Eine „enge langjährige Beziehung“.[1] So bezeichnete der damalige Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) in einem Schreiben vom 5. August 1974 die Beziehung seines Hauses zum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (heute abgekürzt mit dem seit etwa 2005 geläufigen Akronym „MPIL“, das auch in diesem Text gelegentlich, und zuweilen unter bewusster Inkaufnahme von Anachronismen, zur Bezeichnung des Instituts verwendet wird). Mit seinem Brief an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in New York wollte Carl August Fleischhauer die Beziehung zwischen AA und MPIL noch einen weiteren Schritt vertiefen. Nachdem Deutschland im Jahr zuvor den Vereinten Nationen (VN) beigetreten war, bestand in der Rechtsabteilung ein erhöhter Bedarf, die Praxis der Vereinten Nationen genauer zu verfolgen und zu systematisieren. Wie bereits häufiger in der Vergangenheit erachtete das Amt das Institut als ideale Institution für diese Aufgabe. Daher ersuchte Abteilung V, die Rechtsabteilung, die Ständige Vertretung in New York, relevante Dokumente der VN unmittelbar an das MPIL zur weiteren Bearbeitung zu übermitteln. Das Ersuchen wurde zwar von der Ständigen Vertretung abgelehnt, da man selbst zu wenige physische Kopien der relevanten Beschlüsse und Dokumente erhielt.[2] Der Vorgang zeigt jedoch die wesentliche Bedeutung des MPIL im außenpolitischen Handlungsgefüge Deutschlands und die gegenseitige Wertschätzung von Rechtsabteilung des AA und MPIL.
Die Beziehung zwischen Amt und Institut soll hier auf mehreren Ebenen aufgearbeitet und anhand verschiedener Beispiele dargelegt werden. Hierzu wurden die relevanten Akten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes gesichtet. Der Beitrag beginnt daher mit einer Zusammenfassung der Quellenlage (I.). Darauf folgt eine aktenbasierte Analyse der verschiedenen Kooperationsfelder über die Zeitläufte der Jahrzehnte bis 1994. Untersucht werden die Beratungs- und Forschungstätigkeit des MPIL im Auftrag des AA (II.), die Kompilation, Archivierung und Systematisierung von völkerrechtlichen Dokumenten durch das MPIL (III.) und die Wissenschaftsaußenpolitik (IV.). Dabei stellt sich im Rahmen der verschiedenen Kooperationsfelder immer wieder die Frage, inwiefern das MPIL vom AA unabhängige Forschung betrieb beziehungsweise betreiben konnte und welche Natur die Beziehungen zwischen AA und MPIL hatten. Ein gesonderter Abschnitt widmet sich daher dieser Frage im Querschnitt (V.). Abschließend soll ein Ausblick dazu erfolgen, welche Aspekte der historischen Beziehung zwischen MPIL und AA für die zukünftige Beziehung bedeutsam sind (VI.).
I. Quellenlage: Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts
Für den Zeitraum 1924 bis 1940 wurde im Politischen Archiv durchgehend eine Akte zum Institut für ausländisches öffentliches Recht beziehungsweise (ab 1935) Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht geführt (Az.: R 54245 (1924-1933); R 54246 (1933-1937); R 43147 (1937-1940); R 43148 (1940)). Dort finden sich die gebündelte Kommunikation mit dem Institut und die relevanten Dokumente des Instituts, wie zum Beispiel die Denkschriften zu seiner Gründung und die Protokolle des akademischen Beirats. Für den Zeitraum zwischen 1941 und 1945 sind keine Akten aufzufinden. Hierfür konnte ich keine Erklärung finden – eine Vernichtung oder sonstiger Verlust der Akten sind nicht vermerkt worden.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde nicht mehr eine beständige Akte zum MPIL geführt. Die Kommunikation mit dem MPIL taucht vielmehr themenbezogen in unterschiedlichen Gebieten auf. Die jüngste Akte reicht bis 1994.
II. Beratungs- und Forschungstätigkeit im Auftrag des AA
Aus Perspektive des AA bilden völkerrechtliche Beratungstätigkeit des MPIL und beauftragte Forschungsarbeit die zentralen Aspekte der Zusammenarbeit. Bereits in der Denkschrift zur Errichtung eines Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht von Staatsminister a.D. Friedrich Saemisch wird das zu gründende Institut als zentrale Stelle für den völkerrechtlichen Bedarf der Reichsministerien konzipiert.[5] Der Standort Berlin sei deshalb unerlässlich. Das Institut sollte als zentrale Institution dienen, um bei der „Abwehr unberechtigter Kriegsansprüche“ die Ministerien und insbesondere das AA in ihrer Praxis zu beraten.[6]
In Erfüllung dieses Auftrags wurden am Institut insbesondere Gutachten zu verschiedenen Fragen des Völkerrechts verfasst, die für die außenpolitische Praxis Deutschlands relevant waren. Dabei vertrat das Institut in dem hier untersuchten Zeitraum (1924 bis 1994) in der Regel staatsnahe Thesen, die den außenpolitischen Interesse Deutschlands weitestgehend entsprachen. Die genaue Anzahl an Gutachten ist nicht bekannt. Diese wurden auch nicht einheitlich, sondern themenbezogen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts archiviert und konnten daher nicht umfassend ausgewertet werden. Einige Kolleginnen und Kollegen haben auf diesem Blog bereits einzelne Gutachten näher erörtert.[7]
Einen wesentlichen Aspekt der Beratungstätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg bildete die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Das Institut war direkt von Beginn der Verhandlung an in die Pläne der Schuman-Kommission eingeweiht. Alle relevanten Dokumente wurden unmittelbar an das Institut weitergeleitet, das diese aufarbeiten und systematisieren sollte.[8] Im Zuge dessen fragte das AA immer wieder einzelne Aspekte nach. Zum Beispiel bat Hermann Mosler, der damalige Leiter der Rechtsabteilung, im Jahr 1952 den seinerzeitigen Direktor Carl Bilfinger um die Zusammenstellung und Übersendung der relevanten Dokumente und wissenschaftlichen Beiträge zur Montanunion.[9]
Ein zweiter Aspekt der Beratungstätigkeit in der Nachkriegszeit war die Abwehr von Entschädigungsansprüchen und Strafverfolgung für die Verbrechen des Deutschen Reichs. Im Auftrag des AA erstellte Carl Bilfinger mehrere Berichte über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien zum Strafausschließungsgrund des Handelns auf Befehl.[10] Weiterhin erstellte Carl Bilfinger ein Gutachten dazu, weshalb Maßnahmen gegen das deutsche Eigentum in Palästina rechtswidrig seien.[11]
III. Kompilation, Archivierung und Systematisierung von völkerrechtlichem Material
Eng mit der Beratungsfunktion ist die Kompilations- und Archivierungsfunktion des MPIL verbunden. Das Institut begann unmittelbar nach seiner Errichtung damit, die völkerrechtliche Praxis des Deutschen Reiches und später der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zu dokumentieren. Ein wesentlicher Teil der Aktenbestände im Politischen Archiv sind Anfragen der jeweiligen Direktoren an die Rechtsabteilung mit der Bitte um Übersendung von völkerrechtlich relevantem Material.[12] Diesen Anfragen wurde durchgehend entsprochen.
Die Kompilationsarbeit wurde von einer Systematisierungsarbeit begleitet. In der Denkschrift des ersten Direktors Viktor Bruns zur Institutsgründung wird die Unübersichtlichkeit der „tausenden Staatsverträge“ hervorgehoben, die durch das Institut geordnet werden sollen.[13]
Die Ergebnisse dieser Systematisierung wurden mit dem AA geteilt. Im Jahr 1940 – dem zweiten Kriegsjahr – wurden in regelmäßigen Abständen Berichte über das Prisenrecht und die wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Deutschland übersandt.[14] Es ist anzunehmen, dass diese Berichterstattung auch nach 1940 fortgeführt wurde. Für diesen Zeitraum liegen jedoch keine Akten vor.
Die bedeutendste Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg war das große Systematisierungsprojekt zur Erfassung und Auswertung der deutschen völkerrechtlichen Praxis. Nachdem Hermann Mosler aus dem AA an das Institut gewechselt war, begannen Arbeiten zur Aufarbeitung der völkerrechtlichen Praxis.[15] Diese war laut Mosler notwendig, da durch die zwei Jahrzehnte der Weltkriege eine Systematisierung nicht habe verfolgt werden können.[16] Mit der Nachholung dieser Erfassung strebte Hermann Mosler eine Reintegration Deutschlands in die Staatengemeinschaft an, wie sie Felix Lange eingehend beschrieben hat.[17] Staatssekretär Walter Hallstein bekundete, nicht überraschend, persönliches Interesse an diesem Projekt und förderte es entsprechend.[18] Das systematische Werk zur deutschen völkerrechtlichen Praxis sollte ein wichtiger Beitrag zur deutschen Außenpolitik sein.
Der Vertrag hierzu zwischen Amt und Institut wurde am 15. Juli 1955 unterzeichnet.[20] Das Institut erhielt für seine Dienste einen monatlichen Betrag und eine Referentenstelle. Ein wesentlicher Aspekt der Systematisierungsarbeit war die Auswertung von völkerrechtlichem Material im AA.[21] Hierzu wurde stets ein Mitarbeiter des Instituts nach Bonn gesandt, der die Akten auswertete und für das Heidelberger Institut rezipierte.[22] Weiterhin wurden die Auslandsvertretungen per Runderlass V 1 – 89.07/2 darum gebeten, die völkerrechtlichen Verträge ihrer Gaststaaten zu sammeln und über die Rechtsabteilung an das Institut zu übersenden.[23]
Im Verlauf des Projekts gab es dabei immer wieder Koordinationsbedarf. Das Institut fragte zwischenzeitlich nach mehr Personal.[24] Zeitweise war die Freigabe bestimmter Dokumente kompliziert.[25]
Mehrfach wurde das Projekt verlängert.[26] 1969 wurde die Kompilierung von Verträgen durch die Auslandsvertretungen jedoch eingestellt, da die zur Erfassung vorgesehene Vertragskartei im MPIL nicht funktionierte und es daher nicht zu einer Auswertung und Systematisierung der Verträge im Institut kam.[27] Das Systematisierungsprojekt wurde indes niemals förmlich beendet. Eine vorgesehene Abschlusspublikation über die völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik wurde nie erstellt. Zwar erschienen über einen geraumen Zeitraum hinweg wiederkehrende Aufsätze über die völkerrechtliche Praxis der BRD in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Diese entsprachen jedoch nicht der ursprünglich anvisierten Publikation einer umfassenden Monographie.
IV. Wissenschaftsaußenpolitik
Das Institut wurde auch jenseits seiner wissenschaftlichen Rolle und Bedeutung als einflussreicher Akteur im außenpolitischen Handlungsgefüge des Deutschen Reichs und der BRD tätig. Diese Wissenschaftsaußenpolitik erstreckte sich auf mehrere Felder.
Zunächst vermittelte das Institut Kontakte zwischen dem AA und ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Im Jahr 1927 stellte Viktor Bruns beispielsweise den amerikanischen Völkerrechtler Manley O. Hudson im AA vor.[29] Auch der Bibliothek kam eine bedeutende Rolle in der Kontaktpflege und der Verbreitung deutscher Staatenpraxis zu. Durch ihre Kontakte mit ausländischen Bibliotheken übermittelte sie deutsche Noten und Verträge zur dortigen Erforschung. Insbesondere die Beziehung zur Widener Library an der Harvard University veranlasste regelmäßige Nachfragen beim AA zur Überlassung von deutschen Stellungnahmen und Verträgen.[30] Diese wurden über die Institutsbibliothek an deren Partnerinstitutionen weitergeleitet.
Ein weiteres zentrales Instrument der Wissenschaftsaußenpolitik war die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV). Die Zeitschrift besteht seit 1929 und untersucht in breitem Umfang Fragen des Völkerrechts und des ausländischen öffentlichen Rechts. Seit den ersten Bänden zeigte das AA großes Interesse an ihrer Verbreitung auch im Ausland. Mit Runderlass V 5183 vom 18. Dezember 1930 machte das AA seine Auslandsvertretungen auf die neue Publikation aufmerksam und regte ihre Verbreitung an.[31] In Reaktion auf den Runderlass baten die Auslandsvertretungen in Stockholm, Budapest, Zürich, Madrid, Washington, London, Chicago und Bukarest um die Überlassung von Probeexemplaren und gaben teilweise Adressen und Kontaktpersonen in ihren Gaststaaten an, um die direkte Übersendung zu ermöglichen.
Aufgrund dieser wissenschaftsdiplomatischen Bedeutung nahm das Auswärtige Amt bereits früh auf die Publikationsgrundsätze der Zeitschrift Einfluss. Mit Schreiben vom 25. August 1930 wurde Direktor Bruns darum gebeten, das AA zu konsultieren, bevor zu schwierigen Fragen in der ZaöRV publiziert wird.[32]
Die wissenschaftsdiplomatische Rolle der ZaöRV intensivierte sich nach 1933. Mit dem Ziel, die Zeitschrift und damit auch deutsches völkerrechtliches Denken im Ausland zu verbreiten, wurde die ZaöRV ab Juli 1934 durch das AA subventioniert.[33] Vorherige Anfragen nach einer Subventionierung waren noch abgelehnt worden.[34] Nun konnte der Verlag De Gruyter die Kosten pro Heft absenken. In seiner Ankündigung der Preissenkung an die Leserschaft vom 27. September 1934 wurde auf die Subvention durch das AA jedoch nicht hingewiesen.[35] Die Subventionierung wurde bis mindestens 1940 fortgesetzt.[36] Entsprechend intensivierten sich auch die Einwirkungen auf die Publikationslinie. Auf Nachfrage von Viktor Bruns vom 23. Oktober 1935 sprach sich das AA gegen die Veröffentlichung eines Manuskripts zu Fragen der deutschen Minderheit in Südtirol aus. Als Begründung wurde seitens des AA vorgetragen, dass die darin vertretene Auffassung Deutschland schade.[37]
Das AA förderte auch Forschungsreisen einzelner Institutsmitglieder, sowohl durch seine Auslandsvertretungen als auch finanziell. Die Botschaften in Stockholm[38] und London[39] vermittelten bereits in den späten 1920er Jahren Kontakte an Institutsmitglieder, die sich zur Erforschung der dortigen Rechtslage länger im Ausland aufhielten.
1976 reiste der damalige Referent Michael Bothe nach Argentinien und Paraguay. Seine Vortragsreise wurde durch die DFG finanziert, nachdem das AA durch den Abteilungsleiter Fleischhauer auf Bitten von Bothe für diese Finanzierung geworben hatte.[41] In Argentinien hatte Anfang 1976 ein Putsch stattgefunden, sodass im August 1976 eine Militärregierung amtierte. Die wissenschaftlichen Kontakte waren daher eine der wenigen Formen, um auch mit der Zivilgesellschaft zu interagieren. Auf Veranlassung der Rechtsabteilung[42] gaben die Botschafter in Buenos Aires und Asunción Abendessen für Bothe. Der Botschafter in Argentinien berichtete daraufhin von dem gelungenen Abend und der gewinnbringenden Interaktion mit den Wissenschaftler*innen vor Ort.[43]
Weiterhin begrüßte das AA die Teilnahme von Institutsmitgliedern an internationalen Konferenzen. Das AA erbat sich regelmäßige Berichte über die jeweiligen Konferenzen, wenn Institutsmitglieder diese mit Kenntnis des Amtes besuchten. So zum Beispiel hinsichtlich einer Konferenz zum Humanitären Völkerrecht im Nachgang der Genfer Konvention[44] oder einer Konferenz zum HVR in den 1970er Jahren.[45]
Das Institut wurde zudem auch aktiv in die Vorbereitung von diplomatischen Konferenzen einbezogen, wie zum Beispiel im Vorfeld der Wiener Vertragsrechtskonvention. Insbesondere wurden Publikationstätigkeiten der Referenten angeregt. Nachdem die Völkerrechtskommission im Jahr 1966 einen Entwurf für die spätere WVK vorstellte, fand am 27. Februar 1967 eine Besprechung zwischen dem AA und dem MPIL statt.[46] Seitens des AA wurden Publikation und eingehende Analyse des Vertragsentwurfs angeregt. Die Aufsatzentwürfe sollten dem AA vorab zugeleitet werden, sodass die Regierungsstellungnahme hierauf aufbauend vorbereitet werden könnte. Dieser Bitte kamen die damaligen Referenten Rudolf Bernhardt, Christian Tomuschat, Michael Bothe, Jochen Frowein, Karl Doehring und Wilhelm Karl Geck nach. Bereits am 24. Januar 1967 hatten das AA und das Institut gemeinsame Bearbeitungsgrundsätze für diese Zusammenarbeit festgehalten.[47] Die Themenvorschläge durch die MPIL-Referenten wurden durch das AA kommentiert und Hinweise gegeben. Die Publikationen erfolgten daraufhin überwiegend in der ZaöRV und teilweise auch in anderen internationalen Fachzeitschriften.
Darüber hinaus wurde die Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), die von Rudolf Bernhardt begründete und durch das Institut herausgegebene Enzyklopädie des Völkerrechts, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vielfach als Gastgeschenk auf Reisen des AA verschenkt. Bekannt sind dezidierte Anfragen der Botschaften in Luanda[48] und Tirana[49], die erbaten, dass im Rahmen von Besuchsreisen die MPEPIL verschenkt werden sollte. In den Akten wird jedoch darauf verwiesen, dass es in den frühen 1990er Jahren ohnehin durchaus üblich war, dass die Enzyklopädie als offizielles Geschenk übergeben wurde.
V. Grad der Wissenschaftsfreiheit
Die Unabhängigkeit des Instituts vom Staat und insbesondere vom AA war bereits zu Beginn seiner Tätigkeit eine herausragende Frage. Einem Vermerk vom 11. Februar 1925 über ein Gespräch zur Institutsfinanzierung im Reichsfinanzministerium ist dabei zu entnehmen, dass das AA grundsätzlich eine Autonomie des Instituts annahm: Auf die Aufforderung, mehr Geld für das Institut aus dem AA-Budget bereitzustellen, erwiderte das AA, dass das Institut unabhängige wissenschaftliche Arbeit leisten und sich daher autonomer finanzieller Quellen bedienen solle.[50] Eine zu starke finanzielle Abhängigkeit vom AA sei daher abzulehnen.
Diese Linie institutioneller Distanz wurde jedoch spätestens ab Ende der 1920er Jahre nicht mehr eingehalten. In einem Vermerk über die Kuratoriumssitzung des Instituts vom 18. Juli 1930 erläutert der zuständige Referent im AA, dass er die Interessen des AA bekannt gemacht habe. Er habe: „in vorsichtiger Form die Bitte ausgesprochen, bei Themen von aktueller politischer Bedeutung mit dem Amt Fühlung zu nehmen.“[51] In Vollzug dessen wurde beispielsweise mit Schreiben vom 17. November 1932 darauf hingewiesen, dass ein ZaöRV-Beitrag an zwei Stellen falsch sei („Ich möchte aber nicht unterlassen, Ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß mir zwei Stellen darin nicht angenehm aufgefallen sind.“)[52] Das AA regte an, dass im Vorfeld kritischer Äußerungen zur Regierungspraxis des Deutschen Reichs das Amt konsultiert werden solle.
Ab 1933 wurden die Beeinflussungsmechanismen stärker. Beispielsweise ließ sich Viktor Bruns ein Antwortschreiben an einen amerikanischen Kollegen über den Ypiranga-Fall, der die Blockade eines deutschen Schiffs betraf, vor Übersendung durch das AA genehmigen.[53] Darüber hinaus wurde die Neuauflage eines in der Schriftenreihe des Instituts herausgegeben Buches eines jüdischen Autors von Bruns abgelehnt, nachdem das AA dieser Publikation widersprochen hatte.[54] Die ZaöRV wurde in dieser Zeit, wie oben skizziert, gezielt zur Verbreitung nationalsozialistischer Völkerrechtsideen eingesetzt.
Mit Blick auf das große Systematisierungsprojekt der Nachkriegszeit kam die Frage nach der Unabhängigkeit wieder auf. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen unterbreitete das AA dabei den Vorschlag, dass die Bearbeitungen vor ihrer Publikation dem AA vorgelegt werden sollten. Nach langer Überlegung widersprach Hermann Mosler diesem Vorschlag, unter Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit.[55] Eine klassische Vorlagepflicht wäre mit der Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Projekts nicht vereinbar, so Mosler.
In diesem Sinne hat sich das Institut im Laufe der Zeit deutlich vom AA distanziert und seine Wissenschaftsfreiheit stärker reflektiert und forciert. Anhand der Akten des Poltischen Archivs ist diese Entwicklung jedoch nicht umfassend nachvollziehbar, da es keine zentrale Sammlung des Schriftverkehrs mit dem MPIL für die Zeit ab 1945 gibt.
VI. Eine enge langjährige Beziehung
Die Beziehung zwischen AA und MPIL spiegelt zu einem gewissen Grad die deutsche Geschichte und die Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Das Institut wurde sehr staatsnah gegründet und sollte mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden und Publikationen die außenpolitischen Ziele Deutschlands fördern. Die zentralen Institutstätigkeiten waren in der Anfangsphase eng darauf ausgerichtet. Dies zeigt sich insbesondere in der Publikationstätigkeit der ZaöRV, die stark durch das AA beeinflusst war und sich nicht zu problematischen Fragen verhielt, sofern dies potentiell im Widerspruch zur Auffassung der Reichsregierung stand. Diese Entwicklungen verschärften sich nach 1933. In dieser Zeit wurde das Institut im Rahmen der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung beratend tätig und seine Zeitschrift zu Propagandazwecken im Ausland eingesetzt. Für die Jahre 1940-45 fehlen jedoch die Akten, was eine kritische Aufarbeitung dieser Phase der Institutsgeschichte erschwert.
Die Staatsnähe setzte sich grundsätzlich nach 1945 fort. Allerdings wurden bereits bei den ersten großen Projekten von MPIL und AA wichtige Trennlinien zwischen Regierung und Wissenschaft gezogen. Die Autonomie der wissenschaftlichen Tätigkeit rückte für das Institut verstärkt in den Mittelpunkt und wurde vom AA zunehmend respektiert. Einwirkungen auf die wissenschaftliche Tätigkeit wurden geringer. Gleichwohl fungierte das MPIL über weite Teile des 20. Jahrhunderts weiterhin als essentielles Glied im außenpolitischen Handlungsgefüge der Bundesrepublik. Seine Referent*innen waren an wichtigen außenpolitischen Vorhaben beratend beteiligt. Die Publikationen und Auftritte seiner Wissenschaftler*innen wurden vom AA fortlaufend gefördert und punktuell in außenpolitische Vorhaben eingebunden.
Der im Politischen Archiv für die Forschung zugängliche relevante Aktenbestand endet derzeit im Jahr 1994. Aufgrund der dezentralen Aktenführung ist jedoch davon auszugehen, dass Interaktionen zwischen AA und MPIL auch an anderen Stellen dokumentiert und so bereits heute in jüngeren Aktenbeständen nachvollziehbar sind.
Der Archivbestand im Politischen Archiv des AA verdeutlich die „enge langjährige Beziehung“ zwischen MPIL und AA, auf die Carl August Fleischhauer bereits 1974 verwies. Die konkrete Ausgestaltung dieser Beziehung hat sich im Verlauf der Jahre geändert und war stark von den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen und Thematiken abhängig. Die grundlegende Bedeutung eines völkerrechtlichen Forschungsinstituts, das auch als Ansprechpartner von Bundesbehörden und insbesondere des AA fungiert, blieb hingegen unverändert.
Wie auch in anderen Blogbeiträgen deutlich wird, scheint sich diese Tradition auch nach 1994 fortzusetzen. Mittlerweile stehen indessen neue Kooperationsformate im Mittelpunkt. Die gutachterliche Tätigkeit ist weitestgehend zum Erliegen gekommen. Weiterhin wirkt aber stets ein Mitglied des Direktoriums im völkerrechtlichen Beirat des AA mit. Im Verfahren zwischen Deutschland und Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof hat Anne Peters zur Jahreswende 2023/24 die Bundesregierung beraten und vertreten. Vom Institut und der Abteilung V des AA wird seit 2016 (in der Regel jährlich) ein Gemeinsamer Workshop organisiert, der als Forum des Austauschs über jeweils im Tätigkeitsbereich des AA besonders relevante völkerrechtliche Fragen dient und vom 2015 eingerichteten Berliner Büro des Instituts kuratiert wird. Vom AA werden in diese Begegnungen regelmäßig auch Vertreter weiterer Bundesministerien, des Bundeskanzleramtes und der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages einbezogen. Die Beziehung zwischen Amt und Institut ist weiterhin eng, auch wenn sie mittlerweile auf anderen Grundsätzen aufbaut und sich in anderen Formaten verwirklicht als in früheren Jahren.
[1] Schreiben von Carl August Fleischhauer, datiert 5. August 1974, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1382.
[2] Schreiben datiert 28. August 1974, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1382.
[3] Foto: BArch, Bild 183-C11812 / CC-BY-SA 3.0.
[4] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.
[5] Staatsminister a.D. Friedrich Saemisch, Denkschrift zur Errichtung eines Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 31. Dezember 1924, Politisches Archiv, R 54245.
[6] Saemisch (Fn. 5).
[7] Lea Berger, Der Weg in die Europäische Union. Ein zeitloses Gutachten Hermann Moslers
MPIL100; Philipp Sauter, Das Institut im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen. Rechtsberatung in Fragen des Verbotes chemischer und biologischer Waffen in den 1970er Jahren, MPIL100.
[8] Schreiben von Herman Meyer-Lindenberg, datiert 11. November 1958, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.
[9] Schreiben von Hermann Mosler an Carl Bilfinger, datiert 22. September 1952, Politisches Archiv, B80 – Band 35.
[10] Schriftwechsel zwischen Hermann Mosler und Carl Bilfinger, datiert 7. Oktober 1952, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.
[11] Carl Bilfinger, Gutachten, 10. Juli1952, Politisches Archiv, B86 – Band 16.
[12] Schreiben von Viktor Bruns, „Frage zum Ypiranga Fall“ datiert 20. März 1933, Politisches Archiv, R 54246; Schreiben von Viktor Bruns, datiert 24 Juli 1933 mit der Bitte um Übersendung aller Dokumente zum Austritt aus dem Völkerbund, Politisches Archiv, R 54246; Schreiben des MPIL, datiert 28. Mai 1954, Politisches Archiv, B80 – Band 35.
[13] Viktor Bruns, Denkschrift zur Gründung und Bedeutung des Instituts, 30. Oktober 1925, Politisches Archiv, R 54245.
[14] Siehe: Politisches Archiv, R 43147.
[15] Hermann Mosler, Denkschrift, 18. Januar 1955, Politisches Archiv, B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.
[16] Schreiben von Hermann Mosler, datiert 12. Oktober 1954, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.
[17]Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 262, Berlin: Springer 2017.
[18] Schriftwechsel, datiert 10. Januar 1956, Politisches Archiv, B 80 Band 468.
[19] Foto: MPIL.
[20] Vertrag vom 15. Juli 1955, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.
[21] Vermerk vom 1. März1955, B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.
[22] Siehe: Politisches Archiv, B 80 – Band 468.
[23] Runderlass V 1 – 89.07/2, Politisches Archiv, B 80 – Ref. 500/VI/V8 1203.
[24] Juli 1959, B 80 – Band 468.
[25] Schreiben, datiert 17. März 1958, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.
[26] Schreiben datiert 12. Dezember 1961, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.
[27] Schriftwechsel datiert zwischen 8. Mai 1973 und 7. Dezember 1974, Politisches Archiv, B 87 ZA 165800.
[28] Foto: MPIL.
[29] Vermerk vom 29. Juni 1927, Politisches Archiv, R 54245.
[30] Schreiben datiert 24. November1927, Politisches Archiv, R 54245; Schreiben datiert 4. Juli 1933, R 54246.
[31] Runderlass V 5183, 18. Dezember 1930, Politisches Archiv, R 54245.
[32] Schreiben, datiert 25. August 1930, Politisches Archiv, R 54245.
[33] Schreiben, datiert16. Juni 1934, Politisches Archiv, R 54246.
[34] Schreiben des De Gruyter Verlags, datiert24. November 1930, Politisches Archiv, R 54246.
[35] Schreiben des De Gruyter Verlags, datiert 27. September 1934, Politisches Archiv, R 54246.
[36] Schreiben, datiert 31. August 1937; Schreiben datiert 30. Mai 1938; Schreiben datiert 20. Juli 1939, Politisches Archiv R 43147; Schreiben datiert11. März 1940, Politisches Archiv R 43148.
[37] Schreiben, datiert 23. Oktober1935; Antwortschreiben, datiert 19.10.1935, Politisches Archiv, R 54246.
[38] Schreiben, datiert 9. Mai 1930, Politisches Archiv, R 54245.
[39] Schreiben, datiert 8. März1929, Politisches Archiv, R 54245.
[40] Foto: MPIL.
[41] Schreiben von Michael Bothe, datiert 21. Juni 1976, Schreiben von Carl August Fleischhauer, datiert 1. Juli 1976, Schreiben der DFG, datiert26. Juli 1976, Poltisches Archiv B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.
[42] Schreiben, datiert 6. August 1976, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.
[43] Bericht der Botschaft Buenos Aires, 26. August 1976, Politisches Archiv, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.
[44] Schriftwechsel zwischen Helmut Strebel und VLR Haeften, datiert 9. Februar 1952, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.
[45] Schreiben, datiert 6. August 1976, Politisches Archiv, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.
[46] Bericht vom 27. Februar 1967, Politisches Archiv, B 80 – Band 735.
[47] Bericht vom 27. Februar 1967 (Fn.46).
[48] Schreiben, datiert 14. Februar 1990, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1379.
[49] Schreiben, datiert 2. Mai 1990, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1379.
[50] Vermerk vom 11. Februar 1925, Politisches Archiv, R 54245.
[51] Bericht über Kuratoriumssitzung vom 18. Juli 1930, Politisches Archiv, R 54245.
[52] Schreiben an Viktor Bruns, datiert17. November 1932, Politisches Archiv R 54245.
[53] Schreiben, datiert 29. März 1933, Politisches Archiv, R 54246.
[54] Schreiben, datiert14. Juli 1935, Politisches Archiv, R 54246.
[55] Schreiben von Hermann Mosler, datiert 9. Mai 1955, Politisches Archiv B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.
[56] Foto: MPIL.
Florian Kriener ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.
Florian Kriener is Senior Research Fellow at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law.
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