heidelberger Institut und seine Mitglieder werfen (III.). Dem Beitrag liegt die These zugrunde, dass das MPIL jedenfalls im Zeitraum seit Ende des Kalten Krieges kein „state agent“ im Sinne eines zentrale außenpolitische Entscheidungen der Bundesregierung bloß begleitenden und mit völkerrechtlichen Argumenten komplementierenden Akteurs gewesen ist. Vielmehr erscheint eine kontextualisierende Pluralisierung angebracht: Weder Institut noch Staat sind monolithische Akteure, deren Interessen durchweg eindeutig bestimmbar sind.

II. Zum Begriff des „state agent

Ein „state agent“? Jochen Abr. Frowein vor dem IGH als Vertreter Albaniens, 2010[1]

State agent“ ist kein Begriff des Völkerrechts, jedenfalls wohl nicht in einem hier weiterführenden Sinn. Im Völkerrecht sprechen wir vom „agent“, der einen Staat vor einem internationalen Gericht vertritt.[2] Im europäischen Menschenrechtsschutzsystem ist der „state agent“ eine dogmatische Kategorie für die Bestimmung der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Territoriums.[3] Gelegentlich fällt der Begriff „state agent“ auch, wenn es um die Zurechnung der Handlungen nicht-staatlicher Akteure zu einem Staat im Recht der Staatenverantwortlichkeit geht.[4] All dies führt hier nicht wirklich weiter.

Wenn wir die Redeweise vom „state agent“ verstehen wollen, müssen wir vielmehr auf Literatur jenseits der Völkerrechtswissenschaft zurückgreifen. Von „agents“ ist vor allem in der politikwissenschaftlichen „principal-agent“-Literatur die Rede. Einfach zusammengefasst geht es bei principal-agent-Ansätzen um das Verhältnis zwischen einem Prinzipal, der eine bestimmte Aufgabe zur Wahrnehmung an einen Agenten delegiert.[5] Mit einer rechtlichen Brille betrachtet, gibt es hier verschiedene analytische Anknüpfungsmöglichkeiten: Welcher Auftrag wird delegiert? Wie spezifisch sind die mit der Delegation verbundenen Aufgaben? Wie kontrolliert der Prinzipal den Agenten im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung? Welche Wissensasymmetrien können hierbei eine Rolle spielen? Nach welchen Maßstäben kann der Agent für eine, entweder defizitäre oder auch über das Ausmaß der Delegation hinausgehende, Aufgabenerfüllung zur Rechenschaft gezogen werden?

In rechtswissenschaftlichen Kontexten ist dieser, von rational-choice-Erwägungen geprägte Ansatz, vielfach fruchtbar herangezogen worden.[6] Besonders bekannte Beispiele beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative sowie unabhängigen Agenturen im US-amerikanischen Verfassungsrecht.[7] Aber auch in der völkerrechtlichen Literatur finden sich gewinnbringende Analysen, die mit principal-agent-Ansätzen arbeiten, so etwa zum Verhältnis von UN-Generalversammlung (UNGA) und Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.[8] Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass nicht jeder Rückgriff auf eine principal-agent-Theorie bedeuten muss, dass der Agent durch seinen Prinzipal vollständig determiniert wird. Es mag Unschärfen im Auftrag geben – siehe „codification and progressive development“ als Mandat der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, die man auch nicht als „UNGA agent“ bezeichnen würde, sondern ihre Aufgaben anhand ihres Mandats aus UN-Charta und Satzung der Kommission erfasst.

Lange Rede, kurzer Sinn: Um vom Heidelberger MPI als „state agent“ in einem spezifischen Sinn zu sprechen, bräuchten wir jedenfalls Anhaltspunkte für eine eindeutige Delegation einer bestimmten Aufgabe an das Institut. Noch grundsätzlicher ist allerdings zu fragen, inwiefern eine Einordnung als „state agent“ nicht sowohl das Heidelberger Institut als auch den Staat zu absolut setzen und als monolithische Akteure begreifen würde, deren Interessen einfach bestimmbar erschienen. Das MPIL ist eine in sich komplexe und von unterschiedlichen Präferenzen und Strömungen gekennzeichnete Gemeinschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, jedenfalls erscheint es aus der Jetztperspektive so und die Erträge der Veranstaltungen zu seiner Geschichte legen nahe, dass es dies auch in den 1990er Jahren war. Institutsdirektoren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können unterschiedliche Agenden verfolgen, die auch mit unterschiedlichen Rollen im internen wie externen Kontext von wissenschaftlichen Interventionen zu tun haben können. Die Mitglieder des MPIL mussten und müssen sich dabei in ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Kontexten bewegen, in denen Handeln nach verschiedenen Kriterien bemessen wird: Institutsdirektoren waren und sind häufig zugleich Mitglieder des völkerrechtswissenschaftlichen Beirats des Auswärtigen Amts, referieren aber auch auf der Staatsrechtslehrertagung, sind Mitglieder des Institut de droit international oder nehmen Prozessvertretungen vor internationalen Gerichten wahr.[9]

Auf der anderen Seite ist auch der Begriff des Staates in „state agent“ der Konkretisierung bedürftig. Die Frage nach dem MPIL als „state agent“ scheint vor allem auf Regierungsnähe abzustellen und dadurch einen gewissen kritischen Reflex auszulösen. Wird die Arbeit des MPIL vor allem als eine solche des „state agent“ charakterisiert, könnte es ein Defizit an wissenschaftlicher Unabhängigkeit, ja an der Ernsthaftigkeit im Hinblick auf den eigentlichen Auftrag der Grundlagenforschung geben, was auch immer mit diesem Konzept im rechtswissenschaftlichen Kontext genau gemeint ist.[10] Allerdings legt gerade die Vielfalt der auch praxisbezogenen und praxisnahen Interventionen von MPIL-Mitgliedern im hier interessierenden Zeitraum eine Pluralisierung und Kontextualisierung des Staatsbegriffs nahe. Wissenschaftliche Interventionen positionieren sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, keineswegs immer auf einer, wie auch immer zu identifizierenden, Regierungslinie, sondern positionieren sich gerade in Opposition zu einer vermeintlich etablierten Regierungsposition oder stärken verfassungsrechtliche Argumente für eine stärkere Beteiligung der Legislative in Fragen der auswärtigen Gewalt.

III. Völkerrechtswissenschaft im Dienste der Bundesregierung? Einige Nuancierungen

Nun ist es natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass das Heidelberger Institut auf eine lange Tradition von wirkmächtiger Politikberatung und -begleitung zurückblicken kann. Es entfaltet, wie Jan Klabbers es in seinem Beitrag zu der Seminarreihe auf den Punkt gebracht hat, erhebliche epistemische Autorität. Sowohl in der von Rudolf Bernhardt und Karin Oellers-Frahm verantworteten Institutsgeschichte[11] als auch in den wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten von Felix Lange[12] finden sich zudem viele Belege und Beispiele für die wichtige Rolle, die das Heidelberger Institut nicht nur für wissenschaftliche Debatten, sondern erst recht in der Völkerrechtspraxis gespielt hat. Florian Kriener hat jüngst die Akten des Politischen Archivs im Auswärtigen Amt auf das Verhältnis von Amt und Institut hin untersucht. In seinem Beitrag heißt es: Das „Institut [vertrat] in dem hier untersuchten Zeitraum (1924 bis 1994) in der Regel staatsnahe Thesen, die den außenpolitischen Interesse Deutschlands weitestgehend entsprachen.“

Die für meinen Beitrag relevante Phase von 1989 bis 2002 ist zeitlich enger begrenzt als der von Florian Kriener in seiner Archivstudie untersuchte Zeitraum, auch wenn dieser mit seinem Enddatum 1994 noch in die uns hier interessierende Phase hineinragt. Aber für den Zeitraum der an den Kalten Krieg anschließenden historischen Phase möchte ich anhand einiger Schlaglichter die These der ganz überwiegenden Staatsnähe jedenfalls ein Stück weit differenzieren und dies anhand von drei Themenkomplexen darstellen, die jeweils eine Gemengelage von verfassungs- und völkerrechtlichen Rechtsfragen aufwarfen und zu denen Mitglieder des Instituts sich an exponierter Stelle geäußert haben.

Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied am 12. Juli 1994 in Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr: (v.l.n.r.) Paul Kirchhof, die Senatsvorsitzende Jutta Limbach, Hans Hugo Klein, Konrad Kruis und Berthold Sommer[13]

Das erste Beispiel betrifft die Diskussionen um die völker- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Ihren archimedischen Punkt hat diese Diskussion durch das große Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 gewonnen, in dem das Gericht salomonisch die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG betonte, zugleich aber auch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus dem Grundgesetz ableitete. Die Bundesregierung wurde in dem Verfahren unter anderem von Jochen Abr. Frowein als Prozessbevollmächtigter vertreten. Der damals am Institut beschäftigte Referent und Habilitand Froweins Georg Nolte hatte bereits vor dem Urteil in einem Beitrag in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) maßgebliche verfassungsrechtliche Fragen aufbereitet und zentrale Erwägungen Karlsruhes zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Auslandseinsätze vorweggenommen.[14]

Ein Beispiel für Verfassungs- und Völkerrechtsberatung im Dienste Bonns, gewissermaßen eine „smoking gun“ für die „state-agent“-These? Bei genauerer Betrachtung fällt das Bild differenzierter aus. Die Prozessvertretung der Bundesregierung im AWACS-Verfahren hat eine Vorgeschichte. 1989 veranstalteten Jochen Abr. Frowein und Torsten Stein am Heidelberger Institut ein Kolloquium zur Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen.[15] In ihren Referaten legten sie entgegen der damaligen herrschenden Auffassung im Schrifttum und der Position der Bundesregierung dar, warum bereits der damalige Völkerrechts- und Verfassungsrahmen Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht im Wege stünde. Die an dem Kolloquium teilnehmenden Vertreter der Bundesregierung reagierten distanziert. So äußerte sich Jürgen Oesterhelt, der damalige Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, wie folgt:

„Ich glaube, man muß feststellen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich bisher niemals an VN-Friedenstruppen beteiligt und daß sie auch öffentlich mehrfach erklärt hat, daß sie eine derartige Beteiligung aus rechtlichen Erwägungen nicht für zulässig hält. Dies ist über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Haltung der Bundesregierung gewesen. Ich glaube, dies muß einfließen in unsere Bewertung, was hier Verfassungsrecht ist. Die Verfassungswirklichkeit kann hier nicht getrennt gesehen werden.“[16]

Betrachtet man mithin die sich verändernden deutschland- wie weltpolitischen Zusammenhänge, die wissenschaftliche Diskussion und ihren Einfluss auf die Position der Bundesregierung und die Rechtsprechung Karlsruhes, so erscheint hier das MPIL weniger als „state agent“, denn als Vordenker einer dann in der politischen und gerichtlichen Praxis nachvollzogenen und heute in der Sache vollkommen unumstrittenen Auslegung der Verfassungs- und Völkerrechtslage.[17]

„Kontrolle der auswärtigen Gewalt“

Rüdiger Wolfrum anlässlich seines 60. Geburtstages 2001 im Institut[18]

Ein zweites Beispiel betrifft das Referat Rüdiger Wolfrums auf der Jahrestagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 1996 in Dresden. Rüdiger Wolfrum hielt den zweiten Bericht zum ersten Beratungsgegenstand „Kontrolle der auswärtigen Gewalt“.[19] Wolfrums Referat widmete sich dabei vor allem der Verteilung der auswärtigen Gewalt zwischen Exekutive und Legislative, ein Themenzuschnitt, der Gelegenheit geboten hätte, Staatsnähe im Sinne von Regierungsfreundlichkeit zu demonstrieren. Der Vortrag Wolfrums tat aber alles andere als das. Vielmehr ist das Referat voll von, sowohl im damaligen Kontext als auch teilweise heute noch, innovativ anmutenden Thesen zur Verteilung der auswärtigen Gewalt zwischen Exekutive und Legislative. Einige Kostproben: Noch klassisch ist die Grundposition Wolfrums, dass die auswärtige Gewalt „wesensmäßig nicht grundsätzlich dem Bereich der Regierung und Verwaltung“ angehöre, sondern von Regierung und Parlament „gemeinsam ausgeübt“ werde.[20] Wolfrum bezieht sich dann auf den immer stärkeren Einfluss des Völkerrechts und Europarechts auf die Rechtsstellung des Einzelnen und konstatiert, dass die Wesentlichkeitslehre ein Gebot der parlamentarischen Mitwirkung an der Gestaltung des internationalen Rechts einfordere.[21] Gegen das durchaus als exekutiv-freundlich zu bezeichnende Nachrüstungsurteil des Bundesverfassungsgerichts[22] fordert Wolfrum eine Beteiligung des Bundestages an den „eigentlichen staatsleitenden Entscheidungen in der Außenpolitik“.[23] „Strukturelle Änderungen des Völkerrechts“ führten zu einer „Intensivierung parlamentarischer Mitwirkungskompetenzen.“[24] Dies erstrecke sich zum Beispiel auch auf die Kündigung völkerrechtlicher Verträge, die ebenfalls nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen dürften.[25] Und die Bundesregierung dürfe sich nicht durch eine freie Formenwahl völkerrechtlicher relevanter Handlungen der parlamentarischen Kontrolle entziehen, was Wolfrum mit dem konkreten Beispiel der Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung von Mittelstreckenraketen vom 14. Dezember 1979 exemplifiziert.[26]

Die Kosovo-Intervention der NATO 1999

Schließlich noch ein Schlaglicht auf ein drittes Beispiel, die Kosovo-Intervention der NATO-Staaten 1999. Ist die öffentliche und publizierte Positionierung des Instituts hier geeignet, der These des Instituts als „state agent“ Vorschub zu leisten oder zumindest zu bestätigen, dass das Institut grosso modo jedenfalls sehr staatsnahe Positionen vertreten habe? Auf den ersten Blick mag dies zutreffend erscheinen. Die völkerrechtliche Zulässigkeit einer sogenannten humanitären Intervention ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats war auch in der Öffentlichkeit stark umstritten. Jochen Frowein bezog in dieser Diskussion im Sommer 1999, also nach bereits erfolgter Gewaltanwendung, in einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung Position. In diesem bejahte er die Rechtfertigungsmöglichkeit, da „sich das Völkerrecht seit 1945 weiterentwickelt“ habe und „es mittlerweile nicht mehr nur die Souveränität von Staaten schützen will, sondern auch den einzelnen Menschen vor massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen.“[27] Zugleich war seine Argumentation akademisch abgewogen. Frowein konzedierte, dass „die hier vorgetragene Rechtsauffassung weder eindeutig ist noch zur Zeit allgemein anerkannt“ sei. Auch sei die Gefahr des Missbrauchs „bei einer derartigen Argumentation nicht zu verkennen.“[28] Angesichts des Ende April 1999 von der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien auch gegen Deutschland eingeleiteten Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof eine Positionierung mit Augenmaß, die sich jedenfalls nicht als pauschale Verteidigung bundesrepublikanischen Handelns nach der Devise „right or wrong, my country“ lesen lässt. Andere Stellungnahmen aus der deutschen Völkerrechtswissenschaft waren im Hinblick auf ihren Umgang mit dem Gewaltverbot forscher.[29] Sie ignorierten jedenfalls die außerhalb des Westens mehr oder weniger einhellige Ablehnung eines Rechts zur humanitären Intervention ohne Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat, wie Georg Nolte 1999 anlässlich eines Symposiums zu Ehren von Jochen Frowein im Max-Planck-Institut herausarbeitete.[30]

IV. Schluss

Ich hoffe jedenfalls ein deutliches Fragezeichen hinter die Einordnung des MPIL als „state agent“ gesetzt zu haben. Die Bezeichnung setzt ein Prinzipal-Agenten-Verhältnis voraus, welches schon im Lichte der hinter diesen Konzepten stehenden Theorie nicht wirklich zu überzeugen vermag. Die Schlaglichter auf besonders umstrittene Verfassungs- und Völkerrechtsfragen des Zeitraums 1989 bis 2002 zeigen auf, dass die Positionierungen des Instituts und seiner Mitglieder jedenfalls nicht durchweg als „staatsnah“ im Sinne von regierungsfreundlich oder -orientiert charakterisiert werden können.

Schließen möchte ich mit einer letzten Bezugnahme auf die verhaltensökonomisch inspirierte juristische Literatur zur principal-agent-Theorie: Wie dort beschrieben wird, ist der Agent in den meisten Fällen „ungeachtet seiner Verpflichtung auf das Interesse des Prinzipals […] zunächst einmal und vor allem Maximierer seines eigenen Nutzens.“[31] Auf das Verhältnis Praxis-MPIL gemünzt, könnte dies die Frage aufwerfen, ob das Heidelberger Institut durch die Praxisnähe für seine eigene rechtswissenschaftliche Arbeit nicht wenigstens genauso profitiert wie der vermeintliche Prinzipal, nämlich durch das, was in Kontexten qualitativer Sozialforschung als teilnehmende Beobachtung von Praxisakteuren bezeichnet wird. Einfacher ausgedrückt: Durch die unmittelbare Einbindung in Praxiszusammenhänge kann Völkerrechtswissenschaft ihren Forschungsgegenstand besser einschätzen, als wenn es an solchen Kontakten fehlen würde.

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[1] Foto: Frank van Beek/Capital Photos, Courtesy of the ICJ.

[2] Eduardo Valencia-Ospina, International Courts and Tribunals, Agents, Counsels, and Advocates, in: Anne Peters (Hrsg.), MPEPIL, Online Edition, Oxford: Oxford University Press 2019, Rn. 1-2.

[3] EGMR (Große Kammer), Al-Skeini and others v. United Kingdom, App. No. 55721/07, Urteil v. 7.7.2011, Rn. 133-137.

[4] Vgl. z.B.: Alan Nissel, One State’s Rebel is Another State’s Agent, EJIL 35 (2024), 207-220.

[5] Randall L. Calvert/Mathew D. McCubbins/Barry R. Weingast, A Theory of Political Control and Agency Discretion, American Journal of Political Science 33 (1989), 588-611.

[6] Siehe einführend: Klaus Ulrich Schmolke, Vertragstheorie und ökonomische Analyse

des Vertragsrechts, in: Emanuel V. Towfigh/Niels Petersen (Hrsg.), Ökonomische Methoden im Recht, 3. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck 2023, Rn. 304 ff.

[7] Christopher J. Walker, Inside Agency Statutory Interpretation, Stanford Law Review 67 (2015), 999-1079,1049 ff.

[8] Laurence Helfer/Timothy Meyer, The Evolution of Codification – A Principal-Agent Theory of the International Law Commission’s Influence, in: Curtis Bradley (Hrsg.), Custom’s Future, Cambridge: Cambridge University Press 2016, 305-331,309 ff.

[9] Dazu: Karin Oellers-Frahm, Das Institut und die internationale Gerichtsbarkeit, MPIL100.de.

[10] Zum Verhältnis zwischen Grundlagenforschung und den Aufgaben des MPIL siehe etwa: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer, Vorwort, in: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 7-14, 9; Georg Nolte, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 67 (2007), 657-674,670 ff.

[11] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung 1949 bis 2013, Berlin: Springer 2018.

[12] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945-2002, in: Duve/Kunstreich/Vogenauer (Fn. 10), 49-90.

[13] Foto: © picture-alliance/dpa.

[14] Georg Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU: Völker- und verfassungsrechtliche Fragen, ZaöRV 54 (1994), 95-123.

[15] Jochen Abr. Frowein/Thorsten Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Materialien des Kolloquiums vom 17./18.8. 1989, Berlin: Springer 1990; zu diesem Kolloquium siehe auch: Felix Lange, Nach dem Ende der „grundgesetzlich auferlegten Enthaltsamkeit“ – Potential einer verfassungsrechtlichen Bindung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an das Völkerrecht, Der Staat 62 (2023), 485-522, 499-500.

[16] Jürgen Oesterhelt, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Fn. 15), 52; vgl. auch: 91.

[17] Siehe mit weiteren Nachweisen: Helmut Philipp Aust, Art. 24, Rn. 74 ff., in: Jörn Axel Kämmerer/Markus Kotzur (Hrsg.), von Münch/Kunig – GG-Kommentar, 7. Auflage, München: C.H. Beck 2021.

[18] Foto: MPIL.

[19] Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38-66.

[20] Wolfrum (Fn. 19), 40.

[21] Wolfrum (Fn. 19), 41.

[22] BVerfGE 68, 1 (86).

[23] Wolfrum (Fn. 19), 44, 53.

[24] Wolfrum (Fn. 19), 46.

[25] Wolfrum (Fn.  19), 50.

[26] Wolfrum (Fn.  19), 60.

[27] Jochen Abr. Frowein, Der Schutz des Menschen ist zentral – Der Krieg im Kosovo und die völkerrechtliche Regelung der Gewaltanwendung, NZZ vom 17./18. Juli 1999, 61-62.

[28] Frowein (Fn. 27).

[29] So lesen sich zumindest die damaligen Stellungnahmen von Ipsen und Tomuschat entschiedener, auch wenn sie jeweils im Ergebnis ebenfalls Bedenken gegenüber der Eindeutigkeit der Rechtslage anmelden: Knut Ipsen, Der Kosovo-Einsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, Die Friedens-Warte 74 (1999), 19-23; Christian Tomuschat, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, Die Friedens-Warte 74 (1999), 33-37.

[30] Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, ZaöRV 59 (1999), 941-959.

[31] Schmolke (Fn. 6), Rn. 305, Hervorhebung im Original.

English

The Heidelberg Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law – a State Agent?

I. Introduction

Is the Heidelberg Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law (MPIL) a “state agent”, as the title of one of the panels during the fourth session of the seminar series commemorating the Institute’s centenary suggests? To begin with, defining the term “state agent” is anything but trivial. Where does it come from? What does it tell us? And does it appropriately describe the relationship between the MPIL and the many practical actors listed in the panel’s description? (II.) After some reflections on these conceptual preliminaries, I will analyse the Institute’s and its members’ relationship with the Federal Republic’s foreign policy during the period of interest for the fourth seminar, 1989 to 2001, on the basis of some key events and questions which arose during that time (III.). This contribution argues that the MPIL has, at least in the period since the end of the Cold war, not been a “state agent” in the sense of simply providing support and coming up with international law arguments for key foreign policy decisions of the Federal Government. Instead, a contextualizing pluralisation seems appropriate: Neither the Institute nor the state are monolithic actors whose interest can be clearly determined at any given time.

II. On the Term “State Agent”

Jochen Abr. Frowein representing Albania before the ICJ, 2010[1]

“State agent” is not a term of international law, at least not in any sense relevant in this context. In international law, there are “agents” representing a state before international courts.[2] In the European system for the protection of human rights, “state agent” is a doctrinal category for the determination of the exercise of jurisdiction outside of the state’s territory.[3]  Furthermore, the term “state agent” is also occasionally used in the context of the attribution of acts of non-state actors to a state in the sense of state responsibility.[4] None of these uses is of great interest here.

To understand the use of the term “state agent”, we must have recourse to literature from outside international law scholarship. “Agents” are most prominently mentioned in the political science literature on principal and agent theories. Briefly summarized, principal–agent approaches describe the relationship between a principal, who delegates the carrying out of a certain task to an agent.[5] From a legal point of view, there are several analytical questions to be asked: Which tasks are being delegated? How specific are the tasks being delegated? How does the principal control the agent in its fulfilment of the tasks? Which knowledge asymmetries can be of relevance for that? Which rules apply regarding the responsibility of the agent for a fulfilment of tasks that is either deficient or goes beyond the scope of the delegation?

This approach, informed by rational choice theory, has often proved fruitful for legal scholarship.[6] The most well-known examples include the application of principal and agent theory to the relationship between the executive and legislative branches of government as well as independent agencies in the context of US-American constitutional law.[7] Yet, interesting analyses on this basis can also be found in the international law literature, for example with respect to the relationship of the UN General Assembly (UNGA) to the UN’s International Law Commission.[8] However, this example also demonstrates that not every recourse to principal- agent theory indicates that an agent’s actions are fully determined by the principal. The definition of the tasks delegated may not be entirely precise – like the UN International Law Commission’s mandate of „codification and progressive development“. The Commission would certainly not be accurately described as the UNGA’s “agent”, as its tasks are determined by its mandate in the UN Charta and the Commission’s Statute.

In summary: In order to categorize the Heidelberg MPIL as a “state agent” in a meaningful sense, we would need at least indications of a clear delegation of a certain task to the institute. Even more generally, it should be questioned whether a categorization as a “state agent” would essentialise both the Institute and the state and implicitly define them as monolithic actors, whose interests can be clearly determined. The MPIL is, in itself, a complex community of scholars, influenced by various preferences and trends, at least from today’s perspective. The contributions to the seminar on its history suggest the same for the 1990s. The Institute’s directors and staff may follow diverse agendas, which may be related to their diverse roles in the internal and external context of scholarly interventions.  The MPIL’s members had to and have to navigate diverse scholarly and practical environments, in which their actions are assessed according to many different sets of standards: Past and present directors of the Institute have commonly been members of the Federal Foreign Office’s Advisory Council on international law but also speakers at the conferences of the Association of German Constitutional Law Professors (“Staatsrechtslehrertagung”), members of the Institut de droit international, and representatives of Germany before international courts.[9]

On the other hand, the definition of the term state in “state agent” requires concretization as well. Asking whether the MPIL is a “state agent” seems to imply first and foremost an association with the government and thereby evoke a critical reflex. If the MPIL’s work is characterized primarily as that of a “state agent”, this may point to a lack of scientific independence, or even seriousness with regard to its actual function as an institution of “basic research” (Grundlagenforschung), however that notion is defined in legal scholarship.[10] However, it is precisely the multitude of practice oriented interventions by MPIL members during the period of interest that suggests the need for a pluralisation and contextualization of the term “state”. As will be shown, these scholarly interventions have by no means always aligned themselves with the government line, in whatever way that is to be identified, but, to the contrary, opposed supposedly established government positions or emphasized constitutional arguments in favour of a stronger role of the legislative branch in questions of foreign policy.

III. International Law Scholarship in Service of the Federal Government? Some Nuance

It cannot be denied that the MPIL can look back on a long tradition of influential political advisory. It has, as Jan Klabbers has summarized in his contribution, significant epistemic authority.  Both the Institute history as published by Rudolf Bernhardt and Karin Oellers-Frahm[11] and the historical work of Felix Lange[12] provide ample evidence and examples for the important role the Heidelberg Institute has played not only in the academic discourse but especially in international law practice. Florian Kriener has recently analysed the material found in the Foreign Office’s Political Archive with regard to the relationship between the ministry and the Institute. His contribution concludes that “in the period analysed (1924 to 1994), the Institute held mostly government-friendly positions, which were in line with Germany’s foreign policy interests.”[13]

The period relevant to my contribution, 1989 to 2002, is more narrowly defined than the period Florian Kriener analysed in his archive study. However, the end of the period he studied overlaps with the time frame of interest here. For the historical period immediately after the end of the cold war, I will endeavour to add nuance to the thesis of a largely government-friendly Institute. For that, I will utilize three overarching issues, which each opened up a whole field of constitutional and international law questions and on which members of the institute have prominently voiced their opinions.

Admissibility of Foreign Deployments of the German Military

The Second Senate of the Federal Constitutional Court in Karlsruhe pronounces its judgement on the admissibility of foreign deployments of the German military on 12 July 1994; from left to right: Paul Kirchhof, Presiding Justice Jutta Limbach, Hans Hugo Klein, Konrad Kruis, and Berthold Sommer[14]

The first example is related to the question of admissibility of foreign deployments of the German military under constitutional and international law. The discourse found its Archimedean point in the landmark judgment of the Federal Constitutional Court’s Second Senate in 1994. Here, the judges, in Solomonic fashion, pointed out the legality of foreign deployments insofar as they occur within and pursuant to the rules of a system of mutual collective security as laid down in Article 24, para. 2 of the Basic Law, while simultaneously interpreting the Basic Law to set out a requirement for parliamentary approval for these foreign deployments. In the court, the Federal Government was represented by Jochen Abr. Frowein as agent, among others. Before the judgment came out, Georg Nolte, who was a senior research fellow at the institute at the time and whose Habilitation thesis was supervised by Frowein, had already written a contribution in the Heidelberg Journal of International Law (Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, ZaöRV) discussing the relevant constitutional law questions and anticipating central arguments made by the court regarding the admissibility of foreign deployments.[15]

An example of constitutional and international law advisory in service of the Federal Government, a “smoking gun” proving the “state agent” thesis? Upon further inspection, the picture is more nuanced. The involvement of the MPIL in the case has a history going back to 1989, when Jochen Abr. Frowein and Torsten Stein held a colloquium at the Institute concerning the contribution of the Federal Republic of Germany in the United Nations Peacekeeping Forces.[16] In their respective talks, both argued that foreign deployment of the German military was not prohibited by constitutional law, nor international law, even as it stood at the time. This was in opposition to the dominant position in legal scholarship as well as the Federal Government’s position back then. Government representatives present at the colloquium reacted in a reserved fashion, exemplified by Jürgen Oesterhelt, then Head of the Foreign Office’s Legal Department, who was cited as follows:

“I believe one must make note of the fact that the Federal Republic of Germany has never contributed to UN Peacekeeping Forces so far and that it has furthermore publicly declared on multiple occasions that it believes such a contribution to be inadmissible for legal reasons. This has been the Federal Government’s position for many years, if not decades. I believe this must be taken into for our constitutional law assessment of this issue. One cannot disregard the constitutional reality.”[17]

Thus, when taking into account the changing political context in Germany and internationally, the scholarly discussion and its influence on the Federal Government’s position, and the judgment of the Federal Constitutional Court, the MPIL seems less like a “state agent” and more like a thought leader towards an interpretation of the constitutional and international law framework which would then find its way into the practice of political actors and courts and is widely accepted today.[18]

“Control in Matters of Foreign Affairs”

Rüdiger Wolfrum celebrating his 60th birthday at the Institute, 2000[19]

A second example concerns the paper presented by Rüdiger Wolfrum at the annual conference of the Association of German Constitutional Law Professors in Dresden in 1996. He gave the second report on the first topic of the conference “Control in Matters of Foreign Affairs” (“Kontrolle der auswärtigen Gewalt“.)[20] His talk focused on the distribution of power between the executive and legislative branches of government, a choice of topic that would have given him the opportunity to signal sympathy towards the Federal Government. Yet, the presentation did the quite the opposite. It is full of arguments on the distribution of power regarding foreign policy that were innovative at the time, and many would be considered to be of this quality even today. Some examples: Wolfrum follows traditional doctrine in his basic assumption that the power over foreign affairs is “because of its inert nature not in principle part of the domain of the executive and administrative realm” but is to be “exercised jointly” [21] by the Federal Government and the parliament. However, he then refers to the increasing influence of international law and European Union law on the legal situation of the individual and argues that this necessitates parliamentary participation in the creation of international law, based on the so-called Wesentlichkeitslehre according to which essential questions of public importance need to be decided on directly by the legislature. In opposition to the, rather executive-friendly, judgment of the Federal Constitutional Court on the stationing of US-American nuclear weapons in Germany,[22] Wolfrum called for participation of the parliament in “foreign policy decisions that are materially fundamental to the state”.[23] “Structural chances to international law”, he argued, led to a “strengthening of the parliamentary right to participation.”[24] This extends, for example, to the termination of international treaties, which can only be done with the parliament’s approval, according to Wolfrum. [25] Furthermore, Wolfrum opined that the Federal Government was prohibited from executing acts of relevance to international law unilaterally by circumventing the requirement of parliamentary approval by way of strategical choice of certain legal instruments. Here, he explicitly referred to the Federal Government’s decision to consent to the stationing of medium-range missiles in Germany of 14 December 1979.[26]

The NATO Kosovo Intervention 1999

Finally, a brief look at a third example, the intervention in Kosovo carried out by NATO states in 1999. Does the public and publicized positioning of the institute on this issue underpin the thesis of it being a “state agent” or at least back the view that the MPIL has generally held government-friendly positions? At first glance, that seems to be the case. The legality under international law of this so-called humanitarian intervention without the authorization of the UN Security Council was highly controversial, including in public debate. Jochen Abr. Frowein made a statement on the issue in an article for Swiss newspaper Neue Zürcher Zeitung in the summer of 1999, after NATO member states had already intervened. He affirmed that such an intervention could indeed have been justified because “international law has evolved since 1945” and “now, not only serves to protect state sovereignty but also to protect individuals from severe and systematic violations of human rights.”[27] However, his reasoning was academically balanced: Frowein conceded that “the legal view laid out is not unequivocal nor universally shared at this time.” Furthermore, he recognized that the danger of abuse “of such an argument cannot be overlooked.” [28] With an eye toward the complaint filed at the ICJ by Yugoslavia against, among others, Germany in late April 1999, this was a temperate statement, and, in any case, not a blanket endorsement of government action in the sense of “right or wrong, my country”. Statements made by other German international law scholars were less prudent regarding the prohibition of the use of force.[29] They did not account for the rejection of the right to humanitarian intervention without authorization by the UN Security Council, shared more or less universally by non-Western states, as Georg Nolte has emphasized on the occasion of a symposium in honour of Jochen Abr. Frowein in 1999.[30]

IV. Conclusions

I hope to have at least promoted a questioning of the classification of the MPIL as a “state agent”. This assessment would presuppose a principal–agent relationship, which is hardly fitting, even just based on the theory behind this concept. The examples given regarding questions of constitutional and international law that sparked particularly controversial debates between 1989 and 2002 show that the positions taken by the Institute and its members cannot be characterized as consistently government-friendly in the sense of a general siding with or even orientation towards government policy.

I would like to close with a final reference to the legal literature on principal and agent theory, inspired by behavioral economics: As described there, the agent is typically “despite his responsibility for ensuring the interests of the principal […] first and foremost a maximiser of his own interest” [31]. Looking at the relationship between political practice and the MPIL, this opens up the question whether the Heidelberg Institute itself might profit from its practice-oriented approach just as much, if not more, than the supposed principal. Namely, through what social sciences call participatory observation of practical actors. Or, in simpler terms: Through the direct participation in the practical context, international law scholarship is able to better understand its subject matter than it could without.

Translation from the German original: Sarah Gebel

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[1] Photo: Frank van Beek/Capital Photos.

[2] Eduardo Valencia-Ospina, International Courts and Tribunals, Agents, Counsels, and Advocates, in: Anne Peters (ed.), MPEPIL, Online Edition, Oxford: Oxford University Press 2019, paras. 1-2.

[3] ECHR (Grand Chamber), Al-Skeini and others v. United Kingdom, App. No. 55721/07, judgement of 7.7.2011, paras. 133-137.

[4] See, for example: Alan Nissel, One State’s Rebel is Another State’s Agent, EJIL 35 (2024), 207-220.

[5] Randall L. Calvert/Mathew D. McCubbins/Barry R. Weingast, A Theory of Political Control and Agency Discretion, American Journal of Political Science 33 (1989), 588-611.

[6] See, for introductory information: Klaus Ulrich Schmolke, Vertragstheorie und ökonomische Analyse des Vertragsrechts, in: Emanuel V. Towfigh/Niels Petersen (ed.), Ökonomische Methoden im Recht, 3. ed., Tübingen: Mohr Siebeck 2023, paras. 304 ff.

[7] Christopher J. Walker, Inside Agency Statutory Interpretation, Stanford Law Review 67 (2015), 999-1079,1049 ff.

[8] Laurence Helfer/Timothy Meyer, The Evolution of Codification – A Principal-Agent Theory of the International Law Commission’s Influence, in: Curtis Bradley (ed.), Custom’s Future, Cambridge: Cambridge University Press 2016, 305-331,309 ff.

[9] See on this: Karin Oellers-Frahm, The Institute and International Jurisdiction, MPIL100.de.

[10] See on the relationship between basic reasearch and the work of the MPIL, for example: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer, Vorwort [Introduction], in: Thomas Duve/ Jaspar Kunstreich/Stefan Vogenauer (eds.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 7-14, 9; Georg Nolte, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, HJIL 67 (2007), 657-674, 670 ff.

[11] Rudolf Bernhardt/Karin Oellers-Frahm, Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Geschichte und Entwicklung 1949 bis 2013, Berlin: Springer 2018.

[12] Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945-2002, in: Duve/Kunstreich/Vogenauer (fn. 9), 49-90.

[13] Translated by the editor.

[14] Photo: © picture-alliance/dpa

[15] Georg Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU: Völker- und verfassungsrechtliche Fragen, HJIL 54 (1994), 95-123.

[16] Jochen Abr. Frowein/Thorsten Stein (eds.), Rechtliche Aspekte der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Materialien des Kolloquiums vom 17./18.8. 1989, Berlin: Springer 1990; on this colloquium, see also: Felix Lange, Nach dem Ende der „grundgesetzlich auferlegten Enthaltsamkeit“ – Potential einer verfassungsrechtlichen Bindung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr an das Völkerrecht, Der Staat 62 (2023), 485-522, 499-500.

[17] Jürgen Oesterhelt, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (fn. 16), 52; see also: 91, translated by the editor.

[18] See, with further sources: Helmut Philipp Aust, Art. 24, paras. 74 ff., in: Jörn Axel Kämmerer/Markus Kotzur (eds.), von Münch/Kunig – GG-Kommentar, 7. ed., Munich: C.H. Beck 2021.

[19] Photo: MPIL.

[20] Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38-66.

[21] Wolfrum (fn. 20), 40, translated by the editor.

[22] BVerfGE 68, 1 (86).

[23] Wolfrum (fn. 20), 40.

[24] Wolfrum (fn. 20), 40.

[25] Wolfrum (fn. 20), 40.

[26] Wolfrum (fn. 20), 40.

[27] Jochen Abr. Frowein, Der Schutz des Menschen ist zentral – Der Krieg im Kosovo und die völkerrechtliche Regelung der Gewaltanwendung, NZZ of 17/18 July 1999, 61-62, translated by the editor.

[28] Frowein (fn. 25), translated by the editor.

[29] At least the statements made by prominent German jurists Ipsen and Tomuschat seem more decisive, even though they also voice concerns regarding the supposed unambiguousness of the legal situation in their respective assessments: Knut Ipsen, Der Kosovo-Einsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, Die Friedens-Warte 74 (1999), 19-23; Christian Tomuschat, Völkerrechtliche Aspekte des Kosovo-Konflikts, Die Friedens-Warte 74 (1999), 33-37.

[30] Georg Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur humanitären Intervention der NATO-Staaten, HJIL 59 (1999), 941-959.

[31] Schmolke (fn. 5), para. 305, emphasis in original.

Hermann Mosler – der Befreier

1951 befreite Hermann Mosler das deutsche juristische Denken transnationaler Phänomene aus den Fesseln des staatsrechtlichen Denkens. Medium der Befreiung war die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), Anlass der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).[1]

Konkret legte Mosler einen Weg frei, das Gemeinschaftsrecht, jenseits des staatsrechtlichen Dualismus von Landesrecht und Völkerrecht[2], als eine neue und neuartige Rechtsordnung in föderalen und verfassungsrechtlichen Kategorien zu denken. Er zeigte, dass Schumans und Adenauers politischer Wille zu einer völkervertraglich verfassten Föderation souveräner Staaten kein juristisches Paradoxon war, sondern vielmehr ein Weg in eine bessere Zukunft. Das verlangte allerdings, staatsrechtliche Dogmen zu sprengen.

Sprengen ist ein Begriff Moslers (S. 24), auch für seine eigene Arbeit.[3] Eine solche performative Rechtswissenschaft ist, so Mosler, wissenschaftsadäquat und sogar geboten. Denn zu den Aufgaben der Rechtswissenschaft gehört, politische Verbände „zu regeln“,     „den

Hermann Mosler und das Ehepaar Freudenberg anlässlich der Eröffnung des neuen Institutsgebäudes, 1954[4]

Ausgleich der gesellschaftlich wirksamen Interessen zu fördern“ und dabei „Integration“ voranzubringen (S. 37). Mosler konzipiert das Verhältnis von Rechtswissenschaft und Gesellschaft letztlich als dialektisch. Zum einen muss „die Rechtswissenschaft dem gesellschaftlichen Faktum folgen“, dem „Substrat der rechtlichen Konstruktion“, zum anderen soll sie förderungswürdigen gesellschaftlichen Dynamiken einen Weg bahnen (S. 37). Moslers Beitrag ist ein Werk des rechtswissenschaftlichen Konstruktivismus, auch wenn er es nicht so reflektierte.

Moslers Sprengung bleibt nach 70 Jahren unvollständig, denn der staatsrechtliche Zugang prägt weiter Teile des deutschen Europarechtsdenkens. Gewichtige Stimmen konzipieren das Unionsrecht als ‚Staatsrecht III‘, als ‚delegiert‘ oder als kreisend um die Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts. So bleibt Moslers ZaöRV-Beitrag aktuell, selbst wenn der EGKS-Vertrag wenig erfolgreich war, am 23. Juli 2002 erlosch und bereits die Römischen Verträge auf seinen Leitbegriff verzichteten: die Überstaatlichkeit (supranationalité).

Die Fesseln

Die staatsrechtlichen Fesseln, aus denen Mosler das deutsche öffentlich-rechtliche Denken befreite, zeigen plastisch zeitgenössische Aufsätze in der ZaöRV, etwa die Carl Bilfingers. Ihn kennzeichneten eine tiefe Prägung durch den Wilhelminismus, eine enge Verbindung zu Carl Schmitt und anderen Exponenten etatistischen Denkens, eine bekennende NSDAP-Mitgliedschaft und, dank dieser credentials, sein vorheriges Wirken im Direktorenamt des Kaiser-Wilhelm-Instituts. Insofern markiert dieser Blogbeitrag eine Bruchstelle in der Institutsgeschichte.[5]

Deutlich werden die Fesseln in Bilfingers Aufsatz „Friede durch Gleichgewicht der Macht?“, mit dem Bilfinger 1950 die ‚Abhandlungen‘ der ZaöRV wiederbelebt. Ich habe den tieferen Sinn vieler Passagen dieses gewundenen Beitrags nicht wirklich verstanden, entnehme ihm aber eine Kernaussage: Die Westalliierten sollten zwecks einer stabilen europäischen Friedensordnung mit dem besiegten Deutschland so umgehen wie die Heilige Allianz mit dem besiegten Frankreich auf dem Wiener Kongress.

Die Vier Mächte machten keinen solchen Schritt auf Deutschland zu, wohl aber Frankreich auf die Bundesrepublik. Der war letztlich viel größer und sollte auch zu einem viel größeren Erfolg führen. Frankreich erklärt sich mit der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 bereit, gemeinsam mit Deutschland den Weg in eine gemeinsame Föderation aufzunehmen, womit es von seinem ursprünglichen Plan einer dauerhaften Schwächung Abstand nahm (auf amerikanischen Druck). Adenauer erblickte die Chance und machte das Gelingen des Schuman-Plans zu einem Kernanliegen deutscher Außenpolitik.

Es entsprach dem Selbstverständnis der ZaöRV, dieses Projekt prominent zu besprechen, eben durch Bilfinger als Direktor des Instituts.[6] Auch in diesem Aufsatz habe ich den Gedankengang nicht wirklich verstanden. Mir scheint, dass er die Praktikabilität des Schuman-Plans an die Anerkennung eines Vorbehalts knüpft: Es muss den teilnehmenden Staaten eigenmächtiges Handeln erlaubt sein, wenn sie ihre Lebensinteressen betroffen sehen. Ein heutiges Äquivalent heißt ‚Verfassungsidentität‘.

Die Befreiung Moslers

Walter Hallstein, Jean Monnet und Konrad Adenauer in Bonn, 1951[7]

Hermann Mosler schenkt Bilfingers Bemühen um den Schuman-Plan keine Zeile. Das Nachwuchstalent aus dem Berliner Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht kannte sich aus, da Teil der deutschen Verhandlungsdelegation. Das Gelingen des Schuman-Plans war ihm eine „Herzensangelegenheit“.[8] Damit bezog er Position, denn anderen galt der Plan als „Landesverrat“, als Kniefall „vor der amerikanischen Finanzoligarchie“, aber auch als die „Mitteleuropa-Konzeption der deutschen Imperialisten von 1914“.[9] So behandelt Moslers Aufsatz aus einem tiefen Anliegen heraus ein großes und umstrittenes Thema, und das mit enormer Sachkenntnis, politischer Peilung und juristischer Schlagkraft. Das sind die Zutaten großer Beiträge.

Moslers juristisches Denken gilt als ‚pragmatisch‘. Zumindest in diesem Aufsatz kann man es genauer als ‚situativ‘ kennzeichnen: Es lebt aus dem Verständnis der politischen Lage, bezieht Position und wirkt auf sie ein. Die Lage ist Moslers Aufsatz nichts Äußeres, das er, wie viele dogmatische Beiträge, mit ein paar einleitenden Sätzen abhandelt, um sich dann der Pflege des umfriedeten dogmatischen Gartens zu widmen. Die genaue Erfassung der Lage ist vielmehr elementar für die rechtwissenschaftliche ‚Qualifizierung‘ des Vertrags, weit wichtiger als dessen Bestimmungen. So widmet Mosler über die Hälfte seines Beitrags der Lage, dargestellt anhand der politischen Interessen, Konflikte, Positionen, Projekte und Prozesse der Konsensbildung (S.1–23, 27–29). Mosler versteht dies als eine Beschreibung der „Entstehung“, heute spricht man von process tracing.

Gerhard Anschütz und Hermann Mosler am Institut, 1965[10]

Mosler versteht die Lage, für die der EGKS-Vertrag zu entfalten ist, im Grunde wie Schuman: Der Friede in Europa braucht eine neue Form internationaler Ordnung. Allerdings verzichtet Mosler auf den Begriff der Solidarität, dem in der Schuman-Erklärung eine Schlüsselrolle zukommt. Schuman denkt die europäische Einigung wohl mit Durkheims Soziologie solidarischer Vergesellschaftung, ein Ansatz, den Léon Duguit ins Verfassungs- und Verwaltungsrecht und Georges Scelle ins Völkerrecht einbrachten. Das fehlt bei Mosler, ebenso wie jeder Hinweis auf den ähnlich ausgerichteten sozialdemokratischen Europaföderalismus seines früheren Institutskollegen Hermann Heller oder auf den republikanischen Föderalismus des Manifests von Ventotene. Ich frage mich, ob der heutige deutsche Europarechtsdiskurs vertrauter mit dem Prinzip europäischer Solidarität wäre, hätte Mosler, mit Schuman, die europäische Integration als ein Projekt solidarischer Vergesellschaftung begriffen.

Mosler fokussiert ab dem allerersten Satz allein auf die „Große Politik“, also die Politik um Krieg und Frieden, die von einer kleinen Gruppe mächtiger Personen geprägt wird. Er präsentiert die Montanunion als Antwort auf die Dysfunktionalität des UN-Sicherheitsrats (S. 2). Es fehlt damit jeder Hinweis nicht nur auf Fragen der solidarischen Vergesellschaftung, sondern insgesamt auf die sozialen Konflikte der Zwischenkriegszeit, die zu autoritären, totalitären und damit oft aggressiven Regimen geführt hatten, ohne die der Zweite Weltkrieg und der nachfolgende Ost-West-Konflikt kaum zu verstehen sind.

Mosler blendet somit Wichtiges aus, was aber seiner Scharfsichtigkeit nicht schadet. Letztere zeigt seine ungewöhnliche Artikulation der Lage. Es gehe 1951 nicht darum, Westeuropa zu integrieren, so das übliche Verständnis, sondern die Montanunion solle vielmehr seine Desintegration verhindern:

Die Verflechtung der Wirtschaftsinteressen soll die tatsächlichen Voraussetzungen schaffen, die eine erneute politische Desintegration der zur Zeit durch die gemeinsame Bedrohung seitens des Ostblocks verbundenen Mitgliedstaaten unmöglich machen soll.“ (S. 23)

Damit artikuliert er das window of opportunity der ersten Sattelzeit. Dieses Fenster öffnet sich durch, erstens, die militärische, ökonomische, politische und weltanschauliche Abhängigkeit der westeuropäischen Staaten von den Vereinigten Staaten von Amerika, zweitens das amerikanische Bestreben, die europäischen Staaten in ihrer Einflusszone zu föderieren, und drittens die Wahrnehmung sowjetischer Bedrohung. Diese Lage impliziert den Verlust der Weltmachtstellung europäischer Staaten, aber auch eine gewisse Gemeinsamkeit ihrer Gesellschaftsordnung als Teil des sich formierenden geopolitischen Westens (S. 9). Dieser Machtverlust, dieser Gleichklang, diese Abhängigkeit, diese US-Politik und diese militärische Konfrontation bestimmen die Lage, aus der heraus sich die Montanunion versteht. Mosler präsentiert den Schuman-Plan zwar als ein autonomes französisches Projekt, das aber dieser Lage zu verdanken ist (S. 5).

Die ‚Große Politik‘ reagiert mit diversen Projekten auf diese Lage. Sie alle genügen nicht, denn sie bleiben in den Fesseln geschlagen, die in Deutschland das staatsrechtliche Denken artikuliert. Erst der Schuman-Plan „verläßt diese Anschauungswelt“ (S. 8) und bietet, so Mosler, den einzig brauchbaren Weg zu einer belastbaren Friedensordnung. So wiesen Moslers weltpolitischer Realismus und katholischer Idealismus denselben Weg.

Der EGKS-Vertrag verlässt die Anschauungswelt des überkommenen Völkerrechts und damit des überkommenen Staatsrechts. Mosler erschließt dies rechtswissenschaftlich mittels einer kategorialen Verortung seines Wesens im Lichte der Lage. Diese Verortung erfolgt ausgehend vom „Wesen internationaler Zusammenschlüsse im derzeitigen Stadium der Völkerrechtsentwicklung“ (S. 25–26). Eine solche begriffsanalytische „Wesensschau“ juristischer Phänomene konstituiert den Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung und erfolgt selbstredend mit eigenen Methoden. Mosler reflektiert also die politische Lage, operiert aber unter der Prämisse rechtswissenschaftlicher Autonomie. Solche rechtswissenschaftlichen Operationen sind politisch und gesellschaftsweit bedeutsam, weil sie die soziale Ordnung eigenständig entwickeln (S. 37).

„Der erste Schritt zur Einheit Europas“. Schaubild zur Gründung der EGKS[11]

Mosler bestimmt die „Anschauungswelt“, aus der sich das „Wesen“ internationaler Zusammenschlüsse ergibt, mit dem Begriff der souveränen Gleichheit der Staaten (S. 28).

Seine Befreiung wählt nun nicht den einfachen Weg, staatliche Souveränität als unumschränkte Herrschaftsmacht zu definieren und dann an den scharfen Klippen der Lage als obsolet kentern zu lassen. Vielmehr deutet er den Grundsatz im Lichte der Satzung der Vereinten Nationen, welche diese Lage reflektiert und gleichwohl die souveräne Gleichheit als Grundsatz postuliert (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Was ist also das befreiende Neue? Mosler fixiert den Schlüsselgedanken in der Lageanalyse. Es ist der Schritt, „ein zentrales wirtschaftliches Problem mit organisatorischen Mitteln zu lösen, die bisher nur dem Zusammenschluss selbständiger Länder zu einem Bundesstaat gedient haben“ (S. 8).

Das erste bundesstaatliche Element findet sich in der öffentlichen Gewalt, die der Vertrag begründet. Die Hohe Behörde, ein Gemeinschaftsorgan, kann einseitig verpflichtende Entscheidungen erlassen, die innerstaatlich gegenüber Behörden wie Privaten wirken. Bei Ungehorsam müssen mitgliedstaatliche Behörden die Entscheidungen vollstrecken, ohne dass es auf nationales Recht dabei ankäme. Dies impliziert die unmittelbare und vorrangige Wirkung der Entscheidungen und damit des Gemeinschaftsrechts, analog einem Bundesrecht (S. 44). Dagegen beanspruchen selbst Entscheidungen des Sicherheitsrats keine innerstaatliche Wirkung.

Die zweite Innovation kreist um die Unabhängigkeit des entscheidenden Organs. Nun setzt bereits der Begriff der internationalen Organisation eine gewisse Verselbständigung gegenüber ihren Mitgliedern voraus. Der Schuman-Plan übertrifft aber diese Verselbständigung, wie der Schlüsselbegriff der Überstaatlichkeit der Hohen Behörde verdeutlicht (‚supranationalité‘, Art. 9 EGKS-Vertrag). Überstaatlichkeit erfordert, dass die Behörde unabhängig entscheidet.

Diverse Bestimmungen dienen solcher Unabhängigkeit. Dazu zählt, dass die Behörde ein handlungsfähiges Gremium ist, per Mehrheit entscheidet und ihre Amtsträger weisungsfrei sind. Zudem müssen sich weder das Organ noch seine Amtsträger vor nationalen Institutionen verantworten, sondern nur vor der EGKS-Versammlung, der Keimzelle des Europäischen Parlaments. Dagegen unterliegen die Entscheidungsträger des UN-Sicherheitsrats staatlichen Weisungen und Verantwortungsstrukturen.

Das dritte Moment ist die Bedeutung der supranationalen Kompetenz. Die Entscheidungen der Hohen Behörde sollen Relevanz für politische Fragen im Sinne der ‚Großen Politik‘ erlangen, für Fragen von Krieg und Frieden. Deshalb hat die Gemeinschaft ein eigenes politisches Gewicht und ist weit mehr als nur eine Verwaltungsunion, wie sie seit dem späten 19. Jahrhundert existierten.

Mosler sieht das Neue, denkt es aber nicht, wie Hallstein und Monnet, als ein werdendes Staatsrecht.[12] Nach seinem Verständnis zielt die ‚Gemeinschaftsidee‘ vielmehr auf eine per Vertrag verfasste Föderation souveräner Mitgliedstaaten (S. 32) und sprengt damit die bisherige Anschauungswelt. Es bleibt die Frage, wie die Rechtswissenschaft diese Sprengung begrifflich nachvollziehen kann.

Die Sprengung

Walter Hallstein (stehend) hält 1962 den Vortrag „Die EWG politisch gesehen“ am Institut. Sitzend: Hermann Mosler, Hans Dölle[13]

Der EGKS-Vertrag etabliert, was staatsrechtlichem Denken ein Paradoxon ist: eine nicht-staatliche und staaten-überspannende haute autorité, also öffentliche Gewalt ohne Staatlichkeit. Mosler reflektiert das nicht im Lichte seiner früheren völkerrechtstheoretischen Konzeption, die Bilfingers Denken nahestand.[14] Man mag das so verstehen, dass mit dem EGKS-Vertrag für das juristische Denken ein neuer Tag begann und, weil die Eule der Minerva eben erst abends fliegt, die Zeit nicht reif war für eine Verfassungstheorie nicht-staatlicher Föderationen. Man kann Moslers Enthaltsamkeit aber auch so deuten, dass er sein früheres Denken nicht konfrontieren wollte.

Moslers rechtswissenschaftlicher Sprengakt implementiert keine politiktheoretische Revolution, sondern den politischen Sprengakt des EGKS-Vertrags, der den Weg in eine verfasste Föderation souveräner Staaten freimachen sollte. Moslers rechtswissenschaftlicher Sprengakt ist darauf kalibriert: Er hat einen juristischen Weg zu dem vermeintlichen juristischen Paradoxon einer verfassten Föderation souveräner Staaten frei zu legen, und gerade nicht zu einem europäischen Bundesstaat. Ginge es um Bundesstaatlichkeit, „so mag dieser Gedanke politisch revolutionär sein, eine schöpferische Rechtskonstruktion indes ist er nicht“ (S. 33).

Diese Sprengung soll also keiner europäischen Integration die Bahn brechen, wie sie etwa Friedrich Naumann nach dem Ersten Weltkrieg propagiert hatte. Naumann zielte auf „die Bildung von ‚Mitteleuropa‘ als des vierten Groß-Staates neben dem Britischen Reich, Rußland und den Vereinigten Staaten“ (S. 45). Das erscheint Mosler als der falsche Weg.

Wenn Staatlichkeit nicht mehr die politische Leitidee ist, dann muss die Rechtswissenschaft ihre überkommene Anschauungswelt verlassen. Nur so kann sie das politische Projekt des EGKS-Vertrags adäquat begleiten, das, als eine „engere Gemeinschaft, die in der Völkerrechtsordnung geläufigen Formen und Einrichtungen sprengt“ (S. 24). Zu konzipieren ist eine politische Föderation (S. 32), die nicht unter dem Telos künftiger Staatlichkeit steht.

Um die alte Anschauungswelt zu verlassen, aber gleichwohl brauchbare Bausteine in die neue Anschauungswelt mitzunehmen, bedarf es einer genau kalibrierten Sprengung. Mosler sprengt deshalb allein das überkommene Dogma der unteilbaren Souveränität (S. 32), indem er sie kurzum als teilbar und partiell fusionierbar setzt (S. 12, 24, 34, 39). So wird es konzeptionell möglich, dass die EGKS-Mitgliedstaaten Teile ihrer Souveränität durch die nationalen Ratifikationen fusionieren und so überstaatliche öffentliche Gewalt begründen.

Mosler reflektiert diesen Prozess mit dem Begriff der Föderation.[15] Dies liegt nahe, denn seit den Federalist Papers sind die Debatten über die Teilbarkeit von Souveränität und über das Wesen von Föderationen eng verbunden. Allerdings rekurriert Mosler nicht auf diese verfassungstheoretische Tradition. Ihm reicht es, dass das juristische Denken mit diesem Schritt Schumans ‚föderale Gemeinschaftsidee‘ grundbegrifflich nachvollziehen kann. Angesichts des offensichtlichen demokratischen Willens bedarf es keiner weiteren theoretischen Legitimation. So konzipiert Mosler das Gemeinschaftsrecht als ein föderales Recht, das sich als Ausdruck fusionierter Souveränität kategorial von einem Staatsrecht wie vom internationalen Recht unterscheidet (vgl. nur S. 9, 24, 34).

Das ist ein großer Schritt, grundbegrifflich wie politisch. Es ist bemerkenswert, dass Mosler ihn nicht nur mit den entsprechenden Positionen in der ‚Großen Politik‘ absichert, sondern zudem auf die öffentliche Meinung rekurriert: Sie wolle diesen Schritt zur Teilbarkeit von Souveränität und deren Fusion in einem nicht-staatlichen Verband (S. 13). Damit dokumentiert er, dass seine grundbegriffliche Arbeit nicht die isolierte Meinung politischer Eliten, sondern eine gesellschaftsweite Auffassung nachvollzieht.

„Einigt endlich Europa“. Pro-europäische Demonstration anlässlich der Konferenz der Außenminister der Montanunion in Baden-Baden, 1953[16]

Der Fusionsgedanke ist folgenreich. So ist in der neuen Anschauungswelt die überstaatliche öffentliche Gewalt nicht mehr, wie in der alten, als eine Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität zu verstehen. Denn sie ist ein Produkt der fusionierten mitgliedstaatlichen Souveränitäten, also nichts ihnen Gegenüberstehendes, kein ‚Anderes‘, sondern vielmehr sie selbst in einem neuen Zustand. Just deswegen steht Akten der EGKS kein Souveränitätsvorbehalt entgegen.

Es bleibt die Frage, ob dieser grundbegriffliche Schritt in eine teilbare Souveränität, der eine nichtstaatliche Föderation ermöglicht, elementare Errungenschaften verrät. Die Frage beschäftigt bis heute das europäische Verfassungsrecht. Die heutigen Zweifler fokussieren sich auf die Volkssouveränität und bestreiten, dass die Union ohne ein souveränes, sich selbst bestimmendes Unionsvolk als demokratisch gelten kann. Mosler hat keine Geduld für solche Positionen. Deren Vorstellungswelt erscheint ihm defizitär, weil idiosynkratisch. Es sei eine spezifisch deutsche Blickverengung, Föderation mit Bundesstaatlichkeit gleichzusetzen: „Der Gedanke an die deutsche Vergangenheit der letzten anderthalb Jahrhunderte legt ihm [d.h. dem deutschen Betrachter] die Vorstellung nahe, überstaatliche Zusammenschlüsse nur in etatistischer Form sehen zu können. […. Dies] ist den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft fremd“ (S. 33–34). Damit sieht Mosler den Weg frei, die Souveränität zu teilen und die EGKS als föderal zu begreifen.

Das Theorem der teilbaren und transnational fusionierbaren Souveränität sprengt so den Weg zu neuen begrifflichen Konstruktionen frei. Es erlaubt, die EKGS als Trägerin öffentlicher Gewalt zu konzipieren, die sie gegenüber ihren Gliedern und den Rechtsunterworfenen ausübt. Zur näheren Fassung dieser Gewalt nutzt Mosler bundesstaatliche Begriffe: Rechtserzeugung, Verwaltung und Rechtsprechung (S. 36). Dank seiner begrifflichen Grundoperation impliziert diese Qualifizierung keine Bundesstaatlichkeit. Heute ist es selbstverständlich, das gesamte Arsenal öffentlich-rechtlicher Begriffe auf die Union anzuwenden, ohne damit eine europäische Staatlichkeit zu implizieren. Moslers Beitrag steht am Anfang dieses Verständnisses überstaatlicher öffentlicher Gewalt.

Die Fusionierung der Souveränität für eine überstaatliche Föderation erfolgt durch einen völkerrechtlichen Vertrag. Mosler, seinem sprengfreudigen Impetus weiter folgend, qualifiziert dies als die „Vertragliche Errichtung eines verfassungsrechtlichen Teilgebildes“ (S. 32). Diese verfassungsrechtliche Qualifikation folgt zwanglos aus dem bisherigen Gedanken: Wenn die EGKS dank teilfusionierter Souveränitäten öffentliche Gewalt ausübt, dann klärt es die Rechtsnatur der diese Gewalt konstituierenden Grundbestimmungen, sie in verfassungsrechtlichen Kategorien zu begreifen.

Mehr noch: Da die neue Anschauungswelt demokratische Rechtsstaatlichkeit in Westeuropa schützen soll, ist es geradezu zwingend, ihr konstruktives wie kritisches Potenzial für den neuen Verband zu nutzen. Es entspricht dieser Grundentscheidung, die neue öffentliche Gewalt verfassungsrechtlich zu deuten, eben im Sinne der „notwendigen Bestandteile jeder gesellschaftlichen Ordnung“, die nun auch die EGKS erbringt.

Mosler ist umsichtig: Er unterscheidet den Begriff des Verfassungsrechts, den er adjektivisch für den EGKS-Vertrag verwendet, von dem der Verfassung, den er für den Übergang in eine europäische Staatlichkeit reserviert (S. 39). Damit bringt er zum Ausdruck, dass das, was er als ein verfassungsrechtliches Teilgebilde bezeichnet, nur in Ansätzen dem entspricht, was man im westlichem Erfahrungshorizont unter einer Verfassung versteht.

Mosler unterstreicht, das kritische Potential der verfassungsrechtlichen Rekonstruktion nutzend, die Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Weiterentwicklung. Obwohl er keinen republikanischen Föderalismus wie das Manifest von Ventotene vertritt, ist es auch für seinen Föderalismus offensichtlich, dass die EKGS-Versammlung zu einem Parlament auszubauen ist; er spricht sogar von einer europäischen Volksvertretung (S. 43). Die weitere Entwicklung hat zwar kein europäisches Volk generiert, wohl aber, so Art. 2 EUV seit 2009, eine europäische Gesellschaft, welche die Prinzipien des demokratischen Konstitutionalismus charakterisieren. Der Pfad von Moslers Aufsatz zu diesem Art. 2 EUV ist leicht zu ziehen.

Moslers Sprengung dient dem Weg in eine nicht-staatliche Föderation, ihr gilt seine Präferenz. Gleichwohl schließt er den Weg in eine europäische Staatlichkeit nicht aus. Mosler beschreibt die Schwelle in eine europäische Staatlichkeit mit einem Strauß von Gesichtspunkten, die sich um die Begriffe Macht und Schicksal gruppieren. Man kann zum einen Bundesstaatlichkeit aus dem Außenverhältnis erschließen: Europäische Bundesstaatlichkeit ist danach erreicht, wenn die Mitgliedstaaten zu einem einheitlichen politischen Schicksal dergestalt verbunden sind, dass sie gegenüber dritten Mächten eine Einheit darstellen (S. 35–36, 45). Man kann Bundesstaatlichkeit aber auch aus dem föderalen Verhältnis folgern: Danach liegt eine Staatswerdung vor, wenn ein Austritt eines Mitgliedstaats ihm ähnliche Schwierigkeiten bereitet wie der Austritt aus einem Bundesstaat (S. 39), weil die „Lebenssphären“ so eng verbunden sind (S. 44). Ein weiterer Gesichtspunkt ist, ob „die Gemeinschaft die Sezession im Sanktionsweg zu verhindern fähig“ ist (S. 44).

Betrachtet man diese Kriterien im Lichte der finanziellen ‚Nahtoderfahrung‘ griechischer Bürger aufgrund von Entscheidungen der Europäischen Zentralbank im Jahr 2015, der Konvulsionen des Vereinigten Königreichs im Zuge des Brexit, der Positionierung der Union im Ukrainekrieg, von Behauptungen, die Kommissionspräsidentin sei der (ja, der) vielleicht mächtigste Politiker Europas, so erscheint in Moslers Perspektive die Schwelle einer europäischen Staatswerdung in Sichtweite, wenn nicht gar schon erreicht.

Wo also stehen wir heute? Aus einer Distanz von mehr als 70 Jahren bringt mich Moslers Beitrag ins Grübeln über eine elementare Frage des europäischen Verfassungsrechts. Ich sehe darin den ultimativen Beweis seiner Aktualität.

***

Dieser Blogbeitrag beruht auf einem Aufsatz für die ZaöRV 4/2024 unter dem Titel Die Befreiung. Moslers europaföderale Sprengung des staatsrechtlichen Denkens.

[1] Hermann Mosler, Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Entstehung und Qualifizierung, ZaöRV 14 (1951), 1–45. Seitenzahlen im Text (S. X) beziehen sich auf diesen Beitrag.

[2] Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig: C.L. Hirschfeld 1899; Carl Schmitt, Über die zwei großen ‚Dualismen‘ des heutigen Rechtssystems. Wie verhält sich die Unterscheidung von Völkerrecht und staatlichem Recht zu der innerstaatlichen Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht?, in: Mélanges Streit [Festschrift für Georgios Streit], Bd. 2, Athen: Pyrsos 1940, 315–328.

[3] Zur Selbstbeschreibung: Hermann Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, ZaöRV 28 (1968), 481–502, 500.

[4] Foto: MPIL.

[5] Zu Kontinuitäten von Bruns über Mosler bis zum heutigen Tage: Anne Peters, Völkerrecht als Rechtsordnung: 1929 – 1976 – 2024, MPIL100.de; Armin von Bogdandy/Philipp Glahé, Alles ganz einfach? Zwei verlorene Weltkriege als roter Faden der Institutsgeschichte,MPIL100.de.

[6] Carl Bilfinger, Vom politischen und nicht-politischen Recht in organisatorischen Kollektivverträgen. Schuman-Plan und Organisation der Welt, ZaöRV 13 (1950), 615–659.

[7] Foto: BArch, B145 Bild-F000029-0035.

[8] Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Berlin: Springer 2017, 173.

[9] Nachweise siehe: Lange (Fn. 9), 177–178.

[10] Foto: MPIL.

[11] Foto: BArch B 285 Plak-022-011

[12] Jean Monnet, Les États-Unis d’Europe ont commencé: la communauté européenne du charbon et de l’acier. Discours et allocutions 1952 – 1954, Paris: Robert Laffont 1955; Walter Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat. Europäische Erfahrungen und Erkenntnisse, Düsseldorf: Econ 1969.

[13] Foto: MPIL.

[14] Vgl. seinen 1946 gehaltenen, Bilfinger gewidmeten Habilitationsvortrag: Hermann Mosler, Die Großmachtstellung im Völkerrecht, Heidelberg: Schneider 1949; dazu: Florian Kriener, Das Interventionsverbot in autoritären Kontexten. Hermann Moslers Intervention im Völkerrecht, MPIL100.de.

[15] Näher: Matteo Bozzon, Which Federalism for Europe? A Moslerian Path, MPIL100.de.

[16] Foto: BArch, B 145 Bild-F000812-0011/ Arntz. Prof.

 

Eine „ganz unverhoffte Freude“. Eindrücke aus der Gründungszeit des Instituts 1924-1926

A “Completely Unexpected Joy”. Impressions from the Time of the Institute’s Founding 1924-1926

Deutsch

Marie Bruns (1885-1952), geborene Bode, war ab 1915 mit Viktor Bruns verheiratet. Bereits in jungen Jahren übernahm sie für ihren Vater Wilhelm von Bode (1845-1929), Kunsthistoriker und Generaldirektor der Berliner Museen, Schreib- und Korrespondenzarbeiten. Auch am beruflichen und wissenschaftlichen Leben ihres Ehemanns hatte Marie Bruns intensiven Anteil. Häufig begleitete sie Viktor Bruns auf internationalen Vortragsreisen oder zum Ständigen Internationalen Gerichtshof nach Den Haag. Das Wirken ihres Mannes und das Leben am Institut hat Marie Bruns in vielen Tagebucheinträgen ausführlich dokumentiert. Überliefert sind insgesamt 18 Tagebücher, die fast 2800 eng beschriebene Seiten umfassen. Hinzu kommen zahlreiche Korrespondenzen, die sich heute in Familienbesitz befinden. Teile der Tagebücher wurden von ihrem Enkel Rainer Noltenius ediert[1], der uns freundlicherweise Zugang zu bislang unveröffentlichten Notizen seiner Großmutter gewährte. Hierzu gehört das Ehetagebuch von Marie Bruns, in welchem diese die Gründung des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht schildert.[2]

Völkerrecht statt Theaterkunde. Institutsgründung in letzter Minute

Der Winter 24/25 verlief glatt, ohne nennenswerte Erkrankungen. Er brachte uns eine große, ganz unverhoffte Freude. Viktor hatte in den vergangenen Jahren oft und reiflich den Plan eines deutschen Lehrbuchs für Völkerrecht erwogen. Er las auch Bücher und Broschüren darüber, ließ sich von Frau Wolff und juristischen Assistenten oder Studenten über den Inhalt von Büchern berichten, damit er nicht alles selbst durchlesen mußte. Selbst den Anfang des Lehrbuchs entwarf er im Kopfe; aber je weiter er kam mit dem Entwurf zu der Arbeit, desto klarer wurde ihm die Unmöglichkeit des ganzen Unternehmens. Er konnte an das Material nicht heran, das ihm am wichtigsten schien. Ein lückenhaftes Lehrbuch würde belanglos sein. Eine Arbeit von Jahrzehnten würde nötig werden, um das Material zur Kristallisierung der Völkerrechtswissenschaft zusammenzustellen. Wenn man ein Forschungsinstitut begründen könnte? Aber das war ja ausgeschlossen in diesen Zeiten.

Einige Wochen vor Weihnachten ließ er im Gespräch mit [Friedrich] Glum[3], dem Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ganz beiläufig ein Wort über diesen Institutsgedanken fallen. Sofort nahm ihn Glum sehr lebhaft auf. „Das ließe sich aber sehr gut machen“, sagte er, „voriges Jahr hat unsere Gesellschaft zu viel Geld bewilligt bekommen. Den Überschuß können wir für Ihr Institut verwenden. Aber wir müssen rasch handeln, denn sonst kommen uns andere mit törichten Unternehmungen zuvor. Da wird z.B. ein Institut für Theaterkunde geplant – was hat das für einen praktischen Nutzen?“

So ähnlich sprach Glum und gab Viktor gleich einige Ratschläge für die Ausführung des Unternehmens.

Auszug aus dem Tagebuch von Marie Bruns [4]

Zunächst mußte warmes Interesse für die Sache geweckt werden. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft konnte das Institut nicht alleine stützen; denn Viktor dachte es auf eine breite Basis zu stellen, damit die Wirkung eine umso weitgreifendere würde. Als geldgebende Protektoren wurden das Reich, Preußen, d. K. W. Ges. und die Notgemeinschaft[5] gewonnen.[6]

Es ging nicht ohne Kämpfe ab. Viktors Duzfreund [Werner] Richter[7] – damals Personalreferent im Kultusministerium – wollte durchaus ein preußisches Institut schaffen. Dann hätte man bei jeder Entscheidung auf das gnädige Interesse der ministeriellen Behörde warten müssen. Es hätte Verschleppungspolitik bedeutet – darum rang Viktor mit Richter, bis ihm sein Institut als selbständige Behörde bewilligt wurde.

Bescheidenerweise hatte Viktor drei Direktoren vorgeschlagen: Smend[8], Triepel[9] und seine eigene Person. Der Antrag auf das Triumvirat wurde aber abgelehnt und Viktor zum alleinigen Direktor ernannt. Ein Kuratorium[10] steht ihm zur Seite mit einer Reihe von Professoren darunter, deren Forschungen auf völkerrechtlichem Gebiet in der neu zu begründenden Zeitschrift niedergelegt werden sollen; repräsentative Pflichten, Propaganda-Besuche u. ä. nimmt der Präsident des Kuratoriums, zugleich Oberhaupt der Oberrechnungskammer und früherer Minister, Saemisch[11], Viktor ab.

Der Lehrkörper der Juristischen Fakultät Berlin 1921. Viktor Bruns (stehend, erster von links), Rudolf Smend (stehend, zweiter von links) und Heinrich Triepel (stehend, zweiter von rechts). [12]

Nachmieter des Kaisers. Die Institutsräumlichkeiten im Berliner Schloss

Unsere Freundin, Margaret Wolff, ist die Hausfrau des neuen Instituts und hat zugleich ein juristisches Referat. Dr. Wille[13] versieht mit dem tauben Cörnchen[14] den bibliothekarischen Dienst. Fünf Assistenten stehen Viktor neben Frau Wolff noch bei Seite, fünf Sekretärinnen wirken im Büro. Die Arbeitsstätte ist im dritten Stock des einstigen kgl. Schlosses.[15] Der Privataufzug der Majestäten, auf dessen Bank noch ein roter Überzug mit Kronen angebracht ist, führt zum Institut hinan. Wo ich früher so manches liebe Mal zum Unterricht der Prinzeß die Treppen heraufstieg[16], kann ich jetzt stolz fahren, und mein Mann ist der Herrscher in seinem Bereich. 32 Stuben stehen ihm zur Verfügung. Früher haben dort Unterbeamte gewohnt, die Weißzeugsbeschafferin z.B., die schönsten Zimmer mit Bad hatte der kaiserliche Leibarzt inne. Jetzt wohnt da Viktor in einer Stube; die andere ist zum Sitzungszimmer gemacht. Alle wissenschaftlichen Mitarbeiter und Assistenten haben ein Zimmer für sich.[17]

Die Sekretärinnen und Bibliothekarinnen des Instituts, 1931. Von links nach rechts: Ilse von Engel, Annelore Schulz, Jutta Selling, Charlotte Zowe-Behring und Liese Rapp.[18]

Da der Flügel sehr verwohnt war, hat Viktor zugleich Linoleum legen, Decke und Wände streichen und seine beiden Stuben sogar mit Samt bedecken lassen. Es sind freundlich lichte Farben gewählt, meist ein frisches Grün als Wandanstrich. Von dem weiten Himmel strömt viel Licht in die Stuben. Man fühlt sich hoch über Staub und lärmendem Verkehrsleben. Die Schwalben fliegen um die Fenster und streifen an dem Turm der alten Gertraudenkirche vorbei. Einige Stuben haben Aussicht auf den schönen alten Hof, und mitunter ragt ein Schienbein oder eine Krone von den großen Barockwappen in die Fensterbreite hinein. Sieben Bibliotheksräume und eine eigene Buchbinderei besitzt das Institut. Im Januar 1926 ist auch die Casinoküche eröffnet worden. Frau Fürst, die Frau des Hauswirts, stellt mit wenig Geld ein sehr nahrhaftes, gesundes und wohlschmeckendes Essen her. Die Sekretärinnen essen für 70 Pfg., die Herren für 1 Mark 40.

Der Institutsmittagstisch im Schloss. Um den Tisch von oben links: Victoria Rienäcker, Ruth von Braumüller (spätere Bischof), Charlotte Zowe-Behring, Else Sandgänger, Annelore Schulz, Ellinor Greinert. Aufnahme um 1935 [19]

Wie feudal macht es sich, wenn Viktor des Morgens im Institut anruft und zur Antwort erhält: „Hier Fürst im Schloß!“

Bis auf den langen, früher so finsteren Korridor hat sich alles verschönt: seit er weiß gestrichen ist, hat er etwas Eigenlicht bekommen.

Aber durchreisende Agrarier sind nicht immer zufrieden, daß Viktor sein Amt ins Schloß gelegt hat; denn er hat’s mal erlebt, daß ein sehr ländlich anmutendes Ehepaar das Schild am Außenportal studierte und seiner Entrüstung Ausdruck gab, daß nun auch Internationales Recht sich auf kaiserlichem Boden breit mache!

Ein schwieriger Start. Forschungsfinanzierung in Krisenzeiten

Alle Ausgaben für Renovierung und Gehälter mußten bis Ende 1925 auf Bankschuld gemacht werden.[20] Da der Geldstrom aus so verschiedenen Quellen floß, mussten eine ganze Reihe von Instanzen für die Sache des Instituts gewonnen werden. Es gab eine Art Spießrutenlaufen bei 11 Behörden oder Institutionen.[21] Viktor konnte seine diplomatischen Fähigkeiten nun in reichem Maße ausbeuten, um maßgebende Männer zu bearbeiten, die dann in entscheidenden Sitzungen ihre Stimme für ihn abgaben und seine Sache verfochten. Eine sehr geschickte Denkschrift[22] wurde den verschiedenen Regierungsherren eingeschickt, aber manche gaben sich nicht einmal die Mühe, diese Schrift zu überfliegen, und waren im psychologischen Moment völlig unorientiert. In der Reichsratssitzung scheiterte die Sache am Widerstand Bayerns.[23] Das entscheidende Wort sollte bei der nächsten Zusammenkunft gesprochen werden – aber die Bank wollte keinen Kredit mehr geben; es fehlte schon seit einiger Zeit das Gehalt, es fehlten die Gelder zu notwendigen Anschaffungen!

Diese Zeit der Klemme war schlimm für Viktor. Mehr als das viele Herumlaufen in den Ministerien und Ämtern griff Viktor die Wackeligkeit seiner ganzen Position an. Aber er war kein Mann, dessen Forschungen von einsichtsvollen Menschen einfach beiseite geschoben würden. Dazu war das Institut schon viel zu populär. Immer war die Verlegenheit des Auswärtigen Amtes und anderer Behörden groß gewesen, wenn Völkerrechtsfälle berührt wurden. Da konnte die Entente eine unverschämte Note schicken mit Anspielung auf einen solchen Fall, den kein Mensch recht kannte. Nachschlagebücher, die den rechten Bescheid geben könnten, waren nicht vorhanden, das Aktenmaterial war vergraben – wer weiß wo?

Diese Verwirrung sollte in Zukunft aufhören; denn Viktor wollte vor allem eine umfangreiche Materialsammlung gründen, deren Zusammenstellung und Ordnung das Werk des nächsten Jahrzehnts würde. Und alle maßgebenden Stellen hatten seinen Plan mit Jubel begrüßt. Ein Unternehmen, das mit so viel Begeisterung aufgenommen wurde, konnte nicht scheitern, besonders da es von Viktor mit so viel Verstand und Weisheit gestützt wurde. Er kann jedem nicht ganz beschränkten Menschen seine Gründe plausibel machen, weil er sich niemandem mit seiner Sache aufdrängt und jede Verhandlung ruhig, höflich, auch gelegentlich humorvoll und mit großer innerer Sicherheit führt.

Ein Herr, der für Sachsen seine Stimme abzugeben hatte, wurde erfolgreich von ihm bearbeitet und versprach, in der nächsten Reichsratssitzung die nötigen Erklärungen für Viktors Sache abzugeben, denn Bayern habe lediglich aus Mangel an Informierung Einspruch erhoben. Zum Glück ließ die Sitzung nicht lange auf sich warten und hatte den gewünschten Erfolg. Schulden konnten bezahlt, Angestellte besoldet und Anschaffungen bestritten werden. Das Spießrutenlaufen ist zwar noch nicht zu Ende, unter anderem muß das Plenum des Reichstags noch seine Bewilligung geben; aber mit dem Jawort des Reichsrats ist das Institut doch auf die Beine gestellt und wird in seiner Stellung nicht mehr erschüttert werden können. Von der grundlegenden Unterredung mit Glum bis zur Sanktionierung durch den Reichsrat war jedoch ein Jahr vergangen – bei der jetzt üblichen Verschleppung von Regierungsgeschäften nicht mal eine lange Spanne Zeit, wenn sie auch für Viktors Tatendrang die größte Folter bedeutete.

Blick aus den Fenstern der Institutsräume im Berliner Schloß: hier in den großen Schloßhof (Eosanderhof) aus dem Arbeitszimmerfenster von Gertrud Heldendrung und Annelore Schulz, 1930er Jahre[24]

Das Recht als Waffe der Schwachen. Forschung in staatlichem Dienst

Das Institut ist nicht das erste seiner Art in Europa. Frankreich besitzt schon seit dem Jahr 1876 eines, auch Italien hat gerade eins gegründet. Umso wichtiger ist es, daß nun auch Deutschland endlich [teil-] nimmt an den völkerrechtlichen Forschungen. England und Frankreich sind uns weit voraus. Wir meinten, uns auf Heer und Flotte stützten zu können und vernachlässigten darum das internationale Recht. Jetzt blieb uns das Recht als einzige Waffe, die wir aufs sorglichste [Wort fehlt] müssen.

Die Ziele des Instituts sind verschiedenartige. Im Vordergrund steht die Materialsammlung. Was an wichtigen völkerrechtlichen Dokumenten in Berliner Reichsämtern vorhanden ist, wird von Viktor zur Verfügung gestellt werden. Seine Assistenten und Frau Wolff, die Referate für bestimmte Länder zuerteilt bekamen, werden Auslandsreisen machen, um das nötige Material zusammen zu bringen. Im Lauf des Jahres wird Viktor eine Zeitschrift gründen, für die seine Mitarbeiter und die Assistenten Artikel über Zeitfragen schreiben werden. Man hat es ja erleben müssen, daß in Paris alle 14 Tage Aufsätze in Journalen erschienen, die völkerrechtliche Fälle von aller größter Wichtigkeit für Deutschland behandelten – und das Land, das es eigentlich anging, schwieg sich aus. Wenn Deutschlands Stimme auch noch so oft von der Entente überhört werden wird, ist es doch besser als daß es stumm bleibt wie ein Sklave in Ketten, der sich nicht zu rühren wagt.

Die jetzigen Assistenten werden nicht immer am Institut bleiben. Es soll für sie eine Lehrzeit sein, deren Auswirkung ihnen im künftigen Beruf – auf dem Lehrstuhl oder am grünen Tisch eines Ministeriums – zugutekommen wird. Dann werden andere Jüngere von Viktor herangezogen; es können auch junge Leute vom Auswärtigen Amt mal eine Zeit lang am Institut arbeiten, damit sie einen wissenschaftlichen Grund für ihre praktische Tätigkeit legen.

„Wie eine Frau ihren Mann und besonders den Chef des Instituts für Völkerrecht anhimmeln soll!“ Viktor und Marie Bruns, Wanderung zur Meeraug-Spitze (Rysy, Slowakei) 1926. [26]

Viktor hat seine Assistenten besonders sorgfältig ausgesucht. Drei unter ihnen haben einen juristischen Doktor mit einer selten verliehenen Auszeichnung bestanden. Seltsamerweise fand Viktor in Berlin wenig geeignete Leute. So kam es, daß, den Chef eingerechnet, augenblicklich 5 Schwaben am Institut tätig sind. Wahrscheinlich kommt Dr. Kohler aus Tübingen im Herbst als sechster noch hinzu. Die übrigen heißen: Dörtenbach, Heck, Maunz und – Friedrich Schiller![25] Solch Name läßt die Herzen höher schlagen. Die glänzenden Zeugnisse, die Schiller vom Ministerium des Inneren und von seinem militärischen Vorgesetzten im Kriege mitbrachte, berechtigten zu allerkühnsten Hoffnungen. Umso enttäuschter war ich, als mir der Träger des Dichternamens bei seinem ersten Besuch in unserem Hause wenig vertrauenserweckend und völlig seelenlos vorkam. Im Institut seufzten die Mitarbeiter und die Schreibfräuleins über seine Grobheit. Kann es sein, daß der Hauptgrund zu seinem Kriegsruhm in seiner Revolverschnauze gelegen hat?! Die Grobheit schien so sehr sein Element zu sein, daß er sich selbst mit Glum überwarf und über einem Briefe, der in höflichen Formen gehalten sein sollte, stundenlang brütete! Während der Wohnungssuche und hernach in der Zeit der Hausreparaturen erwies er sich als unentbehrlich. Er allein konnte die Handwerker, denen geschwätzig der Kropf sehr geschwollen ist, in Ordnung halten. Es kam ihm zu statten, daß er eiserner Besen war! Wie er sich für wissenschaftliche Arbeiten eignet, ist noch nicht festgestellt worden.

Ernst Martin Schmitz, undatiert. [28]

Seit kurzem arbeitet ein Rheinländer am Institut, Dr. Schmitz[27], der an Herz und Charakter wohl der feinste, geradeste und zuverlässigste unter den jungen Leuten ist, immer ein joviales Wesen zeigt und Vorzügliches leistet. Für Frau Wolff, die schwer unter dem Starrkopf, dem Widerspruchsgeist und der, wie sie sagt, intriganten Wesen von Schiller leidet, ist Schmitz der größte Trost. Sie selbst hat unendlich viel mehr Freude am Leben, seit ihre Berufstätigkeit sie so schön ausfüllt und seit sie durch die Freundschaft mit Viktor eine geachtete Stellung einnimmt. Am Auswärtigen Amt, wo sie vorher war, behandelte man sie schlecht und nützte sie dabei nach Kräften aus.

Auch Cörnchens Leben fließt leichter dahin, seit sie an der Institutsbibliothek arbeitet. Zwar liegt ihr der viele mechanische Kleinkram nicht und sie verströstet sich auf eine Zeit, wo sie Gelegenheit zu Übersetzungen haben wird – aber sie hat doch wenigstens eine gesicherte Zukunft. Wie lange suchte sie schon nach einer Stellung in Berlin, von der sie leben könnte – und niemand hat die taube Hilfskraft haben wollen. Viktor tut nun alles, um sie ihr Leiden nicht empfinden zu lassen, und ein gleicher Trieb beherrscht alle ihre Mitarbeiter. Im Stillen hoffe ich, dass Wille bald durch einen wirklichen Bibliothekar mit helleren Sinnen und jugendlicheren Weisen ersetzt werden wird. Er ist eine Hinterlassenschaft von Partsch[29], der sich in diesem Manne gründlich getäuscht haben muß. Seine Dummheit ist so groß wie seine Unselbständigkeit, denn er kommt alle 10 Minuten zu Viktor um einen Bescheid, und in der Zwischenzeit telefoniert er noch. (Dies Viktors eigene Aussagen über ihn.)

Die größte Aufgabe, die an Viktors bisher durchs Institut herantrat, war ein Gutachten für das Auswärtige Amt. Die Griechen hatten gegen Deutschland 500 Millionen Goldmark Schadensersatz eingeklagt für den Verlust von Schiffen, die während der Zeit der Neutralität von Deutschen in den Grund gebohrt waren.[30] Es galt festzustellen, daß die Griechen zu diesen Forderungen nicht berechtigt seien. Wie mir Viktor sagte, war das Thema das allerschwerste, das überhaupt innerhalb dieser Wissenschaft gestellt werden konnte. Eine Unmasse Literatur mußte von Viktor durchgearbeitet und das darin aufgefundene Material mußte sorgfältig gesichtet werden, ehe die kritische Arbeit beginnen konnte.

Die Arbeit zog sich dann auch so lange hin, daß zwei Sonntage zum Diktieren im Institut benutzt werden mußten. Am Tag nach der Ablieferung fuhr ein Herr aus dem Auswärtigen Amt mit dem Gutachten in der Tasche nach Paris, da der Prozeß, bei dem die Sache ausgefochten werden sollte, sogleich begann. Leider hat Viktor nicht viel Hoffnung auf Erfolg; denn der Richter in diesem Prozeß ist ein Holländer[31], der wenig Sympathie für Deutschland hat. Aber er hat das Seinige getan und sogar die große, schwierige Arbeit dem Deutschen Reich umsonst zur Verfügung gestellt.

An Arbeit wird es im Institut nicht fehlen; denn schon wird von verschiedenen Ämtern  um Gutachten gebeten, mehr als zur Zeit bei dem noch ungesammelten Material geleistet werden kann. Auch F. Trendelenburg[32], der sich sehr nett zu Viktor stellt, hat verheißen, ihm zwei kirchenrechtliche Fälle, die in Viktors Gebiet hineinspielen, zur Verfügung zu stellen.

Wissenschaft und Politikberatung. Das Institut als neues Aufgabenfeld

Das Beglückendste an der ganzen Sache ist Viktors Befriedigung. Wie hat es all‘ die Jahre auf ihm gedrückt, daß er sich zum Professor nicht geschaffen fühlte, daß ihn die Not des Vaterlandes zu praktischen Aufgaben drängte und ihn sein Vater daran gehindert hatte, Diplomat zu werden!

Ist er nun auch nicht als praktischer Politiker tätig, so kann er doch einen Teil des Materials für die Politiker ordnen, kann die Wissenschaft, die die grundlegende Basis für die Diplomaten ist, fördern und – wer weiß? – vielleicht auch hinter den Kulissen auf die Regierung einigen Einfluß haben. Ich selbst hoffe vor allem, daß sich Viktor in der internationalen Welt bald bekannt machen möchte und dann auch zu den Schiedsgerichten hinzugezogen wird.

„Viktor arbeitet bei Hitze auf unserer Veranda“ Štrbské Pleso 1928. [33]

Wenn das Institut auch als reines Forschungsinstitut nun der Wissenschaft dient, so hat Viktor als Direktor doch Gelegenheit genug, seine organisatorischen Gaben, seine praktische Veranlagung und seine Menschenkenntnis anzuwenden. Die Fähigkeit, richtige Menschen auf den richtigen Posten zu stellen, wird sein Institut zu einer Musterbehörde machen, aus der dann auch andere Behörden ihren Nutzen ziehen.

Ich finde Viktor völlig verwandelt. Er ist so heiter, jung und unternehmend geworden, er leistet am Tage ungestraft viel mehr als früher. So leiht die glückliche Seele dem Körper Flügel!

Manche interessante Reise wird Viktor in Institutsangelegenheiten unternehmen müssen. Die erste dieser Reisen ging im Januar 1925 nach Holland. Dort wollte er dem Präsidenten des Haager Schiedsgerichtshofs die Gründung des Instituts mitteilen. Bei der Zusammenkunft zeigte der Präsident – ein kluger Schweizer[34] – zunächst wenig Interesse für Viktors Angelegenheit. Aber je länger Viktor sprach, desto aufmunternder hörte er zu, und schließlich war er Feuer und Flamme für die Sache. Er sagte, daß ihm selbst etwas Ähnliches vorgeschwebt habe und er nur leider zu viel zu tun hätte, um die Gründung solchen Institutes zu veranlassen. Es wäre auch über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus von großer Wichtigkeit, und wenn Viktor je in Schwierigkeiten geriete, so möchte er sich nur an ihn wenden, er würde ihm jederzeit gern behilflich sein.

Das war es ja gerade, was Viktor erwartet hatte – wie schön der Name Viktor für ihn paßt! Was er auch unternimmt, gelingt ihm stets. Die Menschen pflegen so etwas „Glück“ zu nennen. In Wirklichkeit ist es aber die naturgemäße Folge seines kritischen Verstandes, seines geduldigen Abwartens eines günstigen Zeitpunktes und festen Zugreifens im geeigneten Augenblick. Noch nie hat er eine Sache übers Knie gebrochen; er läßt sie sich immer erst ausreifen. Er hat eine selten feine Witterung für Zeitverhältnisse, und er versteht, Widerstände in den Menschen zu besiegen durch die Stärke seiner Argumente, die Tiefe seiner Menschenkenntnis, die ruhige Würde seines Wesens und freundliche, humorvolle Umgangsart.

Seinen jungen Leuten ist Viktor ein väterlicher Freund. Er wird mit ihrer Eigenart glänzend fertig. Wie sehr hat er Schiller, den eisernen Besen, sehr bezähmt! Wenn es sich drum handelt, einen Menschen von einem ganz verrückten Vorhaben abzubringen, das sich dieser fest in den Kopf gesetzt hat, so zeigt er dem Betreffenden, wie er sich selber durch seine Handlungsweise schaden würde; so bewegt er die wunderlichsten Käuze, von törichten Vorhaben abzusehen. Niemals würde es ihm glücken, wenn er den [unleserlich] -süchtigen, hochmütigen Mentor spielte, wenn er dabei in Eifer geriete oder die Dinge von seinem eigenen Standpunkte aus beleuchtete.

***

[1] Rainer Noltenius (Hrsg.), Mit einem Mann möchte ich nicht tauschen. Ein Zeitgemälde in Tagebüchern und Briefen der Marie Bruns-Bode (1885-1952), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018.

[2] Auszug aus Marie Bruns, Ehetagebuch (1921-1929), Eintrag „Das Institut für Völkerrecht und ausländisches Staatsrecht“, Privatarchiv Rainer Noltenius, Bremen. Transkription und Annotation Philipp Glahé. Einzelne Rechtschreibfehler wurden stillschweigend im Sinne des Leseflusses korrigiert. Die Zwischenüberschriften wurden zur besseren Lesbarkeit eingefügt.

[3] Friedrich Glum (1891-1974), Jurist und Wirtschaftswissenschaftler. Von 1922 bis 1937 Generalsekretär der KWG.

[4] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[5] Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, gegründet 1920, war die Vorläuferorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

[6] Hierzu siehe auch: Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Weimarer Republik. Ausbau zu einer gesamtdeutschen Forschungsorganisation (1918-1933), in:  Bernhard vom Brocke/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1990, 197-355, 300-304.

[7] Werner Richter (1887-1960), Germanist. Ab 1920 Ministerialrat im Personalreferat der Hochschulabteilung des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, ab 1925 Ministerialdirektor und Leiter der Hochschulabteilung. Enger Mitarbeiter des Ministers Carl Heinrich Becker (1876-1933).

[8] Rudolf Smend (1882-1975), zum Zeitpunkt der Institutsgründung Professor für Staats-, Verwaltungs- u. Kirchenrecht, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und Fakultätskollege von Viktor Bruns. Wissenschaftliches Mitglied des Instituts und langjähriger Mitherausgeber der ZaöRV.

[9] Heinrich Triepel (1868-1946), ab 1913 Professor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht in Berlin, Lehrer Viktor Bruns. Wissenschaftliches Mitglied sowie Mitherausgeber der ZaöRV.

[10] Das Gründungskuratorium bestand aus: Adolf von Harnack, Ernst Heymann, Generalkonsul Paul Kempner, dem Bankier Arthur Salomonsohn, Georg Schreiber, Rudolf Smend, Erich Zweigert (Staatssekretär im Reichsinnenministerium), Max Donnevert (Ministerialrat im Reichsinnenministerium) und Friedrich Glum: Aufzeichnung über die Sitzung des Kuratoriums des Vereins „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V.“, 24. Juli 1925, BArch R 1501, pag. 117-121.

[11] Friedrich Ernst Moritz Saemisch (1869-1945), 1921 preußischer Finanzminister, 1922-1938 Präsident des Reichsrechnungshofes und der Preußischen Oberrechnungskammer, 1922-1934 zugleich Reichssparkommissar, Senator der KWG.

[12] Stehend, von links nach rechts: Viktor Bruns, Rudolf Smend, ?, ?, Heinrich Triepel, Karl Heinsheimer. Sitzend, von links nach rechts: Ulrich Stutz, Martin Wolff, ?, Wilhelm Kahl, Conrad Bornhak, Arthur Nußbaum, Ernst Heymann. Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[13] Aufgrund kriegsbedingt stark unvollständiger Aktenlage zur Geschichte des KWI hat sich diese Personalie nicht mehr klären lassen.

[14] Cornelia Bruns (1888-1965), genannt Cörnchen. Cousine zweiten Grades von Viktor Bruns.

[15] Die Institutsanschrift lautete: Berlin, Schloss Portal III. Die Räumlichkeiten im Schloss wurden dem Institut kostenlos überlassen. Im ehemaligen kaiserlichen Schloss war ab 1922 auch die Generalverwaltung der KWG untergebracht.

[16] Marie Bruns war eine Tochter des Kunsthistorikers Wilhelm von Bode. Von 1907 bis 1910 arbeitete sie als Kunstgeschichtslehrerin am Kaiserhof für Prinzessin Viktoria Luise von Preußen (1892-1970).

[17] Zu den Institutsräumlichkeiten im Schloss siehe auch: Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, München: C. Bertelsmann 1983, 164-165; allgemein: Christian Walther, Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss, Berlin: Verlag für Berlin Brandenburg 2021.

[18] Foto: AMPG.

[19] Foto: AMPG.

[20] Zur Finanzlage des Instituts: Brief von Viktor Bruns an den Reichsminister des Innern, datiert 14. September 1925, BArch R 1501, pag. 136-137.

[21] Dokumentiert in: BArch R 1501.

[22] Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für internationales öffentliches Recht der Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (undatiert), BArch R 1501, pag. 3-10.

[23] Siehe hier: vom Brocke (Fn. 6), 300-301.

[24] Foto: AMPG

[25] Aufgrund kriegsbedingt schlechter Aktenlage zur Geschichte des KWI lassen sich viele der Personalien nicht mehr über Personalakten rekonstruieren. Gesichert am Institut tätig waren Karl Heck (1896-1997), später Richter am BGH, Friedrich Schiller (1895-1990), später Ministerialbeamter. Dass Theodor Maunz (1901-1993) in den 1920ern am Institut tätig gewesen wäre, ist nicht bekannt. Ob es sich bei dem Assistenten Dörtenbach um Ulrich Doertenbach (1899–1958), Präsident der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, handelt, ist unklar. Zu Dr. Kohler ist ebenfalls nichts Weiteres bekannt.

[26] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[27] Ernst Martin Schmitz (1895-1942), seit 1926 am Institut tätig, seit 1934 stellvertretender Direktor.

[28] Foto: MPIL.

[29] Joseph Partsch (1882-1925), Professor für Internationales Privatrecht in Berlin.

[30] Zum Deutsch-Griechisch Gemischten Schiedsgericht und den verhandelten griechischen Entschädigungsforderungen siehe: Walter Bäumer, Entscheidungen über griechische Entschädigungsforderungen wegen deutscher Neutralitätsverletzungen im ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 16 (1975), 307-313; Michel Erpelding, Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Michel Erpelding/Hélène Ruiz-Fabri (Hrsg.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919-1939. An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581, 568.

[31] Carel Daniël Asser (1866-1939).

[32] Friedrich Trendelenburg (1878-1962), Ministerialdirektor und Leiter der Kirchenabteilung im preußischen Kultusministerium.

[33] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[34] Max Huber (1874-1960), war von 1924 bis 1927 Präsident des StIGH in den Haag.

English

Marie Bruns (1885-1952), née Bode, was married to Viktor Bruns from 1915. From an early age, she had taken on writing and correspondence work for her father Wilhelm von Bode (1845-1929), art historian and Director General of the Berlin museums. Marie Bruns was also closely involved in her husband’s professional and academic life. She often accompanied Viktor Bruns at his international lectures or to the Permanent Court of International Justice in The Hague. Marie Bruns closely documented her husband’s work and (social) life at the Institute in many diary entries. A total of 18 diaries have survived, comprising almost 2,800 pages of tightly composed handwriting, in addition to numerous pieces of correspondence that are now in family possession. Parts of the diaries have been edited by her grandson Rainer Noltenius,[1] who kindly gave us access to his grandmother’s previously unpublished notes. These include Marie Bruns’ marriage diary, in which she describes the founding phase of the Institute for Comparative Public Law and International Law.[2]

International Law Instead of Theatre Studies. The Institute’s Founding at the Last Second

The winter of 24/25 went smoothly, without any notable illnesses. It brought us a great, completely unexpected joy. Over the past few years, Viktor had often and thoroughly contemplated a plan for a German textbook on international law. He studied books and brochures about it and had Mrs. Wolff and legal assistants or students report on the contents of books so that he did not have to read through everything himself. He even sketched out the opening of the textbook in his head, but the further he got with the draft of the work, the more he realized the impossibility of the whole undertaking. He could not get hold of the material he considered most important. An incomplete textbook would be inconsequential. Decades of work would be required to compile the material needed to crystallize the study of international law. If only a research institute could be founded? Alas, that was out of question at times like these.

A few weeks before Christmas, he briefly mentioned this idea of an institute in conversation with [Friedrich] Glum[3], the director of the Kaiser Wilhelm Society. Glum immediately met him with great enthusiasm. “That could very well be done, indeed”, he said; “last year our society was granted too much money. We can use the surplus for your institute. But we must act swiftly, or others will beat us to it with foolhardy ventures. There are plans for an institute for theatre studies for example – what practical use is that supposed to have?”

That’s roughly what Glum told Viktor, and he promptly gave him some advice on how to carry out the undertaking.

Excerpt from Maire Bruns’ marriage diary[4]

First, it was necessary to arouse warm interest for the cause. Support for the Institute by the Kaiser Wilhelm Society alone would not suffice, as Viktor wanted to put it on a broad basis so that its influence would be all the wider. The Reich, Prussia, the K.[aiser] W.[ilhelm] Society, and the Emergency Association [of German Science][5] were secured as financial sponsors.[6]

This couldn’t be done without struggle. Viktor’s close friend [Werner] Richter[7] – Officer of Personnel in the Ministry of Education at the time – wanted to create a positively Prussian institute. That would have meant that, for every single decision, one would have to wait for the merciful interest of the ministerial authority. It would have meant obstruction – which is why Viktor wrestled with Richter until he was guaranteed independence for his Institute.

Viktor had modestly proposed three directors: Smend[8], Triepel[9] and himself. But the proposed triumvirate was rejected, and Viktor was appointed sole director. He is supported by a Board of Trustees[10], including a number of professors whose research in the field of international law is to be covered in a newly founded journal; Viktor is relieved of representative duties, propaganda visits, etc. by the President of the Board of Trustees, who is also the head of the Superior Accounting Chamber and former minister, Saemisch[11].

The legal faculty of Berlin University in 1921. Viktor Bruns (standing, first on the left), Rudolf Smend (standing, second from left), and Heinrich Triepel (standing, second from right)[12]

On Royal Premises. The Institute at Berlin Palace.

Our friend Margaret Wolff is the housewife of the new institute and at the same time a legal research fellow. Dr. Wille[13] is in charge of the library, together with deaf Cörnchen[14]. Besides Mrs. Wolff, Viktor is supported by five more assistants and five secretaries work in the office. The workplace is on the third floor of the former Royal Palace.[15] Their Majesties’ private elevator, the bench of which is still covered in a red lining with crowns, leads up to the Institute. Where I once climbed the stairs time and time again, on my way to tutor the princess,[16] I can now proudly ride up, and my husband is the ruler in his domain. He has 32 rooms at his disposal. Junior civil servants used to live there, the woman in charge of linen garments, for example. The most beautiful room with a bathroom was reserved for the Kaiser’s personal physician. Now Viktor lives in one room; the other has been turned into a meeting room. All research fellows and assistants have a room to themselves.[17]

The secretaries and librarians of the Institute, 1931.From left to right: Ilse von Engel, Annelore Schulz, Jutta Selling, Charlotte Zowe-Behring und Liese Rapp.[18]

As the wing was very run-down, Viktor had linoleum laid, the ceiling and walls painted, and his two rooms even covered with velvet, all at the same time. Light, friendly colours were chosen, mainly a fresh green for the walls. From the open sky, plenty of light gets into the rooms. One feels elevated above the dust and noisy traffic. Swallows fly around the windows and glide past the tower of the old Gertrauden church. Some rooms have a view of the beautiful old yard, and here and there a shinbone or a crown of the large baroque coats of arms protrudes into the width of the window. The Institute encompasses seven library rooms and its own bookbindery. Furthermore, in January 1926, the casino kitchen was opened. Mrs. Fürst, the janitor’s wife, prepares very nutritious, healthy and pleasant meals for little money. The secretaries eat for 70 Pfennig, the gentlemen for 1,40 Mark.

Lunch at the palace. Around the table, from the top left: Victoria Rienäcker, Ruth von Braumüller (later to become Ruth Bischof), Charlotte Zowe-Behring, Else Sandgänger, Annelore Schulz, Ellinor Greinert. Photo taken around 1935[19]

How feudal it sounds when Viktor makes a call to the Institute in the morning and the answer he receives is: “This is Fürst, at the palace!”.[20]

Except for the long, formally all too dim, corridor, everything has been beautified: since it’s been painted white, there is some light from within.

Yet the countryfolk travelling through aren’t always pleased with the fact that Viktor’s Institute took home in the palace; one time, he witnessed a very country-looking couple studying the sign on the portal and voicing their outrage over the fact that that nowadays, international law is occupying the Kaiser’s premises!

Off to a Rough Start. Acquiring Funding in Times of Crisis.

All expenses for the renovations and salaries had to be financed by bank credit up until the end of 1925.[21] Since the funding came from so many different sources, a plethora of authorities had to be won over in favour of the Institute. It was like running the gauntlet at 11 offices and institutions.[22] Viktor could put his diplomatic abilities to great use to convince the relevant men to vote in his favour in the relevant meetings and to defend his project.  A very smart essay[23] was sent to the various members of government, but some did not even care to skim it, and were entirely disoriented in the psychologic moment. During the summit of the Reichstag, the project was vetoed by [the state of] Bavaria.[24] A final decision was supposed to be made at the next meeting – but the bank denied further credit; the money for salaries had already been missing for a while and the money for crucial acquisitions was missing as well!

This time of holding the wolf by the ears was tough on Viktor. Much more than the constant rumbling around at the ministries and authorities, it was the precariousness of his position that affected him. But he wasn’t the kind of man to have his research pushed aside by people with some sense. The Institute already had too much of a name for that. The Foreign Ministry and other authorities had always been lacking in terms of international law. The entente would send in outrageous notes referencing a such and such case that nobody really knew about. Encyclopaedias to inform the gentlemen did not exist, the relevant were files buried – who knows where?

This confusion was to stop; as Viktor’s first goal was to establish an extensive collection of sources, the compilation and organisation of which would be the work of the coming decade. And all relevant authorities had gladly embraced his plan. An endeavour met with such enthusiasm couldn’t fail, especially since it was undertaken by Viktor with all his intelligence and insight. Everyone who has ears to hear can be convinced by Viktor, because he will never push his cause on anyone and conducts every discussion calmly, politely, with occasional humour, and with a strong inner certainty.

A gentleman representing [the state of] Saxony was successfully briefed by him and promised to make the necessary statements in the next session of the Reichstag, as Bavaria had only dissented for lack of information. Luckily, the session was soon to come and brought the desired results. The debt could be paid, as well as the staff, and acquisitions could be made. Viktor isn’t quite finished running the gauntlet, the Reichstag still has to agree, but with the verdict of the Reichstag the Institute is now established and cannot be robbed of its standing. Yet, between the first conversation with Glum and the sanctioning by the Reichstag a whole year had passed – not even a particularly long time, considering the ubiquitous obstruction of government action these days, but for Viktor’s entrepreneurial spirit, it was most torturous.

View from the windows of the Institute’s premises within Berlin Palace: Towards the Grand Courtyard (“Eosanderhof”) from Gertrud Heldendrung’s and Annelore Schulz’s office, 1930s[25]

Law as the Weapon of the Weak. Research in Service of the State

The Institute isn’t the first of its kind in Europe. France has had one since the year of 1876, and Italy has just founded one. It’s all the more important for Germany to finally [participate] in international law research in in its own right.  England and France are way ahead of us. We thought we could rely on our Army and Navy and therefore neglected international law. Now, law has remained as our sole weapon, which we will have to [word is missing] most diligently.

The objectives of the Institute are diverse. On the forefront is the collection of sources. Important international law documents scattered around the Berlin federal authorities will be made available to Viktor. His assistants and Mrs. Wolff, which have been assigned departments for certain countries, will travel abroad to gather necessary material. In the coming year, Viktor will found a journal, for which his fellows and assistants will write articles on the questions of the time. After all, one had to witness the publishing of essays on international law cases of the greatest relevance to Germany in the Paris journals every other week – while the country it was really about, did not raise its voice. If Germany’s voice is cast aside by the Entente time and time again, it’s certainly better than to remain silent like a slave in chains, who does not dare to even move.

The current assistants won’t stay at the Institute forever. It’s supposed to be a training for them, the influence of which will support their future work – as university professors or at a ministry desk. Viktor will then recruit new young gentlemen – young people from the Foreign Office can also work at the Institute for some time to establish a scientific basis for their practical work.

“How a wife is supposed to admire her husband, especially when he’s the head of the International Law Institute”, Viktor and Marie Bruns, Hike to the Meeraug Peak (Rysy, Slovakia), 1926[26]

Viktor has chosen his assistants with great care. Three of them have received their doctorates with very rare honours. Curiously, Viktor couldn’t find many eligible candidates within Berlin. That’s how it came about that there are now 5 Swabians at the Institute, including the director. A sixth one, Dr Kohler from Tübingen, will likely arrive in autumn. The other ones are: Dörtenbach, [Karl] Heck, Maunz and – Friedrich Schiller[27]! What an exciting name.[28] The excellent references Schiller had received from the Ministry of the Interior and his superiors in the military during the war gave way to the greatest of expectations. I was all the more disappointed when, during his first personal visit, the bearer of the poet’s name seemed hardly sympathetic and completely dull. At the Institute, the staff and secretaries were dispirited by his rudeness. Maybe, the main reason for his military success lied in his constant shooting off his mouth?! Rudeness seemed to be so innate to him that he even managed to get on the wrong side of Glum and that the drafting of a polite letter took him hours! Yet, during the search for an apartment and the following renovations, he was indispensable. He was the only one able to keep the contractors, who would beat their gums to the point of destruction, in check. Him being a ruffian was helpful. His fitness for research work is yet to be tested.

Ernst Martin Schmitz, undated[29]

Recently, a young man from the Rhineland has joined the Institute, Dr Schmitz[30], who is the finest among the young men in terms of heart and character, as well as straightforward, reliable, and witty and always produces excellent work. For Mrs. Wolff, who suffers greatly from the stubbornness, combativeness, and, as she reports, scheming nature, of Schiller, Schmitz is the greatest solace. She herself is so much more satisfied in her life, now that her work gives her purpose and she occupies a respected position, thanks to her friendship with Viktor. In the Foreign Office, where she had previously worked, she was ill-treated and exploited, by any measure.

Cörnchen’s life is also going better since she has been working in the Institute library. She isn’t quite happy doing the mechanical nitty-gritty and she hopes to be able to do translations in the future – but at least she has a secure future now. For how long she has been looking for employment to support her in Berlin and nobody wanted a deaf assistant! Viktor is doing everything in his power for her to not suffer from the effects of her disability and the other staff acts in the same vein. I secretly hope that Wille will soon be replaced by a real librarian with more alert senses and a more youthful ways. He is a relic of [Joseph] Partsch[31], who must have been wholly mistaken in his assessment of the man. His stupidity is as great as his lack of independence, as every 10 minutes he bothers Viktor with inquiries and in the meantime, he is on the phone. (This is what Viktor himself has said.)

The most extensive assignment to reach Viktor via the Institute, so far, has been a legal opinion for the Foreign Office. Greece had sued Germany for 500 million Mark in reparations for the loss of ships that had been sunk by Germans during its neutrality. [32] It had to be shown that the Greeks were not entitled to such claims. As Viktor explained to me, this issue was the single most difficult to be raised in the entire field. An incomprehensible amount of literature had to be worked through, and the materials referenced had to be analysed by Viktor before the critical work could be commenced.

Ultimately, the process was so extensive that two Sundays had to be used for dictations at the Institute. A day after its completion, a gentleman from the Foreign Office travelled to Paris with the legal opinion in hand, as the court hearings on the case were about to begin. Sadly, Viktor doesn’t have much hope for a successful outcome; because the judge presiding over the case is a Dutchman[33] who has little sympathy for Germany. But he did his part and even provided his extensive and hard work to the German Reich for free.

There won’t be a lack of work for the Institute, as different authorities are already asking for legal opinions, more than can be provided at the moment, without a proper collection of materials. F.[riedrich] Trendlenburg[34], who is very friendly with Viktor, has promised to hand over two canon law cases, crossing over in Viktor’s area of expertise.

Research and Political Advisory. The Institute as a New Domain.

The most joyous thing about it all is Viktor’s satisfaction. How much he has been weighed down all these years by the fact that he didn’t feel cut out to be a professor, that the suffering of the Nation called him to practical work and that his father had kept him from becoming a diplomat!

While he hasn’t become a practical politician, he can at least organize some of the materials for politicians; he can promote research, which is the basis of diplomacy and – who knows?  – maybe exude some influence on the government behind closed doors. I myself primarily hope that Viktor will soon make a name for himself on the international stage and will then go on to become a judge in Courts of Arbitration.

“Viktor working on our balcony on a hot day”, Štrbské Pleso, 1928[35]

Despite the Institute being a research institution devoted to science, Viktor, as its director, has plenty of opportunities to employ his talent for organization, his practical approach, and his knowledge of people. His ability to put the right people in the right positions will make the Institute into an exemplary office, which other authorities will profit from.

I feel that Viktor has been positively transformed. He is so happy, young and endeavours nowadays, working so much more than previously on any given day, without feeling the strain. How high spirits elevate the body!

Viktor will have to go on many interesting trips for the Institute, the first of which brought him to Holland in the January of 1925. He wanted to announce the foundation of the Institute to the President of the Court of Arbitration in The Hague. At the meeting, the President – a smart Swiss[36] – showed little interest the matter at first. But the longer Viktor spoke, the more he engaged and finally he was all for it. He said that he himself had had a similar proposal in mind, but he was unfortunately too busy to initiate the foundation of an institute. Its existence, he said, was of great importance, even beyond the Reich and he offered Viktor to come to him with any difficulties he might encounter, he would always be happy to be of service.

That was just what Viktor had expected – how fitting the name Viktor is for him! Whatever he sets out to do, always succeeds. People like to attribute that to “luck”. In reality it’s the natural result of his analytic mind, his patience in waiting for the right time, and decisive action when it comes to it. He has never been over-hasty; he gives the things the time that they need. He has a rare, delicate feeling for the sign of the times, and he knows how to break peoples’ resistance with the strength of his arguments, the depths of his insight into human nature, the calm dignity of his character, and friendly, witty conversation.

He is a fatherly friend to his young staff. He can deal with their ways brilliantly. How expertly he has gotten Schiller, the ruffian, under control! When someone needs to be persuaded out of some downright crazy endeavour, he has set his mind to, he will show the person in question how they will hurt themself in the process; and this is how he will keep the queerest cards from acting foolishly. This would never work out, if he were to portray the [unintelligible] grand mentor, get in over his head, or only ever saw things from his own perspective.

Translation from the German original: Sarah Gebel

***

[1] Rainer Noltenius (ed.), Mit einem Mann möchte ich nicht tauschen. Ein Zeitgemälde in Tagebüchern und Briefen der Marie Bruns-Bode (1885-1952), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2018.

[2] Excerpt from Marie Brun’s marriage diary (1921-1929), entry entitled “The Institute for International Law and Foreign State Law” [“Das Institut für Völkerrecht und ausländisches Staatsrecht“], Private Archive of Rainer Noltenius, Bremen. Transcription and annotation by Philipp Glahé. Individual spelling mistakes have been tacitly corrected and subheadings have been added to improve the flow of the text.

[3] Friedrich Glum (1891-1974), Jurist and Economist. Secretary General of the KWG from 1922 to 1937.

[4] Private Archive of Rainer Noltenius.

[5] The Emergency Association of German Science (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft), founded in 1920, was the precursor of the German Research Foundation (Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG).

[6] See on this: Bernhard vom Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Weimarer Republik. Ausbau zu einer gesamtdeutschen Forschungsorganisation (1918-1933), in:  Bernhard vom Brocke/Rudolf Vierhaus (ed.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1990, 197-355, 300-304.

[7] Werner Richter (1887-1960), Germanist. From 1920 Ministerial Councillor [Ministerialrat] in the Personnel Department of the Prussian Ministry of Science, Art and National Education, from 1925 Ministerial Director [Ministerialdirektor] and head of the Department of Higher Education. Close collaborator of Minister Carl Heinrich Becker (1876-1933).

[8] Rudolf Smend (1882-1975), at the time of the Institute’s founding professor for constitutional, administrative, and canon law at Friedrich Wilhelm University Berlin and a faculty colleague of Viktor Bruns. Academic member of the Institute and co-editor of the Institute’s Journal (today under the English title HJIL) for many years.

[9] Heinrich Triepel (1868-1946), professor of constitutional, administrative and canon law in Berlin from 1913, teacher of Viktor Bruns. Academic member and co-editor of HJIL.

[10] The first Board of Trustees [Kuratorium] included: Adolf von Harnack, Ernst Heymann, Consul General [Generalkonsul] Paul Kempner, the banker Arthur Salomonsohn, Georg Schreiber, Rudolf Smend, Erich Zweigert (State Secretary [Staatssekretär] in the Federal Ministry of the Interior), Max Donnevert (Ministerial Councillor [Ministerialrat] in the Federal Ministry of the Interior), and Friedrich Glum: Aufzeichnung über die Sitzung des Kuratoriums des Vereins „Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht e.V.“, 24. Juli 1925, BArch R 1501, pag. 117-121.

[11] Friedrich Ernst Moritz Saemisch (1869-1945), from 1921 Prussian Minister of Finance, President of the Federal Court of Audit [Reichsrechnungshof] and the Prussian Superior Accounting Chamber [Oberrechnungskammer] from 1922-1938, also Federal Austerity Commissioner [Reichssparkommissar] from 1922-1934, Senator of the KWG.

[12] Standing, from left to right: Viktor Bruns, Rudolf Smend, ?, ?, Heinrich Triepel, Karl Heinsheimer. Seated, from left to right: Ulrich Stutz, Martin Wolff, ?, Wilhelm Kahl, Conrad Bornhak, Arthur Nußbaum, Ernst Heymann. Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[13] As documents on the history of the KWI are sparse because of the war, the identity of this person could not be determined.

[14] Cornelia Bruns (1888-1965), nicknamed Cörnchen. Second cousin of Viktor Bruns.

[15] The Institute’s address was: “Berlin, Schloss Portal III”, today the building is known as Berlin Palace. The premises in the palace were given to the Institute free of charge. The former Royal Palace also housed the general administration of the KWG from 1922.

[16] Marie Bruns was a daughter of the art historian Wilhelm von Bode. From 1907 to 1910, she taught art history to Princess Viktoria Luise of Prussia (1892-1970).

[17] On the Institute’s premises within the palace, see also: Joachim von Elbe, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, München: C. Bertelsmann: 1983,164-165; More broadly: Christian Walther, Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss, Berlin: Verlag für Berlin Brandenburg 2021.

[18] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[19] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[20] Mrs. Fürst’s last name literally translates to “Lord” in German.

[21] On the financial situation of the Institute: Letter by Viktor Bruns to the Federal Ministry of the Interior, dated 14 September 1925, BArch R 1501, pag. 136-137.

[22] Documented in: BArch R 1501.

[23] Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für internationales öffentliches Recht der Kaiser Wilhelm Geselschaft zur Förderung der Wissenschaften (translation: “Essay on the Foundation of an Institute for Public International Law of the Kaiser Wilhelm Society for the Advancement of Science”, undated), BArch R 1501, pag. 3-10.

[24] See: vom Brocke (Fn. 6), 300-301.

[25] Photo: Archive of the Max Planck Society.

[26] Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[27] Due to the scarcity of files on the history of the KWI as a result of the war, many of the personal details can no longer be reconstructed from personnel files. Karl Heck (1896-1997), later a judge at the Federal Court of Justice [Bundesgerichtshof], and Friedrich Schiller (1895-1990), later a ministerial official, are known to have worked at the Institute. It is not known if it was Theodor Maunz (1901-1993), who worked at the Institute in the 1920s. It is also unclear whether the assistant “Dörtenbach” was Ulrich Doertenbach (1899-1958), President of the Stuttgart Chamber of Industry and Commerce. Nothing further is known about Dr Kohler either.

[28] Friedrich Schiller is also the name of one of the most well-known German classical playwrights and poets, Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759 -1805).

[29] Ernst Martin Schmitz (1895-1942), worked at the Institute from 1926 and became deputy director in 1934.

[30] Photo: MPIL.

[31] Joseph Partsch (1882-1925), professor for private international law in Berlin.

[32] On the German-Greek Joint Arbitration Tribunal and the Greek compensation claims negotiated, see: Walter Bäumer, Entscheidungen über griechische Entschädigungsforderungen wegen deutscher

Neutralitätsverletzungen im ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 16 (1975), 307-313; Michel Erpelding, Alphabetical List of the Mixed Arbitral Tribunals and their Members, in: Michel Erpelding/Hélène Ruiz-Fabri (ed.), The Mixed Arbitral Tribunals, 1919-1939. An Experiment in the International Adjudication of Private Rights, Baden-Baden: Nomos 2023, 547-581, 568.

[33] Carel Daniël Asser (1866-1939).

[34] Friedrich Trendelenburg (1878-1962), Ministerial Director (Ministerialdirektor) and Head of the Church Department in the Prussian Ministry of Science, Art and National Education.

[35] Photo: Private Archive of Rainer Noltenius.

[36] Max Huber (1874-1960), President of the PCIJ in The Hague from 1924 to 1927.

Völkerrecht im Radio. Marianne Grewe-Partsch interviewt das Institut 1966

Knapp 700.000 „Medieneinheiten“ auf mehr als 43 Regalkilometern Stellfläche umfasst die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg.[1] Hierzu zählen vor allem Bücher und Zeitschriften. Durchforstet man das fußballfeldgroße Bibliotheksmagazin, so stößt man aber auch auf andere, im Zeitalter der Digitalisierung rasant veraltende Speichermedien. Kistenweise CD-ROMS, Disketten und VHS-Kassetten befinden sich im Bibliothekskeller, alles sorgfältig archiviert und mit Signaturen versehen. Doch sammelte sich in hundert Jahren auch einiges an, das in keinem Katalog verzeichnet ist und einen vielfach langen Dornröschenschlaf schlief, wie das Tonband „Rundfunksendung im Hessischen Rundfunk am 6.6.1966“. Versteckt in einem Stehordner überdauerte das Band knapp sechs Jahrzehnte, ehe es sich durch Zufall wiederfand, mitsamt Begleitkorrespondenz und einem Transkript, das Aufschluss über den Inhalt der Sendung gibt. Das Tonband stellt die Aufzeichnung eines Instituts-Portraits der Juristin und Journalistin Marianne Grewe-Partsch (1913-2004) dar. Für die Sendereihe „Wissen im Wandel“ sprach sie 47 Minuten lang mit Institutsangehörigen über deren Forschung. Zu Wort kommen neben dem damaligen Direktor Hermann Mosler (1912-2001) dessen späterer Nachfolger Karl Doehring (1919-2011), der Schriftleiter der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) Helmut Strebel (1911-1992), der Leiter der Bibliothek Otto Steiner (1915-1999) und die Referenten Jochen Abr. Frowein (geb. 1934), Helmut Steinberger (1931-2014), Hermann-Wilfried Bayer (1933-2023) und Werner Morvay (geb.1933). Als besonderes Highlight vermerkt das Protokoll den Tonmitschnitt einer Referentenbesprechung. Das früheste aus der Institutsgeschichte bekannte Audio-Dokument ist ein besonderer historischer Schatz, der Einblicke in die Institutskultur und -arbeit der 1960er Jahre gibt.

Dank der Retrodigitalisierung des Tonbandes durch den Hessischen Rundfunk (HR), der das Original selbst nicht mehr in seinen Archiv-Beständen führte, ist das Radio-Portrait nun für die Öffentlichkeit verfügbar. Dieser Beitrag lädt also zu einer kleinen Zeitreise ein und möchte einige begleitende historische Kontextualisierungen geben.

Lesen statt Hören? Hier das Transkript zur Radiosendung.

Öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag. Rundfunk und Erwachsenenbildung

Marianne Grewe-Partsch 1968[2]

Das Radio-Feature von Marianne Grewe-Partsch ist ein Mitschnitt aus einer anderen Zeit. Etwas steif und formell mutet der Umgangston zwischen der Interviewerin und den Befragten an. Auch die Ausführungen der Interviewten wirken nicht selten wie gedruckt und eher unspontan. Dies mag mit dem ungewohnten Umgang mit Mikrophon und Aufnahmegerät zusammenhängen, aber auch mit dem, gemessen an heutigen Maßstäben, sehr hohen fachlichen Niveau der Sendung. Die Fragen von Marianne Grewe-Partsch, die nicht nur selbst promovierte Juristin war, sondern aus einer weitverzweigten Juristenfamilie stammte, sind anspruchsvoll.[3] Auch wenn die Interviewten sich darum bemühen, ihre Arbeit allgemeinverständlich darzulegen, verlangen ihre Ausführungen den Hörern einiges an Konzentration ab.

Das Feature der Serie „Wissen im Wandel“, die die Arbeit und Forschung verschiedener Max-Planck-Institute der nicht-fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellte, steht im Kontext der Radio-Bildungsprogramme der 1960er Jahre, von denen das von 1966 bis 1998 ebenfalls vom HR betriebene „Funkkolleg“ das bekannteste ist.[4] Angesichts der Bildungsexpansion und Überlastung sowie Neugründung vieler Universitäten, beschritt man mit den Bildungssendungen im Radio neue Wege und versuchte wissenschaftliche und universitäre Inhalte und Debatten einem weiten Publikum im Sinne der „Volksbildung“ zugänglich zu machen. Insbesondere das Funkkolleg fungierte als eine Art Abend- und Fern-Universität für nebenberuflich Studierende des Zweiten Bildungsweges. Marianne Grewe-Partsch, ab 1961 Programmredakteurin für „Frauenfunk und Erwachsenenbildung“ im HR, war eine der führenden Akteurinnen dieser neuen medialen Wissensvermittlung.[5] Die Reihe „Wissen im Wandel“ ist zwar nicht als universitäre Fern-Vorlesung angelegt, ist in ihrem Zuschnitt jedoch erkennbar Teil einer Demokratisierung der Wissensvermittlung. Für das Institut stellt das Feature ebenfalls ein Novum dar, da es bis dahin seine Forschung kaum jenseits der Fachwelt kommuniziert hatte.[6]

Männliche deutsche Prädikatsjuristen erforschen die Welt. Das Institut im Jahre 1966

Der Haupteingang des Instituts in der Berliner Straße 1961[7]

Das Radio-Feature gibt nicht nur einen Einblick in eine andere Zeit, sondern mit ihr in ein sehr anderes Institut, das sich in Aufbau, personeller Zusammensetzung und wissenschaftlichem Selbstverständnis in Vielem vom heutigen unterscheidet. Das Institut des Jahres 1966 war nahezu beschaulich. Insgesamt 47 Mitarbeitende hatte das MPIL, von denen knapp die Hälfte (22) in der Wissenschaft tätig waren.[8] Im Vergleich dazu: Im Jahr 2023 hatte das Institut 168 Mitarbeitende (unter ihnen 102 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler).[9] Die Belegschaft hat sich in sechs Jahrzehnten also mehr als verdreifacht, die Zahl der Forschenden sogar verfünffacht.

Forschung und Wissenschaftsmanagement des Instituts sind 1966 ebenfalls anders, nahezu behördlich, strukturiert. Orientiert am Referatssystem des Auswärtigen Amtes waren seit seiner Gründung 1924 die Forschungsgebiete des Instituts ist in Länderreferate unterteilt, die jeweils von einem Fachreferenten bearbeitet wurden. Im Interview mit Marianne Grewe-Partsch betonen Hermann Mosler und seine Mitarbeiter die im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) wurzelnde Tradition der gegenwarts- und praxisorientierten Forschung. Diese wurde nicht nur in der Forschungsorganisation, sondern auch in den Publikationsformaten fortgeführt. Themen der 1960er Jahre sind die Anknüpfung an die wissenschaftliche Politikberatung der Europäischen Integration der 1950er, die Politik der Vereinten Nationen und die „Deutsche Frage“.[10] Die 1960er sind für das Institut jedoch auch der Beginn einer langsamen Internationalisierung, die durch eine Vielzahl internationaler verfassungsrechtsvergleichender Kolloquien und der Aufnahme erster ausländischer Gäste am MPIL seinen Ausdruck fand.[11] Dennoch lag der Fokus des Instituts seinerzeit vor allem auf der Konsolidierung der Bundesrepublik, ihrer internationalen Integration und aktuellen Fragen des Völkerrechts beziehungsweise seiner systematischen Weiterentwicklung.[12]

 „Eine Ordnung für eine exklusive Gemeinschaft“. Hermann Mosler über das Völkerrecht (Min. 2:40 bis 10:32 und Min. 16:03 bis 19:41)

Marianne Grewe-Partsch befragt zu Beginn ihres Institutsportraits Hermann Mosler zu seinem Verständnis des Völkerrechts. Bereits 1937 ins Berliner KWI eingetreten und stark von Viktor Bruns in seinem Rechtsdenken beeinflusst, war Mosler 1954 zum Direktor ernannt worden. Mosler war nicht nur Wissenschaftler, sondern hatte als vormaliger Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und ab 1959 als deutscher Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen ausgewiesen praktischen Blick auf das Völkerrecht.

Mosler führt aus, dass das Völkerrecht nach traditionellem Verständnis das „Recht zwischen den Staaten“ darstelle und somit eine „Ordnung für eine exklusive Gemeinschaft“ von Rechtssubjekten sei. Diese Ordnung habe sich Mosler zufolge vor allem im „abendländischen zwischenstaatlichen Verkehr“ entwickelt und basiere auf Verträgen und allgemeinen Grundsätzen. Darüber hinaus hätten sich „in der jüngsten Zeit“ durch die wirtschaftliche Globalisierung und ein wachsendes „Netz“ internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaften eine neue Form der internationalen Verflechtung ergeben.

Auf die Frage, ob es in Zeiten des Blockkonflikts ein einheitliches Völkerrecht in Ost und West gebe, antwortet Mosler differenzierend. „Ost“ und „West“ sind ihm zu grobe Kategorien, „denn der Westen ist keine Einheit in diesem Sinne“, wie auch der Osten kein monolithischer Block sei. Mosler verweist auf die neuen Staatenbildungsprozesse des Globalen Südens und darauf, dass viele dieser Länder „blockfrei“ seien. Auch verwehrt er sich gegen den Begriff des „westlichen Völkerrechts“, da er hierin vielmehr einen ideologisch abwertenden sowjetischen Kampfbegriff sieht. Für Mosler ist das „westliche Völkerrecht“ das „eigentliche“ Völkerrecht, das sich aus der europäischen und amerikanischen Tradition entwickelt habe und „objektiv“ sei. Dennoch gebe es auch ein Völkerrecht, das zwischen Ost und West gleichermaßen gelte als eine „Ordnung für den Interessensausgleich“, wie sie unter anderem in internationalen Handelsabkommen ihren Ausdruck finde. Auch als Marianne Grewe-Partsch nach den Durchsetzungsmöglichkeiten des Völkerrechts fragt, betont Mosler vor allem den friedensorientierten Ordnungsgedanken des Rechts und dessen Durchsetzung über internationale (Schieds-) Gerichte.

Moslers Ausführungen sind in Anbetracht des Interview-Formats denkbar knapp. Dennoch werden sein eurozentrisches und praxisorientiertes Völkerrechtsverständnis wie auch seine Skepsis gegenüber den neuen nicht-staatlichen Akteuren greifbar, die er bald zehn Jahre später in seinem an Viktor Bruns anknüpfenden Grundlagenaufsatz zum „Völkerrecht als Rechtsordnung“ sehr viel mehr differenzieren sollte.[13]

Gemeinschaftsarbeit und Arbeitsteilung. Das Selbstverständnis des Instituts im Jahre 1966 (Min. 10:33-16:02)

Nach einem ersten Interview-Block mit Hermann Mosler folgt ein Überblick über die Geschichte und Aufgaben des Instituts, die an den offiziellen Selbstdarstellungen des MPIL orientiert ist.[14] Als Hauptaufgaben der Forschungseinrichtung charakterisiert werden die Sammlung und Aufbereitung des Materials zum Völkerrecht, Staats- und Verwaltungsrecht des Auslands aus und die Weiterentwicklung von Dogmatik und Systematik dieser Rechtsgebiete. Ebenso gehöre die Publikation dieser Materialien und ihrer begleitenden Erforschung zu den Kernaufgaben. Dies geschehe durch die institutseigene Zeitschrift ZaöRV, eine wissenschaftliche Monographien-Reihe (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht) und Quellenwerke (Fontes Iuris Gentium). Neben der Forschung habe das Institut jedoch auch praktische Tätigkeiten zu bewältigen, so in der Ausbildung von Nachwuchskräften für Universitäten, Ministerien und internationalen Organisationen und durch Gutachten und wissenschaftliche Beratung von öffentlichen Stellen. Auf die Frage Grewe-Partschs, was „nun die eigentliche Eigenart“ des Instituts sei, betont Mosler die praxisorientierte Gemeinschaftsarbeit.[15]

„Beiträge auch ausländischer Fachgenossen“. Helmut Strebel über die Instituts-Publikationen (Min. 19:41-23:20)

Helmut Strebel, 1972[16]

Helmut Strebel betont in seinem Gespräch mit Marianne Grewe-Partsch vor allem die Kontinuität des Heidelberger Instituts mit seiner Berliner Vorgängereinrichtung.[17] Schwerpunkt der Instituts-Publikationen sei, seit seiner Gründung, die Veröffentlichung amtlicher Quellen aus der völkerrechtlichen Staatenpraxis mit einem Fokus auf vertraglich nicht festgelegten Völkerrechtsgrundsätzen. Strebel kennzeichnet die Publikationspraxis durch ihre „Nähe zur Wirklichkeit und vorsichtige Zurückhaltung gegenüber theoretischer Ableitung“. Der Schriftleiter der ZaöRV hebt die Bedeutung des dokumentarischen Teils der Zeitschrift hervor, der ähnlich dem Editionsprojekt der Fontes Iuris Gentium darum bemüht sei, völkerrechtliche Quellen wie Verträge oder Gerichtsentscheidungen der Fachwelt öffentlich zugänglich zu machen. Strebel hebt hervor, die Zeitschrift habe sich „zu einer Art internationalen Forums entwickelt“. Und, was damals noch nicht selbstverständlich ist, die ZaöRV „bringt also Beiträge auch ausländischer Fachgenossen, vielfach in deren Originalsprache“.

Wie weit Anspruch und Realität bei der Rezeption der ZaöRV in Helmut Strebels Beitrag ineinandergreifen, war seinerzeit bereits strittig. Ein großes institutsinternes Thema war der merkliche Verlust des Deutschen als internationale Wissenschaftssprache, was sich auch auf die Rezeption der ZaöRV niederschlug, weshalb man beschloss, vermehrt auf Englisch zu publizieren.[18] Und auch trotz der vielen am Institut abgehaltenen internationalen Kolloquien bilanziert Felix Lange die internationale Strahlkraft des MPIL zurückhaltend: Das MPIL hätte „keine generellen dogmatischen oder theoretischen Konzeptionen [entwickelt], die international rezipiert wurden“.[19] Hierfür war man schlicht zu sehr auf die deutschen Forschungsfragen fokussiert.

Vor allem für Mitarbeiter. Otto Steiner und die Bibliothek (Min. 23:20-26:25)

Otto Steiner im Magazin im „Bücherturm“[20]

Selbstbewusst stellt Bibliotheksdirektor Otto Steiner[21] die umfangreichen Bestände der Bibliothek vor. 1966 umfasste diese knapp 130.000 Bände und 1200 laufende Zeitschriften, womit sie eine der größten völkerrechtlichen Fachbibliotheken der Welt darstellte: „Wir konkurrieren mit der Bibliothek des Friedenspalastes im Haag und der Bibliothek der Vereinten Nationen in Genf.“ Den Hauptbestand der Bibliothek machten laut Steiner Gesetzesblätter, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften, Parlamentsdebatten und die monographische Literatur des Staats- und Verwaltungsrechtes aus. Darüber hinaus würden aber auch „Veröffentlichungen auf dem geschichtlichen, vor allem außenpolitischen Gebiet“ gesammelt. Steiner betont, dass die Institutsbibliothek als Niederlassungsbibliothek der UN und der Europäischen Gemeinschaften sämtliche von diesen Organisationen gedruckte Publikationen sammle, wie auch alle Protokolle der Debatten der UN-Vollversammlung und des Sicherheitsrates.

Steiner unterstreicht, dass die Bibliothek  vordringlich für die Institutsmitarbeiter gedacht sei, „aber jeder, der ein ernsthaftes Interesse nachweisen kann, wird zur Benutzung der Bibliothek in den Räumen des Hauses zugelassen“. Hiermit spricht der Bibliotheksleiter die beginnende Öffnung des Instituts für Gastwissenschaftler an. Im Jahr 1966 wurde die Bibliothek laut Jahresbericht von 187 Gästen aufgesucht, von denen 47 länger als drei Monate am MPIL arbeiteten.[22] Damit kam das Institut seinerzeit an seine Belastungsgrenze. Ursprünglich war das Gebäude an der Berliner Straße ganz ohne Lesesaal gebaut worden, da die Bibliothek als reine Magazin- und Dienstbibliothek konzipiert worden war. 1959 war ein Vortragsraum angebaut worden, der zugleich als „Arbeitssaal“ für Bibliotheks-Gäste verwendet wurde. In den 1970ern wurde ein weiterer Lesesaal außerhalb des Instituts im Max-Planck-Haus mitgenutzt. In den Forschungsalltag integriert waren damals nur wenige Gäste. Im Jahr 1966 forschten zehn „ausländische Gast-Assistenten bzw. Referenten“ und Stipendiaten am Institut.[23]

„Wir haben eigentlich keine Hierarchie“. Karl Doehring über Teamwork (Min. 26:25-30:40)

Karl Doehring (rechts) mit Kay Hailbronner (mitte) und Ernst-Ulrich Petersmann (links), 1972 bei einer Referentenbesprechung.[24]

Karl Doehring wird von Marianne Grewe-Partsch als „stellvertretender Leiter“ des Instituts vorgestellt. Eine seiner Hauptfunktionen am Institut war die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit fünf wissenschaftlichen Mitgliedern, acht Referenten („eine Gruppe von jüngeren Herren“) und sechs Assistenten, also Doktoranden („eine Gruppe von, wenn ich das so sagen darf, ganz jungen Herren“), war die Forschungsabteilung am Institut in der Tat überschaubar.[25] Doehring betont, wie auch Mosler, dass sämtliche Institutsprojekte „in sogenanntem Teamwork“ bearbeitet würden. Hierbei gäbe es „eigentlich keine Hierarchie“. Dass Doehring das Institut als weitgehend „hierarchiefrei“ empfand, mag wohl neben der geringen Mitarbeiterzahl auch an der personellen Homogenität des Instituts gelegen haben. Die Forscher waren allesamt deutsche männliche Prädikatsjuristen, von denen die meisten an der Universität Heidelberg ausgebildet worden waren und in jungem Alter an das Institut kamen. Die geringen Auswirkungen der Studentenbewegung, die nur zwei Jahre später ihren Höhepunkt erreichen sollte, auf das MPIL zeugen ferner davon, dass am Institut die etablierten Strukturen seinerzeit nicht in Frage gestellt wurden.[26]

Doehring betont die Bedeutung des Instituts bei der Nachwuchsausbildung für Wissenschaft und Praxis. Ihm zufolge habe das Institut in den damals 42 Jahren seiner Existenz 30 Universitätsprofessoren hervorgebracht. Und in der Tat war der Einfluss des MPIL als „Kaderschmiede“ kaum zu unterschätzen. Sämtliche zehn Habilitanden Hermann Moslers erhielten Berufungen, sodass es laut Rudolf Bernhardt „nahezu ausgeschlossen [war], bei nationalen oder internationalen wissenschaftlichen Veranstaltungen zum Völkerrecht, zum Europarecht oder zum vergleichenden öffentlichen Recht keinem Schüler Hermann Moslers zu begegnen.“[27] Aber auch in das Auswärtige Amt, internationale Organisationen und Gerichte strahlte der Einfluss des MPIL über Jahrzehnte aus. Auch Karl Doehring selbst war, wie er hervorhebt, ein „Produkt“ des Instituts. 1949 war er als Assistent eingetreten, von 1980 bis 1987 war er als Direktor am MPIL tätig. 1967, ein Jahr nach dem Interview, folgte er als Ordinarius an der Heidelberger Universität Ernst Forsthoff nach.[28]

Der Referent. Herr Dr. Frowein (Min. 30:41 bis 33:01)

Schließlich wendet sich Marianne Grewe-Partsch an einen der, wie Karl Doehring es formulieren würde, „jüngeren Herren“. Vom damals 32-jährigen Jochen Abr. Frowein, der seit vier Jahren am Institut tätig ist, möchte sie wissen, was genau seine Aufgaben seien. Frowein berichtet von seiner Tätigkeit als Landesreferent für Großbritannien und das Commonwealth: „Die Aufgabe des Landesreferenten ist es, die Rechtsprechung und Verfassungsentwicklung in den einzelnen Staaten zu beobachten und insbesondere solche Fälle aufzunehmen, die von völkerrechtlichem Interesse sind.“ Auf Grewe-Partschs Frage, ob dies nicht sehr gute Englischkenntnisse voraussetze, erwidert Frowein, dass es am Institut auch „eine Reihe von Herren“ gebe, die auch „ausgefallenere Sprachen“ beherrschten, etwa Spanisch, Italienisch oder skandinavische Sprachen. Hatte die Beherrschung der englischen Sprache in den 1960er Jahren schon Seltenheitswert, so waren darüberhinausgehende Sprachkenntnisse bereits von exotischer Natur. Seit Anfang der 2000er Jahre kann Englisch im Institut als die Hauptwissenschaftssprache gelten, der Italienisch und Spanisch folgen. Obgleich Deutsch in seiner Bedeutung als Wissenschaftssprache schon in den 1960ern spürbar abgenommen hatte wie, auch das Französische, war es institutsintern bis in die 1990er auch bei internationalen Veranstaltungen dominierend.

Hermann Mosler eröffnet 1964 das Kolloquium zur Staatshaftung. Im Hintergrund Jochen Abr. Frowein[29]

Auch Jochen Abr. Frowein sollte zu jenen Absolventen des Instituts gehören, die eine eindrucksvolle Karriere in Wissenschaft und Rechtspraxis zurücklegten – nicht zuletzt, wie auch Karl Doehring und sein Mit-Referent Helmut Steinberger[30], als späterer Direktor des MPIL (1981-2002). Eine der Grundlagen seines späteren Lebensweges legte Frowein während seiner Tätigkeit als Referent, als er sich am Institut mit seiner 1968 erschienenen Schrift über Das de-facto Regime im Völkerrecht habilitierte.[31] Seine Arbeit war hierbei unmittelbar aus seiner Erfahrung als Landesreferent inspiriert, da seine Untersuchung zur Staatenpraxis im Umgang mit nicht-staatlichen beziehungsweise nicht als Staaten anerkannten „Gebilden“ wie der DDR maßgeblich von der Analyse des Umgangs Großbritanniens mit ehemaligen Commonwealth-Staaten beeinflusst war.[32]

Die Referentenbesprechung. Nachbereitung des internationalen Kolloquiums über die Staatshaftung 1964 (Min. 33:01 bis 47:00)

Papier, Stift und Zigarette. Referentenbesprechung, 1972 mit (v.l.n.r.): Fritz Münch, Helmut Strebel, Alexander N. Makarov, Bernhard Raschauer, Georg Ress, Helmut Steinberger, Albert Bleckmann, Alfred Maier, Meinhard Hilf, unbekannt, Rudolf Dolzer, Torsten Stein und Giorgos Papadimitriou[33]

„Jeden Montag treffen sich die Mitarbeiter zu einer Sitzung, in der über die aus der Arbeit entstandenen Fragen berichtet wird“ – ein besonderes „Schmankerl“, wenn man so will, ist der (bislang einzige bekannte) Tonmitschnitt einer Referentenbesprechung. Seit der Institutsgründung 1924 ist die inzwischen in „Montagsrunde“ umbenannte Besprechung ein Kernbestandteil des Institutslebens. Zu Zeiten des Referatssystems, das vor wenigen Jahren aufgegeben worden ist, berichteten die Referenten im Wochenrhythmus über die wichtigsten Entwicklungen in den von ihnen betreuten Landesgebieten.

Thema der 1966 mitgeschnittenen Besprechung, in der neben Hermann Mosler und Jochen Abr. Frowein (Min: 36:32 bis 39:37) die Referenten Helmut Steinberger (Min. 39:38 bis 41:42), Hermann-Wilfried Bayer (Min. 41:52 bis 43:18) und Werner Morvay (Min. 44:13 bis 46:25) zu Wort kommen, ist die Nachbereitung des internationalen Kolloquiums zur Staatshaftung, dessen Ergebnisse 1967 in einem dreisprachigen Bericht in den Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht erschienen sind.[34] Da der Rundfunk anwesend ist, widmet sich die Besprechung nicht der wissenschaftlichen Fachdiskussion, sondern ist erklärend angelegt und versucht der Hörerschaft den Gegenstand des Kolloquiums und die Arbeitsmethode des Instituts zu erläutern.

Hermann Mosler spricht auf dem Kolloquium zur Staatshaftung, 1964[35]

Die internationalen verfassungsvergleichenden Kolloquien der 1960er Jahre gehörten zu den wichtigsten wissenschaftlichen Formaten des Instituts und hatten eine hohe internationale Strahlkraft. An dem Kolloquium zur Staatshaftung nahmen mehr als 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 verschiedenen Nationen teil.[36] Dies entsprach vor allem Moslers Ansinnen, das Institut breit international zu verankern. Wie auch die anderen Kolloquien diente das Kolloquium zur Staatshaftung dazu, durch Rechtsvergleich empirisch allgemeine Rechtsgrundsätze zu ermitteln und in ihrer Entwicklung nachzuzeichnen.[37] Hierzu wurde im Vorfeld im Institut durch Günther Jaenicke und Jochen Abr. Frowein ein detaillierter Fragenkatalog entwickelt und an Wissenschaftler aus 20 verschiedenen Staaten sowie an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verschickt.[38] Die Ergebnisse der Fragebögen wurden letztlich am 17. und 18. Juli 1964 durch die Bearbeiter in Heidelberg vorgestellt und vom Institut in einem 900-seitigen, dreisprachigen Band veröffentlicht und analysiert. Mit Jochen Abr. Frowein, Helmut Steinberger, Hermann-Wilfried Bayer[39] und Werner Morvay[40] erläutern vier der Institutsreferenten, die an der Planung und Durchführung des Kolloquiums beteiligt waren,[41] in der Referentenbesprechung für das Radio-Publikum ihre Arbeit und legen Methode, Problemstellung und Erkenntnisse des Kolloquiums dar.

Fazit

Das Radio-Feature erlaubt einen neuen Einblick in die Institutswelt der 1960er Jahre. Als älteste bekannte Tonaufnahme aus dem MPIL ist das Tonband eines der frühesten Zeugnisse von „Öffentlichkeitsarbeit“ des Instituts. Das Radio-Feature dokumentiert die Arbeit und Forschung des MPIL erstmals für eine außerfachwissenschaftliche Öffentlichkeit. Somit liefert es hochspannende Impressionen zum Selbstverständnis der Forschenden, zur Forschungsorganisation, aber auch zum Institut als soziale Gemeinschaft. Gleichzeitig lädt das Feature dazu ein, sich mit dem „immateriellen“ Erbe der Institutsgeschichte zu befassen und innerinstitutionelle Institutionen wie die Referentenbesprechung historisch zu reflektieren, sowie sich mit dem Wandel (und Fortleben) eines institutsspezifischen Duktus und Stil in Denken und Auftreten auseinanderzusetzen.

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[1] Der Verfasser dankt Konrad Buschbeck und Marianne von Grünigen für ihr Feedback zu diesem Text und den einsichtsvollen Austausch zur Geschichte des Instituts der 1960er Jahre.

[2] Foto: hr/Kurt Bethke.

[3] Marianne Grewe Partsch ist die Tochter des Zivilrechtlers Joseph Partsch (1882-1925) und Schwester des Völkerrechtlers Karl Josef Partsch (1914-1996). Von 1943 bis 1958 war sie mit dem Völkerrechtler Wilhelm Grewe (1911-2000) verheiratet, deren gemeinsame Tochter Constanze Grewe ebenfalls Völkerrechtlerin wurde.

[4] Jochen Greven, Biographie eines Bildungsprojektes, in: Jochen Greven (Hrsg.), Das Funkkolleg 1966-1998. Ein Modell wissenschaftlicher Weiterbildung im Medienverbund, Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1998, 7-42, 7; Alexandra Kemmerer, Nur weiter im Skript, Herr Professor, FAZ 17. August 2020.

[5] Uli Gleich, Marianne Grewe-Partsch (6.1.1913–22.2.2004), Publizistik 49 (2004), 215–216, 215.

[6] Dies drückt sich vor allem in den Tätigkeitsberichten aus, die die Forschungsleistung des Instituts ausschließlich für Kuratorium, Fachbeirat und Generalverwaltung dokumentieren. Jenseits gelegentlicher Zeitungsartikel von Institutsangehörigen, in denen Völkerrechtsfragen von allgemeiner Relevanz behandelt wurden, kommunizierte das Institut seine Arbeit in gelegentlichen Broschüren und publizierten Berichten ansonsten rein innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft.

[7] Foto: Hermann Mosler, Geschichte des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.1961, Teil II, Göttingen: Hubert & Co., 687-703, 687.

[8] Jahresbericht Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht über die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1966, Ordner „Kuratorium. Sitzungsunterlagen II“, MPIL-Archiv.

[9] Armin von Bogdandy/Anne Peters (Hrsg.), Statusreport 2021-2023, Heidelberg: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, 92-93.

[10] Jahresbericht 1966 (Fn. 8); Felix Lange, Zwischen völkerrechtlicher Systembildung und Begleitung der deutschen Außenpolitik. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1945–2002, in: Thomas Duve/Jasper Kunstreich/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 49-90, 62-64; ferner: Armin von Bogdandy, Moslers europaföderale Sprengung des staatsrechtlichen Denkens, MPIL100.de (im Erscheinen).

[11] Es fanden folgende Kolloquien statt: „Staat und Privateigentum“, 1959; „Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart“, 1962; „Haftung des Staats für rechtswidriges Verhalten seiner Organe“, 1967; „Gerichtsschutz gegen die Exekutive“, 1969.

[12] Lange (Fn. 10), 64.

[13] Siehe hierzu: Anne Peters, Völkerrecht als Rechtsordnung: 1929 ─ 1976 ─ 2024, MPIL100.de.

[14] Mosler (Fn. 7).

[15] Mehr zur wissenschaftlichen Ausrichtung des Instituts siehe: Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Heidelberg: Springer 2017.

[16] Foto: MPIL.

[17] Helmut Strebel (1911-1992) war ab 1937 Referent am KWI in Berlin. Seit 1938 war er für die ZaöRV-Redaktion tätig, von 1949 bis zum Ruhestand 1979 war er Schriftleiter. Zudem war er wissenschaftliches Mitglied des Instituts, vgl.: Hermann Mosler, Helmut Strebel (1911-1992), ZaöRV 53 (1993), 266-269.

[18] Hermann Mosler, Vierzig Jahre Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 1-2 (1965), 32-34.

[19] Lange (Fn. 10), 64.

[20] Foto: MPIL.

[21] Otto Steiner (1915-1999) war 1950 in das Institut eingetreten und von 1960 bis 1980 Leiter der Bibliothek.

[22] Jahresbericht 1966 (Fn. 8).

[23] Als Institutsstipendiaten waren je ein Gast aus den USA, Griechenland und Österreich am Institut. Extern finanziert waren drei Gäste aus Italien, und je einer aus Jugoslawien, Griechenland, Schweiz und Spanien: Jahresbericht 1966 (Fn. 8); siehe auch hier: Moritz Vinken, Auf der Suche nach einer *lustvollen* Bibliothek – Vom Aufleuchten und Verglimmen des Raumkonzepts der Institutsbibliothek, MPIL100.de.

[24] Foto: MPIL.

[25] Die Angaben von Karl Doehring weichen jedoch von denen des Jahresberichtes 1966 ab. Dort heißt es, es seien zehn Referenten und drei Assistenten am Institut beschäftigt. Im Vergleich dazu: Heute arbeiten 34 Referenten (davon 14 Frauen) und 25 Doktoranden (davon 16 Frauen) am MPIL.

[26] Vgl. die Schilderungen von Bernhard Schlink über die 68er-Bewegung in Heidelberg: Bernhard Schlink, Sommer 1970, in: Bernhard Schlink, Vergangenheitsschuld. Beiträge zu einem deutschen Thema, Zürich: Diogenes 2007, 142-169. Das Institut war allein schon mit seiner Lage im Neuenheimer Feld, am damaligen Stadtrand Heidelbergs, weit von den Protestkundgebungen und dem Geschehen an der Universität in der Altstadt entfernt.

[27] Rudolf Bernhardt, Die Rückkehr Deutschlands in die internationale Gemeinschaft. Hermann Moslers Beitrag als Wissenschaftler und internationaler Richter, Der Staat 42 (2003), 583-599, 593; ferner: Felix Lange, Wider das “völkerrechtliche Geschwafel” – Hermann Mosler und die praxisorientierte Herangehensweise an das Völkerrecht im Rahmen des Max-Planck-Instituts, ZaöRV 75 (2015), 307-343, 312; Nico Krisch, The Many Fields of (German) International Law, in: Anthea Roberts et al. (Hrsg.), Comparative International Law, Oxford: Oxford University Press 2016, 91-110.

[28] Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, München: wjs Verlag 2008.

[29]  Foto: MPIL.

[30] Helmut Steinberger war von 1961 bis 1971 Referent am Institut. Nach seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und Richter am Bundesverfassungsgericht (1975 bis 1987) war er von 1987 bis 1997 ebenfalls Direktor am MPIL.

[31] Jochen Abr. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Rechtsstellung ‚nichtanerkannter Staaten‘ und ähnlicher Gebilde, Köln: Carl Heymanns Verlag 1968.

[32] Frowein (Fn. 31), 230.

[33] Foto: MPIL.

[34] Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe. Länderberichte und Rechtsvergleichung (Liability of the State for Illegal Conduct of its Organs. National reports and comparative studies – La responsabilité de l’Etat pour le comportement illégal de ses organes. Exposé de la situation dans différents pays et étude comparée). Internationales Kolloquium, Köln: Carl Heymanns Verlag 1967.

[35] Foto: MPIL.

[36] Darunter: Belgien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Italien, Japan, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Schweiz, Spanien, Südafrika, Türkei, USA; ferner mit Beiträgen von Wissenschaftlern aus Kolumbien (Leopoldo Uprimny) und Australien (Geoffrey Sawer).

[37] Hermann Mosler, Das Heidelberger Kolloquium über die Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), IX-XIII, X.

[38] ‘Systematischer Fragebogen‘, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), 1-7.

[39] Bayer war von 1962 bis 1966 Referent am Institut. Nach der Habilitation 1967 in Tübingen war er von 1972 bis 1998 Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Steuerrecht, an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum.

[40] Werner Morvay verbrachte seine wissenschaftliche Karriere am Institut.

[41] Vgl.: die vergleichenden Sachberichte von Helmut Steinberger, Hermann-Wilfried Bayer, Werner Morvay und Jochen Abr. Frowein, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Fn. 34), 753-809.