Florian Kriener ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Florian Kriener is Senior Research Fellow at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law.

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Das Institut und das Auswärtige Amt: Ein Blick in die Akten des Politischen Archivs für die Jahre 1924-1994

Eine „enge langjährige Beziehung“.[1] So bezeichnete der damalige Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) in einem Schreiben vom 5. August 1974 die Beziehung seines Hauses zum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (heute abgekürzt mit dem seit etwa 2005 geläufigen Akronym „MPIL“, das auch in diesem Text gelegentlich, und zuweilen unter bewusster Inkaufnahme von Anachronismen, zur Bezeichnung des Instituts verwendet wird). Mit seinem Brief an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in New York wollte Carl August Fleischhauer die Beziehung zwischen AA und MPIL noch einen weiteren Schritt vertiefen. Nachdem Deutschland im Jahr zuvor den Vereinten Nationen (VN) beigetreten war, bestand in der Rechtsabteilung ein erhöhter Bedarf, die Praxis der Vereinten Nationen genauer zu verfolgen und zu systematisieren. Wie bereits häufiger in der Vergangenheit erachtete das Amt das Institut als ideale Institution für diese Aufgabe. Daher ersuchte Abteilung V, die Rechtsabteilung, die Ständige Vertretung in New York, relevante Dokumente der VN unmittelbar an das MPIL zur weiteren Bearbeitung zu übermitteln. Das Ersuchen wurde zwar von der Ständigen Vertretung abgelehnt, da man selbst zu wenige physische Kopien der relevanten Beschlüsse und Dokumente erhielt.[2] Der Vorgang zeigt jedoch die wesentliche Bedeutung des MPIL im außenpolitischen Handlungsgefüge Deutschlands und die gegenseitige Wertschätzung von Rechtsabteilung des AA und MPIL.

Die Beziehung zwischen Amt und Institut soll hier auf mehreren Ebenen aufgearbeitet und anhand verschiedener Beispiele dargelegt werden. Hierzu wurden die relevanten Akten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes gesichtet. Der Beitrag beginnt daher mit einer Zusammenfassung der Quellenlage (I.). Darauf folgt eine aktenbasierte Analyse der verschiedenen Kooperationsfelder über die Zeitläufte der Jahrzehnte bis 1994. Untersucht werden die Beratungs- und Forschungstätigkeit des MPIL im Auftrag des AA (II.), die Kompilation, Archivierung und Systematisierung von völkerrechtlichen Dokumenten durch das MPIL (III.) und die Wissenschaftsaußenpolitik (IV.). Dabei stellt sich im Rahmen der verschiedenen Kooperationsfelder immer wieder die Frage, inwiefern das MPIL vom AA unabhängige Forschung betrieb beziehungsweise betreiben konnte und welche Natur die Beziehungen zwischen AA und MPIL hatten. Ein gesonderter Abschnitt widmet sich daher dieser Frage im Querschnitt (V.). Abschließend soll ein Ausblick dazu erfolgen, welche Aspekte der historischen Beziehung zwischen MPIL und AA für die zukünftige Beziehung bedeutsam sind (VI.).

I. Quellenlage: Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts

Das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße (1937)[3]

Für den Zeitraum 1924 bis 1940 wurde im Politischen Archiv durchgehend eine Akte zum Institut für ausländisches öffentliches Recht beziehungsweise (ab 1935) Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht geführt (Az.: R 54245 (1924-1933); R 54246 (1933-1937); R 43147 (1937-1940); R 43148 (1940)). Dort finden sich die gebündelte Kommunikation mit dem Institut und die relevanten Dokumente des Instituts, wie zum Beispiel die Denkschriften zu seiner Gründung und die Protokolle des akademischen Beirats. Für den Zeitraum zwischen 1941 und 1945 sind keine Akten aufzufinden. Hierfür konnte ich keine Erklärung finden – eine Vernichtung oder sonstiger Verlust der Akten sind nicht vermerkt worden.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde nicht mehr eine beständige Akte zum MPIL geführt. Die Kommunikation mit dem MPIL taucht vielmehr themenbezogen in unterschiedlichen Gebieten auf. Die jüngste Akte reicht bis 1994.

II. Beratungs- und Forschungstätigkeit im Auftrag des AA

Institutsdirektor Viktor Bruns an seinem Schreibtisch im Institut 1936[4]

Aus Perspektive des AA bilden völkerrechtliche Beratungstätigkeit des MPIL und beauftragte Forschungsarbeit die zentralen Aspekte der Zusammenarbeit. Bereits in der Denkschrift zur Errichtung eines Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht von Staatsminister a.D. Friedrich Saemisch wird das zu gründende Institut als zentrale Stelle für den völkerrechtlichen Bedarf der Reichsministerien konzipiert.[5] Der Standort Berlin sei deshalb unerlässlich. Das Institut sollte als zentrale Institution dienen, um bei der „Abwehr unberechtigter Kriegsansprüche“ die Ministerien und insbesondere das AA in ihrer Praxis zu beraten.[6]

In Erfüllung dieses Auftrags wurden am Institut insbesondere Gutachten zu verschiedenen Fragen des Völkerrechts verfasst, die für die außenpolitische Praxis Deutschlands relevant waren. Dabei vertrat das Institut in dem hier untersuchten Zeitraum (1924 bis 1994) in der Regel staatsnahe Thesen, die den außenpolitischen Interesse Deutschlands weitestgehend entsprachen. Die genaue Anzahl an Gutachten ist nicht bekannt. Diese wurden auch nicht einheitlich, sondern themenbezogen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts archiviert und konnten daher nicht umfassend ausgewertet werden. Einige Kolleginnen und Kollegen haben auf diesem Blog bereits einzelne Gutachten näher erörtert.[7]

Einen wesentlichen Aspekt der Beratungstätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg bildete die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Das Institut war direkt von Beginn der Verhandlung an in die Pläne der Schuman-Kommission eingeweiht. Alle relevanten Dokumente wurden unmittelbar an das Institut weitergeleitet, das diese aufarbeiten und systematisieren sollte.[8] Im Zuge dessen fragte das AA immer wieder einzelne Aspekte nach. Zum Beispiel bat Hermann Mosler, der damalige Leiter der Rechtsabteilung, im Jahr 1952 den seinerzeitigen Direktor Carl Bilfinger um die Zusammenstellung und Übersendung der relevanten Dokumente und wissenschaftlichen Beiträge zur Montanunion.[9]

Ein zweiter Aspekt der Beratungstätigkeit in der Nachkriegszeit war die Abwehr von Entschädigungsansprüchen und Strafverfolgung für die Verbrechen des Deutschen Reichs. Im Auftrag des AA erstellte Carl Bilfinger mehrere Berichte über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien zum Strafausschließungsgrund des Handelns auf Befehl.[10] Weiterhin erstellte Carl Bilfinger ein Gutachten dazu, weshalb Maßnahmen gegen das deutsche Eigentum in Palästina rechtswidrig seien.[11]

III. Kompilation, Archivierung und Systematisierung von völkerrechtlichem Material

Eng mit der Beratungsfunktion ist die Kompilations- und Archivierungsfunktion des MPIL verbunden. Das Institut begann unmittelbar nach seiner Errichtung damit, die völkerrechtliche Praxis des Deutschen Reiches und später der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zu dokumentieren. Ein wesentlicher Teil der Aktenbestände im Politischen Archiv sind Anfragen der jeweiligen Direktoren an die Rechtsabteilung mit der Bitte um Übersendung von völkerrechtlich relevantem Material.[12] Diesen Anfragen wurde durchgehend entsprochen.

Die Kompilationsarbeit wurde von einer Systematisierungsarbeit begleitet. In der Denkschrift des ersten Direktors Viktor Bruns zur Institutsgründung wird die Unübersichtlichkeit der „tausenden Staatsverträge“ hervorgehoben, die durch das Institut geordnet werden sollen.[13]

Die Ergebnisse dieser Systematisierung wurden mit dem AA geteilt. Im Jahr 1940 – dem zweiten Kriegsjahr – wurden in regelmäßigen Abständen Berichte über das Prisenrecht und die wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Deutschland übersandt.[14] Es ist anzunehmen, dass diese Berichterstattung auch nach 1940 fortgeführt wurde. Für diesen Zeitraum liegen jedoch keine Akten vor.

Die bedeutendste Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg war das große Systematisierungsprojekt zur Erfassung und Auswertung der deutschen völkerrechtlichen Praxis. Nachdem Hermann Mosler aus dem AA an das Institut gewechselt war, begannen Arbeiten zur Aufarbeitung der völkerrechtlichen Praxis.[15] Diese war laut Mosler notwendig, da durch die zwei Jahrzehnte der Weltkriege eine Systematisierung nicht habe verfolgt werden können.[16] Mit der Nachholung dieser Erfassung strebte Hermann Mosler eine Reintegration Deutschlands in die Staatengemeinschaft an, wie sie Felix Lange eingehend beschrieben hat.[17] Staatssekretär Walter Hallstein bekundete, nicht überraschend, persönliches Interesse an diesem Projekt und förderte es entsprechend.[18] Das systematische Werk zur deutschen völkerrechtlichen Praxis sollte ein wichtiger Beitrag zur deutschen Außenpolitik sein.

Walter Hallstein, Hermann Mosler, Hans Dölle 1961 am Institut anlässlich Hallsteins Vortrag „Die EWG politisch gesehen“ [19]

Der Vertrag hierzu zwischen Amt und Institut wurde am 15. Juli 1955 unterzeichnet.[20] Das Institut erhielt für seine Dienste einen monatlichen Betrag und eine Referentenstelle. Ein wesentlicher Aspekt der Systematisierungsarbeit war die Auswertung von völkerrechtlichem Material im AA.[21] Hierzu wurde stets ein Mitarbeiter des Instituts nach Bonn gesandt, der die Akten auswertete und für das Heidelberger Institut rezipierte.[22] Weiterhin wurden die Auslandsvertretungen per Runderlass V 1 – 89.07/2 darum gebeten, die völkerrechtlichen Verträge ihrer Gaststaaten zu sammeln und über die Rechtsabteilung an das Institut zu übersenden.[23]

Im Verlauf des Projekts gab es dabei immer wieder Koordinationsbedarf. Das Institut fragte zwischenzeitlich nach mehr Personal.[24] Zeitweise war die Freigabe bestimmter Dokumente kompliziert.[25]

Mehrfach wurde das Projekt verlängert.[26] 1969 wurde die Kompilierung von Verträgen durch die Auslandsvertretungen jedoch eingestellt, da die zur Erfassung vorgesehene Vertragskartei im MPIL nicht funktionierte und es daher nicht zu einer Auswertung und Systematisierung der Verträge im Institut kam.[27] Das Systematisierungsprojekt wurde indes niemals förmlich beendet. Eine vorgesehene Abschlusspublikation über die völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik wurde nie erstellt. Zwar erschienen über einen geraumen Zeitraum hinweg wiederkehrende Aufsätze über die völkerrechtliche Praxis der BRD in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Diese entsprachen jedoch nicht der ursprünglich anvisierten Publikation einer umfassenden Monographie.

IV. Wissenschaftsaußenpolitik

Rudolf Dolzer mit einer Ausgabe der Enzyklopädie 1982[28]

Das Institut wurde auch jenseits seiner wissenschaftlichen Rolle und Bedeutung als einflussreicher Akteur im außenpolitischen Handlungsgefüge des Deutschen Reichs und der BRD tätig. Diese Wissenschaftsaußenpolitik erstreckte sich auf mehrere Felder.

Zunächst vermittelte das Institut Kontakte zwischen dem AA und ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Im Jahr 1927 stellte Viktor Bruns beispielsweise den amerikanischen Völkerrechtler Manley O. Hudson im AA vor.[29] Auch der Bibliothek kam eine bedeutende Rolle in der Kontaktpflege und der Verbreitung deutscher Staatenpraxis zu. Durch ihre Kontakte mit ausländischen Bibliotheken übermittelte sie deutsche Noten und Verträge zur dortigen Erforschung. Insbesondere die Beziehung zur Widener Library an der Harvard University veranlasste regelmäßige Nachfragen beim AA zur Überlassung von deutschen Stellungnahmen und Verträgen.[30] Diese wurden über die Institutsbibliothek an deren Partnerinstitutionen weitergeleitet.

Ein weiteres zentrales Instrument der Wissenschaftsaußenpolitik war die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV). Die Zeitschrift besteht seit 1929 und untersucht in breitem Umfang Fragen des Völkerrechts und des ausländischen öffentlichen Rechts. Seit den ersten Bänden zeigte das AA großes Interesse an ihrer Verbreitung auch im Ausland. Mit Runderlass V 5183 vom 18. Dezember 1930 machte das AA seine Auslandsvertretungen auf die neue Publikation aufmerksam und regte ihre Verbreitung an.[31] In Reaktion auf den Runderlass baten die Auslandsvertretungen in Stockholm, Budapest, Zürich, Madrid, Washington, London, Chicago und Bukarest um die Überlassung von Probeexemplaren und gaben teilweise Adressen und Kontaktpersonen in ihren Gaststaaten an, um die direkte Übersendung zu ermöglichen.

Aufgrund dieser wissenschaftsdiplomatischen Bedeutung nahm das Auswärtige Amt bereits früh auf die Publikationsgrundsätze der Zeitschrift Einfluss. Mit Schreiben vom 25. August 1930 wurde Direktor Bruns darum gebeten, das AA zu konsultieren, bevor zu schwierigen Fragen in der ZaöRV publiziert wird.[32]

Die wissenschaftsdiplomatische Rolle der ZaöRV intensivierte sich nach 1933. Mit dem Ziel, die Zeitschrift und damit auch deutsches völkerrechtliches Denken im Ausland zu verbreiten, wurde die ZaöRV ab Juli 1934 durch das AA subventioniert.[33] Vorherige Anfragen nach einer Subventionierung waren noch abgelehnt worden.[34] Nun konnte der Verlag De Gruyter die Kosten pro Heft absenken. In seiner Ankündigung der Preissenkung an die Leserschaft vom 27. September 1934 wurde auf die Subvention durch das AA jedoch nicht hingewiesen.[35] Die Subventionierung wurde bis mindestens 1940 fortgesetzt.[36] Entsprechend intensivierten sich auch die Einwirkungen auf die Publikationslinie. Auf Nachfrage von Viktor Bruns vom 23. Oktober 1935 sprach sich das AA gegen die Veröffentlichung eines Manuskripts zu Fragen der deutschen Minderheit in Südtirol aus. Als Begründung wurde seitens des AA vorgetragen, dass die darin vertretene Auffassung Deutschland schade.[37]

Das AA förderte auch Forschungsreisen einzelner Institutsmitglieder, sowohl durch seine Auslandsvertretungen als auch finanziell. Die Botschaften in Stockholm[38] und London[39] vermittelten bereits in den späten 1920er Jahren Kontakte an Institutsmitglieder, die sich zur Erforschung der dortigen Rechtslage länger im Ausland aufhielten.

Carl August Fleischhauer als Referent im Institut. Mit Bundesverfassungsgerichtspräsident Gebhard Müller, Hermann Mosler bei dem Kolloquium „Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart“ 1961 im Institut[40]

1976 reiste der damalige Referent Michael Bothe nach Argentinien und Paraguay. Seine Vortragsreise wurde durch die DFG finanziert, nachdem das AA durch den Abteilungsleiter Fleischhauer auf Bitten von Bothe für diese Finanzierung geworben hatte.[41] In Argentinien hatte Anfang 1976 ein Putsch stattgefunden, sodass im August 1976 eine Militärregierung amtierte. Die wissenschaftlichen Kontakte waren daher eine der wenigen Formen, um auch mit der Zivilgesellschaft zu interagieren. Auf Veranlassung der Rechtsabteilung[42] gaben die Botschafter in Buenos Aires und Asunción Abendessen für Bothe. Der Botschafter in Argentinien berichtete daraufhin von dem gelungenen Abend und der gewinnbringenden Interaktion mit den Wissenschaftler*innen vor Ort.[43]

Weiterhin begrüßte das AA die Teilnahme von Institutsmitgliedern an internationalen Konferenzen. Das AA erbat sich regelmäßige Berichte über die jeweiligen Konferenzen, wenn Institutsmitglieder diese mit Kenntnis des Amtes besuchten. So zum Beispiel hinsichtlich einer Konferenz zum Humanitären Völkerrecht im Nachgang der Genfer Konvention[44] oder einer Konferenz zum HVR in den 1970er Jahren.[45]

Das Institut wurde zudem auch aktiv in die Vorbereitung von diplomatischen Konferenzen einbezogen, wie zum Beispiel im Vorfeld der Wiener Vertragsrechtskonvention. Insbesondere wurden Publikationstätigkeiten der Referenten angeregt. Nachdem die Völkerrechtskommission im Jahr 1966 einen Entwurf für die spätere WVK vorstellte, fand am 27. Februar 1967 eine Besprechung zwischen dem AA und dem MPIL statt.[46] Seitens des AA wurden Publikation und eingehende Analyse des Vertragsentwurfs angeregt. Die Aufsatzentwürfe sollten dem AA vorab zugeleitet werden, sodass die Regierungsstellungnahme hierauf aufbauend vorbereitet werden könnte. Dieser Bitte kamen die damaligen Referenten Rudolf Bernhardt, Christian Tomuschat, Michael Bothe, Jochen Frowein, Karl Doehring und Wilhelm Karl Geck nach. Bereits am 24. Januar 1967 hatten das AA und das Institut gemeinsame Bearbeitungsgrundsätze für diese Zusammenarbeit festgehalten.[47] Die Themenvorschläge durch die MPIL-Referenten wurden durch das AA kommentiert und Hinweise gegeben. Die Publikationen erfolgten daraufhin überwiegend in der ZaöRV und teilweise auch in anderen internationalen Fachzeitschriften.

Darüber hinaus wurde die Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), die von Rudolf Bernhardt begründete und durch das Institut herausgegebene Enzyklopädie des Völkerrechts, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vielfach als Gastgeschenk auf Reisen des AA verschenkt. Bekannt sind dezidierte Anfragen der Botschaften in Luanda[48] und Tirana[49], die erbaten, dass im Rahmen von Besuchsreisen die MPEPIL verschenkt werden sollte. In den Akten wird jedoch darauf verwiesen, dass es in den frühen 1990er Jahren ohnehin durchaus üblich war, dass die Enzyklopädie als offizielles Geschenk übergeben wurde.

V. Grad der Wissenschaftsfreiheit

Die Unabhängigkeit des Instituts vom Staat und insbesondere vom AA war bereits zu Beginn seiner Tätigkeit eine herausragende Frage. Einem Vermerk vom 11. Februar 1925 über ein Gespräch zur Institutsfinanzierung im Reichsfinanzministerium ist dabei zu entnehmen, dass das AA grundsätzlich eine Autonomie des Instituts annahm: Auf die Aufforderung, mehr Geld für das Institut aus dem AA-Budget bereitzustellen, erwiderte das AA, dass das Institut unabhängige wissenschaftliche Arbeit leisten und sich daher autonomer finanzieller Quellen bedienen solle.[50] Eine zu starke finanzielle Abhängigkeit vom AA sei daher abzulehnen.

Diese Linie institutioneller Distanz wurde jedoch spätestens ab Ende der 1920er Jahre nicht mehr eingehalten. In einem Vermerk über die Kuratoriumssitzung des Instituts vom 18. Juli 1930 erläutert der zuständige Referent im AA, dass er die Interessen des AA bekannt gemacht habe. Er habe: „in vorsichtiger Form die Bitte ausgesprochen, bei Themen von aktueller politischer Bedeutung mit dem Amt Fühlung zu nehmen.“[51] In Vollzug dessen wurde beispielsweise mit Schreiben vom 17. November 1932 darauf hingewiesen, dass ein ZaöRV-Beitrag an zwei Stellen falsch sei („Ich möchte aber nicht unterlassen, Ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß mir zwei Stellen darin nicht angenehm aufgefallen sind.“)[52] Das AA regte an, dass im Vorfeld kritischer Äußerungen zur Regierungspraxis des Deutschen Reichs das Amt konsultiert werden solle.

Ab 1933 wurden die Beeinflussungsmechanismen stärker. Beispielsweise ließ sich Viktor Bruns ein Antwortschreiben an einen amerikanischen Kollegen über den Ypiranga-Fall, der die Blockade eines deutschen Schiffs betraf, vor Übersendung durch das AA genehmigen.[53]   Darüber hinaus wurde die Neuauflage eines in der Schriftenreihe des Instituts herausgegeben Buches eines jüdischen Autors von Bruns abgelehnt, nachdem das AA dieser Publikation widersprochen hatte.[54] Die ZaöRV wurde in dieser Zeit, wie oben skizziert, gezielt zur Verbreitung nationalsozialistischer Völkerrechtsideen eingesetzt.

Mit Blick auf das große Systematisierungsprojekt der Nachkriegszeit kam die Frage nach der Unabhängigkeit wieder auf. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen unterbreitete das AA dabei den Vorschlag, dass die Bearbeitungen vor ihrer Publikation dem AA vorgelegt werden sollten. Nach langer Überlegung widersprach Hermann Mosler diesem Vorschlag, unter Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit.[55] Eine klassische Vorlagepflicht wäre mit der Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Projekts nicht vereinbar, so Mosler.

In diesem Sinne hat sich das Institut im Laufe der Zeit deutlich vom AA distanziert und seine Wissenschaftsfreiheit stärker reflektiert und forciert. Anhand der Akten des Poltischen Archivs ist diese Entwicklung jedoch nicht umfassend nachvollziehbar, da es keine zentrale Sammlung des Schriftverkehrs mit dem MPIL für die Zeit ab 1945 gibt.

VI. Eine enge langjährige Beziehung

Alte Bekannte: Erich Kaufmann, Ellinor von Puttkamer und Hedwig Kaufmann 1970 anlässlich der Amtseinführung von Rudolf Bernhardt im Institut. Puttkamer wurde 1969 als erste deutsche Frau zur Botschafterin ernannt. Von 1936 bis 1945 war sie Referentin am KWI. Kaufmann war von 1927 bis 1933 Wissenschaftliches Mitglied des KWI gewesen und parallel Rechtsberater des Auswärtigen Amtes wie abermals von 1950 bis 1958[56]

Die Beziehung zwischen AA und MPIL spiegelt zu einem gewissen Grad die deutsche Geschichte und die Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Das Institut wurde sehr staatsnah gegründet und sollte mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden und Publikationen die außenpolitischen Ziele Deutschlands fördern. Die zentralen Institutstätigkeiten waren in der Anfangsphase eng darauf ausgerichtet. Dies zeigt sich insbesondere in der Publikationstätigkeit der ZaöRV, die stark durch das AA beeinflusst war und sich nicht zu problematischen Fragen verhielt, sofern dies potentiell im Widerspruch zur Auffassung der Reichsregierung stand. Diese Entwicklungen verschärften sich nach 1933. In dieser Zeit wurde das Institut im Rahmen der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung beratend tätig und seine Zeitschrift zu Propagandazwecken im Ausland eingesetzt. Für die Jahre 1940-45 fehlen jedoch die Akten, was eine kritische Aufarbeitung dieser Phase der Institutsgeschichte erschwert.

Die Staatsnähe setzte sich grundsätzlich nach 1945 fort. Allerdings wurden bereits bei den ersten großen Projekten von MPIL und AA wichtige Trennlinien zwischen Regierung und Wissenschaft gezogen. Die Autonomie der wissenschaftlichen Tätigkeit rückte für das Institut verstärkt in den Mittelpunkt und wurde vom AA zunehmend respektiert. Einwirkungen auf die wissenschaftliche Tätigkeit wurden geringer. Gleichwohl fungierte das MPIL über weite Teile des 20. Jahrhunderts weiterhin als essentielles Glied im außenpolitischen Handlungsgefüge der Bundesrepublik. Seine Referent*innen waren an wichtigen außenpolitischen Vorhaben beratend beteiligt. Die Publikationen und Auftritte seiner Wissenschaftler*innen wurden vom AA fortlaufend gefördert und punktuell in außenpolitische Vorhaben eingebunden.

Der im Politischen Archiv für die Forschung zugängliche relevante Aktenbestand endet derzeit im Jahr 1994. Aufgrund der dezentralen Aktenführung ist jedoch davon auszugehen, dass Interaktionen zwischen AA und MPIL auch an anderen Stellen dokumentiert und so bereits heute in jüngeren Aktenbeständen nachvollziehbar sind.

Der Archivbestand im Politischen Archiv des AA verdeutlich die „enge langjährige Beziehung“ zwischen MPIL und AA, auf die Carl August Fleischhauer bereits 1974 verwies. Die konkrete Ausgestaltung dieser Beziehung hat sich im Verlauf der Jahre geändert und war stark von den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen und Thematiken abhängig. Die grundlegende Bedeutung eines völkerrechtlichen Forschungsinstituts, das auch als Ansprechpartner von Bundesbehörden und insbesondere des AA fungiert, blieb hingegen unverändert.

Wie auch in anderen Blogbeiträgen deutlich wird, scheint sich diese Tradition auch nach 1994 fortzusetzen. Mittlerweile stehen indessen neue Kooperationsformate im Mittelpunkt. Die gutachterliche Tätigkeit ist weitestgehend zum Erliegen gekommen. Weiterhin wirkt aber stets ein Mitglied des Direktoriums im völkerrechtlichen Beirat des AA mit. Im Verfahren zwischen Deutschland und Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof hat Anne Peters zur Jahreswende 2023/24 die Bundesregierung beraten und vertreten. Vom Institut und der Abteilung V des AA wird seit 2016 (in der Regel jährlich) ein Gemeinsamer Workshop organisiert, der als Forum des Austauschs über jeweils im Tätigkeitsbereich des AA besonders relevante  völkerrechtliche Fragen dient und vom 2015 eingerichteten Berliner Büro des Instituts kuratiert wird. Vom AA werden in diese Begegnungen regelmäßig auch Vertreter weiterer Bundesministerien, des Bundeskanzleramtes und der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages einbezogen. Die Beziehung zwischen Amt und Institut ist weiterhin eng, auch wenn sie mittlerweile auf anderen Grundsätzen aufbaut und sich in anderen Formaten verwirklicht als in früheren Jahren.

[1] Schreiben von Carl August Fleischhauer, datiert 5. August 1974, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1382.

[2] Schreiben datiert 28. August 1974, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1382.

[3] Foto: BArch, Bild 183-C11812 / CC-BY-SA 3.0.

[4] Foto: Privatarchiv Rainer Noltenius.

[5] Staatsminister a.D. Friedrich Saemisch, Denkschrift zur Errichtung eines Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 31. Dezember 1924, Politisches Archiv, R 54245.

[6] Saemisch (Fn. 5).

[7] Lea Berger, Der Weg in die Europäische Union. Ein zeitloses Gutachten Hermann Moslers

 MPIL100; Philipp Sauter, Das Institut im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen. Rechtsberatung in Fragen des Verbotes chemischer und biologischer Waffen in den 1970er Jahren, MPIL100.

[8] Schreiben von Herman Meyer-Lindenberg, datiert 11. November 1958, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.

[9] Schreiben von Hermann Mosler an Carl Bilfinger, datiert 22. September 1952, Politisches Archiv, B80 – Band 35.

[10] Schriftwechsel zwischen Hermann Mosler und Carl Bilfinger, datiert 7. Oktober 1952, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.

[11] Carl Bilfinger, Gutachten, 10. Juli1952, Politisches Archiv, B86 – Band 16.

[12] Schreiben von Viktor Bruns, „Frage zum Ypiranga Fall“ datiert 20. März 1933, Politisches Archiv, R 54246; Schreiben von Viktor Bruns, datiert 24 Juli 1933 mit der Bitte um Übersendung aller Dokumente zum Austritt aus dem Völkerbund, Politisches Archiv, R 54246; Schreiben des MPIL, datiert 28. Mai 1954, Politisches Archiv, B80 – Band 35.

[13] Viktor Bruns, Denkschrift zur Gründung und Bedeutung des Instituts, 30. Oktober 1925, Politisches Archiv, R 54245.

[14] Siehe: Politisches Archiv, R 43147.

[15] Hermann Mosler, Denkschrift, 18. Januar 1955, Politisches Archiv, B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.

[16] Schreiben von Hermann Mosler, datiert 12. Oktober 1954, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.

[17]Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption. Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 262, Berlin: Springer 2017.

[18] Schriftwechsel, datiert 10. Januar 1956, Politisches Archiv, B 80 Band 468.

[19] Foto: MPIL.

[20] Vertrag vom 15. Juli 1955, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.

[21] Vermerk vom 1. März1955, B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.

[22] Siehe: Politisches Archiv, B 80 – Band 468.

[23] Runderlass V 1 – 89.07/2, Politisches Archiv, B 80 – Ref. 500/VI/V8 1203.

[24] Juli 1959, B 80 – Band 468.

[25] Schreiben, datiert 17. März 1958, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.

[26] Schreiben datiert 12. Dezember 1961, Politisches Archiv, B 80 – Band 468.

[27] Schriftwechsel datiert zwischen 8. Mai 1973 und 7. Dezember 1974, Politisches Archiv, B 87 ZA 165800.

[28] Foto: MPIL.

[29] Vermerk vom 29. Juni 1927, Politisches Archiv, R 54245.

[30] Schreiben datiert 24. November1927, Politisches Archiv, R 54245; Schreiben datiert 4. Juli 1933, R 54246.

[31] Runderlass V 5183, 18. Dezember 1930, Politisches Archiv, R 54245.

[32] Schreiben, datiert 25. August 1930, Politisches Archiv, R 54245.

[33] Schreiben, datiert16. Juni 1934, Politisches Archiv, R 54246.

[34] Schreiben des De Gruyter Verlags, datiert24. November 1930, Politisches Archiv, R 54246.

[35] Schreiben des De Gruyter Verlags, datiert 27. September 1934, Politisches Archiv, R 54246.

[36] Schreiben, datiert 31. August 1937; Schreiben datiert 30. Mai 1938; Schreiben datiert 20. Juli 1939, Politisches Archiv R 43147; Schreiben datiert11. März 1940, Politisches Archiv R 43148.

[37] Schreiben, datiert 23. Oktober1935; Antwortschreiben, datiert 19.10.1935, Politisches Archiv, R 54246.

[38] Schreiben, datiert 9. Mai 1930, Politisches Archiv, R 54245.

[39] Schreiben, datiert 8. März1929, Politisches Archiv, R 54245.

[40] Foto: MPIL.

[41] Schreiben von Michael Bothe, datiert 21. Juni 1976, Schreiben von Carl August Fleischhauer, datiert 1. Juli 1976, Schreiben der DFG, datiert26. Juli 1976, Poltisches Archiv B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.

[42] Schreiben, datiert 6. August 1976, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.

[43] Bericht der Botschaft Buenos Aires, 26. August 1976, Politisches Archiv, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.

[44] Schriftwechsel zwischen Helmut Strebel und VLR Haeften, datiert 9. Februar 1952, Politisches Archiv, B 80 – Band 35.

[45] Schreiben, datiert 6. August 1976, Politisches Archiv, B 80 – 500.96/213 // B 80 Ref. 500 1382.

[46] Bericht vom 27. Februar 1967, Politisches Archiv, B 80 – Band 735.

[47] Bericht vom 27. Februar 1967 (Fn.46).

[48] Schreiben, datiert 14. Februar 1990, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1379.

[49] Schreiben, datiert 2. Mai 1990, Politisches Archiv, B 80 Ref. 500 1379.

[50] Vermerk vom 11. Februar 1925, Politisches Archiv, R 54245.

[51] Bericht über Kuratoriumssitzung vom 18. Juli 1930, Politisches Archiv, R 54245.

[52] Schreiben an Viktor Bruns, datiert17. November 1932, Politisches Archiv R 54245.

[53] Schreiben, datiert 29. März 1933, Politisches Archiv, R 54246.

[54] Schreiben, datiert14. Juli 1935, Politisches Archiv, R 54246.

[55] Schreiben von Hermann Mosler, datiert 9. Mai 1955, Politisches Archiv B 81 Ref. 501/V2 – Band 275.

[56] Foto: MPIL.

Das Interventionsverbot in autoritären Kontexten. Hermann Moslers Intervention im Völkerrecht

Für autoritäre Regierungen kann das Interventionsverbot Fluch und Segen zugleich sein. Einerseits schirmt es die inneren Angelegenheiten eines Staates vor ausländischer Einflussnahme ab. Ein Staat ist daher dazu berechtigt, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wie er seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme gestaltet. Dies kann vorteilhaft für eine autoritäre Regierung sein, da sie hierdurch den Anspruch erheben kann, unabhängig von äußeren Einflüssen ein autoritäres System aufzubauen und zu verfestigen. Die damit einhergehenden Rechtsverletzungen von Minderheiten und politischen Gegner*innen können als innere Angelegenheit eingestuft werden. Andererseits beschränkt es aber auch den Handlungsspielraum nach außen. Autoritäre Regierungen führen innerstaatliche Probleme häufig auf externe Staaten zurück. In ihrer legitimatorischen Rhetorik bedarf es eines Sündenbocks im Ausland, damit die fortlaufenden Probleme adäquat erklärt werden können und keine Kritik an der Regierungsführung aufkommt. Aufgrund dieser Ausrichtung treten autoritäre Regierungen in ihrer Außenpolitik häufig aggressiver auf und sind im Vergleich zu nicht-autoritäre Regierungen geneigter dazu, Konflikte zu eskalieren. In dieser Hinsicht beschränkt das Interventionsverbot: Es verbietet diesen Staaten eine aggressive und expansive Außenpolitik, welche sich aus ihrer rhetorischen und ideologischen Grundlage ergibt.

Aufgrund dieser Interessenlage kann zumindest in der Gegenwart regelmäßig ein Doppelstandard bei der Berufung auf das Interventionsverbot beobachtet werden. Beispielsweise betont die Volksrepublik China fortlaufend, dass alle Sanktionen, die sich gegen China richten, verbotene Interventionen seien.[1] Dabei hat China selbst Sanktionen gegen US-amerikanische Organisationen und Politiker*innen verhängt, die es für die Proteste in Hong Kong von 2019/20 verantwortlich machte.[2] Die grundsätzliche Position und die konkreten Handlungen Chinas sind nicht miteinander vereinbar und von einem Doppelstandard geprägt.

Ein ähnlich divergentes Spannungsfeld zeigt sich nicht nur in der Außenpolitik autoritärer Staaten, sondern auch in der jeweiligen völkerrechtlichen Forschung. Da völkerrechtliche Forschung von autoritären Regierungen regelmäßig mobilisiert wird, um eigene außenpolitische Positionen zu untermauern, stehen Forschende in ihrer Themenwahl, Quellenwahl und Schwerpunktsetzung teils vor schwierigen Entscheidungen. Selbst wenn sie unter Verwendung völkerrechtswissenschaftlicher Methodik eine objektive rechtliche Bewertung anstreben, kann hierdurch eine Ausrichtung innerhalb des autoritären Forschungskontexts erfolgen und eine Mobilisierung ermöglicht werden. Mit Blick auf das Interventionsverbot können hierbei die drei oben skizzierten Ausrichtungen beobachtet werden. Völkerrechtliche Forschung kann sich gegen jegliche Einmischung in den inneren Angelegenheiten eines Staates richten; dies kann zur Abwehr von ausländischen Einflussnahmen mobilisiert werden. Alternativ kann Forschung die durch das Interventionsverbot gezogenen außenpolitischen Grenzen betonen, welches der Verhinderung autoritärer Exzesse dienen kann. Drittens kann Forschung interventionsrechtliche Doppelstandards ausarbeiten, die als Grundlage einer widersprüchlichen Außenpolitik verwendet werden können.

Die Dissertation von Hermann Mosler aus dem Jahr 1937 mit dem Titel „Die Intervention im Völkerrecht“ enthält Elemente aller drei Ausrichtungen.[3] Die Arbeit entstand in den Jahren 1935 und 1936, als sich die nationalsozialistische Diktatur bereits fest im Deutschen Reich etabliert und Einfluss auf die Wissenschaftslandschaft genommen hatte. 40% aller Völkerrechtler*innen verloren zwischen 1933 und 1939 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer politischen Gesinnung ihre Stellung.[4] Die Dissertation entstand daher nicht in einem Kontext, in dem freie Forschung möglich war.

In der bisherigen Rezeption wurde Moslers Konzeption des Interventionsverbots eher der zweiten hier skizzierten Ausrichtung zugeordnet. Mosler habe die NS-Diktatur an das Völkerrecht binden wollen und zudem eine Intervention aus Humanitätsgründen anerkannt.[5] Hierfür finden sich einige Anhaltspunkte, auf die sogleich eingegangen wird (III.). Allerdings betont Mosler auch den umfassenden Charakter des Interventionsverbots, welcher ausländischen Einflussnahmen auf bedeutende Projekte des Nationalsozialismus verbietet (I.). Gleichzeitig legt Mosler seiner Analyse vielfach einen Doppelstandard zugunsten des Deutschen Reichs zugrunde (II.). Die Dissertation von Hermann Mosler kann daher weder als Apologetik des Nationalsozialismus noch als standhafte Abwehr gegenüber dem Nationalsozialismus gewertet werden. Sie ist vielmehr als Produkt einer Zeit zu verstehen, in der Forschung nicht frei war und gewisse revisionistische Positionen in der deutschen Völkerrechtswissenschaft umfassend getragen wurden.

Hermann Mosler (zweiter von rechts) als junger Referent auf dem Dach des KWI (Dach des Berliner Schlosses). Mit Joachim-Dieter Bloch, Ursula Grunow und Alexander N. Makarov (v.l.n.r.)[6]

I. Interventionsschutz für nationalsozialistische Projekte

Nach der Konzeptualisierung im zweiten Teil der Dissertation von Hermann Mosler (S. 38 ff.) schützt das Interventionsverbot bedeutende nationalsozialistische Projekte vor ausländischen Einflussnahmen. Dies soll hier an mehreren Beispielen verdeutlicht werden.

Mosler setzt sich unter anderem mit Einflussnahmen zugunsten nationaler Minderheiten auseinander (S. 56). Nationale Minderheiten erhielten durch völkerrechtliche Verträge der Nachkriegsordnung und Abkommen des Völkerbundes gewissen Schutz. Diese völkerrechtliche Regulierung führte jedoch nach Auffassung Moslers nicht dazu, dass eine Intervention von ausländischen Staaten zum Erhalt der Minderheitenrechte möglich gewesen wäre. Schließlich habe sich hierdurch nichts daran verändert, dass die Staaten die prinzipiellen Rechtssubjekte des Völkerrechts seien und daher exklusiv selbst zur Lösung ihrer jeweiligen Minderheitenfragen berufen waren. Im Anschluss an diese Ausführung erweitert Mosler diese Logik auf Fragen der „Rassengesetzgebung“ (S. 58). Diese müsse erst recht der Intervention anderer Staaten verschlossen sein:

„Lebt aber die rassische Minderheit verstreut im Staatsvolk, so ist ihre rechtliche Stellung der völkerrechtlichen Sphäre noch weiter entzogen und kann n i c h t Gegenstand des Eingriffs auswärtiger Mächte sein.“ (S. 58, Hervorhebung im Original)

Als die Dissertation 1937 veröffentlich wurde, war die systematische Verfolgung von Jüdinnen und Juden durch die „Rassengesetzgebung“ bereits in vollem Gang.[7] Nach Moslers Auffassung handelte es sich hierbei um einen Sachverhalt, der keine ausländische Einflussnahme duldete.

Weiterhin darf nach Auffassung Moslers keine Intervention in der „Wehr- oder Rüstungsgesetzgebung eines Landes“ erfolgen (S. 58). Diese seien „nach Völkerrecht nie als internationale Angelegenheiten betrachtet worden“ (ebda.). Am österreichischen Beispiel der Einführung der Wehrpflicht von 1936 erörtert Mosler, dass ein Staat in dieser Frage völlig frei und diesbezüglich keine Intervention erlaubt sei. Dabei erwähnt Mosler den Versailler Vertrag nicht, obwohl dieser grundsätzliche Aspekte des deutschen Wehr- und Rüstungsrechts regulierte. Insbesondere begrenzte Art. 160 des Versailler Vertrags die Anzahl der deutschen Truppe auf 100.000 Soldaten. Die Lektüre dieses kurzen Absatzes erweckt den Eindruck, dass für Mosler jegliche ausländische Beschränkung dieses Bereichs unzulässig sei. Damit ist auch das nationalsozialistische Aufrüstungsprojekt, das 1937 bereits signifikante Fortschritte machte[8] und völkerrechtswidrig war[9], vom Interventionsschutz gedeckt.

Das „Versailler Diktat“ (S. 78) wird an anderer Stelle abgelehnt und als Negation von Deutschlands Stellung als gleichberechtigtem Staat eingeordnet. Dies entspricht auch der generellen Haltung Moslers[10] sowie dem Zeitgeist in der deutschen Völkerrechtswissenschaft des „Dritten Reiches“[11].

Darüber hinaus widmet sich Mosler nicht dem System der kollektiven Sicherheit des Völkerbundes. Er sieht grundsätzlich keinen rechtlichen Unterschied zwischen Einzelinterventionen durch einen Staat und Kollektivinterventionen mehrerer Staaten (S. 68-69). Das kollektive Element wird als lediglich „politisch und moralisch“ (S. 68) abgetan. Dabei waren Kollektivinterventionen des Völkerbundes zum Zeitpunkt des Verfassens eine zentrale und neue Frage.[12] Die völkerrechtliche Grundlage derartiger Interventionen und ihre möglicherweise gesteigerte Legitimität wären daher von herausgehobenen Interesse gewesen, insbesondere aufgrund der 1935 beschlossenen kollektiven Sicherheitsmaßnahmen gegen Italien im Zuge des sog. „Abessinienkriegs“.[13] In der Systematisierung von Mosler kommen Kollektivinterventionen durch den Völkerbund mithin keine Bedeutung zu.

Hermann Mosler in den 1980ern (Foto: MPIL)

In Moslers Konzeption erstreckt sich daher der Schutz des Interventionsverbots auf bedeutende nationalsozialistische Projekte, insbesondere auf die Verfolgung von Jüdinnen und Juden und die Aufrüstung. Zudem lehnt er die Beschränkungen des Versailler Vertrags ab oder lässt sie an entscheidender Stelle unerwähnt. Dementsprechend wird auch der Völkerbund nicht erwähnt und kollektive Interventionsrechte werden am Rande als unbedeutend abgetan. Diese Konzeption entspricht der ersten hier aufgezeigten Kategorie: Das Interventionsverbot wird von einem autoritären Staat zur Abwehr ausländischer Einflussnahme auf innere Angelegenheiten verwendet, selbst wenn dieser Staat durch Handlungen in seinen inneren Angelegenheiten das Völkerrecht verletzt.

II. Doppelstandards

Weiterhin legt Mosler seinen Bewertungen mehrfach Doppelstandards zugunsten des Deutschen Reichs zugrunde, die von einer selektiven Materialverwendung und fehlender argumentativer Klarheit begleitet werden. Dies verstärkt apologetische Passagen zugunsten des Nationalsozialismus.

Mosler ordnet im Verlauf des Buches immer wieder die Handlungen der Sowjetunion als völkerrechtswidrige Intervention ein. Diese vertrete zwar anlässlich des spanischen Bürgerkriegs (1936-39) den Grundsatz der Nichtintervention, handele diesem aber zuwider, indem sie die Madrider Regierungstruppen unterstütze (S. 73). Gleichzeitig würde die Sowjetunion durch die Komintern und die von ihr verbreitete Propaganda völkerrechtswidrig in anderen Staaten intervenieren (S. 52). Unerwähnt bleibt bei Mosler allerdings, dass das Deutsche Reich dieselben Handlungen vornahm. Im spanischen Bürgerkrieg unterstützte es die Truppen von Francisco Franco und entsandte ab 1936 die Legion Condor, die an mehreren Gräueltaten beteiligt war. Gleichzeitig entwickelte das NS-Regime eine beachtliche Auslandspropaganda, die zum Beispiel im Vorfeld der Annexion des sog. „Sudetenlandes“ den „Anschluss“ vorbereitete[14] und die Saarabstimmung von 1935 intensiv begleitete. Es wäre zu erwarten gewesen, dass auch hierauf hingewiesen würde, zumal Mosler behauptete, dass sich das Deutsche Reich an das Interventionsverbot im Kontext des spanischen Bürgerkriegs halte (S. 54-55).

Weiterhin ist auffällig, dass Mosler überwiegend deutsche und österreichische Staatenpraxis zitiert. Beispielsweise erwähnt er zur Begründung des Propagandaverbots das deutsch-japanische Abkommen von 1936 gegen die Kommunistische Internationale (S. 52, Fn. 49).[15] Die bedeutendere multilaterale Konvention über den Gebrauch des Rundfunks im Interesse des Friedens vom 23. September 1936 bleibt unerwähnt.[16] Diese richtete sich nicht nur gegen sowjetische, sondern auch gegen NS-Propaganda und wurde daher vom Deutschen Reich nicht ratifiziert.[17] Auch die Quellenwahl spiegelt so die Auffassung, dass Interventionen immer nur das sind, was andere Staaten tun.

Dieses Bild wird entschieden dadurch verstärkt, dass sich Mosler auf einer abstrakten Ebene nicht mit dem Interventionsbegriff auseinandersetzt. Er legt weder dar, was unter dem Einsatz von „Macht“ zu verstehen ist, noch was als innere Angelegenheit gilt. Dabei hatte sich der Ständige Internationale Gerichtshof in einem Gutachten von 1923 intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Angelegenheiten als innere Angelegenheit zu verstehen sind.[18] Eine Auseinandersetzung mit diesem Gutachten wäre zu erwarten gewesen. Gleichzeitig kommen bei Interventionen verschiedene Intensitäten von „Macht“ in Betracht. Die Verwendung militärischer Gewalt fällt in Moslers Konzeption jedenfalls darunter. Die Verbreitung von Propaganda aber auch. Warum dieses deutlich schwächere Medium den Anforderungen der „Machtschwelle“ genügt, wird nicht erörtert. Da insgesamt dogmatische Auseinandersetzungen mit den Tatbestandsvoraussetzungen des Interventionsverbots ausbleiben, bietet die Dissertation allein kurze Ausführungen zu den jeweiligen Interventionskonstellationen zur Bestimmung des Interventionsverbots. Wie gerade dargelegt, bleibt die Interventionspraxis des Deutschen Reichs hierbei unerwähnt.

Diese Bewertung mit zweierlei Maß verstärkt apologetische Passagen in Moslers Dissertation, die die Kompatibilität des Nationalsozialismus mit dem Völkerrecht hervorheben. In diesem Zusammenhang sind zunächst die sechs Hitler-Referenzen zu erwähnen.[19] Eine Hitler-Rede wird gleich in der ersten Fußnote herangezogen, um die damalige Krise des Völkerrechts zu illustrieren (S. 7, Fn. 1). Darüber hinaus wird Hitler an entscheidenden Stellen zitiert, nicht nur um tatsächliche Gegebenheiten nachzuweisen oder die Position Deutschlands zu erläutern, sondern auch um völkerrechtliche Argumente zu formulieren und untermauern (S. 79, Fn. 55). Diese Zitate wurden bereits von einem Zeitgenossen Moslers kritisch bewertet.[20] Weiterhin widmet sich der dritte Teil der Dissertation (S. 71 ff.) der Kompatibilität des Faschismus und des Nationalsozialismus mit dem Völkerrechtssystem.[21] Die völkische Ausrichtung des Nationalsozialismus wird nicht als Verletzung des Völkerrechts eingeordnet.[22] Schließlich wäre der völkische Ordnungsgedanke im Idealzustand des Gleichlaufs von Volk und Staatsgrenze auch mit dem staatlich geprägten Völkerrecht kompatibel (S. 79). Darüber hinaus verharmlost Mosler die Konsequenzen faschistischen und völkischen Denkens. Eine Rede Mussolinis, in der dieser ankündigt, dass „Innerhalb eines Dezenniums (…) Europa faschistisch oder faschisiert sein [wird]!“ (S. 75), tut Mosler allein als Prognose und nicht als Absichtserklärung ab. Die Ankündigung sieht er nicht als Handlungsplan der faschistischen italienischen Regierung und geht daher auch nicht davon aus, dass diese hieraus ein Interventionsrecht ableitet.

Die Konstruktion des Interventionsschutzes, die mit vielfachen Doppelstandards zugunsten des nationalsozialistischen Deutschlands und der damit verbundenen Apologetik gepaart ist, lässt sich der dritten eingangs beschriebenen Kategorie zuordnen: Das Interventionsverbot wird einerseits als Grenze für ausländische Einmischungen mobilisiert, andererseits sollen die eigenen Handlungen diesem Verbot nicht unterfallen.

III. Intervention als Beschränkung von Exzessen

Neben dem Interventionsschutz für nationalsozialistische Projekte und den Doppelstandards zugunsten des Deutschen Reichs bietet die Dissertation von Hermann Mosler jedoch auch Anhaltspunkte für ein beschränkendes Verständnis des Interventionsverbots. Gerade vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Expansionsprogramm sind diese Aspekte beachtlich.

So spricht sich Mosler entschieden gegen die zwanghafte Änderung von Grenzläufen aus (S. 80), welches dem Kellog-Briand Pakt von 1928 entspricht. Darüber hinaus verbietet seine Konzeption des Interventionsverbots Eingriffe in Minderheitenangelegenheiten. Gerade mit Blick auf die ethnisch-deutsche Bevölkerung im sog. „Sudetenland“ stand dieser Grundsatz der NS-Expansionspolitik diametral entgegen. Diese Elemente können daher als Versuch Moslers interpretiert werden, die NS-Regierung an das Völkerrecht und das Interventionsverbot zu binden. Von den sechs Hitler-Zitaten beziehen sich vier auf die sogenannten „Friedensreden“ von 1935, in denen sich Hitler zumindest verbal zu der Friedensordnung bekennt, aggressive Tendenzen seiner Regierung verneint und die Rechte anderer Völker anerkennt. Diese verbalen Bekenntnisse wurden zwar ab 1937/38 von der Realität überholt. Christian Tomuschat hat jedoch festgehalten, dass bei Erscheinung der Dissertation im Jahr 1937 die Verwendung dieser Reden durch Mosler noch zulässig war und der Bindung des NS-Regimes an das geltende Völkerrecht dienen sollte.[23]

Rudolf Bernhardt und sein Lehrer Hermann Mosler 1961 auf dem Kolloquium „Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart“ (Foto: MPIL)

Darüber hinaus wird in der zeitgenössischen[24] wie neueren[25] Rezeption des Werks hervorgehoben, dass Mosler sich für eine „Intervention aus Gründen der Menschlichkeit“ (S. 61 f.) ausspricht, sofern es zu Verstößen „gegen die elementaren Gesetze der Menschlichkeit“ (S. 63) in einem Staat kommt, kein milderes Mittel besteht und die Intervention nicht zu einer „wesentlich empfindlichere[n] Störung der Rechtsordnung“ (S. 65) führt. In einer kurzen Rezension von 1939 hebt der US-amerikanische Interventionsexperte Ellery Stowell folgendes hervor:

„It is interesting to note in this German text, published before the recent anti-Semitic severities in the Third Reich, the statement that intervention on the ground of humanity is today recognized when occurrences within another state are in blatant opposition to the generally recognized principles of humanity.”[26]

Rudolf Bernhardt sieht in den diesbezüglichen Erörterungen den Schwerpunkt der Arbeit.[27] Durch das Bekenntnis zur Humanitätsintervention hätte sich Mosler zu einer möglichen ausländischen Intervention gegen das Deutsche Reich bekannt, sofern es in der Zukunft zu schwereren Verletzungen der Menschlichkeit kommen würde. In Moslers Sinne könne das Interventionsverbot nicht gegen exzessive Verletzungen der Menschlichkeit bestehen.

Zwar ist zweifelhaft, inwiefern 1937 eine derartige Position noch vertretbar war. Schließlich sah Mosler die Kriterien für eine Humanitätsintervention noch nicht gegeben, obwohl die Nürnberger Rassengesetze von 1935 und die damit verbundene Jüd*innenverfolgung, die entschiedene Aufrüstung und Einführung der Wehrpflicht ab 1935, die revisionistischen Tendenzen bezüglich der deutschen Grenzen und des Versailler Vertrags (unter anderem durch die Besetzung des Rheinlands 1936) und die aggressive außenpolitische Haltung[28] bereits zu diesem Zeitpunkt auftraten. Dennoch kann Mosler zugutegehalten werden, dass er das Interventionsverbot nicht verabsolutiert und damit auch die völkerrechtliche Möglichkeit einer Intervention gegen das Deutsche Reich offenhält, sofern dieses elementare Grundsätze der Menschlichkeit verletzt.

Die Dissertation von Mosler enthält somit auch Aspekte, die sich der zweiten eingangs skizzierten Ausrichtung zuordnen lassen: Das Interventionsverbot wird vor die Expansionspolitik des Deutschen Reichs gestellt, eine gewaltsam Grenzverschiebung abgelehnt. Gleichzeitig wird der Interventionsschutz nicht als vollumfänglich dargelegt und die Möglichkeit zur Humanitätsintervention eröffnet.[29]

IV. Fazit

Gerade in der Anfangszeit des NS-Regimes wurden völkerrechtliche Forschungsergebnisse in der NS-Außenpolitik dazu verwendet, das Deutsche Reich als weiterhin berechenbaren Staat und verlässlichen internationalen Akteur darzustellen.[30] Die bereits genannten revisionistischen Maßnahmen wurden auf Grundlage wissenschaftlich erarbeiteter Argumentation nach außen hin „plausibel“ begründet und konnten so zunächst den Schein erwecken, dass das nationalsozialistische Deutschland die Völkerrechtsordnung zumindest grundsätzlich achten würde. Diese dienende Funktion völkerrechtlicher Forschung ist typisch für autoritäre Staaten. Forschende in diesen Kontexten können daher, selbst wenn sie eine objektive rechtliche Bewertung anstreben, durch Schwerpunktsetzung, Themen- und Quellenwahl einer bestimmten Mobilisierung ihrer Forschungsergebnisse Vorschub leisten.

Daher sind Ausrichtung und Konzeptualisierung von Hermann Moslers Dissertation kritikwürdig. In seiner Konzeption werden bedeutende Projekte des NS-Regimes durch das Interventionsverbot vor äußeren Einflüssen abgeschirmt. Das Deutsche Reich konnte sich auf seine völkerrechtliche Stimme beziehen, wenn sie ausländische Kritik an der Jüd*innenverfolgung oder der Aufrüstung als Intervention zurückwies. Auf Basis von Moslers völkerrechtlicher Positionierung konnte das Regime ohne Rücksicht auf ausländische Bedenken den Angriffskrieg gegen mehrere europäische Staaten und den systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden vorbereiten. Selbst wenn diese Folgen 1937 noch nicht gänzlich absehbar waren, ist eine hierzu dienende und ermöglichende Konzeptualisierung des Interventionsverbots nur schwer zu rechtfertigen.

Allerdings kann auch nicht darüber hinweggesehen werden, dass Moslers Position dem völkerrechtswissenschaftlichen Zeitgeist der Mitte der 1930er Jahre entsprach. Die Ablehnung des Versailler Vertrags und eine gewisse Affinität zur NS-Außenpolitik, die eine Revision von Versailles anstrebte, waren unter deutschen Völkerrechtler*innen der 1930er weit verbreitet.[31] Zudem bestand, zumindest vor 1938, eine große Bereitschaft über kritische Aspekte des NS-Projekts hinwegzuschauen.[32] Dass sich diese Elemente auch in der Dissertation von Mosler wiederfinden, verwundert daher nicht, zumal eine risikolose Abweichung von diesem Forschungskonsens im damaligen autoritären Forschungskontext[33] einem aufstrebenden Nachwuchswissenschaftler in der Position Moslers nur schwer möglich war.

Aufschlussreich ist daher der genaue Blick auch auf die anderen Aspekte der Arbeit. Mosler versuchte die NS-Regierung an einen Interventionsbegriff zu binden, der außenpolitische Exzesse verhindern würde. Insbesondere das Bekenntnis gegen die gewaltvolle Verschiebung von Grenzen stand der NS-Expansionspolitik entgegen. Hierdurch setzte sich Mosler auch von anderen Zeitgenossen ab, die sich klar zugunsten des NS und seiner Expansionspolitik aussprachen. Mosler bekannte sich zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich zum NS und wurde nicht NSDAP-Mitglied. Zudem stellt allein die von ihm eingeräumte Möglichkeit zur Humanitätsintervention eine Beschränkung des sonst sehr umfassenden Interventionsschirms dar.

Die Dissertation von Hermann Mosler lässt sich im Ergebnis keiner der drei oben skizzierten Ausrichtungen zweifelsfrei zuordnen. Für alle drei bestehen Anhaltspunkte. Gerade vor dem Hintergrund aktueller interventionsrechtlicher Debatten zeigt seine Arbeit jedoch, wie bestimmte wissenschaftliche Schwerpunktsetzungen einer politischen Mobilisierung dienen können, selbst wenn der Autor eine objektive Bewertung der Völkerrechtslage anstrebt.

 

[1] The Commissioner’s Office of China’s Foreign Ministry in the Hong Kong S.A.R, Say No to Unilateral Sanctions and Jointly Uphold the International Rule of Law, Keynote Speech by H.E. Mr. Xie Feng Commissioner of the Ministry of Foreign Affairs of China in the Hong Kong Special Administrative Region at the Opening Ceremony of 2020 Colloquium on International Law, 04.12.2020, online: <www.mfa.gov.cn/ce/cohk/eng/zydt/t1838003.htm>, zuletzt abgerufen am 23.02.2022.

[2] China sanctions four with U.S. democracy promotion ties over Hong Kong, Reuters, 30.11.2020, online: <www.reuters.com/article/us-usa-china-hongkong-sanctions-idUSKBN28A0RH>, zuletzt abgerufen am 24.02.2022.

[3] Hermann Mosler, Die Intervention im Völkerrecht – Die Frage des Verhältnisses von Souveränität und Völkergemeinschaft, Berlin: Juncker und Dünnhaupt 1937; Die Dissertation entstand 1935 und 1936 bei Richard Thoma an der Universität Bonn.

[4] Ingo Hueck, Die deutsche Völkerrechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Kieler Institut für Internationales Recht, in: Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandaufnahme und Perspektiven der Forschung Bd.2, Göttingen: Wallstein 2000, 490-528, 492.

[5] Christian Tomuschat, Rede zum 50. Doktorjubiläum von Hermann Mosler, gehalten am 12. November 1987, in: Bonner akademische Reden, Bd. 69, Bonn: Bouvier 1989, 10 ff.; Rudolf Bernhardt, Die Rückkehr Deutschlands in die Internationale Gemeinschaft, Der Staat 42 (2003), 583-599, 585; Christian Tomuschat, Hermann Mosler (1912-2001), in: Peter Häberle/Michael Kilian, Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Berlin: De Gruyter 2014, 959; Felix Lange, Praxisorientierung und Gemeinschaftskonzeption – Hermann Mosler als Wegbereiter der westdeutschen Völkerrechtswissenschaft nach 1945, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 262, Heidelberg: Springer 2017, 64; 105-106.

[6] VI. Abt., Rep. 1, Nr. KWIauslöffRechtuVölkerrecht III/51.

[7] Einzelne Aspekte hiervon wurden in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht immer wieder verteidigt, siehe: Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, Die Entziehung der Staatsangehörigkeit und das Völkerrecht, ZaöRV 4 (1934), 261-277.

[8] Auch die deutsche Aufrüstung unter Verletzung des Versailler Vertrags wurde in der ZaöRV gerechtfertigt, siehe: Viktor Bruns, Der Beschluß des Völkerbundsrats vom 17. April 1935, ZaöRV 5 (1935), 310-316.

[9] Hueck (Fn. 4), 516.

[10] Lange (Fn. 5), 105.

[11] Detlev F. Vagts, International Law in the Third Reich, AJIL 84 (1990), 661-704, 670.

[12] Hans Wehberg, Die Reform des Völkerbundes, Die Friedens-Warte 36 (1936), 204-206; Edgar Tatarin-Tarnheyden, Völkerrecht und organische Staatsauffassung, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 29 (1936), 295-319.

[13] Zur Diskussion hierum siehe: Wehnberg (Fn. 12) und weiter: Quincy Wright, The Test of Aggression in the Italo-Ethiopian War, AJIL 30 (1936), 45-56.

[14] Hueck (Fn. 4), 497-98; Peter Longerich: Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, Studien zur Zeitgeschichte Bd. 33, Berlin: De Gruyter 1987, 46 ff; Beispielsweise im Vorfeld der Annexion des „Sudetenlands“, siehe: Schreiben des tschecho-slowakischen Gesandten in London an den britischen Außenminister, datiert 25. September 1938, abgedruckt in: Friedrich Korkisch, Dokumente zur Lösung der Sudetendeutschen Frage, ZaöRV 8 (1938), 759-788, 776.

[15] Abkommen gegen die Kommunistische Internationale v. 25. 11. 1936, RGBl. II 1937, 28.

[16] International Convention Concerning the Use of Broadcasting in the Cause of Peace v. 23. 9. 1936, UNTS 186, 301; siehe ausführlich zu diesem Abkommen: Björnstjern Baade, Fake News and International Law, EJIL 29 (2019), 1357-1476, 1365; Henning Lahmann, Information Operations and the Question of Illegitimate Interference under International Law, Israel Law Review 53 (2020), 1-36, 7.

[17] Baade (Fn. 16), 1366.

[18] StIGH, Nationality Decrees Issued in Tunis and Morocco, Advisory Opinion v. 7. 2. 1923, Series B, No. 23-24.

[19] Insgesamt sechs Zitate auf S. 6, 77, 78, 79.

[20] Kritik von Wilhelm Wengler wiedergegeben bei Lange (Fn. 5), 105.

[21] Eine andere Interpretation dieses Teils vertritt Lange (Fn. 6), 106-7. Er sieht hierin einen Versuch Moslers den Nationalsozialismus an das Völkerrecht zu binden, indem er darlegt, weshalb die nationalsozialistische Position weitestgehend dem Völkerrecht entspricht.

[22] Dabei beruhte die völkische Ausrichtung des Nationalsozialismus auf einer Über- und Unterordnung verschiedener „Rassen“. Eine Gleichberechtigung verschiedener in Staaten konstituierter Völker ist unter dieser Prämisse nicht möglich und damit eine Negation des souveränitätsbasierten Völkerrechts.

[23] Bernhardt (Fn. 5), 585; Tomuschat, Mosler (Fn. 5), 959.

[24] Ellery C. Stowell, Humanitarian Intervention, AJIL 33 (1939), 241.

[25] Tomuschat, Mosler (Fn. 5), 959; Bernhardt (Fn. 5), 584; Lange (Fn. 5), 64; 105-106.

[26] Stowell (Fn. 24), 241.

[27] Bernhardt (Fn. 5), 584 f.

[28] Lange (Fn. 5), 37; Tomuschat, Rede (Fn. 5), 10.

[29] Ob eine Humanitätsintervention gegen das Deutsche Reich nach 1937 zulässig gewesen wäre, hat Mosler nie beantwortet. Nach der Dissertation hat er – ausweislich seines Schriftenverzeichnisses – nicht wieder zum Interventionsverbot publiziert, siehe: Roger Bernard et al. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte: Festschrift für Hermann Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 81, Heidelberg: Springer 1983, 1049-1057.

[30] Vgl. Rüdiger Hachtmann, Das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1924 bis 1945, MPIL100, online: <mpil100.de/2023/12/das-kaiser-wilhelm-institut-fuer-auslaendisches-oeffentliches-recht-und-voelkerrecht-1924-bis-1945/>, zuletzt abgerufen am: 21.12.2023; Lange (Fn. 5), 37: „Indem die Völkerrechtswissenschaft sich grundsätzlich für die Einhaltung völkerrechtlicher Bindungen stark machte, stärkte sie das Bild eines berechenbaren und kontrollierbaren Regimes gegenüber dem Ausland.“; Hueck (Fn. 4), 514.

[31] Hueck (Fn. 4), 525.

[32] Hueck (Fn. 4), 525.

[33] Hueck (Fn. 4), 492.

Suggested Citation:

Florian Kriener, Das Interventionsverbot in autoritären Kontexten. Hermann Moslers Intervention im Völkerrecht, MPIL100.de, DOI: 10.17176/20240404-212545-0

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