Silja Vöneky ist  Professorin für Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsethik an der Universität Freiburg und Direktorin des dortigen Instituts für Öffentliches Recht. Von 2001 bis 2011 war sie Referentin am MPIL, wo sie ab 2005 die Max-Planck-Forschungsgruppe zur „Demokratischen Legitimation ethischer Entscheidungen" leitete.

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Mut zum Widerspruch. Die völkerrechtliche Zeitenwende 9/11 am Institut

Wo waren Sie am 11. September 2001? Wo waren Sie, als kurz vor 15 Uhr deutscher Zeit (8:45 Ortszeit in New York) erst eines und kurz danach ein zweites Flugzeug in die Türme des World Trade Centers geflogen wurden? Ich saß in meinem Büro am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Als junge wissenschaftliche Mitarbeiterin war ich erst im Frühjahr des Jahres an das Institut zurückgekehrt und hatte meine Stelle angetreten. Ich war als Referentin unter anderem für das Humanitäre Völkerrecht zuständig; mein Länderreferat waren die USA. Das Jahr zuvor hatte ich meine Referendarszeit am Kammergericht in Berlin beendet, mit einer Station in New York beim Generalkonsulat im „Deutschen Haus“, direkt gegenüber der Vereinten Nationen. Meine Promotion war gerade erschienen, zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten und zu Fragen der Fortgeltung von umweltvölkerrechtlichen Verträgen im Krieg.[1] New York und die USA waren mir seit dem Sommer 2000 nah, ebenso Fragen von Kriegen, Zerstörung und der Geltung des Rechts in bewaffneten Konflikten.

Nachdem ein Kollege in mein Zimmer kam und von einem Unfall mit einem Flugzeug in New York berichtete, verfolgte ich die Nachrichten online, die in Echtzeit gepostet wurden. Videos der World-Trade-Center-Türme wurden ungeschnitten gezeigt. Zunächst war es ein Flugzeug, über das berichtet wurde. Der erste Einschlag sah auf den Videos minimal aus, nur ein kleiner schwarzer Einschlagspunkt in einem riesigen Turm. Es könnte ein verirrtes Sportflugzeug gewesen sein, hieß es. Unklar war, ob es sich um einen Unfall handelte. Dann, nur wenige Minuten später, folgte der zweite Einschlag. Danach zweifelte wohl niemand mehr, dass es sich um Anschläge handeln musste. Einige wissenschaftliche Mitarbeiter*innen berieten sich am Institut. Sollten wir nicht per E-Mail alle im Institut informieren? Uns war die Tragweite der Anschläge wohl intuitiv sehr bewusst. Einer meinte, dass mittlerweile ohnehin alle am Institut Bescheid wüssten und wir nichts ändern könnten. Die E-Mail wurde dann doch gesendet.

Ich selbst musste an diesem Tag von Heidelberg nach Frankfurt fahren. Als ich dort am späten Nachmittag am Hauptbahnhof ankam, waren riesige Leinwände aufgebaut, um die Bilder der Champions-League-Fußballspiele am Abend zu übertragen. Nun liefen auf diesen Leinwänden die Live-Bilder aus New York, minutenlang, auch hier praktisch ungeschnitten: die rauchenden Türme, die langsam fallenden Papiere aus den zerborstenen Scheiben der Hochhäuser, die in der Luft wirbelten. Die verzweifelt aus den Fenstern winkenden Menschen, die springenden Menschen, die fallenden Menschen – alles überlebensgroß. Ich habe diese furchtbaren Bilder seitdem nicht vergessen.

Die zweite Zeitenwende. Das Ende der friedlichen „Neuen Weltordnung“

Es war die zweite Zeitenwende, die ich erlebte, nach dem Ende des Kalten Krieges. 1989 war ich Jura-Studentin im ersten Semester an der Universität Freiburg, nun erlebte ich an einem Nachmittag und den Wochen danach das Ende der optimistischen 1990er Jahre, der Jahre von 1989-2001, in denen endlich auch völkerrechtlich alles möglich schien. Nun war die Hoffnung auf eine friedliche “Neue Weltordnung” – die ich noch in einem Seminar in Bonn bei Christian Tomuschat diskutiert hatte, nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs und dann nach dem Ende des Kosovo-Konflikts – zerschlagen. Die umwälzende Bedeutung der Anschläge war offensichtlich. Was alles folgen würde, insbesondere durch die US-Regierung, war mir nicht klar. Als ich Rüdiger Wolfrum, den damaligen Direktor des Instituts und Betreuer meiner Dissertation und Habilitation, kurz nach dem 11. September fragte, was er erwarte, meinte er erst einmal knapp: “Nichts Gutes.” Er sollte recht behalten.

Die USA waren ins Mark getroffen, und sie und die Welt unter ihrer Führung reagierten schnell. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte bereits am 12. September mit der knappen Resolution 1368 die Anschläge verurteilt und das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Auch die NATO reagierte und stellte am 13. September zum ersten Mal in ihrer Geschichte den kollektiven Verteidigungsfall fest. Am 20. September kündigte US-Präsident Bush in seiner “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns”-Rede vor dem US-Kongress den “Krieg gegen den Terror” als einen lang andauernden Feldzug an und forderte Afghanistan auf, Osama bin Laden auszuliefern. Wenige Tage später folgte die ausführliche Sicherheitsratsresolution 1373, einstimmig angenommen, zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie betonte ebenfalls das Recht aller Staaten auf Selbstverteidigung, neben detaillierten Vorgaben zum Einfrieren von Finanzmitteln und Kooperationspflichten.

Schon am 7. Oktober begannen die USA, zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Stellungen der Taliban in Afghanistan, zunächst aus der Luft, anzugreifen. Spätestens Ende Oktober wurden US-Bodentruppen in Afghanistan eingesetzt. Nach und nach wurde zudem offensichtlich, dass drei der mutmaßlichen Attentäter in Hamburg gelebt hatten. Und auch Deutschland reagierte: Im November 2001 beschloss die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Schröder etwa 3.500 deutsche Soldaten in Afghanistan im Rahmen eines Anti-Terror-Einsatzes einzusetzen. Am 11. Januar 2002 trafen die ersten Gefangenen in Guantanamo ein, einem US-Militärstützpunkt auf Kuba, der schnell von den USA zum Gefangenenlager für Terrorverdächtige umfunktioniert worden war.

Der „Global War on Terror”. Diskussionen in der Referentenbesprechung

Wachturm in Guantanamo 2002[2]

Wie reagierte das Institut? Nach meiner Erinnerung haben wir in den Referentenbesprechungen die Sicherheitsratsresolutionen diskutiert. Ich selbst habe abgewartet, um besser zu verstehen. Zu Beginn des Jahres 2002 ging es mir dann vor allem um die Frage, wie der Kampf gegen den Terrorismus völkerrechtlich einzuordnen war: War der Terrorismus Verbrechen oder Kriegsakt – A crime or an act of war? Die Mehrheit der europäischen Völkerrechtswissenschaftler*innen und wohl auch die Mehrheit am Institut vertraten damals zunächst die These, dass diese Anschläge allein Verbrechen seien und daher die Terroristen als Straftäter, sofern sie noch lebten, zu fassen und vor den Strafgerichten der betroffenen Staaten abzuurteilen seien.

Die These der US-Regierung war dagegen die eines militärisch zu führenden und gerechtfertigten “Global War on Terror”. Dies war verbunden mit der These eines örtlich und zeitlich entgrenzten Schlachtfeldes, wobei Terroristen rechtlos gestellt werden: Terroristen waren aus Sicht der US-Regierung weder „echte“ Kombattanten noch Zivilisten, sondern unrechtmäßige Kämpfer (“unlawful combatants”) und daher nicht durch die Genfer Konventionen geschützt. Die Gefangenen, die in Guantanamo interniert wurden, seien danach zweifellos – so die weitere These der US-Regierung – nicht als Kriegsgefangene nach der Dritten Genfer Konvention zu schützen. Für sie gälten zudem weder die Menschenrechte, an die die USA international als Vertragspartei gebunden waren, noch die Rechte der US-Verfassung, da beide nur innerhalb der Landesgrenzen den USA Pflichten auferlegten, aber nicht extraterritorial.

Ich hielt weder diese Thesen der US-Regierung, aber auch nicht die These vieler Kolleg*innen, dass es “nur” Verbrechen seien, letztlich für überzeugend und berichtete darüber in zwei Referentenbesprechungen zu Beginn des Jahres 2002. Meine Argumentation war zweistufig: Zunächst ging es zunächst um die Frage der Anwendbarkeit der Genfer Konventionen. Ich argumentierte dogmatisch: Geht man vom Anwendungsbereich der Genfer Konventionen nach ihrem Wortlaut aus, so ist entscheidend, ob – erstens – die Anschläge als Teil eines „bewaffneten Konfliktes“ zu qualifizieren waren, und ob – zweitens – dieser als nicht-internationaler oder internationaler Konflikt zu qualifizieren war. Letzteres ist der Fall, wenn terroristische Anschläge einem Staat zurechenbar sind. Aus meiner Sicht war beides zu bejahen, da die Anschläge auf die Türme des World Trade Centers, die unmittelbar zu ca. 3.000 Toten führten, zwar mit zivilen Flugzeugen ausgeübt wurden, aber in Art und Intensität der Gewaltanwendung einer Bombardierung gleichkamen. Die Zurechnung zu dem de-facto Regime der Taliban in Afghanistan konnte ebenfalls mit guten Gründen begründet werden, da dieses zwar nicht mit Al-Quaida, als Urheber der Anschläge, gleichzusetzen war, aber die Verbindungen eng waren, indem die Taliban Al-Quaida im Land Aufenthalt gewährten und auch weitere Verbindungen, wie durch Finanzierungen, bestanden.

Wurden diese Fragen positiv beantwortet, so war auch zu fragen und zu beantworten, was daraus völkerrechtlich folgt. Aus meiner Sicht war die Antwort eindeutig: Ist ein internationaler bewaffneter Konflikt gegeben, gilt auch hier die Vierte Genfer Konvention, die Zivilisten grundsätzlich schützt und – als enge Ausnahme – nur dann nicht schützt, wenn diese “offensiv” sind, wie Terroristen, wenn sie „unmittelbar an den Feindseligkeiten“ teilnehmen – so wie es ausdrücklich im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen normiert ist. Zudem gilt aber auch die Dritte Genfer Konvention, die diejenigen als Kriegsgefangene schützt, bei denen unklar war, ob sie Zivilisten oder Kombattanten waren; dies jedenfalls solange, wie es in der Dritten Genfer Konvention heißt, bis ein “kompetentes Tribunal” über diese Zweifel entschieden habe. Ein kompetentes Tribunal muss dabei nicht notwendig ein ziviles Gericht sein, es kann auch ein Militärgericht (court martial) sein. Jedenfalls konnte es kein militärisches Tribunal (military tribunal) sein, wie es in Guantanamo von den USA eingerichtet worden war. Damit widersprach ich der US-Regierungsthese, die bei Terroristen, oder denen, die man dafür nach Geheimdienstinformationen hielt, von unrechtmäßigen und deswegen rechtlosen und letztlich vogelfreien Kämpfern ausging.

Den damaligen zweiten Institutsdirektor, Jochen Abr. Frowein, hatte ich mit meinen Thesen zunächst nicht überzeugt – vielleicht auch, da er nur den letzten Teil meiner Argumentation in der Referentenbesprechung gehört hatte. Was ich jedoch am Institut geschätzt habe, war, dass Gegenargumente offen diskutiert wurden. Das war nicht immer einfach, gerade wenn man seine Thesen als junge Wissenschaftlerin gegen einen Direktor verteidigen musste; aber es war ein klarer Austausch, und man konnte dabei seine Argumente messen und auch schärfen, auch für die Diskussionen, die noch folgen würden – auf Konferenzen und mit dem Auswärtigen Amt (AA). Ich hatte das Gefühl, ich konnte Jochen Abr. Frowein von meinen letztlich auch überzeugen.

Schon damals, im Verlauf des Jahres 2002, und lange bevor die Foltervorwürfe in Guantanamo abschließend untersucht und belegt wurden, war damit klar – was ich mir bis dahin nicht hätte vorstellen können –, dass die US-Regierung, als Vertreterin der westlichen Welt und damals einzige Supermacht, in Bezug auf alle mutmaßlichen Terroristen offen gegen die Genfer Konventionen und weiteres Völkerrecht verstieß.

“Wenn wir uns nicht äußern, bleibt es unwidersprochen“. Die Zusammenarbeit zwischen Institut und Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes

In der Folge der Anschläge wurde die Zusammenarbeit zwischen der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und dem Institut besonders eng, da die völkerrechtlichen Fragen des „Global War on Terror“ bis dahin kaum diskutiert worden waren. Telefonate mit der Rechtsabteilung wurden geführt, beispielsweise darüber, wie der Begriff der „unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten“ auszulegen sei, der darüber entscheidet, ob ein Zivilist offensiv ist (und damit ausnahmsweise ungeschützt) oder nicht.

Als Referent*innen hatten wir – Christian Walter, Frank Schorkopf, Volker Röben und ich – zudem viel Freiheit und die Unterstützung der beiden Direktoren Wolfrum und Frowein, um im Januar 2003 eine große internationale Konferenz am Institut zu organisieren. Bei dieser konnten wir und alle damaligen Referent*innen des Instituts – wie Anja Seibert-Fohr, Petra Minnerop, Nicola Vennemann (jetzt Wenzel), Rainer Grote, Nico Krisch, etc. – nachdem wir unsere Positionen ausgearbeitet hatten, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung im Völkerrecht und in Bezug auf einzelne Staaten, mit den großen Völkerrechtler*innen unserer Zeit diskutieren[3]: Wie weit reicht das Recht zur Selbstverteidigung eines Staates? Wie ist auf einen Angriff nicht-staatlicher Akteure völkerrechtskonform zu reagieren? Wie kann die Finanzierung des Terrorismus völkerrechtlich unterbunden werden? Wie passen sich die innerstaatlichen Rechtsordnungen an? Welche Normen des Humanitären Völkerrechts gelten, wenn ein Staat militärisch reagiert? Welche Rolle spielen Menschenrechte? Diese Konferenz und die zum Teil kontroversen Diskussionen, die auch leidenschaftlich geführt wurden, waren ein weiterer Höhepunkt des völkerrechtlichen Austausches in dieser Zeit am Institut.

Die US-Regierung änderte jedoch auch in den nachfolgenden Jahren kaum etwas an ihrem Kurs. Nachdem der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schon 2002 gesagt hatte, dass die “Samthandschuhe” bei der Behandlung der Gefangenen in Guantanamo “ausgezogen werden sollten”, wurden im August 2002 die – erst später bekannt gewordenen – sogenannten Folter-Memoranden von US-Rechtswissenschaftler John Yoo verfasst, die dies rechtlich absichern sollten. Yoo engte den Folterbegriff so ein, dass inhumane Verhörmethoden, wie Schlafentzug und das sogenannte Waterboarding, nicht als Folter und nicht als grausame Behandlung qualifiziert wurden. Wir kannten die Memoranden nicht und doch wusste man von den Verhörmethoden und es war offensichtlich, dass sie völkerrechtswidrig waren.

Im Jahr 2003 erfolgte, nachdem Verteidigungsminister Rumsfeld kritische Staaten wie Deutschland als das “alte Europa” abqualifiziert hatte, schließlich der militärische Einsatz der US-Truppen im Irak, der aus Sicht der meisten kontinental-europäischen Völkerrechtswissenschaftler*innen eindeutig ebenfalls als völkerrechtswidrig zu qualifizieren war und nicht als Selbstverteidigung im Sinne der UN-Charta gerechtfertigt werden konnte. Im selben Jahr wurden auch die Misshandlungen im US-Militärgefängnis in Abu Ghraib im Irak bekannt und damit weitere Verstöße gegen das Völkerrecht. Dies alles wurde in der Referentenbesprechung erörtert, oft zeitlich knapp, aber ausreichend, um die zentralen Rechtsfragen anzusprechen. Ich hatte mich entschlossen, zu diesen Fragen auch weiter zu publizieren.

2006, in der Mitte der zweiten Amtszeit der Bush-Administration, kam etwas Bewegung in den internationalen Diskurs, da die USA versuchten, die vermehrte Kritik der „alten“ europäischen Staaten an dem Vorgehen der USA bei der Terrorismusbekämpfung einzuhegen. Auch hier spielte das Institut eine wichtige Rolle. So wurde etwa  – insbesondere durch Rüdiger Wolfrum und die Referatsleiterin in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, Susanne Wasum-Rainer –  2006 eine gemeinsame, nicht-öffentliche Konferenz mit Mitarbeiter*innen des Instituts organisiert, die Vertretern der US-Regierung und US-Ministerien die Möglichkeit bot, über unterschiedliche Positionen zu diskutieren.[4]

Als ich gebeten wurde vorzutragen, war ich, nachdem wir schon einige Jahre zu diesen Fragen publiziert hatten, skeptisch, ob sich dieser Austausch lohnen würde, vor allem, ob es mehr sein konnte als eine Marketing-Veranstaltung der US-Administration, damit diese uns „alten“ Europäern ihre Positionen besser verkaufen kann. Rüdiger Wolfrum hat damals zu mir gesagt: “Wenn wir uns nicht äußern, bleibt es unwidersprochen und es äußert sich niemand.” Das leuchtete mir ein. So kam es zu meinem Vortrag als Replik auf John B. Bellinger III, damaliger Legal Adviser to the Secretary of State, in einem der großen Konferenzsäle des Auswärtigen Amtes in Berlin. Er war besetzt bis auf den letzten Platz, mit Beamten verschiedener Ministerien aus beiden Ländern, Militärs, und Wissenschaftler*innen – für mich beeindruckend und einschüchternd zugleich.

John Bellinger III, 2006[5]

Seit der Referentenbesprechung Anfang 2002 hatten sich meine Argumente nicht im Kern geändert, aber vertieft und ausgeweitet und so widersprach ich verschiedenen Thesen der US-Regierung: Jenen zu vogelfreien „unlawful combatants“, zur Nicht-Anwendbarkeit der Menschenrechte und zur Einordnung von Verhörtechniken in Guantanamo als rechtskonform. John B. Bellinger III hat damals nach der Konferenz der Publikation seiner Position[6] und meiner Gegenrede[7] im German Law Journal, herausgegeben von Russel Miller und Peer Zumbansen, zugestimmt. Dies allerdings mit der Maßgabe, dass er wiederum schriftlich auf mich reagieren dürfe,[8] ich aber dann nicht mehr auf ihn – er mithin das letzte Wort habe. Darauf habe ich mich eingelassen. Dieser Spatz in der Hand war mir lieber als eine Taube auf dem Dach. Unsere Positionen sind weiterhin online nachlesbar. Auch deswegen war es wichtig, nicht zu schweigen.

Eine weitere Zeitenwende. US-Außenpolitik 2025

Schließt sich heute, im Frühjahr 2025, ein Kreis? Nach der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erleben wir, nach den völkerrechtwidrigen Aggressionsakten Russlands, durch den Überfall auf die Krim und dann die Ukraine, eine weitere Zeitenwende. Der Verteidigungsminister der aktuellen US-Regierung, Pete Hegseth, war als Soldat von 2004-2005 in Guantanamo eingesetzt. Einer seiner Auftritte außerhalb der USA, nur ein Monat nach seiner Vereidigung, war ein Besuch der Truppen in Guantanamo im Februar 2025. In seiner Rede an diese wird er auf der Internetseite des US-Verteidigungsministeriums zitiert mit den Worten:

“From our view, [Guantanamo Bay holding operations are] central to what we’re doing and [to] the message we’re sending to the world — which is that our border is closed,” he said, adding that the current administration “means business,” and that the service members at Guantanamo Bay are at “the tip of the spear” to make that happen.” “[So], keep executing [and] keep driving […].”[9]

Es gibt heute viele Gründe, gerade als Völkerrechtler*in, genau hinzusehen und nicht zu schweigen. Was nicht gesagt und nicht geschrieben wird, wird sonst möglicherweise niemals gesagt und niemals geschrieben.

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[1] Silja Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 145, Berlin: Springer 2001.

[2] Foto: gemeinfrei.

[3] Publiziert in dem Band: Christian Walter et al. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 169, Berlin: Springer 2004.

[4] German American Colloquium “Legal issues in the fight against terrorism” of the Federal Foreign Office, the Max Planck Institute and the US Department of State, Auswärtiges Amt, Berlin, 12. und 13. Oktober 2006.

[5] Foto: US State Department, gemeinfrei.

[6] John B. Bellinger, Speech – Legal Issues in the War on Terrorism, German Law Journal 8 (2007), 735 – 746,DOI: 10.1017/S2071832200005897.

[7] Silja Vöneky, Response – The Fight against Terrorism and the Rules of International Law – Comment on Papers and Speeches of John B. Bellinger, Chief Legal Advisor to the United States State Department, German Law Journal 8 (2007), 747 – 759, DOI: 10.1017/S2071832200005903.

[8] John B. Bellinger, Legal Issues in the War on Terrorism – A Reply to Silja N. U. Vöneky, German Law Journal 8 (2007), 871 – 878, DOI: 10.1017/S2071832200006015.

[9] Matthew Olay, Hegseth Visits Guantanamo Bay, Engages With Troops, US Department of Defence, 26.2.2025.